DER TOD HAT EINE LEISE STIMME - EIN FALL FÜR MR. UND MRS. NORTH - F. R. Lockridge - E-Book

DER TOD HAT EINE LEISE STIMME - EIN FALL FÜR MR. UND MRS. NORTH E-Book

F. R. Lockridge

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Der Mann war klein und bewegte sich lebhaft, als er durch die ihm kaum bekannte Straße schritt. Er war zufrieden. Während er auf die U-Bahn-Station zuging, hakte er den Daumen in seine rechte Rocktasche und klopfte mit den Fingern außen gegen sie, um sich zu vergewissern, dass das steife, quadratische Kuvert noch darin war. Morgen Abend würde dieses Kuvert für ihn fünftausend Dollar bedeuten, und es war so gut wie gewiss, dass dieser Summe noch weitere folgten...

 

Der Roman Der Tod hat eine leise Stimme von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1959 (unter dem Titel Lächerlichkeit tötet).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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F. R. LOCKRIDGE

 

 

Der Tod hat

eine leise Stimme

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DER TOD HAT EINE LEISE STIMME 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Der Mann war klein und bewegte sich lebhaft, als er durch die ihm kaum bekannte Straße schritt. Er war zufrieden. Während er auf die U-Bahn-Station zuging, hakte er den Daumen in seine rechte Rocktasche und klopfte mit den Fingern außen gegen sie, um sich zu vergewissern, dass das steife, quadratische Kuvert noch darin war. Morgen Abend würde dieses Kuvert für ihn fünftausend Dollar bedeuten, und es war so gut wie gewiss, dass dieser Summe noch weitere folgten...

 

Der Roman Der Tod hat eine leise Stimme von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1959 (unter dem Titel Lächerlichkeit tötet).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

 

  DER TOD HAT EINE LEISE STIMME

 

 

 

 

 

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Gerald »Jerry« North – ein New Yorker Verleger. 

Pamela »Pam« North – seine Frau. 

Captain William Weigand – Beamter im Morddezernat. 

Sergeant Mullins – sein Assistent. 

Hilda Godwin – Schriftstellerin. 

Garrett Shaw – Kunsthändler. 

Alfrieda Shaw – seine Frau. 

Alec Lyster – Journalist. 

Bernard Wilson – Universitätsprofessor. 

Gilbert Rogers – Verleger. 

Harry Eaton – ein Einbrecher. 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Sonntag, 26. Oktober, 21.15 bis 21.21 Uhr

 

Der Mann war klein und bewegte sich lebhaft, als er durch die ihm kaum bekannte Straße schritt. Er war zufrieden. Während er auf die U-Bahn-Station zuging, hakte er den Daumen in seine rechte Rocktasche und klopfte mit den Fingern außen gegen sie, um sich zu vergewissern, dass das steife, quadratische Kuvert noch darin war. Morgen Abend würde dieses Kuvert für ihn fünftausend Dollar bedeuten, und es war so gut wie gewiss, dass dieser Summe noch weitere folgten.

Sie wurden ja immer knieweich, wenn man sie in die Zange nehmen konnte. Mochten sie reich und noch so großspurig sein – vor dem, der das richtige Mittel in der Hand hatte, wurden sie ebenso weich wie die Kleineren. Man musste nur mal Schwein haben, und das hatte er jetzt gehabt. Wurde ja auch allmählich Zeit. Vor vierundzwanzig Stunden – weniger als vierundzwanzig sogar – war Glück für ihn noch so ungreifbar gewesen wie in seinen ganzen über dreißig Lebensjahren. Aber jetzt hatte er es in der Tasche, so gut wie in barem Geld. Flott schritt er durch die ihm fast fremde Straße, diese stille, langweilige Straße, auf der mehrere Häuserblocks weit keine Kneipe zu sehen war.

