Drachenauge - Anne McCaffrey - E-Book

Drachenauge E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Der zweite Sporenregen

Die ersten Siedler auf dem Planeten Pern glaubten, ein Paradies gefunden zu haben. Doch sie erlebten eine böse Überraschung, als der Rote Begleiter der Sonne Perns, ein vagabundierender Stern, sich ihrer neuen Heimat näherte. Ein gefräßiger fadenförmiger Organismus fiel über die Kolonie her, verbrannte Menschen und Tiere und verheerte die Felder. Als zweihundertfünfzig Jahre später die nächste periodische Annäherung erfolgt, rüsten die Siedler und Drachenreiter sich, um der Gefahr entgegenzutreten. Doch manche Grundbesitzer nehmen die Drohung nicht ernst, halten die Berichte der Vorfahren für maßlos übertrieben und weigern sich, Geld für Schutzmaßnahmen auszugeben. Mit schrecklichen Folgen, denn das Unheil nähert sich mit astronomischer Präzision …

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DRACHENAUGE

Die Drachenreiter von Pern

Band 14

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Die ersten Siedler auf dem Planeten Pern glaubten, ein Paradies gefunden zu haben. Doch sie erlebten eine böse Überraschung, als der Rote Begleiter der Sonne Perns, ein vagabundierender Stern, sich ihrer neuen Heimat näherte. Ein gefräßiger fadenförmiger Organismus fiel über die Kolonie her, verbrannte Menschen und Tiere und verheerte die Felder. Als zweihundertfünfzig Jahre später die nächste periodische Annäherung erfolgt, rüsten die Siedler und Drachenreiter sich, um der Gefahr entgegenzutreten. Doch manche Grundbesitzer nehmen die Drohung nicht ernst, halten die Berichte der Vorfahren für maßlos übertrieben und weigern sich, Geld für Schutzmaßnahmen auszugeben. Mit schrecklichen Folgen, denn das Unheil nähert sich mit astronomischer Präzision …

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der amerikanischen  Originalausgabe

 

DRAGONSEYE

 

Titel der englischen Originalausgabe

 

RED STAR RISING

 

Aus dem Amerikanischen von Ingrid Herrmann-Nytko

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1997 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20885-1V002

 

 

 

Dieses Buch widme ich mit allem Respekt

Dieter Clissman,

der sich um meine Computer kümmert

und stets zur Stelle ist, wenn ich seine Hilfe brauche.

 

 

 

Der Finger weist auf ein Auge rot,

die Fäden fallen,

in Pern herrscht Not.

Aus: Die Welt der Drachen

INHALT

 

 

Prolog

1. Frühherbst in Fort

2. Versammlung in Fort

3. Spätherbst im Telgar-Weyr

4. Der Telgar-Weyr und das Kollegium

5. Die Weyrling-Kasernen und Burg Bitra

6. Telgar-Weyr; Burg Fort

7. Burg Fort

8. Telgar-Weyr

9. Winteranfang; Burg Fort und die Grenzen von Bitra

10. Das Hochland, Boll, der Ista-Weyr, der Hochland-Weyr; Burg Fort und Burg Telgar

11. Die Gerichtsverhandlungen in den Weyrn von Telgar und Benden

12. Burg Hochland und Burg Fort

13. Burg Bitra und der Telgar-Weyr

14. Das Ende des Planetenumlaufs in Burg Fort und im Telgar-Weyr

15. Das Jahr 258 Nach der Landung; Kollegium, Burg Benden, Telgar-Weyr

16. Cathay, Telgar-Weyr, Burg Bitra, Telgar

17. Der Fädenfall

 

Prolog

 

Rubkat im Sagittarius-Sektor war eine goldene Sonne vom G-Typ. Sie besaß fünf Planeten, zwei Asteroiden-Gürtel und einen Wanderstern, den sie angezogen und während der letzten Jahrtausende festgehalten hatte. Als sich Menschen auf Rubkats dritter Welt niederließen und sie Pern nannten, schenkten sie dem Wanderer, der in einer stark elliptischen Bahn um seine Adoptivsonne zog, wenig Beachtung – bis sich der Rote Stern im Perihel seiner Stiefschwester näherte.

Waren nämlich die Umstände günstig und schoben sich keine anderen Planeten des Systems dazwischen, dann versuchte eine bestimmte Lebensform des Wanderplaneten ihrer unwirtlichen Heimat zu entfliehen und den Raum nach Pern mit seinem gemäßigten, angenehmen Klima zu überbrücken.

Anfangs erlitten die Kolonisten durch den Einfall der gefräßigen mykorrhizoiden Organismen verheerende Verluste. Die Menschen waren von ihrem Heimatplaneten, der Erde, abgeschnitten, und die Kolonistenschiffe, die Yokohama, die Bahrain und die Buenos Aires hatten sie bereits ausgeschlachtet und außer Dienst gestellt; deshalb mussten sie sich mit den Mitteln zur Wehr setzen, die ihnen zur Verfügung standen. Als erstes brauchten sie eine Luftverteidigung, um sich vor den ›Fäden‹ zu schützen, wie sie die Bedrohung aus dem Weltall tauften.

Mittels einer komplizierten Gentechnik entwickelten sie aus einer pernesischen Lebensform eine spezielle Variante, die über zwei ungewöhnliche und nützliche Eigenschaften verfügte: Die sogenannten Feuerechsen konnten in einem ihrer zwei Mägen phosphinhaltiges Gestein verdauen und das so entstehende Gas ausrülpsen; dieser flammende Atem versengte die Fäden zu einem harmlosen, verkohlten Rückstand. Außerdem waren sie der Teleportation mächtig und konnten in begrenztem Umfang mit Menschen in telepathischen Kontakt treten. Die biogenetisch optimierten ›Drachen‹ – man nannte sie so, weil sie Geschöpfen aus der irdischen Mythologie glichen – gingen gleich nach dem Schlüpfen aus dem Ei mit einem empathisch begabten Menschen eine Bindung ein, woraus eine ungewöhnlich enge und auf gegenseitigem Respekt beruhende Symbiose erwuchs.

Um sich vor den heimtückischen und aggressiven Fäden zu schützen, zogen sich die Kolonisten auf den Nördlichen Kontinent zurück, wo sie sich in ausgedehnten Höhlensystemen häuslich einrichteten. Diese Felsenlabyrinthe bezeichneten sie als Burgen oder Festungen. Auch die Drachen und ihre Reiter wanderten nach Norden aus und ließen sich in den Kratern erloschener Vulkane nieder, den sogenannten Weyrn.

Der Erste Vorbeizug der Fäden dauerte beinahe fünfzig Jahre, und die von den Kolonisten gesammelten wissenschaftlichen Daten deuteten darauf hin, dass es sich bei den Fädenschauern um ein zyklisches Problem handelte, das ungefähr alle 250 Jahre auftrat, immer dann, wenn sich der Wanderstern auf seinem erratischen Orbit Pern näherte.

Während dieser Zeitspanne vermehrten sich die Drachen, und jede Generation übertraf an Körpergröße die vorhergehenden, obwohl das Optimum erst nach vielen, vielen Geschlechterfolgen erreicht war. Derweil breiteten sich die Menschen über den gesamten Nordkontinent aus, schufen Wohnburgen und Werkstätten, in denen junge Leute Berufe und Fertigkeiten erlernten. Zuweilen vergaß man gar, dass man auf einem höchst gefährdeten Planeten lebte.

Doch sowohl in den Burgen wie in den Weyrn gab es massenhaft Berichte, Tagebücher, Landkarten und Aufzeichnungen, die die Lords und Weyrführer ständig an das Problem erinnern sollten. Es mangelte nicht an Ratschlägen und Anweisungen, um den Nachfahren der ersten Kolonisten beizubringen, wie man sich zu schützen und zu verteidigen hätte, wenn der Wanderplanet aufs Neue Pern mit seinen todbringenden Fädenschauern heimsuchte.

Die folgende Geschichte spielt 257 Jahre nach dem Ersten Fädenfall.

KAPITEL 1

 

Frühherbst in Fort

 

Drachengeschwader verwoben sich ineinander, zogen gleich flatternden Schleppen über den Himmel; die Einheiten stießen im Sturzflug hinab, um gleich darauf wieder Höhe zu gewinnen. Nur ein minimaler Sicherheitsabstand trennte die einzelnen Geschwader voneinander, sodass die Beobachter mitunter glaubten, durchgehende Linien von Drachen zu sehen, die im Formationsflug wahrhaft akrobatische Kunststücke vollführten.

An diesem frühherbstlichen Tag spannte sich ein wolkenloser, klarer Himmel über Burg Fort, der ältesten menschlichen Siedlung auf dem Nördlichen Kontinent. Die Vorfahren der Kolonisten, die aus Neuengland stammten, einem Gebiet Nordamerikas auf dem Planeten Erde, hätten dieses unglaublich strahlende, intensiv blaue Firmament sofort wiedererkannt.

Die Haut der gesunden, kraftstrotzenden Drachen glänzte in der Sonne; besonders auffallend schimmerten die goldenen Drachenköniginnen, die so niedrig flogen, dass es zuweilen schien, als berührten sie die Gipfel der Berge, während sie majestätisch Burg Fort umkreisten. Es war ein beeindruckendes Schauspiel und erfüllte die Zuschauer mit einer Aufwallung von Stolz; bis auf ein, zwei Ausnahmen.

»Nun, das war's dann wohl«, meinte Chalkin, der Burgherr von Bitra. Er wandte als erster den Blick ab, obwohl die Luftparade noch in vollem Gange war.

Er reckte und drehte den Hals und kratzte sich die Stellen, an denen die kunstvoll bestickte Borte seines besten Rocks auf der Haut scheuerte. Tatsächlich hatte auch er einige der waghalsigen Manöver mit angehaltenem Atem verfolgt, doch nie und nimmer hätte er das laut zugegeben. Die Drachenreiter waren ohnehin schon ein sehr von sich eingenommenes Völkchen, und man brauchte sie nicht noch zusätzlich mit Lob zu überschütten, damit sie ihre Wichtigtuerei womöglich auf die Spitze trieben.

