Moreta - Die Drachenherrin von Pern - Anne McCaffrey - E-Book

Moreta - Die Drachenherrin von Pern E-Book

Anne McCaffrey

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Reise in Perns Vergangenheit

Pern, eine Welt, auf der Menschen und intelligente Drachen friedlich miteinander leben, wird von einer verheerenden Seuche heimgesucht. Die Bewohner der windgepeitschten Burgen und Höfe erliegen zu Hunderten der heimtückischen Krankheit, gegen die es kein Heilmittel zu geben scheint. Mit all ihrer Macht versucht die Drachenherrin Moreta, den Leidenden Linderung zu verschaffen – vergeblich. Bis sie in alten Folianten einen Hinweis findet: Das Heilmittel liegt in der Vergangenheit verborgen. In Begleitung ihrer Drachenkönigin Orlith macht sie sich auf den lebensgefährlichen Weg ins Gestern. Kann sie den Wettlauf mit dem Tod gewinnen und ihr Volk retten?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 571

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ANNE McCAFFREY

 

 

 

MORETA –

DIE DRACHENHERRIN VON PERN

Die Drachenreiter von Pern

Band 7

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Pern, eine Welt, auf der Menschen und intelligente Drachen friedlich miteinander leben, wird von einer verheerenden Seuche heimgesucht. Die Bewohner der windgepeitschten Burgen und Höfe erliegen zu Hunderten der heimtückischen Krankheit, gegen die es kein Heilmittel zu geben scheint. Mit all ihrer Macht versucht die Drachenherrin Moreta, den Leidenden Linderung zu verschaffen – vergeblich. Bis sie in alten Folianten einen Hinweis findet: Das Heilmittel liegt in der Vergangenheit verborgen. In Begleitung ihrer Drachenkönigin Orlith macht sie sich auf den lebensgefährlichen Weg ins Gestern. Kann sie den Wettlauf mit dem Tod gewinnen und ihr Volk retten?

 

 

 

 

Die Autorin

Anne McCaffrey wurde am 1. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geboren, und schloss 1947 ihr Slawistik-Studium am Radcliffe College ab. Danach studierte sie Gesang und Opernregie. In den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, ab 1956 widmete sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 1967 erschien die erste Story über die Drachenreiter von Pern, »Weyr Search«, und gewann den Hugo Award im darauffolgenden Jahr. Für ihre zweite Drachenreiter-Story »Dragonrider« wurde sie 1969 mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Anne McCaffrey war die erste Frau, die diese beiden Preise gewann, und kombinierte die beiden Geschichten später zu ihrem ersten Drachenreiter-Roman »Die Welt der Drachen«. 1970 wanderte sie nach Irland aus, wo sie Rennpferde züchtete. Bis zu ihrem Tod am 21. November 2011 im Alter von 85 Jahren setzte sie ihre große Drachenreiter-Saga fort, zuletzt zusammen mit ihrem Sohn Todd.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

 

 

 

Titel der Originalausgabe

 

MORETA: DRAGON LADY OF PERN

 

Aus dem Amerikanischen von Birgit Reß-Bohusch

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1983 by Anne McCaffrey

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Karte: Andreas Hancock

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-20979-7V002

 

 

 

Dieses Buch

ist meiner Tochter

Georgeanne Johnson

gewidmet

Prolog

 

Rubkat im Sagittarius-Sektor war eine goldene Sonne vom G-Typ. Sie besaß fünf Planeten, zwei Asteroiden-Gürtel und einen Wanderstern, den sie angezogen und während der letzten Jahrtausende festgehalten hatte. Als sich Menschen auf Rubkats dritter Welt niederließen und sie Pern nannten, schenkten sie dem Wanderer, der in einer stark ellipsenförmigen Bahn um seine Adoptivsonne zog, wenig Beachtung. Zwei Generationen lang verschwendeten die Kolonisten kaum einen Gedanken an ihn – bis sich der helle Rote Stern im Perihel seiner Stiefschwester näherte. Waren nämlich die Umstände günstig und schoben sich keine anderen Planeten des Systems dazwischen, dann versuchte eine bestimmte Lebensform des Wanderplaneten ihrer unwirtlichen Heimat zu entfliehen und den Raum nach Pern mit seinem gemäßigten, angenehmen Klima zu überbrücken. Zu diesen Zeiten regneten Silberfäden von Perns Himmel, die alles vernichteten, was sie berührten. Die Verluste, welche die Siedler anfangs erlitten, waren erschreckend hoch. Und während des Kampfes ums Überleben ging Perns enge Bindung zum Mutterplaneten verloren.

Um die Gefahr der schrecklichen Fäden in den Griff zu bekommen – denn die Bewohner von Pern hatten gleich zu Beginn ihre Transportschiffe ausgeschlachtet und auf alle technischen Geräte verzichtet, die auf einem ländlichen Planeten nicht unbedingt nötig waren –, arbeiteten weitsichtige Männer und Frauen einen langfristigen Plan aus. In der ersten Phase züchteten sie aus einer einheimischen Lebensform eine spezielle Abart und bildeten Menschen mit starkem Einfühlungsvermögen und telepathischen Fähigkeiten aus, diese Tiere zu steuern. Die Drachen – so genannt nach den mythischen Geschöpfen auf der Erde, mit denen sie Ähnlichkeit aufwiesen – besaßen zwei wertvolle Eigenschaften: Sie konnten ohne Zeitverzug von einem Ort an den anderen gelangen, und sie spien Flammen, wenn sie bestimmtes Phosphorgestein fraßen. Da die Drachen fliegen konnten, waren sie in der Lage, die Fäden mitten in der Luft zu versengen und sich blitzschnell an einen anderen Ort zu begeben, wo ihnen die Plage nichts anhaben konnte.

Es dauerte Generationen, bis das Potenzial der Drachen voll entwickelt war. Die zweite Phase der Abwehr gegen die tödliche Infiltration sollte aber noch länger dauern. Denn die Fäden, Pilzgeflecht-Sporen ohne jeden Verstand, verschlangen in blinder Gefräßigkeit jede organische Materie und vermehrten sich, sobald sie einmal im Boden eingenistet waren, mit erschreckendem Tempo. Man hatte jedoch einen Wurm entdeckt, der eine Symbiose mit den Fäden einging und verhinderte, dass sie sich im Boden ausbreiteten. Diesen Wurm setzte man auf dem Südkontinent aus. Der ursprüngliche Plan sah vor, dass die Drachen Menschen und Herden aus der Luft schützen sollten, während die Würmer alle Fäden vernichteten, die zu Boden fielen und die Vegetation gefährdeten.

Die Leute, die diesen Zweistufenplan ausgearbeitet hatten, bedachten jedoch nicht, dass sich im Laufe der Zeit manches verändern könnte, und sie ließen zudem geologische Besonderheiten außer acht. Der Südkontinent, üppiger und schöner als der raue Norden, erwies sich nämlich als instabil, und die gesamte Kolonie musste schließlich in den Norden ziehen und vor den Fäden Zuflucht in den natürlichen Höhlen der Gebirge suchen, von denen unzählige den gesamten Kontinent durchzogen.

Fort, die erste Siedlung, in die Ostflanke der Großen Westberge gebaut, wurde bald zu eng, um alle Menschen aufzunehmen. Eine neue Kolonie entstand ein Stück weiter im Norden, an einer höhlendurchzogenen Klippe nahe einem großen See. Aber auch Ruatha, wie sich der Ort nannte, war nach wenigen Generationen übervölkert.

Da der Rote Stern im Osten stand, beschlossen die Bewohner von Pern, auch einen Stützpunkt in den Ostbergen zu errichten, falls sich dort geeignete Höhlen finden ließen. Denn nur Felsen und Metall, beides beklagenswert knapp auf Pern, waren ein zuverlässiger Schutz gegen die sengende Sporenplage.

Inzwischen hatte man die geflügelten, feuerschnaubenden Drachen immer größer gezüchtet, so dass sie mehr Raum benötigten, als die Höhlenfestungen boten. Uralte Kegel erloschener Vulkane, einer hoch über der Burg Fort, der andere in den Bergen von Benden, erwiesen sich als bewohnbar, vor allem da sich auch in ihren Flanken Höhlen fanden. Mit der letzten Kraft der großen Steinschneider, die man einst von der Erde mitgebracht hatte, um Bergwerke anzulegen, sprengte man zwei Drachen-Weyr in den Fels. Alle nachfolgenden Burgen und Weyr mussten von Menschenhand in den Stein gehauen werden.

Die Drachenreiter auf den Höhen und die Bewohner der Burgen und ihrer Dörfer gingen ihren jeweiligen Aufgaben nach, und im Lauf der Zeit entwickelte jede der Gruppen ihre eigenen Gebräuche und Traditionen, die bald so starr wie Gesetze waren.

Dann kam eine Spanne von zweihundert Umläufen des Planeten Pern um seine Sonne; in dieser Zeit befand sich der Rote Stern am anderen Ende seines stark ellipsenförmigen Orbits, ein eisbedeckter, einsamer Gefangener des fremden Systems. Keine Fäden fielen auf Pern. Die Bewohner tilgten die Spuren der Verheerungen, bauten Getreide an und zogen Obstbäume aus den kostbaren Samen, die sie mitgebracht hatten. Ja, sie dachten sogar daran, die kahlen, versengten Berghänge wieder aufzuforsten. Nach und nach vergaßen sie, welche Plage einst ihre Vorfahren um ein Haar ausgelöscht hätte. Dann fielen die Fäden von neuem, als der Wanderplanet in Perns Nähe zurückkehrte; fünfzig Jahre lang litt die Welt unter dem Sporenangriff aus dem Raum. Die Bewohner von Pern gedachten mit Dankbarkeit ihrer Vorfahren, welche die Drachen gezähmt hatten. Die Geschöpfe mit ihrem Feueratem erwiesen sich auch jetzt als die Retter von Pern.

