DER ZUFÄLLIGE MORD - EIN FALL FÜR MR. UND MRS. NORTH - F. R. Lockridge - E-Book

DER ZUFÄLLIGE MORD - EIN FALL FÜR MR. UND MRS. NORTH E-Book

F. R. Lockridge

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

William Weigand trifft in der Ferienkolonie Lone Lake ein. Er kommt gerade recht, um das aufregende Finale des alljährlichen Tennisturniers zu erleben.

Aber noch andere, weit weniger erfreuliche Sensationen erwarten Kriminal-Lieutenant Weigand an seinem Urlaubsort. Zum Beispiel: ein Doppelmord...

 

Der Roman Der zufällige Mord von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1941; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1969 (unter dem Titel Zufällig Mord).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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F. R. LOCKRIDGE

 

 

Der zufällige Mord

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DER ZUFÄLLIGE MORD 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

William Weigand trifft in der Ferienkolonie Lone Lake ein. Er kommt gerade recht, um das aufregende Finale des alljährlichen Tennisturniers zu erleben.

Aber noch andere, weit weniger erfreuliche Sensationen erwarten Kriminal-Lieutenant Weigand an seinem Urlaubsort. Zum Beispiel: ein Doppelmord...

 

Der Roman Der zufällige Mord von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1941; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1969 (unter dem Titel Zufällig Mord).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

 

  DER ZUFÄLLIGE MORD

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Samstag, 09. September

15.15 Uhr bis 16.00 Uhr

 

William Weigand warf einen raschen Blick auf die kleine Planskizze, entschloss sich, es doch zu riskieren, und bog von der Bundesstraße 22 nach links auf eine kleine Schotterstraße ab. Er fuhr etwa fünfzig Meter weiter und hielt am Straßenrand, um sich die Skizze nochmals anzuschauen, aber dann musste er sich eingestehen, dass er jetzt nicht weiterwusste. Gerade hier, wo Mrs. North eine kleine Schlangenlinie eingezeichnet hatte, müsste eigentlich eine Seitenstraße kreuzen. Aber da war keine Spur einer Seitenstraße. Von rechts floss nur ein nichtssagender kleiner Bach, verschwand unter der Straße und plätscherte auf der anderen Straßenseite müde weiter.

»Natürlich«, sagte sich Weigand, »sie könnte schließlich auch einen Bach gemeint haben. Der Himmel mag wissen, warum. Den Croton River hat sie jedenfalls nicht eingezeichnet.«

Mit dem Zeigefinger fuhr er noch einmal die Bleistiftlinien zurück bis zum Ausgangspunkt. Durch den Ort Brewster hindurch, immer die Bundesstraße 22 entlang – soweit stimmte es noch. Dahinter, acht Kilometer links, bis zu einer kleinen geschlängelten Linie, die zu überqueren war und in diesem Fall auch ein Bach sein konnte. Dann bis zu einer Gabelung – vorausgesetzt, dass dieser Krakel auch wirklich eine Gabelung bedeuten sollte – rechts ab weiter, bis zu einem Punkt, neben dem ein Vermerk weiße Kirche stand, dort scharf links ab bis geradewegs zum Ziel Ireland – einfach Ireland. Mrs. Norths Planskizzen stellen sich genauso kapriziös dar wie sie selbst, überlegte Weigand schmunzelnd, als er wieder in den Wagen stieg.

Na, das war eigentlich auch zu erwarten, dachte er erleichtert, als er den Bach entschlossen hinter sich gelassen hatte und jetzt endlich die Gewissheit von einem schwarz-weißen Schild ablesen konnte: N. Y. 22. Also war er doch da, wo er sein sollte.

Die Straßenabzweigung ermutigte ihn, nach rechts abzubiegen. Er traf auf die erwartete zweite Gabelung, leider jedoch ohne Kirche, weder weiß noch andersfarbig. Weigand hielt an und schaute sich um. Weit und breit keine Kirche. Er seufzte, stieg aus und ging einige Schritte zurück, bis er auf der linken Straßenseite über ein paar niedrig gewachsene Bäume spähen konnte. Etwas Helles schimmerte durch die Zweige. Weigand kletterte die Straßenböschung hinauf, und tatsächlich – da stand eine kleine Kirche. Von der Straße war sie zwar nicht zu erkennen, und auch die Farbe konnte nicht gerade weiß genannt werden, aber immerhin – es war doch eine Kirche. Weigand schüttelte den Kopf über Mrs. North, die offensichtlich aus dem Stand Baumwipfel überblicken konnte, ging zum Wagen zurück und hielt sich links. Die Straße führte jetzt in Windungen bergauf und bergab, bis sie plötzlich in ihrer ganzen Breite blockiert war. Eine Kuhherde schob sich geruhsam voran. Weigand schlich im ersten Gang hinterher. Ein kleiner Junge versuchte, die Kühe auf die rechte Straßenseite abzudrängen, während zwei Hunde sich alle Mühe gaben, die Tiere wieder nach links zu jagen. Schließlich gelang es Weigand aber doch, sich an der Herde vorbeizudrücken. Würdevoll und ernst schauten die Kühe ihm nach.

