Die Weyr von Pern - Anne McCaffrey - E-Book

Die Weyr von Pern E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Der letzte Kampf gegen die tödliche Gefahr

Als die Menschen auf Pern bei Ausgrabungen Akki – das Akustische System der künstlichen Intelligenz – entdecken, öffnet sich ihnen unverhofft ein Tor in ihre eigene Geschichte. Das intelligente Computersystem hat die Ereignisse der Kolonisierung des Planeten ebenso gespeichert wie inzwischen verlorenes Wissen über Musik, Medizin und Technik. Burgherren, Drachenreiter und Meister hören gespannt ihrer eigenen Geschichte zu. Und Akki enthüllt ihnen ein weiteres Geheimnis: Einen uralten Plan, die Sporen aus dem All, die den Planeten seit Menschengedenken heimsuchen, für immer zu vernichten. Doch das Vorhaben ist nicht ungefährlich, und nicht alle Bewohner des Planeten sind gewillt, sich an seiner Durchführung zu beteiligen …

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DIE WEYR VON PERN

Die Drachenreiter von Pern

Band 11

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Als die Menschen auf Pern bei Ausgrabungen Akki – das Akustische System der künstlichen Intelligenz – entdecken, öffnet sich ihnen unverhofft ein Tor in ihre eigene Geschichte. Das intelligente Computersystem hat die Ereignisse der Kolonisierung des Planeten ebenso gespeichert wie inzwischen verlorenes Wissen über Musik, Medizin und Technik. Burgherren, Drachenreiter und Meister hören gespannt ihrer eigenen Geschichte zu. Und Akki enthüllt ihnen ein weiteres Geheimnis: Einen uralten Plan, die Sporen aus dem All, die den Planeten seit Menschengedenken heimsuchen, für immer zu vernichten. Doch das Vorhaben ist nicht ungefährlich, und nicht alle Bewohner des Planeten sind gewillt, sich an seiner Durchführung zu beteiligen …

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

ALL THE WEYRS OF PERN

 

Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1991 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20883-7V002

 

 

 

Dieses Buch

sei mit allem Respekt

Dr. Jack und Dr. Judy Cohen gewidmet,

die mein Leben

so sehr bereichert haben.

Danksagungen

 

Die Autorin möchte abermals Dr. Jacks Verdienste würdigen. Er hat ihre Erfindungen mit Fakten untermauert und die Launen ihrer Phantasie auf eine rationale Basis gestellt.

Außerdem bedankt sich die Autorin bei Elizabeth Moon für die freundliche Genehmigung, ihr Gedicht zu verwenden, das in Kapitel Fünfzehn der Harfnergesellin Elimona zugeschrieben wird.

Die Autorin und Dr. Jack Cohen sind sich durchaus bewusst, dass die Entwicklung mancher der auf diesen Seiten erwähnten Verfahren und neuen Produkte wahrscheinlich viele Monate oder gar Jahre mehr in Anspruch genommen hätte, als hier unterstellt wird. Aber Romanautoren und ihre Berater haben schließlich ein Recht auf eine gewisse dichterische Freiheit. Außerdem hatten die Perner doch Akkis Unterstützung, nicht wahr?

Prolog

 

Die Sensoren des Akki erwachten zum Leben, sobald sie von den Solarzellen auf dem Dach mit neuer Energie versorgt wurden. Wahrscheinlich war der Wind wieder einmal so stark geworden, dass er die Schicht aus Staub und Vulkanasche weggefegt hatte, die das Sonnenlicht abhielt. Derartige Zwischenfälle hatte es im Laufe der vergangenen 2525 Jahre immerhin so häufig gegeben, dass das Akki, wenn auch nur auf niedrigstem Niveau, seine Funktionsfähigkeit hatte aufrechterhalten können.

Das Akki überprüfte die Hauptschaltkreise, ohne einen Defekt zu finden. Die Kameraerfassung im Außenbereich war noch blockiert, aber die Anlage registrierte erneut Bewegungen in unmittelbarer Nähe.

War es möglich, dass Menschen nach Landing zurückgekehrt waren?

Noch hatte die Anlage ihre wichtigste Aufgabe nicht erfüllt: einen Weg zu finden, um den von den Führern als ›Fäden‹ bezeichneten Organismus zu zerstören. Bisher waren keine wesentlichen Daten eingegangen, die es ihm gestattet hätten, den Auftrag auszuführen, aber die Priorität war auch nicht aufgehoben worden.

Mit der Rückkehr der Menschen wäre es nun vielleicht möglich, die Mission zu Ende zu führen.

Immer mehr Kollektoren wurden freigelegt, die Energiereservoire füllten sich; hier handelte es sich nicht um die willkürliche Abtragung von Erdschichten durch Wind und Wetter, dies war das Ergebnis gezielter Aktivität. Die Solarenergie erreichte Stromabnehmer, die seit Jahren unversorgt geblieben waren. Daraufhin verteilte das Akki die belebende Energie an seine Systeme und unterzog die schon so lange inaktiven Schaltkreise einer raschen Funktionsprüfung.

Das Akki war sehr zweckmäßig konstruiert, und da die Stromzufuhr nicht unterbrochen wurde, war die Anlage voll einsatzbereit, sobald auch die Außensensoren freigelegt waren.

Menschen waren nach Landing zurückgekehrt! Viele Menschen! Wieder einmal war es der Menschheit gelungen, gewaltige Widerstände zu überwinden. Mit Hilfe seiner regulierbaren Sichtgeräte stellte das Akki fest, dass sich die Wesen, die man Zwergdrachen nannte, noch immer in der Umgebung der Menschen aufhielten. Nun drangen auch Geräusche durch die Audiokanäle: menschliche Stimmen, die sich in ungewohnten Sprachmustern artikulierten. Hatte etwa ein Sprachwandel stattgefunden? Im Lauf von 2525 Jahren durchaus wahrscheinlich. Das Akki lauschte, interpretierte und verglich die veränderten Vokale und verschliffenen Konsonanten mit den Lautstrukturen, die man ihm einprogrammiert hatte. Dann ordnete es die neuen Phoneme zu Gruppen, um diese wiederum durch sein Semantikprogramm laufen zu lassen.

Ein riesiges, weißes Geschöpf kam in seinen visuellen Erfassungsbereich. Ein Abkömmling der ersten Produktion der Biotechniker? Rasch führte das Akki eine Extrapolation auf der Grundlage der Daten des Biolabors durch und gelangte zu dem unausweichlichen Schluss, dass auch die sogenannten Drachen einen Reifungs- und Entwicklungsprozess durchlaufen hatten. Nach dem Merkmal ›weiß‹ suchte es in den Parametern für die gentechnisch produzierte Spezies freilich vergeblich.

Die Menschheit hatte die Angriffe der Fäden nicht nur 2525 Jahre lang überlebt, sie war dabei auch noch prächtig gediehen. Diese Spezies war zäh genug, um zu bestehen, wo andere längst kapituliert hätten.

Wenn es den Menschen möglich gewesen war, vom Nordkontinent zurückzukehren, war es ihnen dann auch gelungen, den Fremdorganismus zu zerstören? Das wäre ein großer Erfolg. Doch was bliebe für das Akki zu tun, wenn sein wichtigster Auftrag bereits erledigt war?

Den Menschen mit ihrer unersättlichen Neugier und ihrer Rastlosigkeit würde es sicher nicht schwerfallen, dem Akustischen System einer Künstlichen Intelligenz neue Aufgaben zu stellen. Das Akki wusste aus seinen Speichern, dass die Gattung nicht dazu neigte, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Bald würden diejenigen Personen, die jetzt noch mühsam den Schutt von Jahrhunderten beiseite räumten, das ganze Gebäude freigelegt haben und bis zu ihm vordringen. Dann musste es natürlich so reagieren, wie sein Programm es vorsah.

Das Akki wartete.

1

 

Gegenwärtige (neunte) Annäherungsphase,

17. Planetenumlauf

 

Als Akki seine Schilderung der ersten neun Jahre der Kolonisierung Perns beendete, war Rubkat nach einem ungewöhnlich prachtvollen Sonnenuntergang bereits hinter dem Horizont verschwunden. Nicht dass die meisten der Zuhörer, die der Erzählung des Akustischen Systems der künstlichen Intelligenz so andächtig lauschten, solche Äußerlichkeiten überhaupt wahrgenommen hätten.

Im Laufe der Stunden, in denen Akkis volltönendes Organ den Raum erfüllte und bis in den Gang hinaus schallte, strömten immer mehr Menschen ins Gebäude, um zu hören, was die Stimme sagte, und alles drängelte nach vorn, um wenigstens hin und wieder einen Blick auf die unerhörten bewegten Bilder zu erhaschen, mit denen Akki seine Darstellung illustrierte. Auch die Barone und Handwerksmeister, die man in aller Eile durch Feuerechsen herbeizitiert hatte, ließen sich geduldig in den stickigen Innenraum pferchen.

Baron Jaxom von Ruatha hatte Ruth, seinen weißen Drachen, gebeten, die Weyrführer von Benden zu rufen, folglich gesellten sie sich als erste zu Meisterharfner Robinton und Schmiedemeister Fandarel. Lessa und F'lar schwangen sich auf die Hocker, die Jaxom und der Harfnergeselle Piemur für sie freimachten. Piemur bemerkte stirnrunzelnd, dass seine Gefährtin, die Schmiedemeisterin Jancis, ebenfalls von ihrem Sitz rutschen wollte, und bedeutete Breide, der gaffend in der Tür stand, weitere Sitzgelegenheiten heranzuschaffen. Als F'nor, der Geschwaderführer von Benden, eintraf, musste er sich auf den Boden setzen und sich fast den Hals verrenken, um auf den Bildschirm sehen zu können, aber bald fesselte ihn die Geschichte so sehr, dass er diese Unbequemlichkeiten nicht mehr spürte. Auch die Barone Groghe von Fort, Asgenar von Lemos und Larad von Telgar fanden in dem kleinen, ohnehin schon überfüllten Raum noch Platz. Inzwischen war Jaxom bis zur Tür zurückgedrängt worden, wo er allen weiteren Neugierigen höflich aber entschieden den Zutritt verwehrte.

