Drachendämmerung - Anne McCaffrey - E-Book

Drachendämmerung E-Book

Anne McCaffrey

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Beschreibung

Die Geschichte der Drachenreiter von Pern

Der sturmgepeitschte Planet Pern ist das Ziel eines Kolonistenschiffes von der Erde. Nach friedlicher Aufbauzeit, in der die Kolonisten alle technischen Geräte, die sie führ ihr Leben als Bauern nicht mehr brauchen, verfallen lassen oder ausschlachten, bricht eine Katastrophe herein: Ein Sporenregen fällt vom Himmel und vernichtet Fauna und Flora ganzer Landstriche. Da machen die unzertrennlichen Freunde Sorka und Sean ein atemberaubende Entdeckung: Die einheimischen Flugdrachen können mit ihrem Feueratem die organischen Fäden versengen und sich dann rasch in Sicherheit teleportieren. Sie wollen die Echsen gentechnisch so verändern, dass sie zu lenkbaren Reittieren werden – doch das ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Sporen drohen, alles Leben auf Pern zu vernichten.

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ANNE McCAFFREY

 

 

 

DRACHENDÄMMERUNG

Die Drachenreiter von Pern

Band 9

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Der sturmgepeitschte Planet Pern ist das Ziel eines Kolonistenschiffes von der Erde. Nach friedlicher Aufbauzeit, in der die Kolonisten alle technischen Geräte, die sie für ihr Leben als Bauern nicht mehr brauchen, verfallen lassen oder ausschlachten, bricht eine Katastrophe herein: Ein Sporenregen fällt vom Himmel und vernichtet Fauna und Flora ganzer Landstriche. Da machen die unzertrennlichen Freunde Sorka und Sean ein atemberaubende Entdeckung: Die einheimischen Flugdrachen können mit ihrem Feueratem die organischen Fäden versengen und sich dann rasch in Sicherheit teleportieren. Sie wollen die Echsen gentechnisch so verändern, dass sie zu lenkbaren Reittieren werden – doch das ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Sporen drohen, alles Leben auf Pern zu vernichten.

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

DRAGONSDAWN

 

Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1988 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20882-0V002

Danksagungen

 

Dieses Buch hätte nicht ohne den Rat, die Unterstützung und die Hilfe von Dr. Jack Cohen, D. Sc, seit kurzem Dozent für Reproduktive Biologie an der Universität Birmingham, geschrieben werden können. Seine Sachkenntnis und seine Begeisterung halfen mir, die Drachen von Pern und das dazugehörige botanische, biologische und ökologische Umfeld zu schaffen. Jack ließ Fakten aus Mythen, ließ Wissenschaft aus Legenden erstehen. Ich bin nicht die einzige mit ihm bekannte Schriftstellerin, die ihm in höchstem Maße zu Dank verpflichtet ist.

Dank schulde ich auch Harry Alm, Marineingenieur aus New Orleans, Louisiana, für seine Ausarbeitung der Fädenfallmuster, die lediglich auf beiläufigen Bemerkungen in verschiedenen meiner Bücher basieren. Seine Frau Marilyn hat mit viel Geduld und großer Präzision genau diese unglaublichen technischen Daten per CompuServe übertragen. Auch ihr möchte ich hiermit meinen Dank übermitteln.

 

 

 

TEIL EINS

 

 

 

DIE

LANDUNG

»Die Messwerte kommen durch, Sir«, meldete Sallah Telgar, ohne den Blick von den flimmernden Lichtern auf ihrem Terminal abzuwenden.

»Übermitteln Sie die Daten bitte auf meinen Bildschirm, Telgar«, antwortete Admiral Paul Benden. Neben ihm am Kommandopult saß Emily Boll, reglos gegen die Seitenlehne ihres Sitzes gepresst, und starrte den sonnenhellen Planeten an, ohne die Hektik ringsum wahrzunehmen.

Nach fünfzehn Jahren hatte die Pern-Expedition ihren Höhepunkt erreicht: Die drei Kolonistenschiffe Yokohama, Bahrain und Buenos Aires näherten sich ihrem Ziel. In den Räumen unter dem Kommandodeck warteten Experten voller Ungeduld auf Daten, um die Protokolle des Erkundungs- und Vermessungs-Teams, das vor zweihundert Jahren Rubkats dritten Planeten zur Kolonisation empfohlen hatte, auf den neuesten Stand zu bringen.

Die lange Reise in den Sagittarius-Sektor war völlig problemlos verlaufen. Einzig und allein die Entdeckung einer Oort'schen Wolke um das Rubkat-System hatte die Wissenschaftler an Bord in Aufregung versetzt, aber Paul Bendens Interesse an dem Phänomen verlor sich rasch, nachdem Ezra Keroon, der Kapitän der Bahrain und Astronom der Expedition, ihm glaubhaft versichert hatte, dass die nebelartige Masse tiefgefrorener Meteoriten nicht mehr war als eine astronomische Kuriosität. Man würde die Wolke im Auge behalten, hatte Ezra erklärt, da sie möglicherweise den einen oder anderen Kometen ausschleuderte, aber er sei überzeugt davon, dass sie weder für die drei Kolonistenschiffe noch für den Planeten, dem sie sich rasch näherten, eine ernsthafte Gefahr darstellte. Schließlich hatte das Erkundungs- und Vermessungs-Team keine ungewöhnliche Häufung von Meteoreinschlägen auf Pern erwähnt.

»Sondenmesswerte auf Schirm zwei und fünf, Sir«, meldete Sallah. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Andeutung eines Lächelns über Admiral Bendens Züge huschte.

»Alles halb so erhebend, wie wir gedacht hatten, wie?«, murmelte er Emily Boll zu, als die neuesten Daten auf den Bildschirmen erschienen.

Emily saß mit verschränkten Armen an ihrem Platz. Sie hatte sich seit dem Absetzen der Sonden nicht von der Stelle gerührt. Nur hin und wieder fuhr sie sich mit den Fingern über die Oberarme. Jetzt hob sie sarkastisch die rechte Augenbraue, ohne den Blick vom Monitor abzuwenden.

»Ach, ich weiß nicht. Es ist immerhin ein weiterer Schritt näher ans Ziel. Zwar müssen wir die Daten nehmen, wie sie kommen«, fügte sie trocken hinzu, »aber ich rechne damit, dass wir es schaffen.«

»Uns bleibt gar keine andere Wahl, oder?«, entgegnete Paul Benden eine Spur zu ernst.

Es war eine Reise ohne Rückkehr – kein Wunder, wenn man bedachte, was es kostete, mehr als sechstausend Kolonisten mitsamt ihrer Ausrüstung in einen derart entlegenen Sektor der Galaxis zu befördern. Sobald sie Pern erreicht hatten, blieb in den großen Transportschiffen gerade noch so viel Treibstoff übrig, dass sie in einen geostationären Orbit um den Planeten gehen konnten, während Menschen und Material mit Raumfähren nach unten gebracht wurden. Gewiss, sie hatten Peilkapseln, mit denen sie notfalls in nicht mehr als fünf Jahren das Hauptquartier der Konföderation Vernunftbegabter Rassen erreichen konnten, aber einem ehemaligen Marinetaktiker wie Paul Benden boten diese zerbrechlichen Dinger wenig Sicherheit und Rückhalt. Die Pern-Expedition bestand aus entschlossenen, einfallsreichen Menschen, die den High-Tech-Zivilisationen der KVR den Rücken gekehrt hatten und fest davon überzeugt waren, dass sie allein zurechtkommen würden. Und obwohl ihr Ziel im Rubkat-System genügend Erz- und Mineralvorkommen besaß, um den Aufbau eines auf landwirtschaftlicher Basis funktionierenden Gesellschaftssystem zu gewährleisten, war die Welt doch so arm und so weit vom Zentrum der Galaxis entfernt, dass sie dem Zugriff der habgierigen Technokraten wohl entgehen würde.

»Nicht mehr lange, Paul«, sagte Emily so leise, dass nur Benden ihre Worte verstand, »und wir können beide die Hände in den Schoß legen.«

Er verzog das Gesicht zu einem schwachen Grinsen, denn er wusste, dass es ihr ebenso schwergefallen war wie ihm, den Überredungskünsten der Technokraten zu widerstehen, die alles versucht hatten, um zwei so legendäre Kriegshelden in ihren Reihen zu halten – den Admiral, der in der Cygnus-Schlacht den entscheidenden Sieg errungen hatte, und die mutige Gouverneurin von Centauri First. Aber keiner konnte leugnen, dass diese beiden die idealen Führer für die Pern-Expedition waren.

»Ehe wir die Hände in den Schoß legen«, fuhr sie etwas lauter fort, »will ich versuchen, unsere Experten zu beruhigen – besonders jetzt, da die Sondendaten hereinkommen. Mir ist ja klar, dass jeder Wissenschaftler sein Fachgebiet für den Nabel der Welt halten muss, aber ich habe selten solche Streithähne erlebt wie auf dieser Expedition.« Sie unterdrückte ein Stöhnen, aber dann lachte sie und zwinkerte Paul Benden zu. »Noch ein paar Tage, und dann zählen Taten statt Worte, Admiral!«

Sie kannte ihn gut. Ihm waren die endlosen Diskussionen über Lappalien, in die sich die Verantwortlichen der Landeoperation so gern verrannten, gründlich zuwider. Er zog es vor, schnelle Entscheidungen zu treffen und sie unverzüglich in die Tat umzusetzen, anstatt sie zu Tode zu reden.

»Du hast mehr Geduld mit den Leuten als ich«, meinte der Admiral ruhig. Seit die drei Schiffe vor zwei Monaten das Rubkat-System erreicht und mit den Bremsmanövern begonnen hatten, waren die Tage von öden Besprechungen und Debatten erfüllt gewesen, die sich nach Pauls Ansicht erübrigten, da man sämtliche Details bereits siebzehn Jahre zuvor im Planungsstadium des Unternehmens gründlich breitgetreten hatte.

