Drachentrommeln - Anne McCaffrey - E-Book

Drachentrommeln E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Drachen-Revolution

Pern, der dritte Planet der Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor, ist schon seit Jahrtausenden von Menschen besiedelt. In regelmäßigen Abständen nähert sich der rote Stern, ein eingefangener Trabant, der auf einer langgestreckten Ellipse um Rubkat kreist. Auf ihm hat sich auch Leben entwickelt, das zwar nicht intelligent, aber deshalb nicht minder gefährlich ist. Er stößt Sporen ab, die in die Atmosphäre eindringen und alles verbrennen, was sich ihnen in den Weg stellt. Nur die Drachenreiter können die Bevölkerung vor der Gefahr aus dem All schützen. Musik genießt auf der dünn besiedelten Welt einen hohen Stellenwert. Piemur träumt von einer Karriere als Sänger, doch der Stimmbruch macht seine Träume zunichte. Der Meisterharfner schickt ihn in einer geheimen Mission auf den Südkontinent, wo die alten Drachenkrieger auf Revolution sinnen. Zwei Dinge kommen Piemur bei seiner abenteuerlichen Reise zugute: seine Gewitztheit und seine meisterhafte Beherrschung der Trommelsprache …

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DRACHENTROMMELN

Die Drachenreiter von Pern

Band 5

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Pern, der dritte Planet der Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor, ist schon seit Jahrtausenden von Menschen besiedelt. In regelmäßigen Abständen nähert sich der rote Stern, ein eingefangener Trabant, der auf einer langgestreckten Ellipse um Rubkat kreist. Auf ihm hat sich auch Leben entwickelt, das zwar nicht intelligent, aber deshalb nicht minder gefährlich ist. Er stößt Sporen ab, die in die Atmosphäre eindringen und alles verbrennen, was sich ihnen in den Weg stellt. Nur die Drachenreiter können die Bevölkerung vor der Gefahr aus dem All schützen. Musik genießt auf der dünn besiedelten Welt einen hohen Stellenwert. Piemur träumt von einer Karriere als Sänger, doch der Stimmbruch macht seine Träume zunichte. Der Meisterharfner schickt ihn in einer geheimen Mission auf den Südkontinent, wo die alten Drachenkrieger auf Revolution sinnen. Zwei Dinge kommen Piemur bei seiner abenteuerlichen Reise zugute: seine Gewitztheit und seine meisterhafte Beherrschung der Trommelsprache …

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

DRAGONDRUMS

 

Aus dem Amerikanischen von Birgit Reß-Bohusch

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1979 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-21010-6V003

 

 

 

Mit diesem Buch möchte ich meinen längst fälligen Dank an

Frederick H. Robinson

zum Ausdruck bringen,

aus vielen, vielen, vielen Gründen, aber nicht zuletzt deshalb,

weil ER der Meisterharfner ist.

Personen

 

IN DER GILDEHALLE DER HARFNER

 

Robinton – Meisterharfner; Bronze-Echse Zair

 

Meister:

Jerint – Instrumentenbauer

Domick – Komposition

Morshal – Musiktheorie

Shonagar – Stimmausbildung

Arnor – Archivar

Oldive – Heiler

Olodkey – Trommel-Rhythmen

 

Gesellen des Meisterharfners:

Sebell; Gold-Echse Kimi

Talmor

Menolly; neun Feuerechsen

Prinzesschen (golden)

Rocky (Bronze)

Taucher (Bronze)

Faulpelz (braun)

Spiegel (braun)

Brownie (braun)

Onkelchen (blau)

Tantchen Eins (grün)

Tantchen Zwei (grün)

 

Trommler-Gesellen:

Dirzan

Rokayas

 

Trommler-Lehrlinge:

Piemur

Clell

 

Lehrlinge:

Ranly

Timiny

Brolly

Bonz

Tilgin

 

Silvina – Wirtschafterin

Abuna – Köchin

Camo – schwachsinniger Küchenhelfer

Banak – Herdenaufseher

 

IM BENDEN-WEYR

 

F'lar – Weyrführer

Lessa – Weyrherrin

Felessan – Sohn von F'lar und Lessa

T'gellan – Bronzereiter

F'nor – Brauner Reiter; Gold-Echse Grall

Brekke – Königinnenreiterin; Bronze-Echse Berd

Manora – Wirtschafterin

Mirrim – Pflegetochter von Brekke; drei Feuerechsen

Oharan – Harfner

 

IM SÜD-WEYR

 

T'kul – Weyrführer

Mardra – Weyrherrin

T'ron – Drachenreiter

 

GILDEMEISTER

 

Herdenmeister Briaret

Bergwerksmeister Nicat

 

AUF BURG FORT

 

Baron Groghe; Gold-Echse Merga

N'ton – Weyrführer des Fort-Weyrs; Feuer-Echse Tris

 

AUF BURG NABOL

 

Baron Meron

Candler – Harfner

Berdine – Heiler-Geselle

Deckter – Großneffe von Meron

Hittet – Blutsverwandter von Meron

Kaljan – Bergwerksmeister

Besel – Küchenhelfer

 

AUF BURG IGEN

 

Baron Laudey

Bantur – Harfner

Deece – Harfnergeselle

 

IN DER BURG DES SÜDENS

 

Baron Toric

Saneter – Harfner

Sharra – Torics Schwester

I

 

Piemur erwachte durch das dumpfe Rumbumbum der großen Trommeln, die eine Botschaft aus dem Osten beantworteten. Obwohl er nun seit fünf Planetendrehungen in der Gildehalle der Harfner lebte, ging ihm das laute Dröhnen immer noch bis ins Mark. Vielleicht, dachte er und drehte sich verschlafen um, wäre es etwas anderes, wenn die Trommeln jeden Morgen oder stets im gleichen Rhythmus ertönen würden. Aber er bezweifelte es. Er war nun mal ein leichter Schläfer, eine Eigenschaft, die er früh entwickelt hatte, als er die Herden bewachte und nachts auf die leiseste Unruhe der Renner achten musste. Sein Talent hatte ihm in der Harfnerhalle schon oft geholfen; die übrigen Lehrlinge im Schlafsaal konnten sich kaum zu einem nächtlichen Schabernack oder Racheakt anschleichen, ohne dass er es merkte. Er bekam auch mit, dass oft mitten in der Nacht heimliche Boten den Meisterharfner aufsuchten oder Robinton selbst die Gildehalle verließ; denn der Harfner war sicher einer der wichtigsten Männer von ganz Pern, beinahe so einflussreich wie F'lar und Lessa, die Weyrführer von Benden. Und in warmen Sommernächten hörte er faszinierend ehrliche Ansichten, wenn die Fensterläden des Großen Saales weit offen standen und die Gesellen und Meister glaubten, dass die Lehrlinge längst schliefen. Aber wer so klein und schmächtig war wie er, musste eben seine eigenen Mittel und Wege finden, sich gegen die Stärkeren durchzusetzen, und Lauschen gehörte dazu.

Während er in der grauen Morgendämmerung noch einmal einzuschlafen versuchte, hallte die Trommel in seinen Gedanken wider. Die Botschaft stammte vom Harfner der Burg Ista. Er hatte den Kenn-Rhythmus entziffert. Die Botschaft selbst verstand er nur in Bruchstücken – irgendetwas mit einem Schiff. Vielleicht sollte er doch den Nachrichten-Kode erlernen, auch wenn die Botschaften immer spärlicher kamen, seit so viele Leute die kleinen Feuerechsen besaßen und sie in ganz Pern umherschickten.