Nicht, dass es ihn sonderlich danach verlangte. Ein Glas oder zwei hätte er schon verdient, und ein Grund zum Feiern war ja wirklich gegeben, doch schließlich konnte er auch noch warten, bis er wieder in seinem vertrauten Viertel war, um dann bei Julio etwas zu trinken. Da traf er sicher auch einen Bekannten dem er einen Schnaps spendieren konnte. Natürlich, ohne irgendetwas auszuquatschen. Nein, diesmal wollte er es sich nicht vermasseln.

Es war nicht mehr weit bis zu den hohen, imposanten Gebäuden am Broadway, die er hier über die kleineren Häuser hinausragen sah. Ja, dort saßen die schlauen Burschen, die hellen Köpfe. Das glaubten sie zu sein! Zum Brüllen, wenn man sich vorstellte, wie klug die sich alle dünkten. Er lachte kurz vor sich hin. Die großen Angeber und die kleinen Bosse, alle wurden weich, wenn man das richtige Druckmittel hatte. Oder sogar – und das war noch komischer –, wenn sie bloß glaubten, man hätte es!

Das war das Beste an diesem unerwarteten Glückstreffer! Als er gestern Abend losging, hatte er noch keine Ahnung gehabt, in was er da hineingeraten würde, und als er heute Abend das Telefongespräch führte, war er noch nicht ganz sicher gewesen, was für ein Wertstück er hier besaß. Aber jetzt wusste er, dass er damit einen großen Coup landen konnte. Irgend so ein Oberschlauer hätte ihm das vielleicht ausgeredet, ihm abgeraten, das Haus überhaupt zu betreten. Er hatte es sich ja beinahe selbst ausgeredet, denn was konnten die Bewohner eines solchen Hauses schon besitzen, das dieses große Risiko bezahlt machte? Da hatte er sich erst in Erinnerung bringen müssen, dass Leute, die in der teuren New Yorker Innenstadt ein noch so winziges Haus bewohnten, wahrscheinlich Dinge besaßen, die zu holen schon einen Versuch lohnte. Und hatte sich selbst erst überzeugen müssen, dass man die Sache leicht deichseln konnte, weil an der Rückseite des Hauses ein Fenster nicht ganz geschlossen war. Gewiss, so ging es ihm ja meistens – bei jedem neuen Job wurde er nervös. Na, jetzt konnte er es sich ja leisten, eine lange Pause einzulegen, bis er wieder ranmusste. Vielleicht überhaupt nicht wieder, bei dem Dusel, den er jetzt hatte. Vielleicht brauchte er nun nie wieder lange Finger zu machen.

Sogar jetzt, nachdem es so fein geklappt hatte, wurde er beim Gedanken an gestern Abend noch ganz nervös. Es wäre ja auch um ein Haar schiefgegangen. Zweimal hatte es ausgesehen, als könnte er froh sein, wenn er mit heiler Haut davonkam. Das war ja das Leiden bei diesen Jobs, und er durfte sich das jetzt, weil er nun damit Schluss machen konnte, ruhig eingestehen: Entweder regten sie einen auf – als reines Abenteuer –, so wie es Sammy immer ging, oder man wurde nervös. Er wurde jedes Mal nervös, da half alles nichts.

Aber trotzdem – er hätte Sammy mal in der Klemme sehen mögen, in der er gestern Abend ausharren musste, als die Hausbesitzerin früher, als er erwartet hatte, zurückkam! Er hätte Sammy mal sehen mögen – die schmalen Treppen rauf- und runterschleichen und sich dann im Badezimmer verstecken und feststellen müssen, dass außen am Fenster keine Feuerleiter da war – unerhört gesetzwidrig, so etwas! Und wie dann – als es schien, alles würde noch gut gehen –, wie dann der andere Kerl dazu kam, den sie in so sonderbarem Ton beim Namen genannt hatte. Na, wäre da Sammy vielleicht nicht nervös geworden? Mann, einen Heidenbammel hätte der gekriegt! Jeder! Er selbst war ja so bange geworden, dass er bestimmt alles aufgegeben hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Wenn sie nicht so gestanden hätten, dass sie die Tür sehen und mit zwei Schritten hinkommen konnten, dann wäre er weggerannt wie ein gehetztes Karnickel. Stattdessen hatte er sich wieder in das Bad zurückziehen müssen und nur hoffen können, dass keiner den Raum benutzte.