Unentwegt tauchten sie in seiner Burg auf und überreichten ihm Listen, in denen stand, was er bis dato versäumt hätte und unbedingt vor Einsetzen des Fädenfalls erledigen müsste. Chalkin blies angewidert den Atem aus. Wie viele Leute ließen sich eigentlich von diesem Blödsinn den Verstand zukleistern? Gewiss, im letzten Jahr hatten ungewöhnlich schwere Unwetter getobt, doch das war im Grunde nichts Besonderes; wieso schloss man daraus, dass ein Vorbeizug der Fäden bevorstand? In jedem Winter fegten raue Stürme über das Land hinweg.

Und dann dieses Theater um die ausbrechenden Vulkane. Feuerspeiende Berge wurden periodisch aktiv, es war ein ganz natürliches Phänomen, wenn er sich recht erinnerte. Jedenfalls hatte man ihm das im naturwissenschaftlichen Unterricht beigebracht. Was, bitte schön, war dann dabei, wenn drei oder vier Vulkane derzeit aus ihrem Schlummer erwachten? Das ließ sich nicht zwingend mit der Annäherung eines benachbarten Himmelskörpers in Verbindung bringen!

Auf gar keinen Fall hatte er vor, Wachen abzustellen, die sich in Eiseskälte Erfrierungen zuzogen, indem sie ostwärts spähten und nach diesem vermaledeiten Planeten Ausschau hielten. Sollte dieser Wanderplanet sich ruhig Pern nähern. Es bedeutete keineswegs, dass eine gefährliche Situation entstand, egal, was die ersten Kolonisten über irgend welche zyklisch auftretenden Attacken aus dem Weltraum geunkt hatten.

Diese Drachen waren auch nichts weiter als noch solch ein abartiges Experiment der frühen Siedler, die eine flugfähige Spezies gentechnisch manipuliert hatten, damit diese Tiere die einstmals zur Verfügung stehenden Fluggeräte ersetzten. Er hatte den Luftschlitten gesehen, der in der Gießerei von Telgar ausgestellt war. In diesem Vehikel ließe es sich viel bequemer fliegen als auf dem Rücken eines Drachen, wobei man zusätzlich die Schwärze und Kälte der Teleportation erdulden musste. Er schüttelte sich. Ihm schauderte vor diesem alles durchdringenden Frost, selbst wenn sich dadurch eine strapaziöse Reise über Land vermeiden ließ.

In den zahlreichen Dokumenten, von denen das Kollegium unentwegt Abschriften anfertigen ließ, musste es doch Hinweise auf irgend welche Materialien geben, die die wie auch immer gearteten Energiequellen ersetzten, mit denen ihre Vorfahren die Fluggeräte betrieben hatten. Wieso hatte nicht irgend ein schlauer Kopf die Lösung des Problems gefunden, ehe der letzte Luftschlitten völlig den Geist aufgab? Warum entwickelten all diese Klugschwätzer nicht einen neuen Typ von Flugzeug? Ein Gerät, das kein Dankeschön erwartete, wenn es seine Pflicht erfüllte.

Er schaute hinunter auf die breite, von Tischen und Buden gesäumte Straße. Sein Stand war verwaist. Selbst seine professionellen Glücksspieler sahen sich die Luftparade an. Er nahm sich vor, später ein Wörtchen mit ihnen zu reden. Trotz der Vorstellung der Drachenreiter hätten sie es fertigbringen müssen, ein paar Kunden in diverse Glücksspiele zu verwickeln. Mittlerweile hatte wohl ein jeder genug von der Vorführung gesehen. Allerdings waren die Wettrennen gut gelaufen, und die Einnahmen durch seine Buchmacher würden ihm einen fetten Batzen an Profit sichern.

Als er an seinen Platz zurück schlenderte, sah er, dass auf jedem Tisch Weinkühler standen. Voller Vorfreude rieb er seine beringten Finger aneinander, sodass die schwarzen Ista-Diamanten funkelten, während sich das Sonnenlicht in ihnen fing. Hauptsächlich war er des Weines wegen zu dieser Versammlung gekommen, und halb und halb hatte er einkalkuliert, dass Hegmon hier wieder seine intriganten Neigungen ausspielte. Ein perlender Wein, wie der berühmte Champagner von der alten Erde, sollte heute zum ersten Mal ausgeschenkt werden. Das Essen würde natürlich vom Feinsten sein, selbst wenn der Wein die hohen Erwartungen nicht erfüllte, die man in ihn setzte.

Paulin, der Gebieter über Burg Fort, hatte einen der berühmtesten Küchenchefs des gesamten Kontinents angeheuert, und die Abendmahlzeit versprach ein Fest für Schlemmer zu werden – falls er kein Sodbrennen bekam, wenn er hinterher das obligatorische gesellige Beisammensein über sich ergehen lassen musste. Chalkin hatte sich bemüht, den Küchenchef in seine Dienste zu stellen, doch Chrislee verschmähte sein Angebot, und diese Abfuhr wurmte Chalkin noch immer.

In Gedanken probte der Burgherr von Bitra verschiedene Ausflüchte, um sich gleich nach dem Dinner verdrücken zu können; die Ausrede musste so einleuchtend klingen, dass man sie allgemein akzeptierte. So kurz vor dem angeblichen Fädenfall sollte er sich besser hüten, bestimmte Leute zu verprellen. Und wenn er sich vor dem Festmahl verabschiedete ... doch dann verpasste er die Chance, von diesem champagnerartigen Wein zu kosten, und diese Gelegenheit zum Schnorren wollte er um jeden Preis ausnutzen. Er hatte sich die Mühe gemacht, sich nach Benden zu Hegmons Weinkellerei zu begeben, in der erklärten Absicht, ein paar Kisten dieses edlen Tropfens zu erstehen, doch Hegmon hatte sich geweigert, ihn zu empfangen.

Oho, sein ältester Sohn, war nicht um wortreiche Entschuldigungen verlegen gewesen – irgend eine kritische Phase im Reifungsprozess erfordere Hegmons Anwesenheit in den Kellergewölben – doch letzten Endes durfte Chalkin nicht mal seinen Namen auf die Kundenliste setzen, um sich als Käufer dieses perlenden Getränks vormerken zu lassen.

Da der Benden-Weyr vermutlich den Löwenanteil dieses Weins erhalten würde, war es ratsam, sich mit den Weyrführern auf guten Fuß zu stellen, damit man ihn zur Feier anlässlich des in wenigen Wochen stattfindenden Schlüpfens einlud. Dann konnte er sich nach Herzenslust an deren Weinvorräten gütlich tun. Hah, es gab mehr als einen Weg, sich schadlos zu halten!

Er hielt inne und befingerte eine Weinflasche, die in einem Eiskübel ruhte. Beinahe die perfekte Temperatur. Die Drachenreiter mussten für Paulin das Eis aus dem Hochland herbeigeschafft haben. Wenn er selbst hingegen die Hilfe der Reiter brauchte, fand sich nie jemand bereit, dem Burgherrn von Bitra auch nur den einfachsten Dienst zu erweisen. Hmpf! Aber sicher, gewisse Blutslinien genossen immer noch alte Privilegien. Rang und Status bedeuteten längst nicht so viel wie ein Stammbaum, das stand eindeutig fest.

Verstohlen entzifferte er das Etikett auf einer Flasche, als die Zuschauer unvermittelt wie im Chor erschrocken den Atem einsogen, um dann in frenetischen Jubel auszubrechen. Hochblickend bemerkte er, dass ihm soeben irgend ein riskantes Flugmanöver entgangen war ... Ah ja, richtig, man hatte wieder einmal eine Rettung mitten in der Luft geprobt.

Ein Bronzedrache schwenkte unter einem blauen Drachen hervor, der eine verletzte Schwinge vortäuschte. Nun saßen beide Reiter sicher zwischen den Nackenwülsten des Bronzedrachen. Vermutlich war einer der beiden der Weyrführer von Telgar, dem man einen Hang zur Tollkühnheit nachsagte.

Die Hochrufe wurden von Applaus begleitet, in den ein Trommelwirbel einstimmte. Das Getrommel stammte von der Kapelle auf dem Podium, das man auf dem weitläufigen Burghof errichtet hatte. Der Vorplatz der Felsenfestung reichte von der Eingangstreppe bis hin zu den beiden im rechten Winkel angelegten Anbauten. Dem aufgestellten Gerüst nach zu urteilen, wurden das Krankenhaus und das Lehrerkollegium schon wieder vergrößert.

Angewidert schnaubte Chalkin durch die Nase; die Bauten schienen nach außen hin erweitert zu werden, wo es keinen Schutz vor den Fäden gab, die doch angeblich bald vom Himmel regnen sollten. Das hielt er für inkonsequent. Gewiss, neue Höhlungen in das Felsenkliff zu schlagen, dauerte länger, als einfach einen bereits bestehenden Bau zu erweitern. Leider predigten zu viele Leute irgendetwas, das sie selbst nicht zu befolgen gedachten.

Chalkin stieß ein Grunzen aus und fragte sich säuerlich, ob die Architekten vom Weyrführer die Baugenehmigung eingeholt hatten. Fäden! Abermals stieß er den Atem aus und wünschte sich, Paulin, der angeregt mit den Burgherren von Benden plauderte, während er und seine Gemahlin sie an den Tisch für Ehrengäste geleiteten, möge sich beeilen. Er lechzte danach, den prickelnden Weißwein zu probieren.

Ungeduldig mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte trommelnd, wartete er auf die Ankunft seines Gastgebers und das Entkorken der verlockenden Flaschen.

 

K'vin, der Reiter des Bronzedrachen Charanth, brachte seine Lippen dicht an das Ohr des jungen blauen Reiters, der vor ihm saß.

