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"Die Braut des Templers" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Freitag, der 13. Oktober 1307 war ein schwarzer Tag für das Gerichtswesen des Mittelalters, denn Frankreichs König Philipp der Schöne bricht das Recht und versucht, mit Unterstützung des Papstes, sich in den Besitz des beträchtlichen Vermögens des Ordens der Armen Ritter vom Tempel Salomons zu bringen. Für die Wäschemagd Aveline beginnt an diesem Tag eine abenteuerliche Flucht. Wochen zuvor hatte sie sich in den Tempelritter Kuno von Bärenberg verliebt und nun versuchen sie ihren Verfolgern zu entkommen. Gegen die strengen Regeln des Ordens, den Papst und den König, sowie im Kampf gegen die Kräfte der Natur und die Widrigkeiten ihres beschwerlichen Weges, können sich die beiden Liebenden nur auf Kunos Knappen und das Schwert des Ritters verlassen. Obwohl Aveline nicht an Märchen glaubt, wird ihr Weg zu einem Märchen, das wahr zu werden scheint. Doch welche Macht vermag schon zwei liebende Herzen voneinander zu trennen? Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de
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Seitenzahl: 423
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Die Braut des Templers
Staubige Pfade
Gottes Wege
Zukunftsangst
Marias Rettung?
Brüder in Waffen
In seiner Schuld?
Die Qual der Gedanken
Nachtgedanken
Grüne Augen
Der süße Brei
Hohe und niedere Minne
Auge in Auge
Seelenfenster
Stille Wasser
Kreuze und Kringel
Ewige Liebe
Unkeusche Gedanken
Im Fegefeuer der Gefühle
Den Vogel gefangen
In Richtung südlicher Sonne
Entscheidungen der Lust?
In Klausur
Tag der Rache
Freude und Angst
Hilfe für Freunde
In Wut!
Die Pflicht eines Knappen
Auf engstem Raum
Unter dem Silbermond
Freund oder Feind?
Ein Höllenritt
Die Macht der Schrift
Der Lauf der Dinge
Armer Ritter
Zwölf Schilling!
In eisigen Höhen
Nähe und Ferne
Zum Lobe aller Heiligen
Schneewege
Eine Freundin?
Neue Pläne?
Schicksalstage
Ein Leben in Schande
Die barfüßige Herrin
Von Mägden und Mägden
Herrin und Zoffmagd
Gebrochenes Herz
Frühlingswind
Zurück in der Heimat
Neue Sitten, neue Bräuche, neue Sprache!
Auf zu neuen Landen!
Ostwärts, bis zum Rande der Welt?
Ein Platz zum Kämpfen
Ein Platz zum Leben
Die hölzerne Burg
Pflicht oder Freundschaft?
In Angst gefangen
Im Griff der Angst
Verzweifelte Jagd
Ein schlauer Plan
Wem kannst du trauen?
Die Hilfe eines Freundes
Marias Weiher
Beim Leben eines Kindes
Die Pflichten einer Herrin
Schreie im Wind
Blumen, die ewig blühen
Alles geht seinen Weg
Liebe oder niedere Minne?
Einfaches Leben
Pfade in das Morgen
Angekommen!
Freitag, der 13. Oktober 1307 war ein schwarzer Tag für das Gerichtswesen des Mittelalters, denn Frankreichs König Philipp der Schöne bricht das Recht und versucht, mit Unterstützung des Papstes, sich in den Besitz des beträchtlichen Vermögens des Ordens der Armen Ritter vom Tempel Salomons zu bringen. Für die Wäschemagd Aveline beginnt an diesem Tag eine abenteuerliche Flucht. Wochen zuvor hatte sie sich in den Tempelritter Kuno von Bärenberg verliebt und nun versuchen sie ihren Verfolgern zu entkommen.
Gegen die strengen Regeln des Ordens, den Papst und den König, sowie im Kampf gegen die Kräfte der Natur und die Widrigkeiten ihres beschwerlichen Weges, können sich die beiden Liebenden nur auf Kunos Knappen und das Schwert des Ritters verlassen. Obwohl Aveline nicht an Märchen glaubt, wird ihr Weg zu einem Märchen, das wahr zu werden scheint. Doch welche Macht vermag schon zwei liebende Herzen voneinander zu trennen?
Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.
Der heiße Hauch des Sommers ließ die Luft über den erhitzten Dächern der Stadt flirren. Schon wochenlang war kein Regen gefallen und aus dem Haus ging zu dieser mittäglichen Stunde wirklich nur der, der es unbedingt musste. Die Seine floss mit so wenig Wasser wie schon lange nicht mehr durch das Land. In einiger Entfernung waren die Stadtmauern von Paris zu erkennen, aber die junge Frau hatte dafür keinen Blick.
Aveline war vor ein paar Wochen einundzwanzig Jahre alt geworden und lebte mit ihrer Mutter außerhalb der Stadt in einer Hütte. Es war nicht weit bis zur Kirche Saint-Gervais, in deren Nähe das Ordensgebiet La Ville Neuve du Temple lag. Der hohe Bergfried, der die Kommende der Tempelritter krönte, befand sich hinter Aveline.
Ihre Mutter arbeitete als Wäscherin für den Orden und Aveline half ihr dabei, seit sie zurückdenken konnte.
Andere Frauen in ihrem Alter hatten schon eigene Kinder, aber für Aveline blieb nur die Arbeit. Mutter hatte keine Magd, alle Tätigkeiten hingen an Aveline und sie kannte es auch nicht anders. Ohne sie hätte Mutter ihre lukrative Tätigkeit nicht mehr ausführen können.
Den schweren Weidenkorb mit beiden Händen vor sich her tragend, erreichte Aveline schwitzend den Fluss und sah vom Ufer hinab, um eine Stelle zu finden, an der das Wasser tief genug war, um nicht völlig verschmutzt zu sein. Schließlich sollte die Wäsche ja sauber und nicht noch dreckiger werden.
Sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn wischend, blickte sie sich um. Mit jedem Tag wurde es schwieriger, einen Platz für das Waschen zu finden. Und jedes Mal wurde ihr Weg mit dem Korb damit länger!
Unbarmherzig knallte die Sonne auf ihren Rücken. Aveline hatte sich nur das Wollkleid übergezogen und wenn Mutter gewusst hätte, dass sie die Unterkleidung fortgelassen hatte, dann wäre sicher erneut eine Flut von Schimpfwörtern über sie niedergegangen.
Züchtig, hochgeschlossen, anständig und vollständig sollte die Kleidung nach Mutters Vorstellung sein.
Aber dafür war es einfach viel zu heiß!
Am liebsten hätte sie natürlich das leinene Unterkleid alleine getragen, doch damit hätte Mutter sie nie im Leben vor die Hüttentür gelassen.
Das knöchellange und langärmlige Kleid war an sich schon die reinste Folter. Mit der Unterkleidung noch darunter würde Aveline vermutlich jetzt schon wegen Überhitzung am Wegesrand liegen.
Hätte sie nicht nach draußen gemusst, sie hätte sich in der Hütte verkrochen, doch die Mutter war am Tage zuvor gestürzt und konnte nur noch humpelnd ein paar Schritte in der Hütte laufen.
Dieser Korb war schon Avelines zweiter Gang an diesem Tag und es war abzusehen, dass auch noch ein dritter nötig sein würde.
Alle Menschen schwitzten und damit fiel übermäßig viel Wäsche zum Waschen an. Das war gut für Mutter und deren Geldbeutel, aber eine Qual für Aveline.
Bereits am Morgen, als es noch einigermaßen kühl gewesen war, war sie am Fluss gewesen und nun schleppte sie den Korb weiter. Die Last zog ihr die Arme lang.
