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Ist das Testament der reichen Mrs. Montfort echt? Lois Williams war dabei, als die alte Dame das Dokument unterschrieb - und dennoch hat die Zeugin Zweifel an dessen Gültigkeit.
Noch am selben Tag stirbt Mrs. Montfort - und Lois begegnet einer Schauspielerin, die mit der gleichen bedächtigen und hohen Stimme spricht wie die alte Dame. Hat sie die Rolle von Mrs. Montfort gespielt?
Manche Indizien sprechen dafür, und Lois ahnt, dass sie dieses Wissen in höchste Gefahr bringt...
Der Roman Das Testament der Mrs. Montfort von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Bitte hier unterschreiben).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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F. R. LOCKRIDGE
Das Testament
der Mrs. Montfort
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS TESTAMENT DER MRS. MONTFORT
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Ist das Testament der reichen Mrs. Montfort echt? Lois Williams war dabei, als die alte Dame das Dokument unterschrieb - und dennoch hat die Zeugin Zweifel an dessen Gültigkeit.
Noch am selben Tag stirbt Mrs. Montfort - und Lois begegnet einer Schauspielerin, die mit der gleichen bedächtigen und hohen Stimme spricht wie die alte Dame. Hat sie die Rolle von Mrs. Montfort gespielt?
Manche Indizien sprechen dafür, und Lois ahnt, dass sie dieses Wissen in höchste Gefahr bringt...
Der Roman Das Testament der Mrs. Montfort von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Bitte hier unterschreiben).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
An einem Oktobernachmittag, kurz nach zwei Uhr, stieß ein Düsenjäger auf seinem routinemäßigen Übungsflug über Arizona plötzlich aus dem unschuldigen Weiß einer Wolke hervor. In diesem Moment war es bereits zu spät, um das Unglück abzuwenden. Wie ein Geschoss raste der Bomber auf seinem vorbestimmten Kurs daher. Er bohrte sich genau mittschiffs in den schweren Transporter. Es war ein Werk von Sekunden. Wie Papierfetzen in einem gewaltigen Sturm wirbelten die Männer durcheinander, wurden zerfetzt. Eine gigantische Stichflamme schoss in den Himmel - und dann ereignete sich nichts mehr, ausgenommen der grausige Regen von Metall, und nicht nur Metall -, der herniederfiel.
Dreiundvierzig Menschen fanden den Tod. Unter ihnen Captain Kenneth Williams, Pilot, sechsunddreißig Jahre alt, wohnhaft in Glenville im Staat Connecticut.
Ungezählte Nächte lag seine Frau Lois Williams in den folgenden Monaten mit trockenen Augen bis in die frühen Morgenstunden wach, die Schreie der Todesangst in ihren Ohren. Es war, als ob die Flamme - die Flamme, die sie nie gesehen hatte – ihre Augen ausgebrannt hätte. Später dann, als die, entsetzliche Erstarrung gewichen war, als sie das Unfassliche zu tragen versuchte und die Natur ihr Recht verlangte, waren es nur noch Stunden, in denen sie sich ruhelos herumwälzte und schluchzend das Kissen umklammerte. Meist schlief sie aber nach einer Weile wieder ein, was sie für ein Zeichen hielt, dass die anderen recht hatten, wenn sie sagten, die Zeit werde heilen, die Zeit werde trösten, die Zeit...
Lois war noch jung, erst fünfundzwanzig Jahre. Eines Tages werde wieder ihr Interesse an den täglichen Dingen des Lebens zurückkehren, sie werde wieder ein neues Leben beginnen, tröstete man sie. Man verwies sie auf die Sonnenblumen, wie sie sich der Sonne zuwandten, auf die Tulpen, deren Kelche sich beim ersten wärmenden Strahl wieder öffnen. Der Alltag mit seinen Notwendigkeiten werde sie wieder gefangen nehmen - bis der Tag käme, wo sie sich stark genug fühlen würde, aus dem alten Städtchen Glenville wegzuziehen, weg von dem Platz, der sie immer wieder an das Geschehene erinnerte. Als ob sie das jemals könnte, jemals wollte!
Diejenigen, die ihr all das prophezeiten, waren zum größten Teil ebenfalls Frauen von Flugzeugpiloten. In Glenville gab es eine Kolonie, in der nur Piloten und ihre Familien lebten. Das Städtchen ist freundlich und ruhig und liegt etwa sechzig Meilen von New York entfernt. Die Frauen - junge Frauen, meistens mit kleinen Kindern - hatten für sich selbst eine Reihe verschiedener Bezeichnungen erfunden. Die am häufigsten gebrauchte war Himmelsfrauen. Und wenn sie von ihrer Gemeinschaft sprachen, so redeten sie von der Clique.