Das brachte ihn auf sein Lieblingsthema: Wie konnte er an ein Echsen-Ei herankommen? Menolly hatte ihm zwar eines von Prinzesschens erstem Gelege versprochen, und Piemur fand das nett von ihr, aber er blieb skeptisch. Vermutlich durfte Menolly über die Eier ihrer Königin gar nicht frei verfügen. Meister Robinton würde sie wohl so verteilen, wie es für die Harfnergilde am günstigsten war. Und Piemur konnte Meister Robinton deshalb nicht böse sein. Dennoch, eines Tages war sicher auch er an der Reihe. Er wünschte sich eine Königin – oder wenigstens eine Bronze-Echse.

Piemur verschränkte die Hände hinter dem Kopf und dachte über diese Zukunftsvision nach. Er hatte Menolly oft geholfen, ihre Echsenschar zu füttern, und wusste daher eine ganze Menge über die kleinen Tierchen. Mehr als einige Leute, die Echsen besaßen – die gleichen Leute übrigens, die Planetendrehungen lang behauptet hatten, Feuerechsen seien die Hirngespinste von kleinen Jungen! Bis zu dem Moment, da F'nor, der Reiter des braunen Drachen Canth, an einem Strand des Südkontinents eine kleine Königin für sich gewonnen hatte. Kurze Zeit darauf war es Menolly einen halben Planeten entfernt gelungen, ein Feuerechsen-Gelege vor einer Überschwemmung zu retten. Und seitdem begehrte jeder eine Feuer-Echse, und keiner stritt mehr ab, dass die kleinen Geschöpfe Verwandte der gigantischen Drachen von Pern waren.

Ein angenehmer Schauer überlief Piemur. Am Vortag waren über Burg Fort Fäden gefallen. Die Gesangsklasse hatte gerade Meister Domicks neue Ballade geprobt, die Lessas Weg von der verkannten Küchenmagd auf Ruatha bis zur Weyrherrin von Benden schilderte – eine Geschichte, die sich kurz vor der Wiederkehr des Roten Sterns abgespielt hatte. Aber Piemurs Gedanken waren viel stärker mit den Silberfäden beschäftigt gewesen, die über der gut geschützten Harfnerhalle vom Himmel fielen. Er hatte sich, wie er es bei jedem Sporenregen tat, die großen Drachen vorgestellt, die kraftvoll und elegant zugleich über den Himmel zogen und mit ihrem Feueratem die Fädenknäuel versengten – noch bevor die Sporen den Boden erreichten und alles, was lebte, zerstörten; noch bevor sie sich ins Erdreich gruben und vermehren konnten. Schon der Gedanke an die Fäden ließ Piemur erzittern.

Und seine Bewunderung für Menolly stieg. Die junge Harfnerin hatte nämlich, ehe ihr großes Musiktalent von Meister Robinton entdeckt wurde, in einer Höhle außerhalb der sicheren Burgmauern gelebt und für die neun Echsen gesorgt, zu denen sie unbeabsichtigt eine telepathische Bindung hergestellt hatte, als sie damals das Gelege rettete. Wenn er nur nicht so an die Gildehalle gebunden wäre!, dachte Piemur mit einem Seufzer. Wenn er nur die Möglichkeit hätte, die Strände abzusuchen und selbst ein Gelege zu entdecken ... Natürlich musste er als Lehrling so einen Fund dem Gildemeister abliefern, aber Robinton würde ihm zur Belohnung ganz sicher eines der Eier überlassen.

Das laute Gezeter einer Feuer-Echse ließ ihn hochfahren, und er blinzelte erschrocken. Sonnenlicht strömte über die Außenfassade der Harfnerhalle, die ein großes Viereck um einen weitgedehnten Innenhof bildete. Er war wieder eingeschlafen. Wenn Rocky so laut schrie, dann kam er sicher zu spät zum Füttern. Mit raschen Bewegungen warf er seine Kleider über, nahm die Stiefel in eine Hand und rannte die Treppe hinunter in den Hof, eben als die hungrige braune Echse ein zweites Mal vorwurfsvoll nach ihm rief.

Als Piemur sah, dass Camo eben erst aus der Küche geschlurft kam, eine Schüssel mit Fleischabfällen fest an sich gepresst, atmete er erleichtert auf. Er hatte es noch einmal geschafft! Eilig schlüpfte er in die Stiefel und stopfte die Schnürriemen, um Zeit zu sparen, einfach nach innen. So rannte er stolpernd weiter und stieß fast mit Menolly zusammen, die eben die Stufen des Hauptgebäudes herunterkam. Rocky, Spiegel und Faulpelz umkreisten Piemurs Kopf und schalten ihn mit schrillem Gekeife.

Piemur warf einen Blick auf Prinzessin. Menolly hatte ihm erklärt, dass sich der Goldschimmer einer Echsenkönigin vertiefte, wenn sie kurz vor der Paarung stand. Die Kleine landete auf Menollys Schulter, aber sie hatte die gleiche Farbe wie immer.

»Camo kleine Drachen füttern?« Der Küchenhelfer strahlte, als Menolly und Piemur ihn erreichten.

»Camo kleine Drachen füttern!«, bestätigten Piemur und Menolly gleichzeitig und holten lachend ein paar Fleischbrocken aus der großen Schüssel. Rocky und Spiegel setzten sich wie gewohnt auf Piemurs Schultern, während Faulpelz gar nicht so faul wie sonst auf seinen linken Arm flatterte.

Sobald die Echsen fraßen, warf Piemur Menolly einen forschenden Blick zu. Ob sie die Trommel-Botschaft gehört hatte? Sie sah so aus, als sei sie schon eine ganze Weile wach, und sie wirkte ein wenig geistesabwesend. Nun ja, vielleicht schrieb sie gerade an einer neuen Ballade – obwohl das bestimmt nicht ihre einzige Aufgabe in der Harfnerhalle war.

Kaum hatte sie die Echsen gefüttert, da kam Leben in die Halle. Silvina und Abuna scheuchten die Küchenmägde umher, die das Frühstück richteten; in den Schlafsälen hörte man lautes Rufen; und in den Räumen der Gesellen wurden die Fensterläden zum Lüften aufgestoßen.

Die Echsen flatterten auf das sonnenbeschienene Dach, und Menolly, Piemur und Camo trennten sich: Camo trottete nach einem sanften Schubs von Menolly in die Küche zurück, während die Harfnerin und Piemur auf den Speisesaal zugingen.

Piemurs erste Stunde an diesem Morgen war Gesang. Um diese Zeit des Jahres probten sie voller Eifer für das große Frühlingsfest von Baron Groghe. Meister Domick hatte erstmals mit Menolly zusammengearbeitet, und seine Ballade über Lessa und die Drachenkönigin Ramoth wirkte leicht und schwungvoll wie nie zuvor.

Piemur sollte den Part der Lessa singen. Zum ersten Mal machte es ihm nichts aus, dass er eine »Weiberstimme« übernehmen musste. Im Gegenteil, er wartete angespannt auf seinen Einsatz. Der Moment kam, der Chor schwieg, er machte den Mund auf – und brachte keinen Ton hervor.

