Die Freundin meines Mannes - Petra Weise - E-Book

Die Freundin meines Mannes E-Book

Petra Weise

0,0

Beschreibung

Ich mag meine neue Freundin Birgit sehr. Sie ist zwar vom Wesen her vollkommen anders als ich, doch wir verstehen uns gut. Eines Tages stellt sich heraus, dass Birgit nicht nur meine Freundin ist, sondern auch seine - die Freundin meines Mannes.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 182

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wegen einer Stunde

genussvoller Untreue

kannst du die Liebe

eines ganzen Lebens verlieren.

Werner Braun

Personen

Katrin, 40 Jahre

Thomas, ihr Mann, 44 Jahre

Anna, die gemeinsame Tochter, 17 Jahre

Birgit, Geliebte von Thomas, 48 Jahre

Die Geschichte wird fortlaufend von allen vier Beteiligten erzählt, was diese wegen der unterschiedlichen Sichtweisen spannend und besonders unterhaltsam macht.

Inhaltsverzeichnis

Februar 2018

Katrin

Thomas

Birgit

Thomas

Katrin

Anna

Thomas

Katrin

März 2018

Birgit

Thomas

Katrin

Birgit

Katrin

April 2018

Thomas

Katrin

Anna

Birgit

Katrin

Anna

Thomas

Katrin

September 2018

Katrin

Thomas

Anna

Schluss

Februar 2018

Katrin

Thomas liegt neben mir im Bett, doch er dreht mir den Rücken zu. Ich rutsche näher heran, taste unter der Bettdecke nach den Schenkeln meines Mannes und fahre mit der Hand langsam an seinem nackten Bein nach oben. Ich zucke zurück, als ich seine Hose fühle. Seit wann schläft er nicht mehr nackt?

Seit wann schläft er überhaupt nicht mehr mit mir? Ich weiß es nicht. Dieser Gedanke erschreckt mich jetzt. Früher gehörte der Sex zu unserem Einschlaf-Ritual dazu. Wann hat dieses früher aufgehört? Letzte Woche? Oder bereits im letzten Monat?

Jetzt fällt es mir ein: Es war vor zwei Monaten. Ich erinnere mich genau, denn an diesem Tag bekam er den Preis für das schönste Schaufenster der Stadt. Thomas gibt sich immer sehr viel Mühe mit seinem Schaufenster, das er jeden Monat neu gestaltet. Dabei kann er nur Bücher ausstellen, weshalb für mich seine Schaufenster immer irgendwie gleich aussehen.

Thomas betreibt eine Buchhandlung in der Innenstadt. Es ist ein sehr kleiner Laden mit nur einem einzigen Schaufenster zwischen einem Dessousgeschäft und einem riesigen Fahrradladen. Obwohl der winzige Buchladen überhaupt nicht auffällt, ist er immer gut besucht.

Seinen Kunden bietet er Tee an, was ich überhaupt nicht gut finde. Sie bekleckern damit seine Bücher und sitzen ewig in den Ecken und lesen, ohne etwas zu kaufen. Dazu sollten sie in eine Bibliothek gehen.

Nun, dieses Schaufenster gefiel sogar mir, weil es unsere erzgebirgische Traditionen im Advent präsentierte. Zwischen den Titeln einheimischer Autoren standen bunte Nussknacker, Räuchermännchen und eine wunderschöne, vierstöckige Pyramide mit handgeschnitzten Bergleuten und Waldtieren.

Thomas kam damals in dieser Nacht ganz aufgekratzt nach Hause und sang immerzu: „Der Preis ist heiß, ich hab den Preis!“

Er hielt mir zwei dicke Plexiglasscheiben direkt vor die Nase und lachte.

Ich betrachtete die seltsame Trophäe und sagte: „Das Ding sieht abscheulich aus, einfallslos und hässlich!“

„Ein fetter Geldschein wäre mir lieber gewesen, doch den hat sicher der Künstler für den Entwurf dieses scheußlichen Dings bekommen“, entgegnete er.