Die Drachenreiter hatten sich während des langen Intervalls ausgebreitet und gemäß dem alten Verteidigungsplan an vier weiteren Orten niedergelassen.

Die Bedeutung der Südhemisphäre und der dort ausgesetzten Würmer war im unmittelbaren Kampf um die neuen Lebensräume verlorengegangen. Mit jeder Generation verblasste zudem die Erinnerung an die Erde, bis sie den Bewohnern von Pern nur noch als Mythos oder Legende greifbar war oder ganz in Vergessenheit geriet.

Beim sechsten Auftauchen des Roten Sterns hatte sich ein kompliziertes wirtschaftliches und soziologisches Gefüge entwickelt, mit dessen Hilfe man die stets wiederkehrende Plage zu besiegen hoffte. Die sechs Weyr, wie man die alten Vulkan-Horte des Drachenvolkes nannte, verpflichteten sich, Pern in Zeiten der Gefahr beizustehen, wobei jeder Weyr ein genau abgegrenztes geographisches Gebiet im wahrsten Sinn des Wortes unter seine Fittiche nahm. Die übrige Bevölkerung leistete den Weyrn Tribut, denn die Drachenkämpfer besaßen auf ihren Vulkankegeln kein Ackerland und konnten auch kein Handwerk erlernen, da sie in ruhigen Zeiten mit der Ausbildung von Drachen und Jungreitern und bei Fädeneinfall mit dem Schutz der Siedlungen genug zu tun hatten.

Kolonien entstanden überall da, wo sich Höhlen fanden – manche natürlich größer oder strategisch günstiger gelegen als andere. Eine starke Hand war vonnöten, um die verängstigten, hysterischen Menschen während der Fädeneinfälle zu leiten; man brauchte eine kluge Vorratswirtschaft, um Lebensmittel zu lagern, wenn der Anbau stets in Gefahr war, und außergewöhnliche Maßnahmen, um das Volk gesund und produktiv zu halten, bis die Zeit der Gefahr wieder vorüber war.

In der Umgebung jeder Felsenburg entstanden auch Werkstätten, wo Leute in den verschiedensten Fertigkeiten ausgebildet wurden. Die Handwerksgilden waren unabhängig von den Burgen, in deren Bereich sie sich befanden, und kein Burgherr konnte die Produkte ›seiner‹ Gildenhallen Bewohnern aus anderen Gebieten vorenthalten. Jede Gilde hatte ihre Meister, Gesellen und Lehrlinge, dazu einen Mann, der den Berufsstand nach außen hin vertrat und verwaltete. Er trug die Verantwortung für die Qualität der Waren, die seine Gilde herstellte, und sorgte dafür, dass die Produkte gerecht verteilt wurden.

Natürlich entwickelten sich im Lauf der Zeit gewisse Rechte und Privilegien der Burgherren und Gildemeister, ebenso der Drachenreiter, von denen in Zeiten der Sporenregen ganz Pern abhing.

Der stärkste soziale Strukturwandel vollzog sich naturgemäß in den Weyrn, da man die Bedürfnisse der Drachen über alle anderen Erwägungen stellte. Die Drachen – das waren die goldenen und die grünen Weibchen sowie die blauen, braunen und bronzefarbenen Männchen. Nur die goldenen Drachenköniginnen legten Eier, die Grünen wurden steril, sobald sie Feuerstein kauten – und das war gut so, da sie einen starken Sexualtrieb besaßen und ihre Nachkommen die Weyr sicher bald übervölkert hätten. Als Kampfdrachen zeigten sie jedoch eine enorme Wendigkeit und Aggressivität und waren unersetzliche Streiter gegen die Fäden. Da die Königinnen keinen Feuerstein fraßen, konnten sie nicht direkt gegen die Sporen anrücken; ihre Reiterinnen setzten jedoch Flammenwerfer gegen die Plage des Roten Sterns ein. Die blauen Männchen waren etwas kräftiger als ihre zierlichen grünen Schwestern, während die Braunen und die Bronzedrachen vor allem durch ihre Ausdauer bestachen. Theoretisch erwählte eine Königin jeweils das Männchen, das den langen, anstrengenden Paarungsflug als Sieger bestand. In der Regel waren das Bronzedrachen, und der Reiter, dessen Tier die Königin eines Weyrs für sich gewann, übernahm das Kommando über die Kampfgeschwader. Die eigentliche Verantwortung für den Weyr – sei es nun während oder nach dem Vorbeizug des Roten Sterns – trug jedoch die Reiterin der Drachenkönigin. Das Geschick der Drachen lag ebenso in ihren Händen wie das der Weyrbewohner. Eine starke Weyrherrin war für das Überleben des Weyrs so wichtig wie die Drachen für das Überleben von Pern.

Ihre Aufgabe bestand darin, den Weyr mit allem Nötigen zu versorgen, die hier geborenen Kinder gründlich ausbilden zu lassen, Ausschau nach Reiter-Kandidaten in Burgen und Gildehallen zu halten und sie den frisch geschlüpften Jungdrachen gegenüberzustellen. Da das Leben im Weyr freier und weniger hart war als auf den Höfen und in den Werkstätten und die Drachenreiter zudem ein hohes Ansehen genossen, fehlte es nie an geeigneten Bewerbern. Selbst Angehörige der edelsten Burggeschlechter zählten zu den Drachenreitern.

Unsere Geschichte beginnt zu dem Zeitpunkt, da sich der sechste Vorbeizug des Roten Sterns seinem Ende nähert – etwa vierzehnhundert Planetenumläufe nach der Landung der ersten Menschen auf Pern.

Kapitel I

 

Fort-Weyr, Ruatha, 10. 3. 43–1541

 

»Sh'gall muss einige dringende Weyr-Angelegenheiten erledigen«, erklärte Moreta zum dritten Mal und zog ihren verschwitzten, ölfleckigen Kittel aus, in der Hoffnung, dass Nesso den Wink verstünde.

»Im Moment wäre es seine wichtigste Aufgabe, dich zu dem Fest auf Ruatha zu begleiten.« Selbst wenn Nesso gutgelaunt war, klang ihre Stimme quengelig. Im Moment aber schien die Wirtschafterin des Fort-Weyrs entrüstet über die Schmach, die ihrer Weyrherrin offensichtlich drohte, und ihr Tonfall bekam Ähnlichkeit mit dem Kreischen einer Säge.

»Er suchte Baron Alessan bereits gestern auf. Ein Fest ist nicht der rechte Zeitpunkt zur Erörterung wichtiger Dinge.« Moreta erhob sich, um das Gespräch zu beenden, das sie nicht begonnen hatte und das endlos mit echten oder eingebildeten Klagen gegen Sh'gall weitergehen würde, wenn sie Nesso nicht irgendwann zum Schweigen brachte. Die Feindschaft beruhte auf Gegenseitigkeit, und Moreta fand sich nicht selten in der Rolle der Vermittlerin. Sie konnte Sh'gall leider nicht ändern, aber sie hatte auch keine Lust, Nesso zu entlassen, denn trotz ihrer Fehler war die Frau eine hervorragende Wirtschafterin, die ihre ganze Kraft für den Weyr einsetzte. »Ich muss jetzt baden, Nesso, sonst komme ich unverzeihlich spät nach Ruatha. Es freut mich, dass du für die Daheimgebliebenen ein besonders gutes Essen eingeplant hast. Und K'lon geht es besser, seit das Fieber ausgebrochen ist. Berchar wird nach ihm sehen. Lass du ihn in Ruhe!«

Der warnende Blick, den Moreta Nesso zuwarf, unterstrich ihren Befehl. Nesso hatte die übereifrige Angewohnheit, Moretas Platz ›einzunehmen‹, wann immer die Weyrherrin abwesend war. »Lass mich jetzt bitte allein, Nesso! Du hast eine Menge Arbeit, und ich sehne mich nach einem Bad.« Moreta begleitete ihre Worte mit einem Lächeln, während sie Nesso sanft am Ellbogen nahm und zum Ausgang schob.

»Sh'gall hätte dich begleiten sollen, wirklich!«, murmelte die streitbare Frau, als Moreta den bunten Türvorhang zur Seite schob. Sie schwieg erst, als sie die schlafende Drachenkönigin erreichte.

Orlith, die nun bald ihre Eier in der Brutstätte ablegen würde, döste weiter, ohne die Wirtschafterin zu bemerken. Die Drachenkönigin hatte auf dem Felsensims Platz genommen, um den satten Goldglanz ihrer Haut, die Moreta am Vormittag mit viel Öl eingerieben hatte, nicht wieder zu zerstören. Die Weyrherrin war bereits auf dem Weg zu ihrem Bad gewesen, als sie von K'lons Fieber erfuhr und nach dem kranken Drachenreiter schaute. Dann hatte sie sich noch rasch vergewissert, ob Leri, der früheren Weyrherrin von Fort, nichts fehlte, denn die alte Frau lehnte es strikt ab, sich von Nesso bedienen zu lassen.

Das Gespräch mit der Wirtschafterin war unvermeidlich gewesen, denn Nesso hatte von dem Streit zwischen Sh'gall und Moreta ›gehört‹ und auch erfahren, dass Sh'gall danach sehr unvermittelt aus dem Weyr verschwunden war – in seinen Reitkleidern und nicht im Feststaat. Außerdem hatte sie Angst, dass K'lon an seinem Fieber sterben oder den ganzen Weyr anstecken könnte – und das drei Tage vor dem nächsten Fädeneinfall!

Moreta zog sich aus. Sie hätte längst auf dem Fest sein und ein paar freundliche Worte mit den anderen Gästen wechseln sollen, bevor die Wetten auf die Renner abgeschlossen wurden.

