5,99 €
Sam Jackson, ein Rechtsanwalt aus New York, wird bei einem Verkehrsunfall getötet. Der Fahrer des Unglückswagens begeht Fahrerflucht.
Inspektor Heimrich stellt bei seinen Ermittlungen fest, dass Jackson ganz gegen seine Gewohnheit die Verteidigung in einem Mordfall übernommen hatte. Und Heimrich glaubt an eine Verbindung zwischen beiden Verbrechen...
Der Roman Totes Rennen von F. R. Lockridge (* 26. September 1898 in St. Joseph, Missouri; † 19. Juni 1982 in Tyron, North Carolina) erschien erstmals im Jahr 1976; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
F. R. LOCKRIDGE
Totes Rennen
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
TOTES RENNEN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sam Jackson, ein Rechtsanwalt aus New York, wird bei einem Verkehrsunfall getötet. Der Fahrer des Unglückswagens begeht Fahrerflucht.
Inspektor Heimrich stellt bei seinen Ermittlungen fest, dass Jackson ganz gegen seine Gewohnheit die Verteidigung in einem Mordfall übernommen hatte. Und Heimrich glaubt an eine Verbindung zwischen beiden Verbrechen...
Der Roman Totes Rennen von F. R. Lockridge (* 26. September 1898 in St. Joseph, Missouri; † 19. Juni 1982 in Tyron, North Carolina) erschien erstmals im Jahr 1976; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
Inspektor M. L. Heimrich, Kriminalbeamter bei der New York State Police, trat aus dem Dienstgebäude in Washington Hollow und ging zum Parkplatz. Es regnete nachdrücklicher, als die Meteorologen erwartet hatten. In der Wettervorhersage hatte man von teilweiser Bewölkung, Schauerneigung und milden Temperaturen gesprochen, die sich zum Tagesende etwas abkühlen würden.
Es war nicht nur nass, als Heimrich über den Platz zu seinem Wagen schritt. Es war auch kalt. Knapp über null Grad. Heimrich hatte in seinem Büro auf das Thermometer gesehen. Aber es hätte schlimmer sein können. Oft lag der Schnee um diese Zeit – es war der 23. Dezember – meterhoch in der Gegend von Washington Hollow.
Als Heimrich in seinen Buick stieg, blickte er zu einem Baum in der Nähe auf. Im Strahl der Flutlichter schimmerten die nackten Äste feucht. Wasser tropfte von ihnen herunter, und das war beruhigend.
Der Motor sprang gleich beim ersten Versuch an. Heimrich schaltete die Heizung ein. Kalte Luft strömte aus den Lüftungsschlitzen. Er hätte einen dickeren Mantel anziehen sollen. Auf die Wetterfrösche konnte man sich nie verlassen. Doch es würde schon wärmer werden im Wagen. Und zu Hause hatte Susan im offenen Kamin bestimmt schon Feuer gemacht. Vielleicht waren Michael und sein Freund schon in Van Brunt angekommen. Eine ziemliche Strecke von Hanover in New Hampshire bis hier herunter, aber wenn man jung war, machte einem so etwas nichts aus. Und die Straßen waren ja frei, wie Michael seiner Mutter versichert hatte, als er am Abend zuvor angerufen hatte.
Sein Anruf war für Susan eine freudige Überraschung gewesen. Michael hatte nicht geglaubt, dass er diesmal zu Weihnachten nach Hause kommen könnte. Das alte Vehikel würde die Fahrt nie schaffen, hatte er eine Woche zuvor geschrieben.
Doch dann rief er an, um zu berichten, dass ein Freund von ihm über die Ferien nach New York fahre und ihn bis Van Brunt mitnehmen wolle. Heimrich, der das Gespräch entgegengenommen hatte, war mit Dad tituliert worden. Die Zeiten, als der kleine Michael Faye ihn Sir genannt hatte, waren längst vorbei. Er war damals, als Heimrich ihn kennengelernt hatte und wenig später sein Stiefvater geworden war, ein sehr ernstes und förmliches Kind gewesen.
Vorsichtig bremste Heimrich am Stoppzeichen, ehe er in südlicher Richtung auf die Bundesstraße 9 abbog. Im Licht der Scheinwerfer sah es aus, als wäre die Straße nur nass. Doch im Scheinwerferlicht sieht auch eine vereiste Straße so aus, als wäre sie nur nass.
Heimrich fuhr langsam. Er schaltete sein Radio auf Polizeifunk.