Jedenfalls kam er ziemlich spät und recht überdreht nach Hause. Ich war längst zu Bett gegangen. Doch Thomas machte solch einen Lärm, dass ich wach wurde. Er warf sich mit Schwung neben mich, riss die Decke zur Seite und lallte: „Ich bin heiß auf dich, heißer als mein heißer Preis.“ Er kicherte, knabberte an meinem Ohr, obwohl ich das überhaupt nicht leiden kann. „Ist mein Kätzchen gar nicht rollig?“

Ich und ein Kätzchen? Schmusen liegt mir gar nicht, Streicheln ist mir lästig und in seinen Armen, die mich viel zu fest umklammern, fühle ich mich eingeengt.

Thomas pustete mir seinen Alkoholatem direkt in die Nase. Obwohl ich seine Bemerkung ziemlich derb und unpassend fand, musste ich lachen.

„Und wo hat sich mein Kater so lange herumgetrieben?“, konterte ich.

„Oben auf dem Dach.“

Ich schüttelte amüsiert den Kopf und stellte mir Thomas als Katze auf dem Dach vor. Doch er erklärte, er sei tatsächlich auf ein Dach gestiegen, aufs Penta-Dach, und habe die ganze Stadt bei Nacht von oben gesehen. Es sei einfach herrlich gewesen. Vorher hätten sie viel gegessen.

„Und getrunken“, ergänzte ich.

Er hob wie zur Bestätigung den Zeigefinger. Dann schälte er sich ungeschickt aus seiner Hose, schob mein Nachthemd nach oben und legte sich recht plump auf mich. Kurze Zeit später lagen wir erschöpft und verschwitzt auf dem Bett. Thomas schlief recht schnell ein, so dass ich mich aus seinen Armen befreien und duschen gehen konnte.

*****

Das war vor zwei Monaten. Seitdem hat er mich nicht mehr angerührt, zumindest nicht so. Die typischen Gute-Nacht- und Ich-gehe-zur-Arbeit-Küsse gibt es natürlich nach wie vor.

„Ich will dich“, flüstere ich in sein Ohr, obwohl er nicht auf meine tastende Hand reagiert.

„Ich weiß“, brummt Thomas zurück.

„Hast du keine Lust?“, frage ich zaghaft.

„Bin müde.“

Er dreht sich kurz zu mir um, haucht mir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange und wendet sich wieder ab. Das verstimmt mich jetzt, denn eigentlich ist er der große Schmuser, möchte mich im Arm halten, streicheln und küssen. Ich brauche das nicht, doch jetzt sehne ich mich danach. Ich starre auf seinen Rücken und nehme endlich meine Hand von seinem Hinterteil.

Ich vermisse ihn, obwohl er direkt neben mir liegt. Ich will ihn. Doch offenbar will er mich nicht und ich überlege, was wohl der Grund dafür sein könnte. Habe ich ihn verärgert? Thomas ist schnell gekränkt, ich muss mir jedes Wort genau überlegen.

Er dagegen macht sich diese Mühe nicht, ganz im Gegenteil. Neulich hat er mich direkt beleidigt, als er sagte, er habe den Feind im eigenen Haus. Ich hielt das zuerst für einen dummen Scherz, über den kein Mensch lachen kann. Doch sein Gesicht zeigte mir, dass er mich damit meinte - mich, seine Frau. Wie kommt er darauf, in mir seinen Feind zu sehen? Ich verstand das nicht und verstehe es heute noch nicht. Vielleicht hätte ich nachfragen sollen.

Andererseits ist es ein Fehler, jeden Spruch persönlich zu nehmen und wie Thomas gleich gekränkt zu sein. Das ist kindisch. Erst recht nach nunmehr achtzehn Ehejahren.

Sein 40. Geburtstag kam für ihn einer wahren Katastrophe gleich. Er glaubte, nun uralt zu sein. Dabei ändert sich an solch einem Tag gar nichts, alles bleibt wie es ist. Er geht wie immer in seine Buchhandlung und ist ohnehin ein Traditionalist.