»Orlith?« Moretas Gedanken strahlten Gelassenheit und Frieden aus, als sie Kontakt mit ihrer Königin aufnahm. Die verschlafene Antwort Orliths ließ sie Nessos kleinliches Gekeife vergessen. »Mach dich allmählich bereit, meine Schöne! Wir fliegen bald nach Ruatha.«

Scheint auf Ruatha noch die Sonne?, fragte Orlith hoffnungsvoll.

»Ich nehme es an. T'ral flog die Morgenrunde, und er meint, dass es schön bleibt.« Während Moreta sprach, öffnete sie ihre Truhe und holte das neue Festgewand hervor; die warmen goldbraunen Töne unterstrichen die Farbe ihrer Augen. »Du weißt, er kennt das Wetter wie kein zweiter.«

Die Königin summte zufrieden und räkelte sich.

»Sei vorsichtig!«, warnte Moreta besorgt.

Ich weiß. Meine Haut soll glänzen, entgegnete Orlith geduldig. Das schaffe ich schon, bis wir Ruatha erreichen. Aber danach will ich mich sonnen. Und wenn mir so richtig warm ist, nehme ich ein Bad im See von Ruatha.

»Hältst du das für richtig – bei deinem prall gespannten Leib, Liebes? Der See ist so eisig wie das Dazwischen!« Moreta erschauerte bei dem Gedanken an die kalten Fluten.

Nichts ist kälter als das Dazwischen, erklärte Orlith mit großer Entschiedenheit.

Moreta legte ihre Sachen zurecht und betrat die Badehöhle. Sie nahm eine Handvoll Duftsand und schwang die Beine über den Rand der erhöhten Steinmulde, von der schwacher Dampf aufstieg. Als sie bis an die Hüften im warmen Wasser des Badeteiches stand, begann sie sich abzuschrubben, bis die Haut prickelte. Dann tauchte sie kurz unter und bearbeitete das nasse Haar ebenfalls mit Duftsand.

Du brauchst lange, um dich zu säubern, obwohl nicht viel dran ist an dir, stellte Orlith ein wenig ungeduldig fest.

»Mag sein, dass an mir nicht viel dran ist, aber du vergisst, dass ich dich Koloss baden und ölen musste! Da gerät man ins Schwitzen.«

Du sagst immer das gleiche.

»Du aber auch!«

Diese kleinen Sticheleien störten in keiner Weise das herzliche und enge Verhältnis zwischen Drachenkönigin und Reiterin. Die beiden bildeten seit zwanzig Planetenumläufen eine telepathische Gemeinschaft, auch wenn Moreta die Führung im Fort-Weyr erst letzten Winter übernommen hatte, als Leris Holth sich weigerte, zum Paarungsflug aufzusteigen.

Moreta spülte ihr Haar noch einmal durch, trocknete es ab und fuhr mit den Fingern durch die kurzen Locken, um sie in Form zu bringen. Sie erinnerte sich noch gut, wie stolz sie früher auf ihre schweren blonden Flechten gewesen war. Aber der Lederhelm, den sie im Kampf gegen die Fäden tragen musste, saß so eng und heiß um den Kopf, dass sie sich bald entschlossen hatte, ihre Haarpracht zu opfern. Aber das ließ sich wieder ändern, sobald der Rote Stern weitergezogen war.

Sobald der Rote Stern weitergezogen war ... Moreta, die gerade in ein frisches Untergewand schlüpfte, hielt überrascht inne. Noch acht Planetenumläufe bis zum nächsten Intervall – oder sieben, wenn man die bereits angebrochene Bahn nicht mitzählte. Wenn diese Spanne vorbei war, musste sie nie mehr mit Orlith aufsteigen, um gegen die Sporen anzukämpfen. Der Rote Stern war dann so weit von Pern entfernt, dass seine Fäden die Kontinente des Planeten nicht mehr erreichten.

Ob der Sporenregen so unvermittelt aufhörte wie nach einem Sommergewitter?, überlegte Moreta und schlüpfte in die weichen braunen Schuhe. Oder würde er wie die Winterregen ganz allmählich verebben?

Das Land konnte ein wenig Regen gebrauchen. Schnee wäre natürlich noch besser. Oder ein richtig klirrender Frost. Frost war stets der Verbündete der Weyr.

Sie streifte das Kleid über die etwas zu kräftigen Schultern und strich es über den festen Brüsten und der schmalen Taille glatt. Der fließende, weiche Stoff verdeckte die harten Muskeln von Gesäß und Oberschenkeln, die ein Erbe ihres Lebens als Drachenreiterin waren.

Insgeheim störte es sie, dass Sh'gall sie nicht nach Ruatha begleitete. Sie kannte Alessan, den neuen Burgherrn, kaum. Unbestimmt erinnerte sie sich an einen langbeinigen jungen Mann mit grünen Augen, die in einem merkwürdigen Kontrast zu seiner dunklen Haut und der verwilderten schwarzen Haarmähne standen. Er hatte immer zwei Schritte hinter seinem Vater gewartet. Leef, der alte Burgherr, war ein strenger, aber gerechter Mann gewesen, einer von denen, die stets pünktlich ihren Tribut an den Weyr entrichteten. Er besaß die starke Hand, die nötig war, um einen so großen, blühenden Besitz zu verwalten. Die Burgherren auf Ruatha hatten stets auf Tradition geachtet, und viele ihres Geschlechts waren von Drachen auserwählt worden.

Der alte Leef hatte eine Reihe von Söhnen gezeugt, und es war bis zuletzt nicht sicher gewesen, welchen er zu seinem Nachfolger bestimmen würde. Um Zwietracht zu vermeiden, hatte er die Zügel selbst fest in der Hand gehalten. Obwohl die Annäherung des Roten Sterns viele Gefahren brachte, war es Baron Leef gelungen, mehrere neue Burgen und Höfe an den Steilflanken von Ruathas Tälern zu errichten und dort die tüchtigsten seiner Söhne mit ihren Familien anzusiedeln. Diese Expansion hatte ihm geholfen, Ruhe und Ordnung auf seiner Burg zu gewährleisten. Baron Leef hatte für die Zukunft geplant. Moreta fand diese Voraussicht in Ordnung; Sh'gall und viele andere Drachenreiter betrachteten das Ausdehnungsbestreben der Burgen und ihrer Bewohner allerdings mit Besorgnis. Sechs Weyr mit insgesamt zweitausenddreihundert Drachen waren mehr als ausgelastet, wenn sie all die Ländereien frei von Fäden halten wollten. Man sprach deshalb davon, während des nächsten Intervalls einen neuen Weyr zu gründen – doch das war nicht ihr Problem.

Moreta befestigte das Goldkollier mit den grünen Steinen und streifte die schweren Armbänder über. Der junge Mann mit den hellen Augen musste Alessan sein. Sie hatte ihn oft gegen Ende eines Sporeneinfalls bei den Flammenwerfer-Trupps gesehen. Obwohl er sich immer korrekt verhalten hatte, war er ihr doch aufgefallen. An ihn konnte sie sich deutlicher erinnern als an die übrigen neun Söhne des Barons, die alle die scharfgeschnittenen, kantigen Züge ihres Erzeugers geerbt zu haben schienen und wenig Ähnlichkeit mit ihren jeweiligen Müttern hatten.

Heute nun sollte das erste Fest auf Ruatha stattfinden, seit der Rat der Barone zu Beginn dieses Planetenumlaufs Alessans Erbanspruch auf die Burg bestätigt hatte. Ruhetage, an denen schönes Wetter herrschte und obendrein keine Sporen fielen, waren selten.

»Da heute zwei Feste stattfinden, werde ich mich nach Ista begeben«, hatte Sh'gall ihr am Morgen erklärt. »Ich sprach bereits gestern mit Alessan darüber, und er schien nicht gekränkt.« Sh'gall rümpfte die Nase. »Der Pöbel strömt bereits in Scharen zusammen, um den Rennen beizuwohnen; ich schätze, du wirst auf deine Kosten kommen.« Sh'gall missbilligte Moretas Gefallen an Rennen und Wetten, und auf den wenigen Festen, bei denen sie seit Orliths Paarung mit Kadith gemeinsam erschienen waren, hatte er ihr die Freude an diesem Zeitvertreib mit seinen bissigen Bemerkungen verdorben. »Mir wird die Sonne und die leichte Fischkost guttun. Baron Fitatric ist bekannt für seine ausgezeichnete Küche. Ich kann nur hoffen, dass auf Ruatha dein Gaumen nicht zu kurz kommt.«

»Bis jetzt ließ die Gastfreundschaft auf Ruatha nie zu wünschen übrig.« Etwas in Sh'galls Tonfall zwang sie, die Burg zu verteidigen. Sh'gall hatte für den alten Baron große Ehrfurcht empfunden, schien aber von seinem Nachfolger nicht allzu viel zu halten. Moreta wusste, dass er oft vorschnell urteilte, und so beschloss sie, sich selbst eine Meinung von Alessan zu bilden.

»Außerdem habe ich Baron Ratoshigan versprochen, dass ich ihn nach Ista mitnehme. Er hat keine Lust, das Fest von Ruatha zu besuchen, sondern will unbedingt dieses kuriose Geschöpf besichtigen, das auf Ista herumgezeigt wird.«

»Welches kuriose Geschöpf?«

»Davon weißt du gar nichts?« Sh'galls Tonfall verriet Staunen über ihre Unkenntnis. »Ein paar Seeleute von der Meerburg Igen fanden das Tier. Es hatte sich an einen entwurzelten Baum geklammert und trieb in der Großen Strömung. Da die Männer noch nie ein solches Geschöpf gesehen hatten, brachten sie es zum Herdenmeister nach Keroon.«

Ach, deshalb der hochfahrende Ton! Sh'gall schien aus irgendeinem Grund anzunehmen, dass sie immer noch auf dem laufenden über die Ereignisse ihrer Heimatburg war. Dabei lebte sie seit mehr als zehn Planetenumläufen im Fort-Weyr!