Noch jetzt, während er auf dieser stillen Straße durch die warme Nacht schritt, erschauerte er unwillkürlich bei der Vorstellung, wie knapp er entkommen war und was es bedeutet hätte, wenn er geschnappt worden wäre. Er atmete wieder die feuchte Wärme des Badezimmers, horchte wieder auf Geräusche, die ihm anzeigen sollten, wann die Flucht möglich wurde. Hörte wieder die lauter werdenden Stimmen von unten und versuchte wieder – auch jetzt vergeblich – Worte zu verstehen, aus denen er entnehmen konnte, was die beiden vorhatten. Er hatte den Eindruck, dass sie sich stritten, und dann war das lange Schweigen eingetreten, das für ihn schlimmer als alles andere gewesen war.

Was dieses Schweigen bedeutet hatte, konnte er sich jetzt denken, aber es hätte auch etwas ganz anderes bedeuten können und hatte ihm gestern Abend gar nichts über seine Chance, ungeschoren davonzukommen, gesagt. Ihm war das Wasser nur so runtergelaufen, so hatte er geschwitzt. Eine drückende Hitze war im Bad gewesen. Sonderbares Gefühl, schweißnass zu sein und doch ganz kalt vor Nervosität; gleichzeitig zu schwitzen und zu frieren. Es war ihm vorgekommen, als hätte es eine ganze Stunde gedauert, bis er die Wohnungstür zuschlagen hörte.

Aber auch so hatte er natürlich noch warten müssen. Mann, in dieser Lage hätte er mal Sammy sehen mögen, den kessen Sammy, wie der geschwitzt hätte bei dem Warten, ob da jemand heraufkommen würde, um zu Bett zu gehen. Warten und warten, und dabei zu wissen, dass Leute, wenn sie schlafen gingen, mit fast tödlicher Sicherheit vorher noch das Badezimmer benutzten. Allerdings hatte Sammy auch nicht, wie er, bei seiner nächsten Strafe mit Sicherungsverwahrung zu rechnen. Deshalb konnte der leicht große Töne reden!

Na – es war ja überstanden, und jetzt ging er durch diese ruhige Straße und hatte ein größeres, quadratisches Kuvert, dessen Inhalt fünf Tausender wert war, in der rechten Rocktasche, gegen die er mit den Fingern klopfte. Nun brauchte er nicht mehr verzweifelt gegen seine Nerven anzukämpfen, wie gestern, als er die ersten Schritte aus dem Badezimmer wagen musste.

Das war die letzte harte Nuss gewesen, alles Übrige ging wie geölt. Feine Sache, dass die beiden weggegangen waren und ihn allein im Hause gelassen hatten! Prima, dass er, da er sonst nicht viel fand, was zum Mitnehmen verlockte, sich wenigstens das kleine Diktiergerät gegriffen hatte! Es sah noch neu aus und brachte sicher ein paar Dollar. Ließ sich auch bequem tragen. Ja, nach viel mehr als ein paar Dollar hatte es nicht ausgesehen – was nebenbei mal wieder bewies, wie sehr man sich täuschen konnte. Sobald er nämlich gehört hatte...

Er befand sich nun in der Mitte des letzten Häuserblocks der stillen Straße. Die nächste Querstraße war der Broadway. Die U-Bahn-Station lag an der Ecke, und von dort fuhren die Züge in Richtung Bowery, in die ihm vertraute Gegend.

Der Kombiwagen fuhr von hinten langsam an ihm vorbei und bremste ein Stück vor ihm am Kantstein. Es sah absolut harmlos aus. Aber er wusste trotzdem Bescheid, auch schon, bevor er bemerkte, wer aus dem Wagen stieg.