Die meisten der 2900 Kolonisten an Bord der Yokohama hatten die gesamte Reisezeit im Tiefschlaf verbracht. Das für die Bedienung und Wartung der drei großen Schiffe erforderliche Personal hatte sich in einem fünfjährigen Turnus abgewechselt. Paul Benden hatte die erste und die letzte Fünfjahresschicht übernommen. Emily Boll war kurz vor den anderen Umweltexperten reanimiert worden, die nun nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wussten, als lauthals über die oberflächlichen Berichte des Erkundungs- und Vermessungs-Teams zu lamentieren. Die ehemalige Gouverneurin unterdrückte den Hinweis, dass sie die gleichen Berichte begeistert gelobt hatten, als sie sich um die Teilnahme an der Pern-Expedition bewarben.

Paul studierte weiterhin aufmerksam die Sondendaten. Seine Blicke wanderten von einem Schirm zum anderen, während er sich mit dem Daumen der linken Hand geistesabwesend über die drei Finger der Rechten strich. Obwohl Paul Benden als Mann nicht der Typ war, zu dem sich Emily hingezogen fühlte, musste sie doch zugeben, dass er gut aussah, besonders jetzt, da er sein Haar nicht mehr so militärisch kurz trug wie zu Beginn der Expedition. Sie fand, dass die dichte blonde Mähne die kantigen Züge weicher erscheinen ließ – die etwas derbe Nase, das kräftige Kinn und den strengen Mund, der im Moment zu einem schwachen Lächeln verzogen war.

Die Reise hatte ihm gutgetan: Er strotzte vor Kraft und Energie, und sie hatte den Eindruck, dass er den Strapazen der kommenden Monate ohne weiteres gewachsen sein würde. Dabei erinnerte sie sich noch genau, wie entsetzlich hager er bei der offiziellen Siegesfeier nach der Cygnus-Schlacht ausgesehen hatte, jenem entscheidenden Kampf, in dem er an der Spitze der Purpur-Sektor-Flotte die Wende im Krieg gegen die Nathi herbeigeführt hatte. Damals ging das Gerücht, er sei siebzig Stunden ohne Unterbrechung auf der Kommandobrücke geblieben. Emily glaubte das ohne weiteres. Sie selbst hatte während der schlimmsten Nathi-Angriffe auf ihren Planeten ähnliche Leistungen vollbracht. Der Mensch konnte sich eine Menge abverlangen, wenn er dazu gezwungen wurde. Vielleicht forderte der Körper später seinen Tribut, aber im Moment war Benden, der jetzt in seinem sechsten Jahrzehnt stand, ein Urbild an Kraft und Gesundheit. Und auch sie spürte kein Nachlassen ihrer Energien. Vierzehn Jahre Tiefschlaf schienen die bleierne Müdigkeit vertrieben zu haben, die sie nach der kräftezehrenden Verteidigung von Centauri First empfunden hatte.

Eine herrliche Welt, der sie sich jetzt näherten! Emily seufzte. Immer noch fiel es ihr schwer, die Blicke länger als ein paar Sekunden vom Hauptschirm abzuwenden. Den anderen erging es nicht besser. Wer immer auf der Brücke Dienst tat oder nach der letzten Schicht im Kommandoraum geblieben war, war gefesselt vom Anblick des Planeten, dem sie entgegenflogen.

Emily wusste nicht mehr, wer dieser Welt den Namen Pern gegeben hatte – höchstwahrscheinlich hatten die Buchstaben, die quer über dem veröffentlichten Bericht prangten, ursprünglich etwas ganz anderes bedeutet –, aber nun hieß sie offiziell Pern, und sie gehörte ihnen. Sie flogen parallel zum Äquator. Der Planet rotierte langsam; während sie in den Monitor starrte, verschwand der Nordkontinent mit seinem hohen Küstengebirge, und die Wüstengebiete im Westen der südlichen Landmasse tauchten auf. Das wohl augenfälligste topographische Merkmal war die weite Fläche des Ozeans, etwas grünlicher als auf der alten Erde, mit Inseln, die in einem weiten Ring aus dem Wasser ragten. In der Atmosphäre zogen die Wolkenwirbel eines Tiefdruckgebiets rasch nach Nordosten. Eine wunderschöne Welt! Sie seufzte erneut und fing Pauls flüchtigen Blick auf. Ohne die Augen richtig vom Schirm abzuwenden, lächelte sie ihm zu.

Eine schöne Welt! Ihre Welt! Bei allen Heiligen, diesmal werden wir sie nicht mehr verpfuschen!, gelobte sie sich feierlich. Es gibt so viel prächtiges, fruchtbares Land für alle, dass die alten Gründe für Streit und Krieg keine Gültigkeit mehr haben. Nein, überlegte sie mit einer Spur von Zynismus, aber wir sind bereits dabei, neue zu finden. Sie dachte an die Spannungen zwischen den Konzessionären, welche die immensen Summen für die Expedition nach Pern aufgebracht hatten, und den Kontraktoren, den angeheuerten Experten, ohne deren Fähigkeiten das Unternehmen zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Jede der beiden Gruppen würde auf der neuen Welt großzügige Landparzellen oder Schürfrechte erhalten, aber die Tatsache, dass die Konzessionäre die erste Wahl hatten, sorgte bereits jetzt für böses Blut.

Unterschiede! Warum musste es immer Unterschiede geben, arrogant als Überlegenheit zur Schau getragen oder als Minderwertigkeit verspottet? Jeder hatte die gleichen Chancen, egal, wie viele Morgen Land man nun diesem Konzessionär oder jenem Kontraktor zugesichert hatte. Auf Pern lag es wirklich an jedem einzelnen, ob er Erfolg hatte und das Beste aus dem Land machte, das er für sich und die Seinen beanspruchte, und nur daran würde er gemessen werden. Ach was, tröstete sie sich, nach der Landung werden alle so verdammt viel zu tun haben, dass keine Zeit zum Nachdenken über ›Unterschiede‹ bleibt! Fasziniert sah sie zu, wie sich vom verborgenen Nordkontinent ein zweites Tiefdruckgebiet näherte und über das Meer zog. Wenn sich die beiden Unwettersysteme trafen, würde es über dem östlichen Bogen der Inselkette zu einem gewaltigen Sturm kommen.

»Sieht gut aus«, murmelte Kommandant Ongola mit seiner dunklen, immer ein wenig traurigen Bassstimme. Emily hatte ihn in den sechs Monaten, seit sie wach war, nicht ein einziges Mal lächeln sehen. Sie wusste von Paul, dass Ongola bei einem Angriff der Nathi auf seine Militärkolonie seine Frau, seine Kinder und die gesamte übrige Familie verloren hatte. Paul hatte ihn persönlich aufgefordert, sich der Expedition anzuschließen. Nun saß Ongola an der Messstation und überwachte die meteorologischen und atmosphärischen Werte. »Zusammensetzung der Atmosphäre wie erwartet. Temperaturen auf dem Südkontinent für spätwinterliche Verhältnisse normal. Auf dem Nordkontinent reichliche Niederschläge aufgrund von Tiefdruckluftmassen. Analysen und Temperaturen entsprechen dem EV-Vorbericht.«

Die erste Sonde umkreiste den Planeten in großer Höhe und auf einem Kurs, der es ihr erlaubte, Pern in seiner Gesamtheit zu fotografieren. Die zweite hatte einen niedrigeren Orbit eingeschlagen und konnte jedes gewünschte Teilgebiet im Detail untersuchen. Die dritte Sonde war auf einzelne Geländemerkmale programmiert.

»Sonden vier und sechs sind gelandet, Sir. Fünf befindet sich im Schwebeflug«, verkündete Sallah, als an der Konsole neue Lichter aufzublinken begannen. »Die Raupen schwärmen aus.«

»Kann ich das auf die Schirme bekommen, Telgar?«, bat der Admiral. Sie legte die Bilder auf die Schirme drei, vier und fünf.

Der Planet Pern, der weiterhin den Hauptschirm beherrschte, drehte sich langsam nach Osten, von der Nacht- zur Tagseite. Die Küstenlinie des Südkontinents lag hell vor ihnen; die Gebirgskette und mehrere große Flüsse waren zu erkennen. Der Thermalscanner zeigte den Einfluss des Tageslichts auf die Spätwintertemperaturen des Südkontinents.

Bodensonden, die sogenannten Raupen, befanden sich an drei noch nicht sichtbaren Punkten der Südhemisphäre und übermittelten laufend die neuesten Daten über Geländebeschaffenheit und sonstige Verhältnisse. Der Südkontinent war von Anfang an als Landeplatz favorisiert worden. Der EV-Report hatte eine Reihe von Pluspunkten aufgeführt: das mildere Klima auf den Hochflächen; eine größere Vielfalt von Pflanzenarten, manche davon sogar für Menschen genießbar; hervorragendes Ackerland; gute Häfen für die widerstandsfähigen Fischerboote aus Siliplex, die im Moment noch als nummerierte Bausätze in den Ladeluken der Buenos Aires und der Bahrain ruhten. In den Meeren von Pern wimmelte es von Leben, und zumindest einige der Spezies konnten ohne Gefahr von Menschen verzehrt werden. Die Meeresbiologen hegten große Hoffnungen, dass sie in den Buchten und Flussmündungen terrestrische Fische züchten konnten, ohne das bestehende ökologische Gleichgewicht zu stören. In den Tiefkühltanks der Bahrain befanden sich fünfundzwanzig Delfine, die aus eigenem Entschluss auf die lange Reise mitgekommen waren. Die Ozeane von Pern waren hervorragend geeignet als Lebensraum für die intelligenten und allem Neuen aufgeschlossenen Säugetiere, die sich auch gern als Fischhirten betätigten.

