Das Spiel der Götter (7) - Steven Erikson - E-Book

Das Spiel der Götter (7) E-Book

Steven Erikson

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Beschreibung

In der Wüste Raraku steht die entscheidende Schlacht zwischen den Truppen der Mandata und denen der Rebellenarmee bevor – und damit der finale Kampf zwischen den sich hassenden Schwestern Tavore und Felisin …

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Seitenzahl: 870

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Buch

Schon oft ist die Heilige Wüste Raraku zum Schauplatz von Kriegen geworden. Und die nächste Schlacht wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, denn Tavore, die neue Mandata der Imperatrix, ist mit ihrer Strafarmee in Aren gelandet, um den Aufstand im Reich der Sieben Städte niederzuschlagen. Bevor die Mandata allerdings ins Landesinnere aufbrechen kann, muss sie zunächst einmal ihre Armee, die größtenteils aus unerfahrenen Rekruten besteht, zu einer schlagkräftigen Truppe formen  – und den wenigen Überlebenden von Coltaines Todesmarsch den Glauben an sich selbst zurückgeben. Denn nur, wenn es ihr gelingt, aus den Veteranen und den Rekruten eine Einheit zu bilden, kann ihre Strafexpedition Aussicht auf Erfolg haben. Im Herzen der Raraku wartet inzwischen Felisin, die zu Sha’ik gewordene jüngere Schwester Tavores, umgeben von ihrer vieltausendköpfigen Rebellenarmee, auf die Malazaner. Doch je länger die Wartezeit dauert, desto mehr wird deutlich, dass ihre Unteranführer eigene Pläne verfolgen, und das Gerangel um Macht und Einfluss droht die Rebellion von innen heraus zu vernichten. Felisin selbst hingegen ist vor Entsetzen wie gelähmt, seit sie weiß, dass ihre verhasste Schwester Tavore in Aren ist und irgendwann mit ihrer Strafarmee eintreffen wird.

Autor

Steven Erikson, in Kanada geboren, lebte viele Jahre in der Nähe von London, ehe er seine Heimat Winnipeg zurückkehrte. Der Anthropologe und Archäologe legte 1999 nach einer sechsjährigen akribischen Vorbereitungsphase seinen weltweit beachtenten Debütromann »Die Gärten des Mondes« vor.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorWidmungDanksagungKERNLAND DES MALAZANISCHEN IMPERIUMSBuch Eins
Kapitel EinsKapitel ZweiKapitel DreiKapitel VierKapitel FünfKapitel Sechs
Buch Zwei
Kapitel SiebenKapitel AchtKapitel NeunKapitel ZehnKapitel ElfKapitel ZwölfKapitel DreizehnKapitel VierzehnKapitel Fünfzehn
EpilogDramatis Personae
Glossar
Copyright

Für Mark Paxton MacRae, für den KO-Schlag. Dies alles ist für dich, mein Freund.

Danksagung

Der Autor möchte seinem Kader von Lesern danken: Chris Porozny, Richard Jones, David Keck und Mark Paxton MacRae. Und wie immer Clare und Bowen. Simon Taylor und der Mannschaft bei Transworld. Und dem fantastischen (und geduldigen) Team von Tony’s Bar Italia: Erica, Steve, Jesse, Dan, Ron, Orville, Rhimpy, Rhea, Cam, James, Dom, Konrad, Darren, Rusty, Phil, Todd, Marnie, Chris, Leah, Ada, Kevin, Jake, Jamie, Graeme und Dom. Ein Dankeschön auch an Darren Nash (denn der Schaum steigt immer) und Peter Crowther.

Buch Eins

Etwas atmet …

Rashans Kunst liegt in der Spannkraft, mit der die Spiele des Lichts gebunden werden, doch ist ihre äußere Erscheinung die Zerstreuung – die Erschaffung von Schatten und Dunkel, auch wenn in diesem Fall das Dunkel nicht absolut ist wie etwa der Aspekt des alten Gewirrs Kurald Galain. Nein, dieses Dunkel ist etwas Besonderes, denn es besteht nicht in der Abwesenheit von Licht, sondern darin, gesehen zu werden.

Die Geheimnisse Rashans – Erörterungen eines VerrücktenUntural von Lato Revae

Kapitel Eins

Licht, Schatten und Dunkel –

dies ist ein Krieg, der niemals endet.

Fisher

Silbrig glänzend lag die Rüstung über einem T-förmigen Gestell. Öl war von den ausgefransten knielangen Troddeln heruntergetropft und bildete eine Lache auf dem mit Steinfliesen bedeckten Fußboden. Die Ärmel waren nicht weit, sondern sahen aus, als sollten sie fast hauteng getragen werden. Die Rüstung war häufig in Gebrauch gewesen, und an den Stellen, an denen sie geflickt worden war, schienen die Ringe aus dunklerem, mit Kohlenstoff gehärtetem Stahl zu bestehen.

Neben ihr, auf einem frei stehenden eisernen Rahmen mit waagerecht angebrachten Haken, wartete ein zweihändiges Schwert, gleich darunter auf einem zweiten Paar Haken die Scheide. Das Schwert war außergewöhnlich schmal mit einer langen, sich verjüngenden Spitze und war beidseitig geschliffen und gerieft. Die Oberfläche der Klinge war auf merkwürdige Weise ölig blau, magenta und silbern gesprenkelt. Der Griff war rund statt flach und mit Darm umwickelt, der Knaufstein ein einzelner, großer, länglicher polierter Hämatit. Die Scheide war aus schwarzem Holz gefertigt und an der Spitze und der Öffnung mit Silber beschlagen, ansonsten jedoch vollkommen schmucklos. Das Wehrgehenk, an dem sie befestigt war, bestand aus kleinen, fast schon zarten schwarzen Kettengliedern.

Auf einem hölzernen Regal an der Wand hinter der Rüstung warteten Panzerhandschuhe. Daneben lag ein Helm aus mattem Eisen, kaum mehr als eine Kappe in einem Gitter aus nietenbeschlagenen Stäben. Diese Stäbe reckten sich wie eine große Hand nach unten, und die knorrigen Finger krümmten sich, um Nase, Wangen und Kinnlinie Schutz zu gewähren. Ein Hummerschwanz aus Kettengeflecht fiel vom leicht ausgestellten hinteren Helmrand herab.

Schlitzer, der gleich hinter der Tür in dem bescheidenen Raum mit der niedrigen Decke stand, schaute zu, wie Darist mit den Vorbereitungen begann, seine kriegerische Ausrüstung anzulegen. Der junge Daru hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass die überaus schöne Waffe und die ebenso schöne Rüstung – die offensichtlich bereits Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte gesehen hatten – diesem silberhaarigen Mann gehören sollten, dessen Körperhaltung der eines weltfremden Gelehrten glich und in dessen hell schimmernden, bernsteinfarbenen Augen fortwährend ein Ausdruck von Zerstreutheit zu liegen schien. Diesem Mann, der sich so langsam bewegte, als müsste er auf seine morschen Knochen Acht geben –

Dabei habe ich am eigenen Leib erfahren, wie stark der alte Tiste Andii ist. Und in jeder seiner Bewegungen liegt eine Achtsamkeit, die ich wiedererkennen müsste – denn ich habe sie zuletzt bei einem anderen Tiste Andii gesehen, einen ganzen Ozean entfernt von hier. Ist das eine typische Eigenart dieses Volkes? Vielleicht, aber es kündet wie ein Lied von Gefahr, tief eingegraben ins Mark meiner Knochen.

Darist stand da und starrte seine Rüstung an, wie erstarrt in einer Mischung aus Bestürzung und Nachdenklichkeit – als hätte er vergessen, wie sie anzulegen sei.

»Diese Tiste Edur, Darist«, sagte Schlitzer. »Wie viele sind es?«

»Lautet deine Frage nicht vielmehr, ob wir den bevorstehenden Angriff überleben werden? Das ist unwahrscheinlich, lautet meine Antwort. Mindestens fünf Schiffe haben den Sturm überstanden. Zwei haben es bis an unsere Küste und ans Ufer geschafft. Es wären noch mehr gewesen, doch sie wurden von einer malazanischen Flotte angegriffen, die zufällig auf sie gestoßen ist. Wir haben den Zusammenstoß von den Klippen von Purahl aus beobachtet …« Der Tiste Andii wandte langsam den Kopf und warf Schlitzer einen Blick zu. »Deine menschlichen Verwandten haben sich gut gehalten  – zweifellos viel besser, als die Edur es erwartet hatten.«

»Es hat eine Seeschlacht zwischen den Malazanern und den Tiste Edur gegeben? Wann war das?«

»Vor ungefähr einer Woche. Es waren nur drei malazanische Kriegsdromonen, doch jede hat Gesellschaft auf ihre Reise in die Tiefe mitgenommen. Bei den Menschen war auch ein fähiger Magier oder eine Zauberin – der Austausch magischer Energien war zutiefst beeindruckend –«

»Und Ihr und Eure Verwandten habt zugesehen? Warum habt Ihr ihnen nicht geholfen? Ihr müsst doch gewusst haben, dass die Edur diese Insel suchen!«

Darist trat zu der Rüstung, hob sie anscheinend mühelos vom Gestell. »Wir verlassen diese Insel nicht mehr. Wir bleiben jetzt schon seit vielen Dekaden unserer Entscheidung treu, so abgeschieden zu leben.«

»Warum?«

Der Tiste Andii gab keine Antwort. Er zog das Kettenhemd über die Schultern. Als es an ihm herunterglitt, hörte es sich an, als sei es flüssig. Dann griff er nach dem Schwert.