»Die Leute rutschen wie die Verrückten auf den verdammten Straßen rum«, meldete ein Streifenwagen der Verkehrspolizei der Zentrale.
»Ja, wir haben schon eine Warnung rausgegeben«, kam es von der Zentrale zurück.
»Warum bleiben die Idioten nicht zu Hause?«, schimpfte der Beamte im Streifenwagen.
Heimrich trat ganz vorsichtig auf die Bremse. Der Wagen rutschte nicht. Weiter nördlich war es offenbar kälter. Und er fuhr in südlicher Richtung. Regen trommelte gegen die Scheiben und auf das Dach des Buick. Es war kaum Verkehr. Die Idioten, von denen der Beamte gesprochen hatte, hatten sich offenbar doch entschlossen, zu Hause zu bleiben.
Heimrich schaltete den rechten Blinker ein und steuerte den Wagen auf die Staatsstraße 11-F. Langsam kroch er auf Cold Harbor zu. Im Einkaufszentrum nördlich vom Dorf war Hochbetrieb. Eines der Autos, das vom riesigen Parkplatz auf die Straße hinausfuhr, rutschte leicht, als es die Kurve nahm. Heimrich vergewisserte sich, dass kein Fahrzeug direkt hinter ihm war und bremste behutsam. Der Wagen schlitterte kaum merklich. Aha, jetzt wurde es eisig.
Er hoffte, dass Michaels Freund ein vorsichtiger Fahrer sei. Ob Michael wohl ernstlich vorhatte, im Frühjahr, wenn er in Dartmouth fertig war, sein Glück bei den Tennisprofis zu versuchen? Er hatte im vergangenen Sommer davon gesprochen, nachdem er die College-Meisterschaft gewonnen hatte.
Doch an einem anderen Tag im vergangenen Sommer hatte Michael auch davon gesprochen, dass er vielleicht Jura studieren werde; an der Columbia-Universität in New York. Vielleicht, hatte er gemeint, könne er sich das nötige Geld als Tennislehrer verdienen. Michael hatte keine Illusionen über das Einkommen von Polizeibeamten. Und auch nicht über die Umsätze der Firma Susan Faye, Dekorationsstoffe in der Van Brunt Avenue.
Heimrich passierte das Schild Stadtgrenze Van Brunt und war fast zu Hause. Van Brunt war nämlich keine Stadt, nicht einmal ein Dorf. Es war nur eine Ansammlung von Häusern innerhalb der Gemeinde Cold Harbor.
Er fuhr langsam. Die Straße war entschieden glatt. Heimrich bog nach rechts ab und kroch die schmale, gewundene Straße zu dem langen, niedrigen Haus hinauf, das eine Scheune gewesen war, ehe es das Heim von Mrs. Michael Faye, geborene Upton geworden war, die unter ihrem Stand geheiratet hatte. Lange, ehe Heimrich nach Van Brunt gezogen war, ehe er überhaupt das erste Mal von dem Ort gehört hatte, war so ziemlich jeder in Van Brunt unter dem Stand der Uptons gewesen, außer den Jacksons und den Van Brunts selbst.
An einer Steilkurve schlingerte der Wagen etwas. Heimrich riss sich von seinen Gedanken los und konzentrierte sich auf die Aufgabe, die vor ihm lag – nach Hause zum Feuer und zu seiner Frau zu kommen, die wahrscheinlich ein zweitesmal unter ihrem Stand geheiratet hatte.
Erneut geriet der Wagen an einer Kurve ins Rutschen. Heimrich brachte ihn wieder unter Kontrolle und fuhr weiter die High Road im Schneckentempo hinauf. Er lenkte den Buick zwischen zwei Felsblöcken hindurch in die Auffahrt, die noch steiler war als die Straße, aber gekiest, so dass die Reifen besser griffen.
Das Flutlicht über der Garage flammte auf. Susan hatte auf seine Ankunft gewartet. Das tat sie immer. Und das Licht brannte. Das war ein Trost. Heimrich fuhr den Wagen in die Garage, ganz nach rechts. Wenn Michaels Freund einen VW hatte, dann war für den Wagen noch Platz. Hatte er einen Cadillac, dann musste er ihn eben draußen stehen lassen.
Als er in die Passage zwischen Haus und Garage hinaustrat, schlug ihm peitschender Regen ins Gesicht. Der Beton unter seinen Füßen war spiegelglatt. Auf unsicheren Beinen rutschte er zum Holzstoß an der Garagenwand. Die Scheite waren zusammengefroren. Er riss mit einiger Mühe vier Scheite los, und Susan öffnete ihm die Tür. Es tat gut, so erwartungsfroh empfangen zu werden.
