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Walter Kabel schrieb zahlreiche Abenteuerromane, die zumeist in Heftromanform erschienen. Noch heute bekannt ist seine Reihe "Erlebnisse einsamer Menschen". Die vorliegende Erzählung erinnert allerdings stark an die Abenteuer des Duos Rolf Torring uind Hans warren, die wohl eine der erfolgreichsten Heftromanserien vor dem 2. Weltkrieg, aber auch noch danach, waren. Unsere Walter-Kabel-Edition soll helfen, seine Werke neu zu entdecken.
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Seitenzahl: 58
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Walter Kabel
Die Pirateninsel
Walter Kabel-Edition
Walter Kabel
Die Pirateninsel
Erlebnisse einsamer Menschen
Edition Corsar D. u. Th. Ostwald
Braunschweig
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Umschlag: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald Durchgesehen, korrigiert und verantwortlich für den Inhalt: Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17 38108 Braunschweig
„Ich kann mir nicht mehr helfen, Landsmann: so ganz geheuer kommt es mir hier an Bord des „Indus“ nicht vor, und zwar seit gestern, wo den chinesischen Kulis im Vorschiff ihr bronzenes, uraltes Götzenbild verschwunden ist, das sie seiner Zeit mit nach Australien geschleppt hatten und jetzt nach Beendigung ihres Kontraktes als Farmarbeiter wieder mit in die Heimat nehmen wollten, um es dort in dem Tempel am Ufer des Hsi-kiang wiederaufzustellen. Die Kulis stammen ja sämtlich aus demselben Dorfe der Provinz Kanton. Ich habe den Engländer Bellerley stark in Verdacht, dass er die Buddastatue gestohlen hat. Aus seiner Vorliebe für exotische Altertümer macht er kein Hehl, und man weiß ja, wohin eine leidenschaftliche Sammelwut führen kann. Jedenfalls ist diese Geschichte für uns Passagiere sehr unangenehm. Die Chinesen schwärmen wie ein aufgeregter Bienenschwarm umher, und ihre Gesichter besagen nichts Gutes. Ich kenne diese Gelben nur zu gut: verletzt man ihre religiösen Gefühle irgendwie, so muss man mit irgend einer aus Rachsucht ausgebrüteten Teufelei rechnen. Unter diesen Umständen ist es auch ein schwer Fehler von unserem Kapitän, dass er sich so gar keine Mühe gibt, das Götzenbild wieder herbeizuschaffen, und ein noch schwererer, die gelbe Gesellschaft mit Spott und Hohn zu behandeln, anstatt die Angelegenheit billigerweise streng zu untersuchen. Wir dürfen nicht übersehen, dass wir gegen dreißig Kulis an Bord haben, denen nur insgesamt achtzehn Europäer gegenüberstehen, die Schiffsbesatzung und sechs Passagiere. Es dürfte daher ratsam sein, die Augen recht gut offenzuhalten. Besser ist besser …!“
„Sie übertreiben wohl etwas, lieber Herling“, meinte Doktor Möller zerstreut, da von ihm als Naturforscher die Scharen von fliegenden Fischen, die soeben neben dem Dampfer aufgetaucht waren, weit mehr beachtet wurden als des Ingenieurs von scharfer Beobachtungsgabe zeugende Ausführungen. „Freilich, Sie kennen die Verhältnisse hier in Ostasien besser als ich, der kaum ein paar Monate zu Studienzwecken auf Staatskosten diese Hälfte unserer Erdkugel besuchen durfte“, fügte er dann hinzu, ohne jedoch seine Blicke von den seltsamen Wasserbewohnern losreißen zu können, die immer wieder in weitem, oft zwanzig Meter betragendem flugähnlichen Sprunge über die Oberfläche des Meeres hinwegschossen.
Die beiden Deutschen – die übrigen Europäer an Bord des „Indus“ gehörten sämtlich anderen Nationen an – saßen in ihren bequemen Liegestühlen dicht an der Reling im Schatten der Kommandobrücke. Der noch ziemlich neue, eiserne Frachtdampfer war vor einer Woche aus dem kleinen Hafen von Port Hedland in Nordwestaustralien abgefahren und wollte zunächst seine aus Schafwolle bestehende Ladung nach Kolombo auf Ceylon bringen. Bis dorthin hatten auch Herling und Doktor Möller die Passage bezahlt. Sie waren zufällig in Port Hedland miteinander bekannt geworden und hatten dann beschlossen, gemeinsam die Heimreise nach Europa zurückzulegen, da beider Aufgaben hier erledigt waren.
