Der weiße Drache - Anne McCaffrey - E-Book

Der weiße Drache E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Ein ungewöhnlicher Gefährte

Rubkat im Sagittarius-Sektor ist eine Sonne vom Typ G. Sie wird von fünf Planeten und einem eingefangenen Trabanten umkreist, der auf einer langgestreckten Ellipse das System durchzieht. Auf ihm hat sich zwar kein intelligentes, dafür aber umso gefährlicheres Leben entwickelt. Alle zweihundert Jahre nähert sich dieser rote Stern Pern, dem dritten Planeten des Systems, an, der von Menschen besiedelt ist, und lässt lebensbedrohliche Sporen regnen. Einzig die Drachenreiter von Pern mit ihren telepathisch begabten Flugechsen können die Gefahr noch in der Luft bekämpfen. Unter den Drachenreitern ist Lord Jaxom. Weil sein Albinodrache etwas zu klein geraten ist, wird er belächelt und sein Tier nicht ganz für voll genommen. Doch der junge Lord weiß, dass Ruth über ganz spezielle Fähigkeiten verfügt – und schneller, als ihm lieb ist, muss er sie unter Beweis stellen …

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DER WEISSE DRACHE

Die Drachenreiter von Pern

Band 6

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Rubkat im Sagittarius-Sektor ist eine Sonne vom Typ G. Sie wird von fünf Planeten und einem eingefangenen Trabanten umkreist, der auf einer langgestreckten Ellipse das System durchzieht. Auf ihm hat sich zwar kein intelligentes, dafür aber umso gefährlicheres Leben entwickelt. Alle zweihundert Jahre nähert sich dieser rote Stern Pern, dem dritten Planeten des Systems, an, der von Menschen besiedelt ist, und lässt lebensbedrohliche Sporen regnen. Einzig die Drachenreiter von Pern mit ihren telepathisch begabten Flugechsen können die Gefahr noch in der Luft bekämpfen. Unter den Drachenreitern ist Lord Jaxom. Weil sein Albinodrache etwas zu klein geraten ist, wird er belächelt und sein Tier nicht ganz für voll genommen. Doch der junge Lord weiß, dass Ruth über ganz spezielle Fähigkeiten verfügt – und schneller, als ihm lieb ist, muss er sie unter Beweis stellen …

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

THE WHITE DRAGON

Aus dem Amerikanischen von Birgit Reß-Bohusch

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1978 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

ISBN 978-3-641-20889-9V003

Inhalt

 

Prolog

I: Ruatha, 12. Planetenumlauf seit dem Wiedererscheinen des Roten Sterns

II: Benden-Weyr, 13. Planetenumlauf seit dem Wiedererscheinen des Roten Sterns

III: Morgen auf Ruatha und in der Gilde-Halle der Schmiede von Telgar, 9.5.15 seit Wiedererscheinen des Roten Sterns

IV: Ruatha, Fidellos Hof und verschiedene Orte dazwischen, 10.5.15–16.5.15

V: Vormittag in der Harfnerhalle und auf Burg Fort, Nachmittag im Benden-Weyr, Spätnachmittag in der Harfnerhalle, 26.5.15

VI: Ruatha und Südkontinent, 27.5.15–2.6.15

VII: Vormittag auf Ruatha, 2.6.15

VIII: Ruatha, Fort-Weyr, Fidellos Hof 3.6.15–17.6.15

IX: Frühsommer in der Harfnerhalle und auf Ruatha, 3.7.15

X: Von der Harfnerhalle zum Süd-Kontinent, Abend im Benden-Weyr, 4.7.15

XI: Spätvormittag im Benden-Weyr, Morgen in der Harfnerhalle, Mittag auf Fidellos Hof, 5.7.15

XII: Ruatha, Fidellos Hof, Sporenregen, 6.7.15

XIII: Eine Bucht im Süden, 7.7.15–7.8.15

XIV: Morgen in der Harfnerhalle, Vormittag im Ista-Weyr, Nachmittag in Jaxoms Bucht, 28.8.15

XV: Abend in Jaxoms Bucht und später Abend im Ista-Weyr, 28.8.15

XVI: In der Bucht 28.8.15–7.9.15

XVII: Burg Fort, Benden-Weyr, in Jaxoms Bucht und an Bord der Morgenstern, 1.10.15.–2.10.15

XVIII: Jaxoms Bucht, Ankunftstag des Meisterharfners, 14.10.15

XIX: Vormittag in Jaxoms Bucht, Sternbeobachtungen am späten Abend, der Morgen danach, Entdeckung am Bergkegel, 15.10.15–16.10.15

XX: Am Vulkankegel und auf Ruatha, 18.10.15–20.10.15

XXI: Tags darauf am Berg, in Jaxoms Bucht und an der Brutstätte im Süden, 21.10.15

Nachwort

Drachen-Index

Die Weyr in der Reihenfolge ihrer Gründung

Die wichtigsten Burgen und ihre Weyr-Zugehörigkeit

Die einflussreichsten Burgherren

Handwerks- und Gildemeister von Pern

Besitzer von Feuerechsen

Worterklärungen

Die Menschen auf Pern

 

Prolog

 

Rubkat im Sagittarius-Sektor war eine goldene Sonne vom G-Typ. Sie besaß fünf Planeten, zwei Asteroiden-Gürtel und einen Wanderstern, den sie angezogen und während der letzten Jahrtausende festgehalten hatte. Als sich Menschen auf Rubkats dritter Welt niederließen und sie Pern nannten, schenkten sie dem Wanderer, der in einer stark ellipsenförmigen Bahn um seine Adoptivsonne zog, wenig Beachtung. Zwei Generationen lang verschwendeten die Kolonisten kaum einen Gedanken an ihn – bis sich der helle Rote Stern im Perihel seiner Stiefschwester näherte. Waren nämlich die Umstände günstig und schoben sich keine anderen Planeten des Systems dazwischen, dann versuchte eine bestimmte Lebensform des Wanderplaneten ihrer unwirtlichen Heimat zu entfliehen und den Raum nach Pern mit seinem gemäßigten, angenehmen Klima zu überbrücken. Zu diesen Zeiten regneten Silberfäden von Perns Himmel, die alles vernichteten, was sie berührten. Die Verluste, welche die Siedler anfangs erlitten, waren erschreckend hoch. Und während des Kampfes ums Überleben ging Perns enge Bindung zum Mutterplaneten verloren.

Um die Gefahr der schrecklichen Fäden in den Griff zu bekommen – denn die Bewohner von Pern hatten gleich zu Beginn ihre Transportschiffe ausgeschlachtet und auf alle technischen Geräte verzichtet, die auf einem ländlichen Planeten nicht unbedingt nötig waren – arbeiteten weitsichtige Männer und Frauen einen langfristigen Plan aus. In der ersten Phase züchteten sie aus einer einheimischen Lebensform eine spezielle Abart und bildeten Menschen mit starkem Einfühlungsvermögen und telepathischen Fähigkeiten aus, diese Tiere zu steuern. Die Drachen – so genannt nach den mythischen Geschöpfen der Erde, mit denen sie Ähnlichkeit aufwiesen – besaßen zwei wertvolle Eigenschaften: sie konnten ohne Zeitverzug von einem Ort an den anderen gelangen, und sie spien Flammen, wenn sie bestimmtes Phosphorgestein fraßen. Da die Drachen fliegen konnten, waren sie in der Lage, die Fäden mitten in der Luft zu versengen und sich blitzschnell an einen anderen Ort zu begeben, wo ihnen die Plage nichts anhaben konnte.

Es dauerte Generationen, bis das Potenzial dieser Drachen voll entwickelt war. Die zweite Phase der Abwehr gegen die tödliche Infiltration sollte aber noch länger dauern. Denn die Fäden, Pilzgeflecht-Sporen ohne jeden Verstand, verschlangen in blinder Gefräßigkeit jede organische Materie und vermehrten sich, sobald sie einmal im Boden eingenistet waren, mit erschreckendem Tempo. Man hatte jedoch einen Wurm entdeckt, der eine Symbiose mit den Fäden einging und verhinderte, dass sie sich im Boden ausbreiteten. Diesen Wurm setzte man auf dem Südkontinent aus. Der ursprüngliche Plan sah vor, dass die Drachen Menschen und Herden aus der Luft schützen sollten, während die Würmer alle Fäden vernichteten, die zu Boden fielen und die Vegetation gefährdeten.

Die Leute, die diesen Zweistufenplan ausgearbeitet hatten, bedachten jedoch nicht, dass sich im Laufe der Zeit manches verändern könnte, und sie ließen zudem geologische Besonderheiten außer acht. Der Südkontinent, üppiger und schöner als der raue Norden, erwies sich nämlich als instabil, und die gesamte Kolonie musste schließlich in den Norden ziehen und vor den Fäden Zuflucht in den natürlichen Höhlen der Gebirge suchen, von denen unzählige den gesamten Kontinent durchzogen.

Fort, die erste Siedlung, in die Ostflanke der Großen Westberge gebaut, wurde bald zu eng, um alle Menschen aufzunehmen. Eine neue Kolonie entstand ein Stück weiter im Norden, an einer höhlendurchzogenen Klippe nahe einem großen See. Aber auch Ruatha, wie sich der Ort nannte, war nach wenigen Generationen übervölkert.

Da der Rote Stern im Osten stand, beschlossen die Bewohner von Pern, auch einen Stützpunkt in den Ostbergen zu errichten, falls sich dort geeignete Höhlen finden ließen. Denn nur Felsen und Metall, beides beklagenswert knapp auf Pern, waren ein zuverlässiger Schutz gegen die sengende Sporenplage.

