DER GRÜNE KOMET - Herbert W. Franke - E-Book

DER GRÜNE KOMET E-Book

Herbert W. Franke

0,0

Beschreibung

Herbert W. Franke ist die zentrale Figur der deutschsprachigen Science-Fiction nach dem Zweiten Weltkrieg und insofern eine Ausnahmeerscheinung, als er sich seit der Wendung zur neueren Form des Genres in den sechziger Jahren bis heute mit seinen Texten im Feld der klassischen Science-Fiction behauptet hat. Dies wurde durch die Aufnahme in den deutschen PEN-Club und viele Preise für fast alle seine Romane und Erzählungsbände anerkannt: in den Jahren 1961, 1962 und 1965 erhielt er den Ernst-H.-Richter-Preis, 1976 und 1977 den Deutschen Hugo, 1980 den Preis von Eurocon für den besten Roman, 1989 den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar, 1985 und 1991 den Deutschen Science-Fiction-Preis, 1984, 1985 und 2007 den Kurd-Laßwitz-Preis, 2008 den Deutschen Fantasy-Preis und schließlich 2016 den "European Grand Master" der European Science Fiction Society (ESFS). Seine erste Veröffentlichung Der grüne Komet erschien 1960 in der Reihe Goldmanns Zukunftsromane, in der erstmals die Science-Fiction in Deutschland mit so wichtigen Autoren wie I. Asimov oder A. C. Clarke vorgestellt wurde. Sein Roman Das Gedankennetz war 1963 der erste SF-Roman, der als Taschenbuch erschien. Die meisten seiner Werke wurden mehrfach aufgelegt und erschienen in bekannten Verlagen, z. B. in der berühmten fantastischen Reihe des Suhrkamp-Verlags.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 356

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herbert W. Franke

DER GRÜNE KOMET

Science-Fiction-Erzählungen

SF-Werkausgabe Herbert W. Franke

Band 1

hrsg. von Hans Esselborn & Susanne Päch

Herbert W. Franke

DER GRÜNE KOMET

Science-Fiction-Erzählungen

SF-Werkausgabe Herbert W. Franke

Band 1

hrsg. von Hans Esselborn & Susanne Päch

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2024 by art meets science – Stiftung Herbert W. Franke

www.art-meets-science.io

Dieses Werk wird vertreten durch die AVA international GmbH, München, www.ava-international.de

Die Originalausgabe ist 1960 im Wilhelm GoldmannVerlag erschienen.

Titelbild: Thomas Franke

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

E-Book-Erstellung: global:epropaganda

Verlag

art meets science – Stiftung Herbert W. Franke

c/o mce mediacomeurope GmbH

Bavariafilmplatz 3

82031 Grünwald

ISBN 978 3 911629 00 3

Start

Die Sehnsucht nach den Sternen ist uralt. Heute nähert sich der große Traum vom Weltraum allmählich der Wirklichkeit: Als gigantisches Ziel liegt er vor uns. Ihm gegenüber ist der Mensch nur ein Nichts.

Kies knirschte leise unter seinen Füßen, als er sich mit festen Schritten der Rakete näherte. In ihrem Startgerüst steckte sie wie ein Tier in einem Käfig – wie ein Tier, das bereit ist, auszubrechen.

Er empfand die Wirklichkeit als einen unverständlichen Traum. Das Startgelände mit den Betonarealen, den darin verwurzelten Stahlaufbauten, den Rohrzuleitungen, dem Fühlerwerk der Antennen, den platten Labordächern. Den Kranz der Berge mit ihren ungezähmten Zacken und mit den verfließenden Pastelltönen, die die sinkende Sonne darüber goss. Den Mittelpunkt: die Spindel der Rakete.

Jenseits der Sperre standen die anderen – der Chefkonstrukteur, der ihm die letzten Anweisungen gegeben hatte; die Ingenieure, die ihn auf die Schulter geschlagen und ihm die Hand geschüttelt hatten; sein Freund, der ihm die Nachricht zugeflüstert hatte, die ihn jetzt so sehr verwirrte.

Er war stolz gewesen. Jetzt war er enttäuscht, aber auch wieder befreit – jetzt fiel es ihm leichter, sicher seinen Weg zu gehen. Er erreichte die Rakete, stieg die Leiter hinauf, kroch in die Kabine, schloß die Luke.

Nun war er allein, hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Er zog die Riemen fest an, die ihm während des Fluges Halt geben würden. Rings um ihn herum blinkte ein Gewirr von Drähten, Messzellen, Kontrollskalen, Lämpchen. Vor ihm wölbte sich der Fernsehschirm, der ihm den Blick nach außen erschloss. Die Welt, die er darin sah, war farblos – weiß, grau, schwarz. Einen Augenblick war alles starr in ihm, dann drückte er auf die Signaltaste.

Zuerst geschah nichts. Aber schon im nächsten Moment kippte das Bild vor ihm hintenüber, und die Kraft, die ihn auf seine gepolsterte Unterlage drückte, wuchs, stieg – ungeheuer rasch. Er beobachtete sich selbst.

Noch halte ich es aus, dachte er, aber es darf nicht ärger werden!

Es wurde ärger, und dennoch ertrug er es, wenn sich auch sein Herz durch den ganzen Körper ausbreitete, seine Muskeln von den Knochen krochen, seine Augen in den Kopf tauchten.

Der Nothebel fiel ihm ein – ein Griff und die Beschleunigung hört auf, er kehrt zur Erde zurück. Aber er verbiss sich diesen lockenden Gedanken.

Und dann ließ der Druck mit einem Mal nach. Er konnte wieder fühlen, sehen, denken. Der Leuchtschirm vor ihm war schwarz, nur einzelne Lichtpunkte wanderten langsam darüber hinweg – die Sterne!

Die Anziehungskraft erlosch.

Obwohl er mehr wusste als alle vor ihm, die dasselbe mitgemacht und dabei versagt hatten, obwohl er die Eindrücke in Gelassenheit verarbeiten konnte, war das Gefühl überwältigend – das Gefühl des Schwerelosen, Unbegrenzten, Freien. Aber schon in die erste Begeisterung stahl sich ein Anflug von etwas Grauenvollem, das irgendwo versteckt in ihm lauerte. Dann versuchte er, sich ein wenig aufzurichten – und da stürzte dieses Grauen wie ein Hieb aus seinem Winkel hervor. Die Leere um ihn … der Abgrund! Es war kein Schweben mehr, es war ein Fallen. Es war ein Zusammenbrechen aller Orientierung, ein völliges Verlieren jeden Halts. Unendlichkeiten klafften auf, verschlangen ihn … Er trudelte tiefer, in eine dunkle Verlorenheit hinein. Es ist doch alles Täuschung, suchte er sich einzuhämmern, alles ist nur Täuschung … alles Täuschung …

Und irgendwie half es. Es gelang ihm, seine Hand zurückzuhalten, so oft sie sich zum Nothebel vortastete.

Er kämpfte diesen Kampf gegen sich selbst durch. Er ertrug es 47 Minuten lang, die Zeit, die zu einer Umrundung der Erde vorgesehen war. Er beendete sein Abenteuer, ohne sich von seiner Hilflosigkeit restlos überwältigt haben zu lassen. –

Als er sich mit wankenden Knien aus der Kabine stemmte, liefen sie auf ihn zu und gratulierten ihm.