Kaum merklich erhöhte Akki die Lautstärke, damit auch die im Korridor Stehenden den Bericht hören konnten. Im Raum wie im Gang herrschte eine drückende Schwüle, was freilich niemanden zu stören schien. Erst als eine freundliche Seele Wasser und Rotfruchtsaft und etwas später auch Fleischpasteten herumreichen ließ, wurde der Aufenthalt erträglicher. Zudem hatte irgendjemand in weiser Voraussicht alle erreichbaren Fenster geöffnet und auf diese Weise im Korridor für etwas Durchzug gesorgt. Leider erreichte kaum etwas von der frischen Luft den Akki-Raum.

»Die letzte Nachricht, die diese Anlage von Kapitän Keroon empfing, war eine Bestätigung, dass die Siedlung Fort betriebsbereit sei. Registriert wurde diese Nachricht um 17 Uhr am vierten Tag des zehnten Monats im elften Jahr nach der Landung.«

Akki verstummte, und eine tiefe, ehrfürchtige Stille breitete sich aus. Erst als die Besucher nach längerer Zeit fast schüchtern ihre Stellung veränderten, war ein leises Scharren zu hören. Da und dort wurde dezent gehüstelt, doch auch das legte sich rasch.

Der Meisterharfner hielt es für seine Pflicht, auf diese unerwarteten historischen Offenbarungen irgendwie zu reagieren, und räusperte sich.

»Wir sind dir für diesen erstaunlichen Bericht zu großem Dank verpflichtet, Akki.« Robinton sprach bescheiden und mit großem Respekt. Ein beifälliges Murmeln lief durch Raum und Korridor. »Ein großer Teil unserer Frühgeschichte ist in Vergessenheit geraten, vieles blieb nur in Form von Mythen und Legenden erhalten. Du hast eben so manches Rätsel gelöst. Aber warum bricht die Erzählung so unvermittelt ab?«

»Die zur Eingabe berechtigten Personen haben die Aufzeichnungen nicht weitergeführt.«

»Warum nicht?«

»Erklärungen wurden nicht gegeben. Mangels anderer Anweisungen setzte die Anlage ihre Beobachtungen so lange fort, bis die Solarzellen auf dem Dach völlig verschüttet waren, wodurch sich die Stromzufuhr auf das zur Sicherung des Hauptspeichers erforderliche Minimum reduzierte.«

»Diese Tafeln sind deine Energiequelle?« In Fandarels Bassstimme schwang ein ungeduldiges Grummeln mit.

»Richtig.«

»Die Bilder? Wie hast du das gemacht?« Fandarel war so erregt, dass er seine gewohnte Zurückhaltung aufgab.

»Sie verfügen nicht mehr über Aufzeichnungsgeräte?«

»Nein.« Fandarel schüttelte grimmig den Kopf. »So wenig wie über viele andere Wunderdinge, die du ganz nebenbei erwähnt hast. Kannst du uns lehren, was wir vergessen haben?« Seine Augen funkelten erwartungsvoll.

»Die Hauptdatenbanken enthalten alle für die Verbesserung und die Kolonisierung des Planeten relevanten Daten sowie Speicher mit sämtlichen multikulturellen und historischen Informationen, die von der Kolonialregierung als wichtig erachtet wurden.«

Ehe Fandarel das nächste Thema anschneiden konnte, hatte F'lar bereits die Hand gehoben.

»Sie gestatten doch, Meister Fandarel, wir alle haben Fragen an Akki.« Er drehte sich um und winkte Meister Esselin und den allgegenwärtigen Breide heran. »Lassen Sie den Korridor räumen, Meister Esselin. Dieser Raum darf künftig nur mit ausdrücklicher Genehmigung eines der jetzt Anwesenden betreten werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Er blickte streng von einem zum anderen.

»Gewiss, Weyrführer, vollkommen klar.« Breide gab sich gewohnt servil.

»Natürlich, Weyrführer, selbstverständlich, Weyrführer.« Meister Esselin verneigte sich jedes Mal, wenn er F'lars Titel gebrauchte.

»Breide, Sie müssen Baron Toric auf jeden Fall von den heutigen Ereignissen unterrichten«, fügte F'lar hinzu, obwohl er genau wusste, dass Breide das auch ohne Aufforderung tun würde. »Esselin, wir brauchen Leuchtkörbe, um den Gang und die angrenzenden Räume zu beleuchten. Besorgen Sie auch ein paar Feldbetten oder Pritschen und Decken. Und etwas zu essen.«

»Und Wein. Vergessen Sie den Wein nicht, F'lar«, rief Robinton. »Benden-Wein, Esselin, wenn ich bitten darf, und zwar zwei Schläuche. Könnte doch sein, dass die Arbeit durstig macht«, fügte er wie beiläufig hinzu und grinste Lessa an.

»Kommt nicht in Frage, dass Sie zwei Schläuche leertrinken, Robinton«, sagte Lessa streng, »und sich dabei mit Akki unterhalten, bis Sie heiser sind. Genau das haben Sie nämlich im Sinn, das sehe ich Ihnen an. Ich würde sagen, für heute haben Sie genug Aufregung gehabt. Ich jedenfalls habe mehr gehört, als ich auf einmal glauben kann.«

»Seien Sie ganz beruhigt, Madame Lessa«, ließ sich Akki beschwichtigend vernehmen. »Jedes Wort, das Sie gehört haben, beruht auf Tatsachen.«

Lessa wandte sich dem Schirm zu, der ihr so unbegreifliche Bilder gezeigt hatte, von Menschen, die schon seit Jahrhunderten zu Staub zerfallen waren, und von Gegenständen, die ihr völlig fremd erschienen. »Ich zweifle ja gar nicht an dir, Akki. Ich zweifle nur an meiner Fähigkeit, auch nur die Hälfte der Wunder aufzunehmen, die du uns beschrieben und vorgeführt hast.«

»Sie selbst haben kein geringeres Wunder vollbracht«, beteuerte Akki, »indem Sie die Katastrophe überlebten, der die ersten Siedler um ein Haar zum Opfer gefallen wären. Sind die herrlichen Riesengeschöpfe, die draußen auf den Hängen warten, Abkömmlinge der von Madame Kitti Ping Yung geschaffenen Drachen?«

»Ja, das sind sie«, antwortete Lessa voll Besitzerstolz. »Die goldene Königin heißt Ramoth ...«

»Und ist der größte Drache auf ganz Pern«, ergänzte der Meisterharfner mit verschmitztem Zwinkern.

Lessa wollte ihm schon einen strafenden Blick zuwerfen, doch dann musste sie lachen. »Nun, es stimmt doch.«

»Der Bronzedrache, der wahrscheinlich neben ihr liegt, heißt Mnementh, und ich bin sein Reiter«, erklärte F'lar und grinste schadenfroh über die Verlegenheit seiner Gefährtin.

»Woher weißt du, was draußen los ist?«, platzte Fandarel dazwischen.

»Die Außensensoren dieser Anlage sind wieder in Betrieb.«

»Außensensoren ...« Fandarel verschlug es die Sprache.

»Und das weiße Tier?«, fuhr Akki fort. »Es ...«

»Er«, verbesserte Jaxom energisch, aber ohne Groll, »heißt Ruth, und ich bin sein Reiter.«

»Bemerkenswert. Den Berichten der Biogenetik zufolge waren in Anlehnung an das genetische Potenzial der Zwergdrachen nur fünf Farbvarianten vorgesehen.«

»Ruth ist ein Sonderfall«, antwortete Jaxom. Er hatte es schon lange aufgegeben, seinen Drachen gegen jedermann verteidigen zu wollen. Ruth hatte seine eigenen, ganz speziellen Fähigkeiten.

»Ein Teil unserer Geschichte«, warf Robinton begütigend ein.

»Die aber«, sagte Lessa mit einem weiteren strengen Blick auf den Harfner, »noch warten kann, bis sich gewisse Leute ausgeruht haben.«

»Meine Neugier lässt sich bezähmen, Madame.«

Lessa bedachte den dunklen Bildschirm mit einem misstrauischen Blick. »Du weißt, was Neugier ist? Und was hat dieses ›Madame‹ zu bedeuten?«

»Die Lust am Sammeln von Informationen ist nicht auf den Menschen begrenzt. Madame ist eine respektvolle Anrede.«

»Die respektvolle Anrede für Lessa lautet Weyrherrin, Akki«, grinste F'lar. »Oder Ramoths Reiterin.«

»Und wie werden Sie angesprochen, Sir?«

»Als Weyrführer oder Mnemenths Reiter. Meisterharfner Robinton, Harfnergeselle Piemur, Schmiedemeisterin Jancis und Baron Jaxom von Ruatha hast du ja bereits kennengelernt, nun darf ich dir noch Meisterschmied Fandarel vorstellen, sowie Baron Groghe von Fort, von jener Burg also, die als erstes gegründet wurde, was wir übrigens immer schon wussten« – F'lar verbiss sich ein Grinsen, weil Baron Groghe sich auf einmal so bescheiden gebärdete –, »wenn auch nicht, warum. Außerdem Larad, den Burgherrn von Telgar, und Asgenar, den Burgherrn von Lemos.«

»Lemos? Sehr aufschlussreich.« Ehe die Zuhörer auf Akkis leicht überraschten Tonfall eingehen konnten, fuhr die Stimme schon fort: »Wie erfreulich, dass der Name Telgar sich erhalten hat.«

»Wir wissen nicht mehr, wie es zu den einzelnen Namen kam«, murmelte Larad.