Inzwischen hatte man die geflügelten, feuerschnaubenden Drachen immer größer gezüchtet, so dass sie mehr Raum benötigten, als die Höhlenfestungen boten. Uralte Kegel erloschener Vulkane, einer hoch über der Burg Fort, der andere in den Bergen von Benden, erwiesen sich als bewohnbar, vor allem, da sich auch in ihren Flanken Höhlen fanden. Mit der letzten Kraft der großen Steinschneider, die man einst von der Erde mitgebracht hatte, um Bergwerke anzulegen, sprengte man zwei Drachen-Weyr in den Fels. Alle nachfolgenden Burgen und Weyr mussten von Menschenhand in den Stein gehauen werden.

Die Drachenreiter auf den Höhen und die Bewohner der Burgen und ihrer Dörfer gingen ihren jeweiligen Aufgaben nach, und im Laufe der Zeit entwickelte jede der Gruppen ihre eigenen Gebräuche und Traditionen, die bald so starr wie Gesetze waren.

Dann kam eine Spanne von zweihundert Umläufen des Planeten Pern um seine Sonne; in dieser Zeit befand sich der Rote Stern am anderen Ende seines stark ellipsenförmigen Orbits, ein eisbedeckter, einsamer Gefangener des fremden Systems. Keine Fäden fielen auf Pern. Die Bewohner tilgten die Spuren der Verheerungen, bauten Getreide an und zogen Obstbäume aus den kostbaren Samen, die sie mitgebracht hatten. Ja, sie dachten sogar daran, die kahlen, versengten Berghänge wieder aufzuforsten. Nach und nach vergaßen sie, welche Plage einst ihre Vorfahren um ein Haar ausgelöscht hätte. Dann fielen die Fäden von neuem, als der Wanderplanet in Perns Nähe zurückkehrte; fünfzig Jahre lang litt die Welt unter dem Sporenangriff aus dem Raum. Die Bewohner von Pern gedachten mit Dankbarkeit ihrer Vorfahren, welche die Drachen gezähmt hatten. Die Geschöpfe mit ihrem Feueratem erwiesen sich auch jetzt als die Retter von Pern.

Die Drachenreiter hatten sich während des langen Intervalls ausgebreitet und gemäß dem alten Verteidigungsplan an weiteren vier Orten niedergelassen.

Die Bedeutung der Südhemisphäre und der dort ausgesetzten Würmer war im unmittelbaren Kampf um die neuen Lebensräume verlorengegangen. Mit jeder Generation verblasste zudem die Erinnerung an die Erde, bis sie den Bewohnern von Pern nur noch als Mythos oder Legende greifbar war oder ganz in Vergessenheit geriet.

Beim dritten Auftauchen des Roten Sterns hatte sich ein kompliziertes wirtschaftliches und soziologisches Gefüge entwickelt, mit dessen Hilfe man die stets wiederkehrende Plage zu besiegen hoffte. Die sechs Weyr, wie man die alten Vulkan-Horte des Drachenvolkes nannte, verpflichteten sich, Pern in Zeiten der Gefahr beizustehen, wobei jeder Weyr ein genau abgegrenztes geographisches Gebiet im wahrsten Sinn des Wortes unter seine Fittiche nahm. Die übrige Bevölkerung leistete den Weyrn Tribut, denn die Drachenkämpfer besaßen auf ihren Vulkankegeln kein Ackerland und konnten auch kein Handwerk erlernen, da sie in ruhigen Zeiten mit der Ausbildung von Drachen und Jungreitern und bei Fädeneinfall mit dem Schutz der Siedlungen genug zu tun hatten.

Kolonien entstanden überall da, wo sich Höhlen fanden – manche natürlich größer oder strategisch günstiger gelegen als andere. Eine starke Hand war vonnöten, um die verängstigten, hysterischen Menschen während der Fädeneinfälle zu leiten; man brauchte eine kluge Vorratswirtschaft, um Lebensmittel zu lagern, wenn der Anbau stets in Gefahr war, und außergewöhnliche Maßnahmen, um das Volk gesund und produktiv zu halten, bis die Zeit der Gefahr wieder vorüber war.

In der Umgebung jeder Felsenburg entstanden auch Werkstätten, wo Leute in den verschiedensten Fertigkeiten ausgebildet wurden. Die Handwerksgilden waren unabhängig von den Burgen, in deren Bereich sie sich befanden, und kein Burgherr konnte die Produkte »seiner« Gildehallen Bewohnern aus anderen Gebieten vorenthalten. Jede Gilde hatte ihre Meister, Gesellen und Lehrlinge, dazu einen Mann, der den Berufsstand nach außen hin vertrat und verwaltete. Er trug die Verantwortung für die Qualität der Waren, die seine Gilde herstellte, und sorgte dafür, dass die Produkte gerecht verteilt wurden.

Natürlich entwickelten sich im Laufe der Zeit gewisse Rechte und Privilegien der Burgherren und Gildemeister, ebenso der Drachenreiter, von denen in Zeiten der Sporenregen ganz Pern abhing.

Es geschah aber auch, dass der Rote Stern durch die Konjunktion der übrigen fünf Planeten Rubkats lange daran gehindert wurde, seine Sporen abzuwerfen. Für die Bewohner von Pern waren das die Großen Intervalle. In diesen Zeiträumen gedieh das Volk, breitete sich weiter aus und baute, nur für den Fall, dass die Fäden wiederkehrten, neue Felsenburgen. Aber die Probleme des Alltags traten in den Vordergrund, bis sie den Gedanken an den Roten Stern ganz verdrängten und die Menschen sich einredeten, die Gefahr sei für immer gebannt.

Keiner merkte, dass nur noch wenige Drachen am Himmel kreisten und ein einziger Weyr auf ganz Pern von Drachenreitern bewohnt wurde. Da jedoch der Rote Stern nicht in Sicht war, kümmerte sich auch keiner darum. Innerhalb fünf Generationen fielen die Nachkommen der tapferen Drachenreiter in Ungnade; die Legenden vergangener Heldentaten, ja selbst der Grund für ihre Existenz gerieten in Vergessenheit.

Band Eins des Zyklus DIE DRACHENREITER VON PERN mit dem Titel DRAGONFLIGHT (DIE WELT DER DRACHEN) setzt da ein, wo der Rote Stern, den Naturkräften gehorchend, wieder näher an Pern heranrückt und mit tückisch rotem Auge das Opfer von einst beobachtet. Ein Mann, F'lar, der Reiter des Bronzedrachen Mnementh, hatte nie aufgehört, an die Mythen der Alten zu glauben, und es gelang ihm auch, seinen Halbbruder F'nor, den Reiter des braunen Drachen Canth, zu überzeugen. Als das letzte goldene Ei der sterbenden Drachenkönigin in der Brutstätte des Benden-Weyrs heranreifte, ergriffen F'lar und F'nor die Gelegenheit, den Weyr unter ihre Herrschaft zu bringen. Auf der Suche nach einer willensstarken Frau, welche die junge Drachenkönigin für sich gewinnen sollte, entdeckten die beiden Lessa, die einzige Überlebende des stolzen alten Ruatha-Geschlechts. Sie stellte die telepathische Bindung zu Ramoth, der eben ausgeschlüpften Königin, her und stieg damit zur Weyrherrin von Benden auf. Später eroberte F'lars Bronzedrache Mnementh die junge Königin bei ihrem ersten Paarungsflug; nach altem Brauch bedeutete das die Weyrherrschaft für den Bronzereiter.

Lessa, F'lar und F'nor zwangen die Burgherren und Gildemeister, die drohende Gefahr zu erkennen und den nahezu schutzlosen Planeten auf den Fädeneinfall vorzubereiten. Es stand fest, dass die knapp zweihundert Drachen des Benden-Weyrs niemals ausreichen würden, um die weit verstreuten Ländereien zu schützen. Sechs volle Weyr hatte man dazu in der Vergangenheit benötigt, als nur ein Bruchteil des Landes bebaut war. Selbst der halbvergessene Südkontinent kam wieder ins Gespräch.

Während Lessa mit ihrer Drachenkönigin übte, durch die Kälte des Dazwischen von einem Ort zum anderen zu gelangen, fand sie heraus, dass Drachen auch Zeitabstände überbrücken konnten. Unter Einsatz ihres Lebens kehrte Lessa mit Ramoth vierhundert Planetenumläufe in die Vergangenheit zurück, in jene Epoche, als kurz nach dem Vorbeiziehen des Roten Sterns auf geheimnisvolle Weise die Bewohner der übrigen fünf Weyr verschwunden waren. Die Weyrleute der alten Zeit, die sich nach einem Leben des Kampfes langweilten und ihren Ruhm im Sinken sahen, erklärten sich bereit, Lessa zu helfen. Ihre Drachengeschwader folgten der Weyrherrin in die Zukunft und retteten Pern vor dem Verderben.

Band Zwei des Zyklus, DRAGONQUEST (DIE SUCHE DER DRACHEN) nimmt den Faden der Geschichte sieben Planetenumläufe später auf. Die anfängliche Erleichterung und Dankbarkeit der Burgen und Gilden hatte nachgelassen. Die Alten fühlten sich nicht wohl in der Welt der Zukunft, die ihre neue Heimat geworden war. In vierhundert Planetenumläufen hatte sich manches geändert. Die Alten, an Unterwürfigkeit und absoluten Gehorsam gewöhnt, gerieten in Streit mit Burgherren und Gildemeistern – besonders aber mit dem Weyrführer von Benden, dem sie vorwarfen, zu liberal zu herrschen.

