Die Renegaten von Pern - Anne McCaffrey - E-Book

Die Renegaten von Pern E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Ein steter Kampf ums Überleben in der Wildnis von Pern

Seit jeher haben die Burgen die Menschen auf dem Planeten Pern vor den tödlichen Sporen aus dem All beschützt. Die Burgherren unterstützen die Drachenreiter, die die Bedrohung noch in der Luft vernichten. Aber nicht jeder auf Pern ist Bestandteil dieses Systems. Manche werden zur Strafe aus den Burgen verbannt, manche, wie Jayges Clan, bevorzugen ein freies Leben als fahrende Händler. Und wieder andere verloren ihre Heimat durch Intrigen und Betrug, wie Aramina und ihre Familie. Lady Thella gelingt es, die Outlaws von Pern unter ihrer Führung zu vereinigen. Sie ziehen plündernd und mordend durch das Land, und keiner kann sie aufhalten. Als Thella erfährt, dass Aramina telepathische Kräfte hat und mit den Drachen sprechen kann, ist sie entschlossen, die junge Frau in ihre Gewalt zu bringen. Doch versehentlich überfällt sie Jayges Clan – und schafft sich damit einen erbitterten Feind, der nicht ruhen wird, bis Thella ihre gerechte Strafe bekommen hat.

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DIE RENEGATEN VON PERN

Die Drachenreiter von Pern

Band 10

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Seit jeher haben die Burgen die Menschen auf dem Planeten Pern vor den tödlichen Sporen aus dem All beschützt. Die Burgherren unterstützen die Drachenreiter, die die Bedrohung noch in der Luft vernichten. Aber nicht jeder auf Pern ist Bestandteil dieses Systems. Manche werden zur Strafe aus den Burgen verbannt, manche, wie Jayges Clan, bevorzugen ein freies Leben als fahrende Händler. Und wieder andere verloren ihre Heimat durch Intrigen und Betrug, wie Aramina und ihre Familie. Lady Thella gelingt es, die Outlaws von Pern unter ihrer Führung zu vereinigen. Sie ziehen plündernd und mordend durch das Land, und keiner kann sie aufhalten. Als Thella erfährt, dass Aramina telepathische Kräfte hat und mit den Drachen sprechen kann, ist sie entschlossen, die junge Frau in ihre Gewalt zu bringen. Doch versehentlich überfällt sie Jayges Clan – und schafft sich damit einen erbitterten Feind, der nicht ruhen wird, bis Thella ihre gerechte Strafe bekommen hat.

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

THE RENEGADES OF PERN

 

Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1989 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20928-5V002

 

 

 

JOHN GREENE

Maréchal de logis

1958–1988

 

»O, Johnny, why did they do ye?«

INHALT

 

Einführung

Prolog

1. Siedlung im Osten von Telgar. Gegenwärtige (neunte) Annäherungsphase des Roten Sterns – Erster Planetenumlauf. Dritter Monat. Vierter Tag

2. Siedlung im Norden von Telgar. Burg Igen 12.04.02

3. Südkontinent 06.04.11

4. Lemos und Telgar. Südkontinent – 12. Planetenumlauf

5. Igen und Lemos – 12. Planetenumlauf

6. Südkontinent. Telgar – 12. Planetenumlauf

7. Lemos. Südkontinent. Telgar – 12. Planetenumlauf

8. Von Telgar zum Gestüt von Keroon. Südkontinent. Burg Benden – 12. Planetenumlauf

9. Burg Benden. Benden-Weyr – 12. Planetenumlauf

10. Südkontinent 22.05.15–03.08.15

11. Südkontinent 28.08.15-15.10.15

12. Südkontinent 19.10.15

13. Südkontinent. Burg Nerat 23.10.15

14. Südkontinent 15.–17. Planetenumlauf

15. Südkontinent – 17. Planetenumlauf

16. Südkontinent – 17. Planetenumlauf

 

Einführung

 

Als die Menschen Pern, den dritten Planeten der Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor entdeckten, schenkten sie dem Roten Stern, einem weiteren Satelliten des Systems mit stark exzentrischem Orbit, wenig Beachtung.

Die Kolonisten nahmen den neuen Planeten in Besitz, passten sich an die fremde Umgebung an und breiteten sich auf dem freundlicheren Südkontinent aus. Dann brach in Form eines Regens aus pilzsporenähnlichen Organismen, die in blinder Gefräßigkeit alles außer Stein, Metall und Wasser verschlangen, die Katastrophe über sie herein. Anfangs waren die Verluste überwältigend. Doch zum Glück für die junge Kolonie waren die ›Fäden‹, wie die Siedler den zerstörerischen Niederschlag nannten, nicht völlig unbesiegbar: Mit Wasser und Feuer konnte man der Bedrohung zu Leibe rücken.

Die Siedler setzten ihren bewährten Erfindungsreichtum ein und veränderten mit Hilfe der Gentechnik eine einheimische Lebensform, die Ähnlichkeit mit den Drachen der irdischen Mythologie hatte. Die riesigen Wesen, die bei ihrer Geburt eine feste Bindung mit jeweils einem Menschen eingingen, wurden zu Perns wirksamster Waffe gegen die Fäden. Die Fähigkeit, phosphorhaltiges Gestein zu zerkauen und zu verdauen, versetzte die Drachen in die Lage, buchstäblich Feuer zu speien und die Sporen in der Luft zu versengen, ehe diese den Boden erreichten. Da sie nicht nur fliegen, sondern auch teleportieren konnten, waren sie wendig genug, um den gefährlichen Fäden während der Kampfeinsätze auszuweichen. Und die Möglichkeit der telepathischen Verständigung mit ihren Reitern wie mit ihren Artgenossen gestattete die Bildung leistungsfähiger Kampfgeschwader.

Ein Drachenreiter musste ein Mensch mit besonderen Eigenschaften sein und sich seiner Aufgabe mit Leib und Seele verschreiben. Diese Anforderungen führten dazu, dass die Drachenreiter mit der Zeit eine eigene Gruppe bildeten und sich absonderten von den anderen, die trotz der Zerstörungen durch die Sporen das Land bebauten oder als Handwerker in ihren Gildehallen andere lebensnotwendige Dinge herstellten.

Im Laufe der Jahrhunderte ließ der ständige Kampf gegen die Fäden, die immer dann über das Land fielen, wenn der exzentrische Orbit des Roten Sterns die Umlaufbahn von Pern kreuzte, die Menschen vergessen, woher sie ursprünglich kamen.

Freilich gab es auch lange Intervalle, in denen keine Fäden das Land verwüsteten, und in denen die Drachenreiter in ihren Weyrn ihren mächtigen Freunden dennoch die Treue hielten, denn eines Tages würden sie wieder gebraucht werden, um das Volk zu beschützen, wie sie es einst geschworen hatten.

Solch ein langes Intervall geht zu Beginn unserer Geschichte seinem Ende entgegen, aber da es noch ein Jahrzehnt dauern wird, bis das Wiedererscheinen des Roten Sterns eine neue Phase der Fädeneinfälle einleitet, sind sich bislang nur wenige der drohenden Gefahr bewusst. Ja, die meisten Menschen glauben nicht daran, dass jemals wieder Fäden fallen werden. Sie wiegen sich in trügerischer Sicherheit und sind selbstzufrieden geworden. Diese Selbstzufriedenheit lässt Zwietracht in Burgen und Gildehallen entstehen und löst eine Kette von Ereignissen aus, die zur Bildung einer neuen Gruppe führt, den Renegaten von Pern!

Prolog

 

In der Nordwestprovinz des Hochlandes beginnt ein ehrgeiziger Mann mit einem Eroberungsfeldzug, der ihn zum mächtigsten Burgherrn auf ganz Pern machen wird. Fax heißt dieser Mann – und bald wird sein Name in aller Munde sein ...

Währenddessen in den Hügeln von Lemos, im Ostgebirge von Pern ...

»Da ist er wieder«, sagte die Frau und spähte aus dem staubblinden Fensterschlitz, als sie auf dem Kopfsteinpflaster vor dem kleinen Anwesen Hufe klappern hörte. »Ich hab' dir ja gesagt, dass er wiederkommt. Jetzt geht's dir an den Kragen.« Ein Unterton von Schadenfreude klang in ihrer Stimme mit.

Der verwahrloste Mann am Tisch warf ihr einen verächtlichen Blick zu. Sein Bauch war voll, obwohl er bei jedem Bissen gemurrt hatte, Getreidebrei sei kein Essen für einen erwachsenen Menschen, und er hatte eben beschlossen, eine Weile fischen zu gehen.

Die Metalltür der Behausung wurde energisch aufgestoßen, und ehe der Kleinpächter aufspringen konnte, war der Raum bereits voll von entschlossenen Männern mit nicht zu übersehenden Kurzschwertern am Gürtel. Die Frau drückte sich wimmernd in die hinterste Ecke, ohne sich um die Töpfe und Becher zu kümmern, die mit lautem Geklapper aus dem Hängeschränkchen fielen.

»Felleck, du musst hier raus!«, befahl Baron Gedenase in schneidendem Ton. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt, der schwarzlederne Reitumhang spannte sich über seine Ellbogen und ließ ihn hünenhafter erscheinen, als er eigentlich war.