Bodenanalysen hatten gezeigt, dass sich die meisten irdischen Getreide- und Gemüsesorten, die auch auf Centauri gut gediehen, an die Verhältnisse von Pern anpassen würden, ein wichtiger Punkt, denn die einheimischen Gräser waren für terrestrische Tiere ungeeignet. Eine der ersten Aufgaben der Agronomen würde darin bestehen, Futterpflanzen anzubauen, um die verschiedenen Pflanzenfresser und Wiederkäuer zu ernähren, die man in Form befruchteter Eizellen von den Zuchtbänken auf Terra erhalten und hierhergebracht hatte.

Um das Überleben dieser Tiere auf Pern zu sichern, hatte man den Kolonisten nach einigem Widerstreben die Erlaubnis erteilt, einige der hochentwickelten biogenetischen Verfahren der Eridani anzuwenden – vor allem Metasynthese, Genveränderung und Chromosomenverbesserung. Obwohl sich Pern in einem abgelegenen Teil der Galaxis befand, wollte die Konföderation Vernunftbegabter Rassen unbedingt weitere Katastrophen wie die Bio-Freaks vermeiden, die zu einem gewaltigen Aufschwung der Fraktion Reinrassiger Menschen geführt hatten.

Emily unterdrückte einen Schauder. Diese Erinnerungen gehörten der Vergangenheit an. Der Schirm vor ihr zeigte die Zukunft – und damit von Anfang an alles in die richtigen Bahnen gelenkt wurde, verschwand sie jetzt wohl am besten nach unten und kümmerte sich um die Spezialisten. »Ich habe lange genug herumgetrödelt«, sagte sie leise zu Paul Benden und tippte ihm zum Abschied leicht auf die Schulter.

Paul wandte sich einen Moment lang vom Schirm ab und drückte ihr lächelnd die Hand. »Aber iss zuerst noch etwas!« Er hob mahnend den Zeigefinger. »Du vergisst immer wieder, dass die Vorräte an Bord der Yoko nicht rationiert sind.«

»Stimmt.« Sie sah ihn ein wenig überrascht an. »Wird sofort erledigt – großes Ehrenwort!«

»Tu das! Die nächsten Wochen werden bestimmt an deinen Kräften zehren.«

»Mag sein. Aber ich freue mich darauf.« Ihre blauen Augen strahlten, doch im nächsten Moment knurrte ihr Magen hörbar. »Verstanden, Admiral!« Sie zwinkerte ihm zu und ging.

Er sah ihr nach, als sie dem Ausgang zustrebte, eine schlanke, fast hagere Frau mit grauem, natürlich gewelltem Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Was Paul am meisten imponierte, war ihre Spannkraft, moralisch wie physisch, gepaart mit einer Schonungslosigkeit, die ihn manchmal verblüffte. Sie besaß eine ungeheuere Vitalität, die ansteckend wirkte. Allein ihre Nähe reichte aus, um ihm neuen Schwung zu geben. Gemeinsam würden sie das Beste aus der neuen Welt machen.

Er wandte sich wieder dem Schirm und dem fesselnden Anblick von Pern zu.

 

Man hatte den großen Salon zum Besprechungsraum für die Leiter der Exobiologen-, Agronomen-, Botaniker- und Ökologenteams umfunktioniert. Außerdem hatten sich sechs Vertreter der Farmer eingefunden, noch ein wenig benommen nach dem langen Kälteschlaf. Ringsum zeigten die Bildschirme an den Wänden ständig wechselnde Daten – mikrobiologische Berichte, Statistiken, Vergleiche und Analysen. Heftige Debatten waren im Gang. Die Männer und Frauen an den Schreibtischmonitoren, die in aller Eile die hereinkommenden Informationen zu Diagrammen und Tabellen ordneten, versuchten die Nervosität zu übersehen, die von den sechs Expertenvertretern in der Mitte des Raumes ausging. Angespannt lauerten sie auf alle Daten, die ihr jeweiliges Fachgebiet betrafen.

Mar Dook, der Leiter der Agronomen, war ein feingliedriger Mann, dessen Herkunft aus dem asiatischen Teil der Erde in Hautfarbe, Gesichtszügen und Körperbau deutlich erkennbar war. Er war drahtig und hager, mit leicht hängenden Schultern, und in den intelligenten schwarzen Augen blitzten der Eifer und die Erregung über die schwierige Aufgabe, die es zu bewältigen galt.

»Der Zeitplan ist doch längst festgelegt, meine lieben Kollegen. Wir gehen mit der ersten Landegruppe nach unten. Die Sondendaten bestätigen voll und ganz unsere bisherigen Informationen. Boden- und Vegetationsproben stimmen überein. Auch die roten und grünen Algenspezies entlang der Küsten kennen wir bereits aus den Vorberichten. Die Ozeansonde hat eine Reihe von Meereslebewesen gesichtet. Und eine der tieffliegenden Landsonden bestätigt den Hinweis des EV-Teams, dass es auf Pern eine große Insektenvielfalt gibt. Beruhigend, nicht wahr? Auf dem Luft-Fax sind außerdem diese Fluggeschöpfe zu sehen, die unsere Vorgänger Wherries oder Wherhühner nannten – aus welchem Grund auch immer.«

Phas Radamanth schaute lächelnd auf. »Ein Begriff aus dem englischen Sprachraum, soviel ich weiß. Damit wurden früher einmal große schwerfällige Luftfrachter bezeichnet. Seht euch die Biester doch an – plump, fett und träge!«

Kwan Marceau nickte geistesabwesend. »Ja«, murmelte er mit gerunzelter Stirn, »aber andere Raubtiere werden nirgends erwähnt.«

»Oh, es gibt sicher eine Spezies, die sich von den Wherhühnern ernährt«, meinte Phas zuversichtlich.

»Oder sie fressen sich gegenseitig«, bemerkte Mar Dook und handelte sich dafür einen strengen Blick von Kwan ein. Plötzlich deutete Mar erregt auf ein neues Fax, das auf einem der Bildschirme erschien. »Seht doch! Die Raupensonde hat ein Reptiloid aufgenommen! Ein ziemlich großes Exemplar, zehn Zentimeter stark und sieben Meter lang. Da hast du deinen Wherhuhnvertilger, Kwan!«

»Eine andere Raupe ist soeben durch eine halbflüssige Exkrementenmasse gefahren, die eine reiche Darmflora aus Parasiten und Bakterien enthält«, meldete Pol Nietro und markierte den Bericht hastig, um sich später damit zu befassen. »Außerdem scheint es im Boden jede Menge von Würmern zu geben. Eine ungemein wichtige Entdeckung, wenn ihr mich fragt. Nematoden, Insektoiden, Maden, wie man sie auch in einem terrestrischen Komposthaufen finden könnte. Ted, hier ist etwas für dich: Gewächse, die Ähnlichkeit mit unserer Mykorrhiza haben – Baumschwämme. Und da wir schon beim Thema sind – ich möchte gern wissen, wo das EV-Team dieses lumineszierende Myzel entdeckt hat!«

Ted Tubberman, einer der Botaniker, schnaubte verächtlich. Er war ein vierschrötiger Mann, der nach knapp fünfzehn Jahren im Tiefschlaf kein Gramm Fett mehr auf den Rippen hatte, und er neigte ein wenig zur Überheblichkeit. »Lumineszierende Organismen finden sich in der Regel in Höhlen, Nietro«, dozierte er. »Mit Hilfe ihrer Leuchtstoffe locken sie Insekten und andere Opfer an. Das Myzel, von dem das Team berichtete, befand sich in einem Höhlensystem auf der großen Insel unterhalb des Nordkontinents. Überhaupt scheint der Planet eine beträchtliche Anzahl ausgedehnter Höhlensysteme zu besitzen. Warum hat man eigentlich nicht die eine oder andere Raupensonde für unterirdische Erkundungen eingesetzt?«, fragte er vorwurfsvoll.

»Wir hatten nur eine begrenzte Anzahl zur Verfügung, Ted«, erklärte Mar Dook besänftigend.

»Da, seht doch! Darauf hatte ich gehofft!« Kwans sonst so ernste Züge leuchteten, und er beugte sich über den winzigen Schirm, bis er fast mit der Nase daranstieß. »Das sind Felsenriffe. Und dort, eine empfindliche, aber ausgewogene Meeresökologie entlang der Ringinseln. Das ist sehr ermutigend. Die verstreuten Punkte, die damals entdeckt wurden, stammen vielleicht doch von einem Meteoritenschauer.«

Ted winkte ungeduldig ab. »Niemals. Keine Einschlagstellen, und das Nachwachsen der Vegetation passt nicht zu dieser Art von Phänomen. Ich werde mich mit diesem Problem so rasch wie möglich befassen.«

»Zuerst«, warf Mar Dook mit leisem Tadel ein, »müssen wir die geeigneten Ackerflächen auswählen, den Boden umbrechen, testen und ihn notfalls mit symbiotischen Bakterien- und Pilzkulturen, vielleicht sogar mit Käfern versorgen.«

»Aber wir wissen bis jetzt doch nicht einmal, wo wir landen werden!« Auf Teds Wangen zeigten sich hektische rote Flecken.

