Rejoice - Steven Erikson - E-Book

Rejoice E-Book

Steven Erikson

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine außerirdische Künstliche Intelligenz wurde von drei hochentwickelten Spezies ins Sonnensystem geschickt. Ihre Mission besteht darin, das Ökosystem der Erde zu retten – doch dessen größte Bedrohung ist die Menschheit selbst. Die KI hat die Wahl: Soll die Menschheit gerettet oder ausgelöscht werden? Das Raumschiff der KI entführt am helllichten Tag eine einzelne Frau. Die Science-Fiction-Autorin Samantha August ist der einzige Mensch, mit dem die KI spricht. Die Menschen sollen entscheiden, ob sie bereit sind, ihren freien Willen für eine Welt ohne Gewalt aufzugeben. Während Samantha aus dem außerirdischen Raumschiff auf die Erde hinabblickt, muss sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Personen

Fiktiv:

Nichtfiktiv (laut eigener Aussage):

Einleitung

Prolog …

Phase eins

Zählt bis fünfzig

(Zündung)

Kapitel eins

Victoria, British Columbia, Kanada, 19. Mai, 14:19 Uhr

Kapitel zwei

Kapitel drei

Westlich von Djambala, Republik Kongo, Lager des Kriegsherrn, 22. Mai, 06:18 Uhr

Boulder, Colorado, 23. Mai, 16:15 Uhr

Ottawa, Ontario, Kanada, 24. Mai, 15:45 Uhr

Washington, D.C., 24. Mai, 16:00 Uhr

Silver Steading Farm, Utah, 24. Mai, 17:16 Uhr

Boulder, Colorado, 24. Mai, 21:56 Uhr

Kapitel vier

Cislunarer Orbit, 25. Mai, 15:02 Uhr (Laut Samantha Augusts Uhr.)

Kapitel fünf

Baltimore, Maryland, 24. Mai, 23:02 Uhr

Gazastreifen, Israel, 25. Mai, 14:13 Uhr

Nordsudan, 25. Mai, 14:17 Uhr

Los Angeles, 25. Mai, 11:02 Uhr

Kapitel sechs

Victoria, British Columbia, 24. Mai, 11:36 Uhr

Kapitel sieben

Phase zwei

Ein Warnschuss

(Nachdenken)

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

UN-Flüchtlingslager außerhalb von Gambola, Republik Kongo, 8. Juni

Baltimore, Maryland, 9. Juni

Los Angeles, 9. Juni, 13:26 Uhr

Tel Aviv, Israel, 9. Juni, 22:15 Uhr

Dar es Salaam, Tansania, 10. Juni, 11:15 Uhr

Silver Steading Farm, Utah, 14. Juni, 8:35 Uhr

Kapitel vierzehn

Phase drei

Die Eleganz des Ennuis

(Ablehnung)

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Aktenzeichen: 19–06, E-Mail-Korrespondenz (Privat und Vertraulich) zwischen Kardinal Joakim Malleat (Rom) und Rabbi Ira Levy (New York City). Sekretariat für Kommunikationsmittel, Vatikan.

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Phase vier

Wiedergeburt

(Auferstehung)

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Phase fünf

Der nächste Atemzug

(Wer sind wir?)

Kapitel neunundzwanzig

Victoria, British Columbia, Kanada, 14. September

Epilog

Im Orbit um den Mars …

Danksagung

Widmung

Für Mark Karasick, der die erste Fahrt auf dem Triumphwagen geteilt hat.

Einleitung

Auf der Erde gibt es keine außerirdische Präsenz und es gab sie auch nie.

Es ist wichtig, dass man das auch weiterhin glaubt.

Aus folgendem Grund:

Kapitel drei

»Im Weltraum kümmert sich niemand darum, ob man raucht.«

Samantha Augusts erste Nachricht an ihren Mann

Westlich von Djambala, Republik Kongo, Lager des Kriegsherrn, 22. Mai, 06:18 Uhr

Kolo war neun gewesen, als die bösen Männer ins Dorf gekommen waren und ihn mitgenommen hatten. Jetzt war er einer der bösen Männer. Der tiefe Dschungel des Kongo war nicht der Dschungel seiner Jugend. Damals waren die Äste voller Leben gewesen. Affen, Schlangen, Echsen, Fledermäuse. Die Tiere hatten hauptsächlich Wildpfade genutzt, meistens in der Nacht, und überall ihre Spuren hinterlassen, die von jener anderen Welt kündeten. Einer Welt, in der Menschen nichts zu suchen hatten. Jetzt lag der Dschungel still da, war stumm und leer.