»Wie ich hörte, handelt es sich um eine Art Raubkatze«, fügte Sh'gall hinzu. »Wohl irgendein Tier, das die Vorfahren auf dem Südkontinent zurückließen. Ein ziemlich wildes Biest. Von so etwas lässt man am besten die Finger.«

»Nun, manchmal könnten auch bei uns ein paar wilde hungrige Raubkatzen nicht schaden. Die Tunnelschlangen haben sich so vermehrt, dass die Hunde mit der Plage nicht mehr fertig werden.« Ihre Antwort passte ihm irgendwie nicht. Er warf ihr einen seiner finsteren, schwer zu deutenden Blicke zu und verließ wortlos den Weyr. Seine unerwartete Reaktion verärgerte Moreta. Nicht zum ersten Mal bedauerte sie, dass Kadith auch beim zweiten Paarungsflug Orlith besiegt hatte. Aber dann rief sie sich in Erinnerung, dass der alte L'mal Sh'gall für einen der fähigsten Geschwaderführer gehalten hatte. Und bis zum Ende der Sporeneinfälle brauchte der Weyr den fähigsten Geschwaderführer. Alle hatten geglaubt, dass L'mal bis zum nächsten Intervall durchhalten würde; als er erkrankte und bald danach starb, waren die Weyrbewohner fassungslos über den Verlust. Moreta hatte L'mal hochgeschätzt, und Leri sprach stets mit großer Achtung und Liebe von ihrem Weyrgefährten. Sh'gall war noch jung, überlegte Moreta; es war keine einfache Aufgabe, in dieser schweren Zeit den Weyr zu übernehmen, und er litt unter dem Vergleich mit dem älteren, erfahrenen L'mal. Mit der Zeit würde auch Sh'gall mehr Toleranz und Verständnis entwickeln. Inzwischen musste eben sie diese Eigenschaften in vollem Maß einsetzen, um ihn in seiner Lernperiode zu unterstützen.

Als Moreta den Pelzumhang über die Schultern warf, klirrten die Goldreifen an ihren Armen. Der Schmuck war ein Geschenk des alten Baron Leef, weil sie seine liebevoll gehegten Obstgärten durch ein äußerst riskantes Tiefflug-Manöver vor den Sporen bewahrt hatte. Unterstützt von ihrer wendigen Königin, hatte Moreta die Fädenklumpen mit einem Flammenwerfer zu Asche versengt, bevor sie Schaden anrichten konnten. Sie war damals noch sehr jung gewesen und eben erst von Ista in den Fort-Weyr gekommen; es hatte sie gereizt, den neuen Weyrgenossen vorzuführen, wie klug und geschickt Orlith war. Jetzt würde sie ein solches Wagnis nicht mehr eingehen; sie erinnerte sich noch gut an den kalten Zorn in L'mals Augen, als er sie wegen ihrer Tollkühnheit zur Rede gestellt hatte. Leefs Dank hatte kaum dazu beigetragen, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen – und sie trug die Reifen heute auch nur, weil sie großartig zu ihrem neuen Kleid passten.

Gehen wir überhaupt noch zu dem Fest?, erkundigte sich Orlith voller Sehnsucht.

»Aber ja, mein Liebes!« Gewaltsam schob Moreta ihre Erinnerungen beiseite.

Sie freute sich auch auf das Fest, auf die heitere Ausgelassenheit der jungen Leute, die auf Ruatha zusammenströmen und mit Baron Alessan den jüngsten Sieg über die Sporenplage feiern würden. Sh'gall hatte berichtet, dass die Bewohner voller Stolz über ihren Erfolg waren und dass er Alessan ermahnt habe, über der Erleichterung nicht seine Aufgaben als Burgherr zu vernachlässigen.

»Vielleicht ist es ganz gut, dass sich Sh'gall für Ista entschieden hat ... und dass er Baron Ratoshigan gleich mitnimmt«, sagte Moreta zu Orlith.

Dort sind er und Kadith gut aufgehoben, stellte Orlith gleichmütig fest, während sie ihrer Reiterin ins Freie folgte.

Orlith blieb auf dem schmalen Sims stehen und spähte über den Weyr-Kessel hinweg. Die meisten Felsvorsprünge, auf denen sich sonst Drachen sonnten, waren leer.

Sind denn alle fort?, fragte Orlith erstaunt und reckte den langen biegsamen Hals, um einen Blick auf die schattigen Simse im Westen zu werfen.

»Wenn an einem Tag gleich zwei Feste stattfinden? Aber sicher! Hoffentlich kommen wir nicht zu spät zu den Rennen!«

Orliths große Facettenaugen kreisten. Du und deine Rennen!

»Dir machen sie nicht weniger Spaß als mir, und im allgemeinen hast du droben von den Feuerhöhen einen viel besseren Überblick als ich. Nur keine Eifersucht! Auch wenn ich eine Schwäche für schnelle Renner habe – reiten würde ich nur auf dir!«

Besänftigt durch Moretas Worte, machte sich Orlith klein und streckte die Vorderpfote so aus, dass die Reiterin sie besteigen und sich auf ihren Sitz zwischen den beiden Nackenwülsten schwingen konnte. Moreta strich die Röcke glatt und wickelte sich fester in den Umhang. Im Grunde reichte kein noch so warmes Gewand aus, um sie gegen die totale Kälte des Dazwischen zu schützen; aber der Ritt dauerte nur ein paar Atemzüge, und das ließ sich ertragen.

Orlith stieß sich vom Felsensims ab. Obwohl ihr Leib bereits geschwollen war, gehörte sie nicht zu den faulen Drachen, die sich einfach in die Tiefe sacken ließen, um dann im letzten Moment die Schwingen auszuspreizen. Holth, die alte Königin, trompete einen Abschiedsgruß, und der Wachreiter auf dem Sternenstein winkte, als Moreta sich bei ihm abmeldete.

Orlith ließ sich vom Wind tragen, der in den länglichen Kessel einfiel: den Krater eines erloschenen Vulkans, der nun seit langem den Weyr beherbergte. Irgendwann in grauer Vorzeit war eine Steinlawine über die Hänge in die Tiefe gedonnert, hatte die Südwestflanke des Weyrs durchbrochen und war in den See gestürzt. Zwar hatten Maurer den See freigeräumt und an seinem Ufer einen hohen Damm errichtet, aber es war weder gelungen, die verschütteten Höhlen und Weyr freizuräumen, noch die Symmetrie des Kessels wiederherzustellen.

»Du betrachtest dein Reich, meine Königin?«, fragte Moreta mit einem leisen Lachen, als Orlith in einer weiten Spirale über den Fort-Weyr flog.

Aus der Höhe sieht man viele Einzelheiten in der richtigen Relation. Es ist alles in Ordnung.

Der Wind riss Moretas Antwort weg, und sie klammerte sich an die Reitgurte. Orlith überraschte sie oft mit solchen freiwilligen Auskünften. Wenn Moreta jedoch zu bestimmten Dingen oder Personen etwas erfragen wollte, entgegnete Orlith meist, dass sie die Gedanken fremder Reiter nicht lesen könne. Die Königin äußerte sich zum Weyr im allgemeinen oder zur Moral der Kampfgeschwader. Manchmal lieferte sie auch Informationen über Kadith, den Bronzedrachen des Weyrführers. Über Sh'gall sprach sie kaum. Aber in zwanzig Planetenumläufen telepathischer Symbiose hatte Moreta gelernt, selbst ein Schweigen oder eine ausweichende Antwort richtig zu interpretieren. Die Reiterin eines goldenen Drachen hatte es nie leicht. Und das Amt der Weyrherrin, so hatte Leri mehr als einmal beteuert, verdoppelte die Ehren und die Mühen. Man musste das eine wie das andere hinnehmen und sich ab und zu einen kleinen Schluck Fellissaft gönnen.

Moreta stellte sich die Feuerhöhen von Ruatha vor, mit ihren unverkennbaren Feuerkuhlen, den Leuchttürmen und dem Wehrgang im Osten.

»Bring uns nach Ruatha!«, befahl sie Orlith und biss die Zähne gegen die Kälte des Dazwischen zusammen.

 

Schwärze, dunkler als die Nacht,

Kälte jenseits aller Dinge.

Zwischen Tod und Leben wacht

nur die dünne Drachenschwinge.

 

Moreta murmelte die Worte des alten Liedes oft als eine Art Bannspruch gegen den Schock des Dazwischen. Zum Glück war Ruatha nicht weit entfernt vom Fort-Weyr, und Moreta hatte kaum das Wort ›Kälte‹ gedacht, als bereits die Sonne wieder schien und sie über den Feuerhöhen von Ruatha kreisten. Ganze Drachengeschwader lagen auf den warmen Klippen und begrüßten Orlith, als sie aus dem Nichts erschien. Die Königin freute sich über die Ehrenbezeigungen. Es geschah so selten, dass sich Drachen einfach zum Vergnügen trafen, dachte Moreta. Die Sporenplage ließ es nicht zu. Noch acht Planetenumläufe ...

Während Orlith tiefer glitt, beobachtete Moreta die Drachen. Viele erkannte sie an ihren Rumpf- und Flügelnarben, aber andere waren ihr auch fremd.

Sie kommen von Telgar und aus dem Hochland, berichtete Orlith. Bronzedrachen, Braune, Blaue und Grüne. Unsere Freunde von Benden waren hier, mussten aber bereits aufbrechen. Wir hätten eher kommen sollen. Der letzte Satz klang ein wenig vorwurfsvoll, denn Orlith besaß eine Schwäche für Tuzuth, den Bronzedrachen von Benden.

»Tut mir leid, Liebes, aber es gab vorher soviel zu erledigen.«

Orlith schnaubte und spannte die Brustmuskeln an. Sie stieß auf die Feuerhöhen zu, aber während sich Moreta innerlich bereits auf die Landung einstellte, glitt die Königin weiter, hinweg über die Straßen mit den dichtgedrängten Buden und die buntgekleidete Menschenmenge. Nun begriff Moreta. Orlith hatte sich die leere, von Tischen, Bänken und Lampions gesäumte Tanzfläche als Landeplatz ausgesucht.