»Das nächste Mal wartest du mein Zeichen ab!«, rügte er ihn.

P'tero grinste nur und schielte verschmitzt nach hinten; in seinen strahlend blauen Augen blitzte der Schalk.

»Ich wusste doch, dass du mich auffangen würdest!«, rief er zurück. »Um mich hängen zu lassen und Weyrgeheimnisse zu verraten, gibt es da drunten zu viele Zuschauer.« Dann winkte P'tero Ormonth aufmunternd zu, der nun Seite an Seite mit Charanth flog, sodass ihre Schwingenspitzen sich beinahe berührten. Von unten konnte man es nicht sehen, doch ein Sicherheitsgeschirr verband den blauen Reiter immer noch mit seinem Drachen. P'tero öffnete die Schließen, und die Gurte baumelten frei herunter.

»Du hattest Glück, dass ich gerade hochschaute!«, schnauzte K'vin ihn so ruppig an, dass der unbekümmerte junge Bursche bis in die Ohrläppchen errötete. »Merkst du denn nicht, wie sehr du Ormonth erschreckt hast?« Er deutete auf den blauen Drachen, dessen Haut vor Angst stumpfe Flecken aufwies.

P'tero brüllte eine Erwiderung, die K'vin nicht verstand; also beugte er sich nach vorn und hielt seine rechte Ohrmuschel näher an den Mund des blauen Reiters.

»Ich war nicht in Gefahr!«, wiederholte P'tero. »Dieses Geschirr ist brandneu, und Ormonth hat zugesehen, wie ich die Gurte flocht.«

»Hah!« Jeder Reiter wusste, dass Drachen nicht immer Ursache und Wirkung in Zusammenhang brachten. Es war höchst unwahrscheinlich, dass Ormonth aus der Tatsache, dass sein Reiter ein neues Geschirr trug, auf dessen unbedingte Sicherheit schloss.

»Danke sehr«, fügte P'tero hinzu, als er spürte, wie K'vin ihre beiden Koppel ineinander verhakte. Es stand zwar nur noch die Landung bevor, aber K'vin wollte P'tero ostentativ eine Lektion in puncto Vorsicht erteilen.

Mut wusste K'vin zu schätzen, doch für Leichtsinn hatte er absolut kein Verständnis, vor allen Dingen dann nicht, wenn dadurch ein Drache kurz vor einem Fädenfall in Gefahr geriet. Sorgfalt und Umsicht hatten es verhindert, dass sein Weyr jemals ein Tier verlor, und er beabsichtigte, diesen Rekord zu halten.

Von seinem blauen Drachen abzuspringen, noch ehe K'vin das vereinbarte Signal gab, stellte ein völlig unnötiges Risiko dar. Zum Glück hatte K'vin P'teros Fall gesehen. Das Herz war ihm beinahe stehen geblieben, obwohl er wusste, dass P'tero ein besonders strapazierfähiges Sicherheitsgeschirr trug. Selbst wenn er und Charanth ihn nicht in der Luft abgefangen hätten, wäre sein Sturz durch die langen, elastischen Riemen gebremst worden.

Das Manöver war halsbrecherisch gewesen, und nicht sehr gut ausgeführt. Und hätte Charanth nicht so schnell reagiert, hätte sich P'tero leicht gebrochene Knöchel oder schwere Prellungen zuziehen können. Selbst der robusteste Sicherheitsgurt konnte letzten Endes Blessuren nicht gänzlich verhindern.

P'tero hingegen zeigte immer noch keine Reue. K'vin hoffte nur, dass sein tolldreister Stunt den Effekt haben würde, auf den der bis über beide Ohren verliebte P'tero nämlich abzielte. Sein Gefährte befand sich drunten bei den Zuschauern, mit wild pumperndem Herzen, und ohne Zweifel würde P'tero die Früchte seiner waghalsigen Vorführung irgendwann in dieser Nacht ernten.

K'vin bedauerte es, dass es nicht genügend Mädchen gab, die sich bereit erklärten, von einem grünen Drachen auserwählt zu werden. Mädchen waren im Allgemeinen beständiger, zuverlässiger. Doch da viele Eltern in erster Linie darauf erpicht waren, für ihre verheirateten Kinder Grund und Boden zu ergattern – und kein Drachenreiter, ob männlich oder weiblich, durfte Land besitzen –, wurden immer weniger Mädchen dazu ermutigt, sich bei dem Schlüpfvorgang an der Brutstätte aufzustellen.

Die Drachen, die an der Luftparade teilgenommen hatten, setzten nun ihre Reiter auf der breiten Straße hinter dem Burghof ab. Dann schwangen sie sich wieder in die Lüfte, um sich ein Plätzchen zu suchen, wo sie die letzten wärmenden Strahlen der Herbstsonne genießen konnten. Etliche flogen zu den angrenzenden Klippen, da die Spitzen von Burg Fort zu beiden Seiten der Sonnenpaneele bereits von Drachen besetzt waren. Zum Glück konnte man sich darauf verlassen, dass die Drachen die letzten noch funktionierenden kostbaren Installationen zur Energiegewinnung nicht zertrampelten.

Die Sonnenpaneele der Festung Fort waren natürlich die ältesten, und im vergangenen Winter waren zwei Anlagen während der ungemein heftigen Stürme zerstört worden. Als größte und älteste Wohnburg auf dem Nördlichen Kontinent war Fort darauf angewiesen, dass sämtliche Apparaturen ständig einwandfrei arbeiteten, um das Labyrinth aus Gängen und Höhlen mit Wärme zu versorgen, sowie die Generatoren zu speisen, die die Luftzirkulation aufrecht erhielten und die restlichen noch intakten Maschinen betrieben. Erfreulicherweise hatten die Vorfahren der derzeitigen Bewohner Perns während der ersten großen Bauphase, in der man neue Felsensiedlungen und Weyr gründete, massenhaft Paneele auf Vorrat produziert. Noch viele Generationen konnten von diesem Depot zehren.

Die Weyrführer begaben sich an ihre Tische, die ein wenig erhöht standen, auf gleicher Ebene wie die Hohen Tafeln der Burgherren und anderen Würdenträger; die Reiter mischten sich einfach unter das gemeine Volk und nahmen Platz, wo immer es ihnen gerade beliebte.

Wohlwollend bemerkte K'vin, dass auf dem geräumigen Burghof nicht ein einziges Unkraut wuchs. S'nan, der Weyrführer von Fort, galt wohl zu Recht als ordnungsliebend und pedantisch.

Die Musiker stimmten eine mitreißende Melodie an, und die aus Holzplanken bestehende Tanzfläche füllte sich mit Paaren. Dahinter befand sich ein buntes Sammelsurium aus Buden, Zelten und Tischen, wo alle möglichen Waren verkauft oder getauscht wurden. Den ganzen Tag über war emsig gefeilscht und gehökert worden; besonders gut gingen Artikel, die man für den nahen Winter benötigte, wenn größere Zusammenkünfte ohnehin sehr selten stattfanden. Die Händler und Handwerker konnten mit dem Geschäft zufrieden sein, und die Drachen mussten nur wenige Ladenhüter zurücktransportieren.

Charanth kreiste nun über den Anbauten, die Perns wichtigstes medizinisches Forschungsinstitut sowie die Ausbildungsstätte für Lehrer erweitern sollten. Die großen Schlafsäle waren für die vielen freiwilligen Helfer gedacht, die eifrig dabei waren, Dokumente zu restaurieren, die im vergangenen Frühling durch einen Wassereinbruch in den Archiven beschädigt worden waren.

Alle bedeutsamen Berichte und Aufzeichnungen lagerten in riesigen Höhlen unter der Festung. Auch Drachenreiter hatten ihre Freizeit geopfert, wann immer es ihr Trainingsplan zuließ, um sich an dem enormen Unterfangen zu beteiligen. Jeder, der eine leserliche Handschrift hatte, wurde als Gehilfe begrüßt, und Lord Paulin hatte keine Mühe gescheut, als es darum ging, die Kopisten behaglich unterzubringen. Andere Burgen hatten sich mit Material und Arbeitskräften beteiligt.

Die Außengebäude des Kollegiums waren so konstruiert, dass die Fäden keinen Schaden anrichten konnten. Die hohen, spitzgiebeligen Dächer bestanden aus Telgar-Schiefer, und Dachtraufen sowie Abwasserrinnen führten in tiefe unterirdische Zisternen, in denen die dort hineingespülten Organismen ertranken. Sämtliche Baumeister, die an dem Projekt mitwirkten, hätten lieber das bereits bestehende Höhlensystem erweitert, doch zwei Kavernen waren bereits eingestürzt, und die Bergwerksingenieure hatten dringend vor weiteren Aushöhlungen gewarnt, da das Risiko bestand, dass das gesamte Felsmassiv instabil wurde.

Selbst die mutierten, flugunfähigen, lichtempfindlichen Wachwhere weigerten sich, bestimmte Höhlengänge zu inspizieren, woraus ihre Führer schlossen, sie witterten Gefahren, die das menschliche Auge nicht wahrnahm. Also baute man draußen massive Mauern, die am Fuß drei Meter dick waren und sich unter dem Dach bis auf weniger als zwei Meter verjüngten. Die vollschichtig arbeitenden Eisenhütten in Telgar sorgten dafür, dass der erforderliche Vorrat an entsprechend starken Trägern, die das Gewicht stützen konnten, nie ausging.

Noch in diesem Monat sollten die neuen Quartiere bezugsfertig sein. Selbst an einem Tag wie diesem malochte ein Trupp Arbeiter, obschon die Männer sich eine Pause gegönnt hatten, um sich die Luftschau anzusehen. Bis es Zeit war, das gemeinsame Festmahl einzunehmen und den Vergnügungen zu frönen, würden sie ihr Pensum geschafft haben.