Er trug die Holzscheite durch die Küche und stapelte sie vor dem Kamin auf. Das Feuer brannte schon. Er sagte »Hallo« zu Susan, die einen roten Hosenanzug trug, und sie erwiderte: »Hallo, Liebling.« Er streckte die Arme nach ihr aus, doch da fiel ihm sein nasser Regenmantel ein. Er zog ihn aus und nahm sie erst dann in die Arme.
Acht Jahre – etwas mehr als acht Jahre – waren sie schon zusammen. Doch die Jahre hatten ihrer Liebe und ihrer Zärtlichkeit nichts anhaben können.
»Ich mache sie«, sagte Susan.
Heimrich setzte sich in seinen Sessel am Feuer und lauschte dem Klirren der Eiswürfel aus der Küche. Susan stellte den Shaker auf den Tisch und setzte sich neben ihn. Er schenkte die Martinis ein. Sie hoben gerade die Gläser, um anzustoßen, als irgendwo draußen etwas unter Krachen zersplitterte. Doch die Lampen flackerten nicht. Susans Hand, in der sie das Glas hielt, zitterte. Sie beruhigte sich wieder, und sie stießen an. Als sie getrunken und die Gläser niedergestellt hatten, legte Heimrich seine Hand auf die seiner Frau, die beim Krachen eines umstürzenden Baumes gezuckt hatte.
»Es passiert ihm schon nichts«, sagte er. »Außerdem wird sicher schon überall gestreut.«
»Natürlich«, meinte Susan. »Ich mache mir keine Sorgen. Gar keine.«
Sie lächelte, und er wusste, dass das Lächeln eine Lüge war.
»Aber es wird schlimm, nicht?«, fragte Susan. »Es gießt in Strömen, nicht wahr? Man hört es auf dem Dach.«
»Ja, aber wenn es so stark regnet, wird es meistens wärmer«, erwiderte Heimrich. »Wahrscheinlich dreht der Wind. Und wenn er nach Südwesten dreht, dann kann uns...«
Wieder krachte ein Baum. Diesmal flackerten die Lichter flüchtig...
»Diese scheußliche Warterei«, bemerkte Susan. »Man weiß, es kommt, und dann kommt es doch nicht und man – man wartet immer weiter.«
Mite, der schwarze Kater, sprang auf ihren Schoß. Susan streichelte ihn, und er begann zu schnurren.
»Wo ist Colonel, Mite?«, fragte sie.
Eine sehr große Dogge erhob sich hinter der Holzkiste. Langsam, wie sich das für seine Größe und sein Alter geziemte, stand der Hund auf.
»Tag, Colonel«, sagte Heimrich, und der große Hund kam und streckte sich vor dem Feuer aus. Er schlug zweimal mit dem Schwanz auf den Boden. Er war auf seine alten Tage ein wortkarger Hund geworden.
Gemächlich tranken Susan und Merton Heimrich ihre Gläser leer. Heimrich sah auf seine Uhr. Bald sieben.
»Ich wollte einen Auflauf machen«, sagte Susan. »Er braucht ungefähr eine Stunde, und dann wird er trocken. Die jungen Leute sind sicher ausgehungert.«
»Bestimmt«, sagte Heimrich.
»Ich möchte wissen, wann sie endlich kommen«, meinte Susan. »Der Auflauf schmeckt aufgewärmt überhaupt nicht. Und wir wissen doch beide, was früher oder später passiert.«
Ja, sie wussten es beide. Da tat man besser gleich etwas.
»Ich kann uns ja noch eine Runde machen«, meinte Susan. »Meistens kommen die Leute immer gerade dann, wenn man beim Mixen ist. Und man vergisst, ob man den Wermut schon hineingetan hat.«
Sie stand auf, und wieder stürzte irgendwo krachend ein Baum um. Heimrich stand ebenfalls auf. Er ging zu einem der Fenster an der Ostseite. Das Flutlicht über der Garage brannte – noch. Die Stromkabel, die von der Straße kamen, hingen durch unter der Last des Eises.
Heimrich zog wieder seinen Regenmantel über. Er ging in die Küche und nahm eine Tüte Katzensand mit. Susan sah ihn fragend an.
»Ich hole Holz«, erklärte Heimrich, und sie nickte.
