Ein Jahr unter Gauklern - Uwe Goeritz - E-Book

Ein Jahr unter Gauklern E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

"Ein Jahr unter Gauklern" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Gaukler! Im Mittelalter waren sie diejenigen, die Unterhaltung und Spaß in die Dörfer und Städte brachten. Sie waren frei und gehörten nur sich selbst, aber sie waren oft auch vogelfrei. Jeder konnte ungestraft mit ihnen machen, was er wollte. Von keinem Herrn geschützt lebten sie gefährlich. Der Not gehorchend schließt sich die sechzehnjährige Magd Ebba einer dieser Gauklergruppen an. Sie lernt das freie Leben kennen und erlebt abenteuerliches, aufregendes und findet die Liebe. Zu Unrecht des Mordes verdächtigt, muss sie fliehen und versteckt sich. Kann sie dem Schwert des Scharfrichters entgehen? Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Inhaltsverzeichnis

Ein Jahr unter Gauklern

Drachendolch

Staubige Pfade

Mägdepflichten?

Kommt Zeit, kommt Rad!

Bruderliebe

Flötentöne in der Nacht

Erste Schritte

Fünf Freunde

Gottloses Gesindel?

Sternendach

Neue Erkenntnisse

Zwei Männer

Sodom und Gomorrha

Unglück oder Glück

Schmerzhaft verdientes Geld

Vertraute Nähe

Gefühle der Liebe

Engelsflügel

Wege über das Land

Dunkle Wolken

Ein Schwan unter Tauben

Todesstunden

Römische Gedanken

Seillaufen oder sterben

Ein Hosenteufel

Am Ziel aller Wünsche?

Erlöst?!

Zwei Teile derselben Seele

Mühlenburschen

Frauengespräche

Schmaler Grat

Gebrochenes Herz

Stumme Blicke

Einsamkeit

Am Ende?

Das Unglück des Einen...

Gerechte Strafe?

Ein tragisches Ende

Mein ist die Rache

Tod oder Lebendig?

Leichendiebe und Leichenhändler

Totenwege

Südwärts, so weit die Füße tragen

Handlanger des Medicus?

Dankbarkeit?

Zukunftsängste

Ein Werkzeug der Vorsehung?

Neue Freunde

Vaterfrage

Drei Frauen

Ein treuer Knecht

Am Ende der Geduld

Mann und Frau

Sommerwind

Hölle auf Erden?

Vertraute Klänge

Apfelbissen

Ein schlauer Plan?

Eine verhängnisvolle Bitte

Schuldig!

Was man nicht selbst macht!

Schwere Geburt

Freie Liebe

Ertappt!

Fürstliche Wege

Mord und Totschlag?

Zweifel

Pfade der Gaukler

Paartanz

Eine heiße Nacht

Gute Freunde

Nach Italien!

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Ein Jahr unter Gauklern

G aukler! Im Mittelalter waren sie diejenigen, die Unterhaltung und Spaß in die Dörfer und Städte brachten. Sie waren frei und gehörten nur sich selbst, aber sie waren oft auch vogelfrei. Jeder konnte ungestraft mit ihnen machen, was er wollte. Von keinem Herrn geschützt, lebten sie gefährlich.

Der Not gehorchend schließt sich die sechzehnjährige Magd Ebba einer dieser Gauklergruppen an. Sie lernt das freie Leben kennen und erlebt abenteuerliches, aufregendes und findet die Liebe. Zu Unrecht des Mordes verdächtigt, muss sie fliehen und versteckt sich. Kann sie dem Schwert des Scharfrichters entgehen?

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Drachendolch

D ie ersten Strahlen einer frühsommerlichen Sonne schoben sich über das Waldstück und tauchten die Dächer der strohgedeckten Hütten in ein helles Rot. Diese Dächer gehörten zu einem kleinen Dorf, das sich mitten in Sachsen befand, mit etwa einem Dutzend Katen nebst ein paar dazugehörenden Ställen sowie Scheunen. Es war auch nicht so weit, bis zur Elbe, die als breiter Strom durch das Land floss und die durch die Kühle der Nacht einen Morgennebel in die wärmenden Strahlen sendete.