»Um so erfreulicher, dass den Opfern von Sallah und Tarvi ein so dauerhaftes Denkmal gesetzt wurde.«

»Akki!« F'lar stellte sich breitbeinig vor den Bildschirm. »Du sagtest doch, du wolltest herausfinden, woher die Fäden kommen und wie sie auszurotten sind. Zu welchen Schlüssen bist du gelangt?«

»Zu mehreren. Die als ›Fäden‹ bekannten Organismen werden irgendwie von dem exzentrischen Planeten angezogen, der an seinem Aphel in die Oort'sche Wolke eindringt; auf dem Weg zum Perihel, das in diesem Raumsektor liegt, zieht er etwas von deren Materie hinter sich her. Ein kleiner Teil des Schweifs bleibt am Himmel über Ihrem Planeten zurück. Damalige Berechnungen ergaben, dass sich der im Orbit befindliche Bestand nach annähernd fünfzig Jahren erschöpfen würde. Weiteren Berechnungen zufolge sollte das Phänomen in Abständen von zweihundertfünfzig Jahren plus minus ein Jahrzehnt immer wieder auftreten.«

F'lar sah sich fragend um, ob jemand begriffen hatte, was das Akki sagte.

»Mit allem schuldigen Respekt, Akki, wir haben deine Erklärung nicht verstanden«, bemerkte der Harfner. »Seit Admiral Benden und Gouverneurin Boll die Siedler nach Norden führten, ist viel Zeit vergangen. Wir befinden uns derzeit im siebzehnten Planetenumlauf – du sprichst, glaube ich, von einem Jahr – der neunten Annäherungsphase des Roten Sterns.«

»Registriert.«

»Man ist bisher immer davon ausgegangen«, schaltete F'lar sich ein, »dass die Sporen vom Roten Stern kommen.«

»Es ist kein Stern: die einleuchtendste Erklärung lautet, dass es sich um einen Wanderplaneten handelt, der, vermutlich infolge ungewöhnlicher Umstände, aus seinem heimischen System ausgebrochen war und so lange durch den Raum irrte, bis er von Rubkat eingefangen wurde und in dieses System geriet. Die Gebilde, die sie Fäden oder Sporen nennen, stammen nicht von seiner Oberfläche. Sie haben ihren Ursprung in der Oort'schen Wolke dieses Systems.«

»Und was ist eine Oort'sche Wolke?«, erkundigte sich Meister Fandarel ungeniert.

»Dem holländischen Astronomen Jan Oort zufolge bestehen die nach ihm benannten Wolken aus Masse, die weit außerhalb des Orbits des äußersten Planeten um eine Sonne kreist. Aus der Wolke gelangen Kometenbestandteile in die inneren Bereiche des Systems. Im Fall von Rubkat besteht ein Teil dieses Materials aus eiförmigen Gebilden mit harter Schale, die sich auf ganz charakteristische Weise verändern, wenn sie bei Erreichen der äußeren Atmosphäreschichten ihre äußere Hülle verlieren und aufweichen, um dann als sogenannte ›Fäden‹ auf die Oberfläche zu fallen; in diesem Stadium ähneln sie einem gefräßigen Organismus, der organische Materie auf Kohlenstoffbasis verschlingt.«

Blinzelnd suchte Fandarel diese Information zu verdauen.

»Sie wollten es ja unbedingt wissen, Meister Fandarel«, stichelte Piemur.

»Deine Erläuterungen verwirren uns nur, Akki, weil niemand von uns so gebildet ist, dass er sie verstehen könnte.« F'lar hob die Hand, zum Zeichen, dass er nicht unterbrochen werden wollte. »Aber wenn du und vermutlich auch unsere Vorfahren wussten, was die Fäden waren und woher sie kamen, warum hat man sie dann nicht an ihrem Ursprung zerstört?«

»Als die Anlage zu diesen Schlussfolgerungen gelangte, Weyrführer, waren Ihre Vorfahren bereits auf den Nordkontinent gezogen, und sie kehrten auch nie zurück, um den Bericht abzurufen.«

Ein bedrücktes Schweigen senkte sich über den Raum.

»Aber jetzt sind wir ja hier.« Robinton richtete sich auf seinem Hocker auf. »Und wir können den Bericht entgegennehmen.«

»Falls wir ihn verstehen«, scherzte F'lar.

»Diese Anlage verfügt über Lehrprogramme, mit deren Hilfe sie Förderunterricht auf allen Gebieten der Wissenschaft erteilen kann. Diese Anlage erhielt von Kapitän Keroon und Kapitän Tillek, aber auch von Admiral Benden und Gouverneurin Boll den Primärbefehl, Informationen zu sammeln und eine Strategie zu entwickeln, um die ständige Bedrohung durch diese Einfälle abzustellen.«

»Heißt das, es ist möglich, diese Bedrohung zu beseitigen?«, fragte F'lar mit betont ausdruckslosem Gesicht. Niemand sollte merken, dass ein Funken Hoffnung in ihm aufkeimte.

»Die Möglichkeit besteht, Weyrführer.«

»Was?«, ertönte es ungläubig im ganzen Raum.

»Die Möglichkeit besteht, Weyrführer, aber nur nach gewaltigen Anstrengungen Ihrerseits und wahrscheinlich auch der Mehrheit Ihrer Bevölkerung. Zuallererst müssten Sie die Sprache der Wissenschaft erlernen und sich mit fortgeschrittener Technologie befassen. Weiterhin wäre ein Zugriff auf die Datenbanken der Yokohama erforderlich, um wichtige Angaben über Asteroidenpositionen nachzutragen. Erst danach könnte man Maßnahmen in die Wege leiten, die mit großer Wahrscheinlichkeit zur Beendigung dieser Einfälle führen würden.«

»Möglichkeit? Wahrscheinlichkeit? Aber die Möglichkeit besteht?« F'lar trat an den Schirm und legte beide Hände auf die schwach leuchtende Scheibe. »Ich würde alles – alles – tun, um Pern von den Fäden zu befreien.«

»Unter der Voraussetzung, dass Sie bereit sind, sich verlorengegangene Fertigkeiten von neuem anzueignen und sie zu vervollkommnen, besteht die Möglichkeit in der Tat.«

»Und du würdest uns helfen?«

»Die Beendigung dieser Einfälle hat für diese Anlage weiterhin höchste Priorität.«

»Nicht halb so sehr wie für uns!«, gab F'lar zurück. F'nor stimmte ihm von ganzem Herzen zu.

Die Barone wechselten rasche Blicke, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Staunen. Die Vernichtung aller Fäden, das hatte F'lar ihnen bereits vor vielen Umläufen zugesagt, als er die Leitung von Perns damals noch einzigem Weyr übernahm. Zu jener Zeit, als nach einer Pause von vierhundert Umläufen gänzlich unerwartet die Sporenregen wieder einsetzten, hatten allein Bendens tapfere Drachengeschwader mit ihren Reitern verhindert, dass die Menschheit auf Pern auf die Stufe von Jägern und Sammlern zurückfiel. In ihrer Not hatten die Barone dem Weyrführer versprochen, alle seine Katastrophenmaßnahmen mitzutragen. Und seither waren sie so beschäftigt damit, die Anforderungen dieser schweren Zeit zu bewältigen, dass sie sein Gelübde ganz vergessen hatten. Nun freilich erkannten alle drei sofort, welche Vorteile es für sie selbst – vielleicht aber auch, welche Nachteile es für die Drachenreiter hätte, wenn sie sich ihrer traditionellen Verpflichtungen entledigen könnten. Jaxom, der Reiter und Burgherr zugleich war, sah F'lar bestürzt an. Doch es gab keinen Zweifel, der Weyrführer von Benden meinte genau das, was er sagte – er würde keine Mühe scheuen, um Pern für immer von den Fäden zu befreien.

»Dann gibt es viel zu tun«, erklärte Akki entschlossen. Das klang ja fast so, dachte Meister Robinton, als sei die Maschine erleichtert, nach so langem Müßiggang endlich wieder eine Beschäftigung gefunden zu haben. »Die Aufzeichnungen in Ihren Archiven, Meister Robinton und Meister Fandarel, wären für die Bewertung Ihrer Geschichte und Ihres Potenzials sowie für die Feststellung des derzeitigen Standes der Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Ein Abriss Ihrer Geschichte wäre gewiss auch hilfreich bei der Auswahl der zur Erreichung Ihres Ziels erforderlichen Förderprogramme.«

»Die Harfnerhalle hat emsig Buch geführt«, bestätigte der Harfner eifrig. »Freilich sind die ältesten Dokumente in den Hunderten von Planetenumläufen seit ihrer Erstellung unleserlich geworden. Ich glaube, die neueren Unterlagen aus den bisherigen Umläufen der gegenwärtigen Phase würden dir genügend Informationen liefern. Jaxom, könntest du wohl mit Ruth zur Harfnerhalle fliegen und sie holen?«

Der junge Baron erhob sich sofort.

»Und wenn es dir nichts ausmacht, dann bring doch bitte auch Sebell und Menolly mit«, fügte Robinton mit einem Blick auf F'lar zu, der sich mit energischem Nicken einverstanden erklärte.

»In den Aufzeichnungen meiner Gildehalle« – Fandarel rutschte auf seinem Hocker nach vorne und rieb sich in ungewohnter Verlegenheit die riesigen Hände – »fehlen so viele Worte und Erklärungen – vielleicht ließe sich sogar etwas über diese Oort'sche Wolke herauslesen. Die Lücken befinden sich im allgemeinen genau dort, wo wir auch aus dem Zusammenhang nicht erschließen können, was gemeint war. Wenn du uns sagen könntest, wie die fehlenden oder entstellten Worte lauten, wäre uns das bei unseren Bemühungen um Weiterbildung eine große Hilfe.«

Er war im schönsten Fahrwasser, als er Robintons Hand auf seiner Schulter spürte und verstummte. Alle hörten, wie Meister Esselin geschäftig den Korridor entlangkam und den Hilfskräften, die das Essen, die Becher und die Weinschläuche trugen, immer wieder einschärfte, alles Jancis und Piemur zu übergeben. Die Leute mit den Pritschen und den Decken winkte er gebieterisch in die kleineren Nebenräume. Auf ein Nicken von F'lar eilte er wieder zum Eingang zurück und war schließlich außer Hörweite.