Neulich zeigte er auf einen Mann mit Rollator, den wir gerade überholten, und sagte: „Da komme ich auch bald hin.“

Vielleicht hat er deshalb die Lust am Sex verloren, vielleicht glaubt er, dies sei nur für junge Leute. Doch das wäre Unsinn.

Mein Leben ist in Ordnung, ich wünsche mir kein anderes. Ich habe einen treusorgenden Mann, der ein wundervoller Vater für unsere Tochter ist. Thomas ist der zärtlichste Vater, den man sich überhaupt denken kann. Er nennt Anna seine Sonne und ist ganz vernarrt in das Mädchen und zwar vom ersten Tag an, seitdem Anna auf der Welt ist. Die Beiden haben sich ständig etwas zu erzählen, am meisten über Bücher und ihre Geschichten.

Ich brauche keine Bücher und lese nur die Tageszeitung. Ich bin der praktische Typ, der alles organisiert, die Einkäufe, die Urlaube, die Familienfeste.

*****

Ich erinnere mich noch genau an den Tag vor fast zwanzig Jahren, an dem ich Thomas kennenlernte. Ich wohnte noch nicht lange in Chemnitz und war auf dem Weg zur Arbeit. Es regnete in Strömen und ich konzentrierte mich auf den Fußweg, damit ich mit meinen dünnen Absatzschuhen nicht in eine Pfütze trat. Dabei rannte ich buchstäblich in ihn hinein.

„Hoppla, schönes Fräulein, nicht so eilig“, sagte er mit angenehm tiefer Stimme und hielt mich in seinen Armen fest.

Ich fand das merkwürdig, denn wer sagt heutzutage Fräulein?

„Lassen Sie mich gefälligst los!“, zischte ich, obwohl ich es gar nicht so garstig meinte wie es vermutlich klang.

Thomas brachte mich bis zur Tür der Sparkasse, wo ich arbeitete, und holte mich von diesem Tag an regelmäßig nach Dienstschluss ab.

Mir gefiel seine ruhige Zuverlässigkeit sofort. Ich mochte ihn und spürte, dass wir gut zusammen passten. Als ich merkte, dass ich schwanger war, heirateten wir. Kopflos verliebt war ich nie, dazu bin ich zu beherrscht.

Das hat mir wohl Mutter eingeimpft. Sie ist eine kühle Französin und erlaubte mir keinerlei Gefühlsäußerungen. Das sei ungehörig. Man verbirgt seine Gefühle, so dass die Leute glauben, man habe gar keine, doch es ist nur die Erziehung.

Mutter betonte meinen Namen Katrin auf der zweiten Silbe, auf dem I, während mein Vater wie alle Deutschen das A der ersten Silbe betonte.

Der Beruf Bankkauffrau ist wie für mich geschaffen. Ich mag schon immer Zahlen und bevorzuge analytische und logische Vorgänge. Alles muss berechenbar sein, möglichst auch die Menschen. Ich erwarte neben einem gepflegten Äußeren korrektes Benehmen, Nachlässigkeiten dulde ich nicht.

Thomas ist für mich der ideale Partner. Ich mag seine Ruhe, seine Ausgeglichenheit, seine Vernunft. Auch er muss gut rechnen, denn er hat ein eigenes Geschäft, die Buchhandlung Lesezeichen.

Thomas

Ich kann nicht schlafen, weil mir diese seltsame Frau nicht aus dem Kopf geht, die mich heute in meiner Buchhandlung besuchte. Auf den ersten Blick war sie nichts besonderes - bis auf ihre auffällige Kleidung, in der sie wie ein Paradiesvogel in den Laden geschwebt kam. Ihre ungewöhnlich großen dunklen Augen musterten mich während des gesamten Gesprächs. Wir unterhielten uns mit Sicherheit über Bücher, doch ich kann mich kaum an die einzelnen Worte erinnern. Ich war direkt hingerissen von der gesamten Erscheinung, die mich komplett in ihren Bann zog. Auch jetzt lässt mich ihr sinnlich-verträumter Blick nicht zur Ruhe kommen.

