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Wieder einmal sind die Detektive Harald Harst und Max Schraut, sein Biograf, im Einsatz und müssen erneut einen kniffligen Kriminalfall lösen. Walter Kabel gehörte in den Zwanziger Jahren zu einem der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller. In unserer Walter-Kabel-Edition bringen wir eine Mischung seiner Abenteuer– und Kriminalromane in zeitgemäßer Ausgabe, um das Interesse neu zu beleben. Insbesondere die Abenteuer von Max Schraut und Harald Harst lohnen die Wiederentdeckung!
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Seitenzahl: 57
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Walter Kabel
Die Schmuggler von Palermo
Walter-Kabel-Edition
Walter Kabel
Die Schmuggler von
Palermo
Edition Corsar D. u. Th. Ostwald Braunschweig
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Umschlag: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Durchgesehen, korrigiert und verantwortlich für den Inhalt:Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Der Luxuszug Messina–Palermo, der eigens für die zahlreichen Touristen zwischen diesen beiden Hafenstädten Siziliens verkehrt, war heute an einem der ersten Septembertage nur wenig besetzt. Die Fahrt nach Palermo bietet dem Fremden eine solche Fülle von Naturschönheiten, dass die Reisenden fast dauernd in den gleichzeitig als Speisesalons dienenden Aussichtswagen sitzen, deren Seitenwände eine fortlaufende Reihe von Fenstern sind. Die Bahnstrecke führt zumeist dicht am Meere vorbei und durchschneidet die zahlreichen, von Palmen-, Oliven- und Orangenbäumen bedeckten Berge in oft endlosen Tunneln.
In einem Abteil erster Klasse saßen zwei Herren, denen man auf den ersten Blick die Künstler ansah. Sowohl das reichlich lange Haar und die dunklen Bärte als auch die großkarierten Anzüge, die weichen Umlegekragen und die farbenfrohen, wehenden Schleifen ließen erkennen, dass die beiden aus ihrem Beruf kein Geheimnis machen wollten. Während der größere, ein sehr schlanker Mann, vor den Augen eine Hornbrille mit runden, leicht bläulichen Gläsern trug, schaute der kleinere, etwas Korpulente sich die Welt durch einen Hornkneifer an. Ihre tief gebräunten Gesichter verrieten, dass sie sich viel in der sengenden Sonne irgendwo an der See zuletzt aufgehalten haben mussten. Sie waren von Messina an allein in ihrem Abteil geblieben, und der Größere von ihnen hatte dies schon bei der Abfahrt in Messina durch ein dem Schaffner gespendetes sehr reichliches Trinkgeld durchzusetzen gewusst. Sie sprachen jenes Elsässer Deutsch, das so sehr mit französischen Ausdrücken behaftet ist, dass ein Uneingeweihter es leicht für reines Französisch hält. Ein Eingeweihter freilich, ein geborener Elsässer, hätte sehr bald gemerkt, dass dieser Sprachenmischmasch der beiden niemals echt war.
Wenn die beiden aber, wie jetzt wieder, eng nebeneinander saßen und die Köpfe zusammensteckten, dann gebrauchten sie das reinste Hochdeutsch und bewiesen so, dass ihr Elsässertum wohl nur zur Täuschung anderer dienen sollte. Der Zug hatte Villabate, die letzte Hauptstation vor Palermo, verlassen. Soeben war wieder ein Herr mit gelbbraunem Sizilianergesicht und schwarzem Spitzbart draußen im Gange langsam an dem Abteil der beiden Maler vorübergeschlendert. Und da hatte der Größere dem Freunde zugeflüstert:
„Lieber Schraut, der Mann bummelt jetzt zum dritten Mal draußen vorbei. Mir behagt das nicht. Wenn’s ein Spion Warbattys ist, so fängt die Geschichte hier recht unangenehm an, denn der Kerl schenkt uns eben eine sehr auffällige Beachtung, wenn er auch den Harmlosen zu spielen sucht. Wir hätten doch vielleicht besser getan, jeder allein zu reisen. – Nun – ich werde mir sehr bald Aufschluss über diesen Herrn verschaffen.“
Der, der so zu seinem Privatsekretär und Freunde gesprochen, war niemand anders als Harald Harst, jener in kurzem weit über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt gewordene Liebhaberdetektiv, der durch die Aufdeckung von zwölf überaus schwierigen Kriminalfällen eine Millionenwette gewonnen und nun den Kampf gegen den gefährlichsten, schlauesten und rücksichtslosesten aller internationalen Gauner, den fast sagenhaften Cecil Warbatty, aufnehmen wollte, – sagenhaft insofern, als noch niemand dieses Mannes wahres Gesicht geschaut hatte, der sich stets in tadellos gelungenen Verkleidungen bewegte und vielgestaltiger als der beste Schauspieler war.