Eigentlich müsste ich Ireland jetzt bald erreicht haben, dachte er, als die Straße wieder einmal anstieg. Oben traf er auf eine Abzweigung, die Mrs. North anscheinend auf ihrem Plan vergessen hatte. Dennoch war Weigand sich sicher, hier richtig zu sein. Vorsichtig fuhr er bergab und fand sich unversehens am Ziel: Frank Irelands Blockhaus-Laden, das ganze Jahr geöffnet. Weigand hielt und ging ins Haus, um sich nach den Norths zu erkundigen. Mr. Ireland, ein stämmiger, heiser krächzender Mann, ging erst einmal zur Tür, um in hohem Bogen seinen Kautabak auszuspucken, dann winkte er Weigand, ihm zu folgen, und gestikulierte anschaulich, dass Weigand sich links halten solle und etwas weiter unten durch das Tor in der Mauer fahren müsse. Dahinter waren wohl die Norths zu finden.

»Sagen Sie Pam und Jerry«, Mr. Ireland bewies unerwartet, dass er auch sprechen konnte, »ich hätte Milch, wenn sie welche haben wollen. Sie sind beide ganz große Milchtrinker«, fuhr er fort und lachte heiser, als handle es sich um einen guten Witz.

»Danke«, erwiderte Weigand, »ich werde es ausrichten.« Er fuhr noch das kleine Stück bis zu dem Tor in der Mauer. Dahinter sah er schon den Wagen der Norths parken. Es war zwar nicht der, den sie im Frühjahr gehabt hatten, aber dennoch war es ihr Wagen. Weigand erkannte ihn an der Zulassungsnummer. Während er seinen Wagen hinter dem der Norths abstellte, fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt war, der diese Zulassungsnummer auswendig wusste – ganz im Gegensatz zu den Besitzern,

Niemand trat aus dem seitab liegenden kleinen Holzhaus. Nur ein großer schwarzer Kater erschien in der Tür.

»Hallo Peter«, rief Weigand ihm zu, »was macht die Mäusejagd?«

Der Kater schaute interessiert und kam schnuppernd näher. Er roch an Weigands Schuhen und rollte sich entzückt auf den Rücken, um am Bauch gekrault zu werden. Weigand verstand die Aufforderung und tat dem Tier den Gefallen. Aus lauter Wohlbehagen und Verspieltheit kratzte ihm Peter zum Dank den Handrücken blutig, was Weigand bewies, dass wenigstens der Kater der gleiche geblieben war.

Als Weigand sich erhob und auf das Holzhaus zuging, reagierte Peter ungnädig maunzend. Auf Weigands laute Hallo-Rufe rührte sich immer noch nichts. Er ging um das Haus herum und sah, dass die Wiese hinter dem Haus zu einem See abfiel. Unten lagen zwei Tennisplätze, und ringsum wimmelte es von Leuten. Das war also der Lone Lake, und das war wohl immer noch das Tennisturnier, das er verpasst zu haben glaubte, weil er nicht schon am letzten Wochenende herübergekommen war. Aber nun sah es ganz so aus, als sei er noch zeitig genug eingetroffen, um wenigstens die Endrunde zu sehen. Langsam ging er hinunter.

Etwa zwanzig Leute im Tennisdress waren versammelt. Sie saßen auf Klappstühlen oder räkelten sich in Liegestühlen, sahen zu und fachsimpelten. Plötzlich hörte Weigand eine vertraute Stimme.

»Verflixt«, sagte Mrs. North, »oh, verflixt noch mal!«

Aus der hintersten Ecke des Spielfeldes flog ein Ball, von Mrs. North geschmettert, über die Grundlinie und kam neben Weigand zu Boden. Weigand hob ihn auf und warf ihn zurück. Die Norths winkten ihm zur Begrüßung mit den Tennisschlägern zu.

»Hallo!«, rief Mr. North düster zu ihm hinüber. Es klang, als leide er an Depressionen. Weigand winkte zurück und ging auf einen freien Stuhl zu. Die Norths spielten im gemischten Doppel zusammen und schienen nicht besonders erfolgreich zu sein.

Neben Weigand saß ein junges Mädchen, das er zuvor noch nie gesehen hatte.

»Sch, sch...«, sie zischte vor Begeisterung, »Finale!«

»Ganz recht«, erwiderte Weigand und beobachtete Mrs. Norths Aufschlag. Der hätte besser sein können. Der Gegenmann jedenfalls spielte härter. Mrs. North parierte seinen Ball mit Rückhand und beförderte ihn schwungvoll – ins Netz.

»Fünf zu drei«, rief der Schiedsrichter und sah etwas verblüfft über den Rand seiner Punktliste. »Miss Corbin und Mr. Saunders führen.«

Miss Corbin war ein zierliches dunkelhäutiges Mädchen in blendendweißen Tennisshorts und knappsitzender Bluse. Ihr Gesicht war merkwürdig scharfzügig. Jeder, der sie betrachtete, musste glauben, seine Sehkraft habe sich verdoppelt, so sehr drängten sich Details ihres Gesichts auf. Mr. Saunders, ein schlaksiger blonder Mann mit sonnengebräuntem Gesicht, wirkte leger und gelassen. Diesmal gab Miss Corbin den Ball.

»Jeder noch einen Satz!«, sagte Weigands Nachbarin.

»Aufregend, was?«

Weigand bestätigte es höflich.