Anmutig landete Charanth, unmittelbar neben ihm Ormonth, damit P'tero das Sicherheitsgeschirr abnehmen konnte, ehe jemand es bemerkte. Noch während er die Gurte löste, kam M'leng, der Reiter des grünen Drachen Sith zu ihm, um ihm für sein tolldreistes Husarenstück eine Standpauke zu halten. M'leng nahm kein Blatt vor den Mund und ging schärfer mit P'tero ins Gericht als sein Weyrführer.

K'vin schmunzelte in sich hinein, als er sah, wie zerknirscht sich P'tero bei dieser Schimpftirade gebärdete. Er rollte die Gurte zusammen und befestigte sie am Geschirr-Ring.

»Lass dich noch ein bisschen von der Sonne verwöhnen, mein Freund«, munterte er Charanth auf und tätschelte dessen breite Schulter.

Genau das hatte ich vor. Meranath genießt bereits die Wärme, erwiderte der Bronzedrache in leicht selbstgefälligem Ton. Alsdann stieß er sich kraftvoll vom Boden ab, seinen Reiter mit einem Hagelschauer aus kleinen Steinchen vollspritzend.

Charanths Einstellung zu seiner Gefährtin, Meranath, amüsierte und freute seinen Reiter gleichermaßen. Keiner hatte damit gerechnet, dass die Führung des Telgar-Weyrs K'vin zufallen würde, als der Posten durch B'ners Tod vor neun Monaten frei wurde. Der stämmige Reiter, der erst Anfang sechzig war, hatte an einer nicht erkannten Herzschwäche gelitten.

Als Meranath bereit war für ihren nächsten Paarungsflug, hatte Telgars Weyrherrin, Zulaya, es den Drachen überlassen, den nächsten Weyrführer zu bestimmen. Sie selbst behauptete, keine persönlichen Vorlieben zu hegen. Jeder wusste, dass sie B'ner sehr geliebt hatte und vermutlich immer noch um ihn trauerte. Wie vorauszusehen war, mangelte es nicht an ›Freiern‹, die sich darum rissen, seine Nachfolge anzutreten.

K'vin hatte Charanth auf den Paarungsflug geschickt, weil man es von jedem Geschwaderführer aus Telgar erwartete, an dem Wettkampf teilzunehmen, dem auch die Bronzedrachen der anderen Weyr beiwohnen durften. Dabei war er gar nicht mal erpicht darauf, die Leitung eines Weyrs während einer Annäherungsphase des Roten Sterns zu übernehmen. Er fand, für eine so verantwortungsvolle Aufgabe sei er zu jung. Von B'ner wusste er, dass bereits die alltäglichen Pflichten während eines Intervalls den vollen Einsatz verlangten; aber zu wissen, dass viele Reiterkameraden verletzt werden oder gar den Tod finden würden, dass das Leben anderer Menschen davon abhing, wie geschickt und ausdauernd man sich anstellte, überstieg seine Kräfte. In manchen Nächten quälten ihn entsetzliche Albträume, dabei hatte der Ernstfall noch gar nicht begonnen. Wenn er Zulayas Lager teilte und schreiend aus dem Schlaf hochschreckte, hatte sie sich verständnisvoll gezeigt und versucht, ihn zu beruhigen.

»B'ner war auch besorgt, falls dir das ein Trost ist, Kev«, murmelte sie, seinen alten Spitznamen benutzend und ihm die schweißnassen Locken aus der Stirn streichend, während er am ganzen Leib zitterte. »Er litt ebenfalls an Albträumen. Vermutlich geht das jedem Weyrführer so. Nach besonders quälenden Nächten pflegte er Seans Notizen zu studieren. Wahrscheinlich lernte er sie auswendig. Ich weiß, dass du es ebenso machst, Kev. Ich habe dich beobachtet. Aber wenn es hart auf hart kommt, wirst du deinen Mann stehen, davon bin ich fest überzeugt.«

Zulaya verströmte Optimismus und Zuversicht, doch immerhin war sie beinahe zehn Jahre älter als er und in der Führung eines Weyrs erfahren. Mitunter dünkte ihn ihre Intuition beinahe unheimlich. Sie konnte exakt vorhersagen, wie viele Eier ein bestimmtes Drachengelege enthalten würde und wie die Farbverteilung aussähe. Sie irrte sich nie, wenn es darum ging, das Geschlecht eines ungeborenen Babys zu prophezeien, und ihre Wettervorhersagen trafen fast immer zu.

Aber schließlich war sie im Fort-Weyr zur Welt gekommen, stammte in direkter Linie von einer der Ersten Reiterinnen ab, Aliana Zuleita, und besaß vielleicht deshalb das Zweite Gesicht. Es war schon merkwürdig, dass die goldenen Königinnen Frauen von außerhalb des Weyrs bevorzugten, doch manchmal setzte eine Königin ihren Willen durch und erwählte – der allgemeinen Sitte zum Trotz – ein Mädchen, das im Weyr geboren und großgeworden war.

Wie vor ihm B'ner, so vertiefte sich K'vin gleichfalls in die alten Berichte über die Fädeneinfälle. Er las, inwiefern sich die einzelnen Schauer voneinander unterschieden, und wie man aus dem äußeren Rand einer Fädenwolke gewisse Absonderlichkeiten ablesen konnte.

Die meisten Niederschriften waren in einer nüchternen, trockenen Sprache abgefasst und gaben lediglich Fakten wieder; doch der sachliche Stil täuschte nicht über den Mut und die Opferbereitschaft der ersten Reiter hinweg, vor allen Dingen, wenn man berücksichtigte, dass dieses todbringende Phänomen anfangs den Kolonisten absolut fremd war, und sie erst Strategien entwickeln mussten, wie man der Gefahr begegnete.

In der Tat war K'vin mit Sorka Connell, der Ersten Weyrherrin von Pern, verwandt. Mehr als einmal hatte Zulaya ihn auf diesen Umstand hingewiesen und unterstrichen, dass dies im Weyr als günstiges Omen aufgefasst wurde. Es trug immerhin dazu bei, den Leuten ein wenig Sicherheit einzuflößen.

»Vielleicht ließ sich Meranath deshalb von Charanth befliegen«, mutmaßte Zulaya mit ernster Miene, aber schelmisch funkelnden Augen.

»Hattest du, ich meine ... war es dir je in den Sinn gekommen, mich ...« Zwei Wochen nach jenem bedeutsamen Flug hatte K'vin versucht, die passenden Worte zu finden. Die Leidenschaft, mit der sie ihn in der Nacht begehrte, hatte ihn schier überwältigt. Hinterher jedoch waren ihre Gefühle für ihn merklich abgekühlt, und trotz des Umstands, dass ihre Drachen unzertrennlich schienen, lud sie ihn recht selten in ihr Quartier ein.

»Wer denkt schon nach während eines Paarungsflugs? Aber im Grunde bin ich froh, dass Meranath eine so kluge Wahl getroffen hat. Wenn sich bestimmte Eigenschaften tatsächlich vererben, dann kann es dem Weyr nur gut tun, wenn er von zwei Leuten geführt wird, deren Urahnen zu den ersten Drachenreitern von Pern gehörten.«

»Ich weiß nicht recht«, zweifelte er.

»Es wird sich noch früh genug erweisen, was dir im Blut steckt«, meinte sie.

Zulaya war von einer manchmal irritierenden Unverblümtheit, doch mit keinem noch so subtilen Zeichen verriet sie ihm, was sie als Frau – nicht als Weyrherrin – für ihn empfand. Er schätzte ihre Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und ihre konstruktiven Vorschläge bezüglich des Trainingsprogramms, aber bei allem wirkte sie so ... unpersönlich und distanziert, dass K'vin vermutete, sie habe B'ners Tod immer noch nicht verwunden.

Er selbst klammerte sich an den vagen Trost, dass eine seiner Urahninnen den Fädenfall überlebt hatte, und er trachtete danach, selbst der bevorstehenden Attacke unbeschadet zu entkommen. Und er verstieg sich immer mehr in die Überzeugung, dass seinen beiden Geschwistern sowie seinen vier Cousins, die ebenfalls Drachenreiter waren, kein Unbill zustoßen könne. Allerdings war er der einzige Weyrführer in der Familie. Doch wenn seine Abstammung aus der Blutslinie der Ruatha-Sippe, die immerhin Sorka, M'hall, M'dani, Sorana und Mairian hervorgebracht hatte, dem Telgar-Weyr Mut und Selbstvertrauen einflößte, dann wollte er seine Leute während eines jeden künftigen Kampfeinsatzes in ihrem Glauben bestärken.

Nun, während der vermutlich letzten größeren Zusammenkunft auf Pern, die unter einem fädenfreien Himmel stattfand, sah er zu, wie seine Weyrherrin sich aus einer Gruppe von Landbesitzern aus Telgar löste und quer über den weiträumigen Hof auf ihn zu kam.

Zulaya war groß für eine Frau und langbeinig – was ihr half, sich auf den Hals eines Drachen zu schwingen. Er selbst überragte sie um Haupteslänge, was ihr gefiel; B'ner war nicht größer gewesen als sie. Ihr dunkler Typ faszinierte K'vin immer wieder aufs Neue. Befreit von dem Reithelm, fiel ihr die schwarze Lockenmähne bis hinunter auf die Hüften. Das prächtige Haar umrahmte ein Gesicht mit hohen, weit auseinander stehenden Wangenknochen, betonte den klaren, leicht gebräunten Teint und brachte die glänzenden, beinahe schwarzen Augen voll zur Geltung. Der breite, sinnliche Mund und das kantige Kinn verliehen ihr einen eigenwilligen, selbstbewussten Zug, der zu ihrem starken, Respekt gebietenden Charakter passte. Ihre Autorität wurde allgemein anerkannt.