»Auf einem der drei Landeplätze, die im Moment näher untersucht werden«, erklärte Mar Dook mit nachsichtigem Lächeln. Tubbermans gereizte Betriebsamkeit wurde allmählich lästig. »Alle drei bieten uns mehr als genug Raum für Saatkulturen und Versuchsfelder. Unsere Aufgabe bleibt die gleiche, egal, wo wir landen. Wichtig ist nur, dass wir diese erste Anbausaison nicht verpassen.«

»Die Zuchttiere müssen ebenfalls rasch reanimiert werden«, sagte Pol Nietro. Der Leiter des Zoologenteams wartete ebenso ungeduldig wie alle anderen darauf, sich in die praktische Arbeit zu stürzen. »Aber wenn wir sie nur mit Luzerne aus den Kulturen füttern, werden sie ihre Verdauung kaum auf die neue Umgebung umstellen. Wir müssen gleich von Anfang an dafür sorgen, dass Pern uns liefert, was wir brauchen.«

Die anderen murmelten zustimmend.

»Der einzige neue Faktor in diesen Berichten«, meinte der Xenobiologe Phas Radamanth, ohne den Blick von den Bildschirmen abzuwenden, »ist die Vegetationsdichte. Das Gebiet Fünfundvierzig Süd Elf erfordert vermutlich mehr Rodungsarbeiten, als wir dachten. Hier ...« Er legte die Aufnahmen des EV-Protokolls neben die neuesten Bilder. »Der spärliche Pflanzenbewuchs von damals hat sich in dichte und zum Teil auch sehr hohe Vegetation verwandelt.«

»Das zumindest kann man nach mehr als zweihundert Jahren wohl auch erwarten!«, fuhr Ted Tubberman dazwischen. »Ich hatte von Anfang an meine Bedenken wegen dieser nahezu kahlen Zonen. Das roch doch geradezu nach geschwächtem Ökosystem. He, seht doch, die meisten dieser kreisförmigen Gebilde sind überwuchert! Felicia, spiel mal die zugehörigen EV-Bilder ein!« Er beugte sich über ihre Schulter und starrte auf den Doppelschirm unterhalb des Sondenmonitors. »Da, diese Kreise sind kaum noch zu erkennen. Das Team hatte recht, als es behauptete, die Vegetation würde sich weiterentwickeln. Keine Grasarten, hm ... Falls es sich um mutierte Pflanzen handeln sollte ...« Er verstummte, schüttelte den Kopf und streckte energisch das Kinn vor. Tubberman hatte immer wieder lautstark betont, dass der Erfolg einer Kolonie auf Pern von einer gesunden Vegetation abhängen würde.

»Auch ich wäre erleichtert, wenn du mit der Pflanzensukzession recht hättest«, begann Mar Dook, »aber nach den EV-Protokollen ...«

»Vergiss die EV-Protokolle!«, unterbrach ihn Ted. »Da steht nicht die Hälfte von dem drin, was wir wissen müssten! Erkundung und Vermessung nennt sich so was! Mal schnell den Planeten umkreist, und das war's dann. Das ist der oberflächlichste Bericht, den ich je in die Finger bekommen habe!«

»Das mag ja stimmen«, sagte Emily Boll ruhig. Sie hatte den Raum betreten, während der Botaniker sich immer mehr ereiferte. »Jetzt, da wir ihn direkt mit unserer neuen Heimat vergleichen können, erscheint der erste EV-Bericht tatsächlich recht unvollkommen. Aber er erwähnt die wesentlichen Dinge. Wir wissen, was wir unbedingt wissen mussten, und die KVR hat uns den Planeten gern überlassen, weil er für sie kaum einen Wert besitzt. Zumindest werden sich die Syndikate nicht darum streiten. Ich finde, wir sollten dem Team dankbar sein, anstatt es zu kritisieren.« Lächelnd sah sie sich in der Runde um. »Die wichtigen Elemente – Atmosphäre, Wasser, Ackerboden, Erze, Mineralien, Bakterien, Insekten, Meereslebewesen – sind vorhanden. Pern eignet sich hervorragend für die Besiedlung durch die Menschen. Alles andere werden wir nach und nach herausfinden. Wir haben ein Leben lang Zeit dazu, und es soll eine Herausforderung für uns und unsere Kinder sein.« Obwohl sie leise sprach, drang ihre Stimme bis in den letzten Winkel des Raumes. »Jetzt hat es keinen Sinn mehr, über die Versäumnisse der Vergangenheit zu jammern. Konzentrieren wir uns lieber auf das große Werk, das wir in knapp zwei Tagen beginnen müssen. Wir sind für alle Überraschungen gewappnet, die Pern uns vielleicht zu bieten hat! Mar Dook, sind irgendwelche Hindernisse aufgetaucht, die eine Verschiebung des Zeitplans erzwingen?«

»Nein«, antwortete Mar Dook und schielte zu Ted Tubberman hinüber, der Emily Boll wütend anstarrte. »Schade, dass wir noch keine Boden- und Grünpflanzenproben haben. Damit könnten sich manche von uns sinnvoll beschäftigen.«

»Kann ich mir denken«, lachte Emily. »Aber da kommen deine Informationen ja schon – und nicht zu knapp!«

»Wir wissen immer noch nicht, wo wir landen!«, beschwerte sich Ted.

»Der Admiral diskutiert dieses Thema gerade«, antwortete Emily versöhnlich. »Wir werden mit die ersten sein, denen er seine Entscheidung mitteilt.«

Die Agronomen sollten mit den ersten Fährentransporten auf Pern abgesetzt werden, denn es war für das künftige Gedeihen der Kolonie entscheidend, dass der Boden rechtzeitig für die Aussaat vorbereitet wurde. Noch während die Techniker das Landegitter in den Boden einließen, würde das Agronomenteam die ersten Felder pflügen, und Tubberman würde mit seiner Gruppe das kostbare, von der Erde stammende Saatgut ausbringen. Pat Hempenstall hatte die Aufgabe, ein Gewächshaus zu bauen und zu untersuchen, welche irdischen Pflanzensorten oder in den anderen Kolonien verwendeten Abarten davon ohne Hilfe direkt im Erdreich von Pern gediehen. Auch symbiotische Bakterien sollten in dem fremden Boden getestet werden.

»Hoffentlich bestätigen die Berichte die Flug- und Kriechinsektoiden, von denen in den EV-Protokollen die Rede war«, murmelte Pol Nietro. »Falls sie in der Lage wären, die Aufgaben von terrestrischen Mistkäfern und Fliegen zu übernehmen, hätte die Landwirtschaft einen guten Start. Wir müssen dafür sorgen, dass die Nährstoffe aus dem Kot der Tiere zurück in den Boden gelangen – alle die Pansenbakterien, Protozoen und Hefen, ohne die unsere Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde nicht leben können.«

»Wenn nicht, Pol, dann bitten wir Kitti um einen ihrer Mikrotricks. Sie kann die Eingeweide der Tiere ein wenig an die Gegebenheiten von Pern anpassen.« Emily lächelte der zierlichen alten Dame im Zentrum der kleinen Gruppe ehrerbietig zu.

»Die Bodenproben sind da!«, unterbrach Ju Adjai das kurze Schweigen. »Und hier ist auch dein Gemüsebrei, Ted, damit du was zu kauen hast!«

Tubberman saß im Nu neben Felicia, und seine dicken Finger glitten geschickt und sicher über die Computertastatur.

Sekunden später hörte man nur noch das Klappern der Tasten, hin und wieder unterbrochen von einem Murmeln oder einem unterdrückten Ausruf. Emily und Kit Ping tauschten einen Blick, in dem wohlwollender Spott über die Wichtigtuerei der Jüngeren mitschwang. Dann wandte Kit Ping die Aufmerksamkeit wieder dem Hauptschirm zu und betrachtete eingehend die Welt, der sie sich rasch näherten.

Während Emily an ihrem Terminal Platz nahm, überlegte sie, welchem gütigen Schicksal es die Expedition wohl zu verdanken hatte, dass sich die berühmteste Genetikerin der Konföderation Vernunftbegabter Rassen in ihren Reihen befand – der einzige Mensch, der je von den Eridani eine Ausbildung in Gentechnik erhalten hatte. Emily hatte nur Bilder von den grauenvoll ›veränderten‹ Teilnehmern der ersten missglückten Expedition nach Eridani gesehen. Sie unterdrückte einen Schauder. Diese Art von Eingriffen durfte es auf Pern niemals geben. Vielleicht hatte sich Kit Ping deshalb bereiterklärt, die Reise an den Rand der Galaxis mitzumachen – um ihr ungeheuer langes und ereignisreiches Leben an einem stillen, abgeschiedenen Ort zu beenden, wo sie wenigstens einen Teil ihrer Erinnerungen beiseite schieben konnte. Es gab viele auf der Passagierliste, die mitgekommen waren, um zu vergessen, was sie gesehen und getan hatten.

»Diese grasähnlichen Pflanzen auf dem Landeplatz im Osten werden sich verdammt schlecht abmähen lassen«, meinte Ted Tubberman stirnrunzelnd. »Hoher Borgehalt. Macht die Schneiden stumpf und verstopft die Maschinen.«

»Aber vielleicht dämpfen sie den Aufprall bei der Landung«, meinte Pat Hempenstall mit leisem Lachen.

»Unsere Fähre ist schon auf weit schlimmerem Gelände sicher gelandet«, erinnerte Emily die anderen.

»Felicia, ich brauche Vergleichswerte für die Pflanzensukzession in der Nähe dieser komischen Tupfen«, erklärte Ted Tubberman und starrte wie gebannt auf seine Schirme. »Irgendetwas an ihrer Struktur gefällt mir nicht. Das Phänomen ist auf dem ganzen Planeten verbreitet. Und mir wäre wohler, wenn wir dazu die Meinung von diesem Supergeologen hören könnten, Tarzan ...« Er unterbrach sich.

»Tarvi Andiyar«, half ihm Felicia, die an seine Gedächtnislücken gewöhnt war.

