Die Oase der Toten - Walter Kabel - E-Book

Die Oase der Toten E-Book

Walter Kabel

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Beschreibung

Der Abenteurer Olaf K. Abelsen wird in einen Wirbel von Ereignissen verwickelt. Bei der Suche nach dem Gold der Nubier gerät er mehr als einmal in Lebensgefahr. Sein treuer Hund Wrangel und ein paar Gefährten begleiten ihn durch die Wüste. Dabei sind nicht einmal die Beduinen seine schlimmsten Feinde, sondern eine Bande skrupelloser Verbrecher. Dann gerät jedoch Abelsen in den Bann der Liebe... Mit dieser Walter-Kabel-Edition helfen wir, das Werk dieses Autors neu zu entdecken - es lohnt sich in jedem Fall.

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Walter Kabel

Oase der Toten

Walter-Kabel-Edition

Walter Kabel

Oase der Toten

Olaf K. Abelsen - Abenteuer abseits vom

Alltagswege

Abenteuerroman

Edition Corsar D. u. Th. Ostwald

Braunschweig

Impressum

Texte: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald

Umschlag:© 2024 Copyright by Thomas Ostwald

Durchgesehen, korrigiert und verantwortlich für den Inhalt:Thomas Ostwald

Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

[email protected]

Wenn man von dem Rätsellächeln der Asiaten spricht, von diesem Lächeln, das alles und nichts besagen kann: Mein Kamerad Gupa war Asiate, war sogar ein reinblütiger Mongole vom großen Volk der Chalcha, – aber sein Lächeln war so selten wie der Regen im Felsengewirr des Wadi Arabah, jenes Kalkplateaus mit den tiefen, breiten Talkerben, das nun meine neue Heimat geworden war.

Wenn Gupa, ein Riese von ebenmäßigem Körperbau, überhaupt lächelte, verzog er den Mund nur zu einem spöttisch-geringschätzigen Bogen.

Und als er damals über mein verwirrtes Gesicht lächelte, nachdem ich Wera Zubanoffs Brief gelesen hatte, empfand ich keinerlei Ärger über diese seine schlecht verhehlte Verachtung für zartere Gefühle, denn – er war Mongole, und die Frauen bedeuteten ihm nur Spielzeug oder Sklavin. 

Der Morgen weckte mich in meiner kleinen Zelle. Zu den altgewohnten Störenfrieden des Klosters St. Antonius gehören die in den Felsklüften zahllos nistenden Raben. Diese schwarzen Gesellen vertreten hier die nützlicheren Herren einer Hühnerschar. Kein Hahnenschrei weckte mich: Rabengekrächz!

Es war eine unruhige Nacht gewesen.

Wera kommt . . .!

. . . Ich träumte von Fesseln, die meine Freiheit für immer beschwerten . . . Ich hatte es verlernt, mich auf etwas zu freuen. Das war es.

Nur das?

Oder hatte ich mich nicht vielmehr an diese schrankenlose Freiheit zu sehr gewöhnt? Würde mir diese Frau nicht jenen Weg weisen, der nichts anderes war als die ausgetretene Straße des Alltags?

. . . Ich hatte rasch gefrühstückt ... Eine Handvoll Datteln, ein Trunk Wasser genügten. Leise verließ ich die Zelle. Über den Klosterbauten lag noch das fahle Licht der Dämmerung, in dem Garten zeigte sich noch keiner der arbeitsamen jüngeren Mönche, der Bruder Torhüter fragte erstaunt:

„So früh? Wohin?“

„Zu Gupa . . . Wir werden Wera Zubanoff entgegenreiten . . .“

Gupa mied das Kloster. Er hauste droben in den weißen Klippen, von denen man ein Stückchen des Nordteiles des Roten Meeres erspähen kann. Seine Höhle war lang und schmal und hatte noch einen zweiten Ausgang und kleinere Abzweigungen.

„Sei vorsichtig!“, mahnte der alte Mönch, den ich nie ohne seinen Tschibuk sah. „Denke an die Kugeln, denke an . . .“

Ich klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Kolben der Büchse, und dann streichelte ich den rostbraunen Kopf meines Hundes.