Aveline hatte den Korb auch noch so voller Schmutzwäsche gestopft, dass darin kein Platz mehr war. Auf diese Art hatte sie vermeiden wollen, noch ein viertes Mal den Weg gehen zu müssen, aber diese Idee stellte sie nun als wenig brauchbar heraus.
Schnaufend stand sie für einen Moment am Wegesrand, als ein Reiter an ihr vorüber galoppierte und der dabei von den Hufen seines Reittieres aufgewirbelte Straßenstaub sie einhüllte. Einen Augenblick lang versuchte Aveline die Luft anzuhalten, doch sie musste schnaufend Atem holen und schluckte eine volle Ladung von dem Staub, der sich nicht legen wollte.
Hustend und sich den Dreck von der Stirn wischend, fuchtelte sie wütend mit der Faust dem Reiter hinterher.
Ihr Weg war doch auch so schon schwer genug!
Der braune im Wind wehende Mantel kennzeichnete den Mann als Boten der Tempelritter und vermutlich würde sie am nächsten Tag den Staub auch aus diesem Kleidungsstück waschen müssen.
Wie aus so vielen Gewändern der anderen Knechte, deren Kleidung gerade in ihrem Korb lag.
Nur langsam sank die Wolke zu Boden und wurde von ihr sofort wieder aufgewirbelt, als sie sich den Staub vom Kleid klopfte.
Aveline richtete ihren Gürtel und ihr Blick fiel auf ihre Füße. Mit den nackten Zehen stand sie im verwelkten Gras. Ein paar Tage zuvor waren abermals ein Paar Schuhe zerschlissen und bis zum nächsten Markttag ging Aveline damit eben barfuß. Und ohne die Schuhe waren auch die Stümpfe sinnlos.
Noch ein Kleidungsstück, das zu ihrem Glück in der Hütte geblieben war. Jetzt, im Sommer, brauchte sie eigentlich weder Stümpfe noch Schuhe, aber die Mutter bestand nun einmal darauf, dass sie anständig gekleidet war. Vermutlich war dies nur der vornehmen Kundschaft geschuldet und der klatschsüchtigen Nachbarschaft.
„Los jetzt!“, trieb sie sich nun selbst an, denn die Hitze wurde immer unerträglicher.
Die Augen mit der flachen Hand gegen die Sonne abgeschirmt, suchte sie den Platz, an dem sie sich nun endlich ihrer Wäsche entledigen konnte.
Dreißig Schritte links von ihr sah es vielversprechend aus. Direkt am Ufer war eine tiefere Stelle im Fluss, wo sie sicher bis zu den Hüften im Wasser stehen konnte und das Wasser war noch sauber!
Fast ein Wunder in der sonst so schlammigen Brühe!
Mit nahezu der letzten Kraft zerrte Aveline den Korb zum Ufer, kniete sich an das Wasser und kippte sich zuerst drei Hände voll von dem lauwarmen Nass über den Kopf, wobei ihre langen hellbraunen Haare mit den Spitzen in das Gewässer eintauchten.
Weit und breit war kein Mensch zu sehen, wie sie sich schnell noch einmal vergewisserte.
Eilig zog sie sich das Kleid bis zu den Knien herauf und schob es unter den Gürtel, der es damit oben hielt. Geschwind krempelte sie sich danach noch die langen Ärmel herauf.
Einen Augenblick später stand sie mit beiden Beinen im Strom. Das Wasser reichte ihr fast bis zu den Knien. Es war nicht kalt, aber es erfrischte Aveline dennoch einigermaßen.
Zunächst schlug sie die Wäschestücke gegen einen Stein, damit der grobe Schmutz herauskam, was abermals eine Wolke aus Staub zur Folge hatte. Danach schrubbte sie die Wäsche mit einer Seife, die Mutter aus Holzasche und Rindertalg gefertigt hatte und wusch die Kleidungsstücke anschließende im Fluss aus, wobei die Seifenreste das zuvor noch saubere Wasser eintrübten.
Es war eine mühsame, kräfteraubende und altbekannte Arbeit für sie. Das konnte Aveline vermutlich sogar im Schlaf. Immer wieder rutschten ihr dabei die Haare in die Stirn, obwohl diese eigentlich durch das Haarband hinter den Ohren bleiben sollten. Aber um sich einen Zopf zu binden, war sie einfach viel zu beschäftigt.
Aveline wollte nur schnell fertig werden und danach zurück!
Die noch feuchte Wäsche landete Stück für Stück im Korb neben ihr und damit würde dessen Gewicht auf dem Rückweg zweifellos noch größer sein.
Mit dem Rücken zur Stadt, dem Gesicht zum Fluss und über ihre Arbeit gebeugt, schuftete sie mit nackten Armen und Beinen, als eine dunkle Männerstimme sie aufschreckte.
Aveline fuhr herum und erblickte zwei Männer, die nicht weit hinter ihr am Ufer standen. Ihre gierigen Blicke ängstigten Aveline.
„Na wen haben wir den hier?“, fragte ein älterer Mann mit einem zerzausten Bart seinen etwas jüngeren Begleiter.
Der Klang dieser Stimme und das Lachen der beiden Männer ließ sie erschaudern.
Das verhieß nichts Gutes und ringsum war keine Hilfe in Sicht!
Den Blick gesenkt, die Hände gefaltet, so kniete Kuno vor dem kleinen Seitenaltar in der Kirche. Eigentlich wollte er hier zur Jungfrau Maria beten, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Seufzend hob er seinen Blick und schaute die Gestalt der Jungfrau an, die auf dem Altar stand.
Das Jesuskind im Arm haltend, hatte sie etwas Mütterliches und Kuno musste dabei an seine eigene Mutter zurückdenken. Und an jenen Tag, an dem er sie verlassen hatte.
Für einen Ritter war es wohl müßig, an die eigene Mutter denken zu müssen, doch wenn dem so war, dann war er eben irgendwie doch kein wirklicher Ritter. Oder doch?
Kuno von Bärenberg war der dritte Sohn seines Vaters und wie es so Tradition in der Familie war, hatte sein ältester Bruder Siegfried Vaters Burg übernommen. Sein Bruder Balthasar war, ebenfalls der Tradition folgend, auf dem Weg, um Abt in einem Kloster zu sein und ihn hatte der Vater vor die Wahl gestellt, als Mönch oder freier Ritter zu leben.
Damit war Kuno eigentlich der einzige gewesen, der seinen Weg hatte wählen können. Und er hatte sich für beides entschieden.
Er war Mönch und Ritter.
Direkt nach dem Ritterschlag, das war nun auch schon wieder fast zehn Jahre her, war er in den Orden der armen Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem eingetreten. Oder eben kurz: er war ein Tempelritter geworden, wie alle Menschen sie nannten.
Nun war er neunundzwanzig Jahre alt und dachte immer noch an die Mutter!
Was hatte er sich damals vorgestellt, als er in diesen Ritterorden eingetreten war? Einst hatte ihm der Großvater von seinem Kreuzzug in das Heilige Land erzählt. Im Jahre 1271 war er bis Akkon gekommen und war dort auch mit den Tempelrittern zusammengetroffen.
Vielleicht hatten seine Erzählungen Kuno diesen Schritt wagen lassen, denn in den Geschichten des Großvaters waren die Ritter vom Tempel immer die strahlenden Helden gewesen.
Er selbst hatte es dem Großvater gleichtun wollen, aber Kuno war nur bis Tartosa1 gekommen. Fast zwei Jahre, von 1300 bis 1302, hatten sie versucht, die alte Festung für den Ritterorden zurückzugewinnen, aber sie waren daran gescheitert.