Die Spannungen zwischen den beiden Parteien erreichte einen Höhepunkt, als der braune Reiter F'nor von einem Angehörigen des ehemaligen Weyrs Fort angegriffen und verletzt wurde. F'nor begab sich in den neu erschlossenen Süden, um dort seine Wunde auszuheilen. F'lar berief inzwischen eine Versammlung ein, zu der alle bis auf zwei Weyrführer erschienen. Man konnte sich auch bei diesem Treffen nicht einigen, aber es zeigte sich, dass die Alten ihre Verantwortung nicht so ernst nahmen, wie es von ihnen erwartet wurde. F'lars Argumente stimmten D'ram von Ista und G'narish von Igen um. Diese beiden stellten sich auf die Seite des jungen Weyrführers. Inzwischen begannen Fäden zu völlig unerwarteten Zeiten zu fallen; die Tabellen, die F'lar nach alten Schriften sorgfältig ausgearbeitet hatte, stimmten nicht mehr. Robinton, der Meisterharfner von Pern und Bewahrer des alten Wissens, sowie Fandarel, der Meisterschmied, versuchten F'lar in dieser neuen Notlage zu unterstützen. Fandarel entwickelte beispielsweise eine Art Telegraph, der eine Verbindung zu den von Fäden bedrohten Burgen und Gildehallen herstellen sollte.

Inzwischen wurde F'nor im Süd-Weyr von Brekke, einer jungen Königin-Reiterin, gesundgepflegt. Durch Zufall entdeckte er die sagenumwobenen Feuerechsen, die er wie die meisten Bewohner von Pern für Mythenwesen gehalten hatte. Sie gingen beim Ausschlüpfen ähnlich enge Bindungen mit Menschen ein wie ihre »großen« Artgenossen, die Drachen. Kylara, die egozentrische Weyrherrin des Südens, fand ein Feuerechsen-Gelege, das sie zu Baron Meron von Nabol, einem der starrsinnigsten Burgherren von Pern, brachte.

F'lar, herbeigerufen von F'nors Nachricht über die Feuerechsen, traf im Süd-Weyr ein und bemerkte, dass T'bor, der junge Weyrführer, Schwierigkeiten mit seiner Gefährtin, der sinnlichen Kylara, hatte. Als im Süden die Fäden fielen, flog F'lar im Geschwader des Süd-Weyrs mit. Dabei entdeckte er ein Bodeninsekt, das die Vegetation vor den Sporen zu schützen schien, und er brachte einige Exemplare davon dem Herdenmeister Sograny, einem engstirnigen Mann, der sich gegen jede Neuerung sträubte und auch die Würmer ablehnte. Aber F'lar setzte seine Untersuchungen fort, unterstützt von dem inzwischen zurückgekehrten F'nor und N'ton, dem Bronzereiter von Lioth, der von Bauern abstammte und sich mit Pflanzen und Tieren auskannte.

Lytol, der Vormund des jungen Baron Jaxom, dem Lessa ihr Geburtsrecht über Ruatha abgetreten hatte, stattete kurz darauf dem Benden-Weyr einen Besuch ab, um die angespannte Lage auf Pern mit F'lar, Robinton und Fandarel zu besprechen. Da Jaxom mit Felessan, dem einzigen Sohn von Lessa und F'lar, befreundet war, brachte er den Jungen mit. Während die Erwachsenen diskutierten, stahlen sich die Kinder durch alte, unbenutzte Korridore des Benden-Weyrs zur Brutstätte der Drachen, um einen Blick auf Ramoths Gelege zu werfen. Unerwartet kam die Drachenkönigin von der Futterstelle zurück, die Jungen ergriffen die Flucht und verirrten sich in dem Gänge-Labyrinth. Dabei stießen sie auf ein paar längst vergessene Gewölbe. Ein Suchtrupp fand die bewusstlosen Kinder in einem stickigen Raum, der eine Reihe seltsamer Geräte enthielt, darunter auch ein Vergrößerungsinstrument. Der Meisterschmied nahm es an sich und enträtselte seinen Aufbau. F'lar schlug vor, dass man unauffällig auch in den anderen alten Burgen und Weyrn nach Spuren verlorengegangenen Wissens forschen sollte.

Kurz danach erschienen Kylara und Baron Meron mit gezähmten Feuerechsen bei der Hochzeit von Baron Asgenar und erregten gewaltiges Aufsehen. Mitten in das Fest platzte ein Reiter mit der Nachricht, dass Sporen über Igen niedergingen. F'lar bat die übrigen Weyrführer um Hilfe, aber T'ron nahm den Anlass wahr, um den Benden-Führer zum Duell herauszufordern. F'lar blieb trotz einer Wunde Sieger und verbannte T'ron sowie die anderen Alten, die ihn nicht als Weyrführer anerkennen wollten. Die Burgherren und Gildemeister sowie D'ram, G'narish und R'mart, die Weyrführer von Ista, Igen und Telgar, stellten sich hinter F'lar. T'kul vom Hochland folgte T'ron mit siebzig Drachenreitern der Alten ins Exil. Trotz seiner Verletzung flog F'lar ins Dazwischen, zurück zu dem Zeitpunkt, da der Fädeneinfall in Igen begonnen hatte.

Die ehemaligen Drachenreiter des Südens, vertrieben von T'ron, ließen sich im Hochland-Weyr nieder, der sich in einem völlig verwahrlosten Zustand befand. Brekke, die nicht wusste, dass ihre Königin Wirenth bald zum ersten Paarungsflug aufsteigen würde, begann Ordnung zu schaffen, während sich Kylara, die eigentliche Weyrherrin, mit Baron Meron vergnügte. Auch Kylaras Königin Prideth war der Paarungszeit nahe, und als Wirenth in Hitze geriet, folgte die ältere Königin ihrem Beispiel und stieg auf. Zwischen den beiden entspann sich ein Kampf; Canth versuchte zwar verzweifelt, Wirenth zu retten, aber die beiden Königinnen waren tödlich verwundet und verschwanden im Dazwischen. Kylara verfiel dem Wahnsinn, und Brekke überließ sich einer dumpfen Apathie. Allein F'nors Liebe und Canths Fürsorge, dazu die innige Freundschaft ihrer kleinen Feuerechsen hielt sie am Leben.

Inzwischen bauten Fandarel und Wansor nach dem Prinzip des in Benden entdeckten Vergrößerungsapparates ein starkes Fernrohr, mit dessen Hilfe man die wolkenumwirbelte Oberfläche des Roten Sterns und die übrigen Planeten näher heranholen konnte. Lessa, Robinton und eine Reihe von Burgherren, darunter auch der abtrünnige Baron Meron, kamen zum Fort-Weyr, um das neue Gerät zu begutachten. Meron beharrte darauf, dass die Drachenreiter nun, da man die Oberfläche des Roten Sterns scharf genug sah, ihre Tiere ins Dazwischen lenken und die Fäden am Ursprung bekämpfen könnten. Um diese Theorie zu untermauern, versuchte er seine kleine Feuerechse auf die Reise zu schicken. Das Tier verschwand im Nichts, nachdem es sein Entsetzen an die anderen Echsen übermittelt hatte.

Ramoths Gelege reifte heran, und zur feierlichen Gegenüberstellung der Jungreiter waren auch Baron Lytol und Jaxom eingeladen. Ein Versuch, Brekke aus ihren Depressionen zu reißen, indem man sie erneut als Kandidatin vor dem Königinnen-Ei präsentierte, scheiterte an einer erregten Eifersuchtsattacke ihrer Bronze-Echse Berd. Doch der Zwischenfall holte die junge Frau endlich aus ihrer Trance. Als Jaxom bemerkte, dass das kleinste Ei – ausgerechnet das, welches er bei seinem verhängnisvollen Ausflug in die alten Stollen des Weyrs berührt hatte – auf dem heißen Sand hin und her schaukelte, ohne jedoch zu zerbrechen, zertrümmerte er kurzerhand die Schale und half damit dem kleinen Geschöpf im Innern ans Licht – einem schneeweißen Drachen, der sofort telepathischen Kontakt mit seinem Retter aufnahm. So gehörte nun der künftige Burgherr von Ruatha zu den Drachenreitern. Man erlaubte ihm, Ruth mit auf seine Burg zu nehmen, da alles darauf hindeutete, dass der schwächliche kleine Drache den ersten Planetenumlauf nicht überleben würde.

F'lar nutzte das Zusammentreffen der Barone auf seinem Weyr und demonstrierte die Nützlichkeit der fädenfressenden Würmer aus dem Süden. Andemon, der Saatmeister, erkannte, dass man bisher die Mahnung der alten Lehrballaden: Achtet auf die Würmer! falsch ausgelegt hatte, indem man die Tiere vernichtete, anstatt sie zu schützen.

Nach Jahrhunderten konnte die zweite Phase der Fädenabwehr doch noch so eingeleitet werden, wie sie die Vorfahren der Siedler im Sinn gehabt hatten. Mit F'nors und N'tons Hilfe führte F'lar zwei Kampagnen durch: Erstens setzte man überall im Nordkontinent die Würmer aus, und zweitens begann man damit, das Wissen der Ahnen zwischen Gilden, Weyrn und Burgen auszutauschen, um sicherzugehen, dass in Zukunft derartige Missverhältnisse nicht mehr vorkamen.

Aber die Barone, aufgestachelt von Meron, drängten die Drachenreiter immer stärker, den Roten Stern aufzusuchen und dort die Fäden zu vernichten. F'nor, der befürchtete, dass F'lar nachgeben würde, kam seinem Halbbruder zuvor und dirigierte Canth zu einer Wolkenformation auf dem Roten Stern, die er sich genau eingeprägt hatte. Sie schafften den gewaltigen Sprung im Dazwischen, wären jedoch um ein Haar in der wildbewegten Atmosphäre des Roten Sterns umgekommen. Brekkes verzweifelter telepathischer Appell, sie nicht allein zu lassen, rettete Reiter und Drachen vor dem sicheren Ende. F'nors Tat bewies den anderen, dass man den Roten Stern nicht direkt angreifen konnte. Es war einfach zu gefährlich.