»Erst sah es so aus, als ob Jerry und Pam vorne lägen, aber plötzlich gingen Jean und Hardie scharf ran. Es ist fabelhaft, wie die beiden aufeinander eingespielt sind. Sie sind wirklich besser als alle anderen.«

Weigand widersprach nicht. Miss Corbin, die mit Vornamen sowohl Jean als auch Hardie heißen konnte, sandte ihren Ball mit boshaftem Schwung Mrs. Norths Rückhand entgegen. Mrs. North schlug den Ball hoch über Saunders hinweg, Miss Corbin gab Deckung, aber ihr Ball kam in hohem Bogen ziemlich lahm herunter. Mr. North schmetterte ihn zurück und schaute dabei sehr zufrieden drein, um gleich darauf aufzustöhnen, weil er es nicht verhindern konnte, dass der Ball des Gegners weitab ins Spielfeld ging und unbehelligt über die Begrenzungslinie davonrollte. Mr. North kehrte auf seinen Platz zurück und schüttelte missvergnügt den Kopf. Mrs. Norths nächster Querschlag jagte den Ball an die Netzkante und ließ ihn zu Boden gehen. Ihr Mann schüttelte wiederum den Kopf.

»Komm, Jerry«, sagte Mrs. North, »wir schaffen die beiden schon!«

Er schaute sie nur zweifelnd an. Dann raffte er sich auf, parierte so forsch wie möglich, leider aber knapp an der Seitenlinie vorbei – aus. Fassungslos ließ er den Schläger fallen und hämmerte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

»Vierzig zu fünfzehn«, vermerkte der Schiedsrichter. »Endrunde«, fügte er aus reiner Nervosität hinzu.

Mr. North funkelte ihn an. Seine Frau stürzte sich dem gegnerischen Ball entgegen. Vorhand – Schmetterball. Pluspunkt! 

»Vierzig – dreißig«, selbst der Schiedsrichter war jetzt gespannt.

Miss Corbin reagierte mit plötzlichem Tempowechsel. Mr. North machte einen Satz nach vorn, parierte prompt, und jeder sah gebannt den Ball in scharfem Winkel über das Netz kommen und unter dem Schwung eines offensichtlich unbeabsichtigten Gegenschlages wieder in das Feld der beiden Norths zurückprallen.

»Oh«, sagte die junge Dame neben Weigand, »oh, oh!« Eigentlich riefen alle spontan oh, außer dem Schiedsrichter. Der sagte nur: »Einstand!«

Miss Corbin stieß ihren Schläger ärgerlich auf den Boden und sagte etwas zu Mr. Saunders, was Weigand nicht verstehen konnte, aber es klang unfreundlich. Man sah auch, wie Saunders unter der Bräune rot wurde.

»Warum hältst du deinen Schlag nicht niedrig«, erwiderte er gereizt. »Reagiere doch entsprechend!«

Miss Corbins nächster Aufschlag erwies sich als matt. Der zweite ging absolut daneben.

Mrs. North nahm den Ball infolgedessen gar nicht erst und ließ ihn ausrollen. Keiner sagte etwas. Das Ehepaar North sah zum Linienrichter hinüber, der schaute wortlos zurück.

»Nach Einstand Vorteil für Miss Corbin«, sagte der Schiedsrichter offenbar unbewegt.

Miss Corbin gab den Ball an Mr. North, der scharf zurückschlug. Darauf war die Reihe an Mrs. North. Die hatte blitzschnell eine geeignete Lücke zwischen ihren Gegenspielern entdeckt und traf auch mitten hinein. Miss Corbin und Mr. Saunders sahen einander nicht gerade freundlich an. Sie schienen beide angespannt und aufs äußerste irritiert zu sein. Weigand konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Verstörtheit einen tieferliegenden Grund hatte als allein der Verlauf des Spiels. Aber Weigand konnte dieses Gefühl nicht genau definieren. Er sah, wie Mr. North strahlend auf seine Frau zuging und ihr auf die Schulter klopfte. Mrs. Norths nächster Flugball brachte Miss Corbin in Verlegenheit. Sie wurde unsicher, und Mr. North konnte ihren Ball ohne weiteres stoppen. Der Vorsprung war verloren.

Dennoch versuchte sie einen Angriff, aber Mrs. North, ihres Erfolges jetzt völlig sicher, schlug sie hinter die Linie zurück. Auch Rückhand konnte Miss Corbin nicht mehr retten. Der Ball landete im Netz. Erbost warf sie fast gleichzeitig ihren Schläger zu Boden, nahm ihn dann aber wieder auf und ging mit ihrem Partner zum Platzwechsel um das Netz herum. Man konnte ihr die Verärgerung deutlich ansehen.

Die Norths brachten es jetzt sehr schnell auf eine hohe Punktzahl. Mrs. North spielte mit erbitterter Konzentration. Ein Flugball, den Miss Corbin verfehlt hatte, erhöhte die Punktzahl zugunsten der Norths. Saunders sah seine Partnerin wütend an. Die Norths betrachteten ihre Spielgegner mit einer gewissen Neugier. Sämtliche Zuschauer schienen etwas nervös zu sein.

Das Finale wurde eine Schlappe für Saunders-Corbin und ein verhältnismäßig leichter Sieg für die Norths. Nach dem letzten Schlag herrschte eine befangene Stille, dann überwand sich Miss Corbin zu einem Lächeln und lief vor, um Mrs. North die Hand zu geben. Auf einmal schüttelten sie sich alle die Hände, auch Miss Corbin und Mr. Saunders, und plötzlich war es nur noch die friedliche Beendigung eines ganz normalen Tennisturniers.