Wir vertreten immerhin den Fort-Weyr, meinte Orlith knapp. Das sollen die Bewohner von Ruatha merken.

Orlith landete mitten auf der Tanzfläche, die Schwingen hochgestellt, um Luftwirbel zu vermeiden. Die Banner ringsum flatterten heftig, aber vom Boden stieg kaum eine Staubwolke auf.

»Gut gemacht, Liebes!«, lobte Moreta ihre Königin und tätschelte sie liebevoll.

Sie warf einen Blick auf die imposanten Steilklippen, an die sich Ruatha schmiegte, gekrönt von Felsenbändern, auf denen ganze Scharen von Drachen die Sonne genossen. Die Fenster der Burg standen weit offen und waren mit bunten Tüchern und Flaggen geschmückt. Auf den Vorplatz hatte man Tische und Stühle gestellt, damit die Ehrengäste die Marktbuden und die Tanzfläche gut überblicken konnten. Moreta schaute rasch in die entgegengesetzte Richtung. Hier erstreckte sich die Ebene, auf der die Rennen stattfanden. Die Startschranken waren zum Glück noch nicht errichtet, und sie atmete erleichtert auf.

Einen Moment lang ruhte jede Aktivität. Die Besucher standen dichtgedrängt um die Tanzfläche und beobachteten Orlith. Doch dann entstand Bewegung unter den Zuschauern. Eine Gasse bildete sich, und jemand bahnte sich einen Weg nach vorn.

Der neue Burgherr, stellte Orlith fest.

Moreta schwang das rechte Bein über Orliths Nacken und glättete ihren Rock. Dann warf sie einen Blick auf den Mann, der ihr mit gelassenen, selbstsicheren Schritten entgegenkam. Er hatte breite Schultern und die hellen Augen, an die sie sich von früher erinnerte.

Kurz vor Orlith blieb er stehen und verneigte sich. Die Drachenkönigin nahm seinen Gruß mit einem leichten Nicken entgegen. Dann war der hochgewachsene junge Baron mit zwei Schritten neben Moreta, um ihr beim Absteigen zu helfen.

Die grünen Augen, die einen so ungewöhnlichen Kontrast zu seiner dunklen Haut bildeten, hielten Moretas Blick fest. Er umfasste sie leicht an der Taille, hob sie von Orliths Vorderpfote und stellte sie sanft zu Boden. Dann verbeugte er sich noch einmal. Moreta stellte fest, dass seine wirre dunkle Mähne inzwischen zu einer ordentlichen Frisur gebändigt war.

»Willkommen auf Ruatha, Weyrherrin!«, sagte er mit einem überraschend weichen Tenor. »Ich fürchtete schon, Sie und Orlith würden unser Fest nicht besuchen.«

»Der Weyrführer lässt grüßen. Es tut ihm leid, dass er nicht selbst kommen konnte.«

»Er suchte mich bereits gestern auf und brachte sein Bedauern zum Ausdruck. Aber es wäre traurig gewesen, wenn Ruatha auch auf die Anwesenheit seiner Weyrherrin hätte verzichten müssen.« Seine Stimme gewann an Wärme. »Orlith glänzt prächtig – und das in ihrem Zustand!«

Die Königin schaute ihn aus großen regenbogenbunten Augen an, ebenso überrascht wie Moreta, dass sich der junge Mann so streng an das alte Begrüßungsritual hielt. Nun, Leef hatte sicher darauf geachtet, dass sein Erbe die Traditionen kannte, bevor er das Amt des Burgherrn übernahm.

»Oh, sie ist bei ausgezeichneter Gesundheit«, entgegnete Moreta, die nur zu gern über ihre Königin sprach. »Ihren Glanz besitzt sie allerdings schon immer – ein ganz eigenartiger Farbton ...«

Ihre Antwort wich vom Ritual ab, und Alessan zögerte einen Moment lang.

»Manche Königinnen sind so hell, dass sie beinahe gelb wirken, und andere wieder so dunkel wie Bronzedrachen.« Moreta ließ ihre Blicke über Orlith schweifen. »Mein Drache hat auch nicht die klassische Goldnuance.«

Alessan lachte leise. »Spielt der Farbton denn eine Rolle?«

»Für mich ganz bestimmt nicht. Mich würde es nicht einmal stören, wenn Orlith grüngolden wäre. Ich bin ihre Reiterin!« Sie schaute Alessan prüfend an. Ob er sich über sie lustig machte? Aber seine grünen Augen mit den winzigen braunen Punkten um die Pupille verrieten nichts als höfliches Interesse.

»Sie sind Orliths Reiterin und die Herrin von Fort.«

»So wie Sie der Herr von Ruatha.« In ihrem Innern breitete sich eine leise Abwehr aus, denn sie glaubte in seinen formellen, harmlosen Sätzen einen seltsamen Unterton zu spüren. Hatte etwa Sh'gall mit einem Baron über seine Weyrherrin gesprochen?

Orlith?

Die Feuerhöhen liegen warm in der Sonne, entgegnete die Königin ausweichend und wandte ihrer Reiterin den Kopf zu. Ihre Augen schillerten sehnsüchtig.

»Dann geh nur, Liebes!« Moreta gab ihr einen leichten Klaps auf die Schulter und verließ an Alessans Seite die Tanzfläche. Sobald sie sich ein Stück entfernt hatten, schnellte Orlith in die Höhe und steuerte die Felsensimse in einem extrem flachen Winkel an. Dabei flog sie so dicht über die Marktbuden hinweg, dass die Besucher entsetzt aufschrien. Alessan versteifte sich.

Was soll das, Liebes?, fragte Moreta freundlich, aber bestimmt. Bist du im Moment nicht etwas zu schwer für solche Kapriolen?

Ich zeige ihnen nur, wozu die Weyr-Königin fähig ist! Ihnen tut so eine Demonstration gut, und mir schadet sie nicht. Pass auf!

Von Moretas Platz sah es so aus, als würde Orlith jeden Moment mit den Vorderpfoten den Klippenrand streifen, aber sie hatte den Winkel haarscharf berechnet. Lässig schwebte sie über die Kante hinweg, vollführte eine knappe Wende und landete direkt über dem Haupteingang der Burg, wo die übrigen Drachen ein Stück zur Seite gerückt waren. Die Schwingen eng an den Körper geschmiegt, legte sie sich auf den warmen Stein und stützte den flachen dreieckigen Kopf auf die Vorderpfoten.

Exhibitionistin!, spöttelte Moreta und wandte sich ihrem Begleiter zu. »Jetzt fühlt sie sich wohl, Baron Alessan.«

»Orliths Flugkünste sind Legende«, entgegnete er, und sein Blick streifte ihren Goldschmuck.

Allem Anschein nach wusste er, woher das kostbare Geschmeide stammte.

»Ein unschätzbarer Vorteil bei einem Sporenregen!«

»Ja, aber heute wollen wir ein Fest feiern«, erklärte Alessan mit Nachdruck.

»Die beste Gelegenheit, Geschick und Kunstfertigkeit von Burg und Weyr zur Schau zu stellen.« Moreta deutete auf die reich geschmückten Verkaufsstände und die festlich herausgeputzte Menschenmenge. Sie löste ihre Hand von seinem Arm, zum einen, weil seine versteckte Kritik sie ärgerte, zum anderen aber, um ihren Umhang abzunehmen. Die Nachmittagssonne von Ruatha hatte die Kälte des Dazwischen vertrieben. »Kommen Sie, Baron Alessan!«, meinte sie und nahm erneut seinen Arm. »Es ist Ihr erstes Fest als Erbbaron von Ruatha und mein erster Ausflug seit der Wintersonnenwende. Versuchen wir also, den Tag zu genießen!«

Sie hatten die Straße mit den Verkaufsständen erreicht, wo die Besucher die ausgestellten Waren besichtigten und bereits lebhaft feilschten. Moreta schaute mit einem Lächeln zu Baron Alessan auf. Seine kantigen Züge mit den leicht gerunzelten Brauen entspannten sich ein wenig.

»Ich fürchte, ich habe wenig von den Tugenden meiner Mutter geerbt, Lady Moreta.«

»Dafür alle Laster von Ihrem Vater, wie?«

»Baron Leef hatte keine Laster«, entgegnete Alessan, wie es die Höflichkeit verlangte, aber das Blitzen in seinen Augen verriet Moreta, dass er zumindest eine Spur vom Humor des alten Herrn besaß.

»Die Rennen haben noch nicht begonnen?«

Alessan verlangsamte seine Schritte und musterte sie aufmerksam.

»Nein, noch nicht!« Das klang zurückhaltend. »Wir wollten warten, bis alle Gäste eingetroffen sind.«

»Ich sah eine Menge Renner drunten angepflockt. Wie viele Läufe werden denn durchgeführt?« Sie warf ihm einen Blick von der Seite zu. Machte er sich überhaupt etwas aus Rennen?

»Insgesamt waren zehn geplant, aber es kamen weniger Anmeldungen als erwartet. Mögen Sie Rennen, Lady Moreta?«

»Ich komme aus Keroon, Baron Alessan; auf dem Hof meines Vaters wurden Renner gezüchtet. Meine Leidenschaft für diese Tiere ist nie ganz geschwunden.«

»Dann wissen Sie sicher, auf welche Teilnehmer Sie setzen müssen.«

Sie bemühte sich, den lockeren Gesprächston beizubehalten. »Ich wette nie, Baron Alessan. Der Anblick eines guten Rennens ist mir Genuss und Aufregung genug.« Seine Miene wirkte so unsicher, dass sie das Thema wechselte. »Leider sieht es so aus, als hätten wir die Besucher aus dem Osten verfehlt.«

»Die Weyrführer von Benden verließen Ruatha kurz vor Ihrer Ankunft.« Stolz schwang in seiner Stimme mit. Es geschah nicht oft, dass so illustre Gäste zu einem Fest kamen.