Bis zu dem Zeitpunkt, da die beiden Maschinen zusammenstießen und über Arizona in Flammen aufgingen, hatte Lois in Glenville fast keinen anderen Menschen gekannt, der nicht zu dieser Clique gehörte. Wozu auch! Von ihrem gemeinsamen Standpunkt aus betrachteten sie die anderen bis zu einem gewissen Grad als Außenseiter, als Leute, die über manche Dinge anderer Ansicht waren als sie. Der wesentlichste Unterschied bestand darin, dass die Männer der anderen, wenn sie Glenville überhaupt verließen, abends pünktlich mit dem Fünfuhrzweizug ab Grand Central zurückkehrten. Die Männer der Himmelsfrauen aber befanden sich um diese Zeit irgendwo - nur nicht in Glenville.
Die Clique schloss Lois natürlich nicht aus, als sie, genaugenommen, nicht mehr dazugehörte. Im Gegenteil, man tat alles, um sie mit einzubeziehen - sie wieder aufzumuntern. Das Schlimmste aber daran war, dass, nachdem die erste Betäubung etwas gewichen war, auch die Erinnerung wieder wach wurde, wenn sie mit ihnen zusammentraf. Manchmal glaubte sie es nicht mehr ertragen zu können. Aber auch jetzt im Mai fühlte Lois sich immer noch nicht stark genug, Glenville zu verlassen, obwohl sie wusste, dass sie es irgendwann doch einmal tun würde.
Lois hatte sich keineswegs dazu gedrängt, bei den Vorbereitungen für die 250-Jahr-Feier der Gründung der Stadt Glenville mitzuhelfen. Es war reiner Zufall. Eine Unterhaltung mit dem Stadtbibliothekar, eine Bemerkung ohne besondere Überlegung - wie es sich eben manchmal so ergibt. Außerdem war jede Ablenkung willkommen, jede Beschäftigung, mit der die Zeit verstrich. Vor dem Unglück, das sie so hart betroffen hatte, wäre die 250-Jahr-Feier der Gründung Glenvilles unter der britischen Krone höchstens etwas gewesen, worüber Lois Williams im Glenville Advertiser gelesen hätte, und das vermutlich mit nur mäßigem Interesse. Zu viel Vergangenheit! Was hätte ihr auch damals das Vergangene bedeuten sollen?
Wenn im Oktober der Himmel über Arizona nicht in Flammen gestanden wäre, hätte Lois auch nicht im August des folgenden Jahres an einem Nachmittag ihren Wagen in der Battle Street geparkt, um zu Abigail Montforts Haus hinaufzugehen und an die altertümliche Tür zu klopfen. Auch von der Kanonenkugel, die vermutlich britischen Ursprungs war und irgendwo in dem Holzwerk des alten Teils von Abigail Montforts Haus steckte, hätte sie nichts geahnt. Während sie nun wartete, dass ihr jemand die Tür öffnete, blickte sie auf die ausgebesserte schwarze Straßendecke der Battle Street zurück und fragte sich, ob es wohl damals, am 10. April des Jahres 1777, geregnet hatte.
An jenem 10. April war es gewesen, als eine Abteilung britischer Truppen von Danbury heruntermarschierte. Sie hatte dort als Vergeltung einige Häuser niedergebrannt und war dann hier auf eine Abteilung Rebellen unter dem Kommando von Oberst Ephram Sopher gestoßen. Diese befand sich auf dem Weg nach Danbury, aber einige Tage zu spät. Damals hieß die Battle Street noch Brown’s Pike und war eine schmale, schmutzige Straße, gerade so breit, dass die Fuhrwerke aneinander vorbeikonnten. Sie erwies sich jedoch als nicht breit genug, marschierende Truppen aneinander vorbeizulassen. Daher vermutlich die Kanonenkugel im Holzwerk des Montfort-Hauses - damals noch Brown-Haus - und ein gut Teil Toter auf beiden Seiten, wie die Geschichte über das Gefecht von Glenville berichtet.
War die Straße im April des Jahres 1777 von Regenfällen aufgeweicht gewesen? Waren die Männer im Morast der Straße gestorben? Oder hatte man die Verwundeten in das Brown-Haus, wie es damals hieß, geschleppt, damit sie dort starben oder genasen? Das Montfort-Haus besaß, wie sie schon auf ihrer Herfahrt bemerkt hatte, einen weißgestrichenen Schornstein aus Ziegeln, der oben in einem schwarzen Streifen endete. Drei oder vier Lagen der Ziegel waren schwarz bemalt, so dass es wie ein Trauerband aussah. Lois wusste, dass es eine zweihundertfünfzig Jahre alte Sitte war. In jener längst vergangenen Zeit waren die treuen Anhänger der Krone mit Leitern auf ihre Dächer gestiegen und hatten die weißen Schornsteine mit schwarzer Farbe übermalt. Die britischen Soldaten hatten daran erkannt, auf welcher Seite die Bewohner eines Hauses standen. Sie löschten ihre Brandfackeln und kamen als Freunde.
Es ist ganz interessant, dachte Lois, als sie darauf wartete, dass man ihr öffnete, wie viele der ältesten Häuser aus der Revolutionszeit dieses schwarze Trauerband an ihren Schornsteinen trugen. Es schien, dass ein beachtlicher Teil der Einwohner von Glenville mit scheelen Blicken auf die Revolution geschaut und keine Lust gehabt hatte, Kinder dieser Zeit zu werden. Wahrscheinlich waren das die wohlhabenderen und konservativeren Bürger gewesen. Lois ertappte sich dabei, wie diese Gedanken sie ein wenig fesselten.