»Sie haben bestanden«, rief der Chefkonstrukteur. »Als Erster haben Sie diese Prüfung bestanden. Es war ein letzter Test, den wir mit Ihnen vorgenommen haben. Alle Bewegungseindrücke wurden mit Zentrifugen und Fallmechanismen hervorgerufen. Im Fernseher haben wir einen Film ablaufen lassen. Recht wirklichkeitsnah, nicht? Aber Sie haben bestanden – nächste Woche können Sie wirklich starten!«

Er hatte es gewusst. Sein Freund unter den Ingenieuren hatte es ihm kurz vor Beginn verraten. Er konnte nicht lachen, nicht sprechen, nicht gehen. Er stand still und sah hinauf zu den Sternen, deren helle Kaskaden im Raum hingen. Er wusste es besser: Er hatte nicht bestanden.

Nach mir, dachte er, werden andere kommen – vielleicht steht denen der Weltraum offen. Ihnen wird er all das bieten, was uns bisher nur unsere Fantasie ahnen lässt. Für mich ist er zu groß. Für mich bleibt er ein Traum.

Schlag und Gegenschlag

Die Städte sind ausgestorben, ihre Einwohner tot. Aber noch ist etwas lebendig: die automatischen Verteidigungsanlagen. Ein Urinstinkt der Lebewesen, sich wehren, sich schützen, ist in toten Maschinen über die Zeit hinaus verankert, und ein kleiner Anstoß genügt, den Funken auszulösen.

Wie zwei Augen lagen die Kraterinseln inmitten des endlosen Meeres. Das Raumschiff sank langsam tiefer.

»Antwortet jemand auf deine Signale?«, fragte Kai.

»Niemand«, murmelte Ben in seine Arbeit vertieft.

»Ich steuere einfach auf die Insel zu«, meinte Kai.

Die Kreise wuchsen. Gitterartige Linienzüge und Rechtecke wurden sichtbar. Sie füllten den Grund beider Krater dicht aus. Schließlich erstreckte sich der eine von beiden über den ganzen Bildschirm. Sein Durchmesser mochte 200 Kilometer betragen.

»Dort unten rührt sich nichts«, stellte Ben fest. Das Schiff erreichte eben die Gipfelhöhe des Kratergebirges – es befand sich etwa 20 Kilometer über dem Boden, auf dem jetzt Gebäude und Straßen deutlich erkennbar wurden –, als ein Ruck durch die Räume lief. Kai stoppte die Fahrt und beobachtete den Bildschirm, der die hinter ihnen liegende Region zeigte. Ben stellte auf ›nah‹ ein. Da sahen sie auch schon die Ursache: Sie hatten ein feines, silbrig glänzendes Netz durchstoßen.

»Hätte uns dieses Spinngewebe aufhalten sollen?«, fragte Kai. Statt einer Antwort deutete Ben auf das Kanzelfenster. Unter ihnen wurde es lebendig. An mehreren Stellen der Riesenstadt stiegen schirmförmige Gebilde auf, die sich wie Medusen fortbewegten. Alle schlugen die Richtung gegen die zweite Kraterstadt ein.

Um ihren Flug beobachten zu können, lenkte Kai das Schiff wieder höher. Mehrere Reihen der Gebilde liefen mit steigender Geschwindigkeit über das Meer, einige waren schon über der zweiten Inselstadt. Dort hielten sie inne, schwebten einige Sekunden und fielen dann wie Säcke in das Häusermeer. Dort bewegte sich plötzlich etwas. Zwölf quaderartige Körper stiegen auf und zielten mit Parabelbahnen mitten in den ersten Krater. Hier sanken sie allmählich in die Tiefe. Dabei zogen sie sich ziehharmonikaartig zusammen und streckten sich wieder, und versprühten eine grünliche Flüssigkeit, deren Dämpfe sich träge über die Straße breiteten.

Das ging 48 Stunden so weiter. Immer neue Schirmgebilde fielen abwärts, ohne dass eine Wirkung sichtbar wurde, und immer von Neuem regnete der grüne Nebel auf die Dächer. Dann war der Spuk vorbei.

»Sehen wir uns die grüne Masse an?«, fragte Ben.

»Natürlich«, antwortete Kai. Mit größtmöglicher Vorsicht landeten sie im ersten Krater. Ben steckte eine Probe in ein luftdicht geschlossenes Röhrchen und untersuchte es. Kai lief im Raumanzug durch die Stadt, durchstreifte Straßen und Häuser und kehrte schließlich mit der Nachricht zurück, er hätte weder ein lebendes noch ein totes Wesen gefunden.

»Schau durchs Mikroskop!«, bat Ben. Kai folgte und sah ein Gewimmel von zitternden grünen Stäbchen.

»Bakterien«, erklärte Ben.

Sie fuhren nun zum zweiten Krater. Als sie auf einem Platz hielten und ausstiegen, begann der Geigerzähler zu ticken. Sie gingen der Strahlung nach und stellten fest, dass sie von einem der schirmartigen Körper ausging, der wie ein überdimensionaler Schwamm auf dem Weg saß.

Während Ben mit seinen Messungen begann, drang Kai wieder in einige Häuser ein. Auch hier stieß er auf keine Spuren von etwas Lebendigem.

»Was hast du gefunden?«, fragte er, als er wieder bei Ben anlangte.

»Radioaktives Strontium«, erklärte dieser, »allerdings hat die Strahlung ganz schwache Intensität.« Sie betraten das Raumschiff und stiegen auf.

»Vielleicht sind die Wesen sehr empfindlich gegen Radioaktivität«, vermutete Kai. »Ich nehme an, wir sind in einen Krieg hineingekommen, und sie haben sich in unterirdische Schutzräume zurückgezogen.«

»Es gibt eine bessere Erklärung«, sagte Ben. »Wie du weißt, geht der Zerfall von radioaktiver Substanz unaufhaltsam vor sich. Strontium verwandelt sich dabei in Yttrium. Aus dem Mengenverhältnis zwischen dem unverbrauchten strahlenden Stoff und dem Endprodukt kann man berechnen, wie alt die radioaktive Probe ist. Ich bin auf ein Alter von 2600 Jahren gekommen. Das erklärt, warum die Strahlung so schwach ist. Die radioaktiven Ladungen sind seit dieser Zeit nicht erneuert worden.«

»Wahrscheinlich gibt es also hier seit zweitausendsechshundert Jahren keine Lebewesen mehr!«, sagte Kai. »Wie kam es aber zu den Kampfhandlungen?«

»Wir selbst haben sie ausgelöst, als wir das Netz zerrissen. Ein automatisches System schickte die radioaktiven Ladungen gegen den einzig als möglich erachteten Feind, gegen die Stadt im zweiten Krater. Auch dort gab es eine Alarmanlage, die mit einem Bakterienangriff antwortete.«

»Ich bin froh, dass wir nicht zweitausendsechshundert Jahre früher kamen«, meinte Kai.

»Ich auch«, antwortete Ben und sah noch einmal zu den beiden Krateraugen zurück, die wie vorher einsam in der glitzernden Fläche des Meeres lagen. Über einem von ihnen lag nun ein grüngrauer Schimmer.