Die Währung dieser neuen Welt war der Hunger; Waffen, Kugeln und Macheten das Handwerkszeug des Arbeiters. Kolo hatte achtzehn Anhänger, die alle gut bewaffnet und blutdürstig waren. Sein Lager befand sich sechs Kilometer von der nächsten Straße entfernt, sieben vom nächsten Dorf. Elf Kinder lebten bei ihnen, ein paar waren auf bestem Wege, Krieger zu werden, andere waren bereits Sklaven und willens, den Befehlen eines Mannes zu gehorchen.

Der Morgen begann wie jeder andere auch. Kolo löste sich aus Neelas dürren Armen und schob sie auf die andere Seite der Pritsche. Dann setzte er sich auf.

Sie hatte sich vor ihrem Sex in der vergangenen Nacht einen Schuss gesetzt und war noch immer tot für die Welt. Er betrachtete sie kurz unter den gesenkten, schlafverklebten Lidern, um sich zu vergewissern, ob sie noch atmete. Das tat sie.

Süchtige waren stets kooperative Sklaven, solange die von ihnen erwarteten Dienste einfach waren und wenig Mühe erforderten. Als er sie vor zwei Jahren aus den Armen ihrer toten Mutter gerissen hatte, hatte sie ihm ihr Alter verraten. Damals war sie elf gewesen, jetzt war sie dreizehn. Diese Sklaven starben jung, aber es gab einen nie versiegenden Vorrat. Zwar war es nicht mehr so einfach wie früher – sämtliche Dörfer in der Nähe lagen nun verlassen da, die Bewohner waren vor den endlosen Überfällen und den willkürlichen Morden geflohen. Also fiel es schwerer, an Lebensmittel zu kommen.

Und an Sklaven.

Bald würde er einen Läufer zu dem Bergarbeiterlager schicken müssen – dieses Lager, das nichts an dem Ort zu suchen hatte, an dem es stand. Ein paar Waldbewohner waren noch übrig und standen für gewöhnlich im Weg, wenn wieder Bäume gefällt oder neue Gruben gegraben werden mussten. Eine Woche oder so Arbeit für die Bergbaugesellschaft, bei der er sie entweder abschlachtete oder vertrieb, und er konnte sein Lager wieder eine Weile ernähren. Er zog ein zerlumptes Split-Enz-T-Shirt an.

Er hatte nur wenige Erinnerungen an die Zeit, in der sein Land keine offene Wunde gewesen war, und er machte sich keine Illusionen über die Blutsauger, die es in diesem Zustand hielten. Schließlich war er einer von ihnen. Aber die Waffen kamen aus China, und das Geld kam von Konzernen aus der ganzen Welt. Es gab niemanden mit sauberen Händen.

Er schlüpfte in die alte Armeehose, legte den Netzgürtel an und überprüfte die schwere Armeepistole vom Kaliber .45 in ihrem abgenutzten Segeltuchholster. Er nahm seine Baseballmütze mit dem Exxon-Logo und verließ die Hütte.

Es waren noch nicht viele Leute auf. Die Wachposten kamen aus dem Busch, da der Sonnenaufgang das Ende ihrer Wache verkündet hatte. Die Kinder waren bereits unterwegs in den leblosen Wald und träumten von einer fetten Echse oder einem Affen, waren aber bereit, sich mit Insekten und Raupen zufriedenzugeben.

Dinge, die kaputtgingen, blieben kaputt. Die Welt wollte, dass dieser Ort kaputt blieb, und nichts würde das ändern. Aber Kolo hatte jetzt seinen eigenen Stamm, und er würde tun, was nötig war, um ihn zu ernähren. Loyalität wurde aus Notwendigkeit geboren, und der Magen war eine Brieftasche, und Reichtum bedeutete nicht, was man besaß, sondern was man noch in einer Woche besitzen würde.