Ohne es zu wissen lächelte Lois - ein Lächeln, das ihr junges Gesicht unter dem sorgfältig gepflegten schwarzen Haar erhellte. Wenn sie bei diesen alteingesessenen Familien die Runde machte, um ihre Bitte vorzubringen, wollte sie ihnen wenigstens beweisen, dass die Neuzugezogenen keine Vogelscheuchen waren, was immer sie sonst sein mochten. Lois wusste recht wohl, dass es darüber mehrere Ansichten gab - und nicht immer freundliche. Um sicher zu sein, einen guten Eindruck zu machen, hatte sie sich das neue, erst vor zwei Tagen erstandene Modellkleid angezogen. Es war von einem satten, leuchtenden Blau, aber trotzdem noch um einige Nuancen heller als ihre dunklen Augen. Obwohl es heiß war, hatte sie sich dazu durchgerungen, Strümpfe zu tragen, da man schließlich bei Abigail Montfort nicht mit nackten Beinen erscheinen konnte.
Lois Williams, in ihren hochhackigen weißen Leinenschuhen fast 1,70 Meter groß, stand gedankenverloren vor der schweren hölzernen Tür des niedrigen, massiven Hauses und wartete, dass man ihr öffnete. Als jüngeres Mitglied des Historischen Komitees war sie nach vorheriger Anmeldung gekommen, um eine Bitte auszusprechen. Da sie niemand gehört zu haben schien, klopfte sie noch einmal, diesmal etwas kräftiger. Lois war für fünf Uhr angemeldet, nicht früher, weil Mrs. Montfort vorher ruhte. Jetzt war es gerade Punkt fünf.
Endlich kam jemand. Die Frau, die öffnete, war ungewöhnlich groß. Ihr längliches, verwittertes Gesicht mit dem leicht behaarten Kinn war von weißem Haar umrahmt. Sie sah auf Lois herab und fragte: »Mrs. Montfort?« Lois erschien es ziemlich unwahrscheinlich, dass diese große Frau Abigail Montfort sein sollte. Viel eher passte diese Erscheinung zu ihrer Vorstellung, die sie sich von der Haushälterin - wie war doch der Name? Mrs. Harbrook - gemacht hatte.
Die große Frau lächelte. Lois hatte von Leuten gehört, die lächelten. Sie war bisher persönlich solchen Menschen noch nicht begegnet, kannte sie nur aus Büchern. Doch jetzt schien sie einem gegenüberzustehen.
»Sie sind Mrs. Williams«, sagte sie, »und kommen wegen der Besichtigung des Hauses. Ich weiß nicht, ob es jetzt gehen wird. Sie ist recht schwach. Besonders heute ist sie kraftlos, die arme, alte Dame.« Bei diesen Worten schüttelte sie besorgt ihren Kopf. Ihre Stimme war völlig ausdruckslos.
»Oh«, entgegnete Lois, »das tut mir leid. Wir hatten so sehr gehofft - und Mrs. Montfort schrieb uns auch so nett. Ich dachte »Das war vorige Woche. Ich bin übrigens Mrs. Harbrook.«
»Mrs. Harbrook«, wiederholte Lois.
»Sie hat gute Tage und schlechte Tage«, meinte Mrs. Harbrook. »Man kann’s nie vorher wissen. Es wechselt sehr.«
»Wenn sie sich nicht wohl fühlt, will ich natürlich nicht stören«, erklärte Lois. »Vielleicht ein andermal? An - einem guten Tag?« Dabei lächelte sie jetzt selbst. Die Situation war ihr ein bisschen peinlich, so als ob sie unter der Tür etwas verkaufen wollte. »Es wäre keine vollständige Sache ohne das Montfort-Haus«, fügte sie hinzu.
»Das mag sein«, stimmte Mrs. Harbrook zu. »Das älteste in der Stadt, sagt man. Oder wenigstens eines der ältesten.«
»Und das einzige mit einer Kanonenkugel«, ergänzte Lois,
»So heißt es«, sagte Mrs. Harbrook. »Also gut, kommen Sie herein. Jetzt sind Sie schon einmal da. Will mal nachsehen, wie sie sich fühlt. Es ist zwar gerade Mr. Graham drin. Aber kommen Sie nur herein.«
Damit hielt sie die Tür etwas weiter auf. Lois trat aus dem hellen Sonnenschein in kühle Düsternis. Sie befand sich in einer niedrigen Diele. Für einen Augenblick war es ihr, als ob die tiefe Decke sich wie eine schwere Hand auf ihre Schulter legte. Es muss eine Sinnestäuschung sein, dachte Lois, denn Mrs. Harbrook, die bedeutend größer als sie war, ging ganz aufrecht vor ihr her.
An der einen Wand der Diele war ein großer Kamin eingelassen. Seine Verkleidung bestand aus altertümlichem Mauerwerk.