»Einen Augenblick noch, lieber Freund«, mahnte Robinton, als Fandarel sich anschickte, mit seiner Bitte um Hilfe fortzufahren. »Akki, du magst über alle Informationen verfügen, die von den Kolonisten als wichtig erachtet wurden, dennoch bin ich der Ansicht, wir sollten sie der Allgemeinheit erst nach reiflicher Überlegung zugänglich machen.«

»Genau das wollte ich auch sagen«, fügte F'lar hinzu.

»Diskretion ist sozusagen ein Wesenszug dieses Akki-Modells, Meisterharfner, Weyrführer. Sie sollten untereinander besprechen, welchen Personen Sie Zugang zu dieser Anlage gewähren wollen und in welcher Weise sie Ihnen nützlich sein kann.«

Der Meisterharfner wiegte stöhnend den Kopf in beiden Händen. Sofort war er von Lessa, Piemur und Jaxom umringt.

»Schon gut, schon gut«, winkte er unwirsch ab. »Ist euch allen denn überhaupt klar, was eine solche Wissensquelle für uns bedeuten kann?« Seine Stimme war heiser vor Erregung. »Ich fange erst an, mich damit auseinanderzusetzen, wie grundlegend diese Entdeckung unser Leben verändern könnte.«

»Auch ich schlage mich mit dieser Erkenntnis herum«, gestand F'lar mit grimmigem Lächeln. »Wenn dieses Akki etwas über die Fäden und den Roten Stern weiß, das uns helfen würde ...« F'lar stockte, die Hoffnung war zu kostbar, um sie laut auszusprechen. Dann lächelte er und hob die Hand. »Zuallererst sollten wir uns einigen, wem wir gestatten wollen, diesen Raum zu betreten. Sie haben ganz recht, Robinton, Akki kann nicht für jedermann zugänglich sein.«

»Selbstverständlich«, stimmte Meister Robinton zu. Dann hob er den Becher Wein, den er sich eingeschenkt hatte, und trank einen tiefen Schluck. »Selbstverständlich. In Anbetracht der im Korridor versammelten Menschenmenge gibt es freilich keine Möglichkeit, Akkis Entdeckung zu verheimlichen, und« – Er wehrte die aufkommenden Proteste mit erhobener Hand ab – »ich finde, wir sollten es auch gar nicht erst versuchen. Andererseits« – er grinste – »kann es nicht angehen, dass jeder nach Belieben hier hereinstürmt und ganz allein diese – diese ...«

»Anlage«, soufflierte Piemur mit nachdenklicher Miene. »Wenn sich die Nachricht von Akkis Existenz verbreitet, werden unzählige Leute mit ihm sprechen wollen, nur um hinterher damit prahlen zu können; sie werden nämlich gar nicht imstande sein, die Tragweite dieser Entdeckung zu erfassen.«

»Da gebe ich dir ausnahmsweise recht, Piemur.« Lessa sah sich um. »Ich glaube, im Moment halten sich hier genügend Menschen auf, die triftige Gründe haben, mit Akki zu sprechen, aber auch über so viel Verstand und Höflichkeit verfügen, dass sie wissen, wann sie aufhören sollten.« Sie hielt inne und warf Meister Robinton einen strengen Blick zu. Der lächelte gewinnend zurück. »Der Planet ist auf jeden Fall würdig vertreten – durch Weyrführer, Gildemeister und Barone. Niemand kann behaupten, Akki würde von einer Gruppe allein mit Beschlag belegt. Oder sind wir zu viele, Akki?«

»Nein.« Aus irgendeinem Grund grinste der Meisterharfner über diese prompte Antwort. Akki fuhr fort: »Die Zugangsberechtigung kann jederzeit auf weitere Personen ausgedehnt oder auch eingeschränkt werden, wenn es erforderlich scheint. Um noch einmal zusammenzufassen, die Erlaubnis gilt für ...« Und dann zählte die angenehme Baritonstimme sämtliche Anwesenden auf.

»Und für Jaxom«, fügte Piemur rasch hinzu, denn Jaxom war in Robintons Auftrag unterwegs, und jemand musste schließlich für das dritte Mitglied der Gruppe sprechen, der Akki seine Entdeckung verdankte.

»Und Baron Jaxom von Ruatha«, ergänzte Akki. »Sie können über meine Dienste verfügen. Ist das richtig? Ausgezeichnet. Die jeweiligen Stimmabdrücke sind erfasst, der von Baron Jaxom wurde schon früher aufgezeichnet. Bis auf weiteres wird diese Anlage niemand anderem und in Gegenwart keines Außenstehenden antworten.«

»Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme«, schlug Meister Robinton vor, »soll diese Liste nur in diesem Raum und in Anwesenheit eines Weyrführers, eines Gildemeisters und eines Burgherrn beziehungsweise eines jeweils ranggleichen Vertreters geändert werden können.« Er sah sich um, ob alle damit einverstanden waren.

In diesem Augenblick kam Esselin durch den Korridor gehastet und fragte, ob sie für die Nacht noch weitere Wünsche hätten.

»Ja, Esselin, stellen Sie den zuverlässigsten und am wenigsten neugierigen von Ihren Männern als Wächter an den Eingang. Nur Baron Jaxom und seinen Begleitern ist es heute Nacht noch gestattet, das Gebäude zu betreten.«

Während Esselin F'lar wortreich seiner bedingungslosen Kooperationsbereitschaft versicherte, entspann sich zwischen Fandarel und Larad eine recht gereizte Diskussion darüber, welchen Gildehallen man vorrangig das Recht zugestehen sollte, bei Akki Unterricht zu nehmen.

»Wenn ich dazu einen Vorschlag machen dürfte«, schaltete sich Akki so laut ein, dass alle erschraken. »Diese Anlage lässt sich mit relativ einfachen Mitteln so erweitern, dass sie vielfältigen Ansprüchen gerecht zu werden vermag.« Als die Stille sich in die Länge zog, fügte die Stimme etwas sanfter, fast entschuldigend hinzu: »Immer vorausgesetzt, der Inhalt der Catherine-Höhlen ist noch vollständig und unversehrt vorhanden?«

»Meinst du die Höhlen an der Südseite des Landegitters?«, fragte Piemur.

»Das müssen sie sein.« Zur Verwirrung der Zuschauer erschienen auf dem Schirm verschiedene Abbildungen. »Und dies sind die Dinge, die benötigt werden, um weitere Stationen zu schaffen.«

»Deine Platten mit den Perlen, Piemur.« Jancis zupfte mit einer Hand den Harfnergesellen am Ärmel und deutete mit der anderen aufgeregt auf den Schirm.

»Du hast recht«, sagte Piemur. »Was ist das, Akki? Das Zeug ist offenbar kistenweise vorhanden, aber in den verschiedensten Ausführungen.«

»Das sind Computerkarten.« Den Zuhörern schien es, als schwinge verhaltene Erregung in den gemessenen Worten mit. »Hat man auch Dinge dieser Art gefunden?« Kästen mit Bildschirmen wurden gezeigt, kleinere Versionen des Schirms vor ihnen, und mit Rechtecken, die Ähnlichkeit mit den von Akki so bezeichneten Kontaktplatten hatten.

»Ja«, sagte Meister Robinton überrascht. »Die habe ich gesehen, aber ich konnte mir nichts darunter vorstellen, sie waren in dicke Folie eingewickelt.«

»Falls funktionsfähige Teile in ausreichender Anzahl vorhanden sind, braucht es um den Zugriff auf diese Anlage keinen Streit zu geben. Es handelt sich hier um Restbestände der gewöhnlichen Prozessormodule. Alle mit Sprachsteuerung betriebenen Geräte wurden verpackt und in den Norden verfrachtet, wo sie offenbar verlorengingen, aber diese einfachen Modelle genügen den derzeitigen Anforderungen vollauf. Bei ausreichender Energieversorgung können ohne Verlängerung der Reaktionszeit bis zu zwölf Stationen eingerichtet werden.«

Wieder verfielen die Anwesenden in benommenes Schweigen.

»Habe ich dich richtig verstanden?«, begann Fandarel, nachdem er sich geräuspert hatte. »Du kannst dich in zwölf Segmente unterteilen?«

»Das ist richtig.«

»Wie soll das gehen?« Fandarel breitete ratlos die Arme aus.

»Sie, Meisterschmied, begnügen sich doch gewiss auch nicht mit einem Herd, einem Amboss, einer Esse, einem Hammer oder einem Feuer?«

»Natürlich nicht, aber ich habe viele Männer ...«

»Diese Anlage ist nicht mit einem einzelnen Feuer oder Hammer zu vergleichen, sondern mit vielen, und jedes Element vermag mit gleichem Einsatz zu arbeiten.«

»Das will mir nicht so recht einleuchten«, gestand Fandarel und kratzte sich kopfschüttelnd den Schädel mit dem schütteren Haar.

»Vor Ihnen steht eine Maschine, Meisterschmied, die imstande ist, sich so zu teilen, dass jedes Segment als eigenes Werkzeug dienen kann.«

»Ich ahne nicht einmal, wie du das anstellen willst, Akki, aber wenn es wirklich möglich ist, wäre damit zumindest das Problem der Vorrangigkeit gelöst.« Meister Robinton grinste von einem Ohr zum anderen. Es gab so viele ungelöste Fragen, die diese Wundermaschine nun beantworten konnte! Er nahm einen kräftigen Schluck Wein.