»Raus? Raus, Baron Gedenase?«, stammelte Felleck und kam taumelnd auf die Füße. »Ich war grade auf dem Weg, Baron, um uns ein paar Fische zum Abendessen zu fangen ...« Seine Stimme schlug um in ein klägliches Winseln. »Wir haben nämlich nur gekochtes Getreide zu essen.«

»Ob ihr hungert oder nicht, interessiert mich nicht mehr.« Baron Gedenase drehte sich um, musterte den schmutzstarrenden, feuchten Raum mit den morschen Möbeln und blähte angewidert die Nüstern, als ihm der Modergeruch in die Nase stieg. »Du hast jetzt zum vierten Mal versäumt, deine Abgaben zu entrichten, obwohl dir mein Verwalter großzügig half, Ersatz für dein verschimmeltes Saatgut und die Geräte zu beschaffen, die durch deine Nachlässigkeit zu Bruch gegangen waren, und dir sogar ein neues Zugtier gab, als das deine die Fußfäule bekam. Jetzt ist endgültig Schluss! Pack deine Sachen und verschwinde!«

Felleck war wie vor den Kopf geschlagen. »Ich soll verschwinden?«

»Verschwinden?«, kam es zittrig von der Frau.

»Ja, ihr sollt verschwinden!« Lord Gedenase trat einen Schritt zur Seite und deutete streng auf die Tür. »Ihr habt genau eine halbe Stunde Zeit, um eure Habseligkeiten zusammenzusuchen« – der Burgherr blickte sich mit verächtlich hochgezogenen Augenbrauen in der erbärmlichen Behausung um – »dann will ich euch hier nicht mehr sehen!«

»Aber ... aber ... wo sollen wir denn hin?«, schrie die Frau verzweifelt, aber sie war schon dabei, Töpfe und Pfannen aufzuheben.

»Das ist eure Sache«, gab der Burgherr zurück. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und schritt, mit dem Fuß einen Topfdeckel beiseite stoßend, aus dem Raum. Er überließ es seinem Verwalter, die Räumung zu überwachen, bestieg seinen Renner und ritt davon.

»Aber wir haben doch immer zu Lemos gehört«, schniefte Felleck und verzog kläglich das Gesicht.

»Jedes Anwesen trägt sich selbst und leistet Tribut an den Burgherrn«, erklärte der Verwalter ungerührt und verschränkte die Arme. »Das deine nicht! Noch fünfundzwanzig Minuten.«

Laut schluchzend ließ die Frau die Töpfe in ihrer Schürze zu Boden fallen und hielt sich die Ohren zu, um den vernichtenden Spruch nicht hören zu müssen. Felleck gab ihr eine Ohrfeige und fauchte erbittert: »Hol den Packsack, du dummes Schwein. Und roll das Bettzeug zusammen! Nun mach schon!«

Die Räumung war rechtzeitig beendet, und Felleck und seine Frau wurden, tief gebeugt unter ihrer Last, über den schmalen Pfad von ihrem Anwesen fortgetrieben. Felleck drehte sich noch einmal um, ehe sein früheres Heim hinter der Biegung verschwand, und da sah er den Wagen, der neben seinem leeren Stall vorgefahren war; er sah eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm und einem etwas älteren Kind neben sich auf dem Sitz; er sah die ordentlich gepackten Sachen, die kräftigen Zugtiere im Joch, die hinten am Wagen festgebundene Milchkuh, und er spie einen Schwall von Flüchen aus und versetzte seiner Frau einen heftigen Stoß, der sie taumeln ließ.

Im Stillen schwor er Baron Gedenase – und allen Bewohnern von Lemos – Rache für diese Schmach. Das würden sie bereuen, dafür würde er sorgen. Jedem einzelnen von ihnen sollte es noch leid tun!

 

Fax' Blitzfeldzug hatte Erfolg: Nun ist er Herr über das Hochland, über Crom, Nabol, Keogh, Balen, über die Burg an der Flussbiegung und über Ruatha. Sie alle hat er durch Heirat, durch Mord oder durch das brutale Vorgehen seiner Plündertrupps an sich gebracht. Tillek, Fort und Boll rufen alle wehrfähigen Männer zusammen, bewaffnen sie und bilden sie zur Verteidigung aus. Man unterhält Signalfeuer auf den Hügelkuppen und wirbt schnelle Reiter an, um unverzüglich von jeder Grenzverletzung unterrichtet zu werden. Doch die Kunde von diesen Umwälzungen dringt nur langsam in die entlegeneren Gehöfte ...

Dowell wusste immer Bescheid, wenn jemand über den Karrenpfad zu seinem Berghof unterwegs war: das Klappern beschlagener Hufe schallte vom nächsten Tal aus deutlich zu ihm herauf.

»Ein Bote kommt, Barla!«, rief er seiner Frau zu und legte den Hobel nieder, mit dem er ein schönes Stück Fellisholz für die Lehne eines Stuhls geglättet hatte, ein Auftrag für Baron Kale von Ruatha. Er runzelte die Stirn, als seine Ohren ihm verrieten, dass mehrere Reiter auf dem Weg zu ihm waren – und dass sie es eilig hatten. Doch dann zuckte er die Achseln. Hier herauf kamen nur selten Gäste, und Barla hatte gern Besuch. Obwohl sie sich nie beklagte, machte er sich oft Vorwürfe, weil sie seinetwegen im Frühling und Sommer so hoch oben in den Bergen hausen musste.

»Ich habe frisches Brot und eine Schüssel Beeren anzubieten«, sagte sie und kam an die Tür. Wenigstens hatte er für eine wirklich schmucke, geräumige Wohnung gesorgt, beruhigte er sich oft, drei große Räume zu ebener Erde in die Felswand gehauen, und fünf weitere darüber. Sie hatten einen guten Stall für ihre Renner und die beiden Lasttiere, mit denen er die Baumstämme aus den Wäldern schleppte, sowie einen Trockenboden, um das Holz zu lagern.

Die Besucher, zehn oder mehr an der Zahl, brachten ihre Tiere mit einem jähen Ruck auf der Lichtung zum Stehen. Ein Blick in die unbekannten, schweißnassen Gesichter, und Barla versteckte sich hinter Dowell und wünschte unwillkürlich, sie hätte sich das Gesicht mit Mehl oder Ruß beschmiert.

Die Augen des Anführers wurden schmal, und sein Lächeln bekam einen Anflug von Gehässigkeit. »Du bist Dowell?« Er saß ab, ohne eine Antwort abzuwarten. »Alles durchsuchen!«, blaffte er über die Schulter.

Dowells Finger ballten sich zur Faust, er bedauerte schon, dass er den Hobel weggelegt hatte, aber er nahm die Schultern zurück und tastete mit der Linken nach der Hand seiner Frau. »Ich bin Dowell. Und wer sind Sie?«

»Ich komme von der Burg Ruatha. Fax ist euer neuer Burgherr.«

Dowell hörte Barla erschrocken nach Luft schnappen und drückte ihr fest die Hand. »Mir war gar nicht bekannt, dass Baron Kale gestorben ist. Sicher ...«

»In dieser Welt ist nichts sicher, Zimmermann.« Der Mann schlenderte lässig auf die beiden zu, ohne Barla aus den Augen zu lassen. Am liebsten hätte sie ihr Gesicht in Dowells Schulter vergraben, um diesem lüsternen Blick zu entgehen.

Plötzlich riss der Anführer des Trupps sie von Dowell weg und drehte sie mit gackerndem Gelächter immer wieder um die eigene Achse, bis ihr schwindlig wurde und sie nach dem nächstbesten Halt – nach ihm – greifen musste, um nicht umzufallen. Dann zog er sie zu ihrem Entsetzen an sich. Sie spürte den groben Staub auf seinem Ärmel und seiner Schulter, sah das eingetrocknete Blut auf seinem Kragen. Das stoppelige Gesicht mit der großporigen Haut war ihr plötzlich viel zu nahe, und ein Schwall seines stinkenden Atems traf sie, ehe sie die Augen schließen und den Kopf zur Seite wenden konnte.

»An deiner Stelle würde ich die Finger von ihr lassen, Tragger«, sagte jemand leise. »Du kennst Fax' Befehle, und außerdem ist der Pflug für dieses Jahr schon drübergegangen.«

»Wir haben niemand gefunden, Tragger«, meldete ein anderer Mann, der einen müden Renner hinter sich herzog. »Sie sind ganz allein hier.«

Der Anführer drehte Barla noch einmal herum und ließ sie dann los, sie verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem erstickten Aufschrei schwerfällig zu Boden.

»An deiner Stelle würde ich die Finger von ihm lassen, Waldmensch«, sagte dieselbe leise Stimme, die schon Tragger gewarnt hatte.

Angstvoll blickte Barla auf und sah, dass Dowell alle Muskeln anspannte, um sich auf Tragger zu stürzen. »Nein, o nein!«, schrie sie und rappelte sich mühsam auf. Diese Männer hatten sicher keine Hemmungen, Dowell umzubringen, und wer sollte sie dann beschützen, nachdem auch Baron Kale, ihr Verwandter, tot war?

Sie klammerte sich an Dowell, während Tragger seine Männer aufsitzen ließ. Er riss sein Tier herum, funkelte sie aus zusammengekniffenen Augen an, und verzog die Lippen zu einem grausamen Lächeln. Dann winkte er mit dem Arm, und der Trupp sprengte den Pfad hinunter. Barla und Dowell blieben, zutiefst aufgewühlt von der kurzen Begegnung, allein zurück.

»Hast du dich verletzt, Barla?« Dowell umarmte seine Frau zärtlich und berührte vorsichtig ihre Körpermitte.

