Der Traum von der Zelle - Karl-Heinz Haselmeyer - E-Book

Der Traum von der Zelle E-Book

Karl-Heinz Haselmeyer

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Beschreibung

Ein Blick in die nahe Zukunft, in der die emissionsfreie Energieproduktion die Umweltprobleme nicht nachhaltig beheben konnte. Viele Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage und strömen in Gebiete, die noch nicht so stark betroffen waren. Dadurch entstehen gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen. Ein Wissenschaftler entwickelt eine Methode, um das Schmerzempfinden abzuschalten. Als er sieht, dass seine Erfindung missbraucht werden kann, versucht er, auf die Gefahren hinzuweisen. In seinen Vorlesungen und Vorträgen erregt er Aufsehen und Widerspruch.

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Der Traum von der Zelle

Wieder ein neuer Morgen, jeden Tag die gleiche Prozedur im Bad, sogar das Frühstück wiederholt sich Tag für Tag. Nun stehe ich vor der Glasfront dieses erlesen eingerichteten Wohnzimmers und starre schon eine viertel Stunde auf die zugegeben herrliche Landschaft.

Dort wo sich der Fjord öffnet, kann ich das Meer sehen. Hier hoch im Norden sieht das Meer normal aus, vom Anstieg des Meeresspiegels ist nichts zu merken. Seit der Golfstrom abgerissen ist, wüten weiter südlich häufig heftige Orkane, soweit nach Norden scheinen sie nicht zu kommen. Um einen Aufenthalt in diesem schönen und einsamen Haus auf der Klippe würden mich viele beneiden, die in übervölkerten Städten dem Broterwerb nachgehen müssen, aber in mir ist Leere. Ich habe aufgehört diese Ruhe zu genießen, allein ohne meine Frau bin ich ein halber Menschen.

Was fange ich nun mit meiner Zeit an? Zum Lesen habe ich keine Lust und zum Schreiben keine Einfälle.

Bald kommt die Haushaltshilfe. Dann hat sie den Einkauf schon erledigt, ohne eine Geste, ohne ein Wort oder ein Lächeln wird sie putzen und mir dann ein vorzügliches Mittagessen bereiten. Sie ist in Hypnose auf die beste Verrichtung ihrer Arbeit eingestellt, erst wenn sie in ihrem Zuhause ist, fällt das Arbeitsprogramm von ihr ab. Dann ist sie ein lebendiger Mensch und hat keinerlei Erinnerung an ihren Job. Was habe ich mit meiner

Forschung angerichtet, ist das ein Fortschritt? Ich glaube, mir wäre eine Haushaltshilfe mit vielen Fehlern und damit verbundenen Schwierigkeiten lieber. Ich verdrücke mich lieber in mein Arbeitszimmer, doch ich weiß, auch dort erwartet mich nur Leere.

Nun denke ich wieder an den Traum. Ich träume selten, aber das Traumgeschehen der vergangenen Nacht steht mir noch ganz deutlich vor Augen. Ich sollte ihn aufschreiben, der Traum beunruhigt mich und lässt mich nicht los.

Ich saß auf einem Stuhl hinter einem großen Tisch, mir waren die Hände auf den Rücken gefesselt. Hinter dem Tisch saßen vermummte Gestalten. Sie boten mir an, eine Forschungsstation mit ausgezeichneter Ausstattung zu übernehmen. Meine gesamten Unterlagen stünden mir zur Verfügung und ich erhielte alle denkbaren Privilegien. Die Bedingung wäre die Preisgabe der Verschlüsselung meiner Aufzeichnungen. Als ich das rigoros ablehnte, wurde der Ton schneidender und man machte mir klar, dass ich mich in auswegloser Lage befände und ich meine Situation nur verschlechtere. Ich könne mir das Angebot in Ruhe überlegen. Daraufhin brachte man mich in einen sehr kargen Raum. Er war kaum größer als 4 Quadratmeter mit glatten grünen Wänden und einer grünen Decke in ca. 2 Metern Höhe. Die Zelle war gänzlich leer, es gab weder eine Tür noch ein Fenster. Ich wusste nicht, wie ich ohne Tür in diese Zelle hineingekommen war und niemand nahm Kontakt zu mir auf. Ich vermutete, dass meine Entführer damit rechnen, ich würde in absehbarer Zeit unter diesen Umständen zusammenbrechen und freiwillig den Verschlüsselungscode für meine Unterlagen preisgeben. Ich ahnte, dass ein Mensch dieses ewige Licht in diesem kleinen kargen Raum nicht lange aushält. Ich versuchte verzweifelt mich durch Erzählungen abzulenken und hielt einem unsichtbaren Publikum eine Vorlesung.