Die vier kamen einträchtig zusammen vom Spielfeld, und das Ehepaar North ging erfreut auf Weigand zu.

»Bill«, sagte Mrs. North, »hast du gesehen, wir haben gewonnen, wir haben tatsächlich gewonnen!«

Weigand sah mit freundschaftlichem Wohlwollen auf sie hinunter und versicherte, dass er es sehr genossen habe zuzusehen. Dann drückte er Mr. North die Hand, der ein wenig verlegen murmelte: »Mann – war ich furchtbar!«

Gleich darauf wirbelte Mrs. North davon, um, wie sie sagte, »Leute zu treffen«, und steuerte auf ihre vorherigen Gegner zu. Ein dunkelhaariger, lebhafter junger Mann hatte seinen Arm um Miss Corbins Schulter gelegt und tröstete sie: »Du warst großartig, Jean!« Er sprach wie ein Südstaatler, fand Weigand. Als Pamela North auf die beiden zutrat, gratulierte ihr der junge Mann höflich. Ein hellblondes Mädchen, das neben Jean und dem attraktiven Südstaatler gestanden hatte, wandte sich mit einem Ausdruck plötzlicher Bitterkeit ab. Mrs. North führte Jean Corbin und ihren Begleiter zu Weigand und übernahm die Vorstellung...

»Jean«, sagte sie, »dies ist unser Freund Bill Weigand. Darf ich bekannt machen: Jean Corbin, Hardie Saunders, John Blair. John kommt aus Georgia, und hier ist noch Bram van Horst. Er hat uns alle in der Tasche.«

Bram van Horst, ein sehr großer blonder Mittvierziger, lachte über Pamelas Definition, gab aber keine Erklärung dazu ab. Pamela versammelte immer mehr Leute um sich.

Es war eine durcheinanderquirlende, durcheinanderredende Menge, selbst für Weigands trainiertes Personengedächtnis viel zu wechselnd, als dass er sich einzelne Gesichter hätte merken können. Da wurde ein James Harlan Abel vorgestellt, den Pamela North mit Dr. Abel anredete, seine Frau hieß Evelyn. Dann war da Thelma Smith, das weißblonde Mädchen, das immer noch verbittert dreinschaute, obgleich sie sich bemühte, ihren Gesichtsausdruck zu beherrschen. Helen Wilson – das junge Mädchen, das neben Weigand gesessen und das Tennis-Match kommentiert hatte – gehörte auch zu der Gruppe, ferner ein Mann namens Kennedy und eine Dorian Soundso. Weigands Interesse wurde wach, als er Dorian sah. Sie war ein Mädchen von bewundernswerter Grazie, mit einer Sicherheit der Bewegungen, wie Weigand sie zuvor eigentlich nur zweimal beobachtet hatte. Einmal an einem Boxer im Ring, das andere Mal bei einem Tennispartner, gegen den er seinerzeit in der zweiten Runde eines vielversprechenden Turniers haushoch verloren hatte.

Mittlerweile wimmelte es von Leuten. Ein Ehepaar Askew bewegte sich zwischen den verschiedenen Gruppen rastlos hin und her; ein Mann mittleren Alters, Hanscomb mit Namen, tauchte unvermittelt auf, erkundigte sich bei Weigand nach dessen Wohlergehen und verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war.

Außerdem gab es da noch einen hochgewachsenen geschmeidigen Mann, rotgesichtig, listig lächelnd. Ein vertrauter Anblick, wie es Weigand schien. In seiner Begleitung befand sich eine schwarzhaarige junge Frau, in engen, langen Hosen und schicker Sportbluse, ihr herzförmiges Gesicht wirkte amüsant und kess.

»Du kennst doch die Fullers?«, sagte Pamela North, »Jane, Ben, hier steht ein Freund von euch.«

Die Fullers sahen einander verschmitzt lächelnd an.

»Kennen wir den, Kleines?«, witzelte Ben Fuller. »Kennen wir überhaupt Burschen seines Schlages?«

Jane Fuller runzelte in gespieltem Nachdenken die Stirn.

»Na, vielleicht ein bisschen. Möglicherweise kennen wir ihn nur ein ganz klein wenig.« Sie drehten sich zu Weigand um und lachten.

»Also, wir geben zu, dich ein klein bisschen zu kennen. Wie geht’s denn, alter Junge?«

»Na, prächtig, im Urlaub kann es wohl nicht anders sein.«

Weigand grinste vergnügt, und Fuller schnitt ihm eine Grimasse. Sie gaben sich die Hand. Jane lächelte liebenswürdig zur Begrüßung und pfiff leise ein paar Operettentakte vor sich hin. Weigand versicherte ihr schmunzelnd, dass gerade jetzt absolut nichts zu tun sei.

»So oder so, zehn Tage lang habe ich Urlaub. Also fangt gar nicht erst irgendwie an.«

Immer mehr Leute kamen und gingen, das Gedränge schien immer undurchdringlicher zu werden. Pamela machte den Versuch, einen kleinen Kreis herauszukristallisieren.

»Unsere Drinks werden gleich soweit sein, wenn ihr hier noch einen Augenblick wartet«, versprach sie und stürzte sich ins Gewühl. Weigand, North und die Fullers blieben zurück, während Pamela versuchte, einige Gäste zu werben. Sie ging auf Helen Wilson zu, und diese folgte ihr zusammen mit der graziösen Dorian. Sie wandte sich auch an Jean Corbin, die lächelnd den Kopf schüttelte und irgendetwas sagte, dann tippte sie Hardie Saunders auf die Schulter. Der nickte, lächelte gleichfalls, aber schloss sich aus irgendeinem Grunde den Damen nicht an.