Der kleine Mann war fix. Sein Entschluss war schnell gefasst. Eben war er doch an einem Briefkasten vorbeigekommen? Das war die Masche! Kam wie gerufen. Er lief zu dem Kasten zurück und zerrte das Kuvert aus der Rocktasche. Hinter sich hörte er schnelle Schritte.

Nur den Briefkasten musste er erreichen, dann war er gerettet. Wenn er den erreichte, konnten sie ihm nichts anhaben. Er streckte bei den letzten Schritten schon die linke Hand vor. Seine Finger ergriffen die eiserne Klappe des Kastens und hoben sie hoch. Die rechte Hand mit dem Kuvert fuhr zum Schlitz hinauf, und dann... dann war er gerettet.

Während er sich abwandte, meinte er, das Zufallen der eisernen Klappe zu hören.

Aber wirklich gehört hatte er gar nicht mehr, wie sich die Klappe über dem Kuvert schloss, obwohl sie keineswegs geräuschlos zugefallen war.

 

 

 

 

   Zweites Kapitel

 

 

Montag, 27. Oktober, 20.30 bis 22.40 Uhr

 

Sie kam wenigstens nicht in eine ganz leere Wohnung, dachte Pamela North. Es war doch schön, eine Katze zu haben. Pamela, die, einen Koffer in der Linken, im hellen Mantel und ohne Hut sehr chic aussah, hörte Martini schon hinter der geschlossenen Tür. Ihr Miauen drang deutlich hindurch, es klang höchst empört.

»Ssst, Martini!«, sagte Pamela, indem sie die Tür wieder hinter sich zumachte und ihren Koffer zu Boden setzte. »Es tut mir sehr leid. Ich wollte wirklich schon gestern Abend zurückkommen, aber ich hatte mich im Fahrplan geirrt, weil wir ja keine Sommerzeit mehr haben. Hat Martha dich denn nicht gefüttert?«

Die Katze miaute Mitleid erregend. Pamela ging, noch im Mantel, in die Küche und öffnete eine Dose Fleisch für Martini, die sich mit Begeisterung darübermachte.

Aber schön war es doch nicht, in ein verlassenes Heim zu kommen. Jerry fehlte ihr doch sehr, wenn er mal für länger als einen Tag verreist war, wie jetzt, dachte Pamela.

Die Post wartete auf sie, ebenso ein Zettel von Martha, der oben auf dem kleinen Stapel Briefe lag.

Mr. Mutton hat angerufen, hatte Martha aufgeschrieben. Wenigstens sah es aus wie Mutton. Sagte, Sie kämen abends zurück. Martini hat sich morgens übergeben. Hatte Stahlwolle verschluckt. 

Soweit alles verständlich – bis auf den Namen Mutton, der Pamela unbekannt war. Martini hatte natürlich ihr Fressen wieder so unbesonnen hinuntergeschlungen wie meistens. Neue Stahlwolle fürs Parkett musste Martha übrigens besorgen. Ob Mr. Mutton noch mal anrufen würde? Einen Mr. Mutton gab es gewiss gar nicht. Martha war eine treue Seele, und kochen konnte sie vorzüglich, doch manche Kleinigkeiten, wie zum Beispiel das Notieren von Telefongesprächen, hätte sie entschieden besser machen können. Doch da war nicht viel zu hoffen. Mr. Mutton hatte also angerufen und gesagt – so schrieb Martha, aber sicher meinte sie: ich sagte ihm –, dass Mrs. North abends wieder zurück sein würde. Kopfschüttelnd legte Pamela den Zettel beiseite. Nun, vielleicht brachte die Zeit noch Klarheit über Mr. Mutton.

Von Jerry war heute kein Brief da. Bergdorf 8t Saks und Lord 8c Taylor zeigten Sonderverkaufstage an. Ein Brief für Jerry von seinem Club. Auch einer vom Verlag des Who’s Who. Sicher wollten die eine Ergänzung seiner biographischen Daten haben, die Jerry ihnen schon seit vier Wochen schicken wollte und was er immer wieder vergessen hatte. Diese Briefe schob Pamela beiseite. Sie hatten Zeit, bis er wieder da war.