»Dieser Raum wurde früher als Küche benutzt«, bemerkte Mrs. Harbrook, »als Küche und alles Mögliche andere.«
Sie öffnete eine Tür, die merkwürdigerweise dicht neben dem Kamin lag. Durch den Türspalt fiel spärliches Licht in die Diele.
Der Raum war quadratisch und hatte, wie die Diele, eine niedrige Decke. Eine flache Stufe führte in ihn hinein. Lois folgte Mrs. Harbrook in das Zimmer. An der Wand gegenüber der Tür waren Bücherregale angebracht, auf denen hinter Glas Reihen schwerer Bücher standen, die auf den ersten Blick alle gleich aussahen. Rechter Hand war ein jetzt geschlossenes Fenster, dessen Scheibe in Blei gefasst war. Das Zimmer war kühl, roch aber ein wenig muffig. Unter dem Fenster stand ein Rosshaarsofa und gegenüber noch ein zweites, mit Troddeln verziertes, vor dem ein niedriger Tisch aufgestellt war.
Lois sah sich in dem Zimmer um. Auch hier befand sich nähe bei der Tür ein Kamin, der aber kleiner war als der in der Diele. Auf seinem Sims standen eine Menge Nippesfiguren.
»Wenn Sie bitte Platz nehmen und nur einen Moment warten wollen, dann werde ich nachsehen, wie es ihr geht und ob sie Sie vielleicht doch empfangen kann.«
Mrs. Harbrook verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Lois setzte sich auf das Rosshaarsofa und stellte fest, dass dies kein reines Vergnügen war. Das kleine Fenster ließ nur fahles Licht herein, so dass es schwerfiel, zu glauben, dass draußen die helle, warme Sonne eines Augustnachmittags schien.
Aber es war alles so, wie es sein musste, dachte Lois, während sie auf dem unbequemen Sofa saß und wartete. Genauso hatte sie es sich vorgestellt: die niedrigen Decken und die dicken Wände, die die Kälte des Winters abhielten und die Wärme des Holzfeuers in den Kaminen aufspeicherten; die kleinen Fenster, die die Winterkälte ausschlossen und im Sommer die Kühle bewahrten. Lois verglich damit unwillkürlich ihr eigenes helles, Haus mit dem vielen Glas und dem kleinen Kamin, der eigentlich nur als Dekoration gedacht war, und erinnerte sich, wie im ersten Winter, als die Heizung einmal versagte, die großen Fenster zu Platten aus Eis geworden waren. Und auch daran, wie Ken, wenn er zwischen seinen Flügen daheim war, Holzscheite in dem kleinen Kamin aufgeschichtet und eine Matratze vor das Feuer gelegt hatte und...
Sie schob schnell die Erinnerung beiseite und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie würde Mrs. Montfort klarmachen, dass das Programm mit den alten Häusern sinnlos sein würde, wenn dieses Haus nicht mit dabei wäre. Außerdem würden die Besucher auch nur zwischen ein Uhr und fünf Uhr zur Besichtigung kommen. Und sie sei sicher, dass es nur nette Leute wären, weil Menschen, die Sinn für Tradition und Vergangenes hätten, gewöhnlich nette Menschen seien. Mrs. Montford wäre gewiss auch dieser Meinung. In jedem Zimmer würde jemand sein, der darauf achtet, dass niemand - selbst ungewollt - einen Schaden anrichtet. Der Erlös werde Wohltätigkeitszwecken zugutekommen. Und - Lois fiel plötzlich ein, dass sie drauf und dran war, eine gebrechliche alte Dame - man erzählte sich, sie sei in den Achtzigern - darum zu bitten, eine Menge Fremder durch ihr Haus trampeln und schnüffeln zu lassen, als ob es nicht ihr Haus, sondern ein Museum, ein Stück Geschichte sei. Sie sah sich bei diesem Gedanken noch einmal aufmerksam um. Tatsächlich gehörte die Atmosphäre des Zimmers so eindeutig der Vergangenheit an, dass es wirklich etwas von einem Museum hatte. Sie überlegte schaudernd, ob es dieser Raum gewesen war, in den man die sterbenden Männer während eines sinnlosen Gefechtes aus dem Schmutz der Straße geholt hatte...
Jetzt hörte sie Stimmen näherkommen. Die starken Mauern und die schwere Tür schlossen das Zimmer beinahe schalldicht ab, so dass sie die einzelnen Worte der Unterhaltung nicht verstehen konnte. Doch glaubte sie die tonlose Stimme von Mrs. Harbrook und die eines Mannes zu unterscheiden.
Sekunden später hörte sie dann deutlich, wie der Mann sagte: »Man kann sie immerhin fragen.« Fast unmittelbar darauf öffnete sich die Tür, und Lois stand auf.
Der Mann, der hereinkam, war mittelgroß und hatte kurzgeschnittenes braunes Haar. Lois’ erster Gedanke war, dass sie ihn schon früher gesehen haben musste. Dann fiel ihr ein, dass es einmal in der Main Street gewesen war und einmal mit anderen Leuten zusammen in einem netten Restaurant.