»Die Montage der einzelnen Stationen«, fuhr Akki fort, »wird gleich die erste von vielen Lektionen sein, die Sie sich erarbeiten müssen, ehe Sie darangehen können, Ihr Hauptziel, die Vernichtung der Fäden, in Angriff zu nehmen.«

»Dann lass uns sofort ans Werk gehen!« F'lar rieb sich die Hände. Zum ersten Mal in den zermürbenden Umläufen seit Beginn dieser Phase regte sich so etwas wie Hoffnung in ihm.

»Dieser Raum ist aber zu klein, als dass ein Dutzend von uns mit einem Dutzend von dir sprechen könnten, Akki«, gab Baron Larad von Telgar nüchtern zu bedenken.

»In diesem Gebäude gibt es noch andere Räume, die sich nutzbar machen lassen. Es wäre sogar sinnvoll, verschiedene Arbeitsräume einzurichten und dazu vielleicht einen größeren Raum, in dem viele beobachten und lernen könnten. Am besten beginnen wir am Anfang«, fuhr Akki fort, und plötzlich schoben sich mehrere Blätter aus einem Schlitz an einer Seite des Hauptbildschirms. »Diese Dinge werden morgen früh benötigt, es sind Elemente, die zum Bau der zusätzlichen Stationen erforderlich sind, sowie ein Diagramm, das zeigt, wie dieses Gebäude umzubauen ist, um sie aufnehmen zu können.«

Piemur als der Nächststehende fing die ausgespuckten Blätter auf. Jancis kam ihm zu Hilfe.

»Der Drucker braucht bald neues Material«, fuhr Akki fort. »Einige Rollen müssten neben anderen Vorräten in den Catherine-Höhlen zu finden sein. Papier wäre ein annehmbarer Ersatz.«

»Papier?«, rief Larad. »Papier aus Holzbrei?«

»Wenn nichts anderes erhältlich ist, genügt auch das.«

»Sieht so aus, Asgenar«, lachte F'lar leise, »als hätte Meister Bendarek sein neues Verfahren keinen Umlauf zu früh entwickelt.«

»Das Verfahren der Extrusion von Plastik aus Silikaten ist in Vergessenheit geraten?«, fragte die Stimme. Meister Robinton glaubte, einen überraschten Unterton herauszuhören.

»Silikate?«, fragte Meister Fandarel.

»Das ist bei weitem nicht das einzige, was wir verloren haben«, klagte Robinton. »Wir werden eifrige Schüler sein.«

Der Strom von Blättern versiegte, und beim Sortieren stellten Piemur und Jancis fest, dass von jeder Seite sechs Kopien vorhanden waren. Als sie alles geordnet hatten, blickten sie die Umstehenden erwartungsvoll an.

»Nicht mehr heute Abend«, lehnte Lessa entschieden ab. »Am Ende brecht ihr euch in den dunklen Höhlen noch den Hals. Nachdem wir so lange gewartet haben, können wir uns auch noch bis morgen früh gedulden. Ich finde« – sie drehte sich um und fixierte den Meisterharfner mit strengem Blick – »wir sollten uns jetzt alle ein Bett suchen oder dahin zurückkehren, wo wir hingehören.«

»Meine liebe Weyrherrin«, begann Robinton und richtete sich auf. »Nichts, absolut gar nichts, nicht einmal Ihre schlimmsten Drohungen könnten mich bewegen ...« Und dann erschlaffte er plötzlich und sank in sich zusammen. Piemur fing den Becher auf, der ihm aus der Hand geglitten war. Mit zufriedenem Lächeln stützte er den kraftlosen Körper seines Meisters.

»Außer dem Fellissaft natürlich, den ich ihm in seinen letzten Becher Wein getan habe«, erklärte er. »Bringen wir ihn zu Bett.«

F'lar und Larad traten sofort vor, aber Fandarel hob abwehrend seine Riesenpranke, nahm den hochgewachsenen Harfner auf beide Arme und bat Jancis mit einem Kopfnicken, ihm zu zeigen, wo er seine Last ablegen sollte.

»Du hast dich nicht verändert, was, Piemur?« Lessa sah ihn gespielt vorwurfsvoll an, musste aber unwillkürlich schmunzeln. Da sie nicht wusste, was die Maschine von der Szene halten würde, fügte sie hinzu: »Meisterharfner Robinton lässt sich oft ohne Rücksicht auf seine Gesundheit von seiner Begeisterung mitreißen, Akki.«

»Diese Anlage ist in der Lage, Stresssymptome zu registrieren«, sagte Akki. »Tatsächlich befand sich der Meisterharfner in starker Erregung, die aber in keiner Weise schädlich war.«

»Bist du etwa auch ein Heiler?«, rief F'lar.

»Nein, Weyrführer, aber diese Anlage ist darauf eingerichtet, die Lebensfunktionen aller in diesem Raum befindlichen Personen zu überwachen. Die gespeicherten medizinischen Daten wurden auf den damals neuesten wissenschaftlichen Stand gebracht, als die Expedition die Reise zu diesem System antrat. Möglicherweise wären Ihre Mediziner an solchen Informationen interessiert.«

F'lar stöhnte hörbar. »Meister Oldive muss so schnell wie möglich herkommen.«

»Der halbe Planet muss so schnell wie möglich herkommen«, sagte Lessa bissig. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Ich fürchte, auch zwölf Akkis sind bei weitem nicht genug.«

»Dann sollten wir systematisch vorgehen«, sagte Fandarel, der eben zurückkehrte. »Wir müssen unsere Erregung zügeln und unsere Energien möglichst effektiv einsetzen ...« Das Lieblingswort des Meisterschmieds löste ringsum verhaltenes Gelächter aus. »Lachen Sie ruhig, aber effektive Arbeitsmethoden sind einfach vernünftig und zeitsparend, und im Moment würde jeder von uns am liebsten in mehrere Richtungen zugleich laufen. Natürlich regt dieses unerwartete Geschenk unserer Vorfahren unsere Phantasie an, aber wir dürfen nichts überstürzen. Wenn F'nor und Canth so freundlich wären, würde ich jetzt gern in die Schmiedehalle von Telgar zurückkehren. Ich werde dort die notwendigen Vorbereitungen treffen und Leute dazu abstellen, mit uns in den Höhlen nach den benötigten Materialien zu suchen, außerdem muss ich geeignete Personen finden, die mit Akkis Diagrammen zurechtkommen. Aber dafür ist morgen noch Zeit. F'nor?« Fandarel sah den braunen Reiter mit hochgezogenen Augenbrauen an, nickte allen zu, verneigte sich höflich vor dem Bildschirm und empfahl sich.

»Einen Moment noch, F'nor«, sagte Larad. »Ich sollte auch nach Telgar zurück. Asgenar, kommst du mit?«

Asgenar sah sich um und lächelte bedauernd. »Ich glaube, ich muss wirklich gehen. In meinem Kopf purzeln tausend Fragen an Akki durcheinander, aber ich fürchte, im Moment brächte ich keinen einzigen vernünftigen Satz zustande. Ich komme morgen früh mit Bendarek wieder.«

Baron Groghe, der sehr wenig gesprochen hatte, aber ein sehr nachdenkliches Gesicht machte, bat N'ton, ihn zur Burg Fort zu fliegen.

»Jancis und ich bleiben hier, für den Fall, dass Meister Robinton aufwacht«, sagte Piemur zu Lessa und F'lar. Dann kam sein verschmitztes Grinsen wieder zum Vorschein. »Ich verspreche auch, meine achttausendfünfhundertundzweiunddreißig brennenden Fragen nicht alle auf einmal zu stellen.«

»Dann wünschen wir dir jetzt wohl alle eine gute Nacht, Akki«, sagte F'lar, dem dunklen Bildschirm zugewandt.

»Gute Nacht.« Die Lichter schwächten sich ab, bis nur noch ein matter Schimmer den Raum erhellte. Ein grünes Licht in der linken unteren Ecke des Bildschirms blinkte jedoch weiter.

 

Zwei Stunden später trafen Jaxom und Ruth mit Sebell und Menolly, den beiden Harfnermeistern, ein. Der weiße Drache war über und über mit Säcken behängt. Piemur hatte sich mit riesigen Mengen Klah aus den von Esselin bereitgestellten Kannen wach gehalten, um auf sie zu warten, aber Jancis hatte sich hingelegt.

»Einer von uns muss morgen ausgeschlafen sein, um die Leute herumzuscheuchen«, hatte sie dem jungen Harfnergesellen erklärt. »Und das kann ich besser als du, mein Schatz.« Ein Kuss hatte ihm die Bemerkung versüßt.

Piemur hatte nichts dagegen einzuwenden. Mit einem geradezu väterlichen Gutenachtkuss bettete er sie in dem Zimmer hinter Meister Robintons Schlafraum auf eine Pritsche.

Der Harfner hatte sein Versprechen, Akki nicht mit Fragen löchern zu wollen, gar nicht ernst gemeint, doch als er nun in den Akki-Raum zurückkehrte, war er auf Anhieb nicht fähig, auch nur einen einzige intelligente Äußerung zu formulieren. Stattdessen saß er, einen Becher in der Hand, die Kanne neben sich, in dem halbdunklen Raum, als habe es ihm die Sprache verschlagen.

»Akki?«, begann er schließlich zaghaft.

»Ja, Geselle Piemur?« Der Raum wurde etwas heller, so dass Piemur deutlich sehen konnte.

»Wie machst du das?«, fragte Piemur erschrocken.

»Die Tafeln, die Sie und Gesellin Jancis gestern freigelegt haben, können Energie von der Sonne beziehen, die sogenannte Sonnenenergie. Wenn alle Tafeln freigelegt sind, wird eine Stunde helles Tageslicht genügen, um diese Anlage zwölf Stunden lang zu betreiben.«

»Aber mit Normalbetrieb kannst du von jetzt an nicht mehr rechnen«, schnaubte Piemur.