F'lar wandte seine Energie wieder den realen Problemen zu. Er überwachte die Ausbreitung der Würmer im Norden und ließ heimlich den Südkontinent beobachten, der wie vereinbart unter der Herrschaft der Alten stand. Ihre Lage wurde allmählich kritisch, denn sie besaßen keine jungen Königinnen mehr, die zum Paarungsflug aufstiegen. Auch von anderen Seiten machte sich Druck bemerkbar, ein Druck, den Meisterharfner Robinton für nicht minder kritisch hielt.

Hier setzt nun Band Drei des Zyklus DIE DRACHENREITER VON PERN ein. Er trägt den Titel THE WHITE DRAGON – DER WEISSE DRACHE.

I

 

Ruatha, 12. Planetenumlauf seit dem Wiedererscheinen des Roten Sterns

 

»Wenn es jetzt noch nicht reicht«, meinte Jaxom, zu N'ton gewandt, und rubbelte Ruths Nacken ein letztes Mal mit dem ölgetränkten Lappen, »dann weiß ich nicht, was sauber ist.« Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Oder was denken Sie, N'ton?«, fragte er höflich, weil ihm plötzlich zu Bewusstsein kam, dass er den Rang des Weyrführers von Fort außer acht gelassen hatte.

N'ton lachte und deutete zum grasbewachsenen Seeufer. Sie stapften durch die Pfützen, die sich gebildet hatten, als Jaxom seinem kleinen Drachen den Seifensand herunterspülte, und begutachteten Ruth, der feucht in der Morgensonne glänzte.

»Ich habe ihn nie strahlender gesehen«, stellte N'ton nach einer Weile fest und fügte hastig hinzu: »Damit will ich nicht sagen, dass du ihn sonst nachlässig pflegst. Aber hol ihn besser aus dem Schlamm, sonst war die Mühe vergeblich.«

Jaxom gab den Vorschlag hastig weiter. »Und halt den Schweif hoch, bis du im Gras stehst, Ruth!«, fügte er hinzu.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Jaxom, dass Dorse und seine Kumpel sich aus dem Staub machten, aus Angst, N'ton könnte neue Arbeit für sie finden. Irgendwie war es Jaxom gelungen, seine Schadenfreude zu verbergen, als er Dorse und die anderen beim Eimerschleppen beobachtete. Die Jungen hatten nicht gewagt, dem Drachenreiter zu widersprechen, als er sie in seine Dienste einspannte. Jaxoms Laune war beträchtlich gestiegen, als sie über dem »Winzling«, dem »Bastard« schwitzten und ihn nicht einmal hänseln konnten, wie sie es sicher geplant hatten. Er war sich im Klaren darüber, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Aber wenn die Weyrführer von Benden heute zu dem Schluss kamen, dass Ruth kräftig genug zum Fliegen war, dann konnte Jaxom in Zukunft dem Gespött seines Pflegebruders und dessen Freunden auf Drachenschwingen entgehen.

N'ton verschränkte die Arme und über der nassgespritzten Jacke und runzelte leicht die Stirn. »Eigentlich ist Ruth gar nicht richtig weiß.«

Jaxom starrte seinen Drachen ungläubig an. »Nein?«

»Nein. Siehst du die braunen und goldenen Schatten da – und die blaugrün gesprenkelten Flanken?«

»Sie haben recht!« Jaxom riss die Augen auf, erstaunt, dass er etwas völlig Neues an seinem Freund entdeckte. »Vermutlich sieht man die Farben, weil er heute besonders sauber ist und die Sonne so hell scheint.« Es machte ihm Spaß, mit einem verständigen Partner über sein Lieblingsthema zu sprechen.

»Er – scheint alle Drachenfarben in sich zu vereinen«, fuhr N'ton fort. Er strich mit der Hand über Ruths kräftige Schulter und hielt den Kopf schräg, um den muskulösen Rücken zu betrachten. »Schöne Proportionen. Er ist vielleicht kleiner als die anderen Drachen, Jaxom, aber er sieht prächtig aus.«

Jaxom seufzte und wölbte unbewusst die Brust vor, als habe das Lob ihm selbst gegolten.

»Nicht zuviel Fleisch und nicht zu wenig, was, Jaxom?« N'ton stieß ihn leicht mit dem Ellbogen an und grinste. Wie oft hatte Jaxom den Weyrführer um Hilfe bitten müssen, wenn sein Kleiner wieder einmal an einem verdorbenen Magen litt! Jaxom hatte irrigerweise angenommen, dass der kleine Drache bald die Größe seiner Geschwister erreichen würde, wenn er nur soviel Futter wie möglich in ihn hineinstopfte. Das Ergebnis war meist katastrophal gewesen.

»Glauben Sie, er ist kräftig genug, mich zu tragen?«

N'ton warf Jaxom einen nachdenklichen Blick zu. »Mal überlegen. Im Frühling war er einen Planetenumlauf alt, und nun gehen wir auf die kalte Jahreszeit zu. Die meisten Drachen erreichen ihre volle Größe während des ersten Planetenumlaufs. Ich glaube nicht, dass Ruth in den letzten sechs Monaten auch nur eine halbe Handspanne gewachsen ist. Daraus können wir folgern, dass er seine Entwicklung abgeschlossen hat. Na hör mal!«, reagierte N'ton auf Jaxoms traurigen Seufzer. »Er ist um einen halben Kopf größer als jeder Renner, oder nicht? Und die kann man stundenlang reiten, ohne dass sie ermüden. Dazu kommt, dass du nicht gerade ein Schwergewicht bist wie etwa Dorse.«

»Fliegen ist weit anstrengender als Laufen.«

»Sicher, aber Ruths Schwingen sind im Verhältnis zu seinem Körper groß genug ...«

»Er ist also ein richtiger Drache, nicht wahr?«

N'ton starrte Jaxom an. Dann legte er dem Jungen beide Hände auf die Schultern. »Ja, Jaxom, Ruth ist ein richtiger Drache, auch wenn er nur halb so groß wirkt wie seine Gefährten. Und er wird es heute beweisen, wenn du mit ihm aufsteigst. Los jetzt, bring ihn zurück in die Burg! Du musst dich noch fein machen, wenn du neben ihm glänzen willst.«

»Komm, Ruth!«

Kann ich nicht in der Sonne bleiben?, entgegnete Ruth, aber er trat gehorsam an die Seite des Freundes und kehrte mit ihm und dem Weyrführer zurück zur Burg.

»Im Hof ist auch Sonne, Ruth«, versicherte Jaxom und legte die Hand leicht auf den Nackenwulst des Drachen. Er bemerkte den blauen Schimmer des Wohlbehagens in Ruths kreisenden Facettenaugen.

Während sie schweigend weitergingen, hob Jaxom den Blick zu der schroffen Klippenwand, die Ruatha beherbergte, den zweitältesten Wohnsitz der Menschen auf Pern. Die Burg unterstand ihm, sobald er großjährig war oder wann immer sein Vormund, Baron Lytol, einst Webergeselle und Drachenreiter, ihn reif genug dafür fand – das hieß, falls die übrigen Barone endlich ihren Widerstand aufgaben, nur weil er durch Zufall den kleinen Drachen Ruth für sich gewonnen hatte. Jaxom seufzte wieder. Nie in seinem Leben würde er diesen Moment vergessen dürfen, dafür sorgten schon die anderen.

Ohne dass er es wollte, hatte die Beziehung zwischen ihm und Ruth jede Menge Probleme gebracht – für F'lar und Lessa vom Benden-Weyr, für die Barone und für ihn selbst, da man ihm nicht gestattete, wie ein richtiger Jungreiter in einem Weyr aufzuwachsen. Er musste Herr von Ruatha bleiben, sonst hätten sämtliche jüngeren Söhne der Barone, die in der Erbfolge unberücksichtigt blieben, um den Besitz der Burg gekämpft. Aber den ärgsten Kummer hatte er ausgerechnet dem Mann bereitet, dem er so verzweifelt zu gefallen versuchte, seinem Vormund Baron Lytol. Hätte Jaxom nur einen Moment lang überlegt, ehe er auf den heißen Sand der Brutstätte hinauslief, um die zähe Eierschale zu zerbrechen, dann wäre ihm zu Bewusstsein gekommen, welche Qual er dem Mann zumutete, der seinen eigenen braunen Drachen Larth verloren hatte. Es spielte keine Rolle, dass Larth lange Zeit vor Jaxoms Geburt auf Ruatha umgekommen war – die Tragödie blieb schmerzhaft frisch in Lytols Gedächtnis, so bekam Jaxom wenigstens immer wieder zu hören. Wenn das stimmte, überlegte Jaxom oft, weshalb hatte dann Lytol nicht widersprochen, als die Weyrführer und Barone den Entschluss fassten, dass Jaxom versuchen sollte, den kleinen Drachen auf Ruatha großzuziehen?

Ein Blick zu den Feuerhöhen zeigte Jaxom, dass N'tons Bronzedrache Lioth dicht neben Wilth, dem alten braunen Wachdrachen, saß. Was hatten die beiden Drachen zu besprechen? Ging es um Ruth? Um die Entscheidung, die heute bevorstand? Er bemerkte einen Schwarm Feuerechsen, die winzigen Verwandten der Drachen, die in lässigen Spiralen die beiden großen Geschöpfe umkreisten. Männer trieben Where und Renner aus den Ställen auf die Weiden im Norden der Burg. Rauch stieg von den kleineren Höfen auf, welche die Rampe zum Großen Hof und die Straße nach Osten säumten. Überall entlang der Zufahrten entstanden neue Hütten, da man die tieferen Höhlen von Ruatha nicht mehr sicher genug fand.

»Wie viele Pfleglinge hat Lytol eigentlich auf Ruatha, Jaxom?«, fragte N'ton unvermittelt.