Sie schritt zügig und energisch aus, ganz anders als etliche der Burgbewohnerinnen, die sich einen trippelnden, gezierten Gang angewöhnt hatten. Die mit Stahl verstärkten Stiefelabsätze klapperten auf den Pflastersteinen, und ihre Arme pendelten lässig im Takt der Schritte. Wie er sah, hatte sie sich die Zeit genommen, über ihre Reitmontur einen langen, geschlitzten Rock zu ziehen, der Ausblicke auf ein wohlgeformtes, von weichen Lederleggins umschmeicheltes Bein freigab. Die Stulpen der hohen Reitstiefel hatte sie heruntergeklappt, und das Innenfutter aus rotem Fell setzte einen reizvollen Akzent, zumal sich die Pelzverbrämung farblich passend an den Manschetten und am offen stehenden Kragen ihres Jacketts wiederholte. Auch jetzt trug sie die Halskette mit dem Saphiranhänger, die sie als älteste Frau ihrer Sippe geerbt hatte.

»Nun, hat sich P'tero mit seinem akrobatischen Trick M'lengs immer währende Liebe erworben?«, fragte sie mit einem bissigen Unterton. »Die beiden sind zusammen abgezogen ...« Sie blickte den beiden Reitern hinterher, die sich in Richtung der Zelte trollten.

»Später solltest du dir das Pärchen einmal vorknöpfen. Vor dir haben sie nämlich mächtigen Respekt«, meinte K'vin grinsend.

»Wegen dieser Dummheit ziehe ich ihnen das Fell über die Ohren«, entgegnete sie forsch und legte flink einen Hüpfer ein, um im Gleichschritt mit ihm marschieren zu können. »Du musst endlich lernen, die Leute wütend anzustarren.« Sie schaute zu K'vin hoch und schüttelte seufzend den Kopf. Einmal hatte sie ihn damit aufgezogen, dass er mit seinen von den Hanrahans geerbten roten Haaren, den blauen Augen und Sommersprossen viel zu hübsch aussähe, um jemanden einschüchtern zu können. »Nein, dafür hast du nicht das richtige Gesicht. Aber wie auch immer, Meranath wird Sith gehörig den Marsch blasen, weil er einem Blauen erlaubt hat, sich ohne Not in Gefahr zu begeben.«

»Das wird fruchten«, erwiderte K'vin und nickte zustimmend. Meranath besaß größeren Einfluss auf die Drachen als irgendein Mensch, und ihre Autorität wurde nicht einmal von den jeweiligen Reitern übertroffen. »Was P'tero sich erlaubt hat, war wirklich der Gipfel an Leichtsinn.«

»Nun ja«, räumte Zulaya ein, »die Leute von Telgar waren begeistert und fanden das Luftkunststück ›einfach toll‹. Schließlich wird kaum einer von ihnen Gelegenheit erhalten, den Einsatz der Drachen im Ernstfall zu sehen.« Sie schnitt eine Grimasse.

»Wenigstens glauben die Leute von Telgar, dass es einen Ernstfall geben wird«, kommentierte K'vin trocken.

»Wieso? Gibt es welche, die daran zweifeln?«

»Chalkin, um nur einen zu nennen.«

»Ach, der!« Für den Burgherrn von Bitra hatte sie absolut nichts übrig, und sie machte kein Hehl aus ihrer Abneigung.

»Er ist bestimmt nicht der Einzige, auch wenn die meisten behaupten, sie würden sich auf den Fädenregen vorbereiten. Bei vielen mag das nur ein Lippenbekenntnis sein.«

»Wie bitte? Wenn der erste Fädenfall schon in wenigen Monaten stattfinden wird?«, staunte Zulaya. »Was glauben diese Menschen wohl, zu welchem Zweck die Drachen gezüchtet wurden, wenn nicht, um den Kontinent aus der Luft zu verteidigen? Oh ja, wir bieten einen Transportservice, doch das reichte bei weitem nicht, um unsere Existenz zu rechtfertigen.«

»Immer mit der Ruhe, Lady«, beschwichtigte K'vin sie. »Bei mir rennst du offene Türen ein.«

Sie gab einen tiefen, kehligen Laut des Abscheus von sich. Mittlerweile hatten sie die Treppe zum Oberen Burghof erreicht. Hoheitsvoll hängte sie sich bei ihm ein, um vor den Zuschauern Schulterschluss zwischen den beiden Weyrführern zu demonstrieren. K'vin bedauerte es, dass sie nur in der Öffentlichkeit Körperkontakt zu ihm suchte.

»Typisch für Chalkin, dass er sich jetzt schon an Hegmons neuem Perlwein gütlich tut«, versetzte Zulaya zänkisch.

»Das ist doch der einzige Grund, aus dem er überhaupt hierher gekommen ist«, entgegnete K'vin, derweil er seine Gefährtin geschickt von dem Bitraner wegbugsierte, der sich die Lippen leckte und begehrlich auf sein Weinglas schielte. »Obwohl seine Berufsspieler heute sicher den ganz großen Schnitt machen.«

»Aber wie man munkelt, steht er nicht auf Hegmons Kundenliste«, erzählte sie, als sie an ihrem Tisch anlangten, den sich die Telgarianer auf eigenen Wunsch hin mit den Bewohnern des Hochlands und der Festung Tillek teilten. Der leitende Kapitän der Fischereiflotte von Tillek und seine frisch angetraute Ehefrau waren ihre Tischnachbarn.

»Eine phantastische Luftschau war das«, lobte der joviale Schiffsführer, mit Namen Kizan. »Nicht wahr, Cherry, mein Liebling?«

»Es war herrlich«, stimmte das Mädchen ein und klatschte dabei in die Hände. Die Geste wirkte affektiert, doch die junge Frau war durch die illustre Umgebung ein wenig verschüchtert, und jeder bemühte sich, ihr die Hemmungen zu nehmen. Kizan hatte durchblicken lassen, dass sie aus einem winzigen Fischernest stammte; als Skipper bestach sie durch Kompetenz, doch es haperte ihr an Weltläufigkeit und sicherem Auftreten. »Am Himmel habe ich schon öfter Drachen gesehen, aber noch nie aus unmittelbarer Nähe. Sie sind wunderschön.«

»Sind Sie schon mal auf einem geritten?«, erkundigte sich Zulaya freundlich.

»Ach du meine Güte, nein!«, antwortete Cherry und senkte verlegen den Blick.

»Vielleicht erhältst du schon bald die Gelegenheit«, warf ihr Gatte ein. »Wir sind auf dem Landweg hierher gereist, aber falls es nicht zu viele Umstände bereitet ...«

»Wir stehen Ihnen gern zu Diensten, Kapitän«, erklärte G'don, der Anführer des Hochland-Weyrs. »Denn bis jetzt haben Sie uns weit weniger in Anspruch genommen, als Ihnen von Rechts wegen zusteht.« Mari, seine Weyrfrau, nickte und lächelte Cherry aufmunternd zu, die beinahe entsetzt reagierte.

»Was?«, neckte Kizan seine Frau. »Jemand, der ohne mit der Wimper zu zucken durch einen Orkan der Windstärke neun gesegelt ist, fürchtet sich vor einem Flug auf einem Drachen?«

Cherry rang nach einer Antwort, doch offenbar fiel ihr keine passende Entgegnung ein.

»Sie dürfen sie nicht auslachen«, ermahnte Mari Kizan in tadelndem Ton. »Ein Ritt auf einem Drachen lässt sich nicht mit einer Segeltour vergleichen; aber ich kenne auch nicht viele Leute, die es abgelehnt haben, mit einem Drachen zu fliegen.«

»Oh, ich hatte nicht die Absicht, mich zu drücken«, fuhr Cherry hastig dazwischen.

Wie ein Kind, das Angst hat, die versprochene Belohnung nicht zu bekommen, fand K'vin und unterdrückte mühsam ein Schmunzeln.

»Lasst Cherry in Ruhe, und das gilt für alle von euch«, erklärte die Burgherrin von Telgar und blickte streng in die Runde. »Wenn ich mich an meinen ersten Ritt auf einem Drachen erinnere ...«

»Ach, an diese uralte Geschichte kannst du dich entsinnen«, fiel ihr Gemahl, Lord Tashvi, ihr ins Wort, ihr offen ins Gesicht schauend. »Aber wo du die Rolle mit dem zusätzlichen Bettzeug gelassen hast, will dir partout nicht einfallen ...«

»Fang nicht schon wieder damit an!«, schimpfte Salda. Doch jeder am Tisch – selbst die junge Cherry – spürte, dass die Burgherren von Telgar diese Art von Wortgefechten genossen.

»Habt ihr euren Wein noch nicht probiert?«, fragte eine eifrige Stimme. Sie drehten sich um und erblickten Vintner Hegmon, einen stämmigen, grauhaarigen Mann mittlerer Größe. Auf seinen frischen Teint und seine gerötete Nase angesprochen, pflegte er beides fröhlich als ›Berufskrankheit‹ zu bezeichnen.

»Erweisen Sie uns die Ehre und öffnen Sie die erste Flasche«, schlug Tashvi vor, auf die mit Eis gefüllten Weinkühler zeigend.

Hegmon tat, wie geheißen, und unter seinen geübten Händen sprang der Korken mit einem leisen Knall aus dem Flaschenhals. Der Wein schäumte heraus, doch geschickt hielt er ein Glas unter die Öffnung, sodass kein einziger Tropfen verloren ging.

»Ich glaube, dieses Mal ist uns das Kunststück gelungen«, meinte er, die dargebotenen Gläser füllend.

»Jedenfalls sieht dieser Wein herrlich aus«, schwärmte Salda, indem sie ihr Glas hob und die hochsteigenden Luftblasen beobachtete.

Thea, die Burgherrin aus dem Hochland, folgte ihrem Beispiel und schnupperte dann an ihrem Glas. »O ja!«, platzte sie heraus und hielt sich flugs die Nase zu, um ein Niesen zu unterdrücken. »Wie das kitzelt!«

»Und nun kostet den Wein!«, drängte Hegmon.