»Gut. Hinterleg eine Notiz, dass ich ihn dringend sprechen muss, sobald er reanimiert ist. Verdammt, Mar, wie sollen wir weiterkommen, wenn sich die Hälfte aller Experten im Tiefschlaf befindet!«

»Bis jetzt geht doch alles glatt, Ted. Pern zeigt sich von seiner schönsten Seite, und die Daten stimmen haargenau mit dem Vorbericht überein.«

»Fast ein wenig unheimlich, nicht wahr?«, bemerkte Pol Nietro ironisch.

Tubberman fauchte, Mar Dook hob die Schultern, und Kitti Ping lächelte.

 

Admiral Bendens Chronometer vibrierte an seinem Handgelenk und erinnerte ihn daran, dass es Zeit für die von ihm selbst angesetzte Besprechung war.

»Kommandant Ongola, übernehmen Sie die Brücke!« Paul verließ den Kommandoraum nur zögernd und behielt den Hauptschirm im Auge, bis sich die Schiebetür hinter ihm geschlossen hatte.

In den Korridoren des großen Kolonistenschiffes herrschte mit jeder Stunde mehr Gedränge, stellte Paul fest, als er zur Offiziersmesse hinüberschlenderte. Eben erst reanimierte Passagiere klammerten sich an die Geländer, versuchten mit zuckenden Bewegungen die steifen Muskeln zu lockern und bemühten sich, Körper und Geist auf die plötzlich höchst schwierige Aufgabe des aufrechten Stehens und Gehens zu konzentrieren. Die gute alte Yoko würde einer Sardinenbüchse ähneln, wenn erst einmal sämtliche Kolonisten wach waren und auf den Fährentransport nach Pern warteten. Aber die Aussicht auf die Freiheit und Weite einer neuen Welt machte die Enge sicher erträglich.

Paul hatte die verschiedenen Sondenberichte aufmerksam mitverfolgt und sich bereits für einen der drei empfohlenen Landeplätze entschieden. Natürlich verlangte es die Höflichkeit, dass er die Ansicht seiner Offiziere und der beiden anderen Kapitäne dazu einholte, aber die Wahl musste einfach auf das große Plateau unterhalb jener Gruppe von Schichtvulkanen fallen. Das Wetter war dort im Moment sehr mild, und die nahezu ebene Fläche war weiträumig genug, um alle sechs Fähren aufzunehmen. Die neuen Daten hatten ihn in seinem Entschluss bestärkt, den er bereits siebzehn Jahre zuvor beim Lesen der EV-Protokolle gefasst hatte. Bei der Landung hatte er ohnehin nie große Schwierigkeiten gesehen; das reibungslose, unfallfreie Entladen bereitete ihm mehr Kopfzerbrechen. Auf Pern schwebte kein Rettungsschiff am Himmel, und auf dem Boden gab es keine Mannschaft, die bei der Katastrophe einspringen konnte.

Die Organisation des Fährentransports nach Pern hatte Paul seinem ehemaligen Kampfgefährten Fulmar Stone übertragen, der während des gesamten Cygnus-Feldzugs nicht von seiner Seite gewichen war. In den letzten beiden Wochen hatten Fulmars Leute die drei Fähren der Yoko sowie die Admirals-Gig auf Herz und Nieren überprüft, um sicherzugehen, dass sich nach fünfzehn Jahren in den Kühlhallen des Flugdecks keine Defekte eingeschlichen hatten. Währenddessen hatte Kenjo Fusaiyuki die zwölf Piloten der Yoko einem harten Simulatordrill unterzogen, der mit den ausgefallensten Landezwischenfällen gespickt war. Die meisten der Männer hatten Einsätze als Kampfflieger hinter sich und besaßen genug Erfahrung, um auch schwierige Situationen zu meistern, aber keiner von ihnen kam auch nur entfernt an Kenjo Fusaiyuki heran. Einige der jüngeren Leute hatten sich über Kenjos Methoden beschwert; Paul Benden hatte sich ihre Klagen höflich angehört – und sie nicht zur Kenntnis genommen.

Paul war überrascht und geschmeichelt gewesen, als Kenjo sich für die Expedition meldete. Irgendwie hatte er erwartet, dass der Mann sich bei einer Forschungsgruppe verpflichten würde, wo er fliegen konnte, solange seine Reflexe nicht nachließen. Dann aber fiel ihm ein, dass Kenjo ein Kyborg war und ein künstliches linkes Bein hatte. Nach dem Krieg hatte das Erkundungs- und Vermessungs-Korps mit einem Mal mehr als genug erfahrenes, gesundes Personal zur Verfügung gehabt, und so war man dazu übergegangen, alle Kyborgs auf Verwaltungsposten abzuschieben. Unwillkürlich ballte Paul die linke Hand zur Faust und strich mit dem Daumen über die drei Ersatzfinger, die stets wie natürliche Gliedmaßen funktioniert hatten, auch wenn das Pseudofleisch gefühllos war. Langsam entspannte er die Hand, und selbst jetzt, nach so langer Zeit, glaubte er immer noch, ein schwaches Knarren in den Plastikknöcheln und im Handgelenk zu hören.

Dann wandte er die Gedanken wirklichen Problemen zu – dem Entladen der Kolonistenschiffe, die in einer Parkbahn um Pern bleiben würden. Er wusste, dass unvorhergesehene Verzögerungen oder Pannen den gesamten Transport von Menschen und Material gefährden konnten. Deshalb hatte er gute Leute als Frachtaufseher eingesetzt: Joel Liliencamp sollte die Operation auf Pern koordinieren, während Desi Arthied die Aufsicht an Bord der Yoko übernahm. Ezra und Jim von der Bahrain und der Buenos Aires konnten sich auf ihr Entladepersonal ebenfalls verlassen, aber der kleinste Schnitzer würde ausreichen, um den gesamten Zeitplan durcheinanderzubringen. Der Trick bestand darin, alles im Fluss zu halten.

Der Admiral bog vom Hauptkorridor nach Steuerbord ab und erreichte die Offiziersmesse. Er hoffte nur, dass sich die Besprechung nicht allzu lange hinziehen würde. Als er die Hand hob, um den Mechanismus der Schiebetür zu betätigen, sah er, dass ihm noch zwei Minuten Zeit blieben, bis sich die Kapitäne der beiden anderen Schiffe per Bildschirm zuschalteten. Zuerst würde Ezra Keroon als Flottenastrogator formell die planmäßige Ankunft in der Parkbahn bestätigen, und dann würde man sich mit der Wahl des Landeplatzes befassen.

»Im Moment stehen die Wetten elf zu vier, Lili«, hörte der Admiral Drake Bonneau zu Joel sagen, als sich die Tür mit einem Zischen öffnete.

»Für oder gegen?«, fragte Paul grinsend. Die Anwesenden, allen voran Kenjo, sprangen auf und salutierten, obwohl Paul lässig abwinkte. Er warf einen Blick auf die beiden noch leeren Bildschirme, auf denen in genau neunundfünfzig Sekunden die Gesichter von Ezra Keroon und Jim Tillek erscheinen würden, und wandte sich dann dem Hauptmonitor zu, wo Pern mitten in der Schwärze des Weltraums schwebte.

»Da gibt es ein paar Zivilisten, die nicht glauben, dass Desi und ich den Zeitplan einhalten können, Paul«, erklärte Joel und blinzelte zu Arthied hinüber, der mit großem Ernst nickte. Lilienkamp war ein mittelgroßer untersetzter Mann mit einem sympathisch verschmitzten Gesicht und dichtem, krausem, bereits ein wenig grauem Haar. Er hatte ein übersprudelndes, mitunter etwas sprunghaftes Wesen und konnte äußerst sarkastisch sein. Seine schnelle Auffassungsgabe wurde von einem eidetischen Gedächtnis unterstützt, und so wusste er nicht nur stets genau, mit wem er wann und um welchen Betrag gewettet hatte, sondern auch, wie viele Pakete, Kisten, Kästen und Kanister sich in seiner Obhut befanden. Desi Arthied, sein Stellvertreter, litt oft unter Liliencamps spöttischer Art, aber er bewunderte die Fähigkeiten seines Vorgesetzten. Desis Aufgabe würde es sein, nach Joels Angaben die Fracht auf die Ladedecks und an Bord der Fähren zu bringen.

»Zivilisten? Die keine Ahnung von deinen Fähigkeiten haben?«, fragte Paul trocken und wandte sich dann mit einem unverbindlichen Lächeln Avril Bitra zu, die für die Simulationsübungen verantwortlich war. Der Ehrgeiz hatte die Züge der schönen Brünetten verhärtet, und er bereute allmählich, dass er ihr während der Reise einen so großen Teil seiner Freizeit gewidmet hatte, aber sie verstand es nun einmal, Männer für sich zu gewinnen. Nun, in Kürze würden sie alle viel zu beschäftigt sein, um persönliche Beziehungen zu pflegen. Immer mehr attraktive junge Frauen tauchten in den Korridoren auf. Er hoffte, dass eine von ihnen den Wunsch haben würde, nicht das Leben ›des Admirals‹, sondern ganz allein das von Paul Benden zu teilen. In diesem Augenblick leuchteten die beiden Schirme auf. Auf dem rechten erschien Ezra Keroon mit seinen ernsten, verschlossenen Zügen und der charakteristischen grauen Stirnlocke, auf dem linken tauchte das kantige Gesicht des stets gutgelaunten Jim Tillek auf.

»Hallo, Paul!«, sagte er und winkte lässig.