»Es sieht aus, als würde es sofort zerbrechen, wenn es auf eine schwerere Waffe prallt.«

»Das wird es nicht tun. Dieses außergewöhnliche Schwert hat viele Namen.« Darist hob es von den Haken. »Derjenige, der es gemacht hat, nannte es Rache. T’an Aros in unserer Sprache. Aber ich nenne es K’orladis.«

»Und das bedeutet was?«

»Kummer.«

Ein leichter Schauer überlief Schlitzer. »Wer hat es gemacht?« »Mein Bruder.« Darist schob das Schwert in die Scheide und legte das Wehrgehenk an. Dann griff er nach den Handschuhen. »Das war, bevor er eins gefunden hat, das … besser zu ihm passt.« Er drehte sich um; sein Blick wanderte über Schlitzer hinweg, vom Kopf bis zu den Füßen und wieder zurück. »Kannst du mit den Messern umgehen, die du an deinem Körper verborgen trägst?«

»Einigermaßen, doch Blut zu vergießen bereitet mir keine Freude.«

»Wozu sind sie denn sonst da?«, fragte der Tiste Andii, während er den Helm aufsetzte.

Schlitzer zuckte die Schultern und wünschte, er wüsste selbst eine Antwort auf diese Frage.

»Hast du vor, gegen die Edur zu kämpfen?«

»Da sie nach dem Thron suchen – ja.«

Darist neigte langsam den Kopf. »Aber dies ist nicht dein Kampf. Warum willst du ihn zu deinem machen?«

»In Genabackis – meiner Heimat – haben Anomander Rake und seine Gefolgsleute sich entschlossen, gegen das malazanische Imperium zu kämpfen. Es war nicht ihr Kampf, aber sie haben ihn zu dem ihren gemacht.«

Er war überrascht, als unter den gekrümmten Eisenstäben des Helms ein leichtes Lächeln über die verwitterten Gesichtszüge des Tiste Andii glitt.

»Das ist interessant. Also gut, Schlitzer, folge mir – doch ich muss dir sagen, dass dies dein letzter Kampf sein wird.«

»Ich hoffe nicht.«

Darist ging ihm voraus nach draußen auf den breiten Korridor, dann durch einen schmalen, mit schwarzem Holz eingefassten Torbogen. Der Durchgang erwies sich als ein Tunnel aus einem einzigen Stück Holz, wie der hohle Kern eines gewaltigen, umgestürzten Baumstamms. Er führte leicht aufwärts und erstreckte sich immer weiter ins Zwielicht.

Schlitzer schritt hinter dem Tiste Andii her. Das Geräusch, das Darists Rüstung machte, war so sanft wie das Rauschen von Regen an einem Strand. Der Tunnel endete abrupt, indem er nach oben abknickte; hier gab es keine Decke mehr, sondern nur noch einen senkrecht in die Höhe führenden Schacht. Eine grobe Leiter aus Wurzeln wies den Weg zu einer kleinen, blassen Scheibe aus Helligkeit.

Langsam und gemessen stieg Darist die Sprossen hinauf. Schlitzer folgte ihm voller Ungeduld, bis ihm plötzlich der Gedanke kam, dass er vielleicht schon bald sterben würde; ab diesem Zeitpunkt bemächtigte sich eine dumpfe Mattigkeit seiner Muskeln, und er musste kämpfen, um mit dem alten Tiste Andii mitzuhalten.

Schließlich kamen sie auf einem mit Blättern bedeckten gepflasterten Fußboden heraus. Speere aus Sonnenlicht, in denen der Staub tanzte, fielen durch schmale, eher Schlitzen ähnelnde Fenster und Lücken im Dach – der Sturm schien diesen Ort völlig unberührt gelassen zu haben. Eine Wand war größtenteils in sich zusammengefallen, und auf sie schritt Darist zu.

Schlitzer folgte ihm. »Wenn man das alles einigermaßen in Stand gehalten hätte, wäre es sehr wohl zu verteidigen«, murmelte er.

»Diese Gebäude hier oben sind nicht von den Andii – sie stammen von den Edur, und sie waren schon Ruinen, als wir das erste Mal hierher gekommen sind.«

»Wie nah sind sie?«

»Sie streifen durch den Wald, bewegen sich aufs Innere der Insel zu. Sie sind vorsichtig, denn sie wissen, dass sie nicht allein sind.«

»Wie viele könnt Ihr spüren?«

»Die erste Gruppe dürfte etwa zwanzig Mann stark sein. Wir werden uns ihnen im Hof entgegenstellen, wo wir genügend Platz haben, um mit dem Schwert zu kämpfen, aber zum Schluss auch zu einer Wand zurückweichen können.«

»Beim Atem des Vermummten, Darist, wenn wir sie zurückschlagen, werdet Ihr wahrscheinlich vor Schreck sterben.«

Der Tiste Andii warf dem Daru einen Blick zu und winkte. »Folge mir.«

Sie durchquerten ein halbes Dutzend ähnlich verfallener Räume, ehe sie den Hof erreichten. Die doppelt mannshohen Mauern waren mit rebenumrankten Gittern versehen und hatten eine zackige Krone. Unter dem Bewuchs verbargen sich kaum noch zu erkennende, verblasste Fresken. Gegenüber dem Eingang, durch den sie schritten, befand sich ein gewölbter Torweg, hinter dem sich ein mit Piniennadeln, Luftwurzeln und moosbesetzten Felsbrocken übersäter Pfad auf die Schatten gewaltiger Bäume zuwand. Schlitzer schätzte, dass der Hof zwanzig Schritt breit und fünfundzwanzig Schritt lang war. »Hier ist zu viel Platz, Darist«, sagte er. »Sie werden uns seitlich umgehen –«

»Ich werde die Mitte halten. Du bleibst hinter mir, um dich um diejenigen zu kümmern, die tatsächlich versuchen, an mir vorbeizukommen.«

Schlitzer erinnerte sich an Anomander Rakes Kampf mit dem Dämon in den Straßen von Darujhistan. Die Art, wie der Sohn der Dunkelheit sein zweihändiges Schwert geschwungen hatte, hatte eine Menge Platz erfordert, und es schien, als wollte Darist auf eine ähnliche Weise kämpfen – aber die Klinge dieses Schwerts war nach Schlitzers Meinung viel zu dünn für solch wilde, weit ausholende Hiebe. »Ist Eure Klinge mittels Zauberei verstärkt?«, fragte er.

»Nicht mit gewöhnlicher Zauberei«, erwiderte der Tiste Andii, während er die Waffe zog und beide Hände um das Heft legte – die eine knapp hinter der Parierstange, die andere direkt unter dem Knaufstein. »Kummers Macht liegt in dem gebündelten Willen, mit dem es erschaffen wurde. Das Schwert fordert von demjenigen, der es schwingt, eine außergewöhnliche Willenskraft. Wird es mit solch einer Willenskraft geführt, ist es unbesiegbar.«

»Und habt Ihr diese außergewöhnliche Willenskraft?«

Darist senkte die Schwertspitze langsam zu Boden. »Wenn ich sie hätte, Mensch, wäre dies nicht dein letzter Tag diesseits des Tors des Vermummten. Und jetzt würde ich vorschlagen, dass du deine Waffen ziehst. Die Edur haben den Pfad entdeckt und nähern sich.«

Schlitzer stellte fest, dass seine Hände zitterten, als er seine Hauptmesser zog. Er besaß noch vier andere, zwei unter jedem Arm; sie steckten in Lederscheiden und waren mit Riemen festgezurrt, die er jetzt löste. Diese vier waren zum Werfen ausbalanciert. Er packte die Hauptmesser fester, musste jedoch zwischendurch die schweißnassen Handflächen abwischen und seinen Griff verändern.

Ein leises, wisperndes Geräusch ließ ihn aufblicken, und er sah, dass Darist Kampfhaltung eingenommen hatte, auch wenn die Spitze seines Schwerts noch immer auf den Pflastersteinen ruhte.

Und dann sah Schlitzer noch etwas anderes. Das Laub und das Geröll auf den Pflastersteinen bewegten sich; Blätter und kleine Steinchen krochen wie von einem unsichtbaren Wind getrieben über den Boden und sammelten sich auf der Torseite des Hofs, häuften sich schließlich an den Wänden auf.

»Kneif die Augen zu Schlitzen zusammen«, sagte Darist leise.

Zu Schlitzen?

Im Zwielicht jenseits des Torwegs war Bewegung, zunächst verstohlen, doch dann traten drei Gestalten unter den Torbogen und somit in sein Blickfeld.

Sie waren so groß wie Darist, doch ihre Haut war von dunkler Blässe, und sie hatten lange braune Haare, in die Fetische geknotet waren. Ihre Halsketten aus Klauen und Zähnen passten zu den barbarisch wirkenden, roh gegerbten Lederrüstungen, die an einigen Stellen mit Bronzestreifen besetzt waren. Ihre Helme, ebenfalls aus Bronze, waren wie Bären- oder Wolfsschädel geformt.

An ihnen war nichts von der natürlichen Erhabenheit, die bei Darist so offensichtlich war – oder auch bei Anomander Rake. Diese Edur waren von weit brutalerem Schlag. In den Händen hielten sie Säbel mit schwarzen Klingen und schweren Spitzen, und an ihren Unterarmen trugen sie mit Robbenfell bespannte Schilde.

Sie zögerten vor Darist, dann stieß der in der Mitte ein paar wütende Worte in einer Sprache hervor, die Schlitzer nicht verstehen konnte.

Der silberhaarige Tiste Andii zuckte die Schultern, erwiderte jedoch nichts.