Flucht und Zuflucht

Die Erde ist nicht den Menschen, sondern der Mensch der Erde angepasst. Stets und überall richtet sich das Lebewesen nach der biologisch bestimmenden Umwelt, nach dem Biotop, wie der Naturwissenschaftler sich ausdrückt. Je mehr diese Umgebung vom Gewohnten abweicht, um so mehr unterscheidet sich die Lebensform von denen der Erde, die – trotz ihrer augenfälligen Unterschiedlichkeit – doch Wesentliches gemeinsam haben. Es sind kohlenstoffchemische Bildungen, die ihre Energie direkt oder indirekt der Sonne entnehmen. Denkbar sind aber noch andere Systeme, etwa solche auf elektrischer oder nuklearer Basis. Und weiter werden wahrscheinlich noch andere existieren, deren Eigenarten wir uns nicht einmal erträumen können.

Das Raumschiff tauchte in eine Wolke von hellbraunem Nebel, der die Sicht auf den Planeten unterband. Er wogte und brandete vor dem Kuppelfenster des Navigationsraums. Noch handelte es sich um Schwaden, Augenblicke der Düsternis wechselten mit Sekunden voll grünlichen Lichts, doch dann wurde es rasch finster.

Kai drückte auf die Lichtregeltaste, und die Leuchtstäbe glommen auf.

»Verfolgen sie uns noch?«, fragte er.

Ben beobachtete den Radarschirm. Ein Lichtstreifen drehte sich darüber hinweg, einem Uhrzeiger ähnlich. An einer Stelle hellte er drei leuchtende Punkte auf.

»Da sind sie«, antwortete Ben, »sie lassen sich nicht so leicht abschütteln.«

»Werden uns die Wesen dieses Planeten schützen?«

»Sie haben es versprochen.«

»Werden sie Wort halten?«, fragte Kai, doch er bekam keine Antwort.

Eine Viertelstunde lang lag der Nebel wie eine braune Wand am Fenster, dann machte er einer tintigen Schwärze Platz. Nur vor ihnen war ein wenig Licht. Ben hatte den Photonenschauer schon lange in die Fahrtrichtung gelenkt – tief unter ihnen breitete sich eine unübersehbare Ebene. Noch waren keine Einzelheiten zu erkennen.

»Wir nähern uns genau dem angegebenen Areal«, bemerkte Ben. Kaum merklich korrigierte er die Steuerung. Durch Radarlotung beobachtete er die schwindende Höhe. Im diffusen Lichtkegel der Photonen hoben sich nun Details von der Oberfläche ab, Punkte schienen vom angesteuerten Punkt zuerst schnell, dann immer langsamer dem Horizont zuzulaufen.

»Das ist es!«, rief Ben. Er deutete auf ein dunkles Rechteck am Boden, das schnell größer wurde. Vorsichtig verlangsamte er die Fahrt und setzte dann sanft wie eine Feder auf. Neben ihnen erhob sich vielleicht 200 Meter hoch ein Komplex, einem Gebäude ähnlich. Als Wand besaß es ein Gewirr von Streben, Röhren, Drähten, Leitungen und spindelförmigen Gebilden, dazwischen gähnten dunkle Öffnungen.

Kai und Ben legten die Schutzanzüge an und traten an das Bauwerk. Weit und breit war nichts Lebendiges zu sehen. Sie drangen in eine der Öffnungen. Kai ging mit einer Lampe voran, Ben trug das Kästchen mit Sender und Messaggregat.

Der Weg war nicht bequem. Zwischen Wand, Boden und Decke gab es keinen Unterschied, sie bestanden aus fachwerkähnlichen Gerüsten, mit Röhren, Leitungen und unbekannten Formen überladen; allerdings fehlte der gewohnte metallische Schimmer. »Silikate«, sagte Ben. Mühsam balancierten die beiden Eindringlinge über abschüssige Platten, sie zwängten sich zwischen gespannten Fäden durch, sie kletterten über reihenweise angeordnete zylindrische Körper.

Wieder standen sie vor mehreren Fortsetzungen, die nicht nur horizontal, sondern auch vertikal verliefen. Ben warf einen Blick auf die Skalen seines Messgerätes.

»Minus sechzig Grad Celsius, dünne Heliumatmosphäre, keine Radioaktivität, aber langsam bewegte magnetische Felder. Seltsam, dass nirgends ein Wesen zu bemerken ist. Man sollte uns doch erwarten!«

»Wo sind wir eigentlich?«, fragte Kai.

»Ich habe die Orientierung verloren. Das ist kein vernünftiger Weg. Ich komme mir vor wie in einer riesigen Maschine.« Ben hantierte an seinem Messgerät und beobachtete einige Zeigerausschläge. »Dort liegt unser Raumschiff«, er deutete schräg nach hinten, »und dorthin erstreckt sich das Gebäude noch achthundertsechzig Meter weit.« Er wies mit der Hand nach vorn.

»Wir müssen uns doch irgendwie bemerkbar machen!«, verlangte Kai. »Frage doch die Unbekannten, wie wir sie finden!«

»Du weißt, dass die Verständigung schwierig ist. Am besten geht es noch mit Zahlen. Ich werde noch mal um genaue Ortsangabe bitten.« Ben beugte sich zu seinem Kästchen und stellte den Sender ein. In Intervallen drückte er die Morsetaste und stellte dann auf Empfang. Prompt kam die Antwort. Wortlos sah er den Kontrollstreifen an. Kai blickte ihm ungeduldig über die Schulter. »Das ist ja wieder die Fläche des ganzen Gebäudes! Können die sich nicht genauer ausdrücken?«

Ben sah blinzelnd zu ihm auf. »Ich glaube nein«, antwortete er.

»Und das heißt?«

»Wir haben einen Fehler gemacht«, antwortete Ben. »Wir haben organisches Leben erwartet. Das gibt es hier nicht. Ich hätte es den Messdaten entnehmen sollen. Hier hat sich eine Intelligenzform gebildet, die der unseren so unähnlich ist wie nur irgendetwas. Man könnte darüber streiten, ob man das noch Leben nennen kann. Es ist ein System von Drähten, Lei-tungen und Stützen, das wahrscheinlich magnetisch gesteuert wird. Das heißt …«

»… wir befinden uns im Innern eines Lebewesens?«

»Ja«, bestätigte Ben, »du hast mich selbst darauf gebracht – du sagtest doch, dir schiene, wir seien in einer Maschine. So ähnlich ist das auch.«

»Und was folgt daraus?«, fragte Kai.

»Daraus folgt, dass wir uns in Sicherheit befinden – wenn das Ding sein Versprechen hält.«

Ben schulterte sein Messkästchen, sie wandten sich rückwärts, bis sie das Eintrittsloch wieder erreichten. Ihr Raumschiff lag unberührt vor ihnen. Nichts hatte sich verändert. Aber nun geschah etwas: Irgendwo vom Oberteil des Baukörpers, ihren Blicken verborgen, löste sich eine leuchtende durchsichtige Kugel, die gegen den schwarzen Himmel stieg und sich dabei ins Riesenhafte aufblähte. In ihr erschienen plötzlich drei Flugschiffe, die Raketen der Verfolger. Ihre gradlinige Bewegung brach ab, in einer scharfen Kurve wandten sie sich fast um 180 Grad. Dabei veränderte sich ihre Farbe in Hellrosa; dann schien es, als ob sie Kondensstreifen hinter sich herzögen. Es war wie ein Ausbluten, sie schrumpften zusammen und lösten sich in Nichts auf, nur die gekrümmte rosa Spur blieb zurück. Dann verblasste die Kugel, in der sich das Ereignis abgespielt hatte, bis nichts mehr von ihr zu sehen war.