Ich kam gerade vom Markt, wo ich meist meine Mittagspause verbringe, denn zwischen 13 und 14 Uhr bleibt mein Geschäft geschlossen. Manchmal treffe ich mich mit Katrin. Sie liebt den Markt. Doch sie bummelt nicht so gern wie ich zwischen den Ständen herum, in denen es nicht nur Wurst und Käse, sondern auch Körbe und diversen Kram zu kaufen gibt. Katrin geht immer sehr entschlossen an den Stand, an dem sie etwas kaufen will und hält sich nie unnötig auf. Ich unterhalte mich gern mit den Händlern. Meist hole ich mir eine Bratwurst oder ein Fischbrötchen, manchmal ein Stück Kuchen. Doch manchmal setze ich mich zum Essen ein halbes Stündchen ins Cortina, einem kleinen italienischen Gasthof ganz in der Nähe.

Jammerschade ist, dass die wunderschöne alte Markthalle nicht genutzt wird. Sie hat einen Kuppelaufsatz und Platz für mehr als dreihundert Stände. Ich war nur ein einziges Mal drin und fand neben zwei Wurst- und Bäckerständen nur Vietnamesen, die Obst aus dem Großmarkt und ansonsten Socken, Unterwäsche, Deckchen und Kitsch verkauften. Das hat mich so enttäuscht, dass ich mir das kein zweites Mal antun wollte. Das ging wohl vielen Leuten so, denn wegen der fehlenden Kunden ist die schöne Markthalle zweckentfremdet an eine Poliklinik, einen Gasthof und ein Theater vermietet. Wirklich jammerschade.

Zufrieden begutachtete ich mein Schaufenster. Zwischen all den Büchern mit Geschichten, die im Winter spielen, hatte ich wunderschöne Bilder eines Malers aus unserer Stadt aufgestellt. Ich betrachtete die schneebedeckten Bäume und Häuser auf den Gemälden und bedauerte, dass es bisher noch keinen Schnee gab - nicht einmal oben im Gebirge und schon gar nicht hier in der Stadt.

Da sah ich einen bunten Rock oder eher eine grell gemusterte Kutte direkt draußen vor dem Fenster hin und her wedeln. Die Frau, die in diesem weiten Kleid steckte, trug über diesem Fummel eine auffallend grüne Kunstfelljacke und winkte mir zu. Etwas verwirrt winkte ich verhalten zurück. Ich kannte die Frau nicht und hielt das Ganze wohl wegen ihres Aufzugs für einen verfrühten Faschingsscherz. Trotzdem öffnete ich sofort meine Ladentür und bat sie herein.

„Schauen Sie sich ruhig um!“, forderte ich sie auf.

Sie lächelte mich an und warf mit einer weiten Geste einen langen Schal über die Schulter, der eben noch um ihren Kopf gebunden war und unglaublich vielen Locken zu bändigen versuchte.

„Eindeutig Künstlerin“, dachte ich amüsiert. „Vermutlich malt sie, wahrscheinlich lauter bunte Blumen und Schwäne.“

Die Frau breitete ihre Arme aus und drehte sich langsam im Kreis. Ich wusste nicht, was ich davon halte sollte. War sie betrunken oder vielleicht irre?

„Groß ist Ihre Buchhandlung nicht“, stellte sie fest.

„Bücher brauchen nicht viel Platz“, antwortete ich. „Bis jetzt habe ich noch jedem Besucher ein Buch empfehlen und verkaufen können.“

Sie drehte sich um und fuhr mit der Hand über eine Reihe Buchrücken, was mir seltsam vorkam. Plötzlich streckte sie ihren Arm aus kam direkt auf mich zu. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr höflich meine Hand zu reichen.

„Mein Name ist Birgit Thiele.“ Sie strahlte mich an und schien auf eine Antwort zu warten. Sollte ich die Dame kennen? „Ich wohne hier in Chemnitz, bin Autorin und möchte Ihnen meine Bücher vorstellen.“

Ich schaute in große braune Augen, die mich offen und interessiert ansahen. Es waren ungewöhnlich schöne Augen in einem ebenmäßigen, völlig ungeschminkten Gesicht.