»Pfleglinge? Gar keine, F'nor.« Jaxom runzelte die Stirn. Sicherlich wusste N'ton das.

»Warum nicht? Du musst andere junge Leute deines Standes kennenlernen.«

»Oh, ich begleite Baron Lytol öfter zu den Nachbarburgen.«

»Ich dachte weniger an Besuche als daran, dass du gleichaltrige Freunde brauchst.«

»Da wären Dorse, der Sohn meiner Amme, und seine Freunde aus den umliegenden Hütten.«

»Ja, das stimmt.«

Etwas im Tonfall des Weyrführers ließ Jaxom aufblicken, aber die Miene des Weyrführers verriet nichts.

»Triffst du dich eigentlich noch mit Felessan? Ich erinnere mich recht gut, wie ihr beide immer im Benden-Weyr umhergeschlichen seid, nichts als Unfug im Kopf.«

Jaxom spürte, wie er bis an die Stirn errötete, aber er konnte nichts dagegen tun. Hatte N'ton womöglich herausgefunden, dass er und Felessan sich durch einen Felsspalt gezwängt hatten, um in die Brutstätten der Königin zu gelangen und Ramoths Eier aus der Nähe zu betrachten? Er konnte sich nicht vorstellen, dass F'lessan diesen Streich verraten hatte. Aber Jaxom stellte sich insgeheim oft die Frage, ob das Berühren des kleinen Eies irgendwie schicksalhaft gewesen war – ob er schon damals den Kontakt zu Ruth geschaffen hatte.

»Ich sehe Felessan in letzter Zeit selten. Da ist die Arbeit mit Ruth – und Lytol braucht mich ...«

»Ich verstehe«, sagte N'ton. Er schien noch etwas anfügen zu wollen, schwieg dann aber.

Während sie weiterschlenderten, überlegte Jaxom, ob er etwas Falsches gesagt hatte. Aber lange kam er nicht zum Nachdenken, denn N'tons Feuerechse Tris landete auf der wattierten Schulter des Weyrführers und zirpte aufgeregt.

»Was ist los?«, fragte Jaxom.

»Ich verstehe ihn nicht, er denkt völlig krauses Zeug«, entgegnete N'ton lachend und strich über den Nacken des kleinen Geschöpfs, bis Tris sich beruhigte und die gespreizten Schwingen auf dem Rücken faltete.

Er mag mich, stellte Ruth fest.

»Alle Feuerechsen mögen dich«, entgegnete Jaxom.

»Ja, das ist mir auch aufgefallen, und nicht erst heute, als uns ganze Schwärme halfen, ihn zu waschen«, meinte N'ton.

»Warum eigentlich?« Dieses Problem quälte Jaxom schon lange, aber er hatte es nie angeschnitten, da er N'tons kostbare Zeit nicht mit albernen Fragen vergeuden mochte. Heute aber kam ihm die Sache gar nicht so albern vor.

N'ton wandte sich seiner Echse zu. Tris zirpte kurz und begann gleich darauf seine Krallen zu reinigen. N'ton lachte leise. »Er mag Ruth. Mehr erfahre ich nicht von ihm. Ich könnte mir denken, dass es mit Ruths Größe zu tun hat. Die Echsen können ihn betrachten, ohne ein paar Drachenlängen Abstand dazwischen zu legen.«

»Mag sein.« Jaxom hatte immer noch Zweifel. »Was immer der Grund ist, die Echsen kommen von weither, um ihn zu besuchen. Sie erzählen ihm die wildesten Geschichten, aber ihm macht das Spaß, besonders, wenn ich nicht bei ihm sein kann.«

Sie hatten die Straße erreicht und gingen auf die Rampe des Großen Hofes zu.

»Beeil dich mit dem Umziehen, Jaxom, ja? Lessa und F'lar müssten jeden Moment eintreffen«, sagte N'ton, während er geradeaus weiterging, durch das Hofportal auf die Metalltür der Burg zu. »Ist Finder um diese Zeit in seinen Räumen?«

»Ich schätze, ja.«

Dann, als Jaxom und Ruth sich dem Küchentrakt und den alten Stallungen näherte, überfiel ihn von neuem die Sorge wegen der Prüfung. N'ton hätte ihm doch keine Hoffnungen gemacht, wenn er nicht einigermaßen sicher gewesen wäre, dass die Weyrführer von Benden das Vorhaben auch befürworteten?

Er stellte es sich wunderbar vor, Ruth zu fliegen. Außerdem konnte er dann ein für allemal beweisen, dass Ruth ein echter Drache war und nicht nur eine zu groß geratene Feuerechse, wie Dorse oft spottete. Und schließlich würde er auf Ruths Rücken mehr Abstand zu Dorse gewinnen. Heute zum ersten Mal seit vielen Planetenumläufen hatte er das dumme Gerede seines Ziehbruders nicht ertragen müssen. Der Junge war nicht nur auf Ruth neidisch. Solange sich Jaxom zurückerinnern konnte, hatte Dorse ihn mit seinem Spott verfolgt. Ehe Ruth auf die Burg gekommen war, hatte sich Jaxom oft in die dunklen, abgelegenen Räume der großen Burg zurückgezogen. Dorse mochte die dumpfen, düsteren Korridore nicht und ließ ihn dort in Ruhe. Aber mit Ruths Ankunft konnte Jaxom nicht mehr einfach verschwinden. Er wünschte oft, dass er Dorse weniger zu Dank verpflichtet wäre. Aber wenn Deelan nicht zwei Tage vor Jaxoms unerwarteter Geburt Dorse das Leben geschenkt hätte, wäre Jaxom in den ersten Stunden gestorben. Deshalb, so hatten Lytol und der Harfner der Burg ihm eingeprägt, musste er alles mit seinem Ziehbruder teilen. Wie Jaxom das sah, profitierte Dorse davon weit mehr als er selbst. Der Junge, eine ganze Handspanne größer als er und kräftig gebaut, hatte sicher nicht darunter gelitten, dass er die Muttermilch mit einem anderen teilte. Und Dorse sorgte schon dafür, dass er von allem, was Jaxom besaß, den größeren Anteil erhielt.

Jaxom winkte den Köchen zu, die eifrig damit beschäftigt waren, ein Festmahl herzurichten. Er hoffte mit ganzer Kraft, dass es auch für ihn einen Anlass zum Feiern geben würde. Neben seinem weißen Drachen ging er weiter zu den alten Ställen, die man ihnen als Quartier zugeteilt hatte. So winzig Ruth bei seiner Ankunft vor anderthalb Planetenumläufen gewesen war, es zeichnete sich doch rasch ab, dass er nicht lange durch den Eingang der Burg-Suite passen würde, welche dem jungen Herrn von Ruatha traditionsgemäß zustand.

So hatte Lytol beschlossen, die alten Ställe mit ihren hohen Deckengewölben in ein Schlafgemach und einen Arbeitsraum für Jaxom sowie einen geräumigen Weyr für den kleinen Drachen umbauen zu lassen. Fandarel, der Meisterschmied, hatte eigens neue Tore entworfen, die ein schmal gebauter Junge und ein tollpatschiger Drache leicht öffnen und schließen konnten.

Ich bleibe hier in der Sonne, erklärte Ruth seinem Freund und starrte vorwurfsvoll zu den Ställen hinüber. Mein Schlafplatz ist noch nicht gefegt.

»Alle sind voll damit beschäftigt, die Burg für Lessas Besuch auf Hochglanz zu bringen«, erwiderte Jaxom und musste unwillkürlich grinsen. Deelan hatte entsetzt losgezetert, als Lytol ihr mitteilte, dass die Weyrherrin nach Ruatha kommen würde. In den Augen seiner Amme war Lessa immer noch die einzige reinblütige Ruatha; sie allein hatte damals vor mehr als zwanzig Planetenumläufen das schändliche Massaker des machtgierigen Baron Fax überlebt.

Jaxom schälte sich aus seinen feuchten Sachen, nachdem er sein Zimmer betreten hatte. Das Wasser im Krug neben dem Waschtisch war abgestanden. Er schnitt eine Grimasse. Es stimmte schon, dass er zur Feier des Tages ebenso sauber sein sollte wie sein Drache, aber ihm blieb wohl nicht mehr die Zeit, zu den Badequellen der Burg zu laufen, ehe die Weyrführer kamen. Und er durfte auf keinen Fall fehlen, wenn sie eintrafen. So wusch er sich mit Seifensand und dem alten Wasser.

Sie kommen, verkündete Ruth, und gleich darauf begrüßten Lioth und Wilth, der alte Wachdrache, die Besucher mit lautem Trompeten.

Jaxom rannte ans Fenster und sah gerade noch, wie die hohen Gäste im Großen Hof landeten. Er wartete nicht ab, bis die Benden-Drachen wieder aufstiegen zu den Feuerhöhen, begleitet von aufgeregten Echsenschwärmen. Hastig trocknete er sich ab, streifte frische Sachen über und schlüpfte in die Stiefel, die er eigens für diesen Tag bekommen hatte – gefüttert mit weicher Wherhaut, welche die Kälte abhielt. Da er oft geübt hatte, gelang es ihm mit ein paar Handgriffen, seinem eifrigen kleinen Drachen das Reitgeschirr anzulegen.

Als er mit Ruth losging, überfiel Jaxom von neuem Angst. Wenn sich nun N'ton getäuscht hatte? Wenn Lessa und F'lar entschieden, ein paar Monate abzuwarten, ob Ruth vielleicht doch noch wuchs? Wenn Ruth nicht die Kraft hatte, ihn auf dem Rücken zu tragen? Wenn er Ruth weh tat?

Ruth summte ermutigend. Du tust mir nicht weh. Du bist mein Freund. Und er stupste Jaxom liebevoll an, hauchte ihm seinen warmen Atem ins Gesicht.