Mrs. North kehrte mit Gefolge zu den Wartenden zurück.

»Jean ist schon bei Bram eingeladen, und Hardie muss sich erst um seinen Eintopf kümmern, aber er kommt dann nach.«

Sie bemerkte Weigands Verblüffung und kam ihm erklärend zu Hilfe: »Der Eintopf – Irish Stew – muss erst aufs Feuer gesetzt werden. Hardie teilt nämlich ein Blockhaus mit Jonny Blair und hat gerade den Küchendienst übernommen.«

»Aha!« Weigand nickte befriedigt, und Mrs. North ging jetzt allen voran auf ihr Blockhaus zu.

»Wissen Sie«, Mr. North richtete sich an seine Gäste insgesamt, »ich habe zwar keine Ahnung, wie Sie es halten wollen, ich jedenfalls gehe erst mal unter die Dusche.«

Seine Frau war entsetzt: »Für September ist eine kalte Dusche im Freien aber ein etwas abwegiges Vergnügen – ich dachte, wir machen nachher Feuer im Kamin?«

Aber ihr Mann ließ sich nicht beirren. »Für September ist es gerade warm genug und für eine kalte Dusche auch. Wer macht noch mit?«, fragte er rings in die Runde. »Du, Bill? Hinterher ist ein Kaminfeuer erst recht gemütlich«, fügte er tröstend hinzu.

Weigand war nicht übermäßig begeistert, aber er nickte doch zustimmend, schließlich war es nicht von der Hand zu weisen, dass kalte Duschen der Gesundheit förderlich sind, fand er. Pamela North sah die beiden nur groß an und schüttelte den Kopf.

»Nachdem du sonst die Drinks mixt, muss das unter diesen Umständen jemand anders übernehmen.« Sie machte eine kleine Kunstpause und überlegte, wer heute Ersatzmixer sein könnte. Während sie den Plattenweg zu ihrem Häuschen entlangeilte, traf sie auch schon ihre Entscheidung: »Dann macht es eben Ben, aber das Feueranzünden im Kamin heben wir für euch auf.«

Die Gruppe verteilte sich auf dem Rasen vor dem Haus der Norths. Der Kater Peter gesellte sich zu ihnen. Er schien eindringlich vom gefüllten Kühlschrank zu berichten. Die Gastgeber sorgten dafür, dass Weigand mitsamt seinem Gepäck Unterkunft im Hause fand. Das Blockhaus war ein einfacher, rechteckig zusammengezimmerter Bau. Der verhältnismäßig große Wohnraum lag in der Mitte. Ein gemütlicher Kamin beherrschte die eine Wandseite, auf der anderen Seite führte eine Glasflügeltür auf die Terrasse. Drei Eckräume waren als Schlafzimmer eingerichtet, geräumig genug für Betten und Kommoden. In der vierten Ecke war die Küche untergebracht mit genügend Platz für Herd, Eisbox – stolz Kühlschrank genannt – und eine lärmende, sich beschwerende Katze in der Mitte.

»Sie möchte Leber«, erklärte Pamela North.

Weigand erschien in Badehose und bekam ein Frottiertuch in die Hand gedrückt. Peter gab währenddessen Laute des höchsten Entzückens von sich, als sicheres Zeichen, dass es jetzt gleich Leber gab. Ben Fuller untersuchte den Kühlschrank auf Alkoholvorräte. Er schien den übernommenen Auftrag ernst zu nehmen. Mitten in dem Trubel machten North und Weigand sich auf den Weg, zurück in die gleiche Richtung, aus der sie eben gekommen waren, an den Tennisplätzen vorbei, auf einem schmalen Pfad hinunter zum See, auf dessen glatter Wasserfläche das Licht der Herbstsonne metallisch funkelte.

»Na schön«, sagte Weigand. Es klang resigniert.

»Ist doch auch schön«, erwiderte North verständnislos, »oder hast du was gegen kalte Duschen?«

»Also dann hinein ins Vergnügen.« Weigand schien noch um Entschlusskraft zu ringen.

»Pass mal auf«, ermunterte ihn Jerry, »ich begreife ja, dass du jetzt ein bisschen zögerst, aber hinterher wirst du dich großartig fühlen!«

Durch lichten Baumbestand führte der Pfad in einer kleinen Biegung direkt zum Seeufer.

»Ist die Dusche besetzt?«, rief Jerry hinunter.

»Dusche frei«, ließ sich eine weibliche Stimme von unten vernehmen. »Ich komme gleich.«

Während sie auf einem schmalen Steg einen Bach überquerten und noch ein paar Schritte weiter gingen, erschien Jean Corbin. Sie trug eine frische weiße Hose und ein gelbes Sporthemd und hatte feuchte Haare. »Brrr«, sagte sie und schüttelte sich, »das ist wirklich mehr, als ein normaler Mensch ertragen kann. Ich bin ganz blaugefroren.« Sie stieg eilig den Uferhang hinauf. »Bis später dann, bei den Fullers«, rief sie zurück.

Die Dusche wurde aus einem schrägen Rohr gespeist, welches einfach das Bachwasser von oben her ableitete. Am Ende dieses Leitungsrohres saß eine simple kleine Brause, die aus vielen kleinen Löchern ununterbrochen Wasser versprühte.