An den Füßen trug die Frau klobige, mit grünem Fell besetzte Stiefel wie von einem Hippie.

So ginge Katrin im Leben nicht auf die Straße. Sie ist immer korrekt gekleidet mit halbhohen Pumps und grauen Kostümen oder Hosenanzügen, kombiniert mit blauen Blusen, die ihre blauen Augen wunderbar betonen. Außerdem trägt sie immer ein leichtes Make-up.

„Sie sind also Künstlerin“, versuchte ich zu schmeicheln. Dabei stellte ich mir vor, wie sie in einem Sessel mit Blümchenmuster saß und Liebesschmonzetten verfasste, irgendwelche Geschichten im Cornwall, was nun weniger nach meinem Geschmack ist.

„Künstlerin?“ Die Frau lachte. Dabei warf sie ihren Kopf ein wenig zurück und öffnete weit ihren großen Mund. „Nein, mit Kunst habe ich nichts am Hut. Ich schreibe, was mir gefällt und mir ist ziemlich gleichgültig, wer es mag und wer nicht.“

Was sollte ich darauf erwidern?

Frau Thiele sprach weiter: „Kunst will ernst genommen werden. Das halte ich für übertrieben, wichtigtuerisch. Der Mensch sucht Unterhaltung, keine Belehrung.“

Wenn das keine Belehrung war, weiß ich auch nicht. Unterhaltung klingt für mich nach seichter Zerstreuung. Trotzdem fragte ich: „Worüber schreiben Sie denn?“

„Nur über Wahres, kein Kitsch, kein Horror – was Sie und ich erlebt haben könnten.“

„So, wir beide also.“ Ich weiß nicht, was mich zu dieser recht kessen Antwort verleitete. Ihr irgendwie lauernder Blick verwirrte mich.

Sie lachte wieder und konterte: „Wenn Sie so wollen.“ Dabei blinzelte sie mir verschwörerisch zu.

Etwas irritiert ging ich zu meinem Computer und gab den Namen Birgit Thiele ein. Sofort erschienen ungefähr ein Dutzend Titel. Anerkennend nickte ich der Dame zu.

„Ich werde mich damit befassen und melde mich bei Ihnen.“

Sie umfasste meine Hand mit ihren beiden Händen und hielt sie fest. Sie hielt sie viel zu lange und schaute mir dabei in die Augen, so, als lese sie darin. Dabei lächelte sie hinreißend. Plötzlich drehte sie sich um und verschwand.

Eine merkwürdige Person, die mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf ging und mir auch jetzt den Schlaf raubt.

Birgit

Noch bevor ich die Buchhandlung betrete, kommt mir ein freundlich lächelnder Herr entgegen. Es ist wirklich ein Herr in Anzug und Krawatte. Normalerweise kommen mir die Buchhändler nicht entgegen, sie kruschteln eher versteckt in irgendwelchen Ecken, ohne beim Türgong aufzuschauen. Meist sind es Frauen, selten Männer, allesamt eher unscheinbar, blass, Buchhaltertypen.

Dieser Mann ist anders: auffallend groß, mit breiten Schultern, fast schwarzen, sehr kurz geschnittenen Haaren, selbstbewusst.

„Lesezeichen, ein hübscher Name“, lobe ich.

„Lesen und Zeichen setzen, auf Bücher aufmerksam machen, vor allem auf Autoren aus der Region.“

Das gefällt mir. „Ich schreibe ebenfalls und lebe in Chemnitz.“

Sofort zeigt er sich interessiert und fragt, worüber ich schreibe. „Ausnahmslos reale Alltagsgeschichten.“

Es ist besser, erst gar keine falschen Vorstellungen zu wecken, sondern offen zu sagen, was man zu sagen hat.

„Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen – von Pearl Buck“, zitiert er schlagfertig.

Das sagt er so daher, doch neben der Kasse steht ein riesiger Verkaufstisch voller Bestseller, ich entdecke keinen einzigen unbekannten Namen oder Titel darunter.