»Hmm«, ergötzte sich Tashvi, und Kizan stimmte in das Lob ein.

»Und wunderbar trocken ist er auch«, fand der Kapitän. »Trink, Cherry«, forderte er seine Frau auf. »Mit dem Gesöff aus Tillek ist er nicht zu vergleichen. Was von dort kommt, schmeckt herb und sauer. Dieser edle Tropfen rinnt wie Samt durch die Kehle.«

»Ohh!«, rief Cherry entzückt nach dem ersten Schluck. »Oh, ist der fein!«

Hegmon schmunzelte und nahm das beifällige Nicken der anderen Gäste zur Kenntnis.

»Mir schmeckt er auch«, bekräftigte Zulaya, nachdem sie den Wein über die Zunge hatte rollen lassen. »Sehr süffig.«

»Hegmon könnte ruhig noch ein Glas spendieren«, warf Chalkin ein, der an den Tisch geschlendert kam und dem Winzer sein Glas entgegenhielt.

Doch Hegmon traf keine Anstalten, einzuschenken; stattdessen fasste er den Burgherrn kühl ins Auge. »Bedienen Sie sich an Ihrem eigenen Tisch, Chalkin.«

»Aber ich möchte gern aus verschiedenen Flaschen trinken.«

Hegmon erstarrte, und Salda schritt rasch ein.

»Bitte gehen Sie, Chalkin. Als ob Hegmon irgendjemandem eine Flasche mit minderwertigem Wein anbieten würde«, sagte sie und wedelte verächtlich mit der Hand.

Chalkin wusste nicht recht, ob er lächeln oder finster dreinblicken sollte; aber dann setzte er eine nichtssagende Miene auf und rückte katzbuckelnd vom Tisch ab. Indessen begab er sich keineswegs an seinen Platz zurück, sondern scharwenzelte um eine andere Gruppe von Gästen herum, die gerade ihre Gläser füllte.

»Ich könnte ihn ...«, zischte Hegmon.

»Beliefern Sie ihn ganz einfach nicht, Hegmon.«

»Er verfolgt mich bereits mit dem Ansinnen, ihm Rebstöcke zu verkaufen, damit er seinen eigenen Wein ziehen kann«, ereiferte sich Hegmon, empört ob dieser Dreistigkeit. »Obwohl er mit diesem Plan genauso Schiffbruch erleiden würde wie mit allen anderen Projekten, die er in Angriff nimmt.«

»Lassen Sie ihn links liegen«, schlug Zulaya vor und schnippte mit den Fingern. »M'shall und Irene nehmen gar keine Notiz von ihm. Er ist ihnen zu schleimig.«

»Leider«, warf Tashvi mit grimmiger Miene ein, »findet er immer wieder Gleichgesinnte ...«

»Auf der Versammlung werden wir ihm die Leviten lesen«, prophezeite K'vin.

»Hoffentlich«, erwiderte Tashvi. »Obwohl ein Mann seines Schlages vernünftigen Argumenten nicht zugänglich ist. Und er hat seine Anhängerschaft, das lässt sich nicht abstreiten.«

»Aber nicht in Angelegenheiten, die wirklich wichtig sind«, meinte Zulaya.

»Wir wollen das Beste hoffen. Ah, das Essen wird aufgetragen. Wir brauchen eine gute Grundlage, wenn uns der Wein nicht zu Kopf steigen soll.«

Zulaya deutete auf den Weinkühler. »Viel von dem guten Tropfen ist nicht mehr da, für einen Schwips wird es wohl kaum reichen.« Andächtig nippte sie an ihrem Glas. »Hegmon ist zwar großzügig, aber so freigebig nun auch wieder nicht. Da kommt ja das Dinner ...«

Sie lehnte sich zurück, als eine Schar von Männern und Frauen, in den Farben von Burg Fort gekleidet, Schüsseln und Platten voller Köstlichkeiten verteilten. Dazu gab es Rotwein.

»Vielleicht können wir uns doch noch einen Rausch antrinken, Zulaya«, witzelte K'vin, während er seiner Weyrherrin Bratenscheiben auf den Teller legte, ehe er die Servierplatte weiterreichte.

Erst als alles aufgegessen war und man die Weinflaschen geleert hatte, stand Paulin auf und bedeutete den Gästen auf dem Oberen Burghof, ihm in die Burg zu folgen. Auf dem Vorplatz wurde bereits eifrig getanzt, und die fröhliche Musik begleitete die Prozession derjenigen, die zu dem anberaumten Treffen in die Festung pilgerten.

K'vin hoffte, dass nach der Konferenz immer noch zum Tanz aufgespielt würde. Trotz ihrer Größe bewegte sich Zulaya so leichtfüßig, dass sie die ideale Tanzpartnerin abgab; und weil er einen Kopf größer war als sie, tanzte sie am liebsten mit ihm. Außerdem war ein Berufsorchester nicht mit den laienhaften, wenn auch passionierten Musikern zu vergleichen, die im Weyr ihre Künste zum Besten gaben. Stücke, wie die hier aufgeführten, überstiegen ohnehin ihre Fähigkeiten.

»Aha«, staunte Zulaya, als sie in die Große Halle der Burg einzogen, »sie haben die Wandmalereien restaurieren lassen. Wunderschön.«

»Hmm«, pflichtete K'vin ihr bei, während er stehen blieb um zu schauen und dabei Chalkin im Weg stand. »Entschuldigung.«

»Hmpf!«, grunzte Chalkin als Antwort. Im Vorbeigehen warf er Zulaya einen giftigen Blick zu und achtete demonstrativ darauf, dass er sie nicht versehentlich streifte.

»Nichts drum geben«, flüsterte K'vin ihr zu, als ihm schien, Zulaya läge eine bissige Bemerkung auf der Zunge.

»Ich möchte in Bitra sein, wenn der erste Fädenschauer seine Burg trifft«, meinte sie.

»Er hat Glück, dass er nicht uns, sondern Benden verpflichtet ist«, kommentierte K'vin trocken.

»Da hast du Recht«, entgegnete Zulaya und ließ sich von ihm an den Platz am großen Konferenztisch führen, der üblicherweise dem Telgar-Weyr vorbehalten blieb. »Ich frage mich, ob jemand aus Burg Fort während der letzten Woche überhaupt geschlafen hat«, sagte sie, während sie das Telgar-Banner streichelte, das ihren Teil des Tisches zierte. »Alles wirkt so adrett und wohl durchdacht«, murmelte sie, als sie sich den Stuhl zurechtrückte, der gleichfalls in den Farben Telgars gehalten war.

Der Tisch bestand aus mehreren kleineren Einheiten, die man so zusammengeschoben hatte, dass sie einen Kreis bildeten. Die Weyrführer und Burgherren von Telgar saßen zwischen den Anführern aus dem Hochland und Tillek, da sie die nördlichsten Siedlungen vertraten. Ihnen gegenüber befanden sich die Repräsentanten des Ista-Weyrs nebst Burg und der Festung Keroon, deren Stammesfarben in allen Schattierungen einer Sonne funkelten.

Die Leute des Benden-Weyrs und die Angehörigen des Bitra-Besitztums erhielten ihre Plätze zur einen Seite, zur anderen postierten sich die Bewohner der Burg Benden und der Festung Nerat. Der Chefingenieur, die Leitende Ärztin und der Direktor des Bildungswesens nahmen ebenfalls an dem Treffen teil. Im Zentrum des Runds thronten die Sachwalter von Burg Fort, der ältesten Kolonie Perns, flankiert von den Abgesandten der Festungen Ruatha und Süd-Boll. Den Vorsitz über die Konferenz nahmen dieses Mal die Delegierten Forts ein.

»Ich schlage vor, diejenigen, von uns, die noch nicht von Hegmons Wein beduselt sind, erörtern das Notwendige, damit wir die Sache hinter uns bringen und uns unter die Tänzer mischen können«, verlautbarte Paulin, in die Runde lächelnd.

Chalkin hämmerte mit der Faust auf die Tischplatte und grölte: »Hört, hört!«

K'vin unterdrückte ein Stöhnen. Der Kerl hatte einen sitzen, und sein Gesicht glühte von einem Übermaß an Wein.

»Wir alle wissen, dass demnächst ein Fädeneinfall bevorsteht ...«

Chalkin gab ein obszönes Geräusch von sich.

»Hören Sie, Lord Chalkin«, wandte sich Paulin an den Störenfried, »falls Sie sich ein bisschen zu viel von dem Champagner zugemutet haben, sind Sie von der Sitzung befreit.«

»Damit hätte er genau das erreicht, was er will«, widersprach M'shall, der Weyrführer von Benden. »In diesem Fall könnte er schlankweg behaupten, jede Entscheidung, die heute getroffen wird, sei hinter seinem Rücken abgesprochen worden.«

»Wenn er sein Maul nicht halten kann, stecken wir seinen Kopf so lange in kaltes Wasser, bis er nüchtern genug ist, um die gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu beachten«, warf Irene ein, die Herrin des Benden-Weyrs. »Er mag es überhaupt nicht, wenn seine Galagewänder nass werden.« Ihre Miene ließ vermuten, dass sie aus Erfahrung sprach.

»Chalkin!«, rief Paulin mit einem warnenden Unterton.

»Schon gut, schon gut«, lenkte der Bitraner griesgrämig ein, rückte sich bequem auf seinem Stuhl zurecht und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. »Ihr fangt mir ja gut an ...«

»Aber nur, weil Sie sich nicht benehmen können!«, schnauzte Irene. Paulin bedachte sie mit einem ernsten Blick, und sie verstummte, obwohl sie fortfuhr, Chalkin aus schmalen Augen zu mustern.

»Es gibt drei unterschiedliche Berechnungen, die keinen Zweifel daran lassen, dass sich der Rote Planet Pern nähert ...«

»Könnte es zu einer Kollision kommen?«, fragte Jamson aus dem Hochland.