Die Edur riefen etwas, das ganz eindeutig nach einer Forderung klang. Dann machten sie ihre Waffen bereit und schwangen ihre Schilde herum.

Schlitzer konnte sehen, dass sich auf dem Pfad jenseits des Tors noch mehr der wilden Krieger versammelt hatten.

Die drei traten unter dem Torbogen hervor, verteilten sich so, dass sie Darist im Halbkreis in die Zange nehmen konnten – der Edur in der Mitte war einen Schritt weiter entfernt als seine beiden Kameraden an den Seiten.

»Sie wissen nicht, was du vorhast«, murmelte Schlitzer. »Sie haben noch nie –«

Die beiden Angreifer an den Flanken bewegten sich in perfektem Gleichklang vorwärts.

Darists Schwert zuckte nach oben, und im gleichen Augenblick fauchte eine stürmische Windböe durch den Hof; plötzlich war die Luft um die drei Edur herum voller wirbelnder Blätter und Staub.

Schlitzer schaute zu, wie der Tiste Andii angriff. Die Klinge wischte horizontal zur Seite, die Spitze bedrohte den Edur zur Rechten, doch der eigentliche Angriff erfolgte mit dem Schwertknauf, und er galt dem Krieger zur Linken. Darist tauchte zur Seite weg – so rasch, dass seine Umrisse verschwammen –, um nah an den Angreifer heranzukommen, dann krachte der Schwertknauf gegen den rasch hochgerissenen Schild und spaltete ihn fein säuberlich in zwei Teile. Seine linke Hand löste sich vom Griff und schlug das Schwert des Kriegers beiseite, noch während der Tiste Andii in die Hocke ging und dabei Kummers Schneide an der Vorderseite seines Gegners herunterzog.

Zunächst schien es, als hätte er ihn gar nicht berührt, doch dann spritzte Blut aus einem Riss, der über dem linken Schlüsselbein des Edur begann und in einer geraden Linie bis hinunter zu seinem Schritt verlief.

Aus der Hocke wurde ein Satz rückwärts, der Darist zwei Schritte weiter hinten landen ließ, während seine Klinge bereits wieder durch die Luft zischte, um die anderen beiden Krieger abzuwehren, die bestürzt zurücksprangen.

Der verwundete Edur brach in einer Lache seines eigenen Blutes zusammen, und als er fiel, sah Schlitzer, dass Kummer das Schlüsselbein und jede einzelne Rippe auf der linken Seite seines Brustkorbs durchtrennt hatte.

Die Krieger jenseits des Torwegs stießen Schlachtrufe aus und stürmten in den windgepeitschten Hof.

Ihre einzige Aussicht auf Erfolg bestand darin, nah genug an Darist heranzukommen, um in seine Reichweite zu gelangen und die flüsternde Klinge zu narren. An Mut mangelte es den Edur jedenfalls nicht.

Schlitzer sah zu, wie ein zweiter niedergehauen wurde, dann bekam ein dritter Krieger den Schwertknauf seitlich an den Helm, und die Bronze wölbte sich viel zu weit nach innen – der Krieger fiel mit merkwürdig zuckenden Gliedern auf die Pflastersteine.

Beide Hauptmesser lagen in der linken Hand des Daru, und seine Rechte griff nach einem Wurfmesser. Er schleuderte die Waffe mit einem Rückhandwurf davon, sah, wie sie sich bis zum Heft ins Auge eines Edur bohrte – und wusste, dass die Spitze bis zum hinteren Teil des Schädelknochens durchgedrungen war. Er warf das zweite Messer und fluchte, als ein Schild hochfuhr, um es abzufangen.

Darists Schwert schien in dem Sturm aus wirbelnden Blättern überall zugleich zu sein; Angriff auf Angriff blockte er ab, doch dann warf sich ein Edur nach vorn und schaffte es, beide Arme um die Beine des Tiste Andii zu schlingen.

Ein Krummsäbel schlug zu. Blut spritzte aus Darists rechter Schulter. Kummers Knauf verpasste dem Helm des Kriegers, der den Tiste Andii gepackt hatte, eine tiefe Delle, und der Mann sackte in sich zusammen. Ein weiterer Hieb grub sich in Darists Hüfte; die Klinge prallte vom Knochen zurück. Darist taumelte.

Schlitzer eilte nach vorn, als die restlichen Edur näher rückten. Durch wirbelnde, raschelnde Blätter hindurch in die ruhige Luft im Zentrum. Der Daru hatte bereits gelernt, dass die direkte, frontale Konfrontation nicht die ideale Taktik war, wenn man mit Messern kämpfte. Er wählte sich einen Edur aus, dessen Aufmerksamkeit ausschließlich auf Darist gerichtet war und der aus diesem Grund etwas abgewandt stand – doch der Krieger bemerkte ihn aus dem Augenwinkel und reagierte schnell.

Ein Rückhandhieb des Krummsäbels, gefolgt von dem Herumschwingen des Schilds.

Schlitzer knallte sein linkes Messer gegen den vorderen Teil der Klinge, um sie abzufangen. Gleichzeitig hielt er den Hieb mit seinem anderen Messer auf, indem er seine Waffe durch den Unterarm des Mannes trieb – die Spitze durchbohrte die ledernen Armschützer und grub sich zwischen Elle und Speiche. Das Heft seiner anderen Waffe prallte gegen den Krummsäbel – und schlug ihn aus einer gelähmten Hand.

Der Edur stöhnte laut auf und begann zu fluchen, als Schlitzer einen Schritt an ihm vorbeimachte und dabei an seinem Messer zerrte. Die Klinge wollte sich nicht lösen, und der Daru zog den durchbohrten Arm mit. Die Beine des Kriegers verhedderten sich, er fiel auf ein Knie.

In dem Augenblick, als er den Schild hob, schoss Schlitzers freies Messer darüber hinweg, bohrte sich in seine Kehle.

Der Schildrand prallte hart gegen das ausgestreckte Handgelenk des Daru und hätte ihm beinah das Messer aus der Hand geschlagen, doch er schaffte es gerade noch, es festzuhalten.

Noch ein Ruck, und das andere Messer löste sich aus dem Unterarm des Edur.

Ein Schild krachte von links gegen Schlitzer; die Wucht des Hiebs war so groß, dass er den Daru förmlich von den Pflastersteinen hob. Er drehte sich herum, stach nach dem Angreifer – und verfehlte ihn. Der Aufprall hatte seine linke Körperseite in ein Meer aus hämmernden Schmerzen verwandelt. Er kam auf dem Boden auf und rollte sich zusammen.

Etwas folgte ihm, polterte heran, prallte einmal, zweimal auf den Boden, und als der Daru sich wieder auf die Beine mühte, krachte der abgeschlagene Schädel eines Edur hart gegen sein rechtes Schienbein.

Der Schmerz dieses letzten Treffers überstieg absurderweise alles, was bisher gewesen war. Er schrie fluchend auf und hüpfte auf einem Bein rückwärts.

Ein Edur stürmte auf ihn zu.

Schlitzer stieß einen unflätigen Fluch aus. Er warf das Messer, das er in der linken Hand hielt. Ein Schild zuckte hoch, um es abzuwehren, während der Krieger dahinter sich duckte.

Das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, sprang Schlitzer hinter dem Messer her – solange der Edur nichts sehen konnte – und stieß über den Schild zu. Die Klinge drang hinter dem linken Schlüsselbein des Mannes ein, und eine Fontäne aus Blut spritzte aus der Wunde, als der Daru die Waffe wieder herauszog.

Im Hof erklangen jetzt Schreie – und plötzlich schien es, als würde auf allen Seiten gekämpft. Schlitzer torkelte einen Schritt zurück und sah, dass andere Tiste Andii angekommen waren – und mitten unter ihnen war Apsalar.

Drei Edur lagen hinter ihr auf dem Boden und wanden sich in einer Lache aus Blut und Galle.

Die Übrigen zogen sich – abgesehen von ihren Verwandten, die durch Apsalars, Schlitzers oder Darists Hand gefallen waren – durch den Torbogen zurück.

Apsalar und die Tiste Andii, die sie begleiteten, verfolgten sie nur bis zum Tor.

Allmählich erstarb der wirbelnde Wind, und langsam wie Ascheflocken sanken die Blätter zu Boden.

Schlitzer warf einen Blick zur Seite und sah, dass Darist noch immer auf den Beinen war; doch er lehnte an einer Mauer, seine große, schlanke Gestalt war blutbesudelt, sein Helm fort, sein Haar hing ihm, stumpf geworden, tropfend ins Gesicht. Noch immer hielt er das Schwert namens Kummer in beiden Händen; die Spitze ruhte wieder auf den Pflastersteinen.

Eine der neu hinzugekommenen Tiste Andii begab sich zu den drei geräuschvoll sterbenden Edur – und schlitzte ihnen ohne Federlesens die Kehlen auf. Als sie fertig war, richtete sie ihren Blick auf Apsalar und musterte sie mehrere Herzschläge lang.

Schlitzer bemerkte, dass Darists Verwandte allesamt weißhaarig, jedoch nicht einer oder eine annähernd so alt wie er war; tatsächlich erschienen sie ihm sogar sehr jung, kaum älter als er selbst. Ihre Ausrüstung wirkte willkürlich zusammengesucht, und sie hielten ihre Waffen auf eine Weise, als wären sie nicht sonderlich damit vertraut. Immer wieder warfen sie schnelle, nervöse Blicke zum Torbogen hinüber, ehe ihre Aufmerksamkeit wieder zu Darist zurückkehrte.