Mit dem Rücken nach dem Eingang zu den Passagierkabinen sitzend, hatten sie nicht bemerkt, dass ein dicker, in ein reichgesticktes seidenes Nationalgewand gekleideter Chinese bereits mit den ersten Worten seiner von einer gewissen Besorgnis erfüllten Ausführungen über den an Bord vorgekommenen Diebstahl begonnen hatte. Kung-Fo, ein reicher Perlenhändler aus Kolombo, war in Port Hedland noch in letzter Minute mit zwei großen Koffern und drei Dienern auf dem Dampfer erschienen, hatte die teuerste Kabine belegt und ruhig den unverschämten Preis bezahlt, den der geschäftstüchtige Kapitän, ein geborener Amerikaner und daher ein Verächter aller Farbigen, dafür verlangte.
Jetzt trat Kung-Fo ein paar Schritte zurück, stieß absichtlich mit dem Fuß gegen einen leeren Schiffsstuhl und redete dann die beiden Deutschen, deren Köpfe unwillkürlich herumgefahren waren, in tadellosem Englisch an.
„Ich bitte sehr um Verzeihung, wenn ich die Herren erschreckt habe“, sagte er bescheiden, sein speckig glänzendes Vollmondgesicht in unterwürfige Falten legend.
Herling, der sich ebenso wie Möller schon häufiger mit dem weitgereisten und gebildeten Chinesen unterhalten hatte, ließ sich auch jetzt in ein Gespräch mit ihm ein, in dessen Verlauf der Ingenieur sehr geschickt den Diebstahl des Götzenbildes berührte und Kung-Fo schließlich fragte, ob dieser nicht auch der Ansicht sei, dass es leicht zu Unruhen unter den Kulis kommen könne, falls der Kapitän nicht seine Pflicht tue und die Sache streng untersuche.
Der reiche Kaufmann, an dessen wohlgepflegten Händen eine ganze Anzahl kostbarer Brillantringe glänzte, schüttelte jedoch lächelnd den Kopf.
„Sie brauchen nichts zu fürchten, meine Herren, wirklich nicht!“, meinte er eifrig. „Ich komme soeben vom Vorderdeck, wo ich meine Landsleute nach Möglichkeit beruhigt habe. Nein – seien Sie ganz unbesorgt, für Sie besteht keinerlei Gefahr.“
Dem hellhörigen Ingenieur entging es nicht, dass der Chinese immer nur betonte, dass gerade sie, die beiden Deutschen, keine Ursache zur Besorgnis hätten. Weit unverfänglicher wäre es gewesen, wenn Kung-Fo sich allgemeiner ausgedrückt und von den ganzen Schiffsinsassen gesprochen haben würde. Trotzdem aber hütete Herling sich, hierüber irgendeine Äußerung zu machen.
Eine Stunde später war die Sonne unter dem Horizont verschwunden. Und gleich darauf meldete der Schiffsjunge, dass die Abendmahlzeit in dem kleinen Speisesaal angerichtet sei.
Der Chinese hatte seinen Platz an der Tafel neben Doktor Möller, der wieder links von dem Ingenieur saß. Ihnen gegenüber rekelte sich auch heute wieder Thomas Bellerley, der Altertumsliebhaber, in echt britischer selbstherrlicher Nachlässigkeit auf seinem Stuhl und machte seine Witze über die Kulis, die dem verschwundenen Buddabildnisse nachtrauerten „wie räudige Köter einem fetten Knochen, der ihnen ins Wasser gefallen ist“. Seinen ebenso rohen wie geistlosen Bemerkungen pflichtete der Kapitän stets mit dröhnendem Lachen bei, indem er des öfteren betonte, es tue ihm schon sehr leid, dass er diese dreckige Kulibande überhaupt an Bord genommen habe.
Kung-Fo tat auch jetzt so, als ob er diese Schmähungen seiner Landsleute gar nicht höre, unterhielt sich lebhaft mit Doktor Möller und warf nur zuweilen einen schnellen Blick zu Bellerley hinüber, der ihn völlig als Luft behandelte. –
Es war gegen elf Uhr abends. Die beiden Deutschen, die eine gemeinsame Kabine bewohnten, wollten gerade ihre schmalen Kojenbetten aufsuchen, als leise an die Tür geklopft wurde. Auf Herlings Frage, was denn los sei, meldete sich der reiche Chinese, bat um Einlass und schlüpfte dann schnell in den kleinen Raum, sorgfältig die Tür hinter sich zuziehend.
„Entschuldigen Sie diese späte Störung“, begann er sofort in vorsichtigem Flüsterton. „Ich komme jedoch, um Sie zu warnen, meine Herren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kulis in dieser Nacht versuchen werden, mit Gewalt in Master Bellerleys Kabine einzudringen, den sie für den Dieb der Buddastatue halten. Besitzen Sie eigentlich Schusswaffen? So, also zwei Revolver. Dann würde ich Ihnen raten, diese zur Hand zu nehmen. Man kann nicht wissen, ob es nicht zum Kampf kommt. Meine Landsleute befinden sich in einer Wut, die das Schlimmste befürchten lässt. Leider habe ich mich in ihnen getäuscht. Meine Beschwichtigungsversuche waren doch umsonst.“