Pamela nahm dann die unter der Briefpost liegenden Morgenzeitungen zur Hand, aber was diese brachten, hatte sie ja schon in der Bahn, während der Rückfahrt von ihrem Wochenendausflug, gelesen. Unter den Zeitungen fand sie noch ein quadratisches Kuvert aus festem Karton mit dem Aufdruck: Nicht biegen! – Stimmschreiber-Platte. 

Sie drehte das Kuvert hin und her und konnte keinen Absender entdecken. Sie versuchte den Poststempel zu entziffern, aber er war zu undeutlich. Jedenfalls war dieser Brief nicht durch eine Frankiermaschine gelaufen, die ja ganz klare Stempel machte. Gewiss, um jede Gefahr des Verbiegens zu vermeiden. Und der Handstempel war hastig hingepfuscht, so verschmiert, dass der Brief aus jedem beliebigen Ort in den Vereinigten Staaten kommen konnte.

Pamela kannte das Diktiergerät Marke Stimmschreiber, denn Jerry benutzte im Verlag auch so eins. Es sah eigentlich wie ein Plattenspieler aus und war halb Aufnahme-, halb Wiedergabegerät. Man konnte beide getrennt voneinander benutzen. Hin und wieder brachte Jerry die eine Hälfte mit nach Hause und diktierte dann den ganzen Abend in das Ding. Der Vorteil dieses Diktiergeräts war, dass die kleinen Platten bequem per Post verschickt werden konnten. Diese Platte schien, aus irgendeinem Grund, wieder zurückgekommen zu sein. Na, egal, die musste auch warten, bis Jerry... Halt mal! Als sie das Kuvert auf die andere Briefpost legen wollte, hielt sie inne. Hieß die Adresse wirklich Mr. North, oder sollte das Mrs. heißen? Sie studierte das Gekritzel. Das ließ sich wirklich nicht mit Sicherheit entscheiden. So eine Krakelei! Aber wenn die Sendung für sie sein sollte...?

Noch nie hatte jemand von Pamela North sagen können – jedenfalls keiner von den Leuten, die sie näher kannten –, dass sie keine lebhafte Phantasie hätte. Man hatte es erlebt, wie sie aus den kleinsten Widersprüchen, auf die sie stieß, die unwahrscheinlichsten Theorien entwickelte. Warf ihr das jemand vor, so hatte sie gleich ihre Antwort bereif, dass nach ihren Erfahrungen sich das Unwahrscheinlichste stets als das Nächstliegende erwiesen hatte. Besonders erleben das Leute, die mit Bill Weigand befreundet sind, setzte sie jeweils hinzu. Und nicht einmal Captain William Weigand vom Morddezernat Manhattan-West bestritt das, wenn ihm auch bei diesem Thema immer wieder die alte Streitfrage in den Sinn kam: Was war zuerst da – das Ei oder die Henne?

Was sich jetzt in Pamelas Phantasie regte, als sie die Platte des Diktiergeräts in den Händen drehte, war der Gedanke, dass ihrem Jerry, der einsam im fernen San Francisco weilte, etwas passiert sein müsse. Für einen Moment rechnete sie gar mit der Möglichkeit, dass man ihn dort im Chinesenviertel gefangen hielt. Doch diesen Gedanken wies sie wieder von sich. Sie hatte dieses Viertel in San Francisco selbst gesehen und es keineswegs Schrecken erregend gefunden. In New York war das Chinesenviertel kleiner, doch ganz entschieden gefährlicher. Aber in San Francisco, das wie keine andere Stadt den Anreiz zu fröhlichen, aber aufregenden Abenteuern bot, konnte ja auch sonst etwas passiert und Jerry davon betroffen sein.