»Mir ist nichts geschehen, Dowell«, beruhigte ihn Barla und streichelte die Hand auf dem schwangeren Leib. ›Noch nicht‹ war das Wort, das in der Stille widerhallte.

»Fax soll jetzt Baron von Ruatha sein?«, murrte Dowell. »Baron Kale war bei bester Gesundheit, als ...« Er verstummte kopfschüttelnd.

»Sie haben ihn ermordet. Ich weiß es. Dieser Fax! Ich habe schon von diesem Emporkömmling aus dem Hochland gehört. Er hat Lady Gemma geheiratet, und es war eine hastige, erzwungene Hochzeit. Das sagten jedenfalls die Harfner – aber nur ganz leise. Sie nannten ihn ehrgeizig, skrupellos.« Barla schauderte. »Könnte es sein, dass er alle Bewohner der Burg ermordet hat? Auch Kales Gemahlin? Lessa und ihre Brüder?« Sie sah bestürzt zu ihm auf, Verzweiflung spiegelte sich in ihren Zügen.

»Wenn er das Geschlecht der Ruatha ausgerottet hat ...« Dowell zögerte, seine Finger ballten sich über dem Leib seiner Frau zur Faust. »Du gehörst doch als Kusine zweiten Grades ebenfalls zur Familie.«

»Oh, Dowell, was sollen wir nur tun?« Barla hatte schreckliche Angst – um sich selbst, um ihr Kind und um Dowell, und sie trauerte um all jene, die ein so blutiges Ende gefunden hatten.

»Was wir können, Frau, was wir können. Ich bin ein geschickter Handwerker und finde überall ein gutes Auskommen. Wir ziehen nach Tillek. Von hier aus ist es nicht weit bis zur Grenze. Komm, Barla. Wir essen ein Stück frisches Brot und ein paar Beeren und machen Pläne. Ich will keinem Baron unterstellt sein, der nicht vor Mord zurückscheut, um einen anderen aus seiner Stellung zu verdrängen.«

 

Auch fünf Planetenumläufe nach Fax' Überraschungsangriffen unterhält Tillek noch immer eine volle Streitmacht, obwohl der Reiz des Neuen längst verflogen ist und die Langeweile in den Kasernen ein enormes Problem darstellt. Häufig finden Ringkämpfe statt, denn das hält die Leute in Form und sorgt bei Festen, wenn die Sieger der verschiedenen Kasernen gegeneinander antreten, für Unterhaltung ...

Als der Kopf des Mannes mit einem unheilverkündend dumpfen Geräusch auf dem Pflaster aufschlug, wurde Dushik augenblicklich nüchtern. Im nächsten Atemzug lag er neben dem Körper auf den Knien und tastete die Halsschlagader nach dem Puls ab.

»Das wollte ich nicht. Ich schwöre, ich wollte ihn nicht verletzen!«, schrie Dushik. Er sah die Männer an, die im Kreis um ihn herumstanden, und die plötzlich aufkommende Feindseligkeit in ihren Gesichtern entging ihm nicht. Hatten sie ihn nicht eben noch angefeuert? Hatten sie nicht Wetten auf ihn abgeschlossen? War er auf diesem Fest nicht genug angepöbelt worden? Wie viele Weinschläuche und Branntweinflaschen hatte man ihm aufgedrängt!

Ein stämmiger Festverwalter drängte sich in den freien Raum in der Mitte des Kreises. »Ist er tot?«

Dushik stand auf, sein Mund füllte sich mit Galle. Er konnte nur nicken. Das war das dritte Mal, erinnerte ihn sein weinbenebelter Verstand. Das dritte Mal.

»Das ist das dritte Mal, Dushik«, sagte der Verwalter und zupfte ihn am Ärmel. »Man hat dich oft genug verwarnt wegen deiner ewigen Schlägereien ...«

»Ich hatte zuviel getrunken.« Dushik bemühte sich verzweifelt, irgendeine Entschuldigung zu finden. ›Das dritte Mal‹ bedeutete, dass man ihn aus der Burg und aus seiner Kate verjagen und ihm verbieten würde, die Arbeit zu tun, die er gelernt hatte. Drei Tote bei Schlägereien, ganz gleich, wie es dazu gekommen war, bedeuteten weiterhin, dass er sich auch bei keinem anderen Burgherrn mehr als Pächter zu bewerben brauchte. Ein Geächteter würde er sein – ein Heimatloser. »Sie ... sie haben mich aufgehetzt!« Nun versuchte er, den Umstehenden die Schuld zu geben, jenen, die auf seine Überlegenheit als Ringkämpfer gewettet hatten. »Sie ... sie haben mich dazu getrieben!«

Plötzlich drängte sich Baron Oterel in den Kreis. »Was geht hier vor?« Sein Blick wanderte von Dushik zu dem reglosen Körper auf dem Pflaster. »Du schon wieder, Dushik? Der Mann ist tot? Dann fort mit dir, Dushik. Die Burg ist dir verschlossen. Alle Burgen sind dir verschlossen. Zahlen Sie ihn aus, Verwalter, und lassen Sie ihn an die Grenze zum Hochland geleiten. Fax kann diese Sorte Männer gebrauchen!« Oterel schnaubte geringschätzig. »Und schaffen Sie die Leiche weg. Ich will nicht, dass das Fest durch einen solchen Zwischenfall verdorben wird!« Er drehte sich auf dem Absatz um, und die Zuschauer machten ihm respektvoll Platz.

»Er hat mir gar nicht zugehört!«, schrie Dushik, aber vergebens, der Verwalter ließ sich nicht umstimmen. »Er hat mich nicht verstanden.«

»Drei Tote, nur weil du die Fäuste nicht zurückhalten kannst, Dushik, das ist einer zuviel. Du hast gehört, was Baron Oterel sagte.«

Drei kräftige Männer packten Dushik mit hartem Griff. Er wurde in die Kaserne zurückgeführt, wo er seine Sachen zusammenpacken durfte, dann sperrte man ihn über Nacht in die kleine Arrestzelle an der Rückseite des Stalls. Nicht einmal Baron Oterel hätte seinen Männern zugemutet, auf ein Fest zu verzichten, um einen unerwünschten Mann an die Grenze zu bringen. Doch auch am nächsten Morgen waren seine Begleiter weder sehr gesprächig, noch verziehen sie ihm den langen Marsch.

»Komm nie wieder nach Tillek zurück, Dushik«, sagte der Anführer zum Abschied. Doch im letzten Augenblick überreichte er ihm sein Schwert, sein langes Messer und einen Sack mit Reiseproviant.

 

Nach sieben Planetenumläufen hat man sich mit Fax' widerrechtlichen Eroberungen mehr oder weniger abgefunden – außer in der Harfnerhalle. Meisterharfner Robinton erhält immer wieder besorgniserregende Berichte von seinen Harfnern und misstraut dem gespannten Frieden. Fax ist ehrgeizig, und da alle Burgen außer Ruatha unter seiner brutalen Verwaltung gedeihen, ist es durchaus möglich, dass er irgendwann den Blick nach Osten richtet, auf die weiten, fruchtbaren Ebenen und die Bergwerke von Telgar. Als sei er sich der Überwachung durch die Harfnerhalle bewusst, hat Fax begonnen, alle Harfner mit den fadenscheinigsten Begründungen von seinen Höfen und Gildehallen zu verweisen. Was immer die Kinder von den Harfnern lernen können, sagt Fax, werden ihnen in Zukunft seine Beauftragten beibringen. Er hat der Autorität getrotzt – und Erfolg gehabt. Wogegen wird er sich als nächstes auflehnen?

Es ist, als verbreiteten die Winde, die über den Nordkontinent fegen, eine Seuche über das Land, denn auch andere begehren auf gegen die alten Sitten und Gebräuche. In Ista, gewiss einer der konservativsten Gegenden, widersetzt sich ein junger Mann der Autorität seines Vaters ...

»Es ist mir egal, ob seit den Ersten Aufzeichnungen sämtliche Generationen dieser Familie glücklich und zufrieden auf der Palisadeninsel gelebt haben – ich möchte mich auf dem Festland umsehen!« Toric unterstrich die letzten vier Worte mit nachdrücklichen Faustschlägen auf den langen Küchentisch. Sein Vater, Meister der Fischergilde, war anfangs schockiert, doch allmählich geriet er in eisigen Zorn darüber, dass ihm sein Zweitältester Sohn öffentlich – vor seinen jüngeren Geschwistern und den vier Lehrlingen – die Stirn bot. »Auf Pern gibt es noch einiges mehr als diese Insel und Ista.«

»Aber Toric!«, schaltete seine Mutter sich entsetzt ein. Immer wieder hatte sie ihm begütigend zugeredet und auch versucht, ihren aufgebrachten Gatten zu besänftigen.