Kai und Ben standen unbewegt, bis der Spuk verschwunden war.

»Es hat Wort gehalten«, sagte Ben.

»Es hat Wort gehalten«, bestätigte Kai. Doch ihm schauderte dabei.

Die Pfauen

Elektrischer Strom fließt, wenn zwei Objekte, zwischen denen elektrische Spannung herrscht, durch eine leitende Verbindung überbrückt werden. Dieser Strom ist imstande, Energie abzugeben, Arbeit zu leisten.

Bitte jagt diese Vögel weg! Jagt sie weg!

Warum?

Ich erzähl’ es euch, aber zuerst: Verjagt sie! Ich kann sie nicht sehen …

Na, endlich!

Ach ja, die Geschichte … Wenn es sein muss …

Ihr wisst, dass ich meine Jahre in Cassia abdiente – ein kleiner Planet im Raum der Cassiopeia, im Richtsegment … aber das spielt ja keine Rolle.

Cassia war recht angenehm. Während meiner Ausbildung kam ich auf die plenensischen Asteroiden, und ich sage euch: Das ist die Hölle! Ununterbrochen mit der hinderlichen Raummontur herumlaufen, in einer Wüste von Silikatbrocken, bei unerträglichen Temperaturen – was nützt die schönste Regulation, wenn die Sonne uns den Bauch versengt und dabei am Rücken die Haut abfriert …

Aber davon wollte ich nicht sprechen.

Cassia!

Dort hat man Luft und warmes Klima wie an der Riviera. Dort wachsen Pflanzen, wenn sie auch weiße Blätter haben und Grün nur in den Stängeln vorkommt. Manche von ihnen sind elektrisch geladen, und wenn man spazieren geht, bekommt man handfeste Schläge. Aber wer geht dort schon spazieren! Dort gibt es keinen Tag wie bei uns – nur Dämmerung oder Nacht –, die Sonne ist dort ziemlich weit entfernt. Wo wir uns aufhielten, brauchten wir künstliches Licht.

Ich hatte wenig zu tun – das Tagebuch führen, auf ein paar Cepheiden aufpassen, den Sender bedienen, das war alles. Die längste Zeit saß ich im Garten und las Kriminalromane. Was soll man auch sonst anfangen? Und jeden Tag, sobald ich es mir gemütlich gemacht hatte, kamen sie aus der Dämmerung zu mir. Sie wanden sich durch die Stauden, ruckten mit den Köpfen, äugten, immer unruhig, immer bewegt. Oft hoben sie die Schnäbel, stießen ihre glucksenden Laute aus – große Vögel, vierbeinig, mit Haarkrausen um die langen dürren Hälse, aber sonst den Pfauen ähnlich. Die Köpfe sind genau die der Pfauen.

Die Dienstordnung gestattet keinen Kontakt mit unbekannten Wesen. Aber was habe ich schon getan? Ich freute mich an ihrem schillernden Gefieder, beobachtete sie, wie sie sich allmählich an mich gewöhnten. Später ließen sie sich sogar streicheln – ich begrüßte sie wie alte Freunde. Manchmal warf ich ihnen auch ein paar Brotkrumen hin – sie pickten danach, fraßen sie aber nicht. Ich habe sie überhaupt nie etwas fressen sehen und zerbrach mir den Kopf darüber, woher sie ihre Energie nehmen. Dafür weiß ich es heute um so besser …

Eines Abends – ich las gerade im Garten, die Beflügelten um mich geschart –, eines Abends also ging meine Lampe plötzlich aus. Ich stand auf, um nachzusehen, schraubte sie heraus, und dabei fasste ich eine blanke Stelle am Leitungsdraht an – meine Hand klebte sofort fest, ich spürte, wie der Strom durch meinen Körper in die Erde lief, alles krampfte sich in mir zusammen …

Ja, es war grausig, aber lange nicht das Schrecklichste.

Das Schrecklichste waren die Vögel: Es schien, als wären sie toll geworden. Sie stürzten auf mich zu, hackten mir ihre spitzen Schnäbel in die Haut, ihr Glucksen ging in ein wüstes Geschrei über. Immer neue kamen aus dem Dunkel angerannt – es war ein Aufruhr von schlagenden Flügeln, anspringenden Tierleibern, scharfen Krallen, vorschnellenden Schnäbeln, Kreischen …

Wie verrückt schlug ich um mich – Federn flogen, ich zerrte an der Leitung … und plötzlich riss sie ab, die Spannung sank auf null – und die Vögel ließen von mir ab. Ich kauerte am Boden und brauchte Minuten, bis ich mich in die Station schleppen und einen Arzt anfordern konnte. Der verpflasterte dann meine Wunden – mein ganzer Körper war durchlöchert von den Schnabelhieben dieser verrückten Tiere, die von elektrischer Spannung leben.

Ich hoffe, ihr versteht, dass ich die Pfauen nicht mehr sehen kann.

Der Auftrag

Das Ungewöhnliche erscheint immer glaubhaft. Das Unglaubhafte ist selten wahr.

Ein Kranker fantasiert. Seinem Bericht liegt ein wahrer Kern zugrunde. Aber seine Deutung ist Halluzination – das meinen die Ärzte.

Kein Geschehen verläuft ohne Ursache. Keines ohne Wirkung. Manches hat unbedeutende Ursachen, aber die Wirkungen können weltumspannend sein.

Wo aber lassen sich Ursachen vollkommen feststellen?

Der Arzt setzte sich ans Bett des Kranken und ergriff begütigend seine Hand: »Nun erzählen Sie uns Ihre Geschichte noch einmal, aber ganz ruhig, bitte! Wir glauben Ihnen doch.«

Der Patient lehnte sich erschöpft in die Kissen zurück. Leise begann er zu sprechen, seine bläulich angelaufenen Lippen zitterten.

»Ich habe ganz klein angefangen. Heute ist meine Werbeagentur ein Weltunternehmen. Die besten Firmen gaben mir Aufträge – Propagandafeldzüge, Meinungsforschung, Public Relations. Den größten Auftrag bekam ich aber von einem Unbekannten. Meine Aufgabe war etwas seltsam – aber es steckte Geld dahinter. Seit Jahren sind meine Firma und ihre Filialen auf der ganzen Welt hauptsächlich damit beschäftigt. Aber es sollte geheim bleiben.

Meine Aufgabe? Ich dürfte nicht darüber reden. Aber heute muss ich es wohl. Ich sollte der Menschheit das interstellare Denken beibringen. Sie sollte vertraut werden mit den Fragen der Raumfahrt, sie sollte auf das vorbereitet werden, was Expeditionen ins Weltall ergeben könnten, sie sollte sich an den Gedanken gewöhnen, dass der Mensch nur eine intelligente Lebensform unter vielen andern im Sternenraum ist.