Angenommen – ja, nur mal angenommen, es wäre ihm etwas passiert. Und angenommen, er wäre nicht in der Lage, ihr auf einfachere Weise eine Mitteilung zu geben, hätte aber die Gelegenheit gehabt, ein Diktiergerät zu benutzen...? Und hätte dann jemanden beauftragt, die besprochene Platte seiner Frau zuzuschicken...? Denn er selbst hatte das Kuvert nicht abgeschickt; jedenfalls nicht die Adresse geschrieben. Wenn nun seine Rettung, seine Sicherheit davon abhing, ob sie die Nachricht auf der Platte hörte oder nicht hörte...?

Oder – weniger Bedrohliches angenommen –, wenn Jerry nur mal mit ihr hatte sprechen wollen und das auf diese Art tat...? Wenn er sich dort auf der anderen Seite des Kontinents vereinsamt vorkam und gern mal sagen wollte – nun: Hallo, Pam. Na, wie geht’s dir denn, mein Liebes? Und ist Martini auch munter? – wenn er ihr so etwas Ähnliches sagen wollte...? Oft leistete sich Jerry solche Extravaganzen ja nicht, aber immerhin war es schon vorgekommen.

Pamela betrachtete noch einmal die Adresse, und je länger sie diese betrachtete, um so bestimmter glaubte sie, dass die Anschrift Mrs. und nicht Mr. North lautete.

»Es ist ja nicht bloße Neugier«, sagte sie zu Martini. »Nein, wahrhaftig nicht, aber überzeugen muss ich mich.«

Und Pamela machte sich sofort auf den Weg. Martini war noch nie so perplex gewesen. Eben angekommen und dann gleich wieder weg? Es half nichts, die Wohnungstür fiel zu. Martini musste wieder allein bleiben.

Pamela trug das Kuvert in der Hand, da es in ihr kleines Täschchen nicht hineinpasste. Sie nahm sich ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse von Jerrys Verlag. Nach kurzer Fahrt hielt das Taxi vor dem Eingang eines ruhig und unaufdringlich wirkenden Gebäudes, in dem der Verlag North Books das dritte Stockwerk einnahm. Ein Kombiwagen, der in der Nähe des Washington Square hinter dem Taxi eingeschwenkt war, fuhr jetzt vorbei und hielt ein paar Häuser weiter am Kantstein.

Mrs. North ging in die kleine Halle, wo ein älterer Mann, der an einem kleinen Tisch saß und in der vorletzten Ausgabe der Zeitschrift Time las, ihr forschend entgegenblickte.

»Oh«, sagte er, »guten Abend, Mrs. North.«

»Guten Abend, Mr. Helder«, gab sie zurück. »Ist es heute nicht herrlich draußen?«

»Bleibt aber nicht so!«, antwortete Sven Helder. »Wollen Sie nach oben?« Er seufzte.

»Ja, bitte«, sagte Pamela, »so ungern ich Sie jetzt noch behellige.«

»Kann man nichts machen!«, meinte Helder, indem er die aufgeschlagene Zeitschrift mit dem Umschlag nach oben auf den Tisch legte. Dann reichte er Pamela ein Kontrollbuch. »Müssen sich aber eintragen«, sagte er.

Pamela North legte ihre Handtasche und das Kuvert auf den Tisch und trug ihren Namen mit dem Zusatz North Books in das Buch ein. Sven Helder sah sich ihren Namenszug bedächtig an, zog eine dicke Uhr aus der Tasche, las die Zeit ab und schrieb hinter die Worte North Books in die Rubrik Uhrzeit: 21.32 Uhr.

Dann stand er auf, indem er sich mit beiden Händen an dem kleinen Tisch hochstemmte, und ging zu den Fahrstühlen.

»Es ist niemand oben«, sagte er. »Überhaupt kein Mensch im Haus«, fügte er hinzu, als sie zwischen dem ersten und dem zweiten Stock emporrumpelten. »Sie sind die einzige.«

In seinem Ton lagen ein leiser Vorwurf und die Schicksalsergebenheit eines schwergeprüften Mannes.

»Ja, entschuldigen Sie bitte«, sagte Pamela.

»Kann man nichts machen!«, meinte Sven Helder. »Dazu bin ich ja schließlich hier.« Er seufzte schwer.