„Die beiden schützen mich, Bruder . . . Keine Sorge!“

Der Greis, dem der Pfeifenrauch den weißen Bart um den Mund gelblich gefärbt hatte, sagte trotzdem nochmals und eindringlicher: „Die Kugeln gestern in der Dunkelheit galten dir . . .! Eine Kugel ist unberechenbar wie ein störrisches Maultier. Du musst einen Feind haben, Bruder.“

Er blickte mich dabei aus noch immer seltsam klaren Augen vertraulich an. Wir standen hier auf der Ringmauer des Klosters, und Wrangel, mein Hund, und die frechen Raben waren die einzigen Zeugen seiner Warnung. „Die Frau, die hierher kommen will, hat einen Gatten, Bruder . . . Er ist koptischer Christ wie ich, – trotzdem . . .“

„Zubanoff der Schütze? Niemals!“, und das war meine ehrliche Überzeugung.

Der Greis meinte sanft: „Ich kenne nichts von der Welt und ihren Fallstricken, nichts von den Lastern, Vergnügungen und Zerstreuungen all der Abermillionen, die jenseits dieser weißen, ewig sonndurchglühten Berge wohnen. Ich kam als vierzehnjähriger Knabe hierher. Darüber ist ein Menschenalter vergangen . . .“

Seine graublauen Augen, die jetzt auf den Kuppen der Felswildnis mit verlorenem Ausdruck ruhten, waren durchaus die eines reinblütigen Europäers. Seine faltige Gesichtshaut freilich hätte mehr auf einen Bewohner des nur hundertfünfzig Kilometer entfernten Niltales hingedeutet.

Dieser Bruder Pförtner, Theodorus ward er genannt, war im Vergleich zu den übrigen Koptemönchen dieses ältesten Klosters der Welt ein verschlossener Charakter. Heute schien er in ganz bestimmter Absicht das Gespräch auf seine Vergangenheit zu lenken.

„. . . Bruder Olaf, es sind fast sechzig Jahre her. Unser Kloster war damals, als ich hierher kam, erst wieder durch milde Spenden der koptischen Gemeinden bewohnbar gemacht worden. Es hatte lange Zeit leer gestanden. Ich kam hierher, weil einige Brüder, die nach Kairo pilgerten, um notwendige Dinge einzukaufen, unterwegs eine von Wüstenräubern überfallene kleine Karawane fanden – nur Tote . . . Ich . . . war der einzige Überlebende. Ich hatte mich während des Angriffs der Beduinen in den Klippen verkrochen, aber der Schreck und die Angst hatten mir die Sprache geraubt und warfen mich monatelang auf das Krankenlager. Als ich hier in diesen friedlichen Mauern endlich genesen war, war auch mein Gedächtnis tot. Da die Brüder bei den bereits in Verwesung übergegangenen Leichen keinerlei Papiere gefunden hatten und da sich auch nicht feststellen ließ, woher die kleine Karawane in diese öden Berge des Wadi Arabah gelangt sein könnte, weiß ich nichts über meine Eltern, über meine Heimat, über meinen Namen . . .“

Sein Blick streifte mein braunes Gesicht. „Bruder, du bist einer der Ruhelosen . . . Ich kenne deine Schicksale. Deine nordische Heimat musst du meiden. Wir alle haben dich gern. Bruder, ich weiß nur eins über meine Eltern . . . Sie müssen wie du ziellose Erdenpilger gewesen sein, denn die Behörden in Ägypten konnten über die zehn Toten, alles Europäer, nichts in Erfahrung bringen. Es sind sechzig Jahre seit jenem Überfall dahingegangen, und . . .“ – er zögerte – „. . . und selbst du, der vielleicht mein Sehnen nach Aufklärung über meine Herkunft stillen könnte, wirst kaum etwas ausrichten.“

Also, das war es!

Ich reichte ihm die Hand. „Bruder Theodorus, wir werden ein andermal eingehender darüber sprechen. Jetzt muss ich aufbrechen. Der Anstieg zu Gupas Höhle im Sonnenschein ist eine Qual, und Gupa und ich werden Wera Zubanoff entgegenreiten. Sie wird den Weg über Ab-el-Ejam vom rechten Nilufer wählen, es ist der für Dromedare bequemste, und als gute Kamelreiterin dürfte sie für die Strecke kaum zwei Tage brauchen . . . Lebe wohl, Bruder, auf Wiedersehen.“

Der Hund und ich schritten auf der breiten Ringmauer hin nach Osten bis zu der verfallenen Treppe.