Ich fragte nicht nach dem Grund. Der Mann bezahlte. Zuerst testete ich die öffentliche Meinung – die meisten Kreise standen solchen Ideen verständnislos gegenüber, nur wenige beschäftigten sich mit ähnlichen Problemen. Es gab wohl einige Schriftsteller, die aus diesem Gebiet ihre Themen holten, aber wer las sie schon? Hier griff ich ein, und jeder kennt jetzt Science-Fiction. Ich spannte meine europäischen Filialen ein. Mit Erfolg, meine Herren! Ich habe auch Verbindungen nach Russland. Wissen Sie, welche Literatur dort in der letzten Zeit den größten Aufschwung genommen hat? Ich tat noch viel mehr. Ich finanzierte Filme und Vortragsreisen, ich brachte Interessierte zusammen und sorgte dafür, dass sie sich in Clubs vereinigten.

Sie haben keine Ahnung, wie schwer es ist, neue Gedanken zu verbreiten! Aber ich hatte Erfolg.

Vor einer Woche rief mich mein Auftraggeber zu sich. Das erste Mal. Er wohnte draußen vor der Stadt in einem einsamen Haus. Schien ein Privatgelehrter zu sein. In einem komfortabel eingerichteten Salon empfing er mich. Er war sichtlich nervös.

›Es geht zu langsam‹, rief er mir zu. ›Sie tun zu wenig!‹

›Entschuldigung‹, sagte ich, ›die Zeitschrift 'Galaxy' erscheint heute in zehn Sprachen, der erste europäische Science-Fiction-Club ist gegründet worden, in den östlichen Ländern haben wir staatliche Unterstützung –‹

Er unterbrach mich.

›Alles zu wenig!‹, rief er. ›Wie konnte es heute zu einer Panik kommen, als fliegende Untertassen über Sydney kreisten?‹

Ich hatte nichts davon gehört, obwohl ich stets gut informiert bin. Woher wusste das der Mann?

Die Angelegenheit kam mir immer merkwürdiger vor. Mein Auftraggeber rannte hin und her, als habe er Angst. Ja, das ist das richtige Wort – Angst! Und dann erscholl das seltsame Knarren aus dem Nebenzimmer. Er lief zur Tür, trat hindurch, ohne sie einen Zoll weiter zu öffnen als notwendig. Trotzdem aber spürte ich die feuchte Hitze und den säuerlichen Geruch, der aus dem Nebenraum ins Zimmer kam. Da schlich ich mich hin und warf einen Blick durchs Schlüsselloch … ich hätte es nicht tun sollen …

Als er wiederkam, versprach ich ihm alles, was er verlangte. Ich wollte nichts als fort, und er entließ mich auch bald. Im Auto wurde mir dann schwarz vor den Augen. Mein Chauffeur hat mich wohl hierher gebracht.

Was ich im Nebenraum gesehen habe? In einem Lehnsessel saß eine Gestalt, größer als ein Mann, aber kein Mensch – sein Leib bestand aus einer weißen Masse von verschlungenen Schläuchen, die Gliedmaßen sahen wie Krebsscheren aus, und der Kopf war ein glockenförmiger Körper mit einem Saugnapf und einer Reihe glotzender Augen rundherum. Es war kein Wesen von dieser Welt …«

Der Kranke schloss die Augen. Obwohl er schwieg, zitterten seine Lippen noch immer. Aber er reagierte auf keine Frage mehr.

»Lassen wir ihn ruhen!«, meinte der Oberarzt. »Der typische Erschöpfungszustand nach einem nervösen Herzinfarkt. Oder, um verständlich zu reden, Managerkrankheit. Ungewöhnlich sind lediglich die Halluzinationen. Er wird nicht wieder auf den Posten kommen. Wie gut, dass sein Sohn sein Lebenswerk weiterführt! Im Getriebe der Firma ist nicht die leiseste Stockung eingetreten!«

Die Herren verließen das Krankenzimmer und wandten sich dem nächsten Patienten zu.

Havarie

Das Unbekannte macht uns Angst, besonders das bewegliche, lebende, handelnde Unbekannte. Es ist ein gesunder Trieb, der uns Fremdes scheuen lässt. Aber – und das gilt genauso für andere Instinkte – hat er heute, hat er morgen noch Berechtigung?

Der Flugkörper verlor schnell an Höhe. Immer wieder lief ein Vibrieren durch den Rumpf, und dann wurden die Kreise der Kraterwälle auf dem Bildschirm ruckweise größer.

Der Ingenieur war auf den Absprung vorbereitet. Der Fallschirm saß fest an seinem Rücken, die Zellstoffhülle mit dem Handsender, den Sauerstoffkapseln und den Energontabletten lag neben der Luke zur Schleusenkammer.

Unbewegt hockte der Ingenieur am Schalttisch, über ein abgegriffenes Foto gebeugt – das Bild seiner Mutter. Er hatte keine Eile. Der steuerlose Flugkörper konnte noch lange treiben, ehe er Bodennähe erreichte. Vielleicht eine Viertelstunde, vielleicht auch noch viel länger.

Dann streiften die Blicke des Ingenieurs zufällig den Bildschirm, und mit einem unartikulierten, erschreckten Ruf sprang er auf. In das Sichtfeld schob sich langsam ein bewegter, glitzernder Keil: eine Wasserfläche, ein unbekanntes Meer auf diesem fremden Weltkörper. Der Ingenieur riss den Nothebel nach vorn, der ihm beide Luken der Schleusen zugleich öffnete, und ließ sich in die Tiefe fallen. Das Bündel mit den eisernen Rationen blieb im Raumschiff zurück.

Unzählige Male hatte der Ingenieur das Abspringen geübt. Er überwand den Schock der Fallbewegung und legte mechanisch die Hand an die Reißleine.

Noch befand er sich über dem Meer, das eine Hälfte des Horizonts erfüllte. Doch der Wind wehte gegen das Land, und als sich der Fallschirm geöffnet hatte, trieb er stetig gegen das Ufer zu.

Der Ingenieur konzentrierte alle Gedanken auf seine Landung. Er setzte hart auf und kappte sofort den Tragriemen. Der Fallschirm blähte sich noch einmal auf und flatterte mit den Windstößen am Boden streifend, landeinwärts.

Mühsam erhob sich der Ingenieur vom Boden. Die Anziehungskraft dieses Planeten war ungewohnt stark – sie drohte ihn in die Knie zu zwingen. Und dann durchlief ihn der Schauer einer unaussprechlichen Angst. Die Finger seiner Linken, die durch die Schutzhülle hindurch bis jetzt das Stückchen Papier der Fotografie gehalten hatten, lösten sich, und das bunte Bild flatterte zur Erde. Um ihn herum bewegten sich in langsamen, kriechenden Bewegungen matt schimmernde, kuppelförmige Gehäuse, jedes etwa zwei Meter hoch, jedes mit einem Greifer ausgerüstet, und eines dieser Dinge steuerte direkt auf ihn zu. Zwei Sekunden zögerte er, dann wandte er sich zur Flucht.