Apsalar schob ihre Kethra-Messer zurück in die Scheiden und trat zu Schlitzer. »Tut mir Leid, dass wir so spät gekommen sind.«

Er blinzelte, zuckte dann die Schultern. »Ich dachte, du wärst ertrunken.«

»Nein. Es war nicht schwer, ans Ufer zu kommen – alles andere war allerdings mit dir verschwunden. Irgendwer hat mit magischen Mitteln nach mir gesucht, doch ich habe mich der Suche entzogen.« Sie nickte in Richtung der Jugendlichen. »Die da habe ich ein ganzes Stück weit im Landesinneren gefunden. Sie hatten ein Lager aufgeschlagen und sich … versteckt.«

»Versteckt. Aber Darist hat gesagt –«

»Oh, das ist also Darist. Andarist, genauer gesagt.« Sie drehte sich um und warf dem alten Tiste Andii einen nachdenklichen Blick zu. »Sie haben sich auf seinen Befehl versteckt. Er wollte sie nicht hier haben … weil er damit gerechnet hat, dass sie sterben würden, vermute ich.«

»Und das werden sie auch«, knurrte Darist, der schließlich den Kopf hob und sie anblickte. »Du hast sie alle zum Tode verdammt, denn die Edur werden nun regelrecht Jagd auf sie machen – der alte Hass, aufs Neue entfacht.«

Seine Worte schienen sie nicht berührt zu haben. »Der Thron muss geschützt werden.«

Darist bleckte blutbefleckte Zähne, und seine Augen glitzerten im Halbschatten. »Wenn er wirklich will, dass der Thron geschützt wird, dann soll er doch kommen und es selbst tun.«

Apsalar runzelte die Stirn. »Wer?«

Schlitzer übernahm es, ihr zu antworten. »Sein Bruder natürlich. Anomander Rake.«

Es war nur eine Vermutung gewesen, doch Darists Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er richtig lag. Er war Anomander Rakes jüngerer Bruder. In seinen Adern floss nichts vom Drachenblut des Sohns der Dunkelheit. Und in seinen Händen hielt er ein Schwert, das sein Schöpfer – im Vergleich zu Dragnipur  – als ungenügend erachtet hatte. Doch dieses Wissen war kaum mehr als ein Flüstern – der verworrene, dunkle Sturm all dessen, was zwischen den beiden Brüdern herrschte, war ein Epos, das wohl niemals erzählt werden würde. Zumindest vermutete Schlitzer das.

Und das Geflecht aus altem Groll erwies sich als noch fester verwoben, als der Daru anfangs vermutet hatte, denn es stellte sich heraus, dass die Jugendlichen allesamt nahe Verwandte von Anomander waren – seine Enkel. Ihre Eltern waren der gleichen Schwäche verfallen wie ihr Erzeuger: dem Verlangen danach umherzuwandern, in den Nebeln zu verschwinden, geheime Welten an vergessenen, einsamen Orten zu erschaffen. »Die Suche nach Loyalität und Ehre« hatte Darist höhnisch schnaubend gesagt, während Phaed – die junge Frau, die Apsalars Opfern Barmherzigkeit erwiesen hatte – seine Wunden verband.

Keine leichte Aufgabe. Darist – Andarist – war mindestens ein Dutzend Mal an den unterschiedlichsten Stellen verwundet worden, und jedes Mal hatten die schweren Krummsäbel nicht nur das Kettenhemd durchtrennt, sondern auch das darunter liegende Fleisch bis auf die Knochen. Dass er es überhaupt geschafft hatte, sich auf den Beinen zu halten – und gar noch weiter zu kämpfen –, strafte seine vorherige Behauptung Lügen, dass sein Wille nicht rein genug wäre, um das Schwert namens Kummer zu führen. Doch nun, da das Geplänkel zunächst einmal vorbei war, verflog die Kraft, die den alten Krieger befeuert hatte, schnell. Sein rechter Arm war nicht mehr zu gebrauchen; die Wunde an seiner Hüfte ließ ihn auf die Pflastersteine sinken – und er konnte sich ohne fremde Hilfe nicht wieder erheben.

Am Boden lagen neun tote Tiste Edur. Wahrscheinlich hatten sie sich zurückgezogen, um sich neu zu formieren, und nicht etwa, weil sie zu hart bedrängt worden waren.

Und was noch schlimmer war – sie waren nur die Vorhut. Die beiden Schiffe unweit des Ufers waren riesig. Jedes konnte leicht zweihundert Krieger beherbergen. Zu dieser Überzeugung war Apsalar gekommen, als sie die schmale Bucht erkundet hatte, in der sie angelegt hatten.

»Im Wasser sind eine Menge Wrackteile«, fügte sie hinzu, »und beide Schiffe der Edur sehen aus, als wären sie in einen Kampf verwickelt gewesen –«

»Mit drei malazanischen Kriegsdromonen«, sagte Schlitzer. »Ein zufälliger Zusammenstoß. Darist meint, die Malazaner hätten sich wacker geschlagen.«

Sie saßen auf einem Haufen Geröll ein Dutzend Schritt von den Tiste Andii entfernt und beobachteten, wie die Jugendlichen um Darist herumscharwenzelten und sich um ihn kümmerten. Schlitzers linke Seite schmerzte; zwar hatte er noch nicht nachgesehen, doch er wusste auch so, dass sich dort blaue Flecken bildeten. Er versuchte, nicht auf das unangenehme Gefühl zu achten, und beäugte weiter die Tiste Andii.

»Sie sind nicht gerade das, was ich erwartet hatte«, sagte er leise. »Sie sind noch nicht einmal in der Kunst des Kämpfens geschult –«

»Das stimmt. Darists Wunsch, sie zu beschützen, könnte sich als tödlich für sie erweisen.«

»Jetzt, seit die Edur wissen, dass es sie gibt. Das war in Darists Plan nicht vorgesehen.«

Apsalar zuckte die Schultern. »Sie hatten eine Aufgabe.«

Er schwieg, dachte über die brüske Bemerkung nach. Er hatte immer geglaubt, dass eine außergewöhnliche Begabung darin, andere Menschen zu töten, mit einer gewissen Weisheit einherging – über die Zerbrechlichkeit des Geistes, über seine Sterblichkeit –, wie er es zu Hause in Darujhistan bei Rallick Nom gekannt und aus erster Hand erlebt hatte. Doch Apsalar zeigte keine solche Weisheit; ihr Urteil war gnadenlos, ihre Worte oftmals einfach barsch und abweisend. Sie hatte sich konzentriert und daraus eine Waffe gemacht … oder ein Mittel der Selbstverteidigung.

Sie hatte nicht vorgehabt, auch nur einen der drei Edur, die sie niedergestochen hatte, schnell sterben zu lassen. Aber es schien, als würde es ihr – im Gegensatz zu einem Sadisten – kein Vergnügen bereiten. Es ist mehr so, als wäre sie ausgebildet worden, so etwas zu tun … ausgebildet zum Foltern. Aber Cotillion – Tanzer – war kein Folterer. Er war ein Assassine. Woher kommt dann also der bösartige Zug? Ist er ein Teil ihrer eigenen Natur? Ein unangenehmer, verstörender Gedanke.

Er hob behutsam den linken Arm und zuckte zusammen. Ihr nächster Kampf würde wahrscheinlich ziemlich kurz werden, selbst mit Apsalar an ihrer Seite.

»Du bist nicht in der Verfassung zum Kämpfen«, bemerkte sie.

»Genauso wenig wie Darist«, gab er zurück.

»Das Schwert wird ihn tragen. Aber du wirst dich als Belastung erweisen. Ich möchte nicht dadurch abgelenkt werden, dass ich dich beschützen muss.«

»Was schlägst du vor? Soll ich mich vielleicht gleich jetzt umbringen, damit ich dir nicht im Weg bin?«

Sie schüttelte den Kopf – als wäre der Vorschlag ernst gemeint gewesen und hätte nur nicht dem entsprochen, was sie gemeint hatte. »Es gibt noch andere auf dieser Insel«, meinte sie leise. »Sie haben sich gut versteckt, aber nicht gut genug, um mir zu entgehen. Ich will, dass du zu ihnen gehst. Ich will, dass du sie um Hilfe bittest.«

»Was sind das für andere?«

»Du hast es selbst schon gesagt, Schlitzer: Malazaner. Überlebende von den drei Dromonen, nehme ich an. Und unter ihnen befindet sich jemand mit Macht.«

Schlitzer warf einen Blick zu Darist hinüber. Die Jugendlichen hatten den alten Mann ein Stück zur Seite getragen, so dass er nun – genau gegenüber dem äußeren Tor – neben dem inneren Torbogen mit dem Rücken an der Mauer lehnte. Er hatte den Kopf gesenkt, das bärtige Kinn ruhte auf seiner Brust, und nur das schwache Heben und Senken seines Brustkorbs verriet, dass er noch am Leben war. »In Ordnung. Wo werde ich sie finden?«

Der Wald war voller Ruinen. Sie waren zerfallen und moosbewachsen, häufig kaum mehr als überwucherte Haufen, aber als Schlitzer den schmalen, kaum erkennbaren Pfad entlangstapfte, den Apsalar ihm beschrieben hatte, wurde ihm deutlich bewusst, dass dieser Wald sich im Herzen einer toten Stadt erhob – einer großen Stadt voller riesiger Gebäude. Hier und dort lagen Bruchstücke von Statuen; Figuren von gewaltiger Größe, aus Einzelteilen gefertigt und mit einer glasigen Substanz zusammengefügt, die er nicht kannte. Obwohl sie größtenteils mit Moos bewachsen waren, vermutete er, dass diese Figuren Edur darstellten.