Er zeigt auf diesen Tisch und erklärt: „Die meisten Kunden fragen zuerst nach dem Bestseller der Woche. Ich habe es aufgegeben, ihnen zu erklären, dass es keine echte Bestsellerliste gibt.“

Ich zucke mit der Schulter.

„Der Kunde braucht solch eine Sicherheit, denn was alle kaufen, kann so falsch nicht sein. Also fühlt er sich sicher, wenn er Bücher von diesem Tisch wählt.“

Während ich mich in dem winzigen Laden umschaue, tippt er in seinem Computer herum. Hoffentlich heißt das nicht, dass er das Interesse an mir und meinen Büchern verloren hat.

Hier sieht es aus wie in jeder Buchhandlung: spezielle Regale für Kinderbücher, Klassiker, psychologische Ratgeber, Kochbücher, einige Fantasie-Titel und Krimis, viel Belletristik und zwei große Regale Regionales.

Der Buchhändler verspricht: „Ich werde mich recht bald mit Ihren Titeln befassen und melde mich bei Ihnen.“

Das glaube ich eher nicht, dazu will er mich viel zu schnell wieder loswerden. Trotzdem drücke ich ihm meine Visitenkarte in die Hand und verabschiede mich. Auf seiner Karte lese ich Thomas Wagner. Beim Abschied hätte ich fast vergessen, seine Hand loszulassen. So etwas ist mir noch nie vorher passiert.

Bereits knapp eine Woche später ruft er mich an. „Hätten Sie Lust, in meiner Buchhandlung zu lesen?“

Ich muss mich erst sammeln, ehe ich etwas

sage, so sehr hat mich diese Frage überrascht.

Außerdem ärgert mich jedes Telefonklingeln, obwohl ich noch gar nicht weiß, wer mich warum anruft. Es stört! Deshalb wirke ich am Telefon immer etwas barsch. Also atme ich erst einmal langsam aus, ehe ich zustimme. Eigentlich ist mir nach Jubeln zumute, doch ich reiße mich zusammen und frage so ruhig wie möglich: „Wann?“

„Bereits am Donnerstag, den 22., um 19 Uhr.

Passt Ihnen dieser kurzfristige Termin?“

„Moment!“ Ich schaue schnell in meinen Kalender, obwohl ich weiß, dass ich im Februar gar keinen Termin habe. „Es klappt“, verkünde ich.

„Das freut mich. Wissen Sie, der Autor, der an diesem Tag lesen sollte, hat sich beim Schifahren das Bein gebrochen.“

„O! Dann bin ich also die Ersatzmannschaft.“

Herr Wagner lacht. „Genau.“

„Haben Sie denn Platz? Ich meine, Ihr Geschäft ist so klein in meiner Erinnerung.“

„Das ist es in der Tat“, antwortet er ernst. „Doch täuschen Sie sich nicht! Ich habe siebenundzwanzig Sitzplätze, genau die richtige Anzahl für eine Lesung.“

Wirklich vorstellen kann ich mir das zwar nicht, doch der Mann wird es wissen.

Wir vereinbaren, dass ich eine halbe Stunde vor der angesetzten Lesezeit erscheine, aus

„Mütter und Töchter“ lese und er die Bücher beschafft, die er zu verkaufen gedenkt.

Einige Tage später bummle ich unauffällig am Schaufenster der Buchhandlung vorbei. Direkt in der Tür hängt ein großes Plakat mit dem Titelbild meines Buches und sogar einem Foto von mir. Wo hat er das her? Jedenfalls hat er keines meiner alten Bilder gewählt, sondern ein aktuelles vom letzten Jahr, auf dem ich eine bunte Hornbrille trage. Im Schaufenster liegen ein Stapel „Mütter und Töchter“ und jeweils zwei Exemplare meiner sämtlichen Titel. Tief beeindruckt presse ich meine Nase gegen die Scheibe. Warum habe ich keinen Fotoapparat dabei?

„Hallo!“

Erschrocken fahre ich zusammen. Neben mir steht Herr Wagner und lacht. Wie peinlich! Nun weiß er sicher, dass meine Titel nicht in jeder Buchhandlung stapelweise ausliegen.