»Ich bleibe nicht lange«, sagte Pamela zwischen dem zweiten und dritten Stock, um ihn zu trösten.

»Spielt ja keine Rolle«, gab Sven Helder zurück, indem er den Fahrstuhl so anhielt, dass die Plattform ein kleines Stück unter dem Boden der Etage blieb. »Kann sich festrammeln, wenn ich ihn ganz heranbringe«, sagte er zur Erklärung.

»Ach, das macht gar nichts«, entgegnete Pamela und stieg vorsichtig aus.

»Klingeln Sie, wenn Sie mich brauchen«, forderte Helder sie auf und schob die Gittertür wieder zu. Zentimeterweise glitt der Fahrstuhl abwärts.

Pamela schloss die Tür auf, deren Glasscheibe die Inschrift North Books trug, und betrat die Büroräume. Bei Nacht kam ihr alles weit größer vor, als es war. Sie schaltete das Licht ein und ging zwischen den Schreibtischreihen zu Jerrys Zimmer, wo sie auch Licht machte. Hier konnte sie die Platte auf seinem Diktiergerät abspielen.

Sie fand das Gerät und nahm die Platte aus dem Kuvert, das sie gedankenlos in einen Papierkorb fallen ließ. Sie legte die Platte auf und schaltete das Gerät ein. Zuerst kam nur ein leises Summen. Dann hörte sie eine Stimme, eine Frauenstimme. Doch die klang entfernt, wie wenn die Sprecherin das Mikrophon nicht nahe genug am Mund hielte. Aber deutlich war sie trotzdem. Pamela merkte, dass die Frau erregt war und ungewöhnlich laut sprach.

»Du musst verrückt sein«, hörte sie die Stimme sagen. »Weshalb sollte ich denn...«

»Weil du keine andere Wahl hast«, fuhr eine zweite Stimme dazwischen. Es war die Stimme eines Mannes.

Auch sie klang überlaut. Sie hatte einen harten, metallischen Ton, doch das konnte auch am Gerät liegen. Es folgte ein kurzes Schweigen, und auf einmal lachte die Frau so schrill, dass Pamela gespannter horchte, denn es klang ganz unnatürlich.

»Du tobst und polterst hier wer weiß wie«, rief die Frau jetzt. »Willst mich wohl kleinkriegen, wie?«

»Mehr als das, viel mehr, wenn’s nötig wird«, entgegnete der Mann. Pamela glaubte einen britischen Akzent in seiner Sprache wahrzunehmen.

»Du scheinst wirklich den Verstand verloren zu haben, was?«, sagte die Frau. »Offenbar Größenwahn, wie? Nur um dein kümmerliches kleines Ich zu befriedigen, verlangst du von mir – oh Gott, nein!«

»Wir wollen das nicht noch mal durchkauen«, sagte der Mann. »Falls du das Geld brauchst, will ich dir den Verlust ersetzen.«

»Abgesehen von allem übrigen – wie willst denn du das abschätzen können?«, fragte die Frauenstimme höhnisch. »Kann das überhaupt jemand? Und was hat das hiermit zu tun? Ein ganzes Jahr habe ich daran gearbeitet. Über ein Jahr. Soll ich da noch nachzählen, wie oft es vorgekommen ist? Du hast doch fortwährend...«

»Ist alles längst besprochen«, unterbrach der Mann sie jetzt grob. »Du hast es klar genug ausgedrückt, darauf verstehst du dich ja vortrefflich!«

»Klarheit!«, sagte sie. »Die feine Schneide des klaren Ausdrucks – erinnerst du dich an das Zitat? Sie ist dir wohl zu fein geschliffen, wie? Allzu...«

»Ich will die Kopien haben!«, forderte der Mann. »Zum Donnerwetter, wenn du etwa glaubst...«

»Dann wende dich an meinen Agenten«, sagte die Frau und lachte wieder.