Jaxom holte tief Luft, in der Hoffnung, dass sich sein rebellischer Magen wieder beruhigte. Dann erst bemerkte er die Menschenmenge, die sich auf den Stufen der Burg versammelt hatte. Weshalb all die Leute?

Es sind doch nicht viele, erklärte Ruth leicht erstaunt. Nur eine Menge Feuerechsen. Und die wollen mich sehen. Außerdem kennen wir die Besucher doch.

Das stimmte. Jaxom nahm sich ein Beispiel an Ruths Gelassenheit, straffte die Schultern und ging weiter.

F'lar und Lessa, die ranghöchsten Drachenreiter von Pern, waren die wichtigsten Gäste. Auch F'nor, der Reiter des braunen Drachen Canth und Lebensgefährte der unglücklichen Brekke, hatte sich eingefunden, aber er war ein guter Freund von Jaxom. N'ton als Weyrführer von Fort musste anwesend sein, denn Ruatha leistete dem Fort-Weyr Tribut. Auch Meister Robinton, der Harfner von Pern, war gekommen, und zu seiner Erleichterung bemerkte Jaxom, dass er Menolly mitgebracht hatte, das Harfnermädchen, das sich schon so oft für ihn eingesetzt hatte. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass auch Baron Sangel von Süd-Boll und Baron Groghe von Fort als Vertreter der Burgherren ein Recht darauf hatten, an der Prüfung teilzunehmen.

Anfangs konnte Jaxom Baron Lytol nirgends sehen. Dann trat Finder etwas zur Seite, um mit Menolly zu sprechen, und Jaxom entdeckte seinen Vormund. Er hoffte, dass Lytol wenigstens dieses eine Mal seinen Ruth richtig anschauen würde.

Sie hatten inzwischen den Hof überquert und blieben am unteren Ende der Stufen stehen. Jaxom legte die Rechte auf Ruths elegant gewölbten Nacken und schaute die Prüfer offen an.

Lessa kam ihnen lächelnd entgegen und begrüßte ihn. Dann wies sie auf Ruth. »Dein Drache hat sich seit dem Frühjahr prächtig entwickelt, Jaxom«, sagte sie anerkennend. »Aber du solltest etwas mehr Fleisch ansetzen. Lytol, gibt Deelan dem Jungen denn nichts zu essen? Er besteht nur aus Haut und Knochen.«

Jaxom stellte verblüfft fest, dass er Lessa über den Kopf gewachsen war und sie zu ihm aufschauen musste. Er hatte sich Lessa immer sehr groß vorgestellt. Dass er auf die Weyrherrin von Benden herunterschauen musste, brachte ihn irgendwie in Verlegenheit.

»Ich schätze, du bist noch länger als Felessan, und bei dem habe ich schon das Gefühl, dass er in den Himmel wächst«, fügte sie hinzu.

Jaxom begann eine Entschuldigung zu stammeln.

»Unsinn, Jaxom, halte dich gerade, damit wir dich in deiner ganzen Länge bewundern können«, lachte F'lar und trat neben seine Weyrgefährtin. Er warf einen prüfenden Blick auf Ruth, und der weiße Drache hob den Kopf ein wenig, um in Augenhöhe mit dem hochgewachsenen Weyrführer zu sein. »Du hast dich besser entwickelt, Ruth, als ich dir gleich nach der Gegenüberstellung zugetraut hätte. Baron Jaxom, die Pflege hier hat ihm gut getan.« Der Benden-Führer betonte den Titel, als er sich Jaxom zuwandte.

Jaxom zuckte kaum merklich zusammen. Er mochte es nicht, wenn ihn jemand an seine Stellung erinnerte.

»Aber ich nehme nicht an, dass du je die Statur unseres guten Meisterschmieds erreichen wirst, und deshalb glaube ich auch kaum, dass Ruth beim Fliegen durch dein Gewicht überfordert ist.« F'lar warf einen Blick auf die versammelten Gäste. »Ruth ist in der Schulter wesentlich höher und breiter als jeder Renner.«

»Wie sieht es mit der Flügelspanne aus?«, fragte Lessa, die Brauen nachdenklich hochgezogen. »Jaxom, könntest du ihn bitten, einmal die Schwingen zu spreizen?«

Lessa hätte Ruth ebenso gut selbst ansprechen können, da sie mit jedem Drachen telepathischen Kontakt bekam. Jaxom fühlte sich geschmeichelt durch die Gleichstellung der Weyrherrin und gab die Bitte unverzüglich an Ruth weiter. Mit aufgeregt kreisenden Augen richtete sich der weiße Drache auf. Seine Schulter- und Brustmuskeln wölbten sich unter der Haut, die in allen Drachenfarben zu schillern begann.

»Er besitzt herrliche Proportionen«, stellte F'lar fest und beugte sich unter einen Flügel, um die breite, transparente Membran zu begutachten. »Danke, Ruth«, fügte er hinzu, als der Drache die Schwinge schräg stellte. »Sieht so aus, als sehnte er sich nicht weniger nach dem Fliegen als du.«

»Ja, Sir, denn er ist ein Drache, und alle Drachen wollen fliegen.«

Der Blick, den F'lar ihm zuwarf, ließ Jaxoms Atem stocken. War seine Antwort vorschnell gewesen? Als er Lessa lachen hörte, schaute er zu ihr hinüber. Aber sie lachte weder ihn noch Ruth aus. Ihr Blick war F'lar zugewandt. Der Weyrführer zog eine Augenbraue hoch und grinste dann breit. Jaxom hatte das Gefühl, dass es hier um Dinge ging, die sich nur zwischen den beiden abspielten.

Dann hob F'lar den Blick zu den Feuerhöhen, wo die goldene Ramoth, sein Bronzedrache Mnementh und die beiden Braunen Canth und Wilth die Szene im Hof aufmerksam mitverfolgten.

»Was meint Ramoth, Lessa?«

Lessa schnitt eine Grimasse. »Du weißt, dass sie von Anfang an für Ruth gesprochen hat.«

F'lar wandte sich an N'ton, der wortlos grinste, und dann an F'nor, der ihm zunickte. »Keine Einwände, Jaxom. Mnementh begreift gar nicht, warum wir alle so einen Wirbel machen. Steig auf, Junge!« F'lar trat einen Schritt nach vorn, als wolle er Jaxom Hilfestellung geben.

Jaxom fühlte sich einerseits geschmeichelt, dass ihm der Weyrführer von Pern persönlich beistehen wollte, andererseits aber gekränkt, dass F'lar ihm nicht zutraute, er könne allein aufsteigen.

Ruth löste das Problem, indem er die eine Schwinge hochklappte und das linke Knie beugte. Jaxom trat leichtfüßig auf die angebotene Stütze und schwang sich zwischen die beiden Nackenwülste des Drachen. Im allgemeinen bot der Einschnitt zwischen diesen Erhebungen einem Mann im Flug Sicherheit genug, aber Lytol hatte darauf beharrt, dass Jaxom Schenkelriemen umschnallte. Während Jaxom die Gurte befestigte, warf er verstohlene Blicke in die Menge. Aber niemand zeigte Erstaunen oder Verachtung wegen dieser Vorsichtsmaßnahme. Er beendete seine Vorbereitungen, und noch einmal kroch die Kälte des Zweifels in sein Inneres. Wenn Ruth nun doch nicht ...?

Er fing das zuversichtliche Lächeln N'tons auf und sah, dass ihm Meister Robinton und Menolly zuwinkten. Dann hob F'lar die geballte Faust hoch über den Kopf – das Zeichen zum Start.

Jaxom holte tief Luft. »Fliegen wir, Ruth!«

Er spürte die Muskelknoten, als Ruth sich duckte, fühlte die Anspannung im Rücken, das Spiel der Sehnen unter seinen Waden, als die großen Flügel sich zu dem ersten, alles entscheidenden Schwungholen spreizten. Ruth duckte sich noch ein wenig tiefer und stieß sich mit den kräftigen Hinterbeinen vom Boden ab. Jaxoms Kopf ruckte nach hinten. Instinktiv griff er nach den Gurten und hielt sie fest umklammert, während der kleine weiße Drache mit mächtigen Flügelschlägen in die Höhe stieg, vorbei an den ersten Fensterreihen und den verblüfften Gesichtern der Pächter, hinauf zu den Feuerhöhen, so rasch, dass die übrigen Stockwerke ganz verschwommen an Jaxom vorbeihuschten. Dann breiteten die großen Drachen ihre Flügel aus und ermutigten Ruth mit lauten Trompetenstößen. Feuerechsen umwirbelten sie und fielen mit ihren Silberstimmen in das Gedröhn ein. Jaxom hoffte nur, dass sie Ruth nicht in die Quere kamen.

Sie freuen sich, dass wir gemeinsam durch die Luft gleiten. Ramoth und Mnementh sind glücklich, dass du mich endlich reitest. Ich bin auch sehr glücklich. Und du? Geht es dir jetzt besser?

Die beinahe vorwurfsvolle Frage löste den Klumpen, der sich in Jaxoms Hals festgesetzt hatte. Er wollte etwas erwidern, aber der Flugwind riss ihm die Worte von den Lippen.

»Natürlich bin ich glücklich! Ich bin glücklich, weil wir beide zusammen sind!«, rief er begeistert. »Ich fliege, wie ich es mir immer gewünscht habe. Das wird allen beweisen, dass du ein richtiger Drache bist!«

Du schreist!

»Ich bin glücklich. Warum sollte ich nicht schreien!«

Hier oben höre nur ich zu, und ich verstehe dich auch, wenn du leiser redest.