»Kommt direkt von der Quelle«, erklärte Jerry North gut gelaunt und streifte die Badehose ab. Weigand fror schon beim bloßen Anblick. Jerry stellte sich unter den gebündelten Wasserstrahl. Die Kälte schien ihn zusammenzuziehen.

»Huh!« Seine Reaktion war spontan, so ganz hatte er sich auch nicht unter Kontrolle. »Tolles Gefühl!«, behauptete er zähneklappernd, nachdem er sich in unverhohlener Eile den Seifenschaum abgeduscht hatte und wieder zum Vorschein gekommen war.

Weigand wünschte sich weit weg oder Jerry North ins Pfefferland – da konnte er gleich den männlichen Heldenmut als Reisegepäck mit hinnehmen. Heroisch sprang er unter die Dusche und rang prompt nach Luft. Sobald er wieder in der Lage war, artikulierte Laute von sich zu geben, entfuhr ihm der Ausruf: »Herr im Himmel!«, und das klang eher wie ein Stoßgebet als wie eine Gotteslästerung. Aber nach diesem Kälteguss fühlte er sich tatsächlich ausgezeichnet.

Sie frottierten sich gründlich, schlüpften wieder in die Badehosen und sprachen währenddessen über belanglose Dinge.

»Eine Menge Leute auf einen Haufen, was?«, fragte Jerry, und Weigand nickte.

»Im Laufe des Abends wirst du noch alle kennenlernen«, verhieß ihm Jerry, »mindestens auf der Fuller-Party.«

»Na, weißt du.« Weigands Begeisterung hielt sich in Grenzen.

Jerry North versank unvermittelt in tiefes Nachdenken.

»Hast du jemals etwas Ungerechteres gesehen als dieses blödsinnige Siegesglück, das ich heute hatte?«, fragte er plötzlich. Weigand bestätigte ihm herzlos, dass er das allerdings auch fände und sich an Vergleichbares nicht erinnern könne.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Samstag

16.00 Uhr bis 18.30 Uhr

 

 

Als sie endlich alle in der Blockhütte um das flackernde Kaminfeuer herumsaßen, stellte Mrs. North erfreut fest, dass ihre Gäste aufzuleben begannen. Dennoch wurde man empfindlich daran erinnert, dass es bereits September war – Herbstbeginn auf dem flachen Land, hundert Kilometer nordöstlich von New York.

Bram van Horst räkelte sich behaglich im Lehnstuhl neben dem Kamin. Er war der Besitzer der Blockhaus-Siedlung Lone Lake. Früher einmal hatte er als Fliegeroffizier am Weltkrieg teilgenommen. Später war er lange Zeit als Graphiker erfolgreich gewesen – er ist eben Holländer, war Pamelas Kommentar. Dann kam van Horst auf die gute Idee, rings um das Seeufer kleine Blockhäuser zu bauen und das Ganze Lone Lake also Einsamer See zu nennen – »wahrscheinlich, weil er sich damals selbst einsam fühlte«, vermutete Pamela. Die Holzhäuschen vermietete er an Bekannte und deren Freunde.

Weigand, ein Glas in der Hand, saß auf einer Couch neben Dorian Hunt. Dorian kannte niemanden der Anwesenden. Sie erzählte ihm, dass sie trotz Helen Wilsons wiederholten Einladungen nie zuvor hier gewesen sei. Helen lebte in dem früheren Haupthaus des Bauernhofes, der seinerzeit zur Gemeinde New York gehört hatte – trotz eines unfreundlichen Fahrplans und erbarmungswürdiger Bahnverbindungen in die Hauptstadt. Helens Mutter kam jeden Sommer an den See, um hier ihre Ferien zu verbringen und für ihre Tochter und deren Gäste zu sorgen.

»Helens Mutter ist ein angenehmer, heiterer Mensch«, schloss Dorian ihren Bericht. Am nächsten Tag musste Weigand an diese Bemerkung denken, als Mrs. Wilson wirklich keinen Grund mehr hatte, heiter zu sein.

Dorian arbeitete als selbständige Modezeichnerin für verschiedene Bekleidungsfirmen. Arthur Kennedy, der auch bei den Wilsons zu Gast war, war mit ihr und Helen befreundet.

»Aber er scheint sich in dieser Gesellschaft nicht so recht wohl zu fühlen«, meinte Dorian.

Weigand, der bemüht war, Konversation zu machen, erzählte Dorian von den Fullers. Ben und Jane hatten sich ein eigenes kleines Bauernhäuschen eingerichtet, in dem sie am Wochenende wohnten. Fuller hatte als Exportkaufmann das väterliche Geschäft übernommen.

»Es ist nicht so, dass ich mit ihnen eng befreundet wäre«, erklärte Weigand, »ich habe sie nur durch einen Fall – sozusagen durch eine Geschäftsverbindung – kennengelernt.«

Dorian hatte ihm interessiert zugehört, sah jedoch neugierig auf, als Helen Wilson sich plötzlich erhob und, mit einem Päckchen in der Hand, Miene machte fortzugehen. Helen war ein großes, kräftig gebautes Mädchen von gesunder Gesichtsfarbe.