Eine seltsame Schwere lastete auf meinen Gliedern, das eklige Geschrei der Raben war mir widerwärtig, und ich fühlte bereits die Unfreiheit, die meiner drohte. Ich war ehrlich vor mir selbst: Ich taugte nicht zum Liebesgefährten einer Frau von Weras bezaubernder Schönheit. Erst einmal Sklave solcher Schönheit, und meine Lebenslinie würde abbiegen in das Grau des Alltags, die Ernüchterung würde kommen und dann vielleicht . . . ein Auseinandergehen voller Enttäuschung, voll geheimen Hasses.

Nur das nicht!

Ich begann zu klettern. Und die Anspannung der Muskeln, das Spiel der Kräfte war Ablenkung und frohe Aufmunterung. Vor Gupas Höhle zog sich eine Terrasse hin, in deren nördlichem Schattenwinkel eines jener nie versiegenden, daher rätselhaften Wasserlöcher sich befand, die dem Gebirge ringsum eigentümlich sind.

Gupa stand vor der Zisterne und holte gerade am langen Strick den Wassereimer hoch.

„Morgen, Gupa . . .“

„Morgen, Olaf . . .“

Er ließ sich nicht stören, er wandte kaum den Kopf. Er war nackt bis auf ein Hüfttuch, und dieser muskelstrotzende athletische Körper erregte erneut meine Bewunderung.

Gupa nahm sein Morgenbad, goss sich den gefüllten Eimer über den Kopf und schüttelte die Nässe ab, legte dann seine Kleidungsstücke an, ganz leichte Unterwäsche, darüber einen braunen, mehr grauen, mantelartig geschnittenen Leinenstoff, den er mit einem Lederriemen zusammenhielt. Er zog die derben Sandalen an, kämmte sein Haar mit den Fingern nach hinten und stülpte die Lammfellmütze über. In wenigen Minuten war er fertig. Gupa betrat seine Wohnhöhle, kam mit Sattel, Zaumzeug, Büchse, Pistole, Messer und Satteltasche wieder heraus und schritt vor mir her in die westlichen Täler hinab.

Er war wortkarger denn je.

Die wenigen Sätze, die wir wechselten, bezogen sich auf den unbekannten Schützen, der es auf mich abgesehen hatte und den wir nicht gefunden hatten. Gupa meinte, der Fürst Zubanoff käme hier nicht in Frage, ich gab ihm recht.

Unter uns tauchten die Klosterbauten auf, die uralte Kapelle, die neuere Kirche, die gekalkten Vorratshäuser, das Grün des großen Gartens, die Felder, die Palmen . . . Jenseits des Tales verschwommen Hügel und Berge in violetter Verwaschenheit.

Außerhalb der hohen Ringmauer weideten drei magere Dromedare. Gupa hatte sie erst vorgestern von einem Araber des Wadi Warag gegen Goldkörner eingehandelt, die er im Lederbeutel bei sich trug: Erinnerungen an die Goldfelder des Amur, um die so heißer Streit entbrannt gewesen, – gewesen. Auch das gehörte der Vergangenheit an. So jämmerlich die Dromedare auch aussahen, ihr Trab war flott und weit ausgreifend, und Wrangel musste galoppieren, um gleichen Schritt mit uns zu halten.

Wir bogen nach rechts ab. Etwas wie ein Weg, gekennzeichnet durch dürren Tierdünger von Eseln, Maultieren, Kamelen und Schafen sowie durch einen kaum sichtbaren blanken Strich mit zermahlenem Gestein, lief aufwärts in die grelle, helle Felswildnis. Kein Baum, kein Strauch, kein Lebewesen, tödliches Schweigen, das ist für den Neuling der niederdrückende erste Eindruck dieses Wadi Arabah.

Die Hitze nahm zu. Ich holte mir Wrangel in den Sattel, denn von dem langhaarigen, dickpelzigen Tiere, das aus dem unwirtlichen Sachalin stammte, war es nicht zu verlangen, hier stundenlang über kahles Gestein zu laufen.

„Gupa . . .?“

Er schaute auf.

„Was hast du heute? Du bist so still.“

Er kniff die Mongolenaugen noch kleiner.

„Was soll werden, Olaf?“

„Du meinst, wenn Wera da ist?“

„Was sonst . . .?“ - Ich war um eine Antwort verlegen.

Aber ich spürte: Gupa, der Treue, war eifersüchtig.

„Ich . . . weiß es selbst nicht . . .“

Er lachte. Sein Lachen . . .