»Schade. Ich hätte gern ein wenig mit ihnen geplaudert.« Moretas Bedauern war ehrlich, aber sie empfand auch eine gewisse Erleichterung. Die Weyrführer von Benden sahen Orliths Leidenschaft für den Bronzedrachen Tuzuth ebenso ungern wie sie selbst. Bei Jungköniginnen waren Beziehungen zwischen den Weyrn erwünscht, nicht aber bei den Herrscherinnen. »War Bendens Erbbaron ebenfalls hier?«

»Ja.« Alessan strahlte. »Baron Shadder und ich hatten ein kurzes, aber sehr herzliches Gespräch. Leider treffen Ost und West viel zu selten zusammen. Sie kennen Baron Shadder?«

»Ich traf ihn im Ista-Weyr.« Moreta erwiderte Alessans Lächeln, denn Shadder von Benden war zweifellos sehr populär. Die Wärme und Fürsorge, die er ausstrahlte, hatte stets etwas sehr Persönliches. Sie seufzte. »Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht früher kommen konnte. Wer ist sonst noch anwesend?«

Ein Schatten huschte über Alessans Gesicht. »Im Moment Hofbewohner und Gildemeister von Ruatha, Fort, Crom, Nabol, Tillek und dem Hochland«, zählte er knapp auf. »Eine lange Reise für manche von ihnen, aber alle scheinen begeistert, dass das schöne Wetter bis jetzt gehalten hat.« Er beobachtete den regen Handel an den dicht umdrängten Buden. »Tilleks Erbbaron kommt vielleicht später mit dem Weyrführer vom Hochland. Baron Tolocamp traf vor etwa einer Stunde ein. Er kleidet sich gerade um.«

Moreta lachte mitfühlend. Baron Tolocamp war ein tatendurstiger, ungestümer Mann, der stets seine Meinung laut kundtat und sich zum Experten in allen Dingen machte. Da er keine Spur von Humor besaß, waren Gespräche mit ihm anstrengend und langweilig. Moreta ging ihm aus dem Weg, wann immer sie konnte. Seit sie das Amt der Weyrherrin bekleidete, konnte sie sich seinem Geschwätz allerdings nicht mehr so leicht entziehen wie früher.

»Wie viele seiner Damen hat er denn mitgebracht?«

»Fünf.« Alessans Miene war unbewegt. »Lady Uma, meine Mutter, freut sich sehr über die Besuche von Lady Pendra.«

Moreta wandte den Kopf ein wenig ab, weil sie gegen das Lachen ankämpfte. Ganz Pern wusste, dass Lady Pendra alles daransetzte, eine ihrer zahlreichen Töchter, Nichten oder Kusinen an Alessan zu verheiraten. Alessans junge Gemahlin Suriana war einen Planetenumlauf zuvor bei einem Sporenregen ums Leben gekommen. Baron Leef hatte seinen Sohn nicht zu einer Wiederheirat gedrängt. Viele vermuteten deshalb, dass er Alessan nicht zu seinem Nachfolger ernennen würde. Die Töchter des Barons von Fort galten als tüchtig, waren jedoch alles andere als reizvoll, und Moreta räumte ihnen nur geringe Chancen ein. Aber Alessan würde in der Tat bald wieder heiraten müssen, um die Erbfolge zu sichern.

»Liegt Ihnen als Weyrherrin von Fort viel an einer Verbindung mit Burg Fort?« Seine Stimme klang kühl und verhalten.

»Ich denke, Sie verdienen etwas Besseres!«, entgegnete Moreta ernst, doch im nächsten Moment prustete sie los. »Verzeihen Sie, ich weiß, dass dies eine wichtige Angelegenheit ist ... aber Sie haben ja keine Ahnung, wie Sie klingen!«

»Wie denn?« Auch Alessan hatte Mühe, ernst zu bleiben.

»Wie jemand, der in die Ecke gedrängt wird, um dort Prügel zu beziehen! Hören Sie, das hier ist Ihr erstes Fest! Sie sollten es genießen.«

»Wollen Sie mir dabei helfen?« Der reine Schalk blitzte jetzt in seinen Augen.

»Kann ich das?«

»Nun – Sie sind meine Weyrherrin.« Er verbeugte sich übertrieben. »Da Sh'gall Sie nicht begleiten konnte, ist es meine Pflicht, an Ihrer Seite zu bleiben.«

»Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich Sie ganz in Beschlag nehmen würde.« Noch während sie das sagte, wusste Moreta, dass sie nicht die Wahrheit sprach. Der junge Mann hatte etwas Rebellisches an sich, das ihr gefiel.

»Dann wenigstens die meiste Zeit?« Der flehende Tonfall stand in krassem Widerspruch zu den spöttisch blitzenden Augen und Alessans Lachen. »Ich kenne meine Pflichten, aber ...«

»Die jungen Mädchen warten nur darauf, Ihnen vorgestellt zu werden.«

»Ich habe fast den Eindruck, dass man meinetwegen die Heiratskandidatinnen von ganz Pern hier versammelt hat.«

»Wundert Sie das? Sie sind jetzt eine ausgezeichnete Partie, Baron Alessan.«

»Suriana hat mich geliebt, nicht meinen Rang«, entgegnete Alessan mit gepresster Stimme. »Als unsere Heirat arrangiert wurde, hatte ich nichts außer mir selbst zu bieten. Sie nahm mich, wie ich war.«

Das erklärte, weshalb Baron Leef seinem Sohn Zeit gelassen und nicht sofort auf eine zweite Heirat gedrängt hatte. Moreta war erstaunt und empfand zugleich eine Spur von ... Neid? Oder Sehnsucht? »Da hatten Sie mehr Glück als die meisten von uns«, entgegnete sie leise. Wer eine Bindung mit einer Drachenkönigin einging, konnte den Menschenpartner nicht mehr frei wählen. Andererseits verblasste jede menschliche Partnerschaft neben dem innigen Verhältnis zwischen Reiterin und Drachen ...

»Ja, und ich war mir dessen voll bewusst!« Mit diesem ruhigen Satz deutete Alessan an, dass er seine neuen Pflichten als Burgherr kannte und anzunehmen gedachte. Moreta begann sich zu wundern, weshalb Sh'gall eine so starke Antipathie gegen den jungen Mann entwickelt hatte.

Sie schlenderten inmitten des Gewühls an den Verkaufsbuden vorbei. Moreta stieg der Duft von würzigen Speisen und süßen Pasteten in die Nase, der Geruch nach gegerbtem Leder, die Ätzlauge am Glasbläserstand, das Gemisch aus Parfüm und Kräutern, der Schweiß von Menschen und Tieren. Freudige Erregung hatte die Menge erfasst.

»Ich fühle mich wohl hier ... und ich hoffe nur, dass Sie Freude an den Rennen und am Tanz haben.«

»In dieser Reihenfolge?«

»Da das eine vor dem anderen auf dem Programm steht: ja.«

»Vielen Dank für Ihr Kompliment, Weyrherrin.« Sein Ton war gespielt formell.

»Sind die Harfner schon eingetroffen?«

»Gestern ...« Alessan schnitt eine Grimasse.

»Die Leute entwickeln einen gesunden Appetit, nicht wahr?«

»Das wäre halb so schlimm, aber sie reden ununterbrochen! Immerhin sind es so viele, dass wir bis in den Morgen hinein tanzen können. Sogar der Meisterharfner hat versprochen, das Fest mit seiner Gegenwart zu beehren.«

Moreta glaubte schon wieder einen sonderbaren Unterton in Alessans Worten zu hören. Mochte er Tirone etwa nicht? Der Meisterharfner war ein Hüne von einem Mann, und sein Bass übertönte alle anderen Stimmen. Er bevorzugte die stürmischen Balladen und Sagas, die sein Können am besten zur Geltung brachten, aber das war seine einzige Schwäche, und Moreta hatte sie nie als solche empfunden. Freilich besaß sie erst seit kurzem das Amt der Weyrherrin und kannte ihn in seiner Eigenschaft als Bewahrer der Tradition von Pern sicher nicht so gut wie Alessan. Und sie konnte sich vorstellen, dass es nicht gerade einfach war, Tirone zum Gegner zu haben.

»Er besitzt eine herrliche Stimme«, stellte sie zurückhaltend fest. »Kommt Meister Capiam ebenfalls?«

»Ich glaube schon.«

Wieder diese knappe Antwort! Moreta ärgerte sich über Alessan. Schätzte er denn außer Baron Shadder gar niemanden von den Führern Perns, die ihr so ans Herz gewachsen waren? Capiam, der Meisterheiler, hatte einfach keine Feinde! Oder konnte es sein, dass Alessan ihn unbewusst für den Tod seiner Frau verantwortlich machte?

»Halten Sie es für richtig, Moreta, dass Orlith in ihrem Zustand noch Schauflüge absolviert?« Unvermittelt stand Baron Tolocamp neben ihnen. Er war ihnen offenbar schon eine geraume Weile durch die Menschenmenge gefolgt, sonst wäre es ihm kaum gelungen, ihnen so wirksam den Weg abzuschneiden.

»Sie begibt sich frühestens in zehn Tagen zur Brutstätte, um ihre Eier abzulegen.« Moreta versteifte sich, gereizt über die Frage und den Fragensteller.

»Orlith flog mit meisterlicher Präzision«, warf Alessan ein. »Eine Gabe, die wir hier auf Ruatha sehr zu schätzen wissen.«

Baron Tolocamp blieb stehen, hüstelte und schaute Alessan verständnislos an.