Eine bedrückende Düsternis durchströmte alles, was unter dem belaubten Dach des Waldes lag. An einigen noch lebenden Bäumen war die Rinde beschädigt, und während diese Rinde schwarz war, war das glatte, feuchte Holz darunter blutrot. An ihren umgestürzten Kameraden konnte er sehen, dass das grelle Rot sich nach dem Tod in Schwarz verwandelte. Die verletzten, aufrecht stehenden Bäume erinnerten Schlitzer an Darist – an die tiefschwarze Haut des Tiste Andii und die klaffenden roten Wunden, mit denen sie übersät war.

Er trottete weiter und spürte, wie er in der feuchten Luft schauderte. Sein linker Arm war inzwischen vollkommen unbrauchbar. Und auch wenn er sich seine Messer zurückgeholt hatte – selbst das mit der zerbrochenen Spitze –, bezweifelte er, dass er, sollte er dazu gezwungen sein, einigermaßen kämpfen könnte.

Direkt vor sich konnte er nun sein Ziel ausmachen: einen pyramidenförmigen, außergewöhnlich großen Haufen aus Trümmern und Schutt, dessen Kuppe im Sonnenlicht lag. Auf den Flanken standen Bäume, doch die meisten waren tot – erdrosselt im gnadenlosen Griff der Weinranken. Ein klaffendes Loch aus undurchdringlicher Dunkelheit gähnte an der Seite, die Schlitzer am nächsten lag.

Er ging langsamer und blieb schließlich zwanzig Schritt vor der Höhle stehen. Was er vorhatte, widersprach jedem instinktiven Gefühl. »Malazaner!«, rief er und zuckte angesichts seiner eigenen lauten Stimme zusammen. Aber die Edur rücken immer weiter auf den Thron vor – von denen kann mich keiner hören. Hoffe ich zumindest. »Ich weiß, dass ihr da drin seid! Ich will mit euch sprechen!«

Gestalten tauchten an den Seiten der Höhle auf, zwei links und zwei rechts, die Armbrüste gespannt und auf Schlitzer gerichtet. Dann kamen noch mehr, diesmal aus der Mitte, zwei Frauen und ein Mann. Die Frau zur Linken winkte und sagte: »Komm näher, und nimm die Hände hoch.«

Schlitzer zögerte, streckte schließlich die rechte Hand aus. »Ich fürchte, ich kann meinen linken Arm nicht heben.«

»Komm näher.«

Er trat auf sie zu.

Die Sprecherin war groß und muskulös und hatte lange, rotscheckige Haare. Sie trug gegerbte Lederkleidung, und an ihrer Hüfte steckte ein Langschwert in einer Scheide. Ihre Haut hatte einen tiefen Bronzeton. Schlitzer schätzte, dass sie mindestens zehn Jahre älter war als er, und er spürte, wie ihn ein Schauer überlief, als er den Kopf hob und dem Blick ihrer schräg stehenden, golden schimmernden Augen begegnete.

Die andere Frau war unbewaffnet und älter. Ihre ganze rechte Seite  – Kopf, Gesicht, Oberkörper, Bein – war schrecklich verbrannt; das Fleisch war mit Kleiderfetzen verschmolzen, unter den verheerenden Auswirkungen eines Angriffs magischer Energien blasig aufgequollen und wieder zusammengeschrumpelt. Ein Wunder, dass sie noch auf den Beinen – und überhaupt noch am Leben – war.

Einen Schritt hinter den beiden Frauen stand ein Mann. Schlitzer hielt ihn für einen Dal Honesen – dunkelhäutig, die grau gesprenkelten, lockigen schwarzen Haare kurz geschoren –, obwohl seine Augen unpassenderweise tiefblau waren. Seine Gesichtszüge waren durchaus ebenmäßig, allerdings kreuz und quer mit Narben überzogen. Er hatte einen abgenutzten Kettenpanzer angelegt und trug ein schlichtes Langschwert am Gürtel. Sein Gesichtsausdruck war so verschlossen, dass er Apsalars Bruder hätte sein können.

Die Seesoldaten am Rand der Höhlenöffnung waren in voller Rüstung, trugen Helme mit Visieren.

»Seid ihr die einzigen Überlebenden?«, fragte Schlitzer.

Die erste Frau machte ein finsteres Gesicht.

»Ich habe nicht viel Zeit«, fuhr der Daru fort. »Wir brauchen eure Hilfe. Die Edur greifen uns an –«

»Die Edur?«

Schlitzer blinzelte und nickte dann. »Die Seefahrer, gegen die ihr gekämpft habt. Tiste Edur. Sie suchen etwas auf dieser Insel, etwas, dem gewaltige Macht innewohnt – und uns wäre es lieber, es würde ihnen nicht in die Hände fallen. Ihr fragt euch nun wahrscheinlich, warum ihr uns helfen solltet? Aus einem einfachen Grund: Wenn dieses Ding den Tiste Edur tatsächlich in die Hände fällt, ist das malazanische Imperium wahrscheinlich am Ende. Ja, genauer betrachtet, die ganze Menschheit –«

Die verbrannte Frau begann gackernd zu lachen, doch das Lachen verwandelte sich in einen Husten, der blutigen Schaum auf ihre Lippen treten ließ. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder erholt hatte. »Ach, noch einmal so jung zu sein! Die ganze Menschheit also, ja? Und warum nicht gleich die ganze Welt?«

»Auf dieser Insel befindet sich der Thron des Schattens«, sagte Schlitzer.

Bei diesen Worten zuckte der Dal Honese leicht zusammen.

Die verbrannte Frau nickte. »Ja, ja, ja, wahre Worte. Die Bedeutung der Dinge taucht auf – eine wahre Flut! Tiste Edur, Tiste Edur … eine Flotte auf der Suche, eine Flotte von weit her, und nun haben sie es gefunden. Ammanas und Cotillion werden bedroht, man versucht, ihnen ihre Sphäre zu entreißen – na und? Der Thron des Schattens – deshalb haben wir also gegen die Edur gekämpft! Oh, was für eine Verschwendung – unsere Schiffe, die Soldaten – mein eigenes Leben … für den Thron des Schattens?« Erneut wurde sie von einem krampfartigen Hustenanfall überwältigt.

»Das ist nicht unser Kampf«, brummte die andere Frau. »Wir wollten überhaupt nicht kämpfen, aber diese Narren waren nicht daran interessiert, sich zu unterhalten oder Unterhändler auszutauschen  – beim Vermummten, das hier ist nicht unsere Insel, sie liegt nicht einmal innerhalb des malazanischen Imperiums. Such woanders nach –«

»Nein«, mischte sich der Dal Honese barsch ein.

Die Frau drehte sich überrascht um. »Wir waren Euch mehr als dankbar, dass Ihr uns das Leben gerettet habt, Reisender, und das haben wir Euch auch gesagt. Aber das gibt Euch wohl kaum das Recht, den Befehl zu übernehmen –«

»Der Thron darf den Edur nicht in die Hände fallen«, sagte der Mann namens Reisender. »Ich möchte Eure Befehlsgewalt nicht in Frage stellen, Hauptmann, doch der Bursche übertreibt nicht, wenn er von den Risiken spricht … für das Imperium und für die ganze Menschheit. Ob es Euch gefällt oder nicht, das Gewirr des Schattens ist nun in menschlicher Hand …«, er lächelte falsch, »und es passt zu unserer Natur.« Das Lächeln verschwand. »Dies ist unser Kampf – wenn wir ihn nicht jetzt ausfechten, werden wir es später tun müssen.«

»Ihr fordert diesen Kampf im Namen des malazanischen Imperiums?« , fragte der Hauptmann.

»Mehr als Ihr ahnen könnt«, erwiderte Reisender.

Der Hauptmann winkte einem der Seesoldaten. »Gentur, hol die anderen raus, aber lass Schandmaul bei den Verwundeten. Die Trupps sollen ihre Armbrustbolzen zählen – ich will wissen, was wir noch haben.«

Der Seesoldat entspannte seine Armbrust und schlüpfte zurück in die Höhle. Wenige Augenblicke später tauchten noch mehr Soldaten auf; zusammen mit denen, die schon von Anfang an draußen gewesen waren, waren es jetzt sechzehn.

Schlitzer trat zu dem Hauptmann. »Unter Euch gibt es eine Person, die über besondere Macht verfügt«, murmelte er und warf einen Blick auf die verbrannte Frau – die sich gerade vornüberbeugte und Blut spuckte. »Ist sie eine Zauberin?«

Der Hauptmann folgte seinem Blick und runzelte die Stirn. »Das ist sie, aber sie stirbt. Die Macht, die du –«

Die Luft hallte von einer fernen Erschütterung wider, und Schlitzer wirbelte herum. »Sie haben wieder angegriffen! Dieses Mal mit Magie – folgt mir!« Ohne sich noch einmal umzudrehen, machte sich der Daru auf den Rückweg. Er hörte einen leisen Fluch hinter sich, dann begann der Hauptmann Befehle zu brüllen.

Der Pfad führte direkt zu dem Innenhof, und angesichts der wieder und wieder ertönenden dröhnenden Detonationen kam Schlitzer zu dem Schluss, dass die Soldaten keine Schwierigkeiten haben würden, die Stelle, an der der Kampf stattfand, zu finden – er brauchte daher auch nicht auf sie zu warten. Apsalar war da hinten und Darist und eine Hand voll unausgebildeter jugendlicher Tiste Andii – sie würden wenig Möglichkeiten haben, sich gegen Zauberei zur Wehr zu setzen.