Meine Stimme hallte und ein Echo schien von weit her zu kommen. Dann saß ich plötzlich meinem Sohn gegenüber, der mich traurig ansah und sagte, es wäre sowieso alles vergeblich, ich wäre ein Pflegefall. In dem unsichtbaren Publikum erhob sich Lärm und alles brüllte:

„Sucht euch alternative Fakten, nieder mit der beschissenen Wirklichkeit. Betet! Tut Buße!

Von dem Getöse in meinen Ohren wachte ich schweißüberströmt auf. Einen Moment wusste ich nicht, wo ich war.

Träume geben Erlebtes in verschlüsselter Form wieder. Ich bin unzufrieden, was mit den Ergebnissen meiner Forschung gemacht wird.

Als ich die Lenkbarkeit von Hirnarealen mittels elektro-magnetischer Strahlen entdeckte und es mir gelang, zeitweise alle Schmerzempfindungen abzuschalten, war ich begeistert, denn nun konnte man operieren, ohne den schädlichen Einfluss von Narkosemitteln.

Schnell wurde aber diese Erfindung dazu genutzt, um eine tiefe Hypnose auszulösen und Menschen in dieser Hypnose zu manipulieren.

Diese Technik findet nun mannigfaltige Verwendung und lässt sich nicht wieder aus unserem Leben verbannen. Diese Entwicklung bedrückte mich und ich zog mich zur Erholung in diese Einöde über dem Fjord zurück und finde mich hier nun eingesperrt und einsam. Täglich lebe ich den abendlichen Telefongesprächen mit meiner geliebten Frau entgegen, die ich hier so sehr vermisse. Wir sind so sehr zusammengewachsen, dass ich nun nur ein halber Menschen bin. Anscheinend vermisse ich auch meine Verpflichtungen in der Lehre, die ein wichtiger Teil meines Lebens sind. Dann kam in dem Traum auch noch die Sorge um unseren einzigen Sohn durch. Bei unserer letzten Begegnung, kurz vor meiner Abfahrt nach Norwegen gab es hässlichen Streit. Ich wurde zornig und habe ihn wohl sehr verletzt. Aber er kann doch nicht mit seinen 29 Lebensjahren - sein Studium hat er schon vor Jahren abgebrochen - nur unverbindlich von meinem Geld in der Welt umher bummeln. Es geht nicht um das Geld, ich habe mehr als genug, es geht darum, dass er ohne jede Verantwortung keinerlei Verpflichtungen eingeht. Im Streit habe ich ihm vorgeworfen, dass wohl seine Zukunft darauf gerichtet wäre von dem Erbe seiner Eltern, wenn es einmal so weit wäre, dieses faule Leben weiterzuführen. Ich hätte das nicht sagen sollen, er wurde blass und ist, ohne sich zu verabschieden, abgereist. Der Schluss meines Traumes spiegelt wohl mein Unbehagen, dass in der Gesellschaft Mystik und Aberglaube immer mehr um sich greifen und die Wissenschaft in der Breite die richtungsgebende, leitende Rolle zu verlieren scheint. Dazu kommt nun auch noch die verantwortungslose Geldmacherei mit meiner Erfindung. Ich frage mich schon lange, wohin geht die menschliche Gesellschaft.

