1,99 €
Die beiden berühmten Detektive Harald Harst und Max Schraut haben sich verpflichtet, die Feinde Lord Wolpoores aufzuspüren und nach Möglichkeit auch das Verschwinden seiner Ehefrau und der beiden Söhne aufzudecken. Doch sie haben mächtige Gegner, die zur Sekte der Thugs gehören - Auch dieser Band aus der Reihe der Walter-Kabel-Edition in neuer und überarbeiteter Ausgabe lohnt das Wiederentdecken einer sehr erfolgreichen Serie und eines Autors, der viel mehr als nur Kriminalromane geschrieben hat!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 46
Walter Kabel
Die Siegellacktröpfchen
Walter-Kabel-Edition
Walter Kabel
Die Siegellacktröpfchen
Harald Harst
Kriminalroman
Edition Corsar D. u. Th. Ostwald
Braunschweig
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Umschlag: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Durchgesehen, korrigiert und verantwortlich für den Inhalt:Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Wir saßen auf dem Balkon, der zu unserem Wohnsalon im Hotel de Paris in Pondicherry gehörte. Harald Harst hatte mir soeben die Teetasse erneut gefüllt und sagte nun, indem er auf die im Sonnenlicht glitzernde, endlose Wasserfläche des Meerbusens von Bengalen deutete, wie der zwischen den Halbinseln Vorder- und Hinterindien liegende Teil des Indischen Ozeans genannt wird:
„Bedauerst Du noch, lieber Schraut, bereits um ½ 7 Uhr Dein Bett verlassen zu haben? Ist dieser Morgen nicht herrlich? Man sollte in den Tropen eigentlich stets mit Sonnenaufgang den Tag beginnen.“
Wer Harst so kennt wie ich, der merkt jedoch auch, dass in diesen Lobpreisungen ein gewisses Zuviel war, genau wie bei den Handbewegungen, die seine Worte begleiteten.
Ich muss noch erwähnen, dass das Hotel de Paris nur durch die Strandpromenade mit ihren schmalen gärtnerischen Anlagen vom Meer getrennt ist und dass die Hotelterrasse unter unserem Balkon sich bis dicht an die Promenade heranzog. Durch das Milchglasdach der Terrasse waren die Stämme mehrerer Fächerpalmen hindurchgeleitet, so dass die Palmenkronen den hässlichen Anblick des von Eisenschienen in kleine Quadrate geteilten Terrassendaches einigermaßen verhüllten.
Harst deklamierte jetzt mit überlauter Stimme einen englischen Vers aus Miltons Verlorenem Paradies1, ließ plötzlich die Stimme sinken und fügte, noch immer im Versmaß des Vorausgegangenen, auf Deutsch hinzu:
„In der dritten Palmenkrone rechts, halb verborgen, hinterm Stamme, hockt ein kleiner brauner Bengel, den ich fangen möchte.“
Er stand auf und verließ den Balkon. Ich tat weiter ganz harmlos, griff nach einer Zeitung, schaute scheinbar hinein und äugte dabei unauffällig nach der Palmenkrone hin. Aber ich entdeckte nichts. Ich erhob mich, langte nach Harsts Krimstecher, der auf dem Tisch lag, richtete ihn tief unten auf die Promenade, so dass ich jetzt auch die Palmenkrone im Sehfeld des Glases hatte. Doch auch so bemerkte ich nichts von einem braunen Burschen. Ich gab nun das Versteckspiel auf, beugte mich weit über das Balkongeländer und suchte mit bloßem Auge diesen kleinen Bengel zu erspähen, in dem Harald doch fraglos einen Spion oder dergleichen witterte.
Leute wie wir müssen ja stets argwöhnisch und auf ihrer Hut sein. Dieses ewig wache Misstrauen wird einem bald zur zweiten Natur, wenn man wie wir nun bereits seit zwei Jahren fast ununterbrochen den Kampf gegen Verbrecher, Schwindler, Hochstapler und ähnliche fragwürdige Ehrenmänner als Lebenszweck erwählt hat.
Zurzeit allerdings war es mir ganz unbegreiflich, wer für uns ein so starkes Interesse haben könnte, dass er sogar einen Spion in Gestalt eines indischen Knaben dort in jene Palmenkrone geschickt haben sollte.
Während ich mir dies noch überlegte, sah ich, dass vom Vorplatze des Hotels eine Leiter an das Glasdach gestützt wurde. Gleichzeitig öffnete sich eine der Luftscheiben des Daches und einer der eingeborenen Kellner in blendend weißem Anzug kletterte auf das Dach, während ein zweiter auf der Leiter sichtbar wurde.
Da – jetzt endlich regte sich etwas in der Palme. Aus den grüngelben Blättern der Krone löste sich eine winzige, in einen enganschließenden, ebenfalls grüngelben Zeugfetzen gehüllte Gestalt los und lief mit affenartiger Gewandtheit auf den Nebenbalkon zu, der wie der unsrige etwa anderthalb Meter über dem Glasdach lag.
Ich will nicht allzu eingehend hier schildern, was alles von Harst, mir und den Hotelbedienten angestellt wurde, um des Jungen habhaft zu werden. Eine volle Stunde war das ganze Hotel des braunen Bengels wegen in Aufregung.
Schließlich musste die Jagd als zwecklos eingestellt werden. Harst gab den Hotelbedienten Trinkgelder und kehrte in unseren Wohnsalon zurück. Ich war dicht hinter ihm, drückte nun die Tür ins Schloss und wollte gerade fragen, weshalb ihm der kleine Bursche denn so wichtig erschienen sei, um ein ganzes Hotel seinetwegen zu alarmieren, als er mich sanft beiseiteschob, die Tür von innen verschloss und mir zuraunte:
„Tu’ dasselbe mit der unseres Schlafzimmers und zieh’ den Schlüssel ab.“
Unser Schlafzimmer hatte ebenfalls zwei Fenster und ging gleichfalls nach vorn hinaus. Als ich die Tür versperrt hatte, winkte Harst mir schweigend zu. Er stand in der Verbindungstür der beiden Räume und deutete nun auf den größten unserer Koffer, in dem wir unsere Anzüge einzupacken pflegten, die jetzt aber im Kleiderschrank hingen. Der Koffer war leer und stand auf einem Gestell neben dem Waschtisch.
Oben auf dem Koffer lagen eine Kleiderbürste und einer von Harsts weichen Kragen.
„Sehr geschickt gemacht“, flüsterte Harst und behielt den Koffer dauernd im Auge. „Als wir auch unsere Zimmer vorhin durchsuchten, wollte der eine Kellner den Koffer da öffnen. Du meintest aber, wenn der Junge dort hineingekrochen wäre, könnten wohl kaum Bürste und Kragen oben auf dem Deckel liegen, was dem Kellner einleuchtete und was – doch ein Irrtum war. Der braune, kleine Bursche steckt nämlich trotz Bürste und Kragen darin! Er hat beide Gegenstände sehr gewandt wieder auf den Deckel gelegt, nachdem er diesen dreiviertel zugeklappt hatte. Bitte – woran erkennt man, dass der Koffer nicht leer ist?“
Derartige Fragen sollte Harst sich getrost sparen. In den seltensten Fällen wird sie ihm jemand beantworten können. Ich schwieg, worauf er erklärte:
„Nun, lieber Alter, das Koffergestell hat oben zwei Gurte, auf denen der Koffer ruht. Würde ein leerer Koffer diese Gurte so straff spannen, wie es dort der Fall ist?“
Dann schritt er auf den Koffer zu und schlug mit kurzem Ruck den Deckel hoch.