»Wach auf, Piemur!«, knurrte Meister Domick und klopfte mit seinem Taktstock verärgert auf das Notenpult. Er wandte sich an den Chor. »Wir wiederholen die letzten Takte von Piemurs Einsatz – falls du jetzt fertig bist, mein Freund!«

Im allgemeinen schüttelte Piemur Meister Domicks beißenden Spott ab, aber da er diesmal wirklich aufgepasst hatte, errötete er unsicher. Er holte tief Luft und summte mit geschlossenem Mund, während der Chor die letzten Takte wiederholte. Von Heiserkeit keine Spur – eine Erkältung war also kaum im Anzug.

Wieder kam sein Einsatz, und er öffnete den Mund. Der Ton, den er sang, schwankte eine ganze Oktave herauf und herunter, und es war eine Oktave, die nirgends in seinem Notenblatt verzeichnet stand.

Mit einem Mal herrschte vollkommene Stille. Meister Domick sah Piemur stirnrunzelnd an, und der schluckte nervös. Eine unbestimmte Furcht stieg in ihm auf und lähmte ihn.

»Piemur?«

»Ja, Meister?«

»Piemur, sing mal die Tonleiter in C!«

Piemur versuchte es, und bei der vierten Note kippte seine Stimme wieder um, obwohl er sich eisern zusammengenommen hatte. Meister Domick legte seinen Taktstock zur Seite und warf Piemur einen langen Blick zu. Seine Miene war ausdruckslos, höchstens eine Spur mitfühlend und resigniert.

»Piemur, ich glaube, du gehst jetzt am besten zu Meister Shonagar. Tilgin, du hast Lessas Part mitgelernt?«

»Ich, Sir? Ich habe mir die Rolle noch nicht einmal angesehen. Ich war sicher, dass Piemur ...« Die verwirrte Stimme des Lehrlings verklang, als Piemur langsam und kraftlos den Saal verließ und quer über den Hof zu Meister Shonagars Raum ging.

Er wollte Tilgins wackliges Solo nicht hören. Einen Moment lang wurde die kalte Furcht in seinem Innern von Geringschätzung verdrängt. Seine Stimme war besser gewesen, als es die von Tilgin je sein würde! Gewesen? Vielleicht bekam er doch nur eine Erkältung. Piemur hustete, aber er wusste schon vorher, dass nicht die Spur von Schleim seinen Rachen belegte. Er schlenderte weiter zu Meister Shonagar und hoffte wider besseres Wissen, dass die Stimmstörung irgendwie vorübergehen würde – dass er seinen Sopran lange genug behielt, um Meister Domicks neue Komposition zu singen. Langsam stieg er die Treppe hinauf und blieb einen Moment lang auf der Schwelle stehen, um seine Augen an das Halbdunkel im Innern zu gewöhnen.

Meister Shonagar war sicher erst vor kurzer Zeit aufgestanden und frühstückte gerade. Piemur kannte die Gewohnheiten seines Lehrers genau. Aber Shonagar saß an seinem Arbeitstisch, einen Ellbogen aufgestützt und das Kinn in die Hand gelegt, den anderen Arm in die Hüfte gestemmt.

»Nun, das kam früher, als wir erwartet hatten, Piemur«, sagte der Meister ruhig. Sein voller Bass dröhnte durch den Raum. »Aber irgendwann war der Stimmwechsel ja fällig.« Sein Tonfall verriet Mitgefühl. Er löste die Hand vom Schreibtisch und machte eine fahrige Geste, als wolle er die Stimmen, die aus dem Übungssaal herüberdrangen, verscheuchen. »Tilgin hat nie und nimmer dein Talent.«

»Aber was fange ich jetzt an, Meister? Meine Stimme war alles, was ich hatte.«

Meister Shonagars strafender Blick verwirrte Piemur. »Alles, was du hattest? Möglich, mein lieber Piemur, aber keinesfalls alles, was du hast! Nicht, nachdem du fünf Planetenumläufe von mir persönlich unterrichtet wurdest! Du verstehst vermutlich mehr von Gesang als jeder Geselle in dieser Gilde.«

»Aber wer würde etwas von mir lernen wollen?« Piemur deutete auf seine schmächtige Gestalt, und seine Stimme schwankte dramatisch. »Und wie könnte ich Unterricht erteilen, wenn ich nicht einmal in der Lage bin, ein paar Töne vorzusingen?«

»Nun, der traurige Zustand deiner Stimme kündigt einen Wechsel an, der diese Dinge bald ins Lot bringen wird.« Shonagar tat seine Einwände mit einer ungeduldigen Geste ab. Er betrachtete Piemur mit zusammengekniffenen Augen und tippte sich an die Brust. »Ich zumindest war auf diese Veränderung nicht ganz unvorbereitet ...« Meister Shonagar seufzte tief. »Du warst ohne Zweifel der schwierigste und raffinierteste, der frechste und verlogenste von all den Lehrlingen, mit denen ich mich abzumühen hatte. Und trotz dieser Eigenschaften hast du etwas gelernt. Du hättest sogar noch mehr lernen können.« Meister Shonagar machte eine Kunstpause. »Ich finde es absolut unverschämt von dir, dass du dir ausgerechnet den Zeitpunkt vor der Uraufführung von Meister Domicks neuem Werk für deinen Stimmbruch ausgesucht hast! Zweifellos ist es eines seiner besten Werke, und ebenso zweifellos dachte er bei der Komposition an deine stimmlichen Fähigkeiten. Nun lass den Kopf nicht hängen, junger Mann – nicht, wenn du vor mir stehst!«

Das dumpfe Grollen des Meisters riss Piemur aus seinen Betrachtungen, die stark von Selbstmitleid gefärbt waren. »Junger Mann! Jawohl, das ist es! Du wirst erwachsen. Und junge Männer brauchen Aufgaben, die ihren Fähigkeiten entsprechen!«

»Welche denn?« Piemurs ganze Niedergeschlagenheit schwang in dieser Frage mit.

»Das, mein junger Freund, wird dir der Meisterharfner erklären.« Meister Shonagars dicker Finger schien Piemur aufzuspießen und schwenkte dann in Richtung von Meister Robintons Fenster.

Piemur unterdrückte gewaltsam die Hoffnung, die in ihm aufzukeimen begann. Aber Meister Shonagar log ihn sicher nicht an – und schon gar nicht, um ihn nur vorübergehend zu trösten.

Sie zuckten beide zusammen, als sie Tilgins Solo hörten. Ein rascher Blick zeigte Piemur, dass Shonagar schmerzlich das Gesicht verzog. »An deiner Stelle würde ich mich jetzt nicht in Meister Domicks Nähe blicken lassen«, meinte Shonagar.

Trotz seines Kummers musste Piemur lachen. Ihm war klar, dass der brillante, aber reizbare Komponist auf den Gedanken verfallen könnte, er habe sich den Stimmbruch absichtlich zugelegt, um andere Leute zu ärgern.