Aber Schlitzer glaubte, dass er eine hatte.

Er rannte durch das düstere Zwielicht, versuchte mit der rechten Hand den schmerzenden linken Arm fest an den Oberkörper zu pressen, doch jeder Schritt schickte eine Lanze aus Schmerz in seine Brust.

Die vordere Mauer des Innenhofs kam in Sicht. Farben wirbelten wild durch die Luft und droschen auf die Bäume ringsum ein; tiefes Rot und Purpur und Blau, ein wirbelndes Chaos. Die heranwogenden Erschütterungen folgten jetzt immer schneller aufeinander, brandeten dröhnend aus dem Innenhof heraus.

Vor dem Torweg befand sich kein einziger Edur – ein Unheil verkündendes Zeichen.

Schlitzer rannte auf die Toröffnung zu. Eine Bewegung zu seiner Linken weckte seine Aufmerksamkeit, und er sah eine weitere Kompanie Edur, die den Küstenpfad heraufkamen. Sie waren allerdings noch gut sechzig Schritt entfernt. Um die werden sich die Malazaner kümmern müssen … Königin der Träume, hilf ihnen. Das Tor lag jetzt direkt vor ihm, und er erhaschte einen ersten Blick auf das, was sich im Innenhof abspielte.

Vier Edur standen mit dem Rücken zu ihm nebeneinander in der Mitte. Ein Dutzend oder gar mehr Edur-Krieger warteten an den Flanken, die Krummsäbel bereit. Wogen von magischen Energien gingen von den vieren aus, pulsierend, immer stärker werdend – und jede dieser Wogen rollte in einem Wirbelsturm aus Farben über die Pflastersteine, um schließlich auf Darist einzuhämmern.

Der ganz allein dastand, zu seinen Füßen eine tote oder bewusstlose Apsalar. Hinter ihm lagen wild verstreut die Körper von Anomander Rakes Enkeln. Irgendwie hielt Darist noch immer sein Schwert hoch – obwohl er nur noch eine zerfetzte, blutige Masse war und Knochen aus seiner zerschundenen Brust ragten. Er stand vor den herandröhnenden Wogen und wich keinen Schritt zurück, auch wenn sie ihn förmlich in Stücke rissen. Das Schwert namens Kummer glühte weiß, und seine Klinge gab einen schrecklichen, klagenden Ton von sich, der mit jedem Herzschlag lauter und durchdringender wurde.

»Blind«, zischte Schlitzer, während er näher trat, »ich brauche dich – jetzt!«

Schatten erblühten um ihn herum, dann tappten vier schwere Pfoten über die Pflastersteine, und schlagartig war die bedrohliche Gestalt des Hundes an seiner Seite.

Einer der Edur wirbelte herum. Seine nicht menschlichen Augen weiteten sich, als er Blind sah – dann stieß der Zauberer einige Worte in einem rauen, befehlenden Tonfall aus.

Blinds Vorwärtsstürmen kam mit schlitternden Klauen zum Stillstand.

Und der Hund duckte sich.

»Beru schütze uns!«, fluchte Schlitzer und versuchte, ein Messer zu ziehen.

Plötzlich war der Hof voller Schatten, ein merkwürdiges prasselndes Geräusch fetzte durch die Luft.

Inmitten der vier Edur-Zauberer war unversehens noch eine fünfte Gestalt aufgetaucht – grau gekleidet, mit Handschuhen, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. In ihren Händen lag ein Seil, das ein Eigenleben zu besitzen und sich aus eigener Macht zu bewegen schien. Schlitzer sah, wie es vorwärts zuckte und einen der Zauberer ins Auge traf, und als das Seil zurückschnellte, folgte ihm eine Fontäne aus Blut und Hirn. Die magischen Energien, die dieser Zauberer eben noch ausgesandt hatte, verblassten, und der Edur stürzte zu Boden.

Das Seil bewegte sich zu schnell, um ihm noch mit den Augen folgen zu können, als der Mann, der es in Händen hielt, zwischen die drei noch übrigen Magier glitt, aber dort, wo es gerade gewesen war, kullerte ein Kopf von den Schultern, Eingeweide quollen aus einer klaffenden Öffnung, und was auch immer den letzten Zauberer fällte, es geschah in einer einzigen verschwommenen Bewegung, die keine offensichtlichen Wirkungen hinterließ – abgesehen davon, dass der Edur bereits tot war, noch ehe er zu Boden sank.

Die Edur-Krieger stießen ein lautes Gebrüll aus und drängten von allen Seiten heran.

Und in diesem Augenblick begannen die Schreie. Das Seil peitschte aus Cotillions rechter Hand; in seiner Linken hielt er ein Langmesser, das wenig mehr zu tun schien, als alle kurz zu berühren  – an ihnen zu züngeln –, die ihm nahe kamen. Doch das Ergebnis war verheerend. Um den Schutzpatron der Assassinen herum schwebte ein Nebel aus Blutströpfchen in der Luft. Schlitzer hatte noch keine vier Atemzüge getan, seit der Kampf begonnen hatte, da war er auch schon vorüber. Um Cotillion herum gab es nichts als Leichen.

Ein letztes Schnalzen des Seils klatschte Blut gegen eine Mauer, dann schlug der Gott seine Kapuze zurück und wirbelte herum, um Blind anzustarren. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen – und schloss ihn dann wieder. Eine verärgerte Geste, und Schatten wogten heran, hüllten den zitternden Hund ein. Als sie sich einen Augenblick später wieder auflösten, war Blind fort.

Von jenseits des Hofs erklangen Kampfgeräusche. Schlitzer drehte sich um. »Die Malazaner brauchen Hilfe!«, rief er Cotillion zu.

»Nein, das brauchen sie nicht«, knurrte der Gott.

Beide wirbelten herum, als hinter ihnen ein lautes Rasseln ertönte, und sie sahen, dass Darist reglos neben Apsalar zusammengebrochen war. Kummer lag ganz in der Nähe; seine Hitze setzte die Blätter, auf denen es lag, in Brand.

Cotillions Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an, als hätte ihn plötzlich eine tiefe Traurigkeit ergriffen. »Wenn er da draußen fertig ist, führe ihn zu diesem Schwert«, sagte er zu Schlitzer. »Nenne ihm seine Namen.«

»Er?«

Nach einem letzten Blick auf die ringsum liegenden Überreste des Gemetzels verschwand Cotillion.

Schlitzer begab sich rasch zu Apsalar und kniete sich neben sie.

Ihre Kleider waren angekokelt, dünne Rauchfäden stiegen in der nun unbewegten Luft auf. Flammenzungen hatten über ihren Kopf gezüngelt, aber nur kurz, wie es schien, denn sie hatte die meisten Haare noch; auch ihr Gesicht war nicht verbrannt, obwohl ein langer roter Striemen, der bereits blasig wurde, schräg über ihren Hals verlief. Ihre Glieder zuckten noch immer schwach; das waren die Nachwirkungen des magischen Angriffs – und gleichzeitig der Beweis, dass sie noch lebte.

Er versuchte sie zu wecken, doch es gelang ihm nicht. Einen Augenblick später blickte er auf und lauschte. Die Kampfgeräusche waren verstummt, jetzt hörte man Schritte, die sich langsam näherten. Ein einzelnes Paar Stiefel, dessen Sohlen auf der verbrannten Erde knirschten.

Schlitzer stand langsam auf und wandte sich dem Torbogen zu.

Reisender trat in sein Blickfeld, ein Schwert, dessen Klinge größtenteils abgebrochen war, in einer behandschuhten Hand. Obwohl er von Kopf bis Fuß blutbespritzt war, schien er nicht verwundet zu sein. Er blieb stehen, um die Szenerie im Hof zu mustern.

Irgendwie wusste Schlitzer auch ohne zu fragen, dass der Mann der einzige Überlebende war. Dennoch setzte er sich in Bewegung, um einen Blick durch den Torbogen zu werfen. Die Malazaner lagen alle reglos am Boden. In einem Kreis um sie herum lagen die Leichen von einem halben Hundert oder mehr Tiste Edur. Weitere, mit Armbrustbolzen gespickte Leichen lagen auf dem Pfad, der zur Lichtung führte.

Ich habe die Malazaner in den Tod gelockt. Auch den Hauptmann … mit den schönen Augen … Er drehte sich zu Reisender um, der zwischen den gefallenen Tiste Andii umherschritt. Und als er seine Frage stellte, kam sie aus einer Kehle, die wie zugeschnürt war. »Habt Ihr die Wahrheit gesagt, Reisender?«

Der Mann warf ihm einen Blick zu.

»Dieser Kampf«, fragte Schlitzer. »War es wirklich ein malazanischer Kampf?«

Reisender zuckte zur Antwort mit den Schultern, und die Geste jagte dem jungen Daru einen Schauer über den Rücken. »Ein paar von denen hier sind noch am Leben«, sagte er und deutete auf die Tiste Andii.

»Und in der Höhle sind noch mehr Verwundete«, erinnerte ihn Schlitzer.

Er schaute zu, wie der Mann zu Apsalar und Andarist trat. »Sie gehört zu mir«, sagte Schlitzer.

Reisender grunzte, warf sein zerbrochenes Schwert weg und trat über Andarist hinweg. Er bückte sich nach dem Schwert.

»Vorsichtig –«

Doch der Mann legte die Finger seiner behandschuhten Hand um den Griff und hob die Waffe auf.