»Unsinn, Jamson«, entgegnete Paulin wegwerfend. »Darüber brauchen wir gar nicht erst zu reden.«

»Und warum nicht?«, mischte sich Chalkin keck ein.

»Weil es unmöglich ist, und man über dieses Thema bereits bis zum Überdruss diskutiert hat«, erklärte Paulin. »In keinem einzigen Bericht aus den Tagen unserer Vorväter gibt es auch nur eine Andeutung, dass die Chance eines Zusammenstoßes der beiden Planeten besteht. Mit einer eventuellen Katastrophe dieser Art hatte man sich erst gar nicht befasst.«

»Aber hatte man damals ausdrücklich festgelegt, dass ein Zusammenstoß absolut ausgeschlossen werden kann?«, stichelte Chalkin, offensichtlich entzückt, auf einem heiklen Thema herumzuhacken.

»Nein«, antworteten Paulin und Clisser wie aus einem Mund. Clisser fungierte nicht nur als Direktor des Kollegiums, sondern bekleidete auch das Amt des Leitenden Astronomen. Paulin bedeutete Clisser, das Thema weiter zu verfolgen.

»Die Kapitäne Keroon und Tillek«, begann er und legte gleich darauf eine respektvolle Kunstpause ein, »schrieben beide Kommentare zum Akki-Report, der die Daten aus den Informationsspeichern der Yokohama enthält. Mit den relevanten Gleichungen habe ich mich immer und immer wieder beschäftigt und gelangte zu dem Schluss, dass der Wanderplanet sich Pern auf einer elliptischen Umlaufbahn nähert, ohne dass eine Kollision zu befürchten wäre. Aufgrund der Himmelsmechanik und Rubkats Anziehungskraft kann es keinesfalls zu einem Zusammenstoß kommen. Wenn ich geahnt hätte, dass dieses Thema angeschnitten wird, hätte ich meine Diagramme mitgebracht.« Clisser bedachte Chalkin mit einem vernichtenden Blick.

»Schlimm genug, dass der Rote Planet diese Fäden im Gefolge hat. Wollen Sie etwa auch noch, dass ganz Pern zerschmettert wird, Chalkin?«, fragte Kalvi, der Chefingenieur. »Ich habe die mathematischen Gleichungen ebenfalls geprüft, und ich gehe mit Clissers Einlassung konform. Es kann keinen Zusammenstoß geben. Warum rechnen Sie nicht selbst nach, wenn Ihnen diese Eventualität Kopfzerbrechen bereitet, Chalkin?«

Chalkin überhörte den Seitenhieb, da er auf keinem wissenschaftlichen Gebiet eine Leuchte war. Doch die Reaktion auf seinen Einwurf stimmte ihn zufrieden. Egal, was die Gelehrten orakelten, es gab keinen stichhaltigen Beweis, dass der Planet nicht in seiner Existenz gefährdet war.

»Also, die Berechnungen ergeben, dass die ersten Fädenschauer des zu erwartenden Vorbeizugs im Vorfrühling niedergehen werden. Einige Schauer können sehr gefährlich werden, je nach Wetterbedingungen und Temperaturen.« Paulin fasste unter den Tisch und zog eine Tafel hervor, auf der man die betroffenen Gebiete fein säuberlich eingezeichnet hatte. S'nan räusperte sich und rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, wie wenn er fände, Paulin würde ein Vorrecht der Siedler von Fort verletzen.

»Die beiden ersten Schauer gehen über Land nieder, das vom Fort-Weyr patrouilliert wird, beim dritten und vierten Mal trifft es das Hochland, danach ist Benden an der Reihe. Das Ganze wird sich innerhalb von zwei Wochen abspielen, in Abständen von etwa drei Tagen. Der zweite Schauer über Fort und der erste über dem Hochland finden an ein und demselben Tag statt – es handelt sich um eine Verzweigung der gleichen Fädenwolke. Aus den alten Berichten entnehmen wir, dass der Südkontinent ungefähr eine Woche lang von Fäden heimgesucht werden wird, ehe der Regen bei uns im Norden einsetzt. S'nan«, damit wandte sich Paulin an den Weyrführer von Fort, »könnten Sie nun Ihre Daten vortragen?«

S'nan stand auf und hielt sein Klemmbrett hoch, ohne das man ihn nie sah. Man munkelte, er habe es von Connell höchstselbst geerbt. Einen flüchtigen Moment lang vertiefte er sich in die Aufzeichnungen. Der älteste Anführer des ersten Weyrs von Pern ähnelte seinem Vorfahren, obschon sein mit Silberfäden durchzogenes Haar nicht rot war, sondern mittelblond. K'vin glaubte nicht, dass Sean Connell ein Leuteschinder gewesen war, auch wenn er die Gesetze erlassen hatte, nach denen sich die Weyr selbst verwalteten. Die meisten dieser Vorschriften entsprachen nur dem gesunden Menschenverstand; lediglich S'nan übertrieb deren Einhaltung, dass es manchmal ans Lächerliche grenzte.

»Der Erste Fädenfall«, begann S'nan mit einem Anflug von Stolz in der Stimme, »beginnt über dem Meer östlich von Burg Fort und zieht von dort aus landwärts zur Flussmündung, wobei er diagonal die Halbinsel überquert, bis er im Westen wieder auf das Meer trifft. Die beiden nächsten Schauer, die drei Tage später erfolgen, regnen über der südlichen Spitze von Süd-Boll ab.« Mit seinem Schreibstift berührte er herablassend Paulins Karte. »Dieser Schauer fällt so weit südlich, dass er vielleicht gar kein Land erreicht, und falls doch, wird er nur von kurzer Dauer sein. Er streift den westlichsten Punkt des Hochlandes, von wo aus er abermals über das Meer abgetrieben wird, also zeitlich ebenfalls begrenzt ist. Der dritte Fädenfall kommt an der Südküste der Tillek-Halbinsel in Gang, östlich der Festung, touchiert kurz festen Boden und driftet ebenfalls auf den Ozean hinaus.«

»Das klingt beinahe so, als wollten uns die Fäden die Gelegenheit geben, uns an den Kampf gegen sie zu gewöhnen«, frotzelte B'nurrin von Igen.

»Ihre frivolen Äußerungen sind hier fehl am Platze«, wies S'nan ihn streng zurecht, doch die vielen grinsenden Gesichter in der Runde ließen den Tadel an dem übermütigen jungen Weyrführer abprallen. S'nan hüstelte und stürzte sich von neuem in seinen Vortrag. »Die beiden nächsten Schauer stellen für ungeübte Geschwader das größte Risiko dar«, dozierte er, B'nurrin bedeutungsschwanger fixierend, derweil er mit dem Stift den Verlauf der Fädenwolke nachzeichnete. »Der erste fängt östlich über dem Ozean an und zieht sowohl den Benden-Weyr wie auch Burg Bitra in Mitleidenschaft, ehe er kurz vor dem Igen-Weyr versiegt. Normalerweise würde er vom Igen-Weyr und dem Benden-Weyr vereint bekämpft. Der zweite Regen setzt am Nordende der Nerat-Halbinsel ein, folgt ihrem Verlauf über die gesamte Länge, streift die Ostküste von Keroon und das östliche Kap von Igen, um gleich dahinter im Meer auszuklingen. Auch in diesem Fall sollten sich die Geschwader zusammentun, wobei Benden die Verteidigung von Nerat übernimmt, Igen sich um den nördlichen Teil Keroons kümmert und Ista Süd-Keroon abdeckt ...«

»Wir alle wissen doch, wann wir wo eingesetzt werden, S'nan«, schnitt M'shall ihm das Wort ab.

»Ja, ja, natürlich.« Abermals räusperte sich S'nan. »Allerdings«, und hier betrachtete er der Reihe nach die am Tisch versammelten Burgherren, »wurde bei der letzten Versammlung der Weyrführer beschlossen, dass jeder Weyr für den ersten Einsatz ein Doppelgeschwader zur Verfügung stellt. Da dies für uns alle eine völlig neue Erfahrung ist, sollte sich jeder Weyr schon aus eigenem Interesse gleich am ersten Kampf beteiligen.«

»Ich finde, Erfahrungen sammeln wir ohnehin beim ersten Einsatz im Süden«, wandte B'nurrin ein. »Alle Fäden, die die Drachen nicht erwischen, fallen ins Wasser oder gehen auf nahezu unbesiedeltes, brach liegendes Terrain nieder.«

»B'nurrin!«, schritt M'shall mahnend ein, ehe der verblüffte S'nan den Mund öffnen konnte.

K'vin teilte B'nurrins Ansicht und stärkte ihm den Rücken, doch sie wurden von den älteren Weyrführern überstimmt. Vermutlich nahm B'nurrin sogar die Gelegenheit wahr, mit seinen Geschwadern an Orten zu ›üben‹, an denen er nicht das geringste verloren hatte.

Unbeirrt durch die Unterbrechung setzte S'nan seine Belehrungen fort. »Während der Ersten Annäherungsphase erließen unsere Ahnen ein Gesetz, das die Burgherren dazu verpflichtete, Bodenmannschaften bereitzustellen, deren Einsatz von den jeweiligen Weyrführern koordiniert wird. In diesem Fall wäre Weyrführer M'shall zuständig.« Er nickte dem Bronzereiter von Benden kurz zu. Dann verbeugte er sich höflich vor dem Chefingenieur. »Meister Kalvi hat mir mitgeteilt, dass seine Gießerei ausreichend HNO3-Zylinder herstellen kann, mit denen die Bodenteams ausgerüstet werden. Das HNO3 muss indessen am betreffenden Einsatzort abgefüllt werden. Wie damals, zu Zeiten unserer Vorväter, stellt auch dieses Mal das Ingenieurcorps Arbeitskräfte und Material als Beitrag zur Erfüllung seiner Bürgerpflicht. Gegen Jahresende werden die Tanks an alle Beteiligten verteilt sein.« Wie immer, befleißigte sich S'nan auch jetzt einer präzisen Ausdrucksweise und verschmähte den neuen Ausdruck ›Planetenumlauf‹, der sich bei der jüngeren Generation durchgesetzt hatte.