Heimrich öffnete die Tür zur Passage. Feuchter Wind wehte in die Küche. Heimrich streute den Sand auf das Eis zwischen Tür und Holzstoß. Er riss mehrere Holzscheite los und stieß sie über das Eis zur Tür. Als er ein gutes Dutzend zusammen hatte, ließ er es gut sein.
Vorsichtig schlurfte er zurück und trug gemeinsam mit Susan die Scheite zum Kamin. Dann setzten sie sich wieder ans Feuer.
»Auf uns«, sagte Susan, als sie anstießen. »Und darauf, dass der Wind umschlägt, Liebling.«
Die Martinis waren trocken und kalt.
»Eigentlich«, meinte Susan, »müsste es an so einem Abend etwas Heißes mit Rum sein oder Glühwein. Aber ich...«
Sie brach ab. Auch Heimrich hörte es. Ein Auto mit Ketten kam klirrend die Auffahrt herauf.
Sie gingen zur Küchentür. Es war ein Volkswagen. Michael saß am Steuer. Er fuhr den Wagen langsam und vorsichtig in die Garage. Als die Garagentür sich öffnete, rief Heimrich: »Passt auf das Eis auf!«
Hintereinander kamen sie durch die Garagentür, beide in dicke Mäntel vermummt. Michaels Freund war erstaunlich klein. Er trug eine Strickmütze. Langes Haar flatterte im Wind.
Heimrich spürte, wie seine Frau ein wenig steif wurde. Plötzlich begriff auch er.
Michaels Freund war eine Freundin.
»Das ist Joan Collins, Mutter, Dad«, sagte Michael und stellte sich vor dem Feuer neben das Mädchen, ohne es zu berühren.
Aber, dachte Susan, es sieht aus, als würde er es gern tun; als würde er jeden Moment den Arm um ihre Schultern legen.
»Guten Abend, Joan«, sagte Susan, »wenn es auch leider gar kein guter Abend ist.«
Joan Collins lächelte. Sie hatte ein breites Lächeln auf einem schmalen Gesicht – einem seltsam festen Gesicht. Sie ist höchstens zwanzig, dachte Susan. Aber sie ist erwachsen. Sie sah ihren Sohn an, der auf das Mädchen hinunterblickte und das ernsthafte Lächeln lächelte, das sie so gut an ihm kannte.
»Ihr beiden könnt jetzt sicher einen Drink gebrauchen«, meinte Merton Heimrich.
»Ich schon«, antwortete Michael. »Das war eine ziemlich lange Fahrt. Und nicht sehr angenehm auf den letzten Kilometern. Cold Harbor ist völlig finster. Kein Strom.«
Joan hatte auf Heimrichs Angebot mit einem Kopf schütteln geantwortet. Ihr langes, braunes Haar schwang hin und her. Es reichte ihr bis zur Taille.
»Ich wärme mich nur auf«, sagte Joan. Sie hatte eine helle Stimme und sprach ein wenig hastig.
Sie ist befangen, dachte Susan. Unsicher. Als wäre sie hergebracht worden, um den Eltern vorgestellt zu werden.
»Und lasse mein Haar trocken werden.« Joan griff an ihr Haar. »Es ist schon fast wieder trocken«, stellte sie fest. »Dann muss ich fahren. Mein Vater wartet auf mich. Er geht die Wände hoch, wenn ich ihn zu lange warten lasse. Da trinke ich lieber nichts. Ich meine, wo ich doch fahren muss.«
Michael schien nicht zuzuhören. Er sah Heimrich an, als erwarte er etwas.
»Nein«, sagte Heimrich. »Sie wollen doch nach New York, nicht? Ausgeschlossen bei dem Wetter.«
»Ich wollte eigentlich nur...« Sie zögerte und sah Michael an. Dann blickte sie zu Susan hin.
»Natürlich, Kind«, meinte Susan. »Sie wollten Michael nur hier absetzen und dann weiterfahren, um die Weihnachtsfeiertage mit Ihrem Vater zu verbringen. Aber bei diesem Wetter...«
Die Lichter erloschen. Nicht zögernd oder flatternd. Sie gingen einfach aus. Nur das Kaminfeuer erhellte noch das Zimmer.
»Verdammt!«, sagte Susan.
»Nun, die Warterei ist jedenfalls vorbei«, stellte Heimrich fest. »Da mache ich besser noch eine Runde Drinks, ehe das Eis schmilzt. Und Sie, Miss Collins, finden sich besser damit ab, dass Sie heute Abend hier festsitzen. Ich glaube, wir haben Sherry da, wenn Sie einen möchten.«
»Ja, Sherry haben wir da«, bemerkte Susan. »Aber es ist Kochsherry.«
Joan sah zu Michael auf. Er lächelte und nickte.