»Lass das Lachen!«, rief er. »Verstehst du nicht – du sollst aufhören damit!«

»Ach, das kümmerliche kleine Ich!«, rief sie. »Der arme, zitternde kleine Mann! Wenn ich mich recht erinnere...«

»Schweig!«, schrie er. »Schweig, habe ich gesagt!«

»Du Wichtigtuer!«, sagte sie. »Bange ist der kleine Mann! Um seinen Ruf, seine Position! Oh, werden die Leute lachen! Darauf kannst du dich verlassen! Sie werden sagen: Du weißt doch, wer hier gemeint ist, nicht wahr? Er ist der einzige, der es nicht fertiggebracht hat. Er ist der ewig schwätzende, kleine Heuchler, der...«

»Das ist alles gelogen!«, rief er und schleuderte ihr mit beinah kreischender Stimme ein Schimpfwort zu.

»Und wenn?«, entgegnete sie. »Ganz buchstäblich genommen, vielleicht schon, aber im Kern ist es doch die Wahrheit. Nenn es symbolisch. Du hast ja so gern von Symbolen geredet, weißt du noch? Ich hab’s nicht vergessen.« Und sie lachte wieder.

Einige Sekunden war es still, bevor der Mann wieder sprach. Jetzt hatte seine Stimme einen sonderbaren Tonfall. Sie klang so merkwürdig unbeteiligt, als spräche er für Ohren, die ihn gar nicht mehr hören konnten.

»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht lachen! Merk dir das. Und dass ich dir noch eine Chance geben wollte, du...«

Hart und monoton klang die Stimme, aber nicht drohend, und doch schrie die Frau jetzt auf.

Ein einziger Schrei, der wie von weither zu kommen schien – ganz dünn, wie der Schrei einer sprechenden Puppe.

»Es ist, als tötete ich eine Schlange«, sagte der Mann wieder ebenso hart und ohne ein Wort zu betonen. »Eine kleine, glänzende, aber tödlich giftige Schlange.«

»Du kannst...« Und dann kam ein rauer, gepresster Laut aus der Kehle der Frau – ein Gemisch aus Anstrengung, Schmerz und Entsetzen. Dann war eine ganze Minute, oder noch länger, gar nichts zu hören und schließlich ein scharfes Geräusch, als fiele ein Gegenstand aus Metall, vielleicht auch ein Glas, auf eine ebenso harte Fläche.

Danach hörte man nur noch das Summen des Diktiergeräts. Keinen einzigen menschlichen Laut mehr.

Pamela North stand da und starrte auf die rotierende Scheibe. Stand und wartete, ob nicht wieder Stimmen ertönten. Doch es kam nichts mehr. Nur das gleichmäßige Summen war zu hören. Nach einer Weile begann Pamela ein wenig zu zittern. Es wurde ihr klar, dass sie Ohrenzeugin eines Mordes gewesen war. Sie nahm die Platte vom Gerät, hielt sie in beiden Händen und betrachtete sie.

Während sie, die Platte in den Händen, dastand, hörte sie ein leises Geräusch. Es war, als habe jemand, der sich sehr vorsichtig bewegte, einen Stuhl angestoßen, der leicht gegen ein anderes Möbelstück stieß.

Pamela wandte sich zur Tür, die sie offengelassen hatte. Als sie, um nachzusehen, in den vorderen Büroraum gehen wollte, erlosch dort das Licht.

Pamela handelte schnell. Sie lief sofort zum Schalter neben der Tür und knipste auch in Jerrys Zimmer das Licht aus. Von der Leuchtschrift am gegenüberliegenden Haus fiel etwas Licht in den Raum. Pamela blieb regungslos stehen und wünschte, es möge noch dunkler sein. So sehr sie auch lauschte – es war nichts mehr zu hören.

Als sich nach einer Weile immer noch nichts regte, glaubte sie, sich doch getäuscht zu haben. Dagewesen war selbstverständlich jemand, denn der Betreffende hatte ja die Beleuchtung ausgeschaltet. Das konnte Sven Helder gewesen sein. Oder – war es der Mann gewesen, dessen Stimme sie eben gehört hatte? Vielleicht war er gekommen, um sie zu holen.