»Und wie, wenn ich fragen darf« – sein Vater hob die Hand, um seine Frau zum Schweigen zu bringen –, »wie willst du außerhalb dieser Gildehalle dein Leben fristen?«

»Ich weiß es nicht, Vater, und es ist mir auch gleichgültig, aber keine Sorge, ich werde dir nicht zur Last fallen, weil ich nicht den Rest meines Lebens hier verbringen werde!« Toric stieg über die Bank, auf der er wieder einmal eine dieser grässlichen Mahlzeiten abgesessen hatte. »Da draußen liegt ein ganzer Kontinent, und ich werde sehen, wozu ich sonst noch tauge. Ich habe dich in aller Freundschaft um mein Gesellenabzeichen gebeten. Du hast es mir verweigert, also heuere ich auf dem Handelsschiff an.«

»Wenn du diesen Dreckskahn besteigst ...« Der Vater erhob sich, als sein achtzehnjähriger Sohn mit langen Schritten zur Tür ging und sein Ölzeug vom Haken nahm. »Wenn du gehst«, brüllte er ihm nach, »sollen dir Halle und Hof für immer verschlossen bleiben, nirgendwo sollst du Aufnahme finden. Ich werde es von den Harfnern verkünden lassen!«

Die Tür wurde so heftig zugeschlagen, dass der Riegel hochschnellte und sie mit quietschenden Angeln wieder aufschwang. Die anderen am Tisch saßen da wie betäubt, mit einem solchen Auftritt am Ende eines anstrengenden Tages hatte niemand gerechnet. Der Fischermeister hörte draußen die stahlgenagelten Stiefelabsätze über die Steinplatten klappern und wartete, bis die Schritte verklungen waren. Dann setzte er sich wieder, sah seinen ältesten Sohn an, der sich von seiner Überraschung noch immer nicht erholt hatte, und sagte verbittert, mit halb erstickter Stimme: »Die Angeln müssen geölt werden, Brever. Kümmere dich nach Tisch darum.«

Seine Frau konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken, doch ihr Mann schenkte ihr keine Beachtung. Er erwähnte Torics Namen nie wieder, auch dann nicht, als fünf seiner noch verbliebenen neun Kinder dem Beispiel ihres Bruders folgten und die Palisadeninsel auf Nimmerwiedersehen verließen.

 

Keroon – Winter – zwei Planetenumläufe später ...

»Sie macht lange Finger, und das habe ich dir auch immer wieder gesagt, Mann. Sie wird nicht länger auf diesem Hof arbeiten.«

»Aber wir haben Winter, Frau.«

»Das hätte Keita sich überlegen sollen, ehe sie einen ganzen Laib Brot stibitzte. Wofür hält sie uns eigentlich? Für Dummköpfe? Für so reich, dass wir mehr in sie hineinstopfen können, als sie braucht, um ihre Arbeit zu tun? Sie geht noch heute Abend. Von jetzt an ist sie heimatlos. Das kann sie sich gleich hinter die Ohren schreiben. Vom Graufels-Hof bekommt sie keine Empfehlung, falls jemand töricht genug sein sollte, diese Schlampe einzustellen.«

 

In Keroon erreicht zur Zeit der ersten großen Springfluten in jenem achten Planetenumlauf nach Fax' Aufstieg ein schwer angeschlagenes Schiff mit zerfetzten Segeln, geknicktem Hauptmast und gebrochenem Bugspriet endlich den sicheren Hafen, und etliche Besatzungsmitglieder geloben feierlich, sich eine weniger gefahrvolle Beschäftigung zu suchen. Der dritte Maat hat keine Aussicht mehr, eine bezahlte Tätigkeit zu finden ...

»Hör zu, Brare, ich habe den Anteil, der dir zusteht, noch um ein paar Marken erhöht, aber ein Einbeiniger ist in den Rahen oder an den Netzen nicht zu gebrauchen, daran ist nicht zu rütteln. Mein Bruder, er ist Hafenmeister, wird sich um dich kümmern, bis du ganz wiederhergestellt bist. Rede mit ihm, sieh dir an, was es am Hafen so zu tun gibt. Du hattest immer geschickte Hände. Ich habe dir auch ein gutes Zeugnis ausgestellt. Jeder Burgherr kann daraus ersehen, dass du ein ehrlicher Mann bist, der wegen eines Unfalls sein Gewerbe nicht mehr ausüben kann. Irgendwo nimmt man dich schon auf. Es tut mir aufrichtig leid, dich auf Strand setzen zu müssen, Brare, das kannst du mir glauben.«

»Aber Sie tun es trotzdem, nicht wahr, Meister?«

»Keine Vorwürfe, Fischer. Ich gebe mir wirklich alle Mühe mit dir. Dieses Leben ist schon für einen gesunden, kräftigen Mann hart genug, erst recht ...«

»Sagen Sie's nur, Meister. Erst recht für einen Krüppel!«

»Ich wünschte, du wärst nicht so verbittert!«

»Lassen Sie's gut sein, Meister, und gehen Sie zurück zu Ihren gesunden, kräftigen Fischersleuten! Sie versäumen die Flut, wenn Sie noch lange warten!«

 

Den ganzen Sommer über verbreiten sich Gerüchte über drohende Fädenfälle. Jemand behauptet, Benden, der einzige Weyr, bringe sie in Umlauf, aber diese Vorstellung löst nur Spott und Hohn aus: Die großartigen Drachenreiter von Benden wagen sich doch nie aus ihrem alten Berg heraus. Und dennoch dreht sich bald jedes Gespräch um die Möglichkeit einer Wiederkehr der tödlichen Fäden ...

Da die Ernte in Süd-Boll in diesem Jahr besonders reich ausfiel, waren Lady Marella und ihr Verwalter von früh bis spät in den Plantagen und auf den Feldern unterwegs, um die Pflücker zu beaufsichtigen, die jede Gelegenheit nützten, um sich auf die faule Haut zu legen.

»Wir müssen sparsam wirtschaften mit den Früchten der Erde«, mahnte Lady Marella wieder und wieder und drängte die Helfer trotz der Hitze der letzten Sommertage zu immer noch größerer Anstrengung. »Baron Sangel erwartet eine anständige Tagesleistung für die Marken, die er bezahlt.«

»Ja, ein kluger Mann füllt seine Scheuern, solange der Himmel noch frei ist«, bemerkte einer der Vorarbeiter und pflückte mit beiden Händen in einem Tempo weiter, das Lady Marella verblüffte.

»Derlei Gerede will ich hier nicht hören ...«

»Denol, Lady Marella«, stellte der Mann sich höflich vor. »Und wir alle würden uns weniger Sorgen machen, wenn Sie uns versichern könnten, dass alles nur ein Sonnentraum ist.«

»Natürlich ist es das!«, erklärte sie mit aller Entschiedenheit. »Baron Sangel hat sich eingehend mit der Sache beschäftigt, und Sie können ganz beruhigt sein, die Fäden kommen nicht wieder.«

»Baron Sangel ist ein guter und fürsorglicher Herr, Lady Marella. Sie nehmen mir eine Last von der Seele. Verzeihen Sie, dass ich Sie darauf aufmerksam mache, Lady, aber wenn uns jemand, ein paar von den Kindern vielleicht, leere Säcke bringen würde, und wenn der Karren zwischen den Reihen durchfahren könnte, um die vollen abzuholen, kämen wir viel schneller voran.«

»Hören Sie mal, Denol ...«, wollte ihn der Verwalter zurechtweisen.

»Nein, nein, das ist gar keine schlechte Idee«, fiel ihm Lady Marella ins Wort, denn nun bemerkte auch sie, wie viele Männer und Frauen mit ihren gefüllten Säcken zur ersten Reihe stapften. »Aber nur Kinder über zehn Planetenumläufe«, fügte sie hinzu, »die jüngeren müssen beim Harfner bleiben, um die Traditionsballaden zu lernen.«

»Und dafür sind wir sehr dankbar, Lady Marella«, sagte Denol, während seine Hände unglaublich flink von den Früchten zu dem vor ihm stehenden Sack huschten. »Wenn man wie wir immer nur von einem Ort zum anderen zieht, sieht es mit dem Unterricht schlecht aus. Ich halte sehr viel von Tradition, Lady. Sie ist das Rückgrat unserer Welt.«

Sein Sack war voll, und er verneigte sich respektvoll und stapfte die Reihe entlang, um ihn auf den Karren zu laden und sich einen leeren zu holen. Sekunden später war er schon wieder zurück und pflückte mit unermüdlichem Fleiß weiter.

Sie ging die nächsten Reihen entlang und beobachtete dabei, wie oft die Pflücker ihre Plätze verlassen mussten. Der Verwalter folgte ihr stumm. Als sie außer Hörweite waren, wandte sie sich ihm zu. »Ab morgen wird das neue Verfahren eingeführt. Damit geht alles schneller. Und geben Sie dem Mann eine Marke mehr für seinen Vorschlag.«

Der Verwalter behielt Denol während der ganzen Ernte im Auge, denn es ärgerte ihn ein wenig, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war. Aber nie konnte er den Pflücker dabei ertappen, dass er die vorgegebene Geschwindigkeit nicht einhielt, weder an den Sträuchern noch in den Plantagen, und auch beim Ausgraben der Erdknollen, der schlimmsten Plackerei, füllte Denol mehr Säcke als jeder andere. Der Verwalter musste dem Mann zugestehen, dass er erstklassige Arbeit leistete.