Harst erhob sich, sagte zu seinem Gefährten, zu mir, der ja schon die früheren Abenteuer seines Brotherrn und Gönners in Form von Erzählungen veröffentlicht hat: „Ich bin sofort wieder da. Der Gelbbraune draußen reizt mich.“
Er betrat den Gang. Der ihm so verdächtig erscheinende Herr stand am dritten Fenster und betrachtete angelegentlich die von der Sonnenglut völlig ausgedörrten, weiten Felder einer Ebene, durch die der Zug gerade hindurchbrauste. In Sizilien wird ja das Getreide im Winter gesät und im Frühjahr geerntet. Die große, fruchtbare Insel kennt keine kalte Jahreszeit. Sie ist in Wahrheit der Übergang zu den Ländern des Orients, zu dem alten Kulturlande Palästina und der Märchenwelt Ägyptens mit seinen Pyramiden und dem Riesensteinbilde der Sphinx, diesem verkörperten Geheimnis längst entschwundener Zeiten.
Harst schritt gemächlich an dem Fremden vorüber, griff in die Brusttasche, holte seine Zigarettendose hervor und ließ dabei absichtlich einen Brief zur Erde flattern, schien dies aber nicht zu bemerken und ging weiter, nachdem er die Zigarette angezündet hatte. In dem nächsten Wagen angelangt, stellte er sich so auf, dass er in dem in die Tür des Waschraumes eingelassenen großen Spiegel den Gelbbraunen genau beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Und – der Mann schaute sich jetzt wirklich scheu um, schoss dann wie ein Habicht auf eine Beute auf den grauen Geschäftsumschlag zu, raffte ihn auf und schob ihn blitzschnell in die Tasche seines nur für flüchtige Blicke noch elegant wirkenden Rockes. Dann schlenderte er nach der anderen Seite zu davon, blickte sich nochmals ängstlich um und betrat schnell das letzte leere Abteil des Wagens, griff wieder nach dem Briefe und zog aus dem Umschlag einen zusammengefalteten Bogen und fünf Hundertlirescheine heraus. Seine Augen leuchteten auf. Ebenso blitzschnell wie er vorhin den Briefumschlag an sich genommen, verbarg er nun die Banknoten in seinem Strohhut unter dem Schweißleder, knüllte Umschlag und Briefbogen zusammen und wollte sie unter die Polstersitze werfen.
Wollte! Er kam nicht dazu. Harst war ihm lautlos und eiligst nachgeschlichen, hatte, da der Mann sich mit dem Rücken nach der Glastür gestellt hatte, ihn unbemerkt abermals beobachtet und sagte nun höflich in etwas dürftigem Italienisch:
„Signore, Sie scheinen den Brief, den ich soeben verloren habe, gefunden zu haben.“
Der Sizilianer schnellte herum, wurde bleich, stotterte ebenso angstvoll wie verlegen: „Oh, ich glaubte, jemand hätte das Schreiben als wertlos weggeworfen. Daher wollte ich –“
Harst unterbrach ihn lächelnd. „Wertlos? In dem Umschlag befanden sich fünf Banknoten, die ich in Messina auf dem Bahnhof aus Bequemlichkeit nicht in meine Brieftasche gesteckt hatte.“
Dem Sizilianer schoss jetzt die helle Röte ins Gesicht. Seine Mienen zeigten den Ausdruck eines kurzen inneren Kampfes zwischen Gut und Böse. Dann senkte er den Kopf, erklärte leise und mit flehender Stimme: „Signore, Sie sind fraglos ein Ausländer. Sie werden reich sein, und deshalb bitte ich Sie, einen armen Teufel wie mich nicht etwa der Polizei zu übergeben. Ich habe die Banknoten behalten wollen. Ich räume das ohne weiteres ein. Aber – mir geht es schlecht, jämmerlich schlecht.“ Er blickte auf und Harst ehrlich an.
Harst, dieser vorzügliche Menschenkenner, merkte, dass der mit so fadenscheiniger Eleganz Gekleidete nicht log und kein gewöhnlicher Spitzbube war. Dieser Mann hatte fraglos einst bessere Tage gesehen. – Daher erwiderte er auch sofort liebenswürdig: „Seien Sie außer Sorge. Ich denke gar nicht daran, Ihnen Ungelegenheiten zu bereiten.“