Maniok wurde geröstet, eine geschwärzte Kanne mit Kaffee kochte, in der Nähe lag ein nackter Junge. Das Stück Chirurgenschlauch war noch fest um den blutleeren Arm geschlungen. Kolo ging zu ihm und stieß die dürre Gestalt mit dem Fuß an. »Joak! Du hast ihm gestern Abend zu viel gegeben, jetzt ist er tot.«

Joak war von gewaltiger Statur; zusammengesunken hockte er am Feuer und hielt einen Kaffeebecher in den riesigen vernarbten Händen. Er hob den Blick und sah Kolo mürrisch an. »Aus dem wäre nie ein guter Krieger geworden.«

»Nein. Er war Sklave.«

Joak zuckte mit den Schultern. »Ein Esser weniger. Das Pulver wird knapp.«

Die letzte Bemerkung rief bei Kolo eine finstere Miene hervor, die dazu führte, dass sich Joak nervös die Lippen leckte.

Kolo trat an ihn heran und sprach mit gesenkter Stimme: »Halt dein verdammtes Maul. Willst du Ärger im Lager? So etwas herumzubrüllen.«

Joak mied seinen Blick und zuckte erneut mit den Schultern. »Es nicht zu sagen, ändert es doch nicht, Captain.«

»Wir bekommen eine neue Lieferung. Sie wird jeden Tag eintreffen.«

»Ja, Captain.«

»Und jetzt bring die Leiche weg. In die Grube.«

Joak runzelte die Stirn. »Ich mag diesen Ort nicht.«

»Den mag niemand«, erwiderte Kolo, »aber wenn du es umgebracht hast, entsorgst du es auch, so lautet die Regel.«

Eine plötzliche Bewegung im Busch zu seiner Linken ließ Kolo herumwirbeln; mit einer fließenden Bewegung zog er die .45er aus dem Holster.

Die Kinder kamen zurückgeeilt. Auf ihren Gesichtern spiegelten sich Verwirrung und Furcht.

Kolo trat vor. »Sind es Soldaten? Du da!« Er packte ein Mädchen am Arm und wirbelte sie herum, damit sie ihn ansah. »Ob Soldaten kommen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Buschgeister!«

Seine Krieger waren nun wach und holten ihre Waffen. Sie scharten sich um ihren Captain. Kolo ließ das angsterfüllte Mädchen los. »Du und du« – er zeigte mit dem Finger –, »ihr seht nach, wer da kommt.«

Er hatte zwei seiner jüngsten Krieger ausgesucht, die noch eifrig waren und noch immer die Gewohnheit hatten, ihre AK-47 zu streicheln, und in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit eines Mädchens zu erregen, an den Sklaven vorbeimarschierten. Ohne Fragen zu stellen, eilten sie los. Kolo registrierte Joaks abgestumpften Blick, mit dem er den Weg der Späher in den Busch verfolgte.

Er würde ihn bald umbringen müssen. Manche Dinge ließen sich eben nicht ändern. »Der Rest von euch lädt alles auf. Joak, treib die Sklaven zusammen. Robbie, du holst die Drogen. Henry …«

Die plötzliche Rückkehr der Späher ließ ihn verstummen. Einer von ihnen hatte eine blutige Nase.

»Was ist los, Mann? Bist du gestürzt? Wer kommt?«

»Eine Mauer«, sagte der zweite Späher und rieb sich das geschwollene Knie. »Eine unsichtbare Mauer, Captain!«

Der erste Späher spuckte Blut. »Ich bin dagegen gelaufen. Bin gestürzt. Dann hat sie angefangen, mich wegzustoßen.«

»Sie hat dich weggestoßen?«

»Sie kommt, Captain!«, sagte der zweite Späher.

Drei Krieger, die zu Kolos Linken in der Nähe der Hütten gestanden hatten, stolperten gleichzeitig. Alarmiert drehten sie sich um und hoben die Waffen.

Kolo konnte nichts erkennen, nicht einmal mit zusammengekniffenen Augen. »Was soll dieser Unsinn?«

Einer seiner Männer rammte den Kolben der AK-47 gegen etwas, das hart zurückfederte und ihm die Waffe aus den Händen schlug.

»Weg da!«, befahl Kolo. Er kämpfte gegen sein Entsetzen an. Im Busch wimmelte es vor Geistern. Das war ihm klar. Aber es gab nichts Derartiges zu sehen. Mit vorsichtigen Bewegungen und ausgestreckter Pistole ging er los.