Als die Ernte eingebracht war, sprach Denol den Verwalter an. »Wenn man mit meiner Arbeit zufrieden war, könnte ich dann vielleicht mit meiner Familie den Winter über hierbleiben? Zu tun gibt es noch genug, die Bäume müssen beschnitten und die Felder eingewintert werden.«

Der Verwalter war überrascht. »Aber Sie sind Pflücker. Als nächstes werden Sie auf Ruatha gebraucht.«

»Nein, dahin gehe ich nicht, auf gar keinen Fall, Verwalter«, wehrte Denol ängstlich ab. »Seit Baron Fax dort herrscht, macht man um Ruatha besser einen weiten Bogen.«

»Dann wäre da noch Keroon ...«

»Ja, und der neue Baron ist ein gerechter Burgherr. Aber ich möchte sesshaft werden.« Er warf einen Blick zum Himmel hinauf. »Ich weiß, Verwalter, Lady Marella sagt, wir sollen nichts auf das Gerede geben, aber es will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Vor allem seit meine Kleinen nach Hause kommen und ihre Harfnerballaden üben und mich daran erinnern, was alles passieren kann, wenn Fäden fallen.«

Der Verwalter hielt mit seiner Verachtung nicht hinter dem Berg. »Harfnerballaden sind dazu da, die Kinder ihre Pflichten gegenüber Burg und Gilde ...«

»Und Weyr zu lehren. Und sie sind nicht auf den Kopf gefallen, meine Kleinen, Verwalter, sie sollten ein Handwerk lernen, und nicht durch die Lande ziehen, wenn plötzlich Fäden vom Himmel fallen und sie auffressen könnten wie reifes Obst.«

Den Verwalter überlief es eiskalt. »Nun aber Schluss damit, Sie haben doch selbst gehört, dass Lady Marella solche Klatschgeschichten verboten hat.«

»Könnten Sie bei der Lady nicht ein gutes Wort für mich einlegen, Verwalter?« Mit flehentlichem Blick und aller gebotenen Zurückhaltung schob Denol dem Verwalter die Marke in die Hand, die er als Prämie bekommen hatte. »Sie wissen, dass ich zupacken kann, und meine Frau und mein ältester Sohn ebenfalls. Und um auf einem so schönen Besitz bleiben zu dürfen, würden wir auch noch härter arbeiten. Es ist der schönste Besitz weit und breit.«

»Na schön, es ist wohl nichts dagegen einzuwenden, wenn ihr den Winter über hier bleibt ... vorausgesetzt ...« Der Verwalter drohte dem Mann warnend mit dem Finger. »... ihr strengt euch wirklich an und wahrt den schuldigen Respekt. Und hört auf, diese Ammenmärchen über Fäden zu erzählen.«

 

Bis zum Herbst des neunten Planetenumlaufs sind die Gerüchte überall herum; man munkelt auf allen Festen davon, in den Gassen, im Weinkeller, in der Küche und auf dem Speicher. Schlechte Zeiten stehen bevor, nicht nur, weil nach dem Überfluss des letzten Planetenumlaufs die Ernte diesmal unerklärlich mager ausgefallen ist. Immerhin hat Keroon eine schwere Dürre hinter sich, auf Nerat gab es sintflutartige Regenfälle, in Telgar sind zwei Stollen eingestürzt – und die Pessimisten sind sicher, dass dies alles nur der Anfang einer gewaltigen Katastrophe sein kann ...

»Eine neue Annäherungsphase?« Ketrin starrte den Kärrner an, dann runzelte er die Stirn. »Es hieß doch, die Fäden würden nie wiederkommen. Ich glaube Ihnen kein Wort.« Er kannte Borgald als pragmatischen, phantasielosen Menschen und als verantwortungsbewussten Fuhrmann, der sich nur um seine kostbaren Gespanne sorgte, die mächtigen, gehörnten Ochsen, die seine Wagen zogen. Aber der Händler schien fest überzeugt zu sein.

»Ich will es auch nicht glauben«, gab Borgald zurück und warf einen bekümmerten Blick auf die lange Karawane, die gerade in das Burggebiet einfuhr. Er nickte und zählte unbewusst jeden vorbeikommenden Wagen mit. »Aber nachdem so viele Leute fest damit rechnen, halte ich es für angebracht, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.«

»Vorsichtsmaßnahmen?«, wiederholte Ketrin und sah Borgald verwundert an. »Was kann man denn für Vorsichtsmaßnahmen gegen Fäden treffen? Wissen Sie denn nicht, was diese Sporen anrichten können? Sie fallen aus heiterem Himmel auf die Menschen herab und verschlingen sie mit Haut und Haaren. Bevor sie mit den Fingern schnippen können, ist von ihren größten Herdentieren nichts mehr übrig. So eine Front fängt an einem Ende eines reifen Weizenfeldes an, wälzt sich darüber und lässt keinen einzigen Strohhalm zurück!« Kevin schauderte. Die alte Harfnerschilderung der Fädenverwüstungen hatte ihm selbst Angst eingejagt.

Borgald schnaubte nur abfällig. »Wie gesagt, ich würde Vorsichtsmaßnahmen treffen. Genau wie einst meine Ururahnen auf ihren Trecks. Die Amhold-Karawane beliefert die Burgen seit der allerersten Phase, meine Vorfahren haben sich durch Fäden nicht beirren lassen. Und ich werde es nicht anders halten.«

»Aber ... Fäden sind tödlich ...« Schon die Vorstellung, sie könnten wieder an Perns Himmel erscheinen, versetzte Ketrin in Panik.

»Nur, wenn man direkt getroffen wird, und nur ein Narr bleibt dabei im Freien.«

»Sie fressen sich durch Bäume und Fleisch, durch alles außer Stein und Metall.« Doch dann winkte Ketrin ab. »Nein, das kann nicht wahr sein. Sie ziehen schon zu lange durch die Lande, Borgald, um auf jeden Unsinn zu hören. Und ich nehm's Ihnen übel, dass Sie mir mit solchen Albernheiten kommen wollen.«

»Das sind keine Albernheiten!«, widersprach Borgald und reckte empört das Kinn. »Sie werden schon sehen. Aber keine Sorge. Ich bringe Ihre Waren trotz allem von Keroon und Igen herauf. Mit meinen Vorsichtsmaßnahmen kann mir nichts passieren. Ich lasse alle Wagen mit dünnem Metallblech verkleiden, und die Tiere stelle ich in Höhlen unter. Bei der Amhold-Karawane fällt weder Mensch noch Tier den Sporen zum Opfer.«

Ketrin schauderte, als spüre er die ätzenden Fäden bereits auf seinem Rücken.

»Ihr Burgbewohner«, fügte Borgald mit gutmütiger Verachtung hinzu, »habt ein zu leichtes Leben. In euren dicken Mauern und tiefen Gängen« – er deutete auf die mächtige Fassade der Burg Telgar – »verweichlicht ihr auf die Dauer und werdet schreckhaft.«

»Wer ist hier schreckhaft?« Ketrin richtete sich auf. »Aber wenn die Fäden Sie draußen auf der Ebene erwischen, können Sie sich nirgends unterstellen.«

»Man kann auch durch die Berge fahren – sicher, das ist ein Umweg, aber dort sind immer Höhlen in der Nähe. Allerdings«, Borgald rieb sich das Kinn, »erhöhen sich dadurch die Fuhrkosten. Verlängerte Fahrzeiten, die Verlegung der Versorgungsstationen, der Aufwand für den Umbau der Wagen – da kommt schon etwas zusammen.«

»Die Fuhrkosten erhöhen?« Ketrin lachte laut heraus. »Darauf läuft das Ganze also hinaus, mein Freund. Natürlich wollen Sie Ihre Forderungen erhöhen, bei all den Gerüchten über die Rückkehr der Fäden.« Er schlug Borgald freundschaftlich auf die Schulter. »Ich gehe jede Wette ein, Borgald, dass dies kein Intervall ist, dass die Fäden fort sind. Endgültig.«

Borgald streckte ihm die große Hand hin. »Abgemacht. Ich wusste schon immer, dass Sie Bitra-Blut in den Adern haben.«

Die kräftige Stimme von Ketrins Gildemeister unterbrach die beiden. »Heda, Borgald! Gute Reise gehabt?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Sie bringen mir meine Vorräte? Ketrin, warum führst du Kärrner Borgald nicht in die Gildehalle? Was ist das denn für ein Benehmen, Mann?«

»Wir sprechen uns noch, Borgald«, murmelte Ketrin.

 

Im Frühling des nächsten Planetenumlaufs kommt Fax bei einem Duell mit F'lar, dem Reiter des Bronzedrachen Mnementh, um, und der Benden-Weyr macht sich auf die Suche nach einer Kandidatin für das letzte Königinnen-Ei, das in der Brutstätte heranreift. Während der Tod des Tyrannen alle Burgherrn erleichtert aufatmen lässt, bereitet ihnen dieses Wiedererstarken der Drachenreiter ein gewisses Unbehagen. Denn obwohl die Gerüchte über die Wiederkehr der Fädenplage im Laufe des Winters verstummt sind, hat die Kandidatensuche sie wiederaufleben lassen und die Menschen daran erinnert, was sie den Drachenreitern einst verdankten. Bei manchen haben Fax' Tod, die Gegenüberstellung und das Ausschlüpfen der neuen Drachenkönigin alte Sehnsüchte und Träume geweckt ...

»Und Ihr Entschluss steht fest, Perschar?« Baron Vincet war erstaunt, ja, fast wütend über den Starrsinn des Künstlers. Vincet hatte nicht vergessen, dass der Mann ein Genie im Umgang mit Pinsel und Farbe war – Perschar hatte getreulich alle verblassten Wandmalereien aufgefrischt und sämtliche Familienmitglieder ganz vorzüglich porträtiert – aber mehr konnte er dem Burschen guten Gewissens nun wirklich nicht bieten. »Ich hielt die Bedingungen des neuen Vertrages für äußerst großzügig.« Vincets Gereiztheit steigerte sich.