Nach einem Angriff der Mamelucken hatte er damals schwer verletzt den Stützpunkt verlassen müssen. Das Heilige Land hatte er daher nie gesehen.
Das war dann aber auch sein einziger Einsatz in einer Schlacht gewesen. Seit dieser Zeit, und seit er wieder gesundet war, was nach der Schwere der Verletzungen fast einem Wunder geglichen hatte, lebte er nun hier in der Kommende des Großmeisters bei Paris.
Und was war nun seine Aufgabe? Botschaften überbringen, Boten beschützen und gelegentlich das Waffenhandwerk üben.
Natürlich waren auch diese Aufgaben wichtig, weil sie dem Erhalt des Ordens dienten, aber war das wirklich das, was ein Ritter tun sollte? Kuno war weit ab von jedem Feind und von jedem Pilger, den es zu beschützen gab.
Bruder Ignatius, sein Freund und Meister, trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Seid ihr schon wieder in Gedanken versunken?“, fragte ihn der greise Freund.
Vor Ignatius konnte man nichts verheimlichen. Er hatte die siebzig schon fast erreicht und war der älteste Ordensbruder, den Kuno bisher gesehen hatte. Den weißen Bart trug der alte Mann mit Stolz.
In Tartosa hatten sie sich kennengelernt. Gegenseitig hatten sie sich dort das Leben gerettet und so war der ältere Bruder sein Mentor und Meister geworden.
Und vielleicht war Kuno auch nur deshalb hier in dieser Kommende.
Jedenfalls hatte sich nach dem Rückzug aus dem Heiligen Land das Verhältnis von kämpfenden zu arbeitenden Brüdern deutlich zu Ungunsten der Ritter verschoben. Eigentlich waren sie nun nur noch ein Mönchsorden, der auch ein paar Ritter besaß.
Ächzend ließ der alte Mann sich in die Bankreihe hinter Kuno fallen. Das Knien auf den kalten Steinen ging bei ihm schon ein paar Jahre nicht mehr und von einigen Pflichten war er ebenfalls entbunden worden.
Am meisten schmerzte es den alten Freund wohl, dass er schon ein paar Jahre nicht mehr auf sein Pferd steigen konnte, obwohl er selbstverständlich noch ein Streitross besaß. Für den alten Mann war es vermutlich nur noch ein Statussymbol, denn ohne das Ross war er eben kein Ritter.
Schwert, Kettenhemd und Ross machten den Ritter aus. Und mehr hatte keiner von ihnen. Sie waren arme Ritter, was nicht bedeuten sollte, das sein Bruder Siegfried mehr sein Eigen nannte, denn die Burg war nur vom Herzog Rudolf von Sachsen an ihn belehnt worden. Und die spärlichen Einnahmen des Landes reichten gerade so, um die Burg und die Mannschaft kampfbereit zu halten.
Aber die erzwungene Untätigkeit brachte nur nutzlose Gedanken in Kunos Kopf. Und es waren schon fünf Jahre der Langeweile!
Kuno wandte sich dem alten Freund zu und der zeigte neben sich auf die Bank. Sollten sie hier, im Angesicht Gottes, darüber reden, welchen Weg Kuno einschlagen wollte? War dieser Orden wirklich sein Weg bis zu dem Alter von Ignatius?
Der alte Mann hatte alles in seinem Leben erreicht, was ein Ritter erreichen konnte. Manchmal erzählte er von den Kreuzzügen und mitunter hatte Kuno das Gefühl, Ignatius erzählte dasselbe, wie sein Großvater damals. Vielleicht hatten die beiden Männer einst Seite an Seite in der Schlacht gestanden.
„Ihr habt sicher gefragt, was euer Weg ist. Oder?“, fragte Ignatius.
„Ja. Woher wisst ihr das?“
„In eurem Alter habe ich mich das auch oft gefragt. Aber ich hatte den Vorteil, dass ich damals im Heiligen Land täglich gebraucht wurde. Ich kann euch verstehen! Aber warum fragt ihr vor dem Abbild der Maria? Und nicht dort drüber am Hauptaltar? Oder vor dem Abbild des heiligen Georg?“
„Ich kann es euch nicht sagen“, entgegnete Kuno.
„Könnt ihr nicht? Oder wollt ihr nicht?“
„Was meint ihr, Bruder Ignatius?“
„Ihr fragt die Maria und eigentlich fragt ihr eure Mutter!“
Betroffen schwieg Kuno und sah den älteren Freund an. Wie immer hatte der alte Mann den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Erfahrung eines langen Lebens steckte da in ihm. Sicherlich waren damals auch seine Fragen ähnlich gewesen. Zu gut verstanden sie sich beide.
Vielleicht war Kuno auch nur noch wegen Ignatius hier im Orden. Wer wusste schon, was Gottes Wege waren.
„Euren heutigen Weg kenne ich allerdings schon!“, sagte der alte Mann und nahm die Botentasche nach vorn, die er mit in die Kapelle gebracht hatte.
„Und auch dabei geht es um die Jungfrau Maria, zumindest indirekt. Ich habe eine Botschaft für die Äbtissin der Abtei Notre-Dame de Cala2.“
Kuno kannte das Nonnenkloster gut, denn schon sehr oft hatte er Nachrichten dorthin überbracht. Meist waren es private Briefe von Ignatius, da eine seiner Schwestern als Äbtissin in diesem Kloster lebte.
Obwohl es der Orden eigentlich mit privaten Nachrichten etwas strenger nahm, hatte Ignatius, vermutlich aufgrund seines hohen Alters, einen Sonderstatus vom Großmeister erhalten.
1 Tartosa → Tartus – Eine Hafenstadt im heutigen Syrien
2 Cala → Chelles ist eine französische Gemeinde im Osten des Großraums von Paris
I gnatius blickte dem jungen Mann nach, der den Brief überbringen würde. Er sah den Ritter und er erkannte sich selbst dabei, wie er in diesem Alter gewesen war, damals, im Heiligen Land.
Er war nun beinahe siebzig und hatte Angst vor der Zukunft. Allerdings nicht für seine eigene, sondern für die des Ordens. Vor vierzig Jahren hatte es in ihrem Ritterorden noch mehr kämpfende, als dienende Brüder gegeben. Mit dem Verlassen der Burgen im Nahen Osten hatte sich das Verhältnis immer mehr zu Ungunsten der Kämpfer verschoben.
Selbst hier, in der Kommende des Großmeisters, gab es kaum noch kämpfende Brüder. Was war aber ein Ritterorden ohne Ritter? Eigentlich nur noch ein Mönchsorden.
Ächzend erhob er sich und ging zum Ausgang der Kapelle. In der offenen Tür stehend, zog es seinen Blick in den Himmel hinauf.
Er erkannte die dunklen Wolken am wolkenlosen Septemberhimmel. Vor seinem Geist zogen sie dahin und es waren Wolken der Habgier!
Ignatius arbeitete in der Registratur und er wusste, wie reich der Orden geworden war. Waren sie einst als arme Ritter angetreten, um die Pilger auf ihrem Weg nach Jerusalem zu beschützen, so hatte der Orden über die Zeit hinweg große Reichtümer angehäuft.
Und Reichtümer zogen immer die Gier an!
Im letzten Jahr hatte der König in ihrer Kommende Schutz vor seinem Volk gesucht, denn er war nicht in der Lage, mit Geld umzugehen und gleichzeitig der größte Schuldner des Ordens. Aus dieser Kombination braute sich Unheil über ihnen zusammen.
Ignatius wusste es und er verstand auch, dass es nicht aufzuhalten war. Das Schicksal raste unerbittlich auf sie zu, wie ein Ritterheer, das mit eingelegter Lanze einen Hügel hinabstürmte. Wer konnte dem widerstehen?
Nichts und niemand auf der Welt!