„Nun also! Ich kenne dich, Olaf . . . Es ist der heiße Wind der Leidenschaft. Die Nacht wird kommen und mit ihr der kühle Tau. Dann wirst du einsehen, dass die Frau dir nur eine Last ist.“

Ich wagte nicht zu widersprechen. Gupas wilde Vergangenheit umfasst dunkelste Berufe. Gupa ist Menschenkenner geworden.

Wir ritten in eine Schlucht hinab, wieder einen Pass empor, und vor uns lag wie eine trügerische Fata Morgana eines jener kleinen fruchtbaren Täler, die in diese Einöde Bilder freudigster Üppigkeit hineinzaubern. Sie sind selten, aber sie sind da . . . Man könnte sie Oasen nennen, wenn sie nicht so winzig wären und wenn hier flache oder wellige Wüste sich dehnte.

Wir rasteten hier. Gupa sattelte die Dromedare ab, legte ihnen die Fußriemen um, wir beide und der Hund lagerten im Schatten und waren im Paradies.

Was sollte werden? Der Gedanke verließ mich nicht. Scheu musterte ich Gupas harte Züge. Er hatte den Kopf nach Westen gewandt und schien zu lauschen. Ich wünschte, ich hätte sein feines Gehör.

„Schüsse“, sagte er leise . . .

Da war es auch mir, als ob ich einen ganz fernen Knall vernähme.

Der Hund, die Ohren hochgestellt, knurrte.

„Aufbruch!“ Ich lief zu den Tieren, eine dunkle Vorahnung sagte mir, dass Wera sich in Gefahr befände.

Auch Gupa beeilte sich. Die Dromedare, empört über die zu kurze Rast, keilten aus. Kostbare Minuten vergingen. Das Lasttier war am störrischsten. Gupa hieb ihm die Faust zwischen die Ohren, und es knickte vorn ein.

Wir trabten weiter, Wrangel war besessen von Eifer, ich musste ihn immer wieder zurückrufen.

Einen Berg hinan, am tiefen Abgrund entlang, wieder ein Tal . . .

Auf diesen hellen Felsen, deren Farbe nur selten in düsteres Grau oder Braun übergeht, erkennt man fremde Gegenstände auf weite Entfernung. Die Luft ist klar und dünn, die Luft flimmert, aber es war ein totes Kamel, das da auf der Talsohle zwischen Geröll neben einem lang hingestreckten Manne in Beduinentracht lag.

Der Mann lebte noch. Das Reittier war tot.

Ich kniete neben dem Araber, sein Gesicht war grau und eingefallen, die Lippen farblos, die Augen geschlossen. Die Whiskyflasche gab ihm letzte Kraft trotz der beiden Kugeln quer durch die Brust. Er konnte wenige Worte flüstern, er war von Wera als Führer angeworben worden, hier an dieser Stelle hatten plötzlich aus den Steinblöcken Schüsse geknallt . . . Mehr wusste er nicht. Er starb, und wir begruben ihn in einer Felsspalte.

Gupa sagte nur: „Ich wusste, dass Ähnliches geschehen würde . . . Die Mörder werden sterben.“ Viel Worte machte er nie.

Wir hatten den Hund. Ohne ihn wäre es zwecklos gewesen, nach Fährten zu suchen. Zwischen den Felsblöcken fand er vier Patronenhülsen von Winchesterbüchsen, dazu drei Zigarettenstummel und Pfeifentabakreste.

Im Spurendeuten war ich Gupa doch über. Ich erkannte, dass hier drei Leute versteckt gewesen, ich erkannte weiter, dass ein vierter in einer nahen Schlucht vier Dromedare bewacht hatte. Dann fehlte jegliche Fährte. Die Mörder waren mit Tieren, denen die Hufe umwickelt gewesen, hierhergekommen und genauso entflohen – zu fünft mit Wera. Aber wir hatten den Hund, und Wrangels Nase ist vorzüglich.

Während ich die Fährten studierte, hatte Gupa die Umgebung scharf überwacht. Wir mussten immerhin damit rechnen, dass es sich bei diesen Entführern Weras um dieselben Personen handelte, zumindest um denselben heimtückischen Schützen, der mich gestern zweimal bedacht hatte – ein Sauschütze freilich, denn seine Schüsse waren nur Pulververschwendung gewesen.

Gupas Zuruf lockte mich aus der Schlucht wieder in das Tal. Von Westen her kam ein Mann auf einem Maultier daher getrabt, und ich lernte so eine der sonderbarsten Gestalten kennen, die mir je über den Weg gelaufen sind.