»Eine Frage: Sie verwerten in Ihren Handleuchten offenbar einen lumineszierenden Organismus, verfügen aber über keinerlei Verfahren zur Stromerzeugung wie etwa die Hydroelektrik?«

»Hydroelektrik?« Piemurs geschultes Ohr befähigte ihn, das unbekannte Wort richtig zu wiederholen.

»Die Erzeugung von elektrischem Strom aus der Energie des fließenden Wassers.«

»In der Schmiedehalle von Telgar treibt Meister Fandarel die großen Hämmer und die Blasebälge mit Wasserrädern an, aber der Begriff ›elektrisch‹ ist uns nicht bekannt. Es sei denn, er bezeichnet das, was Fandarel mit seinen Säuretanks anstellt.«

»Säuretanks? Batterien?«

Piemur zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wie er sie nennt. Ich bin nur ein einfacher Harfner. Was immer ›elektrisch‹ sein mag, solange es effektiv ist, wird Meister Fandarel davon begeistert sein.«

»Hat Meister Fandarels Apparatur vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Gebilde?« Unvermittelt wurde der Schirm hell und zeigte das Diagramm eines Wasserrades.

»Ganz genau. Woher weißt du das?«

»Es ist die am häufigsten vorkommende primitive Anwendungsform. Haben Sie die Fundstätten von Landing erkundet, Geselle Piemur?«

»Du brauchst mich nicht ständig mit meinem Titel anzusprechen, Akki. Piemur allein genügt.«

»Das würde man nicht als respektlos empfinden?«

»Ich jedenfalls nicht, Akki. Der eine oder andere Burgherr ist da etwas heikel, aber das gilt weder für Jaxom noch für Larad und Asgenar. Lessa kann manchmal recht schwierig sein, F'lar dagegen überhaupt nicht, ebenso wenig wie F'nor oder N'ton. Ja, ich habe die Fundstätten von Landing erkundet. Wonach hätte ich suchen sollen?«

Auf dem Bildschirm erschien ein komplizierter, am Fuß des Hügels am Fluss aufragender Mechanismus.

»Da ist nichts dergleichen mehr zu sehen.« Piemur schüttelte den Kopf.

»Nachdem Schmiedemeister Fandarel bereits mit Wasserrädern arbeitet, ließe sich auch ein neues Werk errichten. Damit wäre diese Anlage nicht allein von den Solarzellen abhängig, deren Leistung für die eben erwähnten zu erwartenden Anforderungen nicht ausreichen wird.«

»In den Höhlen liegt kein Vorrat von diesen Tafeln?«

»Nein.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?« Akkis Besserwisserei ging Piemur allmählich auf die Nerven. Es wäre wirklich unfair, wenn diese – diese Intelligenz immer recht behielte.

»Die Listen der Bestände in den Catherine-Höhlen sind verfügbar, und Ersatztafeln sind darin nicht aufgeführt.«

»Es muss doch schön sein, immer alles zu wissen«, sagte Piemur.

»Genauigkeit gehört zu den wichtigsten Eigenschaften eines Akki-Systems – Genauigkeit und eine umfassende Datenbank, wohl das, was Sie als ›Wissen‹ bezeichnen würden. Nun kann eine Datenbank niemals ›alles‹ enthalten, glauben Sie das ja nicht. Aber sie reicht aus zur Realisierung der programmierten Aufgaben.«

»Genauigkeit verlangt man auch von einem Harfner«, murrte Piemur. Meister Fandarels Streben nach Effektivität hatte er stets mit Humor genommen. Nun beschlichen ihn leise Zweifel, ob er für Akkis Pedanterie ebensoviel Toleranz würde aufbringen können.

»Ein Harfner – jemand, der eine Harfe spielt, ein Musikinstrument?«, fragte Akki.

»Das auch«, antwortete Piemur, und sein unberechenbarer Sinn für Humor regte sich wieder, als er erkannte, dass Akki keineswegs allwissend war, was das Pern der Gegenwart betraf. »In erster Linie ist es jedoch Aufgabe der Harfnerhalle, zu unterrichten, Kontakte herzustellen und notfalls bei Streitigkeiten zu vermitteln.«

»Sorgt sie nicht auch für Unterhaltung?«

»Gewiss – unter anderem, weil Unterhaltung eine gute Lehrmethode ist –, und viele von uns beschränken sich nur darauf, aber je besser die Ausbildung, desto vielfältiger die Aufgaben. Ich würde mir niemals anmaßen, Meister Robinton vorzugreifen und dir das alles zu erklären. Obwohl er genaugenommen gar nicht mehr der Meisterharfner von Pern ist. Das ist inzwischen Sebell, weil Meister Robinton fast an einem Herzanfall gestorben wäre und man ihn daraufhin bewogen hat, den aktiven Dienst in der Harfnerhalle zu quittieren. Was freilich nicht heißen soll, dass er sich wirklich zur Ruhe gesetzt hätte, auch wenn er jetzt auf dem Landsitz an der Meeresbucht lebt, weil nämlich inzwischen so viel geschehen ist. Erst hat Jaxom Landing entdeckt und dann die Luftschiffwiese und schließlich die Höhlen.« Piemur merkte, dass er ins Schwatzen geraten war, und hielt inne. Typisch für ihn, Akki mit seinem Wissen beeindrucken zu wollen, aber das war es nicht allein. Piemur spürte das dringende Bedürfnis, sich gegenüber dieser höheren Intelligenz hinter seinen persönlichen Wertvorstellungen zu verschanzen.

»Sebell, der jetzige Meisterharfner von ganz Pern, ist mit den Aufzeichnungen bereits hierher unterwegs«, fuhr er fort. »Zusammen mit Menolly. Die beiden mögen dir sehr jung vorkommen, aber sie sind in der Harfnerhalle die wichtigsten Leute. Du solltest freilich wissen, dass Meister Robinton der am meisten verehrte und geachtete Mann auf ganz Pern ist. Die Drachen haben ihn vor dem Tod bewahrt. So unentbehrlich ist er«, fügte er respektvoll hinzu.

»Dann war das Drachenexperiment erfolgreich?«, wollte Akki wissen.

»Experiment?«, fragte Piemur empört, dann lachte er verlegen. »Lass die Weyrführer lieber nicht hören, dass du ihre Drachen als ›Experimente‹ bezeichnest.«

»Vielen Dank für den Rat.«

Piemur musterte den Bildschirm misstrauisch. »War das nun ernst gemeint oder nicht?«

»Gewiss doch. Kultur und Gesellschaftssystem des heutigen Pern haben sich weit von den ersten Anfängen der Kolonie entfernt. Dieser Anlage obliegt es nun, sich mit den neuen Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen, um nicht unnötig Anstoß zu erregen. Die Drachen sind also über ihre ursprüngliche Rolle bei der Luftverteidigung des Planeten weit hinausgewachsen?«

»Sie sind die wichtigsten Geschöpfe auf dem ganzen Planeten. Ohne sie könnten wir nicht überleben.« Piemurs Stimme zitterte vor Stolz und Dankbarkeit.

»Ohne irgendjemanden beleidigen zu wollen, ist es inzwischen statthaft, auch abnorme Exemplare eines Geleges aufzuziehen?«

Piemur schnaubte verächtlich. »Du meinst Ruth? Er und Jaxom sind eine Ausnahme – von einer ganzen Reihe von Regeln. Zum einen ist er Burgherr und hätte als solcher niemals einem Drachen gegenübergestellt werden dürfen. Trotzdem hat er Ruth für sich gewonnen, und nur weil man glaubte, der Kleine würde ohnehin nicht lange leben, hat man Jaxom erlaubt, ihn aufzuziehen.«

»Das ist ein Widerspruch.«

»Ich weiß, aber Ruth ist eben ein Sonderfall. Er weiß immer, in welcher Zeit er sich befindet.«

Die nun folgende Pause trug viel dazu bei, Piemurs Minderwertigkeitsgefühle abzubauen. Er hatte das Akki aus dem Konzept gebracht.

»Diese Bemerkung ist nicht ganz verständlich.«

»Du weißt aber doch, dass die Drachen durch das Dazwischen ohne Zeitverlust von einem Ort zum anderen gelangen können?«

»Das war eine wesentliche Eigenschaft der Zwergdrachen, aus deren Erbgut die Drachen mit den Mitteln der Gentechnik ursprünglich geschaffen wurden. Ähnlich der Fähigkeit zur Teleportation, die bei gewissen Spezies auf mehreren anderen Planeten auftritt.«

»Nun, Drachen sind imstande, durch das Dazwischen auch von einer Zeit in eine andere zu gelangen. Lessa hat es exerziert, und Jaxom ebenfalls.« Piemur grinste, war er doch einer der wenigen, die genau wussten, wann und warum Jaxom diesen ganz bestimmten Zeitsprung unternommen hatte. »Aber die Fähigkeit ist überaus gefährlich, und es wird eindringlich davor gewarnt, sie einzusetzen. Nur ganz wenige Drachen verfügen über Ruths räumliches und zeitliches Orientierungsvermögen. Wenn also ein Drachenreiter ohne ausdrückliche Genehmigung seines Weyrführers einen Zeitsprung macht, gibt es ein Donnerwetter, das sich gewaschen hat – immer vorausgesetzt, er hat die Eskapade unbeschadet überstanden.«

»Wären Sie so freundlich, mir zu erklären, unter welchen Umständen Zeitsprünge zulässig sind?«

Piemur machte sich bereits Vorwürfe, weil er Jaxoms Ausflug überhaupt erwähnt hatte. Er hätte sich besser mit Lessas Abenteuer begnügt, das ohnehin in die neuere Geschichte eingegangen war. So stürzte er sich nun auf dieses weniger heikle Thema und erzählte Akki in allen Einzelheiten von Lessas heldenhaftem Ritt auf Ramoth und wie sie die fünf verschwundenen Weyr von Pern aus der Vergangenheit geholt hatte, um die Menschen der gegenwärtigen Phase vor dem Untergang zu bewahren. Piemur wollte nicht in Selbstlob verfallen, aber er war von seinem eigenen Vortrag durchaus angetan. Akki unterbrach ihn kein einziges Mal, doch der Harfner spürte, dass seinem ungewöhnlichen Zuhörer nichts entging – und dass er jedes Wort behalten würde.