»Sie haben sich wirklich äußerst großzügig gezeigt«, gab Perschar mit seinem wehmütigen Lächeln zurück, das eine von Vincets Töchtern so hinreißend fand, den Burgherrn aber im Moment eher verärgerte. »Ich habe gegen den Vertrag nichts einzuwenden und möchte auch nicht um Kleinigkeiten feilschen, Baron Vincet. Für mich ist einfach die Zeit gekommen, mich wieder auf den Weg zu machen.«

»Aber Sie waren drei Umläufe lang hier ...«

»Genau, Baron Vincet.« Perschars ungewöhnlich langes Gesicht verzog sich zu einem zufriedenen Lächeln. »So lange war ich noch nie auf einer Burg.«

»Tatsächlich?« Vincet war für Schmeicheleien sehr empfänglich.

»Deshalb ist es höchste Zeit für mich, mir wieder einmal den Wind um die Nase wehen zu lassen und diesen großartigen Kontinent weiter zu erforschen. Ich brauche Anregungen, Baron Vincet, viel dringender als Sicherheit.« Der Künstler entschuldigte sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung für seine Ablehnung.

»Nun, wenn Sie so auf Reisen versessen sind, dann nehmen Sie sich doch den Sommer frei. Das ist die beste Zeit für Streifzüge. Mein Fischermeister soll Sie auf einem seiner Boote mitnehmen. Sie bräuchten erst wieder ...«

»Mein lieber Baron, ich werde wiederkommen, wenn es an der Zeit ist«, sagte Perschar ausweichend. Dann drehte er sich mit einer zweiten eleganten Verneigung am Absatz herum und verließ Vincets Arbeitsraum.

Es dauerte eine volle Stunde, bis Vincet begriff, dass Perschar sich mit dieser gewandten Antwort endgültig verabschiedet hatte. Niemand hatte beobachtet, auf welchem der vielen Pfade, die von der Burg Nerat ausgingen, sich der Maler entfernte. Den ganzen Tag über war Baron Vincet außer sich. Er konnte den Burschen wirklich nicht verstehen. Da hatte er nun eine ganze Suite bekommen; ein Atelier, wo er, zugegeben, während der letzten drei Umläufe mehrere begabte Burgbewohner in seiner Kunst ausgebildet hatte; einen Platz an der Ehrentafel; reichlich Marken in der Tasche – und obendrein drei neue Anzüge, so viele Schuhe und Stiefel, wie er brauchte, und einen kräftigen Renner zur freien Verfügung.

Nachdem die Burgherrin von Nerat den letzten Satz des Künstlers an diesem Abend zum zwanzigsten Mal gehört hatte, sagte sie endlich: »Er hat doch versprochen, er würde zurückkehren, wenn es an der Zeit sei, Vincet. Also beruhige dich. Er ist nun einmal fort, aber er taucht schon wieder auf.«

 

Auf Burg Telgar, zwei Planetenumläufe später. Während die Barone verärgert feststellen, wie der Weyr zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist Baron Larad bemüht, seine aufsässige Schwester an einen geeigneten Mann zu bringen ...

»Larad, ich bin deine Schwester – deine ältere Schwester!«, schrie Thella, und Larad bedeutete ihr heftig gestikulierend, die Stimme zu senken. Mit den Augen flehte er seine Mutter um Unterstützung an, aber Thella tobte weiter. »Du wirst mich nicht an irgendeinen hergelaufenen, unflätigen, senilen, alten Geizhals mit schiefen Zähnen verheiraten, nur weil Vater verkalkt genug war, einer solchen Farce zuzustimmen.«

»Derabal ist weder senil, noch hat er schiefe Zähne, und mit vierunddreißig ist er wohl auch kaum ein alter Mann«, knirschte Larad. Als ihr Bruder, selbst als ihr Halbbruder, konnte ihn ihr trotzig aufgerichteter, wohlgeformter Körper nicht beeindrucken, so sehr die Reitkleidung auch ihre sehnige, durchtrainierte Figur betonte.

Die geröteten Wangen, die blitzenden braunen Augen und die sinnlichen, abfällig verzogenen Lippen, das alles waren für ihn nur Anzeichen, dass ihm wieder einmal eine stürmische Szene bevorstand. Es war auch kein Trost, dass sie nur eine halbe Spanne kleiner war als er und ihm dank der langschäftigen Reitstiefel mit den hohen Absätzen, die sie so gerne trug, gerade in die Augen sehen konnte. In diesem Moment hätte er ihren Widerstand am liebsten mit einer ordentlichen, längst überfälligen Tracht Prügel gebrochen. Aber als Burgherr konnte man seine weiblichen Verwandten nun einmal nicht schlagen.

Thella war immer die schwierigste von allen seinen Schwestern und Halbschwestern gewesen: streitsüchtig, anmaßend, eigensinnig und störrisch, nützte sie die Freiheit, die sein Vater seiner unternehmungslustigen, verwegenen Tochter eingeräumt hatte, weidlich aus. Larad hatte manchmal den Verdacht gehabt, sein Vater ziehe Thella mit ihrem hitzigen, überheblichen Wesen seinem besonneneren, bedächtigeren Sohn vor. Baron Tarathel hatte sogar beide Augen zugedrückt, als Thella eine junge Magd zu Tode prügelte. Erst als sie einen vielversprechenden jungen Renner zuschanden ritt, hatte er ihr die Leviten gelesen. Tiere waren kostbar und mussten mit Sorgfalt behandelt werden.

Vielleicht hatte Baron Tarathel dem Mädchen auch deshalb besonders viel nachgesehen, wie Larads Mutter einmal andeutete, weil ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben war. Wie auch immer, der alte Baron hatte seine Erstgeborene darin bestärkt, dass sie sich die Zeit mit Jagen, Reiten und Umherstreifen vertrieb; und Tarathel hatte sie auch dazu ermutigt, sich über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten hinwegzusetzen. Außerdem war Thella elf Monate älter als Larad, und daraus schlug sie so viel Gewinn, wie sie als Mädchen nur konnte. Sie hatte sich sogar beim Konklave der Burgherren gegen Larad gestellt und behauptet, sie habe als Tarathels Erstgeborene die größeren Rechte auf den Erbtitel. Die meisten Barone hatten ihr höflich, manche auch etwas von oben herab, zu verstehen gegeben, sie solle sich gefälligst mit ihrem ›Recht‹ auf den Platz neben ihrer Stiefmutter, ihren Schwestern und Tanten begnügen. Wochenlang hatte Telgar von ihren Klagen über diese Ungerechtigkeit widergehallt. Vor allem ließ sie ihre Enttäuschung an den Mägden aus, die täglich neue Peitschenstriemen aufwiesen. Einige suchten verzweifelt nach irgendeinem Vorwand, um der Burg entfliehen zu können.

»Derabal ist ein kleiner Bauer, nicht einmal ein Baron ...«

»Derabal besitzt riesige Ländereien vom Fluss bis zu den Bergen, mein Kind, und du hättest Beschäftigung genug, wenn du nur geruhtest« – Larad legte seinen ganzen Unmut in dieses Wort –, »den Mann zu heiraten. Er hat nämlich die besten Absichten ...«

»Das sagst du mir immer wieder.«

»Er hat dir herrliche Juwelen als Brautgabe geschickt«, warf Lady Fira ein wenig neidisch ein. Was in ihrer eigenen Schatulle lag, war nicht halb so wertvoll, und dabei war Tarathel gewiss nicht knauserig gewesen.

»Du kannst sie gern haben!« Thella lehnte es mit einer verächtlichen Handbewegung ab, darauf Rücksicht zu nehmen. »Aber ich werde diese Ehrengarde« – sie zeigte ihren Hohn ganz unverhohlen – »nicht als brave, folgsame Braut zu diesem Anwesen im Bergland begleiten. Und das, mein lieber Baron« – zum Nachdruck schlug sie mit ihrer Reitgerte gegen den hohen Stiefelschaft – »ist mein letztes Wort zu diesem Thema.«

»Für dich vielleicht«, gab Larad so schroff zurück, dass Thella ihn überrascht anblickte. »Aber nicht für mich.« Ehe sie sich versah, hatte er sie schon am Arm gepackt und zog sie zu ihrem Schlafgemach. Er schob sie mit einem kräftigen Stoß hinein, schloss die Tür und verriegelte sie.

»Was bist du doch für ein Narr, Larad!«, rief Thella durch die dicken Holzplanken. Sohn und Mutter hörten, wie etwas Schweres gegen die Tür geworfen wurde, dann trat Stille ein. Nicht einmal die Flüche waren zu hören, mit denen Thella sonst ihrem Ärger Luft zu machen pflegte, wenn man sie einsperrte.

Als Larad sich am nächsten Morgen so weit erweichen ließ, dass er gestattete, Thella mit Essen und Trinken zu versorgen, war die Rebellin spurlos verschwunden. Ihre Kleider lagen ordentlich zusammengefaltet in der Truhe, aber alle haltbaren, wetterfesten Sachen sowie ihr Schlafpelz waren fort. Bei näherer Untersuchung entdeckte man, dass im Stall vier Renner fehlten – drei schöne, bereits trächtige Stuten und Thellas kräftiger, störrischer Wallach – außerdem vermisste man verschiedene Gerätschaften und einige Säcke mit Reiseproviant. Zwei Tage später musste Larad feststellen, dass aus der Kassette in seinem Arbeitszimmer mehrere Beutel mit Marken entwendet worden waren.