Langsam stieg Ignatius die Treppe zu seiner Registratur hinauf und dachte dabei an den Ursprung der ganzen Gelder.
Einst war es eine Art von Schutz für die Pilger gewesen. Sie konnten in der Kommende am Beginn ihrer Reise ihr Geld gegen eine schriftliche Garantie eintauschen, die sie am Ziel der Fahrt wieder zurücktauschten.
Unterwegs hatten sie dann nichts in der Hand, was einen Überfall lohnen würde, denn schließlich mussten sie in jener Kommende am Ende ihren Namen und die Summe nennen.
Welcher Räuber konnte schon lesen? Und welcher Wegelagerer war so unverfroren, in eine bewaffnete Burg zu gehen, um den Gegenwert eines geraubten Dokumentes einzulösen?
Da aber viele Pilger unterwegs zu Tode gekommen waren, wurde auch nicht alles wieder abgeholt.
Und Spenden hatten sie auch noch bekommen, denn viele Fürsten und Könige beteiligten sich lieber mit Geldern an den Kreuzzügen, anstatt mit Männer oder dem eigenen Leben. Doch Kreuzzüge gab es nun mal keine mehr. Nur in Spanien hielten sie noch gegen die Mauren stand. Nur dort gab es noch Kämpfer, die wirklich gegen den Feind ihre Burgen hielten.
Es gab weniger Kampf und mehr Verwaltung. Weniger Ritter, mehr Knechte.
Dazu kam dann noch, dass mit den weniger werdenden Rittern auch die Moral zu Boden sank. Viel zu viele der Brüder hielten sich nicht an die Regeln des heiligen Benedikts von Nursia, nach denen sie in der Gemeinschaft leben sollten.
Immer wieder trafen dazu Nachrichten ein. Vermutlich ging es in anderen Orden ähnlich zu, aber ihr Reichtum machte sie zusätzlich angreifbar. Vielleicht wäre dem nicht so, wenn sie wieder im Heiligen Land eine wichtige Rolle spielen würden, allerdings dann ohne einen neuerlichen Kreuzzug!
In den vielen Jahren seines langen Lebens hatte er die Unsinnigkeit dieser Kriegszüge erkannt. Sie wurden von Päpsten oder Königen aufgerufen, die noch nie zuvor auch nur einen Muslim zu Gesicht bekommen hatten.
Und wozu führten sie Krieg? Doch nie dafür, das Pilger nach Jerusalem kommen konnten. In seiner Zeit hatte er unzählige Muslime kennengelernt und zu einigen sogar Freundschaft geschlossen. Das war aber auch normal, denn oft hatten sie sich gegenseitig in der Wüste geholfen, wenn es galt, Räuber zu jagen. Mitunter hatten Kreuzritter und Templer auch muslimische Karawanen unterstützt.
Unter den Moslems gab es genauso viele ehrliche Menschen, wie unter den Christen. Und sicherlich ebenso viele Verbrecher und Halsabschneider.
Sie alle hatten den gleichen Gott und alle drei Religionen gingen auf Abraham zurück!
Juden, Moslems und Christen unterschieden sich nur im Verkünder dieser Weisheit, doch falls er diese Wahrheit hier laut aussprechen würde, dann würde man ihn wegen Ketzerei verurteilen.
Ignatius betrat das Scriptorium und setzte sich an sein Pult. Dieser Stuhl war das einzige Privileg, was er mit seinem Alter in der Schreibstube erhalten hatte. Die anderen Ordensbrüder standen an ihren Pulten. Keiner von ihnen hatte Frankreich jemals verlassen, geschweige denn irgendwann mal ein Schwert im Kampf geführt.
Seufzend schlug er das Kommendenbuch auf. Lange Zahlenkolonnen standen auf den Seiten. Jede Zeile stellte Geld dar und mit jeder Zeile mehrte sich der Besitz des Ordens. Allerdings erhöhten sie auch die Gefahr, denn auch der König hatte hier seine Zeichen gelassen. Gigantisch waren seine Schulden!
Ein junger Mönch trat mit einer Frage zu ihm, die ihn für eine Weile von den Zukunftsängsten ablenkte.
Doch dann zogen abermals die dunklen Gedanken über seinen Geist. Vor einem Jahr hatte er noch beabsichtigt, dass Kuno sein Nachfolger werden würde. Der junge Ritter hatte das Zeug dazu, ein Meister zu sein und vielleicht wäre er ein guter Großmeister geworden, doch nun waren die Aussichten eher trübe.
Wenn Ignatius im Alter des jungen Mannes gewesen wäre, er hätte beim Papst seinen Abschied eingereicht. Vielleicht sollte er das dem jungen Ritter raten?
Das Gebet vor der Marienstatue war wohl mehr als ein Zeichen dafür, dass Kuno von Bärenberg einen anderen Weg vor sich hatte.
Denn bei der Verschwendungssucht von Philipp IV, würde dieser König ihnen wohl kein Jahr mehr lassen. Zu groß war die Gier des Monarchen.
Philipp der Schöne war jetzt vierzig Jahre alt und sein Volk hasste ihn, weil er nur noch billige Münzen in Umlauf brachte. Hunger war die Folge, obwohl die Felder gute Ernte erbrachten. Aber wer wollte schon seine guten Feldfrüchte gegen billiges Geld abgeben?
Und dieser König hatte im letzten Jahr die Pracht in ihrer Kirche erblickt!
Ignatius hatte die Augen des Königs gesehen, als dieser vor dem Hochaltar gestanden hatte. Eigentlich wartete er seit Philipps Auszug aus der Kommende darauf, dass er zurückkam, um Tribut von ihnen zu verlangen, wie er ihn auch von anderen Klöstern forderte.
Hätten sie genug Ritter, dann hätten sie ihm leicht die Stirn bieten können. Aber so?
Der Blick des alten Ritters ging von einem Ordensbruder zum nächsten. Sie waren mächtig mit der Feder, aber würde das reichen?
Der Schlag hatte Aveline unvermittelt getroffen. Sich die schmerzende Wange mit einer Hand haltend, blickte sie voller Angst die Fremden an. Wer waren diese beiden Männer? Vermutlich Bettler aus der nahen Stadt, denn kein ehrbarer Mann würde sich doch an einer Frau vergreifen!
Was machten die hier überhaupt mitten am Tage? Noch immer stand sie nahe des Ufers, mit den Füßen im Wasser.
„Bitte ihr Herren! Lasst mich doch in Ruhe meine Arbeit machen!“, ersuchte sie die Männer.
Doch der Ausdruck in den Augen der beiden war kalt und ließ Aveline erschaudern.
Sie trug zwar den kurzen Dolch an ihrem Gürtel, aber die beiden Bettler hatten lange Wanderstöcke in den Händen. Wenn sie auch nur die Hand in die Nähe der Waffe brachte, dann würde sie wohl mit diesen Knüppeln Bekanntschaft schließen.
Was wollten die Männer überhaupt von ihr? Sie besaß doch nichts! Der Beutel mit den paar Kupfermünzen lag bei der Mutter in der Hütte. Hätte sie sich damit freikaufen können?
Vielleicht! Was hatte sie noch, um sich diese Beiden gewogen zu machen? Allenfalls das silberne Medaillon an ihrem Halsband.
Es war ein Anhänger mit dem Abbild von Maria, der Mutter Gottes und ihr wertvollster Besitz. Sollte sie ihn opfern? Oder lieber die Jungfrau Maria um ihren Beistand für eine andere Jungfrau bitten?
Doch wenn sie den Anhänger übergab, dann würde sie das sicherlich trotzdem nicht vor diesen beiden Männer schützen. Das konnte nur die heilige Maria!