Meister Shonagar seufzte abgrundtief. »Hättest du wirklich nicht noch ein paar Wochen warten können, Piemur?« Das klang wehmütig und resigniert zugleich. »Tilgin wird Tag und Nacht arbeiten müssen, wenn er die Gilde nicht blamieren will. Aber wehe, du sagst das weiter, junger Freund!« Piemur setzte eine Unschuldsmiene auf, und Shonagar drohte ihm finster. »Verschwinde jetzt!«

Gehorsam drehte sich Piemur um, aber auf der Schwelle blieb er wie angewurzelt stehen. »Sie – Sie meinen – im Moment, oder?«

»Im Moment? Ja, was denn sonst? Glaubst du, ich möchte dich noch heute Nachmittag hier herumhängen sehen?«

»Ich meine – werden Sie mich überhaupt noch brauchen?«, fragte Piemur unsicher. Wenn er nicht mehr singen konnte, würde Meister Shonagar wohl einem anderen Lehrling die Aufgaben zuweisen, die er in den vergangenen Planetenumläufen für ihn erledigt hatte. Piemur verlor nur ungern das Privileg, direkt einem Meister unterstellt zu sein. Und er hatte die Botengänge und sonstigen Arbeiten nicht aus reinem Pflichtgefühl erledigt, sondern weil er Shonagar ehrlich mochte. Er liebte die blumige Sprache und den grimmigen Humor des Meisters, und es gefiel ihm, dass dieser Koloss von einem Mann sich keine Sekunde lang von ihm hatte täuschen und hintergehen lassen.

»Im Moment – ja!« Und in seiner ausdrucksstarken Stimme schwang Bedauern mit, ein Bedauern, das Piemur den Abschied ein wenig leichter machte. »Aber ganz sicher nicht für immer!« Das klang schon wieder, als sei er nicht eben begeistert, seinen schwierigen Lehrling auch in Zukunft sehen zu müssen. »Wie könnten wir einander entrinnen, wenn wir beide in der engen Harfnerhalle eingepfercht sind?«

Obwohl Piemur genau wusste, dass Meister Shonagar seine Räume selten verließ, fühlte er sich sehr beruhigt. Er wandte sich zum Gehen und kehrte noch einmal zögernd um.

»Äh – brauchen Sie heute Nachmittag etwas von mir?«

»Du wirst vielleicht nicht abkömmlich sein«, meinte Shonagar mit ausdrucksloser Miene und Stimme.

»Aber, Meister, wer wird Ihnen dann zur Hand gehen?« Und wieder kippte Piemurs Stimme um. »Sie wissen, wie sehr Sie nach dem Mittagessen immer beschäftigt sind ...«

»Wenn du damit fragen willst, ob Tilgin dein Nachfolger wird ...« Spott funkelte in den Augen des Meisters. »Nun, in diesem Punkt kann ich dich beruhigen. Ich werde zwar beträchtliche Zeit aufwenden müssen, um Tilgins Stimme und Musikalität zu verbessern, aber dass er mir hier herumlungert und ...« Die dicken Hände hoben sich abwehrend. »Verschwinde jetzt! Über dieses Problem muss ich gründlich nachdenken. Obwohl es sicher Dutzende von Lehrlingen gäbe, die meine bescheidenen Wünsche erfüllen könnten ...«

Piemur warf ihm einen gekränkten Blick zu und merkte, dass Meister Shonagar krampfhaft blinzelte. Ihm fiel der Abschied nicht leichter als seinem Lehrling.

»Ganz sicher ...« Piemur versuchte, einen leichten Ton anzuschlagen, aber er schaffte es nicht. Wenn Meister Shonagar nur dieses einzige Mal ...

»Geh jetzt, mein Junge! Und du weißt, wo du mich findest, wenn du etwas brauchst.«

Diesmal war der Abschied endgültig, denn der Meister stützte das Kinn in die breite Handfläche und schloss die Augen, als sei er völlig erschöpft.

Rasch verließ Piemur den Raum. Er blinzelte, als er aus dem Halbdunkel ins helle Sonnenlicht trat. Vor der untersten Treppenstufe blieb er stehen. Er hatte das Gefühl, dass seine Beziehung zu Meister Shonagar endgültig abbrach, wenn er diesen letzten Schritt tat. Etwas schnürte ihm die Kehle zusammen. Er schluckte, aber der Knoten blieb. Seine Augen waren feucht. Er biss die Zähne zusammen, stemmte die Fäuste in die Hüften und kämpfte dagegen an, einfach loszuflennen.

Meister Robinton wollte ihm seine neuen Aufgaben zuteilen? Das hieß, dass die Meister bereits mit seinem Stimmwechsel gerechnet hatten. Sicher, man würde ihn nicht von heute auf morgen aus der Harfnergilde verstoßen und zurück zu seinem Vater schicken, wo das langweilige Leben eines Hirten und Bauern auf ihn wartete – und das nur, weil er seinen Sopran verloren hatte! Nein, das nicht, aber man hatte ihn nun mal seiner klaren Stimme wegen zu den Harfnern geholt. Andere Talente besaß er kaum. Talmor behauptete, seine Gitarren- und Harfenbegleitung sei brauchbar, solange die anderen laut genug sangen, um sie zu übertönen. Die Trommeln und Pfeifen, die er unter Meister Jerints Aufsicht hergestellt hatte, waren nicht schlecht, aber auch nicht gut genug, dass er sie beispielsweise auf Festen verhökern konnte. Wenn er sich anstrengte, kopierte er ganz ordentlich die alten Schriften, aber er sah nicht ein, warum er stundenlang mit verkrampften Fingern und Schultern dasitzen und etwas schreiben sollte, was andere in der Hälfte der Zeit viel schöner fertigbrachten. Spaß machte ihm die Sache nur, wenn er seine eigenen Schriftzüge erfinden durfte. Und das durfte er nicht. Nicht, wenn ihm Meister Arnor über die Schulter schaute und etwas von vergeudeter Tinte und kostbaren Pergamenten murmelte.

Piemur seufzte tief. Das einzige, was er echt konnte, war Singen, und damit schien es im Moment vorbei. Im Moment? Oder für immer? Alles, nur das nicht! Abwehrend streckte er die Hände aus und ballte sie erneut zu Fäusten. Er würde wieder singen, wenn sich seine neue Stimmlage gefestigt hatte. Er hatte bei Meister Shonagar eine Menge über Atemtechnik, Phrasieren und Ausdruck gelernt ... wenn er aber als Erwachsener keine gute Stimme hatte? Auf Mittelmäßigkeit würde er verzichten. Das war er seinem Ruf schuldig. Lieber nie mehr den Mund aufmachen als ...

Tilgin verpatzte wieder eine Strophe. Grinsend hörte Piemur zu, wie er noch einmal von vorne anfing. Wenigstens dem Chor würde er fehlen! Er konnte die schwierigste Passage vom Blatt singen, ohne einen Taktschlag auszulassen oder eine Pause zu machen. Selbst die reich ausgeschmückten Diskant-Rollen, die Meister Domick mit Vorliebe komponierte! Ja, Piemur würde dem Chor fehlen!

Dieses Wissen gab ihm Kraft, und er betrat den Hof. Die Daumen lässig in den Gürtel gehakt, schlenderte er auf den Haupteingang der Harfnerhalle zu. Gleich darauf schalt er sich. Ein einfacher Lehrling, der eben seine Sonderstellung bei einem geliebten Meister verloren hatte, besaß kaum Grund zur Lässigkeit, wenn er den ranghöchsten Harfner von Pern aufsuchte. Piemur blinzelte ins Licht und beobachtete die Feuerechsen, die sich auf dem gegenüberliegenden Dach sonnten. Zair, Robintons Bronze-Echse, befand sich nicht bei Menollys Schar. Also war der Meister noch nicht wach. Ihm fiel ein, dass er spät in der Nacht den klaren Bariton von Robinton gehört hatte und dass bald darauf ein Drache vom Hof aus gestartet war. Im Moment verbrachte der Harfner mehr Zeit auf den Weyrn und Burgen als in der Gildehalle.