Schlitzer seufzte; er schloss einen langen Moment die Augen, dann öffnete er sie wieder und sagte: »Es wird Rache genannt … oder Kummer. Ihr könnt wählen, welcher Name Euch besser gefällt.«

Reisender drehte sich um, blickte Schlitzer in die Augen. »Willst du es nicht selbst behalten?«

Der Daru schüttelte den Kopf. »Wer es schwingt, muss über außergewöhnliche Willenskraft verfügen. Ich bin für dieses Schwert nicht geschaffen, und ich glaube auch nicht, dass sich das jemals ändern wird.«

Reisender musterte das Schwert in seiner Hand. »Rache«, murmelte er und nickte bekräftigend, während er sich hinkauerte und die Scheide von Darists Leichnam löste. »Dieser alte Mann hier, wer war das?«

Schlitzer zuckte die Schultern. »Ein Wächter. Er hieß Andarist. Jetzt ist er tot, und der Thron hat keinen Beschützer mehr –«

Reisender richtete sich wieder auf. »Ich werde ein Weilchen hier bleiben. Wie du schon gesagt hast, gibt es Verwundete, um die man sich kümmern muss … und Leichen, die begraben werden müssen.«

»Ich werde Euch helfen –«

»Dazu besteht keine Notwendigkeit. Der Gott, der an diesem Ort gewesen ist, hat den Schiffen der Edur einen Besuch abgestattet  – sie haben kleine Beiboote an Bord und Vorräte. Nimm dein Mädchen und verlass diese Insel. Sollten hier zufällig noch mehr Edur auftauchen, wird deine Anwesenheit mich nur behindern.«

»Was habt Ihr vor – wie lange wollt Ihr hier bleiben und Andarists Rolle übernehmen?«

»Lange genug, um ihm Ehre zu erweisen.«

Von Apsalar erklang ein Stöhnen, worauf Schlitzer sich ihr zuwandte. Sie begann zu krampfen, als würde sie fiebern.

»Bring sie von hier fort«, sagte Reisender. »Die Auswirkungen der magischen Energien klingen noch nach.«

Der junge Daru hob den Kopf, blickte dem Mann in die Augen – und sah Trauer darin, das erste Gefühl, das der Fremde sich anmerken ließ. »Ich könnte Euch helfen, die Toten –«

»Ich brauche keine Hilfe. Es ist nicht das erste Mal, dass ich Kameraden begrabe. Geh. Nimm sie mit.«

Er hob Apsalar auf. Ihre Zuckungen ließen nach, und sie seufzte, als würde sie in einen tiefen, friedlichen Schlaf versinken. Einen Augenblick lang blieb er so stehen und musterte Reisender noch einmal.

Der Mann wandte sich ab. »Danke deinem Gott, Sterblicher«, knurrte er, während er Schlitzer noch immer den Rücken zuwandte, »danke deinem Gott für das Schwert …«

Ein großes, längliches Stück des steinernen Fußbodens war weggebrochen, hinuntergefallen in das schwarze, rasch dahinströmende Wasser des unterirdischen Flusses. Quer über der klaffenden Öffnung lag ein Bündel Speere, um das ein Seil geschlungen war, das ins Wasser hing und sich schlangenähnlich in der Strömung hin und her wand. Die Luft in der grob aus dem Felsen gehauenen Kammer war kalt und feucht.

Kalam kauerte sich an den Rand des Lochs und musterte das dahinwirbelnde Wasser darunter eine ganze Weile.

»Die Quelle«, sagte Sergeant Strang, der neben dem Assassinen stand.

Kalam grunzte. »Was im Namen des Vermummten hat den Hauptmann und den Leutnant dazu bewegt, da runterzuklettern?«

»Wenn hier im Raum keine Fackeln brennen und man lange genug runterschaut, kann man da unten einen Schimmer erkennen. Da liegt irgendetwas auf dem Grund, das ungefähr doppelt so groß wie ein Mensch sein dürfte.«

»Irgendetwas?«

»Sieht aus wie ein Mann … in einer Rüstung. Der mit ausgebreiteten Armen daliegt.«

»Dann bring die Fackeln raus. Ich möchte es sehen.«

»Hast du etwas gesagt, Korporal? Du hast doch bestimmt nicht vergessen, dass dein Dämonenfreund verschwunden ist … weg – einfach so.«

Kalam seufzte. »Dämonen tun so etwas, und in diesem Fall solltest du dafür dankbar sein. Im Augenblick bin ich der Meinung, Sergeant, dass ihr alle schon viel zu lange in diesem Berg eingesperrt seid. Wahrscheinlich habt ihr alle bereits den Verstand verloren. Außerdem habe ich noch einmal darüber nachgedacht, was du über meine Position in deiner Kompanie gesagt hast. Und ich bin zu einem Entschluss gekommen.« Er wandte den Kopf und starrte Strang in die Augen. »Ich bin nicht in deiner Kompanie, Strang. Ich bin ein Brückenverbrenner. Ihr gehört zum Ashok-Regiment. Und wenn dir das noch nicht reicht, werde ich meinen alten Status wieder zum Leben erwecken … als Klaue, als Anführer einer Hand. Und als solcher steht im Feld nur Topper, der Meister der Klaue, über mir … und die Mandata und die Imperatrix höchstpersönlich. Und jetzt schaff die verdammten Fackeln hier raus!«

Strang lächelte plötzlich. »Du willst das Kommando über diese Kompanie? Schön, kannst du haben. Um Irriz werden wir uns allerdings selbst kümmern.« Er griff nach oben zu der ersten zischenden Fackel an der Wand hinter ihm.

Die plötzliche Veränderung in Strangs Verhalten überraschte Kalam  – und weckte sein Misstrauen. Du willst nur abwarten, bis ich schlafe, das ist es. Bei den Göttern hienieden, als ich noch auf mich allein gestellt war, war ich wirklich besser dran. Und ganz abgesehen davon, wo ist dieser verdammte Dämon eigentlich hinverschwunden? »Und wenn du das getan hast, Sergeant, geh wieder rauf zu den anderen und fang schon mal mit den Vorbereitungen an – wir werden diesen Ort verlassen.«

»Was ist mit dem Hauptmann und dem Leutnant?«

»Was soll mit ihnen sein? Sie sind mitgerissen worden und entweder ertrunken oder in irgendeinem Wasserloch rausgekommen. Wie auch immer, sie sind jetzt nicht hier, und ich bezweifle, dass sie zurückkommen  –«

»Das kannst du nicht wissen –«

»Sie sind schon zu lange weg, Strang. Wenn sie nicht ertrunken sind, hätten sie irgendwo ganz in der Nähe an die Oberfläche kommen müssen. Man kann die Luft nur eine gewisse Zeit anhalten. Und jetzt Schluss mit der Diskussion – mach dich an die Arbeit.«

»In Ordnung … Klaue.«

In jeder Hand eine Fackel, stieg Strang die Treppe hinauf.

In der Kammer wurde es dunkel.

Kalam wartete, bis seine Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, und lauschte dabei auf die immer leiser werdenden Schritte des Sergeanten.

Und dann sah er es schließlich … tief unten, eine undeutliche, schimmernde Gestalt, die sich im rasch dahinströmenden Wasser zu bewegen schien.

Der Assassine holte das Seil ein und wickelte es neben sich auf. Sie hatten es ungefähr zwanzig Armlängen hinabgelassen, doch auf dem Speerbündel war noch weit mehr aufgewickelt. Kalam brach einen großen Steinbrocken von einer zerklüfteten, vorstehenden Felskante ab und band ihn an das eiskalte, voll gesogene Ende des Seils.

Mit Oponns Glück war das Stück Fels schwer genug, um mehr oder weniger gerade nach unten zu sinken. Er überprüfte noch einmal die Knoten und warf den Felsbrocken in das Loch.

Er sank in die Tiefe, zog das zusammengerollte Seil mit sich hinunter. Die Speere wurden mit einem Klicken eng zusammengeschnürt, und Kalam spähte nach unten. Der Felsbrocken hing am Ende des abgewickelten Seils – eine Länge, die Kalam und zweifellos auch der Hauptmann und der Leutnant für ausreichend gehalten hatten, um bis zu der Gestalt zu kommen. Doch sie hatte nicht ausgereicht, auch wenn nicht mehr viel zu fehlen schien. Was bedeutet, dass das da ein ziemlich großer Scheißkerl ist. In Ordnung … dann wollen wir doch mal sehen, wie groß. Er packte das Speerbündel und hob und drehte es, wickelte das Seil Windung um Windung ab.

Gelegentlich machte er eine Pause, um nachzusehen, wie viel näher der Stein der Gestalt gekommen war – und danach das Seil weiter abzuwickeln.

Schließlich erreichte der Felsbrocken die Gestalt – zumindest deutete die Tatsache, dass das Seil plötzlich von der Strömung ergriffen wurde, darauf hin. Kalam schaute noch einmal nach unten. »Beim Atem des Vermummten!« Der Stein lag auf der Brust der Gestalt … und sah aus dieser Entfernung ziemlich klein aus.

Die gerüstete Gestalt war riesig, mindestens dreimal so groß wie ein Mensch. Der Hauptmann und der Leutnant hatten sich durch die Perspektive täuschen lassen. Wahrscheinlich mit verhängnisvollen Folgen.

Er blinzelte nach unten, wunderte sich über den merkwürdigen Schimmer und griff nach dem Seil, um den Stein wieder hochzuziehen –

Doch da zuckte tief unten eine riesige Hand empor, packte das Seil – und zog daran.

Kalam schrie auf, als er in die wirbelnde Strömung gerissen wurde. Noch während er ins eisige Wasser stürzte, machte er sich in dem Versuch, das Speerbündel zu erwischen, so lang wie möglich.