„Maria, Mutter Gottes, bitte stehe mir bei!“, rief sie zum Himmel hinauf.
Das Lachen der Bettler klang erneut ziemlich schauerlich.
Nur mit viel Glück würde sie hier unbeschadet aus dieser Situation herauskommen. Konnte jetzt nicht irgendein Reiter die nahe Straße entlang kommen? Jetzt hätte sie sich über die Staubfahne gefreut, aber weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
Der jüngere von beiden ließ seinen Stock fallen, packte sie am Handgelenk und zog sie aus dem Wasser.
„Komm schon, kleine Meerjungfrau!“, sagte er.
Alles sich dagegen sträuben nutzte Aveline nichts, denn der Mann war einfach viel zu stark! Nun blieb ihr wirklich nur noch der rettende Griff zum Dolch, doch der schmerzhafte Schlag eines Knüppels traf ihren Arm, wie sie es zuvor befürchtet hatte.
Unnütz entglitt ihr die Waffe aus der Hand und landete im verwelkten Gras zu ihren Füßen.
„Verschont mich! Bitte!“, fehlte sie, als ihr Kleid schon in den Händen des Bettlers in Fetzen ging.
Der Mann hatte ihr in den Kragen gegriffen und es vorn bis zum Gürtel aufgerissen. Das Blitzen des kleinen Silberanhängers in der Sonne lenkte ihn aber offensichtlich von seinem weiteren Vorgehen ab.
Jetzt hing das Abbild der Maria am Band um ihrem nackten Hals. Bisher hatte der Kragen des Kleides es verdeckt.
Einen Wimpernschlag später fetzte der Mann ihr das Band vom Hals, das Leder schnitt dabei in ihr Fleisch und Aveline schrie vor Schmerz auf.
„Schau mal!“, sagte der Mann und hielt das Band hoch, damit der andere es sehen konnte, dabei hielt er aber ihren Arm mit der anderen Hand im festen Klammergriff.
Eine Flucht war für Aveline dadurch völlig ausgeschlossen.
„Du tust mir weh!“, jammerte Aveline, als die Finger sich noch fester um ihren Arm schlossen.
Der Mann warf dem anderen ihren Anhänger zu und ein neuer schmerzhafter Schlag traf Avelines Wange.
„Wir teilen uns die Beute. Du den Anhänger und ich die Frau!“, sagte er und zeigte ein schiefes Grinsen, das durch die Reihe verfaulter Zähne nicht besser wurde. Ein ekliger Geruch aus seinem Mund schlug Aveline entgegen.
Offensichtlich hatte der Umstand, dass sie keine Unterwäsche trug und dadurch ihre nackte Haut sicherlich mehr als deutlich zu sehen war, die Gier des Mannes geweckt, denn seine zweite Hand griff in das offene Kleid und umschloss eine ihrer Brüste sehr schmerzhaft.
Ihr Schrei brachte den Mann nur zu einem hämischen Lachen.
Warum half die Jungfrau ihr nicht? Und auch ihr Gürtel wurde ihr nun einfach vom Leib gezogen. Das machte allerdings der andere Mann, denn der jüngere der beiden war viel zu sehr mit ihrer Brust beschäftigt.
Da der Gürtel bisher ihr Kleid oben gehalten hatte, fiel dieses nun nach unten und bedeckte damit wenigstens ihren Unterleib.
Allerdings ließ das quetschende Gefühl nicht nach. Weder das an ihrem rechten Arm, noch das an ihrer linken Brust.
Vergeblich versuchte Aveline, ihn mit der linken Hand zu schlagen. Geschickt wich er ihr aus, ohne sie dabei loszulassen. Ihr Schlag ging ins Leere. Aber ohne sie loszulassen, konnte er ihr auch nicht das Kleid zerreißen.
Nun versuchte sie den Mann zu treten, doch das heruntergerutschte Kleid behinderte sie zu sehr. Zuvor wäre das vielleicht gegangen.
„Erst Meerjungfrau und nun Wildkatze? Warte du Biest! Ich werde dich zähmen!“, sagte der Mann.
Es dröhnte in ihrem Kopf, so laut hatte er es gesagt. Nun war der letzte Moment für ein Bittgebet!
Der Mann ließ von ihr ab, aber nur, um ihr nun mit beiden Händen das Kleid der Länge nach zu zerreißen.
Der Wollstoff war eigentlich ziemlich stabil, aber die Kraft des Mannes war stärker.
Schnell versuchte Aveline mit beiden Händen ihre Blöße zu bedecken, doch der Bettler bekam ihre Arme zu packen. Sie vor sich daran festhaltend musterte er seine Beute und war damit sichtlich zufrieden.
Einen Wimpernschlag später landete sie mit dem Rücken im Gras zu Füßen des Mannes, der sich über ihr aufbaute und seinen Kittel nach oben zog.
Er trug keine Bruoch unter seinem Wams und damit konnte sie sein bereits steil aufragendes Glied sehen.
Als er sich vor ihr auf die Knie fallen ließ, zog sie die Beine an und presste ihre Schenkel zusammen.
Der Bettler packte ihr Knie und versuchte sich Zugang zu ihrem Körper zu verschaffen, doch die Todesangst gab ihr übermenschliche Kräfte.
Sich am Boden windend, und dabei ihre Angst herausschreiend, versuchte sie zu entkommen, als der Mann von ihr fortgerissen wurde.
Aveline erblickte einen weißen Mantel mit einem roten Kreuz.
Ein Ritter prügelte auf die beiden Männer ein.
Halbnackt am Boden liegend sah sie zu und eigentlich wäre nun der Moment für eine Flucht, aber sie konnte sich nicht bewegen. Der Anhänger der Maria flog durch die Luft und Aveline fing ihn geistesgegenwärtig auf.
Das Metall an ihre Brust drückend, verfolgte sie diesen Kampf, der über ihr Leben entscheiden würde.
Zwei Männer gegen einen Ritter? Der Ritter hatte noch nicht mal sein Schwert gezogen. Warum nur? Wo war ihr Dolch? Suchend blickte sie sich um. Konnte sie ihm zu Hilfe eilen?
Die Entfernung bis zum Kloster war nicht sehr groß und sein Pferd ziemlich schnell, aber wozu sollte Kuno das Tier jagen? Auch im lockeren Galopp würde er sein Ziel sehr schnell erreichen.
Mit der Tasche in der Hand ging Kuno gedankenverloren zum Stall hinüber. Noch immer hing er an der Frage fest, was sein Weg sein würde. Diesen heutigen war er schon so oft geritten, dass er seinem Pferd dabei blind vertrauen konnte.
Einmal in der Woche machte er diesen Botengang. Fast hätte er schon den alten Freund in der Kirche gefragt, ob er neuerdings eine Botschaft hatte.
Im Stall angekommen nickte er nur seinem Knappen Tjaden zu, der allerdings schon das Tier für ihn gesattelt hatte.
Tjaden kannte Ignatius ebenfalls gut und Kuno verstand sich blind mit seinem Knappen. Das musste man wohl auch, wenn man als Ritter überleben wollte. Und eigentlich hatte er es nur Tjaden zu verdanken, dass er damals die Verletzungen überlebt hatte, denn der Knappe war ihm im Kampf in Tartosa zur Seite gesprungen.
Einst, als er noch nicht sein Knappe gewesen war, hatte ihm Tjaden das Kämpfen beigebracht. Kuno konnte sich an keinen Tag erinnern, an dem er nicht mit dem Mann zusammen gewesen war.
Tjaden war fünfzehn Jahre älter als er und vermutlich bereits an dem Tage von Kunos Geburt als sein Knappe auserwählt worden.