»Piemur?«

Erschrocken schaute er auf. Menolly stand am oberen Treppenabsatz. Sie hatte leise gesprochen, und ein Blick auf ihre Züge verriet ihm, dass sie wusste, was mit ihm los war.

»Es war wirklich nicht zu überhören«, fuhr sie mit der gleichen sanften Stimme fort. Piemur wusste nicht, ob er sich über ihr Mitgefühl ärgern oder freuen sollte. Menolly verstand ihn sicher besser als alle anderen. Sie hatte selbst erfahren, was es bedeutete, ohne Musik leben zu müssen. »Ist das Tilgin?«

»Ja – und die Schuld an der Katastrophe trage ich!«

»So?« Menolly starrte ihn verblüfft an.

»Warum musste ich ausgerechnet jetzt meinen Stimmbruch bekommen?«

»Tja – warum wohl? Ich bin überzeugt, du hast es nur getan, um Meister Domick zu ärgern!« Menolly grinste ihn an. Sie hatten beide Bekanntschaft mit Domicks aufbrausendem Temperament gemacht.

Piemur trat neben Menolly und erlebte den zweiten Schock des Tages: Er befand sich beinahe in Augenhöhe mit ihr – und die Harfnerin war groß für ein Mädchen! Sie streckte die Hand aus und fuhr ihm übers Haar. Als er ärgerlich zurückwich, lachte sie nur.

»Nun komm schon, Meister Robinton möchte dich sprechen!«

»Warum? Was soll ich denn jetzt anfangen? Weißt du das?«

»Vielleicht, aber ich darf es dir nicht verraten«, erklärte sie und ging mit langen Schritten voraus. Er hatte Mühe, ihr zu folgen.

»Menolly, das ist nicht fair!«

»Die paar Minuten wirst du warten können!« Sie schien sich über seine Verwirrung zu freuen. »Eines steht jedenfalls fest: Auch wenn Domick entsetzt über deinen Stimmwechsel sein mag – der Meister hat sich darüber gefreut.«

»Hör mal, Menolly, gib mir wenigstens einen Tipp! Du schuldest mir noch den einen oder anderen Gefallen!«

»Tatsächlich?« Menolly genoss ihre Überlegenheit.

»Tatsächlich! Und das weißt du ganz genau. Du könntest dich jetzt revanchieren.« Piemur war verärgert. Warum musste sie ausgerechnet in diesem Moment schwierig sein?

»Warum einen Gefallen für eine solche Kleinigkeit verschwenden? Du erfährst ohnehin gleich alles!« Sie hatten den zweiten Stock erreicht und eilten durch den Korridor auf die Räume des Meisterharfners zu. »Es wird Zeit, dass du Geduld lernst, mein Freund.«

Piemur blieb entrüstet stehen.

»Los, komm schon, Piemur!«, sagte sie und winkte ihn näher. »Du bist kein kleines Kind mehr, das sich mit Schmollen oder Charme durchsetzt. Hast du mich damals nicht als erster gewarnt, dass man den Meisterharfner nicht warten lässt?«

»Für heute reichen mir die Überraschungen«, maulte er, aber er ging schneller und stand neben ihr, als sie höflich an der Tür klopfte.

 

Der Meisterharfner von Pern saß an seinem Arbeitstisch, ein Tablett mit dampfendem Klah vor sich. Sonnenlicht strömte durch das Fenster herein und ließ sein Haar silbern schimmern. Robinton hatte sein Frühstück noch nicht angerührt; er fütterte gerade die kleine Echse, die sich an seinen linken Arm klammerte, mit kleinen Fleischbrocken.

»Du gefräßiges Biest! Willst du wohl aufhören, mir die Krallen in den Arm zu schlagen! Das ist kein Stoff, das ist die blanke Haut! Da! Immer noch nicht satt? Benimm dich, Zair! Mir knurrt selbst der Magen. Guten Morgen, Piemur! Komm, du kannst doch mit kleinen Echsen umgehen. Stopf das Vieh hier voll, damit ich endlich einen Schluck Klah zu mir nehmen kann!«

Der Harfner warf Piemur einen flehenden Blick zu.

Der trat mit ein paar raschen Schritten an den Arbeitstisch, nahm ein paar Fleischbrocken in die Hand und lenkte Zairs Blicke auf sich.

»Ah, jetzt fühle ich mich gleich besser!«, rief Meister Robinton, nachdem er in tiefen Zügen von dem Klah getrunken hatte.

In seine Arbeit vertieft, bemerkte Piemur anfangs nicht, dass ihn der Harfner aufmerksam musterte. Dann jedoch spürte er die prüfenden Blicke hinter Robintons halbgeschlossenen Lidern. Er konnte der Miene des Harfners nichts entnehmen. Das längliche Gesicht wirkte in sich gekehrt, die Augen waren noch etwas verquollen vom Schlaf, die Falten zwischen Nase und Mundwinkel tief eingegraben. Der Harfner wirkte alt und müde, aber keineswegs feindselig.

»Dein frischer Sopran wird mir fehlen«, begann der Harfner sanft. »Aber für den Übergang, bis sich deine neue Stimmlage gefestigt hat, habe ich Meister Shonagar um deine Freistellung gebeten. Ich hoffe, es macht dir nichts aus ...« – und ein Lächeln huschte über die Züge des Harfners – »ab und zu für mich, Menolly und meinen guten Sebell ein paar Dinge zu erledigen.«

»Menolly und Sebell?«, stammelte Piemur.

»Ich weiß nicht, warum du das so betonst«, fauchte Menolly, aber auf einen Wink des Harfners hin schwieg sie.

»Ich soll Ihr Lehrling werden?«, fragte Piemur und hielt den Atem an.

»Ganz recht, du wärst unter anderem auch mein Lehrling«, sagte Meister Robinton und unterdrückte ein Lachen.

»Ist das wahr?« Piemur war überwältigt von dieser guten Nachricht. Zair kreischte ärgerlich, denn Piemur hatte einen Moment lang vergessen, ihn zu füttern.

»Entschuldige, Zair!« Hastig nahm Piemur seine Arbeit wieder auf.

»Aber ...« Der Harfner räusperte sich, und Piemur überlegte, welchen Nachteil sein beneidenswerter neuer Status haben könnte (dass ein Haken bei der Sache war, wusste er von Anfang an). »Aber du wirst in Zukunft schöner schreiben müssen ...«

»Damit wir deine Botschaften auch entziffern können«, warf Menolly streng ein.

»... du wirst darüber hinaus die Nachrichtenkodes der Trommler üben, bis du sie rasch und exakt beherrschst ...« Er schaute Menolly an. »Ich weiß, dass Meister Fandarel darauf brennt, seine neue Sende-Einrichtung auf alle Burgen und Höfe auszudehnen, aber das dauert viel zu lange, als dass es von Nutzen für mich wäre. Außerdem gibt es einige Botschaften, die nur die Gilde etwas angehen!« Er machte eine Pause und warf Piemur einen langen Blick zu. »Du bist auf einem Hof groß geworden, wo man Renner züchtete, nicht wahr?«

»Ja, Meister. Und ich kann jeden Renner reiten – selbst über weite Strecken.«

Menollys Miene verriet Skepsis.