Es gab einen gewaltigen Ruck, und die Speere brachen mit einem lauten, splitternden Geräusch direkt über ihm mittendurch.

Der Assassine ließ das Seil nicht los, auch dann nicht, als die Strömung ihn mitriss. Er spürte, wie er in die Tiefe gezogen wurde. Die Kälte war betäubend. In seinen Ohren knackte es.

Dann wurde er von einem Paar riesiger, in Panzerhandschuhen steckender Fäuste näher herangezogen – näher, bis das Gitter am Helm der Kreatur direkt vor ihm war. In der wirbelnden Dunkelheit hinter diesem Gitter konnte er ein verfaultes, tierisches Gesicht ausmachen; das Fleisch hing in Fetzen, die sich in der Strömung bewegten. Zähne grinsten in einem lippenlosen Mund –

Und dann sprach die Kreatur in Kalams Geist. »Die anderen beiden sind mir entwischt … aber dich werde ich nicht mehr hergeben. Ich habe solchen Hunger –«

Du hast Hunger?, erwiderte Kalam. Dann versuch doch mal das hier.

Er rammte der Kreatur seine beiden Langmesser in die Brust.

Ein donnerndes Bellen, und die Fäuste schossen aufwärts, stießen Kalam weg – härter und schneller, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Beide Waffen kamen mit einem Ruck frei, der sie ihm fast aus den Händen gerissen hätte, doch er hielt eisern fest. Die Strömung hatte keine Zeit, ihn zu packen, als er aufwärts geschleudert wurde und in einer explodierenden Wasserfontäne durch das Loch hinausschoss. Er streifte mit einem Fuß den Rand, verlor dabei seinen Stiefel und krachte so heftig gegen die niedrige steinerne Decke der Kammer, dass ihm der Aufprall den letzten Rest Luft aus den Lungen trieb. Dann fiel er zu Boden.

Er landete halb auf dem Rand des Lochs und wurde beinah wieder in den Fluss gerissen, doch indem er Arme und Beine so weit wie möglich ausstreckte, schaffte er es, sich festzuhalten, und schließlich gelang es ihm, von dem Loch wegzukriechen. Dann lag er, den Stiefel neben sich, reglos und betäubt da, bis er wieder in der Lage war, mühsam seine Lungen mit der bitterkalten Luft zu füllen.

Er hörte Schritte auf der Treppe, und dann stürzte Strang in den Raum und kam schlitternd direkt vor Kalam zum Stehen. Der Sergeant hielt in der einen Hand sein Schwert, in der anderen eine Fackel. Er starrte auf den Assassinen herunter. »Was war das für ein Lärm? Was ist passiert? Wo sind die verdammten Speere –«

Kalam rollte sich auf die Seite, blickte über den Rand in die Tiefe.

Die schäumende Strömung war undurchsichtig – getrübt von rotem Blut. »Hört auf«, keuchte der Assassine.

»Hört auf? Womit? Schau dir das Wasser an! Womit sollen wir aufhören?«

»Hört auf … aus dieser Quelle … Wasser zu holen.«

Es dauerte lange, bis der Schüttelfrost seine Glieder verließ, allerdings nur, um ihm die zahllosen schmerzenden Stellen zu Bewusstsein zu bringen, die von seinem Aufprall an der Decke herrührten. Strang war gegangen und mit weiteren Mitgliedern seiner Kompanie zurückgekehrt, unter anderem Sünd, und sie hatten Decken und mehr Fackeln mitgebracht.

Es gestaltete sich mehr als schwierig, Kalam die Langmesser aus den Händen zu nehmen. Als sie es endlich geschafft hatten, wurde deutlich, dass die Griffe irgendwie die Handflächen und Fingerspitzen des Assassinen versengt hatten.

»Kälte«, murmelte Ebron. »Das war Kälte. Von der Kälte verbrannt. Was hast du gesagt – wie hat das Ding ausgesehen?«

Kalam, der in Decken gehüllt dahockte, blickte auf. »Wie etwas, das eigentlich schon lange tot sein müsste, Magier. Sag mir, was weißt du über B’ridys – über diese Festung?«

»Wahrscheinlich weniger als du«, erwiderte Ebron. »Ich wurde in Karakarang geboren. Das hier war ein Kloster, oder?«

»Ja. Von einem der ältesten, längst vergangenen Kulte.« Ein Trupp-Heiler kniete neben Kalam nieder und machte sich daran, seine Hände mit einer Salbe zu bestreichen, die alle Empfindungen betäubte. Der Assassine lehnte den Kopf gegen die Mauer und seufzte. »Hast du schon mal von den Namenlosen gehört?«

Ebron schnaubte. »Habe ich nicht gesagt, dass ich aus Karakarang bin? Der Tanno-Kult behauptet von sich, direkt auf den Kult der Namenlosen zurückzugehen. Die Geistergänger sagen, dass ihre Macht über Lieder und ähnliche Dinge von jenen ursprünglichen Mustern stammt, die die Namenlosen in ihren Ritualen erschaffen haben – diese Muster ziehen sich vermutlich kreuz und quer über den gesamten Subkontinent, und ihre Macht ist bis heute geblieben. Willst du damit etwa sagen, dass dies ein Kloster der Namenlosen war? Ja, natürlich willst du das sagen. Aber sie waren keine Dämonen – oder?«

»Nein, aber sie hatten die Angewohnheit, Dämonen in Fesseln zu legen. Der da unten im Teich ist vermutlich etwas ungehalten über die Begegnung, die er gerade gehabt hat, aber nicht ganz so ungehalten, wie man vielleicht annehmen sollte.«

Ebron runzelte die Stirn und wurde plötzlich blass. »Das Blut – wenn irgendjemand Wasser trinkt, das sich mit diesem Blut vermischt hat …«

Kalam nickte. »Der Dämon nimmt sich die Seele dieses Menschen … und vollzieht den Austausch. Gewinnt dadurch die Freiheit.«

»Nicht nur Menschen!«, zischte Ebron. »Tiere, Vögel – Insekten! Einfach alles!«

»Nein. Ich glaube, es muss groß sein – größer als ein Vogel oder ein Insekt. Und wenn ihm die Flucht gelingt –«

»Wird er kommen und nach dir suchen«, flüsterte der Magier. Er wirbelte zu Strang herum. »Wir müssen hier raus! Auf der Stelle! Oder besser –«

»Ja, klar«, knurrte Kalam. »Haltet so viel Abstand von mir, wie ihr könnt. Hört zu – die Imperatrix hat ihre neue Mandata geschickt, mit einer Armee –, es wird eine Schlacht geben, in der Raraku. Aber die Armee der Mandata besteht fast nur aus Rekruten. Sie könnte eure Kompanie gut gebrauchen, auch wenn ihr ein ziemlich heruntergekommener Haufen seid –«

»Sie marschieren von Aren aus los?«

Kalam nickte. »Und sind wahrscheinlich bereits aufgebrochen. Das gibt euch etwa einen Monat … so lange müsst ihr am Leben bleiben und irgendwelchem Ärger aus dem Weg gehen –«

»Das schaffen wir schon«, krächzte Strang.

Kalam warf Sünd einen Blick zu. »Sei vorsichtig, Schätzchen.«

»Das werde ich. Ich glaube, ich werde dich vermissen, Kalam.«

Der Assassine wandte sich an Strang. »Lasst mir meine Vorräte da. Ich werde mich hier noch ein Weilchen ausruhen. So werden wir uns nicht über den Weg laufen, wenn ich von hier aus in Richtung Westen aufbreche und … einige Zeit am nördlichen Rand des Wirbelwinds entlanggehe. Ich werde später versuchen, die Mauer zu durchbrechen und in die Raraku selbst zu gelangen.«

»Das Glück der Lady sei mit dir«, erwiderte Strang. Dann machte er eine Handbewegung. »Alle anderen – auf geht’s.« An der Treppe blieb der Sergeant noch einmal stehen und warf dem Assassinen einen Blick zu. »Der Dämon da unten … glaubst du, dass er den Hauptmann und den Leutnant erwischt hat?«

»Nein. Zumindest hat er das Gegenteil gesagt.«

»Er hat mit dir gesprochen?«

»In meinen Gedanken, ja. Aber es war eine ziemlich kurze Unterhaltung.«

Strang grinste. »Irgendetwas sagt mir, dass Unterhaltungen mit dir immer kurz sind.«

Einen Augenblick später war Kalam allein. Noch immer quälten ihn Wogen unkontrollierbaren Erschauerns. Dankenswerterweise hatten die Soldaten ihm ein paar Fackeln dagelassen. Es war einfach zu blöd, dachte er, dass der Azalan-Dämon verschwunden war. Wirklich zu blöd.

Die Abenddämmerung brach bereits herein, als der Assassine aus einer schmalen Felsspalte genau gegenüber der Klippe auftauchte, in der der geheime Fluchtweg aus dem Kloster endete. Die zeitliche Verzögerung war alles andere als erfreulich. Der Dämon war möglicherweise bereits frei, jagte ihn vielleicht schon in der Gestalt, die ihm das Schicksal geschenkt hatte – wie auch immer sie aussehen mochte. Die vor ihm liegende Nacht versprach nicht gerade angenehm zu werden.

Die Spuren, die die Kompanie bei ihrem Aufbruch zurückgelassen hatte, waren in dem staubigen Grund vor der Spalte gut zu erkennen, und Kalam stellte fest, dass die Soldaten in südliche Richtung gezogen und ihm vier oder mehr Glockenschläge voraus waren. Befriedigt schulterte er seinen Packen, umging den Felsen, der die eigentliche Festung war, und machte sich nach Westen auf.