»Sie setzt sich gern in Szene, wenn genug Publikum da ist, um ihre Künste zu bestaunen«, lachte Moreta. »Aber bis jetzt hat sie sich dabei noch nicht einmal eine Kralle abgebrochen.«

»Ah so, hmm. Dort drüben steht übrigens Lady Pendra, Moreta!«, meinte Tolocamp mit plumper Jovialität. »Alessan, darf ich Sie mit meinen Töchtern bekannt machen?«

»Im Moment würde ich gern Lady Moreta über den Festplatz begleiten, Baron Tolocamp, da Sh'gall leider verhindert ist, Ruatha zu besuchen.« Er warf einen Blick auf die Gruppe junger Damen, die friedlich mit einigen seiner Höflinge plauderten. »Ihre Töchter führen ohnehin gerade eine angeregte Unterhaltung, in der ich sie nicht gern störe.«

Tolocamp begann zu schmollen.

»Ein Glas Wein, Moreta? Hier entlang.« Alessan führte sie mit festem Griff von Baron Tolocamp weg, der ihnen nachstarrte, entgeistert über den brüsken Abschied.

»Das wird er mir noch lange vorhalten«, murmelte Moreta, aber sie folgte dem Baron von Ruatha nur zu bereitwillig.

»Dann ertränken Sie Ihren Kummer in einem Glas von Bendens köstlichem Weißwein. Ich habe eigens einen Schlauch davon kaltstellen lassen.« Er winkte einen Diener herbei und gab ihm einen leisen Auftrag.

»Der Weiße von Benden? Mein Lieblingstropfen!«

»Und ich hatte schon befürchtet, Sie würden die Weine Tilleks bevorzugen.«

Moreta rümpfte die Nase. »Ich muss die Weine von Tillek bevorzugen.«

»Mir schmecken sie zu herb. Das macht der saure Boden von Tillek.«

»Stimmt, aber Tillek leistet seinen Tribut an den Fort-Weyr nun mal in Form von Wein. Und es ist leichter, Baron Diatis recht zu geben, als mit ihm zu streiten.«

Alessan lachte.

Als der Diener mit zwei feingeschliffenen Gläsern und einem Weinschlauch zurückkam, erspähte Moreta in einiger Entfernung Baron Tolocamp, der mit seiner Gemahlin, Lady Uma und den Töchtern im Schlepptau auf sie zusteuerte. Im gleichen Moment verkündete ein Ausrufer den Beginn der Wettrennen.

»Lady Pendra lässt sich bestimmt nicht so rasch abschütteln«, seufzte Moreta. »Wie können wir ihr nur entkommen?«

Alessan starrte zum Rennplatz hinüber. »Ich möchte aus einem bestimmten Grund vor allem das erste Rennen mitverfolgen. Wenn wir uns beeilen ...« Er deutete auf die gewundene Straße, die zur Ebene hinunterführte. Aber auf diesem Weg konnten sie der Abordnung von Burg Fort auf keinen Fall entgehen.

»Das schaffen wir höchstens noch mit Orliths Hilfe ... und sie schläft.« Dann erblickte Moreta ein Gerüst, mit dessen Hilfe am Südende des Hofes eine Mauer errichtet wurde. »Warum sehen wir uns die Sache nicht von dort oben an?« Sie deutete.

»Großartig! Eine Reiterin kennt eben keine Angst vor der Höhe.« Alessan nahm ihre Hand und steuerte sie geschickt durch die Menschenmenge. Sie entfernten sich immer weiter von Baron Tolocamp und seinen Damen. Die Leute, die bereits auf der halbfertigen Mauer standen, machten Platz für den Baron und die Weyrherrin. Alessan drückte Moreta sein Glas in die Hand und erklomm geschickt die oberste Reihe der Steinquader. Dann kniete er nieder und gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass sie die beiden Gläser nach oben reichen sollte.

Einen Moment lang zögerte Moreta. L'mal hatte ihr oft genug eingeschärft, den Weyr mit Würde zu vertreten, besonders wenn die kritischen Blicke von Burgbewohnern und Gildenangehörigen auf sie gerichtet waren. Aber höchstwahrscheinlich hatte Orlith sie mit ihrer Tollkühnheit angesteckt. Der Tag war herrlich warm – genau das, was sie brauchte, um einmal die Bürde der Verantwortung zu vergessen. Es gab Benden-Wein, Rennen und später sicher Musik und Tanz. Moreta, die Weyrherrin von Fort, wollte sich einmal richtig amüsieren.

Das ist dein gutes Recht, pflichtete Orlith ihr schläfrig bei.

»Schnell!«, drängte Alessan. »Die Renner nehmen schon Aufstellung.«

Moreta wandte sich an den Drachenreiter, der ihr am nächsten stand.

»R'limeak, kannst du mir nach da oben helfen?«

»Moreta!«

»Nun sieh mich nicht so entsetzt an! Ich will das Rennen mitverfolgen, das ist alles!« Sie raffte die Röcke und stieg mit dem rechten Fuß auf R'limeaks verschränkte Hände. »Und jetzt mit Schwung, sonst schürfe ich mir die Nase an den Steinen auf!«

R'limeak leistete ihren Anweisungen nur halbherzig Folge, und wenn Alessan sie nicht mit starker Hand gestützt hätte, wäre sie wohl abgerutscht.

»Wie verdattert er aussieht!«, lachte Alessan, und seine grünen Augen strahlten.

»Vielleicht tut ihm das Erlebnis gut. Diese blauen Reiter können unheimlich steif sein.« Sie nahm Alessan ein Glas ab. »Ah, was für eine herrliche Aussicht!«, rief sie, nachdem sie sich rasch vergewissert hatte, dass die Startschranken noch geschlossen waren. Ihr Blick schweifte vom Fuß der Ruatha-Klippen über die Holzdächer der bunten Verkaufsstände, die leere Tanzfläche, die Felder und die von Steinwällen geschützten Obstgärten bis hin zum Ruatha-Fluss, der vom Eissee hoch droben in den Bergen gespeist wurde. Zwar waren die Bäume noch kahl, und ein später Frost hatte die Weiden bräunlich verfärbt, aber ein seidiger blaugrüner Himmel wölbte sich über der Landschaft, kein Wölkchen war zu sehen, und in der Luft lag eine angenehme Wärme. Moreta sah mit den geübten Augen der Drachenreiterin, dass drei Renner verspätet der Startlinie zustrebten.

»Ruatha wirkt heute so heiter«, sagte sie. »Wenn ich sonst herkomme, sind in aller Regel die Fensterläden verschlossen und die Türen verrammelt, und Mensch und Tier haben sich vor den Sporen in die Innenhöfe geflüchtet.«

»Dabei haben wir häufig Gäste«, entgegnete Alessan. Seine Blicke waren fest auf die Startschranken gerichtet. »Ruatha liegt äußerst günstig. Fort mag ein gutes Stück älter sein, aber den Vergleich mit unserer Burg hält es nicht aus.«

»In den Harfner-Archiven steht, dass Fort als Provisorium gleich nach der Überfahrt errichtet wurde.«

»Ein Provisorium, das sich vierzehnhundert Planetenumläufe lang erhalten hat! Wir auf Ruatha bauen unsere Burganlage ständig aus. Seit neuestem besitzen wir sogar eigene Unterkünfte für Leute, die unsere Rennen besuchen.«

Moreta lachte ihn an. Sie spürte, dass sie beide nur redeten, um die Aufregung vor dem Start zu überspielen.

»Da! Endlich sind sie aufgestellt!«

Zum Glück trieb eine schwache Brise die Staubwolken, die am Startplatz aufgewirbelt wurden, in die entgegengesetzte Richtung. Moreta sah die weiße Flagge niedergehen und hielt den Atem an, als die Tiere mit gewaltigen Sätzen lospreschten.

»Eine Kurzstrecke?«, fragte sie und kniff die Augen zusammen. In dem Gewirr von Köpfen, Leibern und Beinen waren die Favoriten schwer zu erkennen. Die Tiere stürmten so dichtgedrängt dahin, dass sich die Farben der Satteldecken verwischten.

»Ja, damit fangen wir immer an«, erklärte Alessan geistesabwesend und hielt eine Hand über die Augen, um das grelle Sonnenlicht abzuschirmen.

»Allmählich wird das Feld auseinandergezogen ... ich könnte schwören, dass der Renner an der Spitze Ruathas Farben trägt!«

»Ich hoffe es«, flüsterte Alessan erregt.

Anfeuerungsrufe drangen von der Rennbahn bis zu ihnen herauf.

»Fort greift an!«, schrie Moreta, als sich das zweite Tier aus dem Hauptfeld löste. »Und schnell!«

»Er muss nur sein Tempo beibehalten!« Das klang wie ein Gebet.

»Er schafft es!« Alessan gab keine Antwort, sondern starrte mit zusammengepressten Lippen zur Ziellinie. »Na bitte ... er hat es geschafft!«

»Sind Sie sicher?«

»Völlig sicher. Die Ziellinie befindet sich parallel zu mir. Sie haben einen Siegrenner! Stammt er aus eigener Zucht?«

»Ja, ja! Er hat tatsächlich gewonnen?« Alessan sah sie fragend an. Er schien auf ihre Bestätigung zu warten.

»Und ob! Mit respektablen zwei Längen. Sie dürfen mir schon glauben. Bei Rennen irre ich mich nie.« Moreta hob ihr Glas. »Auf Ihren Sieger!«

»Auf meinen Sieger!« Seine Stimme klang sonderbar heftig, und in seinen Augen lag eher Trotz als Triumph.

»Ich begleite Sie gern in den Zielraum«, schlug sie vor, als sie sah, dass sich die Tiere im kurzen Gras hinter der Rennstrecke versammelten.