»Also gut«, sagte Joan Collins, »dann nehme ich einen kleinen Bourbon. Aber einen ganz kleinen nur, bitte, Inspektor.« Sie stockte ein wenig vor dem Wort Inspektor.
»Ich mache das schon, Dad«, erklärte Michael und ging in die Küche.
Merton Heimrich trat zum Telefon. Er wählte WE 6-1212 und lauschte. Um sieben Uhr hatte die Temperatur in New York null Grad betragen... Regen, der zu Straßenglätte führt. Gegen Morgen langsame Erwärmung und Aufklärung. Für Dienstagnachmittag wird mit einem weiteren Kälteeinbruch gerechnet. Die Aussichten für den ersten Weihnachtsfeiertag: klar und der Jahreszeit entsprechend kalt.
Als er den Hörer auflegte, saßen Michael und Joan Seite an Seite vor dem Kamin. Auf dem Tisch vor ihnen standen die gefüllten Gläser. Susan saß auf Michaels anderer Seite.
»In Hanover kommt so was kaum vor«, erklärte Michael seiner Mutter. »Entweder regnet es da, oder es schneit. Die meiste Zeit bleibt die Temperatur unter Null. Da ist man auf so was vorbereitet. Aber hier – hier ist das anders.«
»Das habe ich gemerkt«, sagte Joan.
Michael sah sie an und lächelte. Selbst in seinem breiten Lächeln liegt noch Ernsthaftigkeit, dachte Heimrich.
»Und ungefähr einmal im Jahr«, fuhr Michael fort, »passiert das, was eben passiert ist. Der Strom fällt aus. Manchmal gleich – wie lange, Dad?« Er wandte sich seinem Vater zu.
»Sechs Tage ist das längste, woran ich mich erinnern kann.«
»Wir hatten kein Licht und konnten nicht kochen«, erklärte Michael. »Dad hat die Kartoffeln in der Asche im Kamin gebraten. Es war – na ja – abenteuerlich. Für ein Kind, meine ich. Nur hatten wir leider auch kein Wasser – oder fast keines.«
»Ja, wir mussten sehr sparsam damit umgehen«, bemerkte Susan. »Wir haben hier unseren eigenen Brunnen, wissen Sie, Joan, mit einer elektrischen Pumpe.«
»Und Heizung hatten wir auch nicht«, warf Heimrich ein, »weil man einen Ölofen ja nicht mit einem Streichholz in Gang setzen kann.«
»Ach, verflixt!«, rief Susan. »Der Auflauf.« Sie sah Merton an. Der zog die Brauen hoch.
»Ja«, meinte er, »ich glaube auch, Susan. Vorausgesetzt, der Generator arbeitet.«
»Sie reden vom Gasthaus, Joan«, erklärte Michael. »Es hat sein eigenes Notaggregat.«
Heimrich war schon auf dem Weg zum Telefon. Er wählte und wartete.
»Mary?«, sagte er zu Mary Cushing, die das Old Stone Inn führte. »Hier spricht Heimrich, Mary.« Dann hörte er eine Weile stumm zu. »Das kann man wohl sagen«, erwiderte er dann. »Richtiges Mistwetter. – Ist angesprungen, ja? Schön, dann in einer halben Stunde oder so. Ein Tisch für vier.« Wieder lauschte er und sagte dann: »Gut, wir kommen gleich. Ach, und noch etwas, Mary, haben Sie noch zwei Zimmer frei für heute Nacht?« Er wartete einen Moment. »Nein«, erklärte er dann, »wir müssen das Feuer in Gang halten. Für meinen Sohn und eine Bekannte von ihm. Ja, zwei Zimmer.« Er bedankte sich und versicherte nochmals, dass sie gleich kommen würden.
Er kehrte zum Kamin zurück.
»Abgemacht«, sagte er. »Der Generator arbeitet, und Mary sagt, das ganze Haus sei illuminiert wie ein Weihnachtsbaum. Ein Tisch für vier und zwei Zimmer.«
»Zwei, Inspektor?«, fragte Joan Collins.
»Für Sie und Michael«, erklärte Heimrich. »Susan und ich müssen hier das Feuer in Gang halten, damit nicht das ganze Haus einfriert.«
»Wir brauchen gar nicht...«, begann Joan und brach ab. Sie sah Michael an. Sein Gesicht verriet nichts. Dann lächelte er flüchtig.