Er stolperte über glatte Krusten eines rotbraunen, glasigen Materials, das unter seinen Füßen splitterte. Er übersprang Gräben, durch die eine dampfende, schwarze Flüssigkeit träge dem Meere entgegen schlich. Er wich schulterhohen Mauerstreifen aus, die ohne ersichtlichen Zweck kreuz und quer durch das Ödland liefen.

Aber er hielt es nicht lange aus. Viel zu schwach waren die Muskeln seines an andere Schwereverhältnisse gewöhnten Körpers. Er strauchelte, raffte sich wieder auf und schleppte sich schließlich auf allen vieren weiter.

Das dunkle, fahrzeugartige Gebilde folgte ihm lautlos, nicht schnell, doch unbeirrt wie eine Maschine.

Schließlich war der Ingenieur am Ende seiner Kräfte. An eine der niederen Mauern gelehnt, sah er das Ding herankommen, näher und näher. Und dann schwenkte der Greifer aus und richtete sich auf seinen Oberkörper. Dicht vor seiner Brust hielt die metallene Zangenhand. Der Ingenieur presste sich an die Wand und wagte nicht aufzusehen. Doch es blieb alles still. Allmählich fasste er wieder Mut und öffnete die Augen. Etwas Helles, Buntes schimmerte in der Greiferhand. Instinktiv griff er danach und willig lösten sich die Kuppen der Metallfinger. Es war das Bildchen seiner Mutter, das er zuvor achtlos zu Boden hatte fallen lassen.

Da richtete er sich aus seiner verkrampften Stellung auf und schöpfte wieder Hoffnung.

Der Beweis

Soweit wir zurückdenken, gab es Kriege zwischen den Menschen. Soweit wir in die Zukunft blicken, wird es Kriege geben. Weder Leid noch Vernunft können daran etwas ändern. Das einzige Mittel, das hilft, ist Gewalt. Überlegene, todbringende Gewalt.

Die Sonne hing dicht über der Hügelkette, jede noch so geringfügige Erhebung warf einen langen Schattenstrich über die Sandwüste von Chorassan. Es war vollkommen windstill, die Stimmen vom Verhandlungsplatz drangen bis an das Leinenzelt, vor dem Kai in einem einfachen Feldstuhl saß. Sein Blick verlor sich dort, wo der Himmel die Erde berührte – er hörte die Worte der beiden Oberbefehlshaber, aber er verstand sie nicht. Eine große Müdigkeit lag über seinen Zügen wie eine Schicht Staub.

Das Widerspiel von Gelb und Blau über dem Horizont wechselte zu satteren Tönen. Matt stieg ein plastischer silberner Mond am wolkenlosen Himmel empor.

Mit einem Ruck schob Kai seinen Stuhl zurück und ging ohne Eile hinüber zu den verhandelnden Gegnern. Er wartete eine Gesprächspause ab, dann fragte er: »Haben Sie sich geeinigt, meine Herren?«

»Die Haltung der Gegenseite machte dies leider unmöglich«, rief der kleine bewegliche Mann in der Kakiuniform, dem man es nicht angesehen hätte, dass er der Herr über Millionen von Menschen war.

»Es liegt nicht an uns«, entgegnete der ordengeschmückte Wortführer der anderen Hemisphäre mit unbewegtem Gesicht, »doch unser Sicherheitssystem erfordert …«

Mit einer Handbewegung beendete Kai die Erklärung. »Sie wissen, was der Erde droht, wenn Sie sich heute nicht einigen. Ich bedaure es zutiefst, aber es bleibt mir keine andere Wahl – ich werde die Einigung mit Gewalt erzwingen. Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, damit Sie Ihre Rüstungszentren räumen können.« Er rückte den Ärmel zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Merken Sie sich die Zeit, meine Herren!«

Flüchtig neigte er den Kopf zum Gruß und drehte sich um.

»Halt!«, rief eine Stimme hinter ihm. »Wer beweist uns, dass Sie überhaupt imstande sind, Ihre Drohung auszuführen!«

Erregte Stimmen klangen auf. »Bluff!«, erscholl es. »Nehmt ihn fest!«

Kai verhielt seinen Schritt und wandte sich wieder der Menschengruppe zu, die sich plötzlich einig gegen den war, der ihre sinnwidrigen Kriegspläne durchkreuzen wollte.

»Was für einen Beweis verlangen Sie?«, fragte Kai.

»Vernichten Sie einen der Hügel dort!«, forderte einer der Offiziere.

»Und die Siedlungen, die dort liegen?«, fragte Kai. »Die Herden an den Hängen? Die Menschen, denen diese Hügel Heimat sind?« Sein Blick wanderte von den Uniformierten in die Umgebung, über die Hubschrauber, die seltsam plump hinter dem Verhandlungsplatz standen, über die Sandtäler und Dünen, über die Berge in der dämmrigen Ferne. Schließlich fing er sich an der vollen Kugel des Mondes.

Sie sollen ihren Beweis haben, dachte er. Einen Augenblick zögerte er noch. Dann zog er ein graues Kästchen aus der Innentasche seiner Jacke und klappte einen Deckel hoch. Einige Griffe … ein metallisches Schnappen … ein fahler Schein fiel über die bewegungslos Harrenden. Er kam vom Mond, der plötzlich den doppelten Durchmesser zu haben schien. Eine leise Erschütterung lief über den Boden. In diesem Moment wirbelte Sand auf, wie von unsichtbaren Händen emporgeschleudert, ein dumpfes Dröhnen lag in der Luft. Dann war es wieder still. Nur das leise Klingen der Abertausend Sandkörner war zu hören, die allmählich wieder zu Boden sanken.

Endlich war die Luft wieder rein, die Sicht wieder frei. Alles war wie früher. Nur – der Mond war vom Himmel verschwunden.

Kalziumaktivierung

Wissen ist Macht. Macht bringt Verantwortung. Nicht jeder ist ihr gewachsen.

In den Atomkernen schlummern ungeheure Kräfte. Nicht alle sind gezähmt. Bei vielen bedarf es nur eines kleinen Anstoßes, um sie frei zu machen, um eine Kettenreaktion auszulösen, bei der ein Atom zerplatzt, andere zum Zerplatzen bringt und so weiter, bis die riesigen Energien erschöpft sind. Jeder Mensch trägt solche Energien mit sich herum.

Im ersten Jahr nach der Entscheidung der Sicherheitskommission hatte er gearbeitet. Das gesamte unterirdische Labor stand zu seiner Verfügung. Die Reaktoren und Energiewandler, der Selektor und das Glyonenmikroskop. Er arbeitete wie nie zuvor. Ihn erfüllte eine Leidenschaft, wie sie die sagenhaften Heiligen der Christen gekannt haben mochten, die dem weltlichen Leben entsagt hatten. Er wurde zum Asketen seines Wissens und kannte nicht Rast und Ruhe, um alle Möglichkeiten auszunützen, die ihm durch seine Lage geboten waren.

Im zweiten Jahr ließ seine Leistung nach. Er ertappte sich immer häufiger bei abschweifenden Gedanken, die mit seinen Zielen nicht in Einklang standen. Dann stand er auf und wanderte durch die dämmrigen Gänge, über die flachen endlosen Treppen, mit gesenktem Kopf, ruhelos.