Ezra salutierte. »Admiral«, begann er förmlich, »ich möchte hiermit melden, dass wir unseren programmierten Kurs auf die Minute genau eingehalten haben und unsere Parkbahn voraussichtlich in sechsundvierzig Stunden, dreiunddreißig Minuten und zwanzig Sekunden erreichen werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge rechnen wir nicht mit Abweichungen.«

»Ausgezeichnet, Kapitän«, sagte Paul und salutierte ebenfalls. »Irgendwelche Probleme?«

Beide Kapitäne berichteten, dass die Reanimationsprogramme ohne Zwischenfälle angelaufen waren und dass die Fähren starten konnten, sobald sich die Schiffe im Orbit befanden.

»Schön, nun kennen wir also das Wann«, meinte Paul, »und können über das Wo diskutieren.« Er lehnte sich bequem zurück und warf einen ermunternden Blick in die Runde.

»Mach es nicht so spannend, Paul!«, grinste Joel Liliencamp, wie üblich unter Missachtung jedes Protokolls. Joels Respektlosigkeit hatte Paul Benden während des gesamten Nathi-Kriegs erheitert, in einer Zeit, da es im allgemeinen wenig zu lachen gab. Und wenn es etwas zu beschaffen gab, vollbrachte Joel wahre Wunder. Ezra Keroon runzelte die Stirn, aber Jim Tillek lachte.

»Wie stehen denn die Wetten, Lili?«, fragte er hinterhältig.

»Wir sollten die Angelegenheit ganz unvoreingenommen besprechen«, warf Paul trocken ein. »Die drei vom EV-Team empfohlenen Landeplätze sind inzwischen alle von Sonden erfasst. Sie befinden sich, wenn wir uns noch einmal die Koordinaten in Erinnerung rufen, bei dreißig Süd dreizehn Strich dreißig, fünfundvierzig Süd elf und siebenundvierzig Süd vier Strich sieben fünf.«

»Meiner Ansicht nach kommt nur einer davon in Frage, Admiral«, unterbrach Drake Bonneau hitzig und deutete auf die Stelle mit den Schichtvulkanen. »Die Raupen melden, dass der Ort so eben ist, als hätte ihn jemand eigens für uns planiert – und breit genug, um alle sechs Fähren aufzunehmen. Der Platz bei fünfundvierzig Süd elf ist im Moment der reine Sumpf, und der im Westen liegt zu weit vom Meer entfernt. Außerdem haben Temperaturmessungen Werte um den Nullpunkt ergeben.«

Paul sah, wie Kenjo zustimmend nickte. Er warf einen Blick auf die von den beiden anderen Schiffen zugeschalteten Schirme. Ezra beugte sich so tief über seine Notizen, dass die kahle Stelle auf seinem Schädel sichtbar war. Unwillkürlich fuhr sich Paul mit den Fingern durch die eigene dichte Mähne.

»Dreißig Süd elf befindet sich angenehm nahe am Meer«, stellte Jim Tillek freundlich fest. »Eine gute Hafenbucht ist nur fünfzig Kilometer entfernt. Und der Fluss ist schiffbar.« Tilleks Interesse an Segelschiffen wurde nur noch von seiner Liebe zu Delfinen übertroffen. Der Zugang zum Meer war daher ein wichtiger Faktor für ihn.

»Auf einigen der Anhöhen könnte man Wetterstationen und ein Observatorium errichten«, meinte Ezra zögernd. »Allerdings sagen die Protokolle kaum etwas über die Klimaverhältnisse aus. Und eine Siedlung so nahe an diesen Vulkanen – ich weiß nicht recht.«

»Ein wichtiger Einwand, Ezra, aber ...« Paul überflog kurz die Daten auf dem Monitor. »Bis jetzt haben die Sonden keine seismische Aktivität gemeldet. Das bedeutet, dass die Vulkane zumindest im Moment keine Gefahr bedeuten. Patrice de Broglie könnte das untersuchen. Hm – auch der EV-Bericht enthält keine Hinweise auf Vulkantätigkeit. Also ist es in dieser Region seit mehr als zweihundert Jahren zu keinem Ausbruch mehr gekommen. Außerdem sind die Wetterverhältnisse und die sonstigen Bedingungen bei den beiden anderen Landeplätzen wesentlich schlechter.«

»Das ist richtig«, gab Ezra zu. »Und was das Wetter angeht, so sieht es auch nicht so aus, als würde es sich in den nächsten beiden Tagen bessern.«

»Himmel, wir müssen doch nicht dort bleiben, wo wir landen!«, warf Drake ungeduldig ein.

»Ich schlage vor, dass wir auf dreißig Süd runtergehen – es sei denn, unsere Meteorologen sagen für die nächsten zwei Tage irgendein Unwetter in der Region voraus«, meinte Jim Tillek. »Das ist auch der Platz, dem das EV-Team den Vorzug gab. Die Raupen melden eine dicke Humusschicht – die müsste den Aufprall mildern, wenn du zu hart aufsetzt, Drake.«

»Ich?« Gespielte Empörung stand in Drakes grauen Augen. »Kapitän Tillek, ich habe seit meinem ersten Alleinflug keine harte Landung mehr gebaut.«

»Also gut, meine Herren, dann sind wir uns über den Landeplatz einig?«, fragte Paul. Ezra und Jim nickten. »Sie erhalten die neuesten Daten sowie detaillierte Karten gegen 22 Uhr.«

»Na, Joel?« Jim Tilleks Grinsen verstärkte sich. »Gewonnen?«

»Aber Kapitän!« Joel war die gekränkte Unschuld in Person. »Ich wette doch nie auf eine sichere Sache!«

»Gibt es sonst noch Fragen, meine Herren?« Pauls Blicke wanderten von einem Schirm zum anderen.

»Alles klar, Paul«, versicherte Jim. »Ich weiß jetzt, dass diese Mühle rechtzeitig in ihrer Parkbahn sein wird, und wo ich meine Fähre hinschicken muss.« Er winkte Zera lässig zu und verschwand vom Bildschirm.

»Keine Fragen, Admiral«, erklärte Ezra und salutierte. »Guten Abend, meine Herren.« Der Schirm wurde dunkel.

»Ist das im Moment alles, Paul?«, erkundigte sich Joel.

»Wir haben das Wann und das Wo«, antwortete Paul. »Aber dein Zeitplan ist verdammt knapp kalkuliert, Joel. Glaubst du wirklich, dass du das schaffst?«

»Darauf können Sie sich verlassen, Admiral«, spöttelte Drake Bonneau. »Es steht eine Menge Geld für ihn auf dem Spiel.«

»Weshalb habe ich deiner Meinung nach so lange zum Beladen der Yoko gebraucht?«, fragte Joel Liliencamp und grinste breit. »Weil ich wusste, dass ich den ganzen Krempel fünfzehn Jahre später wieder ausladen muss.« Er zwinkerte Desi zu, dessen Miene leise Skepsis verriet. »Du wirst schon sehen ...«

»Also dann, meine Herren«, sagte der Admiral und erhob sich. »Ich bin in meiner Kabine, falls sich irgendwelche Probleme ergeben sollten.«

Als Paul die Offiziersmesse verließ, versuchte Joel gerade, eine Wette darüber abzuschließen, wie lange es dauern würde, bis die Nachricht über die Wahl des Landeplatzes auf der Yoko die Runde gemacht hatte.

»Wie viel?«, hörte er Avrils heisere Stimme, dann glitt die Schiebetür hinter ihm zu.

Die Stimmung war ausgezeichnet. Paul hoffte, dass Emilys Besprechung ebenso positiv verlaufen war. Siebzehn Jahre Planung und Organisation standen nun auf dem Prüfstand.

 

Auf den Kältedecks aller drei Schiffe arbeiteten die Mediziner rund um die Uhr, um die etwa fünftausendfünfhundert Kolonisten aus dem Tiefschlaf zu wecken. Techniker und Spezialisten wurden in der Reihenfolge ihrer Nützlichkeit für das Landeunternehmen reanimiert, aber Admiral Benden und Gouverneurin Boll hatten darauf bestanden, dass alle wach zu sein hatten, wenn die Schiffe ihre vorläufige Parkposition in einem stabilen Lagrange-Orbit – sechzig Grad vor dem größeren Mond von Pern – eingenommen hatten. Wenn die großen Schiffe erst einmal geräumt waren, gab es keine Möglichkeit mehr, den Planeten aus dem All zu betrachten.

Sallah Telgar, die eben ihre Wache auf der Brücke beendet hatte, kam zu dem Schluss, dass sie nun endgültig genug von der Raumfahrt hatte. Als Kind einer Offiziersfamilie war sie seit ihrer frühesten Jugend von einem Militärposten zum anderen geschoben worden. Der Tod beider Eltern während des Krieges hatte ihr eine hohe Abfindungssumme eingebracht, mit der sie sich einen Platz auf dem Kolonistenschiff sichern und die Konzession für ein großes Stück Land auf Pern erwerben konnte. Vor allem aber sehnte sie sich danach, endlich eine Heimat zu finden, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen konnte. Pern schien für dieses Vorhaben gut geeignet.

Als sie vom Kommandodeck in den Hauptkorridor einbog, war sie überrascht über die vielen Menschen. Fast fünf Jahre lang hatte sie eine Kabine für sich allein gehabt. Der Raum war selbst für eine Person nicht gerade großzügig bemessen, aber nun, da sie ihn mit drei anderen teilen musste, empfand sie die Enge als bedrückend. Sallah hatte keine große Lust dorthinzugehen, und schlenderte deshalb in den Aufenthaltsraum. Dort gab es einen riesigen Bildschirm, und sie konnte weiterhin den Planeten betrachten, während sie eine Kleinigkeit aß.

Am Eingang blieb sie unvermittelt stehen, erschrocken über das Gewühl, das hier herrschte. Nur wenige Plätze waren frei, und noch während sie sich ihr Essen aus dem Automaten holte, schrumpfte die Auswahl auf einen einzigen Stuhl ganz am Ende des großen Raumes, von wo man den Bildschirm nur sehr schlecht sehen konnte.