Wir brauchen gar nicht zwei Zimmer, beendete Susan den Satz in Gedanken. Sie war nicht überrascht. Sie hatte es sich schon gedacht, nach der Art, wie sie einander ansahen, wie sie so angelegentlich jede Berührung vermieden.
»Also«, meinte Heimrich und legte noch ein Scheit auf das Feuer. Er zog das Gitter vor dem Kamin zu. Mite, der Kater, war verärgert darüber. Er stand auf und legte sich zu Colonel. Hunde verbreiten Wärme.
»Wir fahren am besten mit einem Wagen«, sagte Heimrich. »Ihren können Sie bis morgen hier stehen lassen, Miss Collins.«
Michael und Joan standen auf.
»Ja, aber meine Sachen...«, meinte sie etwas zaghaft.
»Alles, was Sie für die Nacht brauchen, können wir ja mitnehmen, Kind«, sagte Susan.
»Aber ich kann doch so nicht in einem Restaurant erscheinen«, meinte Joan und blickte an ihrem langen, formlosen gelben Pullover und der dunkleren Hose hinunter.
»An so einem Abend trägt jeder das, was er gerade anhatte, als die Lichter ausgingen«, versetzte Susan. »Aber wir können alles mitnehmen, was Sie haben wollen, Joan.«
Sie gingen durch die Küchentür hinaus in die vereiste Passage. Michael legte einen Arm um das schlanke Mädchen. Heimrich legte einen Arm um die Schultern seiner Frau.
Joan holte einen Koffer und ihre Kosmetiktasche aus dem Volkswagen. Heimrich packte die Sachen in den Kofferraum des Buick, dann fuhren sie los. Langsam krochen sie die High Road hinunter. Die Ampeln an den Kreuzungen waren dunkel. Doch es war kein Verkehr auf der Van Brunt Avenue.
Als sie auf den strahlend erleuchteten Parkplatz des Old Stone Inn einbogen, kam der Buick ins Schleudern. Doch Heimrich fing ihn ab. Etwa ein Dutzend Wagen standen auf dem Platz. Vier davonwaren schon mit einer Eisschicht überzogen. Die anderen waren offensichtlich erst vor kurzem aus ihren Garagen geholt worden.
Der Weg zur Tür war gestreut. Drinnen in der Bar war es warm und hell, und im offenen Kamin loderte ein Feuer. An den Tischen in der Nähe des Feuers saßen ungefähr ein Dutzend Leute. Alle kannten Susan und Merton, außer zwei Personen, die als einzige Abendkleidung trugen, der Mann einen Smoking, die Frau ein langes Kleid. Die anderen waren fast alle in Hose und Pullover. Oliver Finley hatte außerdem schwere Bergstiefel an. Die Finleys wohnten auf einem ziemlich steilen Hügel über dem Hudson.
Ihr Tisch stand nicht so nahe beim Feuer, wie sie es gern gehabt hätten, aber das ließ sich nicht ändern. Wer zuerst kommt, bekommt auch die meiste Wärme.
»Wir können hier essen«, sagte Susan zu Joan, »oder im Speisesaal. Da ist zwar kein Kamin, aber das Essen kommt schneller. Dafür brauchen die Drinks länger. Wir müssen uns entscheiden.«
Es war eine Art, Michaels Mädchen in den Kreis der Familie aufzunehmen. Die Aufnahme wurde akzeptiert. Joan Collins lächelte wärmer als zuvor.
»Hier ist es doch schön, oder nicht?«, meinte sie. »Ich würde nur gern...«
Michael ließ sie nicht aussprechen.
»Ich hole deine Sachen«, sagte er. »Dad?«
Heimrich warf ihm die Wagenschlüssel zu. Michael ging hinaus in den Regen.
Sie bestellten Martinis und Bourbon. Dann kam Michael wieder. Eisige Luft wehte einen Moment in den Raum, als er die Tür öffnete. Er kam mit den beiden Koffern an den Tisch, doch er stellte sie nicht ab.
»Ich sehe mir gleich mal die Zimmer an«, sagte er. »Kommst du mit, Joan?«
Joan sah Susan an.
»Natürlich, Kind, gehen Sie nur«, meinte Susan. »Nach der langen Fahrt wollen Sie sich sicher ein wenig frisch machen.«
Die Heimrichs blickten den beiden nach, als sie durch die Bar gingen und durch den Torbogen verschwanden, der in das kleine Foyer des Old Stone Inn führte.
»Hm!«, meinte Merton Heimrich.