Das dritte Jahr brachte den Zusammenbruch. Er tobte drei Tage lang, dann blieb er auf seinem Lager liegen und musste durch Energontabletten ernährt werden. Man hielt seine Kammer verschlossen, und nur von Zeit zu Zeit sah der Institutsarzt nach ihm.

Aber seine Lebensgeister waren noch nicht erloschen. In ihm gloste die Gier nach dem Leben wie ein unterirdisches Feuer. Während sein Körper untätig blieb, arbeitete sein Gehirn. In ihm erwachte ein Hass. Ein Hass auf seine Kollegen, die zugleich seine Wächter und Unterdrücker waren, die ihn hier festhielten wie einen tollen Hund, um ihr eigenes armseliges Leben zu schützen. Hass auf die gesamte Menschheit, die Luft und Sonne genießen durfte, das Licht und den Wechsel von Tag und Nacht.

In den langen einsamen Stunden plante er die Flucht aus seinem Gefängnis. Die anderen Menschen kümmerten ihn nicht. Einmal noch wollte er den unendlichen Himmel über sich sehen. Es war ihm gleich, was dann mit ihm und den anderen geschah. Auf solche Art hat sich noch kein Mensch an der Welt gerächt! An einer Welt von Menschen, zu denen er nicht mehr gehörte. Die paar aus dem Gleichgewicht gebrachten Atome in seinen Knochen waren der einzige Unterschied zwischen ihnen und ihm, aber zugleich die Schranke, die nicht zu überwinden war. Der erste ein Kalziumatom seines Körpers treffende Mesonenschauer aus der Höhenstrahlung wirft die Protonen und Neutronen aus ihrem labilen Gleichgewicht. Die Austauschenergien der Kernkräfte werden frei, der Prozess greift auf benachbarte Atome über, und die kalziumreichen Knochen werden zum Herd einer Explosion von der Gewalt einer Wasserstoffbombe.

Als der Arzt wieder an sein Bett trat, stieß er ihn mit einem Fußtritt zurück, schnellte mit langen Sprüngen zur Tür hinaus, drückte den Verschluss zu. Die Sprechanlage war zerstört, die Transistoren des Fernsehers zerschlagen. Die schalldichten Wände ließen keinen Laut hindurch.

Eilig, doch mit beherrschten Bewegungen ging er durch die Flucht der Laboratorien. Er wusste, welche Räume zurzeit leer standen. In seiner Hand hielt er die Lochmarke, die ihm den Zugang zur Oberwelt erschließen würde. Seit dem unglücklichen Tag vor drei Jahren, seitdem er das unterirdische System nicht mehr verlassen durfte, hielt er sie verborgen.

Er gelangte in den Archivraum. Hier lagen die Protokollbücher des Wachdienstes auf einem Wandbrett. Er löste einen Band aus der Reihe der anderen und blätterte darin. Mit Rotstift angestrichen stand hier die Notiz über sein Missgeschick:

›Bei Versuch Nr. 376/62 C – Aktivierung von Kalziumatomen geriet der technische Assistent Peter Woroscheff in das hochfrequente Mesonenfeld des Aktivators. Der sofort vorgenommene Resonanztest ergab eine weitgehende Metastabilisierung des in den Knochen enthaltenen Kalziums. Da die Auslösung einer Kettenreaktion nicht völlig auszuschließen ist, darf der Betroffene auf Beschluss des Sicherheitsausschusses den höhenstrahlengeschützten Bereich der Laboratorien nicht mehr verlassen …‹ Ein verächtliches Lächeln glitt über sein Gesicht. Achtlos warf er das Buch beiseite und stieg die Treppe hinauf.

Im dritten unteren Stockwerk versperrte das Magnettor den Weg. Er drückte die Marke in die Kontrollritze. Einige bange Sekunden verliefen Dann schoben sich die Leichtstahlplatten lautlos auseinander. Ein frischer Luftzug schlug ihm entgegen. Von oben her schimmerte schwaches Licht.

Die letzten Stufen – die letzten Augenblicke vor einer Katastrophe? Eine kurze Gangstrecke, noch bleiüberdeckt. Eine Tür ins Freie.

Er stockte einen Moment. Seine Hand berührte die Klinke. In den Knien spürte er ein aufkommendes Zittern. Die letzten drei Jahre liefen in seinen Gedanken ab wie ein Film. Niemand hatte mit ihm eine Regung von Mitleid gezeigt. Nun kannte auch er kein Mitleid mehr. Er stieß den Flügel auf und taumelte hinaus. Kalter bläulicher Sonnenschein des ausklingenden Winters lag auf den Schwaden von künstlichem Nebel und verlieh ihnen den matten Glanz von Glaswolle.

Vom nahen Basaltsteinbruch her kam das Rollen einer Sprengung. Sonst geschah nichts.

Peter Woroscheff lehnte an der Mauer und hielt die Hände vors Gesicht gepresst. Der Wind verflocht sein Haar zu wirren Strähnen. Er atmete aus vollen Zügen.

Im Tal tönten Glocken. Ihm war, als hörte er sie zum ersten Male.

Fahrt ins Ungewisse

Der Weltraum stellt den Menschen vor gigantische Aufgaben. Er setzt ihn aber auch gigantischen Belastungen aus. Fern aller Zivilisation, in der Leere des Raumes, wird sich seine Menschlichkeit unter Beweis stellen.

Aus der Kabine drangen wieder dumpfe Geräusche, erst leise, doch dann mit zunehmender Heftigkeit.

Kai seufzte. Er warf einen Blick auf die beiden Projektionsflächen. In der Schwärze des Raumes hingen Millionen Sterne. Aber noch immer keine Spur von Chaidur und Par, keine Spur von der geschweiften Sonne.

Müde stieß er sich von seinem Sitz ab, um nach Ben zu sehen. Ben hatte wieder Fieber. Er hing schief im Raum und schlug um sich, um Halt zu finden. Neben ihm schwebte die Sprechanlage. Kai half dem Gefährten aus seiner üblen Lage, indem er die Raumkugel langsam rotieren ließ. Allmählich sanken alle losen Gegenstände zur Außenwand, und Ben fand wieder Halt unter den Füßen.

»Hast du die Richtung?«, fragte er.

»Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte Kai. »Sicher finde ich sie bald. Inzwischen leg dich wieder!«

Ben bückte sich zur Sprechanlage. »Ob ich es noch einmal versuche?«

»Versuch es«, antwortete Kai, »aber leg dich doch dazu nieder!« Er drückte den Fiebernden aufs Lager und brachte ihm die Hörer und das Kehlkopfmikrofon. Dann ging er wieder in den Navigationsraum.

Das Radargerät schlug überhaupt nicht mehr an. Nicht einmal ein Komet befand sich in dieser grauenvollen Leere.

Kai hörte das Gemurmel von Ben, der noch immer hoffte, Verbindung zu bekommen. Und Kai wusste, wie sinnlos das war. Ben verbraucht seine letzten Kräfte, dachte er.