Als er nun lächelnd im Türrahmen stand, eine angenehme Erscheinung, mit seinem adretten weißen Hemd und der farbenfrohen Krawatte, brachte er einen Hauch Gegenwart in das Zimmer. Lois war sich gar nicht bewusst gewesen, wie sehr die Atmosphäre des düsteren alten Hauses sie umfangen hatte. Sein Lächeln wirkte ansteckend, und sie ertappte sich dabei, dass sie es erwiderte. In diesem Augenblick war auch der Bannkreis der Vergangenheit gesprengt. Mit einem Mal schien ihr die Kühle des alten Hauses geradezu von einer feuchtkalten Klebrigkeit zu sein. Dieser da verkörperte den Alltag der Main Street in Glenville, Golfspielen und Verabredungen zum Essen im Rotary Club. Und als er nun fragend »Mrs. Williams?«, sagte, sprach er genau in dem Tonfall, den sie erwartet hatte.
»Ja, ist Mrs. Montfort...?«
»Ich bin Howard Graham«, stellte er sich vor, »der Rechtsanwalt der alten Dame.« Sein Lächeln vertiefte sich bei diesen Worten, und er schüttelte beruhigend den Kopf. »Es ist nichts Besonderes. Mrs. Montfort will nur ihr Testament unterzeichnen.«
»Oh«, antwortete Lois, »dann bin ich Sie zögerte. »Meinen Sie«, fuhr sie fort, »dass sie sich wohl genug fühlt, um mit mir wegen der Besichtigung ihres Hauses zu sprechen?«
»Ich fürchte«, sagte Graham, »dass sie im Augenblick nur ihr Testament im Kopf hat. Sie wissen ja, wie - nun, wie alte Leute sind.«
Lois wusste es zwar nicht, aber da sie es sich vorstellen konnte, nickte sie.
»Meiner Ansicht nach«, meinte Graham, »besteht gar kein Grund zu besonderer Eile. Obwohl man natürlich bedenken soll, dass sie immerhin schon in den Achtzigern ist. Doch, warum es gerade heute sein muss...«
»Dann...« begann Lois wieder und nahm ihre Handtasche, die sie auf dem Rosshaarsofa abgelegt hatte, auf.
Graham unterbrach sie hastig: »Was die Besichtigung anbelangt, so dürfte jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sein, mit ihr zu verhandeln. Aber, was ich Sie fragen möchte, Mrs. Williams: Hätten Sie etwas dagegen, Mrs. Montfort einen Gefallen zu erweisen? Mir übrigens auch, falls Sie dazu bereit sein sollten. Wir brauchen noch einen Zeugen für die Unterzeichnung des Testaments. Einen Unbeteiligten, das heißt jemanden, der nicht bedacht wird. Verstehen Sie mich? Da Sie gerade hier sind...« Graham lächelte gewinnend, »Sie und der junge Tony - ein Gärtnerbursche.«
»Ja, aber...« stotterte Lois.
»Sie brauchen nur Ihren Namen zu schreiben und mir Ihre Anschrift zu geben«, erklärte der Anwalt. »Wenn es dann eines Tages nötig sein sollte, haben Sie lediglich Ihre eigene Unterschrift zu bestätigen. Damit wäre dann die Angelegenheit, die der alten Dame so am Herzen liegt, erledigt.« Sie schauten sich an - fast schon ein wenig wie Verbündete. »Dann wird sie sich auch wieder für andere Angelegenheiten interessieren«, sprach er weiter. »Wenigstens behauptet das Mrs. Harbrook. Eine Persönlichkeit übrigens, diese Mrs. Harbrook. Lebt seit zwanzig Jahren mit ihr zusammen, wie ich hörte. Doch dies nur nebenbei. Haben Sie Bedenken?«
»Warum? Nein!« Noch war sich Lois unschlüssig, noch zögerte sie. Aber dann erklärte sie bestimmt: »Aber natürlich nicht.« Aus ihrer Stimme war nun jede Unsicherheit gewichen.
»Gut«, begrüßte Graham erleichtert ihren Entschluss. »Ich will nachsehen, ob alles bereit ist.« Er ging in die Diele zurück, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Sie sah ihm nach, wie er durch die Diele ging, die gegenüberliegende Tür öffnete, und hörte, wie er etwas in die Düsternis hineinrief.
Obwohl Lois nichts verstehen konnte, musste er auf seine Frage wohl eine Antwort erhalten haben; denn kurz darauf sagte er: »Fein, Mrs. Williams ist bereit, einzuspringen. Holt jemand Tony?« Seine Frage wurde von einer Männerstimme beantwortet. »Hier sind wir«, sagte jemand. Gleich darauf traten zwei Männer aus der Dunkelheit des rückwärtigen Teils der Diele. Der eine war ein plumper Bursche in einem grauen Sommeranzug, noch jung, aber mit bereits zurückweichendem Haaransatz. Der andere, braunäugig und dunkelhaarig, trug khakifarbene Arbeitshosen und ein Arbeitshemd. Lois dachte, dass es noch nicht lange her sein konnte, dass er den Kinderschuhen entwachsen war. Aber natürlich - das war doch Tony Bourgelotti, der irgendwann mal bei fast allen Leuten das Gras geschnitten hatte, auch das ihre!