Zusammen hatten sie reiten geübt und Vater hatte immer darauf bestanden, dass sie alles gemeinsam machten. Eine Art von Freundschaft war daraus entstanden und da hier im Orden alle gleich waren, war das auch völlig in Ordnung.
Mit Unverständnis hatte Kuno damals bei den verschiedenen Turnieren gesehen, wie andere Ritter ihre Knappen behandelten. Von klein auf hatte ihm der Vater immer wieder erzählt, dass Ritter, Knappe und Streitross eine Einheit bilden mussten. Versagte nur einer davon, so würden alle sterben.
Noch gut konnte sich Kuno daran erinnern, wie er zum Ritter wurde und Tjaden zu seinem Knappen. Am Tage der Schwertleite hatten sie beide vor dem Vater und dem Herzog gekniet.
Den Treueeid hatten sie nicht nur auf den Herzog, sondern auch, auf Drängen des Vaters, aufeinander abgelegt. Und, da sie eine Einheit waren, würden natürlich auch seine Entscheidungen Einfluss auf das Leben von Tjaden haben.
Allerdings erst, wenn er dann mal seine Bestimmung gefunden haben würde. Vielleicht konnte er auf dem Weg nach Cala ein wenig darüber nachdenken. Irgendwie war Tjaden wohl mehr wie ein Bruder zu ihm, als es Siegfried jemals gewesen war. Dabei hatte Tjaden dasselbe Alter, wie Kunos älterer Bruder.
Durch das zusammen leben und gemeinsam kämpfen waren sie Brüder geworden. Brüder in Waffen, Waffenbrüder. Zwei Männer, die sich blind aufeinander verlassen mussten, obwohl es schon ewig keinen Kampf mehr gegeben hatte.
„Mein Streitross sollte auch mal wieder laufen? Oder?“, fragte Kuno und griff sich die Zügel.
„Er wird langsam träge in seiner Box!“
„Kannst du ihn heute mal nach draußen bringen und etwas bewegen? Ich würde dann morgen mit ihm einen Ritt machen?“
„Natürlich!“, entgegnete Tjaden und hielt ihm den Steigbügel des Reitpferdes hin.
Tjaden half ihm auch beim Aufsteigen auf das Pferd, aber da Kuno ja nur einen Botengang machen wollte, hatte er auf das Kettenhemd und den Panzer verzichtet. Auch der Schild blieb an der Wand des Stalles.
Nur mit Schwert und Dolch am Waffengurt, sowie dem weißen Mantel mit dem roten Kreuz um den Schultern, nickte er dem Freund von oben herab zu.
Kuno drückte die Sporen in die Flanken seiner Stute und das Tier trabte los.
Mit einer Hand am Zügel ging sein Blick zwischen den Ohren des Pferdes hindurch auf den Weg, der ihn von der Kommende nach Cala bringen würde.
In der Hitze des Tages, Anfang September, war es ganz gut, dass er das schwere Kettenhemd nicht tragen musste. Zwar half der weiße Mantel gegen die Hitze, aber trotzdem ritt es sich so viel besser.
Wie Kuno Tjaden kannte, kümmerte der Knappe sich vermutlich gerade darum, das Metallgeflecht einzufetten und sorgsam zu verpacken.
Es war eine tägliche Routine für den Knappen, denn die Wartung der Ausrüstung war dessen Aufgabe in Friedenszeiten.
Und das war es eben auch, was Kuno so daran störte. Es war diese Routine! Und nichts passierte. Seit fünf Jahren wickelte Tjaden die Rüstung aus den Packsäcken, breitete diese aus, fettete sie ein und wickelte sie anschließend wieder zusammen.
Die Tage, an denen Kuno die Rüstung getragen hatte, die konnte er in den letzten fünf Jahren sicherlich an zwei Händen abzählen. Von den Tagen, an denen er den Boten des Großmeisters beschützen musste, mal abgesehen. Und damit waren seine Gedanken neuerdings bei der Frage, die er der Maria in der Kapelle hatte stellen wollen.
Was sollte er tun?
„Gib mir ein Zeichen!“, bat er die Jungfrau Maria.
Der staubige Pfad führte zur Seine hinunter und obwohl man beim Ritt eigentlich nicht viel hören konnte, war es ihm, als würde er den Schrei einer Frau vernehmen.
War da wirklich jemand in Not? Oder hatten ihm seine Sinne nur einen Streich gespielt?
In der flirrenden Hitze des Tages ließ er seinen Blick über die Gegend schweifen und verhielt sein Pferd, das eigentlich schneller laufen wollte.
Weit vor sich sah er zwei Männer und eine Frau, was eigentlich nicht ungewöhnlich war. Doch dann schlug einer der Männer die Frau zu Boden!
Kuno trieb die Sporen in die Flanken der Stute und das Tier machte einen gewaltigen Satz.
War es nicht auch seine Aufgabe, die Schwachen zu beschützen? Damit hatte ihm vielleicht die Jungfrau Maria dieses Zeichen gegeben.
Er sollte dieser Frau dort vorn helfen. Ihr beistehen, wie Ignatius es einst mit den Pilgern im Heiligen Land gemacht hatte!
Das war sein Weg!
Aber war er das wirklich?
Für einen Moment traten die drängenden Zukunftsfragen erst einmal in den Hintergrund, aber zum Schweigen würde er sie damit wohl kaum bringen.
Zuerst kam die Hilfe, dann die Frage und danach hoffentlich die Antwort.
Wenige Augenblicke später war Kuno im Kampf mit zwei Bettlern, die eine junge Frau offenbar berauben und missbrauchen wollten.
Zwei Männer mit Knüppeln, da lohnte es sich für ihn noch nicht mal, das Schwert zu ziehen. Ganz davon zu schweigen, dass er die Waffe nicht mit dem Blut dieser elenden Feiglinge beflecken wollte.
Am Boden hockend, die Knie schützend vor den Körper gezogen, den Dolch in der einen Hand und das Kleid mit der anderen vorn zusammenhaltend, sah Aveline zu, wie der Ritter nun den zweiten Mann am Halse gepackt hatte.
Der ältere Bettler war bereits tot und lag zwei Schritte neben ihr. Sein Kopf war seltsam zur Seite gedreht.
Der Ritter brüllte: „Ihr wolltet euch also zu zweit an einer wehrlosen Frau vergreifen?“
Der Bettler versuchte strampelnd dem Griff des Kämpfers zu entkommen, doch der hielt den Mann so, wie dieser zuvor Aveline festgehalten hatte. Am Arm und am Halse gepackt, schleifte er ihn zum Ufer, wo noch ihre Wäsche lag.
Dort drückte der Ritter den Bettler in den Strom und hielt den zappelnden Menschen mit dem Kopf unter Wasser. Es dauerte eine Weile, bis er nicht mehr um sich trat und der Ritter ihn einfach los ließ.
Die Seine trug den Leichnam langsam davon. Nur einen Augenblick später landete der andere tote Körper im Fluss und folgte seinem Kumpan.
„Ist euch irgendein Leid geschehen?“, fragte der Mann, als er zu ihr trat.
„Nein! Danke, gnädiger Herr!“, sagte Aveline erleichtert.
Er gab ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen und im Reflex griff sie zu. Aber damit ließ sie das Kleid los und stand unmittelbar danach nackt vor dem Tempelritter.
Der Mann schlug keuch seine Augen nieder, hatte damit aber ihre unbedeckten Brüste vor sich, worauf nun sein Blick ruhte.
Geschwind wandte sie sich von ihm ab und suchte ihren Gürtel, um das Kleid wieder einigermaßen zu schließen.
„Ihr solltet hier nicht alleine sein!“, sagte er, hinter ihr stehend, während sie immer noch den Gürtel suchte.