»Ein sensationelles Wagnis, eine ausgesprochen mutige Tat, ein wahres Heldenepos, auch wenn sie sich und die Königin Ramoth dabei in höchste Gefahr brachte. Immerhin rechtfertigte der Erfolg das Risiko«, stellte Akki fest. Soviel Lob hätte Piemur gar nicht erwartet. Er grinste befriedigt, weil es ihm gelungen war, sein Gegenüber zu beeindrucken.

»Sie erwähnten, das Lange Intervall habe die Autorität der Weyr und ihre Stellung in der Gesellschaft geschwächt«, fuhr Akki fort. »Wissen Sie, wie viele dieser Zyklusschwankungen es gab?«

»Zyklusschwankungen?«

»Ja. Wie oft sind keine Fäden auf Pern gefallen, obwohl der von Ihnen so genannte Rote Stern vorüberzog?«

»Ach, du meinst, wie viele Lange Intervalle wir hatten? In unserer Geschichte sind zwei verzeichnet. Man hat uns zwar gelehrt, dass es große Abstände geben würde, aber wer darüber Bescheid wusste, kann ich dir nicht sagen. Deshalb waren ja auch bis zum ersten Sporenregen in dieser Phase so viele Menschen der festen Überzeugung, dass die Fäden niemals wiederkommen würden.«

Piemurs goldene Feuerechse schlief auf ihrem Lieblingsplatz auf Piemurs Schulter, den Schwanz lose um seinen Hals gewickelt. Nun schreckte sie auf und piepste warnend.

»Die Sensoren melden, der Klumpen auf Ihrer Schulter sei in Wirklichkeit ein Lebewesen, das sich an Sie klammert.«

»Ach, das ist nur Farli, meine Feuerechsenkönigin.«

»Die Tiere haben also den Kontakt zu den Menschen aufrechterhalten?«

»Ja und nein.« Piemur fürchtete, nicht mehr genug Zeit zu haben, um Akki über die neuere Geschichte der Feuerechsen zu informieren. »Farli hat mir eben mitgeteilt, dass Ruth und Jaxom mit den Aufzeichnungen und mit Sebell und Menolly zurückgekehrt sind.« Piemur stand auf und trank den letzten Schluck Klah aus seinem Becher. »Jetzt wirst du alles erfahren, was sich in dieser Phase ereignet hat. Gelangweilt haben wir uns zwar auch bisher nicht, aber du – du bist sozusagen die Krönung.«

Piemur hörte leise Stimmen im Korridor und machte sich auf den Weg zum Eingang, für den Fall, dass Esselins Wachen einen übertriebenen Diensteifer an den Tag legen sollten. Doch schon nach den ersten Schritten kamen ihm mit schweren Säcken auf den Schultern Jaxom, Sebell und Menolly entgegen. Menolly erreichte ihn als erste. Ihr dunkles Haar war vom Reithelm noch ganz zerdrückt.

»Wo ist Meister Robinton?«, fragte sie und sah sich um. In dem schmalen, feingeschnittenen Gesicht spiegelte sich die beständige Sorge um ihren Mentor.

»Da drin, Menolly.« Piemur zeigte auf den Raum. »Wir passen schon auf, dass ihm nichts passiert.«

Sie warf ihm den schweren Sack zu und schlüpfte durch die Tür, um sich selbst zu vergewissern. Piemur lächelte nachsichtig.

»Und dich hat man ganz allein bei Akki gelassen?«, flüsterte Jaxom. »Hast du ihm schon sämtliche Geheimnisse des Universums aus der Nase gezogen?«

Piemur schnaubte. »Es war eher so, dass ich seine Fragen beantwortet habe. Trotzdem war es interessant. Und ich habe ihm auch ein paar Ratschläge gegeben.« Grinsend tippte er sich mit dem Finger an die Nase. »Wie es sich für einen guten Harfner gehört.«

Sebell wirkte in dem düsteren Korridor noch brauner als sonst. Der hochgewachsene Meisterharfner schenkte Piemur sein berühmt träges Lächeln, das sein anziehendes, intelligentes Gesicht noch reizvoller machte.

»Laut Jaxom spinnt dein Akki ein Garn, um das es selbst die Besten von uns beneiden würden. Angeblich weiß es genau Bescheid darüber, wer wir einmal waren und was wir werden können.«

»Nun, ich fürchte, Akki könnte mehr Probleme schaffen als lösen«, sagte Piemur. »Aber wir haben eine aufregende Zeit vor uns, das garantiere ich dir.« Er half Jaxom, die Aufzeichnungen vorsichtig aus den Säcken zu ziehen. »Akki interessiert sich brennend für dich und auch für Ruth.«

»Was hast du ihm denn alles erzählt?«, fragte Jaxom mit seiner Burgherrenstimme, wie Piemur sie bei sich nannte.

»Ich? Nichts, was dir nicht recht wäre, mein Freund«, beruhigte Piemur ihn hastig. Gelegentlich reagierte Jaxom immer noch empfindlich, wenn andere Leute sich über Ruth unterhielten. »Ich war mehr damit beschäftigt, Lessas Ritt vorzutragen, und er – er hat gesagt, es sei ein wahres Heldenepos.« Er grinste von einem Ohr zum anderen.

Währenddessen hatte Sebell sich den Raum genau angesehen und auch die seltsame Wandverkleidung untersucht. Es war nicht seine Art, so hastig vorzupreschen wie der junge Geselle.

»Und dieses Akki hat seit unseren Anfangszeiten auf Pern überdauert?« Sebell pfiff anerkennend durch die Zähne. Er berührte eine der durchsichtigen Tafeln und sah sich um. »Wo bewahrt es seine Aufzeichnungen auf? Jaxom sagte, es habe auch ganz erstaunliche Bilder aus unserer Vergangenheit gezeigt.«

»Akki, warum antwortest du nicht selbst?«, fragte Piemur großspurig, er war schon gespannt, wie Sebell – oder auch Menolly, die in diesem Augenblick eintrat – mit der Maschine umgehen würden. »Akki?«, wiederholte er. »Das ist Sebell, der Meisterharfner von Pern, Meister Robintons Nachfolger, und Meisterin Menolly, Perns fähigste Komponistin.« Als von Akki immer noch keine Antwort kam, fuhr er zunehmend gereizt fort: »Sie haben dir die Aufzeichnungen gebracht.«

Akki blieb stumm.

»Vielleicht hat es die in den Solarzellen gespeicherte Energie aufgebraucht.« Piemur zwang sich zu einem unbekümmerten Tonfall, während er angestrengt überlegte, wie er Akki eine Reaktion entlocken könnte. Finster starrte er auf den toten Bildschirm mit dem grünen Blinklicht in der unteren Ecke. Das nichtsnutzige Ding war wach, also hörte es wohl auch zu. »Ich verstehe das nicht«, sagte er entrüstet zu den anderen. »Kurz bevor ihr gekommen seid, hat es mir noch fast die Ohren abgeschwatzt – oh, Splitter und Scherben!« Theatralisch schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Du und Menolly, ihr steht noch nicht auf seiner Liste.«

»Auf seiner Liste?« Jaxom zog verständnislos die Stirn in Falten.

»Ja, auf seiner Liste«, wiederholte Piemur und ließ sich mit einem verdrießlichen Seufzer auf den nächsten Hocker fallen. »Auf der Liste der Personen, mit denen er sprechen darf. Meister Robinton und die anderen haben beschlossen, nur einer begrenzten Anzahl von Leuten zu Akki Zugang zu gewähren.«

»Aber ich war doch hier«, rief Jaxom.

»Oh, dir wird er wahrscheinlich auch antworten, sobald Sebell und Menolly weg sind. Es wurde vereinbart, dass ein Weyrführer, ein Burgherr und ein Gildemeister anwesend sein müssen, um diese Liste der Privilegierten zu erweitern.«

»Nun, ich bin Burgherr«, begann Jaxom.

»Aber Piemur ist noch kein Meister, und ein Weyrführer ist erst recht nicht zugegen«, lachte Menolly. »Akki tut eben, was man ihm gesagt hat, was man von dir nicht immer behaupten kann, Piemur.«

»Mag ja sein, aber solange hier noch Ruhe und Frieden herrschen, hätte Akki die beste Gelegenheit, sich mit unserer Geschichte vertraut zu machen. Ehe Fandarel zurückkommt und ihn ganz mit Beschlag belegt.« Piemur seufzte und rieb sich das Gesicht. Die Aufregungen des Tages machten sich allmählich bemerkbar.

»Aber ich stehe doch auf der Liste, nicht wahr?«, fragte Jaxom nicht ohne eine gewisse Schärfe.

»Sicher – du, ich und Jancis, Meister Robinton, eben alle, die im Raum waren, als Akki erwachte.«

»Und solange du allein warst, hat er mit dir gesprochen«, überlegte Jaxom. »Vielleicht spricht er auch mit mir, wenn Sebell und Menolly hinausgehen – nicht böse sein, ihr beiden –, dann könnte ich ihm ja die Aufzeichnungen einspeisen.«

»So leicht sind wir nicht gekränkt«, beruhigte ihn Menolly und blickte zu Sebell auf, der zustimmend nickte. Sebells vernünftige Einstellung und sein ausgeglichenes Naturell waren nur zwei von vielen Eigenschaften, die sie an ihm liebte und achtete. »Es gibt noch genügend freie Pritschen, Piemur, und du siehst ohnehin aus, als wolltest du gleich im Stehen einschlafen. Leg du dich mit Sebell zu Meister Robinton, ich mach's mir bei Jancis bequem. Wenn dieses Akki – wie viele Umläufe sagtest du, Jaxom? Zweitausendfünfhundert« – sie schauderte ein wenig – »gewartet hat, dann können wir uns auch noch bis morgen gedulden.«

»Ich sollte nicht alles auf Jaxom abschieben ...«, sagte Piemur, aber die Vorstellung, sich eine Weile langzulegen, war doch unglaublich verlockend. Der letzte Becher Klah hatte nichts mehr gegen seine Erschöpfung auszurichten vermocht.