»Doch – ehrlich!«

»Du wirst, fürchte ich, mehr als genug Gelegenheit erhalten, das zu beweisen«, meinte der Harfner und lächelte ein wenig über den Eifer seines neuen Lehrlings. »Und noch etwas wirst du beweisen müssen, Piemur – Verschwiegenheit.« Die Stimme von Meister Robinton war sehr ernst geworden, und Piemur nickte ebenso ernst. »Von Menolly weiß ich, dass Geschwätzigkeit eines der wenigen Laster ist, unter denen du nicht leidest. Du behältst im Gegenteil Dinge, die du zufällig erlauschst, so lange für dich, bis du sie zu deinem Nutzen verwenden kannst.«

»Ich, Meister?«

Robinton lachte über seine Unschuldsmiene. »Du, mein lieber Piemur! Und dein treuherziger Blick hilft dir dabei ...« Er unterbrach sich und fuhr dann streng fort: »Wir werden sehen, wie du dich bewährst. Vielleicht ist deine neue Aufgabe nicht so aufregend, wie du denkst, aber wenn du sie gut erfüllst, so hilfst du damit deiner Gilde und mir.«

Lehrling des Meisterharfners!, dachte Piemur. Etwas Besseres hätte ihm nach dem Stimmbruch gar nicht widerfahren können. Bonz und Timiny würden vor Neid erblassen, wenn er ihnen davon erzählte!

»Schon mal gesegelt?«, fragte Menolly mit so durchdringendem Blick, dass Piemur überlegte, ob sie seine Gedanken gelesen hatte.

»Gesegelt? In einem Boot?«

»Zum Segeln braucht man meistens ein Boot«, erklärte sie. »Und ich habe grundsätzlich das Pech, dass meine Begleiter seekrank werden.«

»Heißt das, dass ich vielleicht in den Süd-Kontinent hinunter darf ...?« Piemur hatte im Geiste blitzschnell ein paar erlauschte Informationen zusammengestückelt und daraus seine Schlüsse gezogen. Erst nachdem die Worte hervorgesprudelt waren, merkte er, dass er sich verplappert hatte.

Der Harfner schien alle Müdigkeit abzuwerfen und setzte sich kerzengerade auf; seine Echse begann empört zu kreischen.

Menolly lachte los.

»Na, was habe ich gesagt, Meister?«, rief sie und hob in gespielter Verzweiflung die Arme.

»Wie kommst du ausgerechnet auf den Süd-Kontinent?«, erkundigte sich der Harfner.

Piemur tat es leid, dass er darauf gekommen war.

»Eigentlich nur so«, murmelte er. »Sebell war mitten im Winter ein paar Siebenspannen fort und kam braungebrannt wieder. Wenn er in Nerat, Süd-Boll oder Ista gewesen wäre, hätte ich davon erfahren. Und dann wird auf den Festen gemunkelt, dass unsere Drachenreiter zwar nicht in den Süden gehen dürfen, dass man aber hin und wieder Exilbewohner im Norden sieht. Na ja, und wenn ich F'lar wäre, würde ich unbedingt herauszufinden versuchen, was die Alten im Norden tun. Und ich würde mich bemühen, sie schön im Süden festzuhalten, wo sie auch hingehören. Dann sind da noch all die Jungbarone, die kein eigenes Land erwerben können und darüber nachdenken, wie groß der Süden wirklich ist und ob sie vielleicht ...« Piemur verschluckte den Rest. Der forschende Blick des Meisters nahm ihm die Sprache.

»Weiter!«, drängte Robinton.

»Nun, ich musste die Karte abzeichnen, die F'nor von der Burg im Süden und dem Süd-Weyr angefertigt hatte. Ein kleines Gebiet – nicht größer als Crom oder Nabol. Aber einige Drachenreiter vom Hochland waren im Süden drunten, ehe F'lar die Alten ins Exil schickte, und ihren Berichten nach ist der Süd-Kontinent sehr groß.« Piemur machte eine weitausholende Geste.

»Und ...?«, ermutigte ihn der Harfner ruhig.

»Also, wenn Sie mich so fragen, Meister – ich würde meine Augen offenhalten, denn so wahr ein Ei zerbricht, irgendwann gibt es Ärger mit den Alten ...« – er deutete mit dem Daumen in Richtung Süden –, »und die Jungbarone im Norden lassen sich auch nicht mehr ewig vertrösten. Als Menolly deshalb vorher vom Segeln sprach, wusste ich sofort, wie Sebell in den Süden gelangt war. Auf Drachenschwingen ganz sicher nicht, denn Benden hatte versprochen, dass keine Reiter aus dem Norden den Süd-Kontinent betreten würden. Zum Schwimmen ist die Strecke aber zu weit – falls Sebell überhaupt schwimmen kann.«

Meister Robinton begann leise in sich hineinzulachen, und dann schüttelte er langsam den Kopf.

»Glaubst du, Menolly, dass noch mehr Leute die Zusammenhänge so sehen?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. Als die Harfner-Gesellin die Achseln zuckte, wandte er sich an Piemur: »Hast du diese Ideen für dich behalten, junger Mann?«

Piemur schnaubte verächtlich, doch dann fiel ihm ein, dass er dem Gildemeister mehr Respekt schuldete, und er erklärte rasch: »Wer achtet schon darauf, was Lehrlinge denken oder sagen?«

»Hast du deine Meinung irgendwie gegenüber anderen geäußert?«, beharrte Robinton.

»Natürlich nicht, Meister.« Piemur unterdrückte seine Entrüstung. »Das sind Dinge, die Benden oder die Gilde betreffen, aber nicht mich.«

»Nun, eine unvorsichtige Bemerkung, selbst von einem Lehrling so dahingesagt, könnte in den Gedanken eines Menschen haftenbleiben, bis er die Quelle vergisst und sich nur noch an den Inhalt erinnert. Und den wiederholt er dann.«

»Ich kenne meine Pflicht gegenüber der Harfner-Gilde, Meister Robinton«, sagte Piemur.

»Ich zweifle nicht an deiner Loyalität«, entgegnete der Harfner, den Blick fest auf Piemur gerichtet. »Ich möchte mich nur auf deine Verschwiegenheit verlassen können.«

»Menolly kann es Ihnen bestätigen: Ich bin wirklich kein Schwätzer.« Er warf Menolly einen fragenden Blick zu.

»Normalerweise nicht, das ist mir klar. Aber du könntest versucht sein, etwas auszuplaudern, wenn andere dich reizen oder verspotten.«

»Ich, Sir?« Piemurs Entrüstung war echt. »Bestimmt nicht. Ich bin vielleicht klein, aber ich bin kein Idiot.«

»Kein Mensch wirft dir das vor, junger Freund, aber wie du bereits selbst gesagt hast – wir leben in unsicheren Zeiten. Ich glaube ...«

Der Harfner unterbrach sich und starrte geistesabwesend zum Fenster hinaus. Unvermittelt schien er einen Entschluss zu fassen. Er wandte sich wieder an Piemur und musterte ihn lange. »Menolly hat mir berichtet, dass du eine schnelle Auffassungsgabe besitzt. Mal sehen, ob du die Gründe verstehst, die hinter folgender Entscheidung stehen: Niemand darf erfahren, dass du mein Lehrling bist ...« Und Meister Robinton lächelte verständnisvoll, als Piemur den Atem anhielt. Gleich darauf hatte sich der Lehrling wieder in der Gewalt, und der Harfner nickte anerkennend. »Wir werden den anderen sagen, dass du Meister Olodkey und seinen Trommlern zugeteilt bist; und nur Meister Olodkey wird wissen, dass du auch unter meinem Befehl stehst. Ja ...« – Und Robintons Tonfall verriet Piemur, dass der Meister sehr zufrieden mit diesem Einfall war –, »so muss es gehen. Die Trommler arbeiten ohnehin in Schichten. Niemand wird etwas dabei finden, wenn du gelegentlich fehlst oder Botschaften entgegennimmst.«

Meister Robinton legte Piemur die Hand auf die Schulter und sah ihn freundlich an.