Graham wandte sich ihr lächelnd zu und sagte unnötigerweise: »Allies bereit, Mrs. Williams.« Lois ging in die Halle hinaus. »Tag, Mrs. Williams«, grüßte Tony bescheiden. »Das ist Mr. Keating, Mrs. Williams«, stellte Graham vor, »der Neffe von Mrs. Harbrook. Kann keinen Zeugen machen, da seine Tante im Testament erwähnt ist. Das heißt - eigentlich könnte er schon, aber wir wollen allen denkbaren Komplikationen aus dem Wege gehen.«
»Guten Tag«, sagte Mr. Keating. »Nett von Ihnen, Mrs. Williams!«
Sie hatte den Eindruck, dass er im Jargon der New Yorker City redete. Er bedachte sie mit einem freundlichen Lächeln, und ganz unerwartet reichte er ihr seine Hand. Sie nahm sie, aber nur ganz kurz. Für eine Männerhand fasste sie sich überraschend weich an. Die Hände der Männer, die sie kannte, waren hart - schmale Hände oder breite, aber keinesfalls so unangenehm schwammige wie Keatings Hand. Sie ließ sie sofort wieder los.
»Wir können anfangen«, bemerkte Graham. Die Männer gaben die Tür frei und ließen Lois in das Zimmer vorangehen. Der Raum war größer als die Bibliothek, in der sie gewartet hatte, aber ebenso niedrig und kühl und sogar noch dunkler. Auf den ersten Blick glaubte sie, dass sich niemand in dem Zimmer befände.
Dann sah sie Mrs. Harbrook, die sich offensichtlich gerade über etwas in einer entfernteren Ecke des Zimmers beugte. Sie richtete sich nun auf, drehte sich um und sagte: »Wir sind soweit, Mr. Graham.« Dann wandte sie sich wieder zurück, beugte sich vor und fragte: »Nicht wahr, meine Liebe?«
Lois stellte bei sich fest, dass die Gardinen zugezogen waren. In der dunklen Ecke saß jemand in einem Sessel: eine kleine, sonderbar zusammengekauerte Gestalt, die anscheinend in einen Schal oder in eine Decke eingewickelt war.
»Haben Sie das Mädchen?«
Die Stimme war dünn und hoch, jedoch unerwartet klar und vernehmlich.
»Ich möchte sie gern sehen.«
Graham, der in der Nähe von Lois stand, warf ihr einen Blick zu. Er hob fast unmerklich seine Schultern, Verständnis heischend - ein Verständnis der Jugend für das Alter. Er nahm ihren Arm und schob sie mit sanftem Druck vor. Lois Williams schritt mit ihren modernen weißen Schuhen auf dem altertümlichen Teppich durch den Raum. Mrs. Harbrook nickte ihr auffordernd zu, und Lois sah auf die alte Frau in dem niedrigen Sessel hinab. Es war doch ein Schal, in den sie eingewickelt war.
Sie hatte dünnes, weißes Haar und ein schmales Gesicht, das in dem dämmrigen Licht fast nur als ein heller Fleck erkennbar war. Der Schal war um den Kopf gelegt und unterm Kinn mit einer Sicherheitsnadel zusammengehalten, so dass Lois eigentlich nur die Augen deutlich wahrnehmen konnte, die jetzt auf sie gerichtet waren.
»Hübsch«, sagte die alte Dame. »Jung und hübsch. Sie wollen einer alten Frau helfen, meine Liebe?« Sie zögerte und sah Mrs. Harbrook an. »Was sagt er denn?«
»Ihr Enkel«, antwortete Mrs. Harbrook in der Art einer Feststellung. »Lassen Sie mich überlegen, meine Liebe. Sagte er etwas Neues?«
»Entfallen - weg!«, sagte die Alte und richtete ihren Blick wieder auf Lois. »Sie leben hier in der Stadt, Mädchen?«
»Mrs. Williams«, verbesserte die Haushälterin.
»Ja, Mrs. Montfort«, erwiderte Lois.
»Sie kamen wegen dieser Besichtigung«, unterhielt sich Mrs. Montfort weiter. »Ist eine gute Sache für die Leute! Gibt ihnen das Gefühl - wo ist denn dieser junge Mann?«
Graham kam näher heran. »Hier bin ich, Mrs. Montfort. Sind Sie bereit?«
»Ich warte«, sagte die alte Frau etwas ungeduldig.
»Gut.« Der Anwalt gab Mrs. Harbrook einen Wink, worauf diese einen kleinen Tisch, mit Papieren bedeckt, brachte und ihn vor den niedrigen Sessel stellte. Graham reichte ihr einen Federhalter, den sie in die hageren Finger legte, die unter dem Schal hervorkamen.