„Zufrieden?“, will er wissen.

Ich nicke. „Absolut.“

Er streckt mir seine Hand entgegen und als ich sie ergreife, durchzuckt mich eine Art Stromschlag, ein gewaltiger Blitz.

„Hoppla! Sind Sie so geladen oder ich?“

„Wie bitte?“ Herr Wagner schaut mich ziemlich verdutzt an. Hat er diesen Ratsch nicht bemerkt? „Ich habe Ihr Buch gelesen bzw. geradezu verschlungen. Es ist derart reizend geschrieben, dass ich immer wieder zurückblätterte und einige Stellen erneut las.“

Soll das ein Kompliment sein? Musste er zurückblättern, weil er etwas nicht verstand? Nein, er sagte, dass er einige Stellen erneut las, weil sie ihm so gut gefielen.

„Kommen Sie! Ich koche uns einen Kaffee, dazu Kekse, wenn sie mögen.“

Und ob ich mag! Für Kuchen und Kekse tue ich nahezu alles.

Herr Wagner öffnet weit seine Tür und schließt

sie hinter mir ab.

„Mittagspause“, erklärt er.

Ich sehe mich im Laden um. Er wirkt wie eine Wohnstube, weil vor den Bücherregalen Stühle und kleine Sessel stehen, in denen man gemütlich sitzen und lesen kann. Wieso ist mir das beim ersten Besuch nicht aufgefallen? In der Ecke ist eine Art Iglu, so eine Kuschelecke für Kinder. Mir fällt ein, dass ich heute Nacht von einem Iglu aus Büchern träumte. Ohne nachzudenken erzähle ich dem Buchhändler meinen Traum.

„Das ist seltsam“, sagt er nachdenklich. „Ich träumte von den Bergen. Es sah aus wie in den Alpen, doch die Berge und Häuser waren alle aus Büchern.“

Ich muss lachen, doch mir fällt keine Antwort ein, jedenfalls keine kluge. Eher möchte ich ihn anfassen. Das geht natürlich nicht. Schnell drehe ich mich um und gehe ein paar Schritte zur Seite.

„Ich habe hinten noch mehr Stühle und große Sitzkissen. Siebenundzwanzig Leute passen rein, ich habe schon fast alle Karten verkauft.“

Herr Wagner zeigt auf einen Tisch in der Ecke, an dem zwei Stühle stehen, ein grüner und ein knallroter. Dort stellt er die Kaffeetassen und eine kleine Schale Kekse ab.

Ich setze mich auf den grünen Stuhl.

„Ich freue mich schon auf die Lesung. Und auf Sie.“ Seine fast schwarzen Augen schauen mich ernst an. Ich möchte am liebsten darin versinken.

„Zufrieden?“, frage ich.

„Was meinen Sie?“

„Nun, Sie mustern mich so gründlich, als ob sie prüfen, ob sich ein Kauf lohnt.“

„Ein Kauf?“

„Das war nur ein Scherz“, sage ich verlegen.

Wenn ich weiter solchen Unsinn rede, wird er am Ende die Lesung absagen.

„Mir kommt es so vor, als ob ich Sie schon ewig kenne. Wirklich.“

Seltsam, dass es mir ebenso geht, obwohl er mich nicht so anstarren müsste, wenn wir uns schon ewig kennen würden. Wir sehen uns an und sagen nichts. Dabei gibt es so viel zu sagen, doch es ist nicht nötig, weil sein Blick ohnehin alles sagt. Jedenfalls kommt es mir so vor.

„Ich habe zwei Kinder. Zwillinge.“

Warum rede ich jetzt von meinen Kindern? Ich sollte ihn in ein kluges Gespräch verwickeln, ihn beeindrucken.

Hat er geantwortet? Ich kann mich nicht konzentrieren, denke immer nur an seinen Körper und möchte ihn anfassen. Ich weiß, dass das nicht geht, völlig unmöglich ist. Dieser alberne Gedanke bringt mich zum kichern und ich merke, wie meine Wangen rot werden. Momentan fühle ich mich wie Sechzehn, hibbelig und albern.