»Keinem wird deine klare Stimme mehr fehlen als mir – ausgenommen vielleicht Meister Domick –, aber hier in der Harfner-Gilde gibt es Leute, die auch auf andere Melodien und Rhythmen achten als der Durchschnitt.« Er nickte ihm ermutigend zu. »Hör dich wie bisher um, mein Junge, und versuche aus den Teilen ein Gesamtbild zusammenzusetzen. Dafür scheinst du ein hervorragendes Talent zu besitzen. Du sollst aber auch darauf achten, wie die Dinge gesagt werden, in welchem Tonfall, mit welcher Nebenbedeutung.«

Piemur grinste schwach. »Harfner-Ohren hören das Gras wachsen!« Meister Robinton lachte. »Naseweis! Bring bitte dieses Tablett zurück zu Silvina und bitte sie, dass sie dich mit Wherleder-Sachen ausstattet. Ein Trommler muss bei jedem Wetter auf seinem Posten sein.«

»Auf den Hügeln der Trommler ist es selten so kalt, dass man Wherleder-Kleider braucht«, meinte Piemur. Dann hielt er den Kopf schräg und sah den Meister bedeutsam an. »Aber im Dazwischen soll es eisig sein ...«

»Nun, was habe ich gesagt?«, triumphierte Menolly, als sie Robintons Verblüffung sah.

»Ein vorlauter Knirps!« Der Meisterharfner drohte so heftig mit dem Zeigefinger, dass Zair auf seinem Arm zu schimpfen begann. »Hinaus mit dir! Und behalte deine Weisheiten für dich, verstanden?«

»Ich werde also tatsächlich Drachenflüge mitmachen?«, bohrte Piemur nach, aber als er sah, dass Robinton Anstalten machte, sich zu erheben, lief er wieselflink aus dem Raum.

»Hatte ich nicht recht, Meister?«, fragte Menolly lächelnd. »Piemur entgeht nichts.«

Robinton nickte belustigt, aber dann starrte er nachdenklich die geschlossene Tür an. »Das stimmt – aber er ist noch so jung ...«

»Jung? Piemur? Der war nie richtig jung. Lassen Sie sich von seinem unschuldigen Kinderblick nicht täuschen! Außerdem zählt er vierzehn Planetenumläufe. So alt war ich auch, als ich die Halbkreisbucht verließ und mit meinen Echsen in der Höhle am Meer lebte. Und was soll man mit diesem Energiebündel sonst anfangen? Meister Shonagar war der einzige, dem es gelang, ihn einigermaßen von Unfug abzuhalten. Der alte Arnor oder Jerint würde das nie schaffen. Meister Olodkey und seine Trommeln sind genau richtig.«

Der Harfner seufzte schwer. »Manchmal begreife ich die Alten fast«, meinte er.

»Wie bitte?« Menolly warf ihm einen erstaunten Blick zu, weil er das Thema so abrupt wechselte.

»Aber, Meister, Sie selbst haben die Neuerungen befürwortet, die F'lar und Lessa einführten! Und Benden verfolgte die richtige Politik. Heute stehen die Burgen und Höfe wieder fest hinter den Weyrn. Außerdem ...« Menolly holte tief Luft. »Außerdem hat mir Sebell erst neulich erzählt, dass die Harfner vor dem Wiedererscheinen des Roten Sterns beinahe ebenso geringschätzig behandelt wurden wie die Drachenreiter. Sie haben diese Gildehalle zum Mittelpunkt von ganz Pern gemacht, Meister. Jeder respektiert Harfner Robinton. Sogar Piemur«, fügte sie mit einem leisen Lachen hinzu.

»Nun, das ist ja wirklich eine Ehre!«

»Und ob«, bekräftigte sie, ohne auf seine melancholische Stimmung zu achten. »Denn ich kann Ihnen versichern – so leicht lässt sich der Junge nicht beeindrucken. Und es macht ihm sicher Spaß, für Sie umherzuhorchen, wie er es bisher für sich selbst getan hat. Er war immer über den Klatsch auf dem laufenden, und ich nehme sogar an, dass er mir davon erzählte, damit ich die wichtigen Dinge an Sie weitergeben konnte. ›Harfner-Ohren hören das Gras wachsen!‹« wiederholte sie.

»Es war leichter während des Intervalls ...«, meinte Robinton und seufzte erneut. Zair, der sich gerade putzte, zirpte fragend und hielt den Kopf schräg, um seinen Freund zu betrachten. Der Harfner streichelte das kleine Geschöpf. »Aber auch langweilig, wenn ich ehrlich sein soll. Und Piemur wird ja nicht ewig für mich arbeiten. Der Stimmwechsel müsste in einem Planetenumlauf abgeschlossen sein. Dann kann er vielleicht wieder seinen Platz als Solosänger einnehmen. Wenn seine Erwachsenen-Stimme nur halb so gut ist wie sein Knabensopran, dann überflügelt er Tagetarl im Nu.«

Diese Aussicht schien ihm die gute Laune wiederzugeben, und Menolly lächelte.

»Die nächtliche Botschaft kam übrigens von Ista. Sebell befindet sich auf dem Heimweg, und er hat die Heilkräuter mitgebracht, die Meister Oldive so dringend benötigt. Wenn der günstige Wind anhält, wird er morgen am Spätnachmittag im Hafen von Fort eintreffen.«

»Tatsächlich? Ich bin gespannt, was unser guter Sebell zu berichten weiß.«

II

 

Nur das Tablett, das er trug, hinderte Piemur daran, Freudensprünge zu vollführen. Für den Meisterharfner selbst zu arbeiten, und sei es noch so indirekt, und zugleich als Lehrling zu Meister Olodkey abgestellt zu werden, war alles andere als ein Prestigeverlust; er hatte nie zu hoffen gewagt, dass er so viel erreichen würde. Allerdings, so gestand sich Piemur ein, hatte er bisher auch kaum einen Gedanken an seine Zukunft verschwendet. Der Stimmwechsel war zu plötzlich gekommen.

Meister Olodkey kam nur selten in die Harfnerhalle; die meiste Zeit verbrachte er droben auf den Trommler-Höhen. Er war ein hagerer, leicht gebeugter Mann mit einem massigen Schädel und struppigem braunem Haar; boshafte Leute behaupteten, er sähe aus wie einer seiner ausgefransten Basstrommelschlegel. Andere meinten, er sei vom Lärm der großen Nachrichtentrommeln längst taub und verstünde die Botschaften nur, weil sein Körper die Luftvibrationen spürte.