Als er die Stelle erreichte, an der die drei Krieger gestanden hatten, stieß die Pistole gegen ein Hindernis. »Scheiße«, murmelte er und drückte kräftiger gegen die unsichtbare Barriere. »Da ist doch nichts!«

Joak feuerte eine kurze Salve ab, und er duckte sich. Die Kugeln schlugen rechts von ihm ein, weniger als eine Armlänge entfernt. Aber da war nichts zu sehen.

Die unsichtbare Mauer rückte weiter vor und stemmte sich gegen die Pistole in seiner Hand. Schnell eilte er zurück. »Verteilt euch auf beiden Seiten – findet den Rand!«

Seine Krieger schwärmten in einiger Verwirrung aus. Sie stießen gegen die Mauer, was Flüche und Grunzen zur Folge hatte. Einer von ihnen schlug mit der Machete darauf ein, aber die Klinge wurde nur zurückgefedert.

Soweit es Kolo erkennen konnte, bildete die Barriere eine gerade Linie, die langsam durch das Lager kroch. Sie war im Westen aus den Tiefen des Regenwaldes gekommen. Ungefähr ein Dutzend Krieger versuchte sie aufzuhalten. Kolo starrte das absurde Schauspiel an, wie sich Männer gegen die Luft stemmten und ihre Füße durch den Staub geschoben wurden.

Keine der Hütten auf dieser Seite des Lagers war jetzt noch zugänglich; zwei noch im Drogenrausch befindliche Sklaven waren durch die dünnen Wände ihrer Hütten geschoben worden und rollten jetzt bewusstlos über den Boden. »Robbie! Sammle sie ein.« Kolo schob die Pistole ins Halfter und wandte sich seiner Hütte zu. »Sammelt alles ein!«

Hinter ihm fragte Joak: »Wo gehen wir hin?«

»Wir verschwinden hier«, antwortete Kolo.

»Ich dachte, sämtliche Buschgeister wären tot.«

Kolo blieb stehen und drehte sich um. Er musterte seinen Rivalen und fragte sich, ob der Mann gescherzt hatte. Das war seiner verschlossenen Miene unmöglich abzulesen. »Das ist kein verfluchter Geist. Es ist eine Waffe.«

Joaks Augen weiteten sich.

»Es ist eine verfluchte Waffe«, wiederholte Kolo. »Schluss mit der Zuflucht im Busch, Joak. Man kann sich vor nichts mehr verstecken.«

»Unmöglich.«

Kolo war nicht daran interessiert, die Unterhaltung fortzuführen. Er wandte Joak den Rücken zu und ging weiter zur Hütte. Neela wog so gut wie nichts. Er würde sie sich über die Schulter werfen. Abgesehen von ihr gab es dort nichts, was er noch brauchte. Er hatte drei Schritte gemacht, als hinter ihm ein Klicken ertönte.

Mit der Pistole in der Hand wirbelte Kolo herum.

Joak stand da und betrachtete finster seine AK-47. »Das Scheißding hat Ladehemmung«, sagte er. Dann schaute er überrascht zu Kolo auf. Nach einem kurzen Moment brachte er ein schiefes Grinsen zustande. »Du hast gewonnen, Captain.«

»Fang besser an zu laufen, Joak«, sagte Kolo mit ruhiger Stimme.

Joak ließ das Gewehr fallen und rannte los.

Kolo hob die Pistole und zielte sorgfältig. Dann zögerte er. War der Mann überhaupt eine Kugel wert? Er bezweifelte, ihn jemals wiederzusehen. Nur Narren blieben in der Nähe, wenn ein Preis auf ihren Kopf ausgesetzt war.

Er steckte die Pistole weg und betrat die Hütte.

Neela hatte sich nicht bewegt. »Braves Mädchen«, flüsterte er. »Du bleibst loyal. Das ist deine Sorte immer.«

Boulder, Colorado, 23. Mai, 16:15 Uhr

Joey Sink saß umgeben von Bildschirmen in seinem Keller. Überall passierte krasse Scheiße, er wusste gar nicht, wo er zuerst hinsehen sollte. Eine blecherne Stimme kam aus seinem Kopfhörer.