Der Lederriemen musste doch hier irgendwo sein.
Erst langsam begriff Aveline, dass der Mann sie richtig vornehm ansprach. Nicht so, wie es die Knechte immer taten. Trotzdem fehlte der Gürtel und sie konnte sich doch so nicht mehr zu ihm umdrehen!
„Gnädiger Herr. Könntet ihr mir bitte meinen Gürtel reichen?“, fragte sie und schaute über ihre Schulter zu ihm zurück.
Durch die hochgekrempelten Ärmel blieb das Kleid wenigstens hinten auf ihrem Körper und bot ihm nicht auch noch einen Blick auf ihre unbekleidete Kehrseite.
Der Mann sah sich um, sagte dann aber: „Ich finde ihn nicht. Der muss wohl irgendwie verloren gegangen sein. Wartet! Ich gebe euch meinen Mantel!“
„Das kann ich nicht annehmen!“, rief sie aus, doch der Ritter hatte ihr schon den Umhang um die Schultern geworfen.
Der leichte Stoff floss um ihren Körper und schloss sich vor ihr. Mit einer Hand den Mantel zuhaltend drehte sie sich zu dem Ritter zurück.
„Ich danke euch, aber ich kann diesen Mantel nicht annehmen. Er gehört euch!“
„Gebt ihn mir einfach zurück, wenn ihr wieder in der Kommende seid! Mein Name ist Kuno von Bärenberg.“
„Gewiss, gnädiger Herr. Das werde ich tun!“, sagte sie und verbeugte sich vor ihm.
Der Ritter pfiff nach seinem Pferd, das zu ihm gelaufen kam. Nach einem kurzen Gruß schwang er sich in den Sattel und ritt die Straße entlang.
Ihr Blick folgte ihm noch eine Weile, bevor sie daran dachte, dass sie ja noch die Wäsche fertig machen musste.
Und das im zerrissenen Kleid! Was würde die Mutter dazu sagen?
Durch die Rettung aus dieser Not stand sie auch noch bei dem Ritter in der Schuld. Wie konnte sie ihm danken? Vielleicht durch eine kleine Gabe? Aveline dachte nach, was der Ritter annehmen durfte. Eigentlich nur Sachen, das wusste sie schon.
Ihre Finger strichen über den Stoff mit dem deutlich sichtbaren roten Tatzenkreuz. Damit stand sie nun wirklich unter dem Schutz Gottes. Das Gebet an die Jungfrau Maria hatte wirklich geholfen.
Schnell kniete sich Aveline zu ihrem Korb und verrichtete ein Dankgebet für ihre Errettung.
Am Fluss stehen dachte sie nach, denn mit dem Mantel konnte sie nicht ins Wasser, den brauchte sie noch für den Rückweg. Oder sollte sie einfach einen anderen nehmen? Einen der Knechte, den sie bereits gereinigt hatte? Das würde gehen!
Und diesen Mantel würde sie gleich säubern.
Gedacht, getan.
Wenig später stand sie erneut im Wasser und setzte ihre Arbeit fort, wobei ihre Gedanken auch weiterhin bei der Frage waren, was sie ihrem Retter als Dank für die Hilfe geben konnte.
Vielleicht konnte sie etwas Sticken?
Der Ritter hatte wie ein Löwe um sie gekämpft und da konnte sie doch ein Tuch mit dem Abbild einer Raubkatze besticken. Das klang gut und sie beschloss, es auch am Abend in der Hütte zu tun.
Ein Tuch konnte man immer brauchen, sei es als Halstuch oder um sich die Hände damit abzutrocknen.
Im Wasser stehend blickte sie sich abermals um. Was wäre, wenn sie nochmals überfallen würde? Immer noch war keine Menschenseele zu sehen, aber der Anhänger war nun wieder um ihren Hals.
Für Angst hatte sie im Moment keine Zeit.
Schnell strich sie mit den Fingerspitzen über das Abbild der Heiligen Jungfrau, sprach ein Bittgebet und machte eiligst weiter.
Zügig und ohne weitere Unterbrechungen ging ihr die Arbeit von der Hand. Zum Schluss säuberte sie besonders gründlich den Mantel ihres Retters.
Mit all der Wäsche im Korb war sie schließlich wieder auf dem Heimweg, aber mit jedem Schritt, den sie der Hütte näher kam, wurde die Angst auch davor größer, was die Mutter wohl sagen würde.
Unter dem braunen Mantel eines Knechtes war sie praktisch nackt!
Das zerrissene Kleid schlackerte nur so um ihren Leib und der Mantel reichte ihr auch noch nur bis etwa zu den Knien!
Damit konnte sie den Zustand des Kleides nicht vor den strengen Augen der Mutter verbergen.
Und lügen durfte sie nicht. Dafür konnte sie in die Hölle kommen. Das hatte der Pfarrer erst am Sonntag zuvor im Gottesdienst gesagt und sicherlich nicht umsonst, wie sie nun fand.
Aveline bog in die Gasse zur Hütte der Mutter ab und musste an zwei alten Frauen vorbei. Freundlich grüßte sie und nickte den beiden zu, doch hinter sich hörte sie das Tuscheln.
Ihre nackten Beine unter dem Mantel waren viel zu auffällig!
Am nächsten Tag wäre es allen in der Siedlung bekannt und daran konnte sie nun nichts mehr ändern. Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
Mutter versuchte immer jede Schande von ihnen fernzuhalten und nun war daran eigentlich nichts mehr zu ändern, dass es in wenigen Augenblicken alle in den Hütten wussten.
Aveline war das nun so etwas von peinlich, aber es half nichts mehr. Noch zehn Schritte und sie hatte die Hütte erreicht. Schon sah sie die Mutter in der Tür stehen, senkte den Blick und zog den Kopf zwischen die Schultern.
Nach dem Kampf, der ihn nur kurz aufgehalten und mäßig gefordert hatte, war Kuno nun wiederum auf dem Weg nach Cala. Doch nun gingen seine Gedanken nicht mehr voraus, sondern nur zurück. In seinem Kopf steckte das Bild der Frau fest, die er gerade gerettet hatte.
Es waren zwei Dinge, die seinen Geist dabei beschäftigten: Zum einen war das Gesicht der Frau dem der Marienstatue in der Kapelle sonderbar ähnlich gewesen und zum zweiten war es die erste Frau gewesen, die er beinahe nackt gesehen hatte.
Ersteres konnte kein Zufall sein!
Das Zusammentreffen nach dem Ruf zur Maria und nachdem er zu ihr gebeten hatte, war vermutlich Absicht gewesen.
Und wenn dies kein Zufall gewesen war, dann war es sicherlich genauso Bestimmung gewesen, dass er sie nackt gesehen hatte. War diese Frau die Antwort auf die Fragen gewesen?
Mit verhaltenem Zügel, im leichten Trab, folgte er in der mittäglichen Hitze seinen Pfad.
Sie war wunderschön gewesen und obgleich er sie eigentlich nicht hätte ansehen dürfen, so hatte er es einfach tun müssen. Und nun bekam er dieses Bild nicht mehr aus seinem Kopf.
Das schöne Gesicht, diese langen braunen Locken, die wohlgeformten Brüste und das kleine Dreieck der Haare auf ihrer Scham.
Sein Keuschheitsgebot hätte eigentlich sofort seine Augen davor verschließen müssen, doch er hatte es nicht gekonnt. Würde Kuno die unbekannte fremde Frau wiedersehen? Vielleicht schon am nächsten Tag, wenn sie ihm den Mantel brachte?