»Aber du sollst merken, wie sehr ich mich freue – für dich freue!«

Sie glitten jetzt in einer weiten Kurve dahin, und Jaxom lehnte sich mit angehaltenem Atem in die entgegengesetzte Richtung. Er hatte zwar schon unzählige Male auf einem Drachenrücken gesessen, aber immer als »Mitflieger«, eingekeilt zwischen zwei Erwachsene. Dieser erste Alleinflug war etwas ganz anderes, berauschend, auf angenehme Weise kribbelnd und einfach wunderschön.

Ramoth sagt, du musst die Schenkel enger an mich pressen, so wie du es bei den Rennern machst.

»Ich hatte Angst, dir die Luft abzuschnüren.« Jaxom drückte die Beine fest in die Wärme des seidigen Nackens, ermutigt durch den Halt, den er dabei spürte.

So ist es besser. Mein Nacken hält allerhand aus. Du kannst mir nicht wehtun. Du bist mein Reiter. Aber Ramoth sagt, dass wir landen müssen. Der letzte Satz klang zornig.

»Landen? Wir sind doch eben erst aufgestiegen!«

Ramoth sagt, ich darf mich nicht überanstrengen. Dabei spüre ich dein Gewicht kaum. Ich mag dich durch die Lüfte tragen. Sie meint, dass wir jeden Tag ein Stückchen weiter fliegen dürfen. Das finde ich gut.

Ruth veränderte die Landeschleife so, dass sie vom Südosten her in den Großen Hof einflogen. Die Leute auf der Straße blieben stehen und starrten zu ihnen herauf, um dann begeistert zu winken. Jaxom glaubte, ein paar Beifallsrufe zu hören, aber der Wind dröhnte so laut in seinen Ohren, dass er kaum etwas verstand. Die im Hof Versammelten verfolgten seinen Weg ganz genau mit. In den Fenstern der Burg hingen Trauben von Menschen.

»Jetzt müssen sie alle zugeben, dass du ein richtiger Drache bist, Ruth.«

Das einzige, was Jaxom bedauerte, war die kurze Dauer des Fluges. Jeden Tag ein Stückchen weiter, hm? Er schwor sich, dass ihn weder Fäden, Feuer noch Nebelschwaden von seinen Übungsflügen abhalten würden. Je größer der Abstand, den er zwischen sich und Ruatha legen konnte, desto besser.

Unvermittelt prallte er mit dem Oberkörper gegen Ruths Nackenwulst, als der Drache geschickt an der gleichen Stelle landete, von der er seinen Flug gestartet hatte.

Tut mir leid, sagte Ruth zerknirscht. Offenbar muss ich doch noch einiges lernen.

Jaxom blieb einen Moment lang sitzen und genoss den Triumph des ersten Alleinflugs. Dann sah er, dass F'lar, F'nor und N'ton auf ihn zukamen. Ihre Mienen verrieten Anerkennung. Aber weshalb blickte der Harfner so nachdenklich drein? Und warum runzelte Baron Sangel die Stirn?

Die Drachenreiter sagen, dass wir fliegen können, erklärte Ruth. Und ihre Meinung zählt.

In Baron Lytols Zügen konnte Jaxom nicht die geringste Regung entdecken. Das dämpfte seinen Stolz auf die eben vollbrachte Leistung. Wie er darauf gehofft hatte, wenigstens an diesem Tag eine Spur von Lob, eine einzige positive Reaktion bei seinem Vormund zu erleben!

Er kann nun mal Larth nicht vergessen, meinte Ruth sanft.

»Siehst du, Jaxom, ich hatte recht!«, rief N'ton, als die drei Drachenreiter neben Ruth traten. »Es ist überhaupt nichts dabei.«

»Sehr schöner Erstflug, Jaxom«, meinte auch F'lar und beobachtete den weißen Drachen aufmerksam. »Und Ruth ist nicht im geringsten erschöpft.«

»Der Kerl kann mit einem einzigen Flügelschlag wenden. Trag besser die Schenkelriemen, Jaxom, bis ihr aneinander gewöhnt seid«, fügte F'nor hinzu und fasste den jungen Baron am Ellbogen. Es war eine Geste unter Gleichgestellten, und Jaxom fühlte sich ungeheuer geschmeichelt.

»Da haben Sie sich getäuscht, Baron Sangel.« Lessas Stimme drang klar zu Jaxom herüber. »Es bestand nie ein Zweifel daran, dass der kleine weiße Drache fliegen konnte. Wir zögerten nur den Moment des ersten Aufstiegs hinaus, bis wir sicher waren, dass Ruth seine volle Größe erreicht hatte.«

F'nor blinzelte Jaxom zu, und N'ton schnitt eine Grimasse, während F'lar die Augen nach oben verdrehte, als wolle er den Himmel um Geduld anflehen. Diese Vertraulichkeiten gaben dem Jungen das Gefühl, dass die drei mächtigsten Drachenreiter von Pern ihn, Jaxom von Ruatha, in ihre Mitte aufgenommen hatten.

»Du bist jetzt ein Drachenreiter, Junge«, sagte N'ton.

»Ja.« F'lar dehnte das Wort ein wenig. »Ja, aber du darfst nicht gleich morgen die ganze Welt auf Drachenschwingen erobern. Und versuche ja noch nicht, ins Dazwischen zu gehen! Das wäre viel zu früh. Ich hoffe, du siehst das ein. Schön! Du wirst Ruth von jetzt an täglich trainieren. N'ton, hast du einen Übungsplan mitgebracht?« N'ton reichte dem Weyrführer von Benden eine Schiefertafel, und der gab sie an Jaxom weiter. »Die Flügelmuskeln müssen langsam und sorgfältig gekräftigt werden, sonst überlastest du den Drachen. Darin liegt die Hauptgefahr. Es könnte ein Moment kommen, da Ruth blitzschnell reagieren muss, und dann machen untrainierte Muskeln nicht mit. Du hast sicher von der Tragödie im Hochland gehört?« F'lars Miene war düster.

»Ja, Sir. Finder erzählte mir davon.« Jaxom verschwieg, dass Dorse und seine Kumpane ihn ständig an den Vorfall mit dem Jungreiter erinnerten, der in den Bergen abgestürzt war, weil er von seinem Drachen zuviel verlangt hatte.

»Du trägst stets eine doppelte Verantwortung, Jaxom, gegenüber Ruth und gegenüber deiner Burg.«

»O ja, Sir, das weiß ich.«

N'ton lachte und hieb Jaxom mit der flachen Hand aufs Knie. »Und ob er das weiß – was, Jaxom? Er bekommt es so oft zu hören, dass es ihm sicher schon zum Hals raushängt.«

F'lar wandte sich an den Weyrführer, erstaunt über diese Antwort. Jaxom hielt den Atem an. Konnte es sein, dass N'ton sich unbedacht geäußert hatte? Baron Lytol hämmerte ihm stets ein, erst zu denken und dann zu reden.

»Ich werde Jaxoms Training anfangs selbst beaufsichtigen, F'lar«, fuhr N'ton fort. »Und sein Verantwortungsgefühl ist mehr als ausgeprägt. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich ihm auch beibringen, ins Dazwischen zu fliegen, wenn ich finde, dass er reif genug dafür ist. Ich glaube ...« – er deutete auf die beiden Barone, die immer noch heftig mit Lessa diskutierten –, »je weniger wir diese Phase der Ausbildung publik machen, desto besser.«

Jaxom spürte die leise Spannung, die in der Luft lag, als N'ton und F'lar einander ansahen. Unvermittelt trompeteten Mnementh und Ramoth von den Feuerhöhen.

»Sie sind einverstanden«, sagte N'ton leise.

F'lar schüttelte leicht den Kopf und schob die Haarlocke beiseite, die ihm in die Augen fiel.

»Es steht fest, dass Jaxom verdient, ein Drachenreiter zu werden«, erklärte F'nor mit der gleichen Eindringlichkeit. »Und die letzte Entscheidung liegt beim Weyr. Die Barone haben nicht das geringste Mitspracherecht. Ruth ist ein Benden-Drache.«

»Das Hauptgewicht liegt auf der Verantwortung«, sagte F'lar und betrachtete die beiden anderen Reiter mit düsterer Miene. Dann wandte er sich Jaxom zu, der nicht genau wusste, worüber die drei Männer sprachen; ihm war nur klar, dass es um ihn und Ruth ging. »Also gut, meinetwegen. Er soll lernen, ins Dazwischen zu fliegen. Sonst versucht er es eines Tages auf eigene Faust, oder nicht, Baron Jaxom? Immerhin fließt Ruatha-Blut in seinen Adern.«

»Sir?« Jaxom traute seinem Glück noch nicht so recht.

»Nein, F'lar, Jaxom würde so etwas nie tun«, entgegnete N'ton in einem seltsamen Tonfall. »Das ist ja das Problem. Ich fürchte, Lytol hat seine Aufgabe zu gut durchgeführt.«

»Was soll das heißen?«, fragte F'lar knapp.

F'nor hielt die Hand hoch. »Da kommt Lytol selbst«, sagte er warnend.

»Jaxom, wenn du nun deinen Freund in seinen Weyr zurückbringen und dann zu uns in den Festsaal kommen könntest?« Der Vormund des jungen Barons verbeugte sich höflich vor den Drachenreitern. Ein Muskel in seiner Wange begann zu zucken, als er sich rasch abwandte und zurück zur Treppe ging.

Er hätte wenigstens jetzt ein Lob aussprechen können ... wenn er gewollt hätte, dachte Jaxom und starrte ihm traurig nach.

N'ton hieb ihm erneut aufs Knie und blinzelte ihm zu. »Du bist ein tüchtiger Junge, Jaxom, und ein guter Reiter obendrein.« Dann schlenderte er hinter den anderen Drachenreitern her.

»Sie lassen doch nicht etwa Benden-Wein zur Feier des Tages auftragen, Lytol?«, dröhnte die Stimme des Meisterharfners über den Hof.