»Joey? Verfolgst du das?«

»Hey, King Con. Ich versuch’s.«

»Was glaubst du? Eine Superwaffe von Ökoterroristen?«

»Was …« Er beugte sich vor, sein Blick schoss von einem Bildschirm zum nächsten. »Verdammt, ich sehe, was du meinst. Unfassbar, dass ich das übersehen habe. Alles fing in der Wildnis an und breitete sich dann aus.«

»Eine ›Du-bist-gefickt-Superwaffe‹«, sagte King Con. Hämische Zufriedenheit lag in seiner Stimme. »Und die Satelliten-Feeds drehen durch. Fischereiflotten sind direkt über großen Fischschwärmen, und sie können ihre Netze nicht auswerfen!«

»Wovon sprichst du?«

»Die Scheiße stapelt sich einfach nur an Deck. Diese unzähligen Fische, und sie kommen nicht an sie ran! Greenpeace muss gerade einen Freudentanz aufführen, und warum nicht? Vermutlich sind sie daran beteiligt.«

King of Conspiracy, der König der Verschwörungstheoretiker, war ein alter und loyaler Kontakt von Joeys »Kitchen Sink Vlog«. Wo auch immer sich der Mann verbarg, er hatte Zugang zu allem möglichen esoterischen Mist. Er ritt mitten auf der Welle, hatte immer die Ohren weit aufgesperrt für die neuesten Gerüchte. Aber im Augenblick ließ Joey ihn einfach reden. Er war viel zu beschäftigt, um antworten zu können; er studierte die Bildschirme. Nach einem langen Augenblick lehnte er sich zurück. »Entspann dich, King Con. Die Orte in den mittleren Breiten werden schwer getroffen. Zentralamerika, Chile, Bolivien, das Amazonasbecken. Der Norden von Madagaskar, ganz Afrika. Kambodscha, Vietnam und Indonesien kriegen die volle Breitseite ab.«

»Die Nationalparks in den Vereinigten Staaten, der größte Teil von Florida, die Everglades und die Hälfte vom verfickten Alaska …«

»Hey, was habe ich dir zum Thema Obszönitäten gesagt?«

»Tut mir leid, Joey. Ich habe mich einfach nur, äh, hinreißen lassen. Aber ich habe auch Berichte aus einigen dicht besiedelten Gegenden. Das ganze neue Nutzland, wo früher der Amazonas war, Minenstädte und Holzfällerlager. Im Kongo passiert auch irgendetwas …«

»Die Taiga im Norden von Russland«, unterbrach Joey ihn. »Im Landesinneren von British Columbia. Nord-Alberta – wow, alles wird vom Teersand geschoben, der ganze Maschinenpark. Was auch immer es ist, es zerdrückt Bulldozer wie Blechdosen.«

»Eine Du-bist-gefickt-Öko-Superwaffe – zeichnest du auf?«

»Das meinte ich mit den Obszönitäten, King Con. Jetzt muss ich alles bearbeiten und ausblenden, das ist eine ätzende Arbeit. Also könntest du endlich damit aufhören?«

»Hast du es noch immer nicht verstanden, Joey? Alles wird zerstört, die ganze verfi… der verdammte Mist! Und dieses Kraftfeld ist undurchdringlich. Man kann sich nicht darunter durchgraben, und Drohnen zerschellen einfach.«

»Nicht so schnell, was war das mit den Drohnen? Jemand fliegt über diese Kraftfelder?«

»Versucht haben sie es.« King Con ließ ein kaltes, kurzes Lachen hören. »Ach ja, und Helikopter und anderer Scheiß erhalten alle eine Kollisionswarnung. Aber man hält es für kuppelförmig, und, das musst du dir anhören, Vögel können einfach durchfliegen!«

»Was?«

»Vögel, Alter! Vögel! Eine Ultra-Öko-Terror-Dr. No-Öko-Du-bist-gefickt-Superwaffe!«

»Ich melde mich bei dir«, sagte Joey mit knirschender Stimme. »Wasch dir den Mund mit Seife aus.« Er trennte die Leitung.

Offizielle Verlautbarungen trafen ein. Niemand kannte die Wahrheit. Niemand übernahm die Verantwortung, dann übernahmen plötzlich sämtliche Extremisten die Verantwortung. Wissenschaftlerteams waren in Marsch gesetzt. Das Militär war in Alarmbereitschaft. Touristen drängten sich am Eingang zum Yellowstone-Nationalpark. Wie groß würde diese Sache werden? Niemand wusste es. Wuchsen die Zonen noch immer? Bis jetzt, ja. Was wurde aus all den Vertriebenen? Keine Ahnung. Hilfsorganisationen waren alarmiert worden. In Brasilien gab es Krawalle, aber wunderbarerweise war niemand verletzt worden.