Piemur dachte über sein neues Arbeitsverhältnis nach und fand es nicht schlecht: Es gab nur vier Lehrlinge außer ihm, und die hatten ihre Ausbildung fast abgeschlossen; dazu kamen fünf Gesellen, die Meister Olodkey unterstützten. Bei Shonagar hatte er zwar eine Sonderstellung genossen, aber der Meister trug im Grunde die Verantwortung für jeden einzelnen Sänger der Harfnerhalle, während Meister Olodkey selten mehr als zehn Harfner unterstellt waren. Piemur befand sich also wieder in einer Gruppe von Auserwählten. Und er hatte obendrein einen Geheimauftrag.

Er hüpfte die Treppen hinunter und balancierte dabei geschickt das Tablett. Wenn er dem Meisterharfner erst einmal bewiesen hatte, dass er schweigen konnte wie ein Grab ... Robinton täuschte sich gewaltig, wenn er annahm, jeder könnte ihm Dinge entlocken, die er nicht preisgeben wollte. Nichts machte Piemur mehr Spaß, als »Bescheid zu wissen«. Dabei fand er es gar nicht so wichtig, anderen Leuten zu zeigen, wie viel er wusste. Die Tatsache, dass er, Piemur, der Sohn eines kleinen Viehzüchters von Crom, zu den Eingeweihten zählte, reichte ihm voll und ganz.

Ein wenig ärgerte er sich, dass er so vorschnell den Süd-Kontinent erwähnt hatte, aber die Reaktion von Robinton und Menolly hatte bewiesen, dass er sich auf der richtigen Spur befand. Sie waren drunten im Süden gewesen: Sebell ganz sicher, und Menolly vermutlich ebenfalls. Robinton wusste, dass er sich auf die beiden voll verlassen konnte.

Piemur hatte nicht viel mit den Alten zu tun gehabt, ehe F'lar sie ins Exil auf den Süd-Kontinent schickte. Und er bedauerte es nicht, denn er hatte genug über ihre Arroganz und Habsucht gehört. Aber wenn man ihn, Piemur, ins Exil geschickt hätte, er wäre bestimmt nicht einfach dort geblieben. Er konnte nicht begreifen, weshalb die Alten es so ruhig hingenommen hatten, dass man sie in den Süden abschob. Piemur schätzte, dass knapp zweihundertfünfzig Drachenreiter und ihre Angehörigen mit den beiden aufsässigen Weyrführern, T'ron von Fort und T'kul vom Hochland, in den Süd-Kontinent gezogen waren. Siebzehn davon waren später nach Norden zurückgekehrt und hatten Bendens Herrschaft anerkannt – so hieß es zumindest. Da die meisten Drachen und ihre Reiter aus der Vergangenheit bereits sehr alt waren, hatte das Drachenheer von Pern durch ihren Abzug keine echte Schwächung erlitten. Bereits während des ersten Planetenumlaufs hatten Alter und Krankheiten knapp vierzig Drachen gefordert, und nahezu ebenso viele waren im Jahr darauf ins Dazwischen gegangen. Reichlich unachtsam, fand Piemur, sogar für die Drachen der Alten.

Er blieb unvermittelt stehen, als ihm von der Küche her ein verlockender Duft in die Nase stieg. Heiße Beerenpasteten? Ausgerechnet jetzt, wo er auf den Schrecken hin einen Trost dringend nötig hatte! Das Wasser begann ihm im Mund zusammenzulaufen. Wahrscheinlich waren die Bleche eben erst aus dem Ofen gekommen, sonst hätte er den Duft schon früher erschnuppert.

Er vernahm Silvinas Stimme über dem Küchenlärm und schnitt eine Grimasse. Abuna hätte er mit Leichtigkeit ein paar Stücke abbetteln können. Aber Silvina ließ sich von seinen kleinen Tricks nicht beeindrucken. Das hieß ...

Er ließ die Schultern hängen, senkte den Kopf und schlurfte mit müdem Schritt die paar Stufen bis zu den Küchengewölben hinunter.

»Piemur? Was suchst du um diese Zeit hier? Und weshalb bringst du das Frühstückstablett des Harfners zurück? Solltest du nicht in der Probe sein ...?« Silvina nahm ihm das Tablett ab und warf ihm einen anklagenden Blick zu.

»Dann haben Sie noch gar nicht gehört, dass ...?«, fragte Piemur leise und niedergeschlagen.

»Was soll ich gehört haben? Hier unten in der Küche versteht man sein eigenes Wort nicht. Ich ...« Sie stellte das Tablett auf der Arbeitsfläche ab, fasste ihn am Kinn und hob seinen Kopf.

Piemur gelang es, eine Träne aus dem Augenwinkel zu quetschen. Er blinzelte rasch, denn Silvina ließ sich nicht so leicht täuschen. Obwohl, sagte er sich hastig vor, es war ja wirklich traurig, dass er Domicks Komposition nicht singen konnte! Und dass ausgerechnet Tilgin seinen Part übernahm!

»Sag bloß, dass deine Stimme ...«

Piemur hörte das Bedauern und Entsetzen in Silvinas leiser Frage. Ihm kam der Gedanke, dass Frauen ihre Stimmlage nie veränderten und Silvina ihm vermutlich gar nicht nachfühlen konnte, was er empfand. Weitere Tränen folgten den ersten.

»Aber, aber, Kind! Davon geht doch die Welt nicht unter. In einem halben Planetenumlauf hat sich deine Stimme wieder gefestigt.«

»Meister Domicks Musik war eigens für mich geschrieben ...« Es fiel Piemur nicht schwer, loszuschluchzen. Der Gedanke an das neue Werk des Meisters bekümmerte ihn echt.

»Sicher, aber irgendwann musste der Wechsel ja kommen. Und ich kann mir nicht denken, dass du dir diesen Zeitpunkt ausgesucht hast, um Meister Domick zu ärgern ...«

»Meister Domick zu ärgern ...?« Piemur schaute sie entrüstet an. »So etwas fiele mir nicht im Traum ein, Silvina!«

»Aber nur, weil du keinen Einfluss auf den Stimmbruch hast, du kleiner Schurke! Ich weiß, wie sehr du es hasst, ›Weiberrollen‹ zu singen.« Ihre Stimme klang barsch, aber sie nahm einen sauberen Zipfel ihrer Schürze und tupfte ihm sanft die Tränen ab. »Nun, ich scheine etwas geahnt zu haben. Es gibt zumindest einen kleinen Trost für deine große Tragödie.« Sie schob ihn vor sich her und deutete auf die großen Platten, wo gerade die Beerenpasteten abkühlten. Piemur überlegte blitzschnell, ob er weiterheucheln sollte. »Du kannst zwei davon haben, für jede Hand eine, und dann ab mit dir! Hast du schon mit Meister Shonagar gesprochen? Vorsicht, der Kuchen kommt eben erst aus dem Rohr und ist ganz heiß!«

»Hmmm«, entgegnete er und biss trotz ihrer Ermahnung in das erste Stück. »So schmecken sie am besten«, murmelte er mit vollem Mund und halbverbrannter Zunge. »Aber ich bin eigentlich gekommen, um Wherleder-Kleider auszufassen.«

»Du? Wherleder? Wozu brauchst du das dann?« Ihr Blick wurde mit einemmal misstrauisch.

»Ich weiß nicht. Ich werde zu Meister Olodkey versetzt. Aber Menolly hat mich gefragt, ob ich auf einem Renner reiten kann, und dann meinte Meister Robinton, ich sollte Sie um Wherleder-Sachen bitten.«