„Rechnungsrat a. D. Tübbicke, Berlin“, stellte er sich vor.

Tübbicke war hager, bartlos und glich bei seinem gebräunten Gesicht mit den scharfen Zügen weit mehr einem wohlhabenden, forschen Landwirt. Unter dem Rand des Tropenhelms schimmerten vergnügte, lebhafte braune Augen, um den energischen Mund hatte er stets den Anflug eines gütigen, humorvollen Lächelns.

Dieses Lächeln schwand, als er das erschossene Dromedar erblickte.

„Was ist hier geschehen?“, fragte er in holprigem Schulenglisch, da ich aus Vorsicht mich als „Lensen, Ingenieur aus London“, vorgestellt hatte.

Er musterte mich und Gupa sehr durchdringend, seine Hand glitt unmerklich unter die aufgeknöpfte Sportjacke.

„Lassen Sie Ihre Pistole nur stecken, Mr. Tübbicke“, beruhigte ich ihn. „Wir haben hier einen Toten und das gleichfalls erschossene Dromedar soeben erst gefunden . . .“

„Kann jeder sagen – entschuldigen Sie . . . Man hat mich in Kairo gewarnt. Diese Berge sollen zuweilen von Räuberbanden heimgesucht werden, die aus Abessinien über die Grenze vordringen.“ Sein Ton war kurz und scharf. An den Rechnungsrat glaubte ich immer weniger.

„Dann hat man in Kairo arg übertrieben . . . Mein Kamerad Gupa und ich kommen soeben vom Koptenkloster St. Antonius und . . .“

„Woher?“ Seine dicken buschigen grauen Augenbrauen zogen sich hoch. „St. Antonius, – – das ist merkwürdig!“

„Aber es ist wahr“, ich wurde etwas ungeduldig. „Leider können wir uns hier nicht lange aufhalten, Mr. Tübbicke. Die Banditen, vier waren es den Spuren nach, haben eine Europäerin entführt, der wir entgegengeritten waren. – Wo wollen Sie hin?“

„Hm – mir die Berge, die Gegend ansehen“, er lächelte ein wenig. „Ich finde dieses Wadi Arabah sehr schön . . . Kennen Sie die Müggelberge bei Berlin, Mr. Lensen? Es ist ein herber Kontrast, dort grüne Waldkuppen, hier . . .“

„Ich kenne sie . . . Sie würden uns einen Gefallen erweisen, wenn Sie nach dem Kloster, das sind fünf Stunden, reiten und das hier Vorgefallene melden wollten, Mr. Tübbicke.“

„Bedauere. Ich werde Sie begleiten. Ich will auch mal etwas erleben. Unterschätzen Sie mich nicht, ich wog mit fünfzig zwei Zentner, dann habe ich gemüllert und gespart . . . Wissen Sie, was ‚müllern‘ ist?“

Jetzt musste ich lachen. „Natürlich!“

„Heute mit sechzig Jahren wiege ich hundertfünfundvierzig Pfund, ich rauche nicht; ich trinke nicht, ich . . .“

„Verzeihen Sie, wir haben wirklich keine Zeit.“ Gupa hatte bereits sein Dromedar bestiegen.

„Ich habe zu viel Zeit, ich komme mit. Mein Maultier ist besser als ein Vollblutaraber, ich besitze zwei Repetierpistolen, ich treffe zur Not auch damit, ich habe Proviant und Wasser und . . .“

Gupa ritt kurzerhand in die Schlucht hinein, ich rief Tübbicke ein „Glückliche Reise“ zu, folgte Gupa und setzte den Hund auf frische, aber unsichtbare Fährte. Wrangel trabte nach rechts die Schluchtwand empor, die Nase dicht über dem Steingeröll, wir kamen in ein endloses, schmales Quertal, die Tiere griffen lebhafter aus, und . . . hinter uns nahte das Dröhnen beschlagener Hufe. Ich wandte den Kopf . . . Tübbicke hatte sich nicht abschütteln lassen, Tübbicke erschien neben mir, straff im Sattel sitzend, ein tadelloser Reiter, alles andere als eine etwa komische Figur, und mit blitzenden jungen Augen meinte dieser grauhaarige Sechzigjährige:

„Ein früherer Wachtmeister von den Allensteiner Dragonern hat noch feste Schenkel, Mr. Lensen! Kennen Sie Allenstein?“

Gupa warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Ich fügte mich in das Unabänderliche.