Menolly nahm ihn bei der Hand. »Ich decke dich sogar zu, genau wie meinen kleinen Robse.« Er schnaubte empört, aber sie grinste nur. »Du gibst genauso wenig auf dich acht wie Meister Robinton. Komm, jetzt wird geschlafen. Du auch, Sebell. Morgen – nein, hier ist es ja schon heute – nun, wahrscheinlich werden alle herumrennen wie aufgescheuchte Wherhühner. Dann ist es an uns, Ruhe und Gelassenheit an den Tag zu legen.«

Kaum hatten die anderen leise die Tür hinter sich geschlossen, als Jaxom sich an Akki wandte.

»Ich bin jetzt allein, Akki.«

»Das ist nicht zu übersehen.«

»Du hast dich vorhin nur an deine Anweisungen gehalten?«

»Wie es meine Pflicht ist.«

»Schön. Dann ist es jetzt meine Pflicht, dir unsere historischen Aufzeichnungen zu zeigen, weil Meister Robinton es nämlich so wollte.«

»Legen Sie die Aufzeichnungen bitte mit der Schrift nach unten auf das beleuchtete Feld.«

Jaxom wusste genau, dass Meister Arnor, der Archivar der Harfnerhalle, ihm den Kopf abreißen würde, wenn er auch nur eine einzige der kostbaren Seiten beschädigte, und so öffnete er mit gebührender Vorsicht den ersten Band, Gegenwärtige Phase, Erster Umlauf, und legte ihn mit der Schrift nach unten auf das grün leuchtende Feld.

»Weiter!«

»Was? Es lag doch noch kaum da.«

»Scannen geht sehr rasch, Baron Jaxom.«

»Das wird eine lange Nacht«, bemerkte Jaxom und schlug brav die nächste Seite auf.

»Geselle Piemur hat Ihren weißen Drachen als ganz besonderes Tier gerühmt«, begann Akki. »Ein Tier mit vielen ungewöhnlichen Eigenschaften.«

»Zum Ausgleich dafür, dass er klein, weiß und nicht daran interessiert ist, sich zu paaren.« Jaxom hätte gern gewusst, was Piemur über Ruth erzählt hatte, auch wenn er sicher sein konnte, dass der Geselle ihm und dem weißen Drachen treu ergeben war.

»Trifft die Aussage des Gesellen zu, Ruth wisse stets, wo in der Zeit er sich befinde, und er sei auch bereits durch die Zeit gereist?«

»Alle Drachen können durch die Zeit reisen, zumindest nach rückwärts«, antwortete Jaxom ein wenig zerstreut, denn er musste sich konzentrieren, um die Seiten rasch und zugleich behutsam umzublättern.

»Aber Zeitsprünge sind verboten?«

»Zeitsprünge sind gefährlich.«

»Inwiefern?«

Achselzuckend blätterte Jaxom weiter. »Ein Drache muss genau wissen, welchen Zeitpunkt er ansteuert, sonst taucht er am Ende genau da aus dem Dazwischen auf, wo er sich in dieser früheren Zeit gerade befindet. Wird es zu knapp, so bedeutet das angeblich den Tod für Drache und Reiter. Es ist auch nicht ratsam, sich einen Ort auszusuchen, an dem man noch nie gewesen ist, deshalb sollte man nicht vorwärts springen, denn man wüsste ja nicht, wo man sich dort gerade aufhält.« Jaxom hielt inne und drückte einige Seiten auseinander, die besonders stramm gebunden waren. »Lessas Flug war eine ausgesprochene Sensation.«

»Geselle Piemur hat mir davon erzählt. Eine tapfere Tat, aber offenbar nicht ohne schmerzliche Folgen. Das Verfahren der Teleportation konnte niemals bis ins letzte ergründet werden, aber wenn man dem Bericht des Gesellen glauben darf, ist bei übermäßig weiten Reisen dieser Art mit sensorischer Deprivation zu rechnen. Sie haben mit Ihrem weißen Drachen ebenfalls einen Zeitsprung gemacht?«

»So nennt man das wohl«, sagte Jaxom gleichgültig, in der Hoffnung, damit weitere Fragen abzuwehren. Freilich war Akki kein Mensch, fiel ihm plötzlich ein, und deshalb vielleicht gar nicht in der Lage, seinem Tonfall oder seinen Worten zu entnehmen, wie unangenehm ihm das Thema war. »Die Episode ist nicht allgemein bekannt.«

»Verstanden«, antwortete die Stimme zu Jaxoms Überraschung. »Hätten Sie, Baron Jaxom, etwas gegen ein Gespräch über die Aufgaben der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einzuwenden, die bisher in den Aufzeichnungen erwähnt wurden? Wie sehen zum Beispiel die Rechte und Pflichten eines Burgherrn aus? Oder eines Weyrführers? Eines Gildemeisters? Einige Begriffe sind für die Schreiber so selbstverständlich, dass sie nicht definiert werden. Dabei ist die genaue Kenntnis solcher Termini unerlässlich für die Erfassung der politischen und gesellschaftlichen Strukturen der Gegenwart.«

Jaxom lachte in sich hinein. »Danach solltest du besser einen Burgherrn fragen, der mehr Erfahrung hat: Groghe zum Beispiel, oder auch Larad oder Asgenar.«

»Sie sind hier, Baron Jaxom.«

»Ja, das ist nicht zu leugnen!« Die Schlagfertigkeit des Akki amüsierte Jaxom. Außerdem langweilte man sich beim Umblättern der Seiten gewiss weniger, wenn man sich dabei unterhalten konnte, und so kam er dem Wunsch der Stimme nach – um festzustellen, dass es ihm gar nicht schwerfiel, die ganze lange Nacht hindurch mit Akki zu reden. Wie geschickt er dabei ausgehorcht worden war, sollte er erst später erkennen. Wie wichtig seine Erklärungen noch werden sollten, ahnte er nicht einmal.

Jaxom hatte sich durch fünf Umläufe der gegenwärtigen Phase geackert, als seine Schultern zu schmerzen begannen. Er brauchte eine Pause. Als er daher hörte, wie sich etwas regte, rief er leise:

»Ist jemand wach?«

»Jancis. Du bist zurück – Oh!« Grinsend trat sie ein. »Soll ich dich ablösen? Du bist ja völlig erschöpft. Warum haben das nicht Sebell und Menolly übernommen?«

»Weil Akki kein Wort mit ihnen reden will, solange sie ihm nicht in aller Form vorgestellt wurden. Von einem Burgherrn, einem Gildemeister und einem Weyrführer.«

Jancis verzog kläglich das Gesicht. »Manchmal stellt man sich wirklich selbst ein Bein. Und nun lass mich weitermachen, Jaxom. Hol du dir einen Becher Klah. Er müsste noch schön heiß sein.« Damit nahm sie ihm den Band aus den Händen und drückte die Seiten auf das Feld. »Meister Robinton und die anderen Anwesenden haben durchaus zu Recht beschlossen, den Zugang zu Akki zu begrenzen.«

»Hmmm, ja, wer weiß, was die Leute alles fragen würden«, stimmte Jaxom zu. Schließlich hatte er selbst geredet wie ein Wasserfall, auch wenn die Fragen Akki gestellt hatte.

Als er seinen Klah getrunken hatte – er hatte ihn munter gemacht, obwohl er nicht so heiß gewesen war, wie er es gern hatte –, war Jancis mit ihrem Band fertig und fing mit dem nächsten an.

Wie schnell, überlegte Jaxom, konnte er wohl Sharra, seine Gefährtin, auf die Liste bekommen? Sie war so aufgeregt gewesen, als er ihr erzählte, dass Akki nach eigenen Aussagen auch über medizinisches Wissen verfüge. Sharra betreute zwei Kleinpächter, die unter starken, mit Fellis nicht zu betäubenden Schmerzen litten und langsam dahinsiechten. Auch Meister Oldive, den sie um Rat gefragt hatte, wusste keine Erklärung für diesen körperlichen Verfall. Doch dann sagte sich Jaxom, dass Oldive als Meisterheiler sicher Vorrang haben würde. Der junge Baron pochte nur selten auf seine Vorrechte, aber in einem Fall, wo es um Leben und Tod ging, könnte man doch eine Ausnahme machen?

»Das wäre vorerst alles, Gesellin Jancis«, sagte Akki mit gedämpfter Stimme. »Die Energievorräte sind fast erschöpft. Zur Wiederherstellung der Stromzufuhr ist eine Stunde volles Sonnenlicht erforderlich. Wenn es möglich wäre, auch die übrigen Zellen freizulegen, dann stünde in Zukunft mehr Energie zur Verfügung.«

»Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte Jancis verwirrt.

»Nein.« Jaxom lachte leise. »Es bekommt seine Energie von den Tafeln, die du und Piemur auf dem Dach gefunden haben. Sonnenenergie. Und die Sonne scheint schon seit Stunden nicht mehr.« Er gähnte herzhaft. »Es ist spät. Wir sollten beide schlafen gehen.«

Jancis überlegte, dann griff sie nach der fast leeren Klah-Kanne. »Nein, ich bin jetzt wach. Ich koche uns frischen Klah. Wenn erst die Besucher anrücken, können wir nicht genug davon haben.« Damit eilte sie davon.