Larad stellte diskrete Ermittlungen an und erfuhr, dass Thella mit mehreren Pferden auf dem Weg nach Südosten zum Grenzgebirge zwischen Telgar und Bitra gesehen worden war. Danach hörte man nichts mehr von ihr.

Zu Derabal schickte Larad eine seiner jüngeren Halbschwestern, ein leidlich hübsches und durchaus willfähriges Mädchen, das ganz zufrieden damit war, einen ordentlichen Besitz und einen Gemahl zu bekommen, der ihr so schönen Schmuck schenkte. Später würde Derabal ihm gewiss dankbar sein, dass ihm Thellas aufbrausendes Temperament erspart geblieben war.

Als tatsächlich die ersten Fäden auf Pern fielen und die Weyrführer von Benden von den Burgherren endlich nach Kräften unterstützt wurden, machte Lady Fira sich Sorgen um Thella.

Als sie die ersten Berichte über eine Serie eigenartiger Raubüberfälle auf den Pfaden durch die Ostberge und auf der Straße am Igen-Fluss erhielt, die seit Beginn der Fädeneinfälle von den Händlerkarawanen benützt werden mussten, hatte sie insgeheim Thella in Verdacht. Larad hingegen brachte die Diebstähle lange Zeit nicht mit seiner Halbschwester in Verbindung. Er beschuldigte hartnäckig die Heimatlosen, die Rebellen, all jene, die man wegen Gewalttätigkeit oder Diebstahls aus Burgen und Gildehallen ausgestoßen hatte: die Renegaten von Pern.

1

 

Siedlung im Osten von Telgar

Gegenwärtige (neunte) Annäherungsphase des Roten Sterns

Erster Planetenumlauf, dritter Monat, vierter Tag

 

Jayge hatte gehofft, sein Vater werde länger auf Gut Kimmage bleiben. Er wollte nicht fort, solange er mit seiner struppigen Stute gegen die Renner der Gutsherrensöhne so glänzende Erfolge erzielte. Fairex wirkte mit ihrem Winterfell so schwerfällig, dass die anderen Jungen sich leicht hatten verleiten lassen, gegen sie zu wetten. Und eines musste man den Kimmage-Jungen lassen, sie hatten die Söhne der außerhalb gelegenen Pachthöfe nicht gewarnt, wenn diese mit ihren Vätern auf das Gut kamen. So besaß Jayge nun eine recht ansehnliche Sammlung von Kreditmarken, fast genug, um dafür einen Sattel einzutauschen, wenn ihre Wagen das nächste Mal der Karawane der Plater-Sippe begegneten. Nur noch ein oder zwei Rennen brauchte er zu gewinnen – eine einzige Siebenspanne, und er war am Ziel.

Die Lilcamps hatten das ganze verregnete Frühjahr auf Kimmage verbracht. Warum wollte sein Vater gerade jetzt weiterziehen? Crenden war ein Mann, dem man nicht widersprach. Er war hart, aber gerecht, und obwohl er kein Hüne war, wusste jeder, der einmal seine Faust zu spüren bekommen hatte – Jayge machte diese Erfahrung gelegentlich immer noch – dass man ihn besser nicht nach seinem Äußeren beurteilte. Er genoss absolute Autorität, genau wie der Besitzer eines kleinen oder großen Anwesens auf seinem Hof, und seine Familie gehorchte ihm bedingungslos. Als fähiger Händler und tüchtiger Arbeiter, von strenger Redlichkeit bei allem, was er tat, war er auf den kleineren, abgelegenen Höfen, die nicht regelmäßig die großen Feste besuchen konnten, stets willkommen. Gewiss, einige Gilden schickten Vertreter über Land, um Aufträge entgegenzunehmen, aber die wagten sich selten auf die schmalen, steilen Gebirgspfade oder überquerten die weiten Ebenen, wo das Wasser rar war. Crendens Waren trugen nicht alle den Stempel einer Gildehalle, aber sie waren solide verarbeitet und billiger als die Produkte der Gilden. Crenden wusste auch immer genau, was seine Kunden brauchten, und führte ein breites Sortiment mit, das nur durch die Aufnahmefähigkeit seiner Wagen begrenzt wurde.

An diesem klaren, sonnigen Morgen gab Crenden also sehr früh den Befehl, das Lager abzubrechen, und nachdem man sich mit einer warmen Mahlzeit gestärkt und alles wieder ordentlich in den Wagen verstaut hatte, wurden die Zugtiere eingespannt, und alle Lilcamps standen zum Aufbruch bereit.

Jayge nahm seinen Platz beim vordersten Wagen ein; seit er zehn war, versah er für seinen Vater auf der flinken Fairex Kurierdienste.

»Zugegeben, es ist ein schöner Tag, Crenden«, meinte der Gutsherr, »und es sieht so aus, als würde sich das Wetter eine Weile halten, aber auf den Straßen werden Sie bis an die Achsen im Schlamm versinken. Bleiben Sie doch noch so lange, bis alles abgetrocknet ist, dann kommen Sie leichter voran.«

»Damit andere Händler vor mir die Prärie-Siedlung erreichen?« Lachend schwang sich Crenden auf seinen drahtigen Renner. »Dank des reichlichen Futters und Ihrer Gastfreundschaft sind Tier – und Mensch – wohlgenährt und ausgeruht. Das Holz wird in der Prärie einen guten Preis erzielen, und wir sollten zusehen, dass wir uns auf den Weg machen. Von hier aus geht es meist bergab, da wird uns der Schlamm nicht stören. Und ein bisschen Bewegung kann nicht schaden, dabei verlieren wir alle den Winterspeck und sind wieder in Form, bis wir in die Berge kommen! Sie waren ein großzügiger Gastgeber, Childon. Wenn wir wie immer in ein oder zwei Planetenumläufen wiederkommen, bringe ich Ihnen die neuen Klemmen mit. Bleiben Sie inzwischen gesund und guter Dinge.« Er stellte sich in die Steigbügel und schaute auf seine Karawane zurück, und als Jayge sah, mit welchem Stolz sein Vater die Sippe betrachtete, richtete auch er sich im Sattel auf.

»Bringt sie in Marsch!«, rief Crenden, seine tiefe Stimme erreichte auch das letzte der sieben Fuhrwerke. Als die Tiere sich ins Geschirr legten und die Räder sich in Bewegung setzten, winkten und jubelten die Pächter, die sich auf dem gepflasterten Vorplatz vor dem Eingang versammelt hatten. Ein paar Jungen ritten schreiend die Reihe auf und ab, schwangen ihre Peitschen und zeigten voll Stolz, dass sie beim Hüten der Herdentiere von Kimmage gelernt hatten, die Schnur gehörig schnalzen zu lassen. Jayge, der seine Fähigkeiten im Umgang mit der Geißel längst unter Beweis gestellt hatte, ließ seine lange Peitsche ordentlich aufgerollt am Sattelknopf hängen.

Oberhalb von Kimmage waren die Hügel mit prächtigen Wäldern bestanden, deren Holz, liebevoll gepflegt und umsichtig geschlagen, den Pächtern ein regelmäßiges Einkommen sicherte. Alle fünf Jahre einmal unternahmen sie die lange Reise nach Keroon, um das in einer Höhle abgelagerte Holz zu verkaufen. Die Lilcamps verdingten sich seit vielen Generationen zur Arbeit auf Gut Kimmage, sie hackten Holz, schleppten Stämme oder höhlten im tiefsten Winter die Felsfestung weiter aus, um neue Räume zu schaffen. Diesmal hatte man die Bäume geladen, die vor fünf Planetenumläufen von den Lilcamps gefällt worden waren. Das Holz würde einen satten Gewinn einbringen.

Als Jayge sich nach hinten beugte und nach seinem zusammengerollten Bettzeug tastete, pfiff ihm eine Geißelschnur dicht am Ohr vorbei. Erschrocken fuhr er herum, um sich den Reiter anzusehen, der an ihm vorübersprengte, und erkannte den Pächterjungen, den er am Abend zuvor im Ringkampf besiegt hatte.

»Daneben!«, rief Jayge vergnügt. Gardrow hatte heute sicherlich ein paar Blutergüsse, denn Jayge hatte ihn mehrmals zu Boden geworfen, aber vielleicht überlegte er es sich in Zukunft, ob er die Kleinen weiter schikanierte, damit sie seine Arbeit taten. Jayge hasste Rabauken fast so sehr wie Tierquäler. Und es war ein fairer Kampf gewesen: der Bursche war zwei Planetenumläufe älter als Jayge und zwei Kilo schwerer.

»Beim nächsten Mal trete ich wieder gegen dich an, Gardrow«, rief Jayge und warf sich zur Seite, als der andere Junge seinen Renner herumriss und mit hoch erhobener Peitsche abermals auf ihn zugeritten kam.

»Unfair, unfair!«, riefen zwei andere Pächtersöhne.

Das erregte Crendens Aufmerksamkeit, und er lenkte sein temperamentvolles Tier an die Seite seines Sohnes. »Hast du dich schon wieder geprügelt, Jayge?« Crenden billigte es nicht, wenn sich jemand von den Lilcamps in Schlägereien verwickeln ließ.

»Ich, Vater? Sehe ich so aus?« Jayge gab sich große Mühe, ein überraschtes Gesicht zu machen. Der Ausdruck gekränkter Unschuld, den seine Schwester so meisterhaft beherrschte, wollte ihm freilich nie so recht gelingen.