Kalvi erhob sich von seinem Platz. »Jedes größere Gemeinwesen erhält von uns eine dreitägige Schulung, in der die Bodenteams mit der Wartung und Instandsetzung der Flammenwerfer vertraut gemacht werden. Praktische Übungen sind auch vorgesehen.« Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und schickte sich an, noch mehr zu sagen, doch S'nan bedeutete ihm durch ein Handzeichen, er möge sich wieder hinsetzen.

Mit einem ärgerlichen Schnauben nahm Kalvi Platz.

Alsdann wandte sich der Weyrführer von Fort an Corey.

»Stimmt es, dass Sie ebenfalls ein dreitägiges Trainingsprogramm abhalten, um die Burgbewohner in Brandbekämpfung und Erster Hilfe bei Verletzungen durch die Fäden zu unterrichten?«

Corey stand nicht auf, sondern deutete lediglich ein Nicken an.

»Die Burgherren müssen jedem Bodenteam Sanitäter zur Seite stellen, oder ein Mitglied der Crew in Erster Hilfe ausbilden. Dazu gehört die Bereitstellung von Taubkraut, Fellissaft und anderen notwendigen Heilmitteln.«

»Und nun«, er klappte die oberste Karte um, »zu den Reitern und Reiterinnen, die an vorderster Front kämpfen. Ich habe sämtliche Weyr inspiziert und vermochte nirgendwo gravierende Mängel zu entdecken. Alle sind personell komplett besetzt, und es gibt genügend Kadetten, die die Geschwader während eines Einsatzes mit Phosphinstein versorgen. Mit den Weyrführern habe ich sämtliche Aspekte bezüglich Taktik und Disziplin erörtert ...«

K'vin krümmte sich innerlich, als er an die pedantische Kontrolle durch S'nan und Sarai zurückdachte. Sogar die Recycling-Anlage nahmen sie in Augenschein! Dann bemerkte er, dass G'don, der älteste Weyrführer, gleichfalls das Gesicht verzog. Offenbar hatte das Fort-Team bei seiner offiziellen Musterung niemanden verschont. Nun ja, der Vorbeizug des Roten Planeten mit dem Verderbnis bringenden Fädenregen im Gefolge stand tatsächlich kurz bevor, und es war nichts daran auszusetzen, wenn die Weyrführer von Fort sich persönlich vom Zustand der anderen Weyr und der Drachengeschwader überzeugten. Alles musste perfekt und auf dem höchstmöglichen Standard sein.

Bezüglich der Drachen hatte das Fort-Team am Telgar-Weyr nichts auszusetzen gehabt. Seit drei Jahren schlüpften hier die meisten Drachen, und die Tiere selbst schienen bestrebt zu sein, sich an den Vorbereitungen für den Ernstfall zu beteiligen.

K'vin hoffte, Charanths erstes Gelege möge größer ausfallen als jedes, das B'ners Miginth je gezeugt hatte. Vielleicht würde Zulaya sich dann mehr für ihn erwärmen. Die beiden jungen Königinnen hatten sich bewährt, indem sie viele der nützlichen grünen und blauen Drachen produzierten. Bald würde im Telgar-Weyr der Platz knapp werden. Möglicherweise mussten sie überschüssige Drachen in andere Weyr aussiedeln, doch darüber konnte man immer noch bei der anstehenden jährlichen Revision entscheiden.

»Abschließend lassen Sie mich feststellen, dass wir gar nicht besser gerüstet sein könnten.«

»Wir verfügen über mehr Ressourcen, als die ersten Drachenreiter je hatten«, bemerkte G'don auf seine lakonische Art.

»Recht haben Sie«, pflichtete Irene von Benden ihm bei.

K'vin begnügte sich mit einem Lächeln. Plötzlich beschlich ihn eine Anwandlung von Furcht, und es lief ihm kalt den Rücken herunter. Er gab sich innerlich einen Ruck und hielt sich dann vor Augen, er stamme aus einem Geschlecht, dem die Ersten Drachenreiter angehörten.

Und du reitest mich, sagte Charanth in seine Gedanken hinein. In der Luft bin ich nicht zu schlagen. Wenn die Fäden nur meine Flammen sehen, drehen sie in eine andere Richtung ab. Dies war nicht etwa Prahlerei, denn Charanth hielt den Weyr-Rekord, wenn es darum ging, die längsten Flammenstöße zu speien. Gemeinsam bekämpfen wir die Gefahr, du bist nicht allein. Verlass dich auf mich, dann kann dir nichts passieren.

Danke, Charrie.

Keine Ursache, Kev.

»Du hast schon wieder diesen fernen Blick, K'vin«, flüsterte Zulaya ihm ins Ohr. »Wie denkt Charanth über die ganze Geschichte?«

»Er brennt darauf, dass es endlich losgeht«, wisperte K'vin zurück und grinste. Es war gut, von Charanth daran erinnert zu werden, dass er kein Einzelkämpfer war. Sie bildeten eine Partnerschaft, die in dem Moment geschlossen wurde, als der Bronzedrache aus dem Ei schlüpfte und geradewegs auf ihn zugewatschelt kam, den vierzehn Jahre alten K'vin aus dem Clan der Hanrahans, der nervös auf dem heißen Sand der Brutstätte wartete.

Sofort hatte K'vin begriffen, dass dies die Krönung seines gesamten bisherigen Daseins war – die Prägung zwischen einem Drachen und seinem menschlichen Kameraden.

Er hatte zugesehen, wie sein älterer Bruder auserwählt wurde, seine zweitälteste Schwester und drei der vier Cousins, die im Geschwader mitritten. Von dem Augenblick an, als man ihn aufsuchte und für eine Gegenüberstellung in Betracht zog, redete er sich mit der naiven Inbrunst eines Jugendlichen ein, dass er gar nicht leer ausgehen könne. Der pessimistische Zug in seinem Charakter hatte ihn indessen mit der perversen Vorstellung gequält, die Drachen würden ihn übergehen, und er müsste zusehen, wie er mit der Schande und Demütigung fertig würde.

»Also kann ich den hier Anwesenden guten Gewissens versichern, dass die Weyr einsatzbereit sind«, schloss S'nan seine Rede. Applaus brandete auf, als er seinen Platz wieder einnahm. »Die Burgen und Siedlungen sind hoffentlich genauso sorgfältig vorbereitet?« Nicht nur, dass er fragend die Stimme hob, er lupfte auch seine buschigen Augenbrauen und starrte den Burgherrn von Fort erwartungsvoll an.

Paulin stand abermals auf, stöberte in seinen Unterlagen, ehe er das richtige Klemmbrett fand, und räusperte sich. »Bis auf zwei Festungen sind den Berichten zufolge sämtliche Anwesen verteidigungsfähig.« Zuerst heftete er seinen Blick auf Franco, den Burgherrn von Nerat, dann wandte er sich Chalkin zu. »Ich weiß genau, dass Sie die Formulare erhielten, die Sie mir ausgefüllt zurückgeben sollten.«

Der hochgewachsene, hagere, dunkelhäutige Neratianer hob die Hand. »Ich sagte bereits, welche Probleme uns die Vegetation bereitet, Paulin, aber wir sind dabei, die Situation unter Kontrolle zu bringen.« Er schnitt eine Grimasse. »Das ist gar nicht so einfach bei dem schwülwarmen Wetter, das wir hatten und dem Verbot von chemischen Pflanzenvernichtungsmitteln. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen werden. Darüber hinaus haben wir Notüberdachungen für die Beete mit den Sämlingen hergestellt und Sämereien eingelagert, die wir in günstigen Zeiten aussäen können. Außerdem forschen wir weiter, ob es möglich ist, Miniaturpflanzen zu züchten, die nicht nur auf dem freien Feld, sondern auch in Hallen gedeihen. Wir alle sind uns der Probleme sehr wohl bewusst und tun unser Möglichstes, um uns gegen die drohende Gefahr zu wappnen. Die Bewohner unserer Ansiedlungen werden ausnahmslos an den Schulungen für die Bodencrews teilnehmen.«

Paulin nickte und machte sich eine Notiz. »Die landwirtschaftliche Fakultät arbeitet daran, einen Hemmstoff gegen eure tropischen Unkräuter zu finden, Fran.«

»Hoffentlich sind die Forschungen bald von Erfolg gekrönt. Das Zeug schießt sogar aus trockenem Sandboden, es wuchert einfach überall.«

Danach fasste Paulin Chalkin ins Auge, der mit allen Anzeichen von Langeweile seine Fingerringe polierte. »Von Ihnen, Lord Chalkin von Bitra, habe ich überhaupt keine Antwort erhalten.«

»Das eilt ja wohl nicht ...«

»Heute war der Stichtag für die Abgabe des Berichts, Chalkin«, fuhr Paulin unbeirrt fort.

Chalkin zuckte die Achseln. »Ihr anderen könnt euch getrost auf dieses Spiel einlassen, aber ich für meinen Teil glaube nicht, dass im nächsten Frühjahr Fäden auf uns herniederfallen. Wieso sollte ich meinen Leuten dann unnötige Arbeiten aufbürden ...?«

Die aufgebrachten Rufe, die rings um den Tisch laut wurden, verhinderten, dass er den Satz zu Ende sprach.

»Hören Sie, Chalkin ...«

»Moment mal, wissen Sie denn nicht ...«

»Was bilden Sie sich eigentlich ein ...« Empört sprang Bastom auf.

Mit einem feisten, ringgeschmückten Finger zeigte Chalkin auf den Burgherrn von Tillek.

»Die Festungen sind doch autonom, oder etwa nicht? Wird dieses Recht nicht in der Charta garantiert?«, schleuderte Chalkin Paulin entgegen.