„Drei sind vielleicht besser als zwei“, sagte ich nur. „Aber machen Sie sich darauf gefasst, dass Ihre Ägyptenreise nicht in einem Hotelbett in Kairo endet!“

„Sehe ich nach einem durch Daunenfedern Verwöhnten aus? Ich wog mit fünfzig zwei Zentner, war dick wie ein Mastferkel und faul wie ein Krebs. Ich ging nicht, ich kroch. Aber daran war nur meine Wirtschafterin schuld, sie kochte zu gut, Mr. Lensen, ich sah mein Ende voraus, jeder zu prall gefüllte Ballon platzt irgendwo, ich kündigte ihr, denken Sie: Der Mut! Fünfzehn Jahre hatte sie mich zu üppigen Mahlzeiten verführt, und dann kündigen! Das ist mehr als Mut. Haben Sie mal eine Haushälterin gehabt?“

„Nein, zum Glück nicht!“ Innerlich feixte ich über diesen prächtigen alten Herrn, der sicherlich keinen üblen Gefährten abgab.

„. . . Und wissen Sie, wie dieser Wendepunkt in meinem Leben eintrat?“, redete er mit seiner klaren, scharfen Stimme weiter. „. . . Durch ein Theaterstück, durch einen Schwank, den ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Es gibt da ein lustiges und doch auch wieder ergreifendes Stück, ‚Zum weißen Rößl‘ heißt es . . . Eine der Hauptfiguren ist ein armer Privatgelehrter, der viele, viele Jahre gespart hat, um mit seiner Tochter zusammen sich ein einziges Mal ein uraltes Sehnen erfüllen zu können: Eine Reise in die Alpen! Eine rührende Figur, Mr. Lensen . . . Und ausgerechnet von der Bühne herab musste mir so ein Schauspieler klar machen, dass ich bis dahin nichts als ein Prasser und Stammtischtrottel gewesen, dass in Wahrheit auch in meiner Seele stets der Wunsch, fremde Länder zu sehen, lebendig gewesen. Von Stund an ward es anders. Ich kündigte dem weiblichen Futtermeister, ich bezog eine kleine Wohnung weit draußen in einem Vorort, ich ging zu Fuß zum Dienst hin und zurück, ich aß zu Mittag in einer Speisehalle für achtzig Pfennig. Wenn Sie da einen Bratklops auf Papier legten, gab es noch nicht einmal einen Fettfleck, und ein Kotelett musste man auf dem Teller zwischen dem Gemüse mit einer Harke suchen – einer Kinderharke! Ich sparte, meine Sehnsucht war Ägypten, ich sparte so, dass meine Vorgesetzten an meiner Kleidung Anstoß nahmen und ein Neffe von mir mich entmündigen lassen wollte. Genau neun Jahre und neun Monate lebte ich so. Das Ende vom Lied war die Pensionierung, und der Anfang des zweiten oder dritten Abschnitts meines Daseins war der D-Zug nach Mailand . . . Seit sechs Wochen bin ich nun hier im uralten Pharaonenlande, seit einer Woche reite ich durchaus selbständig durch die Gegend, es macht mir Spaß . . .“

Das glaubte ich ihm ohne weiteres. Sein Gesicht strahlte . . .

Ich gab ihm die Hand. „Dann also auf gute Kameradschaft, Mr. Tübbicke . . .!“

„Und ob . . .! Und ob! Auf mich ist Verlass, ich stehe überall meinen Mann . . .!“

Man konnte diesen alten Herrn, den die sechzig Jahre wahrlich nicht belasteten, geradezu beneiden.

Gupa hatte sein Dromedar nach rechts hinter ein paar Kalksteinzacken gedrängt und war aus dem Sattel geglitten, hatte Wrangel zurückgerufen und gab uns durch Winke zu verstehen, dass wir uns gleichfalls verbergen sollten. Das war in diesem Teil des Tales nicht schwer. Zu beiden Seiten der ziemlich steilen Wände, die so glatt wie hellgraues, straff gespanntes Leinen aussahen, lagen Blöcke in allen Größen, manche von geradezu phantastischen Formen, einige wie verstümmelte Marmorstatuen oder wie die Werke übermoderner Bildhauer, andere in regelmäßiger Pyramidenform oder ungeheure Würfel, viele davon durch große dünne Scheiben nachstürzenden Gesteins förmlich überdacht und primitiven Höhlenwohnungen gleichend.