Joey Sink las den letzten Bericht erneut. In einer Minenstadt rebellierten Tausende. »Und niemand wird verletzt? Was zum Teufel …?«

Ottawa, Ontario, Kanada, 24. Mai, 15:45 Uhr

Übereifer pflegte das Ego aufzublähen. Und diese Wichtigtuerei erschuf dann den Nimbus einer Sonderstellung, dass es um gut gehütete Geheimnisse ging und das Schicksal von Millionen auf dem Spiel stand. Alison Pinborough hatte dafür nicht viel übrig. Die letzte Regierung hatte Annäherungsversuche gemacht und etwas von einer Berufung in den inneren Kreis des Premierministers gemurmelt, aber allein schon die Vorstellung hatte sie beleidigend gefunden. In jedem Büro der Wissenschaftlergemeinschaft fand sich ein mit Wurfpfeilen gespicktes Foto des letzten Premierministers. Dieser anti-intellektuelle Neofaschist, der nur Ängste schüren konnte, hatte Forschungsprogramme gestrichen und Wissenschaftlern einen Maulkorb angelegt, hatte jeden Fortschritt um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Vermutlich war es von Wert, dass Kanadas neue Premierministerin anscheinend nicht in einer Höhle lebte. Aber es war noch früh am Tag, und Alison hatte wenig Vertrauen in die Politik. Zu viel Eigennutz und das Verlangen, den Status quo aufrechtzuerhalten, selbst wenn dieser Status quo eine Anleitung zum Selbstmord war. Heutzutage war die Vernunft weltweit zur gefährdeten Spezies geworden.

Dennoch hatte sie schließlich nachgegeben und die Stelle als Wissenschaftsberaterin des Büros der Premierministerin angenommen. Referenzen in Geologie passten offensichtlich gut zum gletscherhaften Tempo irgendwelcher Veränderungen in der Politik der Regierung.

Der Gedanke entlockte Alison ein schiefes Grinsen, als sie dem Sekretär durch den Korridor zum Konferenzraum der Premierministerin folgte. Was Städte betraf, fühlte sich Ottawa stets kalt und feucht an. Zumindest musste sie keine Erstsemester unterrichten und sich auch nicht mit Universitätsverwaltungsbeamten herumstreiten. Und das Apartment war ganz ordentlich und bot einen hübschen Ausblick auf den Rideau-Kanal. Und trotz der vielen Berichte von Feldagenten, die es geschafft hatten, sich noch rechtzeitig zu melden, hatten sich die Akten unter ihrem linken Arm glücklicherweise noch schließen lassen. Noch wenige Sekunden, bevor sie das Unmögliche diskutieren musste.

Sie hatte nicht gern Angst, aber sie fürchtete sich.

Der Sekretär kam zu einer Tür, klopfte einmal und öffnete sie dann, drehte sich um, um Alison in den Raum treten zu lassen. »Vielen Dank«, sagte sie und ging an dem jungen Mann vorbei. Höflichkeit war einer der wenigen Aspekte des Übereifers, den sie tatsächlich schätzte. Angesichts der Streitlust und des Einschüchterungsgehabes des letzten Premiers war das eine willkommene Rückbesinnung – zumindest hatte man ihr das bei der Einführungsveranstaltung für ihren Posten erzählt. Alle waren erleichtert, die Bürokratie strukturierte sich eifrig um, denn Anstand war wieder gefragt.

Natürlich war der Konferenzraum hochrangig besetzt. Man führte sie zu ihrem Sitz, wo sie gegenüber von Will Camden Platz nahm, dem Minister für natürliche Ressourcen. Zu Wills Linken saß Mary Sparrow, Ministerin für die Nationalparks. Keiner der beiden machte einen glücklichen Eindruck, allerdings lag in Marys dunklen Augen ein Funkeln, das Alison nach kurzem Nachdenken nicht überraschte.

Ein paar Experten hatten die Berufung einer Métis als Aufseherin über die Nationalparks der Nation als Ironie betrachtet. Andere wussten die Geste zu schätzen. Es gab eine endlose Schar selbsternannter Analysten, die sich auf alles Irrelevante und zugleich potenziell Aufrührerische stürzte, und ihr unablässiges Gelaber versah das öffentliche Leben mit einem ständigen Hintergrundrauschen. Nicht wenige hatten mit lustvoller Häme über Alisons frühere Arbeit für die Ölindustrie gelästert.