Schließlich nahm er seine eigene Sprechanlage auf und ging damit in den Vorratsraum. Er klemmte den Hörer auf und stellte die Notwelle ein. Da war es, das ewige »Chaidur, Par, hört ihr uns? Hört ihr uns? Chaidur, Par …«

Kai legte das Kehlkopfmikrofon an und klemmte sein Taschentuch zwischen Hals und Membrane. Er drehte den Lautstärkeregler auf ganz leise und meldete sich: »Hier Funkstelle Chaidur, wer ruft?« Dabei kratzte er mit den Fingernägeln an den Membranfassungen, um Störgeräusche vorzutäuschen.

»Hier Ben und Kai in der Raumkugel Omega. Gebt uns die Richtung!«, rief die Stimme Bens in der Hörmuschel, und trotz der verzerrten Wiedergabe klangen daraus Lebensmut und Hoffnung.

»Eure Richtung ist in Ordnung«, gab Kai zurück. »Wir sehen euch bereits!« Dann horchte er wieder. Aber es rührte sich nichts mehr. Hastig riss er Hörer und Mikrofon herunter und lief in die Kabine Bens. Dieser lag auf seinem Bett, er atmete tief, und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.

Da lächelte auch Kai und ging geräuschlos an seinen Platz am Führerstand zurück.

Die Rakete

Dies ist die Einsteinsche Formel für die relativistische Zeitkontraktion. Sie sagt uns, dass die Zeit in einem bewegten System langsamer verläuft als im relativ dazu ruhenden.

Gestern beschränkte sich die Anwendung auf die theoretische Physik. Schon heute hat sie praktische Bedeutung.

Kai hockte im Navigationsraum und starrte auf den Bildschirm. Die Scheibe des Riesenplaneten nahm fast ein Drittel des Gesichtsfeldes ein.

»Wie weit sind wir von ihm entfernt?«, fragte er.

»Noch immer zweiundsiebzig Millionen Kilometer«, gab Ben zurück.

»Und wann kommen wir endlich aus seinem Schatten heraus?«, fragte er weiter.

Ben lächelte. »Vielleicht in zehn Tagen, vielleicht in zwanzig.« Nachdenklich fügte er nach einer Weile hinzu: »Wenn uns die Burschen dort unten in Ruhe lassen!«

Kai hatte inzwischen auf den kleinstmöglichen Gesichtswinkel eingestellt.

»Es sieht nicht so aus«, sagte er plötzlich und deutete mit der Hand auf den Bildausschnitt. »Sie opfern ihre Rakete.«

Ben trat neben ihn. Tatsächlich, sie war als runder Körper zu erkennen. Langsam wurde sie unscharf.

Ben drängte Kai sanft von seinem Sitz. Er regulierte die Entfernungseinstellung nach, das Gebilde bekam wieder deutliche Konturen. Die Lippen Bens bewegten sich im stummen Ablesen der Abstandswerte. Zugleich beobachtete er den Zeiger des Chronometers.

»Das Ding bewegt sich mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit«, meinte er dann, und in seinen Mundwinkeln lag wieder das traurige Lächeln.

»Und benötigt also sechzehn Minuten bis zu uns, wovon schon zwei vergangen sind«, fuhr Kai nach kurzem Überlegen fort.

Einige Minuten war es still. Bevor sie nicht Energie aus den Strahlen der geschweiften Sonne aufnehmen konnten, gab es keine Möglichkeit zum Entrinnen.

Schließlich fragte Kai: »Besteht Aussicht, dass sie uns nicht trifft?«

»Sie trifft uns bestimmt nicht«, antwortete Ben, »aber umso sicherer liegen wir im Explosionsfeld. Ich schätze den Wirkungsradius auf tausend bis zweitausend Kilometer.«

Zehn Minuten vergingen …

Die Bombe wurde stetig größer. Noch immer regelte Ben die Scharfeinstellung. Langsam erschien eine Seitenfläche.

»Sie dürfte etwa in fünfzehn Kilometer Abstand vorbeigehen«, meinte Ben. »Wir kommen gleich in den Wirkungskreis. Aber es gibt doch noch eine Hoffnung. Eine winzige, verrückte Hoffnung!«

»Was meinst du?«, fragte Kai. Seine Stimme klang heiser.

Bens Blicke flogen von der Bildfläche zum Chronometer und wieder zurück.

»Noch zehn Sekunden«, sagte er kühl und geschäftsmäßig.

Mit unbeweglichen Gesichtern beobachteten sie den Flug des lang gestreckten Explosionskörpers …

Er zog ruhig vorüber.

»Wie ist das möglich?«, fragte Kai mit abgewandtem Gesicht.

»Ich habe es gehofft«, antwortete Ben. »Und auf irgendeine unerklärliche Art war ich sicher, dass ich mich nicht täuschen könnte. Die da unten«, und er machte mit dem Kinn eine unbestimmte Bewegung in die Richtung des Riesenplaneten, »diese reizenden, goldigen Dummköpfe haben die relativistische Zeitkontraktion vergessen.« Er hob einen Zettel auf, auf dem er zuvor einige Zahlen notiert hatte. »Die Uhr in der Rakete zeigt nach sechzehn Minuten erst fünfzehneinhalb …«

Er verstummte. Die zweite Projektionsfläche, auf die die Rakete inzwischen übergetreten war, erschien jäh mit einem unerträglich hellen, milchigen Gelb überzogen. Darin wogte und strömte es, allmählich formte sich daraus eine kugelige Wolke, die nach und nach weiter anwuchs.

Doch sie konnte Kai und Ben nichts mehr anhaben.

Tiefkühlschlaf

Zwei Männer und eine Frau – das alte Problem. Neu ist nur seine Lösung.

Nun waren die Trümmer des geborstenen Raumschiffs schon durchs Kanzelfenster zu erkennen. Es sah aus, als ob leuchtende Körper im Wasser trieben.

Kai steuerte die Photonenkugel näher an die Unglücksstelle. Die Rettungsflotte des Planeten Jota 3 hatte ganze Arbeit geleistet – von Menschen gab es keine Spuren mehr. Weder Gerettete in den durgläsernen Rettungszylindern noch zerplatzte Leiber von Passagieren, die die Katastrophe überrascht hatte. Die Kugel bewegte sich jetzt langsam zwischen dem Treibgut – Liegesessel, Nahrungsbehälter, Teile der Schiffswand.

»Nichts mehr zu tun«, stellte Ben fest, und Kai drehte auf Beschleunigung. Die Überreste des Raumschiffs fielen hinter ihnen in das All zurück.

Ein durch den Navigationsraum flirrender Reflex ließ Kai von seinem Kursplan aufsehen. Da kam er wieder, aus dem Schwarz des Raums weitab der Sonne Jota. Nun wurde auch Ben aufmerksam. Er suchte die Quelle des zuckenden Lichts auf den Bildschirm zu bekommen. Bald tauchte auf der konkaven Leuchtscheibe – zuerst verschwommen, dann gestochen scharf – ein Glaszylinder auf.

»Der hätte leicht zu einem Sarg werden können«, meinte Ben.

Kai hatte den Kurs schon geändert. Nach kaum einer Minute navigierte er den Zylinder elektrisch in die Luftschleuse. Als sich die Türflügel auseinanderschoben, traten die beiden Gefährten hinzu. Im Zylinder lag ein Mädchen, ohnmächtig, aber unbeschädigt, die Hand umkrampfte einen Taschenspiegel.