»Bleib nur sitzen«, rief sie Dorian hinüber, »ich muss nur schnell mal in Irelands Laden, und anschließend schaue ich noch bei Jean vorbei. Ich habe eine Tennisbluse für sie besorgt und vergessen, sie bei ihr abzugeben. Ich bin gleich wieder zurück. Pass in der Zwischenzeit auf meinen Drink auf.« Sie sah sich im Raum um. »Ich lasse ihn hier stehen«, sagte sie und schob das Glas auf den Kaminsims. Dann ging sie aus der Tür. Ein paar Leute hatten aufgeschaut, ihr flüchtig zugelächelt und sich wieder ihren Drinks und ihren Gesprächen zugewandt. Später konnte niemand mehr mit Bestimmtheit sagen, wann sie das Haus verlassen hatte und zu welchem Zeitpunkt sie zurückgekehrt war. Aber Weigand glaubte sich erinnern zu können, dass sie nicht länger als eine knappe halbe Stunde fortgewesen sei.

Jedenfalls war sie nach einer Weile wieder da, nahm ihr Glas vom Sims, schaute misstrauisch in die Runde und behauptete ernstlich, es sei zuvor mehr in dem Glas gewesen. »Eine Menge mehr!« Alle lachten, und Jerry North bot ihr einen neuen Drink an. Während er noch mit Mixen und Gläserfüllen beschäftigt war, klopfte draußen jemand an die Tür.

Jerry öffnete, und herein trat Hardie Saunders, der große, blonde junge Mann, dessen Sonnenbräune in dem dämmrigen Raum förmlich glühte. Er bekam sofort einen Cognac eingeschenkt und legte genießerisch seine riesigen Hände um den großen Schwenker, bevor er einen tiefen Schluck nahm. Dann erst sah er das Kaminfeuer und schnob verächtlich durch die Nase.

»Du lieber Himmel«, rief er aus, »tatsächlich ein Feuer.« Er war erhitzt und sah ganz so aus, als ob er keinerlei Erwärmung nötig habe.

»Ich dachte, es dauert noch Wochen, bis Kaminfeuer wieder aktuell werden.«

»Nicht in diesem Haus«, bedeutete ihm Pamela North nachdrücklich, »bringen Sie meinen Mann bloß nicht auf dumme Gedanken. Er friert ohnehin nie. Deshalb bin immer ich diejenige, der das Feuermachen überlassen bleibt, wobei ich mich jedes Mal mit stinkendem Kerosin übergieße.«

»Kerosin?«, fragte Weigand und sah verdutzt auf die lodernden Buchenscheite.

»Nur um das Feuer in Gang zu bringen«, erklärte ihm Jerry. »Das machen wir hier alle. Der alte Marvin verkauft kein Anmachholz. Da schwappen wir eben ein bisschen Kerosin über die Scheite – und schon brennen sie.«

Die Unterhaltung drehte sich, nicht um weltbewegende Ereignisse. Man trank und plauderte über das Nächstliegende. Die Gäste waren bester Stimmung.

Helen Wilson schlenderte hinüber zu Dorian und Weigand und setzte sich neben die beiden auf die Couch. Sie sagte nicht viel und schien ein wenig nachdenklich zu sein, aber sie hörte amüsiert lächelnd zu, als Jerry North und Saunders das Tennismatch rekonstruierten.

»Es verlief genau so, wie wir es uns vorgenommen hatten«, behauptete Jerry,

Saunders quittierte das mit ironischem Achselzucken. »Na ja, jeder hat vorgehabt zu gewinnen, Jean und ich schließlich auch.«

Er stand auf und ging quer durch den Raum, weg vom Kaminfeuer, das ihm zu schaffen machte. Er war außer Hörweite, als Helen sich zu Weigand umdrehte.

»Sie können sich nicht vorstellen, wie merkwürdig das klingt«, sagte sie, »wenn Hardie Jean und ich sagt. Es ist genauso absurd wie ihr Zusammenspielen beim Turnier.« Sie unterbrach sich und machte eine ärgerlich abwehrende Handbewegung. »Aber schließlich können sie ja tun, was sie wollen«, fuhr sie fort. »Ich will lieber aufhören, Klatsch zu verbreiten.« Sie sah Weigand voll an und lächelte. »Vergessen Sie es«, bat sie. »Ich bin nur deshalb darauf zu sprechen gekommen, weil sie einmal besser miteinander befreundet waren, als sie es heute sind. Wir waren alle überrascht, als Jerry und Ben sie für das gemischte Doppel aufstellten, wenn es auch unbestritten ist, dass sie ausgezeichnet zusammenspielen. Das haben sie ja unter Beweis gestellt, finden Sie nicht auch? Sie haben sie doch auch spielen sehen. Gerade zu Anfang waren sie wirklich gut. Oder haben Sie den Anfang gar nicht mehr mitbekommen?«

Weigand bestätigte, dass er nur den Schluss des Spiels gesehen habe.

»Die beiden spielen wirklich phantastisch zusammen«, sagte Helen. »Es war ein Vergnügen, ihnen zuzusehen, selbst als sie den ersten Satz verloren hatten.«

»Sie kennen sie wohl gut?«

Helen bejahte. Sie und Jean Corbin arbeiteten in der Werbeagentur Bell, Halpern & Bell. Saunders war dort Kontakter gewesen. Vor ungefähr einem Jahr war er aus der Firma ausgeschieden, um eine eigene Agentur aufzumachen. Den Kunden, den er bis dahin betreut hatte, nahm er mit. Es war ein Getränkehersteller mit einem ertragreichen Werbeetat.