Sein Vater ließ sich nicht täuschen, er warf ihm einen scharfen Blick zu und drohte mit dem narbig verdickten Zeigefinger. »Keine Rennen mehr, Jayge. Wir sind auf dem Treck, und da ist für solche Dummheiten keine Zeit. Bleib ruhig im Sattel sitzen. Wir haben einen langen Tag vor uns.« Damit gab Crenden seinem Renner den Kopf frei und setzte sich an die Spitze des Zuges.

Jayge fiel es schwer zu widerstehen, als die Pächterjungen um ein letztes Wettrennen bettelten. »Nur bis zur Furt hinunter? Nein? Dann nach oben, über den Felsenpfad? Du wärst wieder zurück, ehe dein Vater überhaupt etwas merkt.« Auch die angebotenen Einsätze waren verlockend, aber Jayge wusste, wann er zu gehorchen hatte. Er lächelte und verschloss seufzend seine Ohren, obwohl ein Gewinn ihm den heißbegehrten Sattel endgültig gesichert hätte. Dann geriet ein Wagen mit einem Rad in den Straßengraben, und er und Fairex mussten mithelfen, es wieder auf den Weg zu bringen. Als er über die Schulter schaute, um die Jungen mit einzuspannen, hatten sie sich bereits zerstreut.

Gutmütig band Jayge sein Schleppseil an der seitlich am Wagen befindlichen Stange fest und trieb seinen stämmigen Renner an. Das Rad kam mit einem Ruck frei, und Fairex tänzelte geschickt zur Seite. Jayge rollte das Seil auf und hängte es um den abgegriffenen Sattelknopf, dann warf er einen Blick zurück auf das in eine mächtige Klippe über dem reißenden Keroon-Fluss hineingebaute Gut Kimmage. Auf der anderen Seite rupften die Herdentiere gierig das frische Gras. Die Sonne schien ihm warm auf den Rücken, das vertraute Quietschen und Rumpeln der Wagen erinnerte ihn daran, dass sie auf dem Weg zur Prärie-Siedlung waren, und er tröstete sich damit, dass sich auch dort gewiss jemand finden würde, der Fairex unterschätzte. Gleich beim nächsten Mal, wenn sie auf die Platers trafen, würde er den neuen Sattel bekommen.

Vor ihm schritt der große Renner seines Vaters auf dem Flusspfad dahin. Jayge rutschte tiefer in den Sattel, streckte die Beine in den Steigbügeln und stellte dabei fest, dass die Riemen zu kurz waren. Er musste seit der Ankunft in Kimmage eine halbe Handbreite gewachsen sein. Splitter und Scherben, wenn er zu groß geworden war, ließ ihn sein Vater vielleicht nicht mehr auf Fairex reiten, und Jayge war nicht sicher, welches Tier er dann bekommen würde. Nicht, dass die anderen Lilcamp-Renner Schnecken gewesen wäre, aber mit keinem davon konnte er die anderen Kinder so gut täuschen wie mit Fairex.

Sie waren seit etlichen Stunden unterwegs und wollten bald ihre Mittagsrast einlegen, als ein Schrei ertönte: »Reiter gesichtet!« Crenden gab mit erhobenem Arm das Zeichen zum Anhalten, dann wendete er seinen großen Renner und blickte den Weg zurück. Der Bote, der im Galopp hinter ihnen herkam, war deutlich zu sehen.

»Crenden!«, schrie der älteste Kimmage-Sohn, brachte seinen Renner mit einem Ruck zum Stehen und keuchte atemlos seine Botschaft heraus: »Mein Vater sagt ... zurückkommen ... schnellstens. Harfnerbotschaft.« Der Junge zog eine Rolle aus seinem Gürtel und warf sie Crenden zu. Er schluckte, sein Gesicht war bleich vor Angst, und er hatte die Augen weit aufgerissen. »Fäden, Crenden. Es fallen wieder Fäden!«

»Harfnerbotschaft? Harfnermärchen!«, begann Crenden geringschätzig, doch dann bemerkte er das blaue Siegel auf der Rolle.

»Nein, es ist wirklich kein Märchen, Crenden, es ist die Wahrheit. Lesen Sie selbst! Vater sagt, sonst würden Sie es nicht glauben. Ich kann es auch nicht glauben. Ich meine, man hat uns doch immer erzählt, dass die Fäden niemals wiederkommen würden. Deshalb brauchten wir ja auch den Benden-Weyr nicht mehr, obwohl Vater immer seinen Tribut entrichtet hat, weil er Lemos unterstellt ist, und weil wir mehr als genug haben, um die Drachenreiter aus alter Freundschaft zu versorgen, schließlich haben sie uns beschützt, als es noch nötig war ...«

Mit einer Handbewegung brachte Crenden den aufgeregten Jungen zum Schweigen. »Still, sonst kann ich nicht lesen.«

Jayge konnte nur die dicken schwarzen Lettern auf der weißen Fläche und das auffallende, in Gelb, Weiß und Grün gehaltene Wappen von Keroon erkennen.

»Die Botschaft ist echt, wie Sie sehen, Crenden«, plapperte der Junge weiter. »Sie trägt Baron Cormans Siegel. Es hat Tage gedauert, bis wir sie erhielten, weil der Renner einen Sehnenriss hatte und der Bote sich verirrte, als er eine Abkürzung nehmen wollte. Er sagt, über Nerat seien bereits Fäden gefallen, und der Benden-Weyr habe die Wälder gerettet, und über Telgar würden beim nächsten Einfall Tausende von Drachenreitern aufsteigen. Und dann sind wir an der Reihe.« Wieder schluckte der Junge. »Die Fäden werden direkt auf uns runterkommen, und man muss sich hinter Steinmauern flüchten, weil nur Stein, Metall und Wasser davor schützen können.«

Wieder lachte Crenden, er nahm die Sache nicht ernst, aber Jayge spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Crenden rollte die Botschaft zusammen und gab sie dem Jungen zurück. »Ich lasse deinem Vater danken, die Warnung ist gut gemeint, aber ich falle nicht darauf herein.« Er zwinkerte dem Burschen gutmütig zu. »Ich weiß, dein Vater hätte gern, dass wir ihm helfen, das neue Stockwerk fertig zu stellen. Von wegen Fäden! Seit Generationen sind von diesem Himmel keine Fäden mehr gefallen. Seit Hunderten von Planetenumläufen. Damit ist es endgültig vorbei, sagen die Legenden. Und wir machen uns am besten wieder auf den Weg.« Crenden winkte dem erstaunten Jungen vergnügt zu, stellte sich in die Steigbügel und rief mit schallender Stimme: »Vorwärts!«

Der Junge wirkte so bestürzt und verängstigt, dass Jayge sich unwillkürlich fragte, ob sein Vater die Botschaft vielleicht falsch verstanden hatte. Fäden! Das Wort allein ließ ihn unruhig im Sattel herumrutschen, und sofort begann Fairex unter ihm zu tänzeln. Er beruhigte sie und redete auch sich selbst gut zu. Sein Vater würde niemals zulassen, dass die Lilcamp-Karawane Schaden nahm. Er war ein fähiger Anführer, und sie hatten den Winter über gut verdient. Jayge war nicht der einzige, der sich über einen prallgefüllten Beutel freuen konnte. Trotzdem, die Angst ließ sich nur schwer abschütteln. Die Reaktion seines Vaters hatte ihn überrascht. Gutsherr Childon war kein Spaßvogel, sondern ein aufrechter Mann, der sagte, was er meinte, und meinte, was er sagte. So hatte Crenden ihn oft beschrieben. Childon war viel ehrlicher als andere Hofbesitzer, die auf die Fuhrleute herabsahen und sie als arbeitsscheues Gesindel betrachteten, kaum besser als Diebe, zu faul, um sich selbst ein Anwesen aufzubauen, und zu hochmütig, um sich einem Burgherrn zu unterstellen.

Als Jayge einmal eine wüste Rauferei angefangen und dafür von seinem Vater eine ordentliche Tracht Prügel bezogen hatte, brachte er zu seiner Entschuldigung vor, er habe die Familienehre verteidigen müssen.

»Das ist immer noch kein Grund, sich zu prügeln«, hatte sein Vater gesagt. »Unsere Familie ist nicht schlechter als jede andere.«

»Aber wir sind heimatlos!«

»Und was hat das zu bedeuten?«, hatte Crenden gefragt. »Kein Gesetz auf Pern schreibt vor, dass ein Mann und seine Familie ein Anwesen haben und an einem bestimmten Ort leben müssen. Wir dürfen keinem anderen seinen Besitz wegnehmen, aber ringsum gibt es genügend Land, auf das noch nie ein Mensch einen Fuß gesetzt hat. Sollen sich doch alle Schwachen und Ängstlichen zitternd in ihren vier Wänden verkriechen ... womit ich nicht sagen will, dass wir uns wegen der Fäden noch Sorgen zu machen bräuchten. Aber auch wir waren früher einmal Grundbesitzer, mein Junge, unten in Süd-Boll, und dort leben noch Angehörige unserer Sippe, die sich der Verwandtschaft mit uns nicht schämen. Wenn das genügt, um dich aus Schlägereien herauszuhalten, dann hör nicht mehr auf solche Sticheleien.«

»Aber ... aber Irtine hat gesagt, wir stehen nur eine Stufe über Dieben und Landstreichern.«