Noch nie hatte er bisher über Frau und Kind nachgedacht. Das hatte er bislang auch nicht nötig gehabt, denn sein Gelübde und seine Angehörigkeit in diesem Ritterorden hatten es eher verboten, doch nun wandelte sich da wohl gerade etwas. Und wenn es wirklich ein Zeichen Gottes war, dann war damit wohl auch sein Ausscheiden aus dem Templerorden gemeint.
Zwar durfte man darin auch verheiratet sein, aber eben nicht als Ritter! Und obschon er in den letzten Jahren nicht wirklich viel mit dem Rittertum zu tun gehabt hatte, so fühlte er sich nicht auserwählt, nur noch in der Kommende zu sitzen und Zahlen in Bücher zu schreiben.
In der Zeit seiner Genesung hatte ihm Ignatius damals das Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht, aber dazu auserkoren fühlte er sich nicht.
Ignatius tat das in der Kommende, weil er mit seinen Knien nicht mehr auf ein Pferd steigen konnte. Manchmal half er dem älteren Freund beim Schreiben, wenn dessen zitternde Hände mal wieder nicht mehr mochten, aber tun wollte Kuno eigentlich etwas anderes.
Schließlich war er ja kein Bücherwurm, sondern ein Mann des Schwertes!
Grübelnd hatte er das Tor der Abtei erreicht, ohne wirklich auf den Weg geachtet zu haben. Das Pferd hatte gewusst, wo es hin sollte.
Kuno sprang aus dem Sattel, läutete die Glocke an dem Tor und ein paar Augenblicke später erschien Schwester Gertrud, die zuerst stutzte, da er ja seinen Mantel nicht trug, ihn dann aber erkannte und in den Vorraum bat.
Wie es sich gehörte, senkte er seinen Blick, als er durch das Kloster ging. Dieser Weg war ihm altbekannt, denn seit einigen Jahren lief er ihn jeden Donnerstag!
Eigentlich hätte er der Nonne einfach nur den Brief geben und danach auf die Antwort der Äbtissin warten müssen, allerdings hatte Ignatius darauf bestanden, dass er die Botschaften immer persönlich übergab.
Wenig später wartete er, an einen Fenstersims gelehnt mit dem Blick auf den Blumengarten des Klosters, auf die Antwort der Äbtissin. Aber Kuno sah nicht die wunderschönen Blumen, sondern er hatte abermals die nackte Frau vor seinen Augen. Und sein Körper reagierte auf dieses Bild in einer unerwarteten und für ihn sehr peinlichen Weise.
Da er den Mantel nicht mehr trug, war die Beule in seiner Hose mehr als deutlich zu erkennen. Mit Kraft lehnte er sich vorwärts gegen die hüfthohe Wand, um seine Erregung zu verbergen.
Er musste sich ablenken, um sein Problem in den Griff zu bekommen, bevor die Äbtissin ihm den Brief geben würde, aber egal, wohin er seinen Blick nun richtete, das Abbild der nackten Frau folgte ihm einfach überallhin.
Am liebsten wäre er jetzt unten im Garten in die Regentonne gesprungen, doch dort waren gerade drei Nonnen damit beschäftigt, Wasser für die Blumen daraus zu schöpfen.
Hätte er doch einfach nur draußen gewartet!
Suchend schaute er sich nach einer Bank um, auf die er sich einen Moment setzen konnte, doch auch da stand nur eine unterhalb des Fensters im Garten.
Bis dorthin würde er an den drei Nonnen vorbei müssen. Es war eine Qual seiner Gedanken und vielleicht eine Prüfung von Gott an der Standfestigkeit seines Glaubens!
Aber gerade zeigte etwas anders seine Standfestigkeit! Und Kuno würde in wenigen Augenblicken auch noch auf sein Pferd steigen müssen.
Die Äbtissin erschien, übergab ihm den Brief und verabschiedete sich eiligst. Nun musste er Gertrud etwa zweihundert Schritte bis zum Tor folgen. Die Nonne lief vor ihm und die Glocken riefen die anderen Ordensschwestern zum Gebet.
Damit würde ihm keine Frau mehr begegnen.
Auch Gertrud hatte es nun sehr eilig und schließlich stand er vor dem Kloster.
Sollte er ein kurzes Bad in der Marne nehmen? Bis zu dem Fluss war es nicht weit. Zumindest mit dem Pferd, aber in seiner derzeitigen Lage würde er wohl kaum auf dem Sattel sitzen können. Die paar Schritte in dem Nonnenkloster waren schon die reinste Tortur gewesen.
Allerdings löste sich nun sein Problem auch schon von selbst, denn mit dem Erreichen seines Pferdes war alles gut und die Hose passte wieder.
Zweifelnd blickte er auf das geschlossene Tor des Klosters zurück. Es war eine Prüfung von Gott gewesen. Und nun würde er auf dem Rückweg auch an der Stelle vorbei müssen, an der er die Frau gerettet hatte.
War sie eventuell noch dort?
Behände schwang er sich in den Sattel und trabte los. Heimwärts! Sicherlich würde der Weg etwa eine Stunde dauern, bis er neuerdings an dem Ufer der Seine sein würde.
Nun ließ er die Stute laufen und trieb sie sogar noch an. Erwartete er, dass die Frau noch dort war? Er hatte sie noch nicht mal nach ihrem Namen gefragt.
Unendlich lang schien sich die Landstraße seinem Ziel entgegen zu schlängeln. So lang war ihm der Weg bisher noch nie vorgekommen. War es nur in der Erwartung auf das Bild der unbekannten Schönen? Sicherlich!
Endlich hatte er das Ufer des Flusses erreicht und stoppte das Pferd. Suchend blickte er sich um, konnte die Frau aber nicht mehr erspähen.
Fast enttäuscht musste er sich damit trösten, dass er sie am nächsten Tag sicherlich wiedersehen würde. Hoffentlich.
Das Donnerwetter der Mutter war sicher in der ganzen Siedlung zu hören gewesen. Noch jetzt klingelten Aveline die Ohren und dabei war das schon Stunden her. Die beinahe erfolgte Schändung war der Mutter dabei nicht so schlimm vorgekommen, wie das Fehlen der Unterwäsche.
Dass sie beinahe nicht mehr lebend nach Hause gekommen wäre, das war wohl Nebensache gewesen. Mutter hätte es offenbar lieber gesehen, sie wäre in Ehre gestorben, als das sie mit nackten Beinen durch das Viertel lief!
Nun war es draußen dunkel und Aveline saß am Tisch in der Hütte. Noch zwei weitere Male war sie an dem Tag am Fluss gewesen, um zu waschen. Immer mit einem mulmigen Gefühl in ihrem Bauch dafür aber korrekt gekleidet.
Wobei das in der Hitze mehr als lästig gewesen war.
Neben ihr lag der Mantel ihres Retters und in den Händen hatte sie ein leinenes Tuch, das sie mit dem Bild eines Löwen bestickte. Im Schein des kleinen Talglichtes schien sich die Raubkatze auf dem Tuch zu bewegen.
Schon oft hatte Aveline Tiere auf Tücher gestickt und die Nachbarinnen lobten sie häufig für ihre Fingerfertigkeit, doch dieses Tuch musste etwas ganz Besonderes werden.
Der Anhänger an ihrem Halse hatte nun ein neues Band, einen neuen Gürtel hatte Aveline ebenfalls und zum Glück auch noch ihre Unschuld behalten, obwohl die Mutter da anscheinend keinen so großen Wert darauf legte.
Hauptsache die Strümpfe waren am Bein!
Avelines Blick ging zum Lager der Mutter hinüber, auf das diese sich gerade eben niedergelassen hatte. Selbst in der Nacht trug Mutter das lange leinene Unterkleid bis zum Halse geschlossen.
Bei der derzeitigen Hitze in der Hütte hätte sich Aveline auch gern einfach nur nackt unter die Decke gelegt.