»Genau hier, Mrs. Montfort«, war Graham behilflich, indem er sich über den Tisch beugte und mit dem Finger eine Stelle auf dem Dokument bezeichnete. Lois war zurückgetreten, um aus dem Weg zu sein. So konnte sie zwar das schmale, verschrumpelte Gesicht jetzt nicht mehr sehen, aber sie beobachtete, wie die gebrechlichen, dünnen Finger den Halter auf der Linie bewegten, auf die Graham gezeigt hatte. Als die Unterschrift vollzogen war, führte Graham einen Tintenlöscher darüber und sagte beruhigend mit seiner festen Stimme: »Das haben Sie geschafft.«
Das Testament war in einen blauen Aktendeckel geheftet und bestand offensichtlich aus mehreren Seiten. Er blätterte es durch und betrachtete aufmerksam die letzte Seite. »In Ordnung«, bestätigte er zufrieden. »Jetzt Mrs. Williams und Tony.«
Dann ging er geschäftig auf die andere Seite des Zimmers und legte das Testament auf den Tisch unter dem Fenster. »Wir werden uns mehr Licht verschaffen, ja?«
»Aber nicht zu viel!«, wandte Mrs. Harbrook ein. »Ihre Augen!«
Er zog einen Vorhang beiseite, so dass ein Strahl des Tageslichts auf die Papiere fiel. Dann wandte er die ersten Seiten um. Es war jetzt nur noch die letzte Seite zu sehen.
»Bitte, Mrs. Williams, bitte, Tony! Sie haben die Unterzeichnung des Letzten Willens und des Testaments durch Abigail Montfort als Zeugen mit angesehen. Mrs. Williams, bestätigen Sie dies nun als Zeugin in Anwesenheit von Mrs. Montfort und in Anwesenheit von allen anderen durch Ihre Unterschrift.«
Er holte einen Stuhl für Lois herbei, reichte ihr seinen Füllfederhalter und zeigte auf eine Zeile. »Bitte hier unterschreiben«, sagte er. Lois Unterzeichnete. Dann rief er Tony. Lois stand auf. Tony Bourgelotti wischte seine Hand am Hosenboden ab und setzte sich auf die Kante des Stuhles. Er schrieb seinen Namen unter den von Lois. Graham betrachtete prüfend beide Unterschriften und sagte: »Fein! Alles in Ordnung!« Damit nahm er das Testament an sich. Er schwenkte es kurz hin und her, legte es in den blauen Aktendeckel und steckte es dann in seine Tasche.
»So«, meinte er abschließend.
Lois konnte jedoch das deutliche Gefühl nicht loswerden, dass die Dinge keineswegs abgeschlossen waren. Vielleicht - sie drehte sich nach der kleinen Frau in dem tiefen Sessel um. Mrs. Harbrook beugte sich gerade wieder über sie. Lois machte einen Schritt auf die beiden zu.
»Ich überlege«, begann sie mit leiser Stimme und sprach in die dunkle Stille einer vergangenen Zeit, »ich überlege, Mrs. Montfort, ob...«
Mrs. Harbrook richtete sich auf, drehte sich zu ihr herum und legte einen Finger auf ihre Lippen, die jetzt ohne Lächeln waren. Lois schwieg, und Mrs. Harbrook kam mit lautlosen Schritten auf sie zu. Ganz nahe vor ihr blieb sie stehen und flüsterte:
»Sie ist eingeschlafen. Das ist oft so, wissen Sie. Einmal frisch wie eine Knospe, und dann...«
Sie drängte Lois gegen die Tür zur Halle, und Lois bemühte sich, leise aufzutreten. Tony und Graham kamen hinterdrein. Keating stand in der Diele und wartete auf sie. Als sie näher kamen, hob er die Brauen über seinen eng zusammenstehenden Augen. Mrs. Harbrook nickte ihm zu. »Das ist. gut, Tante Ella«, sagte er leise, und Lois fiel wieder sein New Yorker Akzent auf.
Mrs. Harbrook zog die Tür zum Wohnzimmer zu. »Sie schläft«, flüsterte sie. »Sie ist halt sehr alt. Aber ich glaube bestimmt, dass es mit der Besichtigung in Ordnung gehen wird, Mrs. Williams. Erst gestern hat sie darüber gesprochen und gemeint, dass wir noch einiges tun müssten - die Hecke beschneiden und so weiter. Also, das geht schon in Ordnung.«
»Das Komitee wird sich darüber sehr freuen«, erklärte Lois in offiziellem Ton.
»Überlassen Sie nur alles mir«, versicherte die Haushälterin. »Nächsten Samstag, nicht wahr?«
»Ja, am kommenden Samstag«, bestätigte Lois.
»Ich bin ganz sicher, dass alles in Ordnung geht. Wenn sie aufwacht, werde ich ihr erzählen, dass ich es Ihnen zugesagt habe. Ich will sie bitten, ein paar Zeilen an das Komitee zu schreiben. Es war sehr freundlich von Ihnen, vorbeizukommen, Mrs. Williams.«
»Hu«, machte Howard Graham, der neben ihr auf der langen Veranda stand. »Mit einem Wort: Hu!«
Als er sie ansah, war es Lois, als ob sie sein herzliches Lächeln zurück in die Gegenwart führte und sie willkommen hieß in der sommerlichen Wärme.