Sallah hob unschlüssig die Schultern. Wie eine Süchtige nahm sie jede Erschwernis in Kauf, nur um einen Blick auf Pern werfen zu können. Als sie jedoch Platz nahm, merkte sie, dass ihre Tischnachbarn genau die Leute waren, mit denen sie an Bord der Yokohama am wenigsten zu tun haben wollte: Avril Bitra, Bart Lemos und Nabhi Nabol. Sie saßen mit drei Männern zusammen, die Sallah nicht kannte; die Schildchen an ihren Hemdkrägen wiesen sie als Maurer, Maschinenbauingenieur und Bergmann aus. Die Gruppe war so ziemlich die einzige, die sich nicht von den Bildern Perns fesseln ließ. Die drei Spezialisten hörten mit gespielt gleichgültiger Miene den Ausführungen von Avril und Bart zu; nur der älteste der drei, der Ingenieur, warf hin und wieder einen Blick in die Menge, um sich zu vergewissern, dass niemand auf sie achtete. Avril hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ein arrogantes, herablassendes Lächeln lag auf den makellosen Zügen, und die dunklen Augen glitzerten, als sie sich vorbeugte und dem unscheinbaren Bart Lemos zuhörte, der sich immer wieder mit der geballten Rechten in die linke Handfläche klatschte, um seine schnellen, leisen Worte zu unterstreichen. Nabhi betrachtete den Geologen mit gewohntem Hochmut, ein Ausdruck, der sehr viel Ähnlichkeit mit Avrils Mienenspiel hatte.

Der Anblick dieser Leute reichte aus, um einem den Appetit zu verderben, dachte Sallah und reckte den Hals, um den Bildschirm zu beobachten.

Es ging das Gerücht um, dass Avril in den letzten fünf Jahren viel Zeit in Paul Bendens Bett verbracht hatte. Sallah konnte sich durchaus vorstellen, dass sich ein Mann wie der Admiral von der rassigen dunklen Schönheit der Astrogatorin sexuell angezogen fühlte. Avril vereinte in sich die Vorzüge mehrerer ethnischer Gruppen. Sie war hochgewachsen, weder zu schlank noch zu üppig, und hatte herrliches, seidig schwarzes, gewelltes Haar, das sie meist offen trug. Ihre eher blassen Züge wirkten ebenso vollkommen wie ihre sorgfältig einstudierten Bewegungen, und ihre brennenden schwarzen Augen verrieten eine hochintelligente, wenn auch sprunghafte Persönlichkeit. Avril war eine Frau, der man besser nicht ins Gehege kam, und so hatte Sallah nicht nur zu Paul Benden betont Abstand gehalten, sondern auch zu allen anderen Männern, die sie öfter als dreimal in Avrils Gesellschaft sah.

Böse Zungen behaupteten zwar, dass sich Paul Benden in jüngster Zeit auffallend von Avril zurückgezogen habe und sie offenbar im Rennen um die Stellung als First Lady der künftigen Kolonie zurückgefallen sei, doch das ließ sich auch damit erklären, dass der Admiral im Moment mit den Landevorbereitungen alle Hände voll zu tun hatte und die Zeit der amourösen Abenteuer vorbei war.

Sallah hatte freilich andere Dinge im Kopf als Avril Bitras Intrigen. Sie brannte darauf zu erfahren, welchen Landeplatz die Expertengruppe ausgewählt hatte. Sie wusste, dass die Entscheidung gefallen war und dass man sie bis zur offiziellen Bekanntgabe durch den Admiral geheim halten wollte, aber ihr war auch klar, dass die Neuigkeit rasch durchsickern würde. Es gab sogar heimliche Wetten, bis wann der Beschluss im Schiff die Runde gemacht haben würde. Sallah rechnete damit, bald Näheres zu erfahren.

»Da ist es!«, rief ein Mann plötzlich aufgeregt. Er trat an den Schirm und deutete auf eine Stelle, die eben ins Bild gekommen war. An seinem Hemdkragen blitzte das Abzeichen der Agronomen. »Genau«, – er wartete einen Moment, weil sich der Planet ein winziges Stück verschob –, »hier!« Sein Zeigefinger berührte einen Punkt am Fuße eines Vulkans, eine winzige, aber doch deutlich erkennbare Landmarke.

»Wie viel hat Lili dabei kassiert?«, wollte jemand wissen.

»Lili ist mir egal«, rief der Agronom. »Aber von Hempenstall habe ich eben einen Morgen Land gewonnen!«

Beifall und gutmütiger Spott klangen auf, und Sallah ließ sich von der gelösten Stimmung anstecken, bis ihr Blick auf Avrils verächtlich überlegenes Lächeln fiel. Die Astrogatorin hatte das Geheimnis also gekannt und ihren Tischgenossen vorenthalten. Bart Lemos und Nabhi Nabol steckten die Köpfe noch dichter zusammen und diskutierten erregt.

Avril hob die Schultern. »Der Landeplatz ist unwichtig.« Obwohl sie leise sprach, drang ihre erotische Stimme bis zu Sallah. »Glaubt mir, mit der Gig schaffen wir das.« Sie hob den Kopf und begegnete Sallahs Blick. Ihre Augen wurden schmal, und ihr Körper spannte sich. Dann lehnte sie sich betont lässig zurück und starrte ihr Gegenüber so unverschämt an, dass Sallah den Kopf abwandte.

Irgendwie fühlte sich die Pilotin von diesem Blick beschmutzt. Sie trank den letzten Schluck Kaffee und verzog das Gesicht bei dem bitteren Nachgeschmack. Der Kaffee an Bord war miserabel, aber sie würde selbst ihn vermissen, wenn die Vorräte erschöpft waren. Und Kaffeepflanzen waren bisher noch auf keiner Kolonialwelt gediehen, aus welchen Gründen auch immer. Das EV-Team hatte die Rinde eines auf Pern heimischen Strauches als Ersatz vorgeschlagen, aber Sallah erhoffte sich nicht allzu viel davon.

Nach dem Zwischenruf des Astronomen war der Lärmpegel im Aufenthaltsraum fast ins Unerträgliche gestiegen. Mit einem Seufzer kippte Sallah die Abfälle ihrer Mahlzeit in den Müllschacht, schob das Tablett in den Reiniger und stellte es ordentlich auf den Stapel. Dann gönnte sie sich einen letzten langen Blick auf Pern. Diese Welt werden wir nicht kaputtmachen, dachte sie. Ich werde mich mit allen Kräften dagegen wehren, wenn jemand es versuchen sollte.

Als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr Blick erneut auf Avril. Seltsam, dass ausgerechnet diese Frau sich für das Leben einer Kolonistin entschieden hat, dachte Sallah nicht zum ersten Mal. Avril machte die Reise als Kontraktorin mit und bekam als Entgelt ein ansehnliches Stück Land, aber sie war einfach nicht der Typ, der sich unter Farmern und Viehzüchtern wohl fühlte. Sie zeigte vielmehr das exaltierte Benehmen der Großstädterin. Die Expedition nach Pern hatte eine Reihe hochtalentierter Spezialisten angezogen, aber die meisten, mit denen Sallah ins Gespräch gekommen war, hatten als Grund für ihre Entscheidung angeführt, dass sie der von den Syndikaten beherrschten Technokratie mit ihrer ständig wachsenden Gier nach Rohstoffen den Rücken kehren wollten.

Sallah gefiel der Gedanke, sich einer unabhängigen Gemeinschaft weit weg von der Erde und ihren übrigen Kolonien anzuschließen. Seit sie zum ersten Mal die Prospekte über Pern gelesen hatte, war sie begeistert bereit gewesen, an dem Wagnis teilzunehmen. Mit sechzehn, zu einer Zeit, als alle jungen Leute für den erbittert geführten Krieg gegen die Nathi zwangsverpflichtet wurden, hatte sie die Pilotenlaufbahn eingeschlagen und sich zusätzlich im Umgang mit unbemannten Sonden ausbilden lassen. Als sie ihre Prüfungen machte, war der Krieg zu Ende, und sie nutzte ihre Fähigkeiten, um die von den Kämpfen verwüsteten Gebiete auf einem Planeten und zwei Monden zu kartieren. Als dann die Expedition nach Pern zusammengestellt wurde, brachte sie nicht nur ihr Geld in Form von Anteilen ein, sondern auch ihre vielseitigen Kenntnisse und Erfahrungen.

Sie verließ den Aufenthaltsraum, um in ihre Kabine zurückzukehren, aber sie war nicht sicher, ob sie Schlaf finden würde. Noch zwei Tage, und sie hatten das langersehnte Ziel erreicht! Ein interessantes neues Leben lag vor ihr!

Als Sallah in den Hauptkorridor einbog, torkelte ihr ein kleines Mädchen mit kupferrotem Haar entgegen und prallte mit ihr zusammen. Die Kleine versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, aber sie stürzte und schluchzte laut auf, weniger vor Schmerz als aus Zorn. Dabei umklammerte sie Sallahs Beine mit erstaunlicher Kraft.

»Na, wer wird denn gleich weinen?«, meinte Sallah besänftigend. »Am Anfang fällt es allen schwer, auf den Beinen zu bleiben.« Sie strich über das seidenweiche Haar des Kindes und versuchte gleichzeitig, sich aus dem Griff zu lösen.

»Sorka! Sorka!« Ein ebenfalls rothaariger Mann mit einem kleinen Jungen an der einen und einer sehr hübschen Brünetten an der anderen Hand stolperte unsicher auf Sallah zu. Die Frau schien eben erst reanimiert zu sein; die Pupillen waren geweitet, und sie hatte Mühe, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren.