Auch wir waren im Nu aus dem Sattel, auch wir führten unsere Tiere in eine der seltsamen Behausungen, niemand konnte uns hier erspähen, falls nicht gerade Dromedar und Maultier in eine wütende Beißerei gerieten. Tübbicke kam dem zuvor, indem er seinem offenbar wenig friedfertigen Viech eine Wolldecke über den Kopf warf, ein Beweis, dass die langbeinige und flinke Stute schon häufiger wenig zarte Eigenschaften verraten hatte.

Ich fand einen Schlitz in den Seitenteilen unseres Verstecks, und als ich gen Westen zu dem Pass emporspähte, von woher einzig und allein Fremde zu erwarten waren, erblickte ich auf einem wundervollen, fast weißen Bischarin-Dromedar eine Europäerin mit Tropenhelm, Nackenschleier, tadellosem Reitdress, vor sich im Sattel eine kurze Büchse, hinter sich aber ein Dutzend Beduinen, prächtige Gestalten, zweifellos Zugehörige eines Stammes aus dem südlichen Niltal oder aus der Lybischen Wüste, alle gut bewaffnet und beritten. Langsam kamen sie ins Tal hinab, eine Schar, mit der wir sehr zu rechnen hatten, falls es sich hier um Verbündete der Entführer Wera Zubanoffs handelte. Dieser Gedanke, dass die Europäerin und ihr Anhang mit den Mordgesellen etwas zu tun haben müssten, war mir sofort aufgestiegen.

Das Tal war gerade durch die Felsblöcke sehr eng. Es folgten Minuten einer Spannung, wie man sie selten erlebt und doch nicht missen möchte. Das geringste Schnauben unserer Tiere musste uns verraten . . .

Das Getrampel der dreizehn Reiter näherte sich. Tübbicke hatte ganz von selbst seine Pistolen hervorgeholt, als er sah, dass ich meine Büchse entsicherte. Wenn diese Beduinen und diese sonnengebräunte Frau, die sich hier so abseits des sogenannten Weges nach dem Kloster in den unwirtlichen Bergen herumtrieben, Arges im Schilde führten, dann . . .

Meine Sorge war überflüssig gewesen.

Achtlos trabten sie vorüber.

Tübbicke, der dicht neben mir stand, stieß mich leise an und lächelte zufrieden. Ich horchte auf die sich rasch entfernenden Geräusche der Kamelhufe, dann wandte ich den Kopf wieder dem Sehschlitz zwischen den Blöcken zu. Es war nicht ausgeschlossen, dass dem Haupttrupp noch ein paar Leute mit Lastkamelen folgten.

So flink, wie ich damals die Büchse emporgerissen, gezielt und gefeuert habe, um einen heimtückischen Schuss zu vereiteln, so schlecht, wie ich damals auf kaum hundertfünfzig Meter Entfernung den Mann auf der Höhe des Passes getroffen habe, ist es selten geschehen.

Der Knall meiner Büchse erfüllte das Tal mit vielfachem Echo. Es klang wie Salvenfeuer. Ich hörte das Schreien der Beduinen, nach Osten zu hatten wir keinen Ausblick, ich lief aus dem Versteck ins Freie, ich sah die Frau im Tropenhelm mit starren Augen die Passhöhe mustern, wo soeben um die Ecke der Felswand zwei lange Arme herumgriffen und den meuchlerischen niedergesunkenen Schützen um die Biegung zerrten . . .

Der Tropenhelm war der blonden Frau ins Genick gerutscht, ihr Antlitz lag frei, es war das verhärmte, finstere, harte Gesicht eines nicht mehr ganz jungen Weibes, das Unendliches gelitten haben musste.

Sie hatte ihr wunderbares Bischarindromedar mit dem stolz gebogenen Hals durch einen Schlag vorwärtsgetrieben und hielt unmittelbar vor mir.

Ihre Augen, in denen ein eigenes Leuchten glomm, glitten über mich hin wie der eisige Hauch aus einer finsteren Kluft.

„Ich danke Ihnen“, sagte sie genauso eisig. „Ich hatte mich, wohl infolge einer Vorahnung irgendeiner Schurkerei, gerade umgedreht, die Kugel traf meinen Tropenhelm . . . Wer sind Sie?“

Tübbicke erschien jetzt gleichfalls neben mir, und auch Gupas raue Stimme und Wrangels wütendes Kläffen meldeten das Näherkommen auch dieser beiden Gefährten.