»Ist das die Art, wie Sie eine Angelegenheit beenden, wie? Nettes, altes Mädchen übrigens, was man so hört und wie ich selbst die wenigen Male, die ich hier gewesen bin, gesehen habe. Doch einerlei...«
Er unterbrach sich. Lois atmete tief die warme frische Luft ein.
»Was mich anbelangt«, erklärte Graham, »so könnte ich jetzt einen Schluck vertragen. Darf ich Sie zu einem Gläschen einladen, Mrs. Williams?«
»Ich weiß nicht recht zögerte Lois, brach ab und dachte plötzlich: Warum eigentlich nicht? Dann hörte sie sich zu ihrem eigenen Erstaunen leise lachen. »Das könnte ich auch. Es wäre reizend von Ihnen, Mr. Graham, wenn Sie mich zu einem Drink einladen würden.«
Da sie beide ihre Wagen dabei hatten, trafen sie sich beim Gasthaus, in dessen alter Bar sich etwa ein Dutzend Gäste befanden.
Der Barraum hatte die gleiche niedrige Decke, wie das Montfort-Haus, aber die angenehme Kühle kam von den eingeschalteten Ventilatoren und nicht von den dicken Mauern.
In der Bar saßen zwei von der Clique und hatten geeiste Milchgetränke vor sich stehen. Die beiden winkten ihr fröhlich, als sie mit Howard Graham den Raum betrat, und nickten ihr lebhaft Beifall zu. Lois’ Miene verriet nichts, aber ihre Augen lächelten.
War es denn möglich, wunderte sie sich flüchtig, dass sie die Schatten der Vergangenheit im alten Montfort-Haus endlich zurückgelassen hatte? Dass sie vielleicht jetzt die ersten Gehversuche in ein neues, freundliches Leben unternahm?
»Einen Martini, bitte!«, sagte sie zu Graham, als er seine Augenbrauen fragend hob.
»Wunderbar! Wir haben denselben Geschmack«, bemerkte er lächelnd und wandte sich an den Ober: »Zwei Martini Dry. Sehr trocken, bitte«, fügte er hinzu.
»Sie wohnen doch in Long Meadow Manor, nicht wahr?« vergewisserte sich Mr. Graham. »Und«, fuhr er fort, »Ihr Mann war doch eines der Er geriet ins Stottern und verstummte plötzlich. Dann fing er sich wieder und murmelte: »Entschuldigen Sie bitte, er tut mir so leid.«
»Ist schon gut«, beschwichtigte Lois seine Verlegenheit mit tonloser Stimme. Wie dumm sie gewesen war! Was hatte sie nur veranlasst, anzunehmen, dass die Schatten der Vergangenheit gebannt seien! »Jener Captain Williams war mein Mann.«
Über die Katastrophe hatte seinerzeit genug im Glenville Advertiser gestanden. Hilflos blickte Graham auf Lois. Sie wiederholte noch einmal: »Ist schon gut, Mr. Graham.« Nach einer Weile brachte sie sogar ein Lächeln zustande und versicherte mit Nach« druck: »Wirklich, Mr. Graham.«
»Ich bin ein Idiot«, sagte er und senkte den Kopf, »ein hoffnungsloser Idiot.«
Es hatte keinen Sinn, nochmals zu behaupten, dass alles in Ordnung sei, es hatte auch keinen Sinn, sonst etwas zu sagen. Lois nippte schweigend an ihrem Getränk und dachte niedergeschlagen, dass überhaupt alles sinnlos sei. Jetzt weiß er nicht mehr ein noch aus, spann sie den trübsinnigen Gedanken weiter und trank ihren Martini schneller, als sie es sonst getan hätte, um seine peinliche Verlegenheit zu überbrücken.
»Die Sache mit der Besichtigung«, begann Graham zaghaft, »entwickelt sich also gut?«
Lois nahm sich zusammen und antwortete: »Oh, ja. Ganz gut. Ich hoffe, Mrs. Montfort wird ihre Einwilligung dazu geben.«
Dankbar griff der Rechtsanwalt dieses Thema auf. »Ich bin sicher, dass sie das tun wird. Sie scheint mir eine reizende alte Dame zu sein - so - so hundert Prozent Glenville. Die ganze Familie ist es schon seit Generationen gewesen, wie ich von allen höre. Man kann tatsächlich bis zum ersten Montfort zurückgehen, der das Haus vom letzten Brown kaufte. Ein düsterer Ort, nicht wahr?«
»Das liegt an der damaligen Bauweise«, entgegnete Lois mühsam. Sie wollte noch etwas sagen, wollte das Gespräch weiterführen, bis sie mit ihrem Martini fertig war und, ohne ihn zu kränken, gehen konnte. »Als Mrs. Montforts Anwalt waren Sie sicherlich öfter dort?
»Nein, nur dreimal. Einmal, um mit ihr über das Testament zu sprechen, und später wieder, um es ihr zu bringen, damit sie es durchlesen konnte. Und dann heute. Weil nämlich Old Snoddy gestorben ist, wissen Sie...«
»Snoddy?«, fragte sie. »Oh, Mr. Snodgrass. Er war vorher ihr Rechtsanwalt?«