Nach diesen etwas trüben Gedanken muss ich an die frische Luft. Leider kann man in dieser verlassenen Gegend nicht so gut spazieren gehen, es fehlen Wege. Dafür ist die Aussicht umso schöner. Allein in dieser herrlichen Kulisse fühle ich mich umso kleiner. Ich habe das Gefühl der Unwirklichkeit und ich denke, das alles gibt es so nicht, es ist nur meine Welt, so wie ich sie sehe. Der Eindruck vom Raum und die Farben, alles entsteht erst in meinem Kopf, die Natur hat keine Farben. Der Stein unter mir, auf dem ich sitze, ist hart und drückt mein Gesäß. Genau genommen berühre ich den Stein nicht, die Abstoßung in sehr kleinen Entfernungen lässt mich Bruchteile von Nanometern über ihm schweben. Und wenn man diese harte Struktur vergrößert und in den Stein hineinschaut, findet man erst ein Geflecht von Molekülen, die vergrößert aus Atomen bestehen, und wenn man eines der Atome betrachtet und nochmals stark vergrößert, bis der Kern des Atoms so groß wie ein Apfel ist, dann bilden die Außenbahnen der Elektronen eine Kugel, größer als der Petersdom und zwischen Kern und den Elektronen ist nichts, überhaupt nichts. Also ist fast alles leerer Raum und alles müsste mit Leichtigkeit zu durchdringen sein. Ist es aber nicht und mein Po drückt mich, ich muss aufstehen. Mein dümmster Gedanke heute ist:

Ein Nicht gibt es nicht, ebenso wie Unendlichkeit. Ich sollte lieber diese Naturschönheit genießen, statt dumme Gedanken in die Weite zu schicken. Leider sind es noch über zwei Stunden, bis ich die Stimme meiner geliebten Frau am Telefon hören werde, ich gehe heim und lese noch ein wenig.

Heute sehe ich nach dem Frühstück meine elektronische Post durch, das meiste kann ich gleich löschen. Dazwischen sind immer wieder Anfragen, wie fokussiert die Strahlung sein muss, um bestimmte Nervenzellen zu erreichen.

Das Missverständnis liegt in der Annahme, dass ein Gehirn kleinräumig arbeitet. Es arbeitet aber eher so wie ein großer Vogelschwarm. Den besten Eindruck gibt die große Wolke eines pulsierenden Schwarms von Staren, die sich wie ein Gesamtorganismus durch die Lüfte bewegen.

Man kann von dieser Wolke einen Teil abschnüren und abgetrennt koordiniert weiterarbeiten lassen. Genau das mache ich mit der Hypnosestrahlung. Ich schnüre den Teil, der Bewusstsein erzeugt, ab und lasse ihn getrennt von der Erregung des Gesamtsystems weiterarbeiten. Das ist ein Zustand, der sich selbst so lange erhält, bis die Erregungsleitung wieder zusammengeführt wird. Für mich ist eine andere Frage problematisch. Wo bleibt bei diesem Vorgang die Persönlichkeit? Tötet man mit dieser Methode eine Persönlichkeit auf Zeit?

Behandelte Personen machen in diesem Zustand den Eindruck von Automaten und sind nicht ansprechbar, können aber komplizierte Verrichtungen ausüben. Sie reagieren auf die Umwelt, nehmen sie aber nicht wahr. Die Umwelt entsteht für uns durch die Wahrnehmung. So ist für Menschen unter der Wirkung von Hypnosestrahlung die Erfahrungswelt und ihre Persönlichkeit, ihr

„Ich“, nicht vorhanden. Ich wollte nur operative Eingriffe von der Anwendung von Narkosemitteln mit deren schädlichen Wirkungen befreien und sehe mich nun Weiterungen gegenüber, die ich nie gewollt habe.

Daraus entspringen wohl mein Unbehagen und das Gefühl der Leere, die mich in diesem kleinen Paradis gefangen halten. Nun ist schon gleich Mittag und ich muss meine Abneigung gegenüber dieser unschuldigen Haushaltshilfe unterdrücken, die mir die Mahlzeit serviert.