»Keiner würde wagen, Ihnen etwas anderes vorzusetzen, Robinton!«, entgegnete Lessa lachend.

Jaxom sah ihnen nach, wie sie Treppen hinauf und durch die Flügeltür zum Festsaal gingen. Mit lautem Gekreisch stellten die Feuerechsen ihr Luftballett ein und jagten zum Eingang, haarscharf am Kopf des Meisterharfners vorbei.

Der Anblick hob Jaxoms Laune, und er brachte Ruth zurück zu den Ställen. Bei seinem Näherkommen zogen sich die Grafen von den Fenstern zurück. Er hoffte von ganzem Herzen, dass Dorse und seine Kumpane jede Sekunde des Fluges miterlebt hatten – und dass ihnen auch der Händedruck F'nors und sein Gespräch mit den drei wichtigsten Drachenreitern von Pern nicht entgangen war. Dorse musste nun vorsichtiger sein, da für Jaxom die Chance bestand, ins Dazwischen zu fliegen. Damit hatte sein Ziehbruder wohl nie gerechnet. Jaxom selbst konnte sein Glück noch kaum fassen. War es nicht einfach großartig von N'ton, diesen Vorschlag zu machen? Den Brocken sollte Dorse erst mal verdauen!

Ruth untermalte seine Gedanken mit einem selbstzufriedenen Summen. Sie betraten den alten Stallhof, und der Drache neigte die linke Schulter, damit Jaxom absteigen konnte.

»Wir können jetzt fliegen, Ruth, und uns aus der Burg entfernen. Und eines Tages werden wir sogar ins Dazwischen gehen. Dann gehört ganz Pern uns. Du hast deine Sache heute sehr gut gemacht, und es tut mir nur leid, dass ich ein so ungeschickter Reiter war. Aber ich lerne es schon noch – du wirst sehen!«

Ruths Augen wirbelten liebevoll in einem schimmernden Blau, als er Jaxom in den Weyr folgte. Der Junge lobte ihn immer noch, während er den gröbsten Staub und die Hautfitzel entfernte, die sich im Laufe der Nacht in Ruths Schlafmulde gesammelt hatten. Der Drache legte sich hin und hielt den Kopf schräg. Jaxom strich ihm sanft über die Augenwülste. Er ging nicht gern zu einem Fest, bei dem der eigentliche Ehrengast fehlte.

 

Gewarnt durch das Geschrei der Feuerechsen, drückte sich Robinton rasch gegen den rechten Flügel des großen Metallportals und schützte das Gesicht mit den Händen. Er war schon zu oft in Echsenschwärme geraten und ging lieber kein Risiko ein. Allerdings musste er zugeben, dass sich die Feuerechsen in der Harfnerhalle dank Menollys Erziehung einigermaßen gut benahmen. Er lächelte, als er Lessas überraschten und etwas verärgerten Aufschrei hörte. Und er blieb noch einen Moment lang stehen, nachdem die wilde Jagd an ihm vorbeigebraust war. Wie vermutet, stob die Schar Sekunden später wieder ins Freie. Er hörte, wie Baron Groghe seine kleine Königin Merga zur Vernunft rief. Dann entdeckte ihn seine eigene Bronze-Echse Zair und flog ihm schimpfend auf die Schulter, als habe sich der Meisterharfner absichtlich vor ihr verborgen.

»Braver Kerl!«, sagte Robinton und streichelte die aufgeregte Echse mit einem Finger, bis sie ihr Köpfchen an seine Wange schmiegte. »Ich würde dich nie allein zurücklassen, das weißt du doch. Hast du Jaxom auch auf seinem Flug begleitet?«

Zair hörte zu schimpfen auf und gab zufriedene kleine Laute von sich. Dann reckte der Kleine den Hals und schaute in den Hof hinunter. Robinton beugte sich vor, um zu sehen, was Zairs Neugier geweckt hatte, und entdeckte Ruth, der zu den Ställen trottete. Der Harfner seufzte. Fast wünschte er, die Drachenreiter hätten Jaxom nicht gestattet, den weißen Drachen zu fliegen. Wie vorausgesehen, war vor allem Baron Sangel strikt dagegen, dass der Jungbaron die Vorrechte eines Drachenreiters genoss. Und er blieb bestimmt nicht der einzige der älteren Burgherren-Generation, der Jaxom die neue Freiheit missgönnte. Robinton glaubte zwar, dass es ihm geglückt war, wenigstens Baron Groghe für den Jungen einzunehmen, aber Groghe besaß mehr Verstand als Sangel. Außerdem hatte er eine Feuerechse, und das beeinflusste sein Urteil. Robinton überlegte, ob Sangel keine Echse gewollt hatte oder ob es ihm nicht gelungen war, eine für sich zu gewinnen. Er musste Menolly fragen. Ihr Prinzesschen legte sicher bald Eier. Ganz nützlich, dass seine Harfnergesellin eine Königin besaß, so dass er Echsen-Eier da verteilen konnte, wo sie am meisten Eindruck machten.

Er starrte noch eine Weile aus dem Fenster, gerührt von dem Anblick. Zwischen Jaxom und Ruth gab es eine Aura der Unschuld und Verwundbarkeit; die beiden hingen stark voneinander ab und beschützten sich gegenseitig.

Jaxom hatte das Licht der Welt im denkbar ungünstigsten Moment erblickt: Geboren aus dem Leib der toten Mutter, war ihm auch der Vater eine halbe Stunde später im Duell gestorben. Robinton dachte an das Gespräch, das er kurz vor Jaxoms Flug mit N'ton und Finder geführt hatte, und er machte sich Vorwürfe, dass er bisher nicht besser auf den Jungen geachtet hatte. Lytol war nicht so verknöchert, dass er keinen Tipp vertragen konnte, besonders wenn es um Jaxoms Wohl ging. Aber Robinton hatte so viele Dinge zu regeln und zu bedenken, dass ihm ständig die Zeit davonlief – obwohl Menolly und Sebell sich redlich bemühten, ihm einen Teil seiner Last abzunehmen. Zair tschilpte und rieb sein Köpfchen gegen das Kinn des Harfners.

Robinton lachte leise und streichelte die Echse. Die kleinen Geschöpfe waren höchstens eine Armspanne lang. Sie besaßen nicht die Intelligenz der Drachen, aber sie waren gute Freunde der Menschen und erwiesen sich oft als sehr nützlich.

Nun, er gesellte sich jetzt besser zu den anderen und versuchte irgendwie, Lytol seinen Vorschlag zu unterbreiten. Der junge Jaxom passte hervorragend in seinen Plan.

»Robinton!«, rief F'lar ihm vom Eingang der Empfangshalle entgegen. »Beeilen Sie sich! Ihr Ruf steht auf dem Spiel.«

»Mein was? Ich komme ja schon ...« Mit langen Schritten erreichte der Harfner den Raum. Aus dem Lächeln der anderen und den herumstehenden Weinkaraffen erkannte er sofort, worum es ging.

»Pah! Ihr glaubt wohl, dass ihr mich überflügeln könnt?«, rief er und machte eine dramatische Geste zu den Weinschläuchen hin. »Keine Sorge, das schafft ihr nicht.«

Lessa lachte, schenkte ein Glas randvoll mit dunkelrotem Wein und reichte es Robinton. In dem Wissen, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren, ging der Harfner mit betont schweren Schritten zum Tisch. Sein Blick fiel auf Menolly, und sie blinzelte ihm ein wenig zu. Sie hatte ihre Schüchternheit in seiner Nähe völlig abgelegt. Wie der kleine weiße Drache war sie bereit zum Ausfliegen. Sie hatte einen langen Weg von dem unsicheren, verachteten Mädchen aus der einsamen Fischerbucht bis hierher zurückgelegt. Er musste dafür sorgen, dass sie allmählich die Harfnerhalle verließ und sich ganz auf eigene Füße stellte.

Robinton kostete mit ernster Miene den Wein, wie es von ihm erwartet wurde. Er prüfte die Farbe, indem er das Glas gegen die Sonne hielt, atmete tief die Blume ein und nahm dann einen Schluck, den er lange im Mund hin und her wälzte.

»Hmm, ja. Der Jahrgang ist nicht zu verkennen«, sagte er fast ein wenig arrogant.

»Nun?« Baron Groghes Wulstfinger zupften an dem breiten Gürtel herum, in den er seine Daumen gehakt hatte. Er wippte ungeduldig auf den Zehenspitzen.

»Beim Wein muss man sich Zeit lassen.«

»Entweder Sie wissen Bescheid oder nicht!«, warf Sangel ein und rümpfte skeptisch die Nase.

»Aber sicher weiß ich Bescheid. Es ist die Benden-Kelter – elf Planetenumläufe alt. Habe ich recht, Lytol?«

Robinton, dem die Stille im Raum auffiel, erschrak ein wenig über den Ausdruck auf Lytols Zügen. Erregte sich der Mann etwa immer noch über Jaxoms Flug? Nein, das Zucken seines Wangenmuskels hatte aufgehört.

»Ich habe recht«, sagte Robinton und stach mit erhobenem Finger in Lytols Richtung. »Und Sie wissen es, Baron. Noch genauer, es ist die zweite Kelter, da der Wein einen fruchtigen Beigeschmack hat. Außerdem handelt es sich um die erste Benden-Ausfuhr überhaupt. Sie haben dem alten Baron Raid vermutlich mit dem Hinweis auf Lessas Ruatha-Abkunft einen Teil davon abgebettelt.« Er imitierte Lytols dumpfen Bariton. »Die Weyrherrin von Pern muss Benden-Wein vorfinden, wenn sie ihren einstigen Stammsitz besucht. Habe ich nicht recht, Lytol?«