Der Blick des Mannes streifte Sallahs Kragenschild. »Tut mir leid, Pilotin«, entschuldigte er sich mit einem schwachen Grinsen. »Wir sind noch nicht so ganz wach.«

Er wollte Sallah von dem zappelnden Bündel befreien, aber weder die Frau noch der kleine Junge ließen ihn los.

»Ich glaube, Sie brauchen Hilfe«, lächelte Sallah und fragte sich insgeheim, welcher Trottel von einem Arzt das taumelnde Quartett sich selbst überlassen hatte.

»Unsere Kabine ist nur ein paar Schritte entfernt.« Er nickte zu dem Quergang hin, der dicht hinter Sallah abzweigte. »Zumindest hat man uns das gesagt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie weit ein paar Schritte sein können.«

»Welche Nummer? Ich habe gerade dienstfrei.«

»B-8851.«

Sallah warf einen Blick auf die Schilder an den Korridorecken und nickte. »Es ist der nächste Quergang. Komm, Sorka – so heißt du doch, nicht wahr? Ich bringe dich ...«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach der Mann, als Sallah das Kind auf den Arm nehmen wollte, »aber man hat uns immer wieder eingeschärft, dass wir uns viel bewegen sollen – zur Übung.«

»Ich kann nicht gehen!«, heulte Sorka. »Alles ist schief!« Sie umklammerte Sallahs Beine noch heftiger.

»Sorka! Benimm dich!« Der Rotschopf warf seiner Tochter einen strengen Blick zu.

»Ich weiß, was wir tun!«, erklärte Sallah freundlich, aber bestimmt. »Du hältst dich an meinen Händen fest«, – sie löste Sorkas kleine Finger von ihren Beinen –, »und gehst vor mir her. Ich passe schon auf, dass du auf Kiel bleibst.«

Selbst mit Sallahs Hilfe kam die Familie nur langsam voran. Immer wieder wurden sie von Passagieren behindert, die fester auf den Beinen waren und wenig Rücksicht nahmen, wenn sie an ihnen vorbeistürmten.

»Mein Name ist Red Hanrahan«, stellte sich der Mann vor, als das erste Stück Weg geschafft war.

»Sallah Telgar.«

»Ich hätte nie gedacht, dass ich bereits vor dem Fährentransport die Dienste eines Piloten in Anspruch nehmen müsste.« Er grinste breit. »Meine Frau Mairi, mein Sohn Brian – und Sorka kennen Sie ja bereits!«

»Da sind wir schon«, stellte Sallah fest und öffnete die Tür zu einer Kabine. Sie schnitt eine Grimasse, als sie den winzigen Raum sah, aber dann sagte sie sich, dass die Leute nur noch für kurze Zeit in dieser Enge ausharren mussten. Obwohl die Kojen tagsüber hochgeklappt waren, bot das Abteil wenig Bewegungsfreiheit.

»Nicht viel größer als der Verschlag, aus dem wir eben kommen«, stellte Red gelassen fest.

»Wie sollen wir denn hier unsere Übungen machen?« Die Stimme der Frau klang schrill, als sie sich an einen Türpfosten lehnte und einen Blick ins Innere der Kabine warf.

»Nacheinander, schätze ich«, entgegnete Red. »Es ist ja nur für zwei Tage, Liebes! Dann haben wir einen ganzen Planeten für uns. Hinein mit euch – Brian, Sorka! Wir haben Pilotin Telgar lange genug aufgehalten. Sie waren unsere Rettung! Vielen Dank!«

Sorka, die sich an die Innenwand der Kabine gelehnt hatte, während ihr Vater den Rest der Familie in den Raum bugsierte, rutschte langsam zu Boden, zog die Knie bis zum Kinn hoch und blieb in dieser Stellung sitzen. »Vielen Dank auch von mir«, sagte sie etwas gefasster und schielte zu Sallah hinauf. »Es ist schon verdammt dämlich, wenn man nicht weiß, wo oben und unten oder rechts und links ist!«

»Da hast du recht, aber das Gefühl vergeht schnell. Wir haben das beim Aufwachen alle mitgemacht.«

»Ehrlich?« Sorkas ungläubig staunendes Gesichtchen verzog sich zu dem strahlendsten Lächeln, das Sallah je gesehen hatte, und sie musste ebenfalls lachen.

»Ehrlich, sogar Admiral Benden«, schwindelte sie und strich der Kleinen über das weiche tizianrote Haar. »Wir sehen uns sicher noch, ja?«

Als Sallah die Tür hinter sich schloss, hörte sie, wie Red Hanrahan seine Tochter ermahnte: »Wenn du schon sitzt, Sorka, dann kannst du gleich die Übungen machen, die man uns gezeigt hat! Danach kommt Brian an die Reihe.«

Sallah erreichte ihre Kabine ohne weitere Zwischenfälle, obwohl die Korridore voll von frisch reanimierten taumelnden Menschen waren, deren Mienen abwechselnd angespannte Konzentration und hilfloses Entsetzen ausdrückten. Sie warf einen vorsichtigen Blick in das beengte Quartier und seufzte, als sie merkte, dass ihre Kabinengenossen schliefen. Sie selbst war viel zu überdreht, um sich hinzulegen; irgendwie musste sie ihre Anspannung loswerden. Sallah beschloss, in den Bereitschaftsraum der Piloten zu gehen und sich an den Simulator zu setzen. Der Augenblick der Wahrheit hinsichtlich ihrer Fähigkeiten als Pilotin kam rasch näher.

Erneut versperrte ihr ein Kolonist den Weg, dessen motorische Koordination nach dem langen Kälteschlaf noch nicht so recht funktionierte. Er war so klapperdürr, dass Sallah befürchtete, er könnte sich die Knochen brechen, während er von einer Seite des Korridors auf die andere schwankte.

»Tarvi Andiyar, Geologe«, stellte er sich höflich vor, nachdem sie ihn am Ellbogen gefasst und aufgerichtet hatte. »Befinden wir uns tatsächlich im Orbit um Pern?« Er schielte leicht, als er sie ansah, und Sallah musste sich beherrschen, um nicht zu grinsen. Sie erklärte ihm, in welcher Position sich das Schiff im Moment befand. »Und Sie haben diesen Planeten mit Ihren eigenen wunderhübschen Augen gesehen?«

»Jawohl, und er ist noch schöner, als man es uns vorhergesagt hat!«, versicherte sie ihm mit großem Nachdruck. Er lächelte erleichtert und entblößte dabei zwei Reihen schneeweißer gleichmäßiger Zähne. Dann schüttelte er den Kopf, das Schielen ließ nach, und sie stellte fest, dass sie selten einen Mann mit einem harmonischeren Gesicht gesehen hatte. Er besaß nicht Bendens harte kämpferische Züge, sondern ähnelte eher einem jener indischen oder kambodschanischen Prinzen, wie man sie hin und wieder auf halbzerstörten Steinreliefs sah. Sie errötete, als ihr einfiel, in welchen Stellungen man diese Prinzen einst abgebildet hatte.

»Wissen Sie, ob es schon neue Daten von den Sonden gibt? Ich brenne darauf, mit meiner Arbeit anzufangen.«

Sallah lachte, und die sinnliche Spannung, in die sein Gesicht sie versetzt hatte, löste sich. »Sie können noch nicht einmal laufen und wollen schon arbeiten?«

»Fünfzehn Jahre Urlaub haben mir voll und ganz gereicht – Ihnen nicht?« In seiner Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit. »Ist das hier Kabine C-8411?«

»Genau.« Sie führte ihn auf die andere Seite des Korridors.

»Sie sind ebenso schön wie liebenswürdig«, erklärte er, während er mit einer Hand den Türstock umklammerte und sich tief verneigte. Sie musste ihn an beiden Schultern festhalten, als er nach vorn kippte. »Und schnell!« Mit einem vorsichtigen Kopfnicken und einer unter den gegebenen Umständen sehr würdevollen Kehrtwende öffnete er die Tür.

»Sallah!« Drake Bonneau kam mit raschen Schritten den Korridor entlang auf sie zu. »Weißt du schon, wo wir landen?« Er schien begierig, ihr das Geheimnis unter vier Augen mitzuteilen.

»Es hat ganze neun Minuten gedauert, bis die Neuigkeit im Umlauf war«, entgegnete sie kühl.

»So lange?« Er hob die Schultern und schenkte ihr ein Lächeln, das er wohl für unwiderstehlich hielt. »Komm, darauf müssen wir trinken – nur wir beide, ja? Viel Zeit für private Dinge wird uns ohnehin nicht mehr bleiben.«

Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr er ihr mit seinen Schmeicheleien auf die Nerven ging. Vermutlich war ihm gar nicht bewusst, wie abgedroschen seine Phrasen klangen. Drake traktierte jede nur halbwegs attraktive Frau an Bord mit seinen Aufmerksamkeiten, und im Moment hatte sie wenig Lust, sich sein unaufrichtiges Geschwätz anzuhören. Im Grunde war er ganz nett, und im Krieg hatte er sicher mehr als einmal seine Tapferkeit unter Beweis gestellt. Dann wurde ihr klar, dass ihre ganz und gar untypische Reizbarkeit eine Reaktion auf den plötzlichen Lärm, das Gedränge und die Nähe so vieler Menschen nach den letzten paar Jahren der Ruhe war. Keine Aufregung!, befahl sie sich streng. Nur noch ein paar Tage, und dann bist du so mit dem Fliegen beschäftigt, dass dir weder der Lärm noch die Menschen etwas ausmachen!

»Vielen Dank, Drake, aber Kenjo hat mich in«, – sie warf einen Blick auf ihr Handgelenk –, »fünf Minuten in den Simulatorraum bestellt. Ein anderes Mal vielleicht.«