Die Frau achtete nur auf mich. Ihr etwas anmaßender Ton behagte mir wenig. Sie hatte so eine gewisse Art bewusster Geringschätzung, die nicht jedermanns Sache ist.

„Ein Tourist“, erwiderte ich.

„Lügen Sie nicht! Ich kenne diese harmlosen Globetrotter von Kairo her zu Genüge. Sie sehen denen etwa so ähnlich, wie ein Somalikrieger einem Schacherer aus dem Londoner dunkelsten Viertel. Aber – Ihr Name ist mir gleichgültig . . . Sahen Sie den Schützen genauer?“

„Es war ein Beduine, dem Gesichtstuch nach könnte es ein Tuareg gewesen sein, aber die verirren sich kaum in diese Gegend.“

Mir kam es vor, als wäre sie sehr zufrieden damit, dass ich nichts Genaueres über den Mann, den meine Kugel dann sofort niedergeworfen hatte, angeben konnte. Sie spielte mit den hellgelben Lederzügeln, sie kniff die Augen zusammen und rief nach rückwärts:

„Adir!“ Einer ihrer Beduinen drängte sein Tier neben sie.

Sie sprach mit ihm in einem merkwürdigen Dialekt, der sehr viel nasale Laute enthielt.

Dieser Adir war ein tadellos gewachsener dunkelhäutiger Mann mit einer von ranzigem Hammelfett triefenden und dementsprechend duftenden Riesenfrisur. Sein leicht gekräuseltes, recht langes Haar war mit einem Riemen in der Mitte des Kopfes zu einem Schopf hochgebunden, der Rest dieses Kopfschmuckes fiel fast bis in den Nacken hinab. Genau dieselben Frisuren trugen die übrigen elf Begleiter der finsteren Dame, und der Geruch nach üblem Fett war derart aufdringlich, dass ich die Lady ehrlich bewunderte, es in dieser Gesellschaft längere Zeit auszuhalten.

Adir winkte dreien der Leute, sie trabten an, jagten den Pass empor, indem sie sich tief an die Hälse ihrer Tiere schmiegten. Es waren glänzende Reiter, und als ich dann später erfuhr, dass es sich gar nicht um eigentliche Beduinen, sondern um Krieger des Volkes der Bischarin handelte, ergab sich die Erklärung für Lady Cordys tadelloses Reittier ganz von selbst.

Das tollkühne Vorsprengen der vier Leute sollte leider durch meinen Warnungsruf nicht mehr rechtzeitig aufgehalten werden.

Der Pass droben, besser nur eine schmale, den hohen, steilen Berg sich emporwindende natürliche Terrasse, spie plötzlich hinter Geröllschutt hervor Blitze und Kugeln.

Die Kerle, die sich dort eingenistet hatten, waren freilich auf Ziele, die sich bewegten, nicht eingeschossen, die Bischarin wieder hatten sich blitzschnell zu Boden gleiten lassen, ihre Tiere knieten auf einen Pfiff nieder, streckten sich lang und waren durch Geröll gleichfalls gedeckt. Wir unten im Tal hatten ebenso schnell die schützenden Felsblöcke erreicht, die nächste Kugelsaat zerspritzte an diesen Blöcken, und dennoch blieb unsere Lage vorläufig insofern recht unangenehm, als wir gegenüber den Feinden droben stark im Nachteil waren, ihr Schussfeld reichte über das ganze Tal hin, und jeder Versuch unsererseits, den Pass zu stürmen, musste uns Verluste einbringen.

Die Frau hatte sich an das Gestein gelehnt, ihre weißen Zähne nagten die Unterlippe, ihre harten Augen hatten etwas Geistesabwesendes. Ich betrachtete sie nun genauer. Sie musste einmal sehr schön gewesen sein – einmal, als sie noch vom Leben Glück und Liebe erhofft hatte.

„Ich bin Lady Jane Cordy“, sagte sie plötzlich. „Haben Sie von mir gehört?“

Diese Frage musste ich verneinen. „Ich heiße Unbekannt . . .“

Sie hob den Blick. Sie hatte eine eigentümliche Art, das Gesicht dessen, mit dem sie sprach, nur flüchtig zu streifen.

„Das ist sehr merkwürdig“, meinte sie und wandte den Kopf zu Gupa hin, der sich abseits niedergesetzt hatte.