»Quench«, sagte Helen, »ein scheußliches Zeug, Sie trinken es gerade. Eine Menge Leute trinken es.«

»Und was hielten Bell, Halpern & Bell davon?«

»Na, sie waren natürlich nicht entzückt. Aber das ist im Werbegeschäft nun mal so. Jean Corbin, die als Kontaktassistentin für Saunders gearbeitet hatte, stieg zwei oder drei Monate später selbst zur Kontakterin auf. So war es für sie nur gut, und Bell, Halpern & Bell überstanden die Krise, in die sie der Verlust eines so großen Etats gebracht hatte. – Aber all dies muss Sie ja schrecklich langweilen. Wie kam ich eigentlich darauf?«

Weigand sah hinüber zu Dorian Hunt, die sich intensiv mit Ben Fuller unterhielt.

»Ist sie – ich meine Miss Hunt – auch bei der Werbeagentur Bell, Halpern & Bell?«

Helen schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist Modezeichnerin, freiberuflich. Sie hat eine Menge guter Einfälle. Sehr tüchtig.«

Tatsächlich lernte Weigand, wie Jerry North ihm schon in Aussicht gestellt hatte, an diesem Abend eine Menge Leute kennen. Routinemäßig rief er sich Personen und Gesichter ins Gedächtnis: Jane und Ben Fuller, denen er schon früher begegnet war, Hardie Saunders, groß und blond, Inhaber einer Werbeagentur, die den Umsatz des Getränkes Quench hochtreiben sollte. Helen Wilson, unkompliziert, herzlich und gesund und, wie Weigand annahm, wohl Werbetexterin bei Bell, Halpern & Bell. Jean Corbin, Kontakterin in derselben Agentur, von zarter Blässe, zierlich und dunkelhaarig, mit etwas harten Gesichtszügen, die wie gemeißelt wirkten. Bram van Horst, der einmal Flieger gewesen war und als Offizier Soldaten befehligt hatte, später als Graphiker Geld gemacht und sich nun als Großgrundbesitzer am Lone Lake niedergelassen hatte. Und dann die Norths, die er unter so ungewöhnlichen Umständen kennengelernt hatte. Im Verlauf des vergangenen Jahres waren Jerry und Pam ihm immer vertrauter geworden. Es war inzwischen ein knappes Jahr her, dass er ihnen begegnete und dass sie ihn so in Erstaunen versetzten. Damals, als Pamela North in ein leeres Apartment oberhalb ihrer eigenen Wohnung in Green Village hinaufgestiegen war und das Badezimmer in so unerwarteter und grauenerregender Weise besetzt gefunden hatte.

In plötzlicher Folge geschah jetzt zweierlei, was Weigand aus seinen Betrachtungen riss.

Fuller und Dorian Hunt schauten zu ihm hinüber. Fuller grinsend, mit jenem Ausdruck gutmütiger Bosheit, den Weigand schon von früher her an ihm kannte. Dorian hingegen betrachtete ihn anders, aufmerksam, aber reserviert und unverkennbar kühl.

»Ich hab’ ihr von dir erzählt, du Polyp. Sie fragte mich nämlich.«

»Soso.« Weigand tat gelangweilt. Die Art, in der Dorian Hunt ihn fixierte, verursachte ihm ein flaues Gefühl in der Magengegend. »Das ist ja schön.«

Dann hörte man vor der Tür ein forderndes Maunzen, und Peter betrat die Szene. Dass er es nicht hocherhobenen Hauptes tat, wie es seine Art gewesen wäre, lag daran, dass das Gewicht eines jungen Kaninchens ihm den Kopf hinunterzog. Er trug es im Maul. Stolz funkelten seine runden Augen über die Beute hinweg. Alle Damen stießen kleine Entsetzensschreie aus und saßen starr da. Nur Dorian Hunt geriet in Bewegung.

Mit ein paar Schritten war sie durch das Zimmer geeilt und packte auch schon den überraschten Kater im Genick. Mit einem raschen Griff, der etwas Verzweifeltes an sich hatte, zerrte sie ihm das Kaninchen aus den Zähnen. Peter fauchte missbilligend, war aber höflich genug, nicht zu kratzen. Das Kaninchen lebte noch. In seinen weit aufgerissen Augen saß Todesangst.

»Du...« Dorian Hunt suchte nach einer geeigneten Beschimpfung für Peter, »du – du Raubtier!«

Peter, der es bisher nicht anders gewöhnt war, als dass Menschen freundlich zu ihm waren, zog sich beleidigt zurück. Seine gelben Augen hielt er begehrlich auf das Kaninchen geheftet, das Dorian in die Hand genommen hatte. Kleine Blutstropfen sickerten aus dem weichen Fell auf ihren bloßen Arm. Nach dem überstandenen Schrecken wurde sie plötzlich furchtbar verlegen. Sie sprach jetzt in freundlichem Ton entschuldigend auf Peter ein und billigte ihm zu, dass Katzen es ja nicht anders wüssten.

»Wenn Katzen wenigstens nicht jagen würden«, sagte sie zu den Anwesenden und schaute ganz unglücklich drein. »Katzen sind so schöne und anmutige Tiere – aber sie sind eben doch Raubtiere.« Mitfühlend streichelte sie das Kaninchen. »Es zittert so; es ist schrecklich, gejagt zu werden.«