»Ich genieße den Moment lieber hier oben in Ihrer Gesellschaft«, meinte er und fügte lachend hinzu: »Hier muss ich mir keine Zwänge auferlegen. Dag ist unten. Er betreut meine Zucht, und er hat an dem Sieg mindestens den gleichen Anteil wie ich. Heute ist sein großer Tag. Außerdem wäre es höchst unschicklich für den Gastgeber, sich wie ein Irrer zu freuen, nur weil einer seiner Renner gewonnen hat.«

Moreta fand seine Offenheit erfrischend. »Es ist doch sicher nicht der erste Sieg, den Sie mit einem Renner einheimsen?«

»Doch.« Er winkte einen Diener zu sich und bat ihn, die Gläser noch einmal vollzuschenken. »Vor acht Planetenumläufen erhielt ich von Baron Leef die Aufgabe, Renner für Spezialzwecke zu züchten.« Obwohl er sich um einen leichten Plauderton bemühte, schwang in seiner Stimme eine gewisse Schärfe mit. »Die geeignete Zuchtwahl hat eine große Tradition auf Pern.«

»Vor acht Umläufen?« Moreta sah Alessan prüfend an. »Dann kann das da aber keinesfalls Ihr erster Sieg sein.« Sie deutete zum Ziel hinunter.

Der Burgherr lächelte. »Mein Vater hatte ganz bestimmte Vorstellungen. Er benötigte ausdauernde, kräftige Zugtiere, die obendrein nicht zuviel Futter verschlangen.«

Moreta nickte. Sie kannte den alten Baron. Doch dann warf sie Alessan einen verwirrten Blick zu. »Und aus diesen Kreuzungsversuchen ist ein Sprinter hervorgegangen?«

»Nicht direkt.« Alessan schmunzelte. »Der Sieger stammt von einer Linie ab, die als untauglich ausgesondert wurde. Zäh, mutig, gute Futterverwerter, aber klein und von zierlichem Knochenbau. Die Tiere schaffen es, all ihre aufgestaute Energie in kurzen Sprints explodieren zu lassen ... fünfzig Drachenlängen im Höchstfall, wenn ich ehrlich bin. Über die Neunzig-Längen-Marke hinaus sind sie unbrauchbar. Aber eine halbe Stunde Ruhepause, und sie halten die Strecke erneut voll durch. Langlebige Geschöpfe übrigens. Eigentlich war es Dag, der die Qualitäten der drahtigen kleinen Biester erkannte.«

»Wenn ich Sie recht verstehe, konnten Sie die Tiere zu Lebzeiten Ihres Vaters nicht bei Rennen einsetzen?«, fragte Moreta mit einem verhaltenen Lächeln.

»Kaum.« Alessan grinste sie an.

»Ich kann mir denken, dass Sie heute eine hohe Summe einnehmen werden: ein Neuling, der sofort den Sieg davonträgt ...«

»Hoffen wir es! Wenn Sie wüssten, wie lange Dag und ich darauf warten mussten!«

»Meinen herzlichen Glückwunsch, Baron Alessan!« Moreta hob das gefüllte Glas. »Sie sind ein Mensch, vor dem man sich in acht nehmen muss. Erst führen Sie Baron Leef hinters Licht – und dann geben Sie dem Renngeschehen einen völlig unerwarteten Verlauf!«

»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie soviel von Rennern verstehen, sonst hätte ich Sie zu einer Wette überredet ...«

»Ich bin als Zuschauerin hier, nicht zum Geldverdienen. Werden Sie Ihren Trumpf nun auch bei den Fort-Rennen einsetzen?«

»Ich könnte das Tier sogar heute noch einmal laufen lassen; aber das wäre unhöflich gegenüber meinen Gästen.« Das Rennfieber in seinen Augen verriet, dass ihm seine Rolle als Burgherr im Moment lästig war. »Aber vielleicht ist das ganz gut. Die anderen werden an einen Zufallssieg glauben. Ein einziger Renner am Start ... der Mann hat mehr Glück als Verstand!« Er ahmte den näselnden, etwas abschätzigen Tonfall der Züchter nach. »Sie haben recht, ich werde das Tier bei möglichst vielen Rennen starten lassen. Ich siege gern. Es ist eine ganz neue Erfahrung.«

Seine Ehrlichkeit überraschte sie. »Sind Sie übrigens sicher, dass Ihr Vater nichts von diesen Experimenten wusste? Baron Leef machte auf mich stets den Eindruck eines Mannes, der über das Geschehen auf seiner Burg genau im Bilde war – nicht nur auf seiner Burg übrigens, sondern im gesamten Westen.«

Alessan schaute sie nachdenklich an. »Möglich, dass er etwas merkte, obwohl Dag und ich alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen trafen. Wir glaubten uns sicher vor einer Entdeckung.« Der Burgherr lachte leise. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir alles auf uns nahmen, um ihn zu täuschen. Aber vermutlich haben Sie recht. Mein Vater ließ sich nicht ohne weiteres hinters Licht führen.«

»Nun, ich nehme an, dass er Sie nicht allein wegen Ihrer Zuchterfolge zum Erben ernannte. Sicher stecken ganz besondere Fähigkeiten in Ihnen ...«

Alessan blinzelte ihr zu. »Der Weyr hat Anspruch auf meine Dienste, aber nicht auf meine Geheimnisse.«

»Eines habe ich bereits aufgedeckt. Soll ich ...« Moreta sprach den Satz nicht zu Ende, weil ihr zu Bewusstsein kam, dass ihr Geplänkel mit Alessan aufmerksam beobachtet wurde. Aber warum sollte sie auf einem Fest nicht fröhlich sein? Sie warf R'limeak einen finsteren Blick zu, und der blaue Reiter wandte sich verlegen ab.

Alessan sah sich ebenfalls um und begann leise zu fluchen. »Nicht einmal auf einer halbfertigen Mauer hat man seine Ruhe«, meinte er kopfschüttelnd, als er Baron Tolocamp samt Gefolge zielstrebig näher kommen sah.

»Bloß das nicht!«, seufzte Moreta. »Ich lasse mir die Rennen nicht durch albernes Geplauder oder gar eine Heiratsvermittlung vermiesen. Da, von dort drüben überblicken wir das Geschehen ebenso gut!« Sie deutete auf eine kleine Anhöhe im Feld unterhalb der Straße. Im nächsten Moment raffte sie entschlossen die Röcke und balancierte über einen Haufen von Steinblöcken, die noch nicht in die Mauer eingefügt waren, in die Tiefe. »Vergessen Sie den Wein nicht!«, rief sie über die Schulter zurück.

»Vorsicht, Sie brechen sich noch das Genick!« Alessan nahm dem verdutzten Diener den Weinschlauch aus den Händen und folgte ihr, bevor die anderen merkten, was sie vorhatten.

Steine rollten unter ihren Sohlen, aber sie erreichten unbeschadet die Straße. Im Laufschritt überquerten sie die Wiese hinter den Verkaufsbuden. Da sich in Moretas Rock ständig Kletten und Ranken festhängten, hob sie den schweren Saum einfach ein Stück an.

»Nicht die Spur von Würde«, stellte Alessan mit gespielter Entrüstung fest, während sie sich vorsichtig einen Weg über das holprige Feld bahnten.

»Ein Fest ist keine formelle Angelegenheit.«

»Leider sind Sie sehr formell gekleidet.« Er erwischte sie gerade noch am Ellbogen, als sie ins Stolpern geriet. »Dieses Prachtgewand eignet sich schlecht für ein Querfeldeinrennen. So, da wären wir!« Alessan blieb abrupt stehen. »Von hier haben wir einen ungehinderten Ausblick auf die Start- und Ziellinie. Geben Sie mir Ihr Glas!«

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.« Moreta hielt ihm den feingeschliffenen Kelch entgegen.

»Warum hatte ich bisher keine Ahnung davon, dass die Weyrherrin von Fort rennbesessen genug ist, um auf die Annehmlichkeiten der Ehrentribüne zu verzichten?«

»Ich war während der letzten zehn Planetenumläufe auf jedem Ruatha-Fest ...«

»Allerdings dort!« Er deutete zum Burghof hinauf.

»Wie es sich für mich geziemte. L'mal war dagegen, dass ich mich unter die Reitknechte mischte.«

»Wo Sie mit großer Sicherheit mich angetroffen hätten!« Alessan grinste.

»Sammelten Sie Erfahrungen mit Siegrennern?«

»Beim Goldenen Ei, nein!« Alessan täuschte Entsetzen vor. »Ich hatte nicht den Auftrag, schnelle, sondern ausdauernde Tiere zu züchten. Bei den Festen musste ich unserem Rennverwalter Norman zur Seite stehen.«

Moreta hob erneut das Glas. »Auf den Mann, der sich durchsetzte und gewann!«

Ihre Blicke trafen sich. Moreta fühlte sich immer stärker von dem neuen Burgherrn angezogen, und das nicht nur, weil er ihre Leidenschaft für Rennen teilte. Er ließ sich schwer einordnen. Mit Tolocamp, Ratoshigan oder Diatis hatte er wenig gemeinsam. Er wirkte aufgeschlossener und sehr humorvoll; wenn er nun noch gut tanzte, dann konnte es tatsächlich sein, dass sie ihn den ganzen Abend für sich in Beschlag nahm.

Als Moreta zögernd den Blick von Alessan löste, entdeckte sie, dass zwei weitere Drachen über der Burg kreisten. Sie suchte nach Orlith, die sich immer noch über dem Haupteingang der Burg sonnte, und freute sich über den goldenen Schimmer ihrer Haut. Dann spürte sie, dass Alessan sie beobachtete, und wandte sich etwas verlegen ab.

»Eine liebe alte Gewohnheit«, murmelte sie und zuckte mit den Schultern.

»Kein Wunder bei einer so langen Partnerschaft ...«

»Haben Sie sich eigentlich bereits an Ihr neues Amt als Herr von Ruatha gewöhnt?«

»Nein. Ich bin eben erst dabei ...« Alessan unterbrach sich, als er das zärtliche Lächeln sah, das Orlith galt. »Selbst nach zwanzig Planetenumläufen ...?«