Alison und die Minister mussten nicht lange warten, denn am anderen Ende des Raumes öffnete sich eine weitere Tür, und die Premierministerin trat ein. Lisabet Carboneau, der neueste liberale Darling der Politik, hatte in Persona schärfere Züge, als im Fernsehen ersichtlich war. Stand man ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber, hatte ihr Blick, den Kameras als ehrlich einfingen, etwas Raubtierhaftes. Bis zu diesem Zeitpunkt war Alison der Premierministerin nur einmal begegnet, und dieses Treffen war voller Plattitüden und vager Erwartungen gewesen.

Diesmal war das anders.

Die Premierministerin setzte sich flink an den Kopf des Tisches und fixierte Alison mit einem Blick. »Ich habe die öffentlichen Erklärungen anderer Nationen überflogen. Ich habe die Newsfeeds gesehen und mir Experten angehört, die lediglich das beschrieben haben, was wir alle sehen können. Von Ihnen erwarte ich nichts anderes, Dr. Pinborough, nicht aus mangelndem Respekt vor Ihrer Kompetenz, sondern weil das, mit dem wir es jetzt zu tun haben, unerklärlich ist und darum nicht beantwortet werden kann. Habe ich recht?«

Alison hatte ihre Ordner vor sich auf den Tisch gelegt, als sie sich gesetzt hatte. Jetzt schaute sie darauf und kämpfte gegen den Drang an, den ersten zu öffnen und die Zusammenfassung durchzugehen. Sie kannte den Inhalt dieser und jeder anderen Akte bereits. »Frau Premierministerin«, sagte sie, »diese Kraftfelder weisen einige höchst ungewöhnliche Eigenschaften auf.«

Will Camden grunzte säuerlich, fügte aber keinen Kommentar hinzu, da Carboneaus Aufmerksamkeit unverrückbar weiterhin auf Alison gerichtet blieb.

Nach einer kurzen Pause fuhr Alison fort: »Das Bodenradar empfing kein Signal. Tatsächlich empfängt kein Radar ein Signal.«

»Wie ist das möglich?«, fragte die Premierministerin. »Flugzeuge, deren Kurs auf die Kraftfelder führt, erhalten alle Kollisionsalarme, die die Piloten warnen.«

»Ja, Madam, also ging man logischerweise davon aus, dass Radarsignale zurückgeworfen werden, da diese Kollisionssensoren auf dem Radar basieren.«

»Aber Sie sagen jetzt, dass das nicht der Fall ist.«

»Das ist korrekt.«

»Eine weitere Unmöglichkeit«, sagte Carboneau. »Wenn diese Kraftfelder nicht vom Radar entdeckt werden können, muss ein anderes Signal den Kollisionsalarm aktivieren.«

Alison schüttelte den Kopf. »Madam, diese Sensoren sind besonders kalibriert. Sie sind nicht dazu ausgestattet, andere Signale zu empfangen oder zu interpretieren. Das lässt sich untermauern, die Untersuchung der Kraftfelder vor Ort ergibt keinerlei Hinweise auf Energiediffusion oder Ausstrahlung. Tatsächlich ruft die Zuführung von Energie in diese Kraftfelder nicht die geringste Reaktion hervor.«

Lisabet Carboneau musterte Alison einen Augenblick lang. »So wie ich es verstanden habe, verschwinden auf das Kraftfeld abgefeuerte Kugeln.«

»Das ist richtig. Sie verschwinden. Außerdem kann man die Aufprallzone nicht messen. Mit anderen Worten, bei dem Aufprall entkommt keine Energie. Genauso gut könnte man ein Hologramm gegen eine Schultafel werfen.«

Die Premierministerin runzelte die Stirn. »Ist das eine treffende Analogie?«

»Eigentlich nicht, Madam. Aber diese Wirkung auf hypersonische Geschosse ist einzigartig. Sich langsamer bewegende Objekte wie Drohnen brechen einfach auseinander, so wie man es bei einem Zusammenstoß mit einer Mauer erwartet. Bei solchen Fällen wird als Folge des Aufpralls Energie nach außen hin abgegeben, wie es die Naturgesetze von Masse und Geschwindigkeit vorgeben.«

»Das ist nicht Ihr Fachgebiet, richtig?«