Und diese Sonnenstrahlen weckten einen verschlafenen Hahn, der daraufhin heißer krähte. Das Krächzen des Vogels riss wiederum ein Mädchen aus dem Schlaf, das nur wenige Schritte entfernt in einer der Scheunen geschlafen hatte. Ebba, die Tochter einer Magd, erhob sich von ihrem Lager, gähnte und rieb sich müde die Augen. „Los jetzt, du Faulpelz!“, rief die Mutter und Ebba zuckte herum. „Faulpelz?“, fragte sie erschrocken, dann bemerkte sie, dass die Mutter sie anlächelte. „Alles Gute zum Geburtstag!“, sagte die Mutter und umarmte die Tochter. Jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie an diesem Tag sechzehn Jahre alt wurde. „Danke dir“, entgegnete sie und die Mutter überreichte ihr einen Dolch. „Meiner?“, fragte das Mädchen und die Mutter nickte. „Du bist doch jetzt eine Frau!“, erklärte sie.

Ebba griff zu, zog den Dolch aus der Scheide und betrachtete die Waffe. Sie war sehr schön. Die Klinge war so lang, wie zwei ihrer Hände und den Griff schmückte das Abbild eines Drachen. Voller Freude wollte Ebba die Mutter umarmen, doch diese zuckte zurück. „Steck erst die Waffe zurück!“, forderte sie die Mutter auf und das Mädchen nickte verstehend. Sie schob den kostbaren Dolch zurück in die Hülle, legte diese zur Seite und nun erst ließ sich die Mutter umarmen. „Danke dir!“, sagte Ebba und die Mutter erhob sich. „Und nun flink!“, sagte sie, denn zu lange hatten sie schon getrödelt.

Die Mutter arbeitete bei einem Bauern und die Tochter half ihr. Ihren Vater hatte Ebba nie kennengelernt. Er war ein Knecht gewesen, der vor ihrer Geburt ums Leben gekommen war. Die Mutter hatte ihn sehr geliebt und Ebba viel von ihm erzählt. Doch nun wartete die Arbeit auf sie. Schnell hatte sich Ebba an der Viehtränke gewaschen, das Kleid übergeworfen und den Gürtel angelegt. Der ungewohnte Dolch drückte auf ihre Hüfte und es würde sicher eine Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt haben würde.

Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie, wie der Bauer aus dem anderen Haus trat und zu ihr herübersah. Im Sommer lebten Ebba und ihre Mutter in der Scheune, nur im Winter durften sie in das Haus. Auch die Knechte wohnten manchmal in der zugigen Scheune, aber nur zur Ernte und soweit war es noch nicht. Der Blick des alten Mannes trieb Ebba in den Stall, wo sie die Kühe melken sollten. Die Mutter hatte schon einen halben Holzeimer Vorsprung und nun beeilte sich auch Ebba. Sie griff sich den zweiten Eimer, hockte sich vor die nächste Kuh und strich dem Tier über das Euter, dann ließ sie die Milch in den Eimer spritzen.

Es sollte wieder mal dieser leckere Käse gemacht werden, den Ebba so liebte. Die Vorfreude trieb ihr schon das Wasser in den Mund. Flink ging ihr die Arbeit von der Hand und eine Kuh nach der anderen konnte aus dem Stall. Die Bäuerin holte die Tiere an der Stalltür ab und brachte sie zur Weide hinüber, die vom Feld durch einen Bretterzaum abgetrennt war. Nicht auszudenken, was wohl passieren würde, wenn die Kühe in das fast reife Korn laufen würden.

Schließlich waren die acht Kühe gemolken. Der Bauer war durch seine Tiere einer der reichsten der Umgebung. Trotzdem hatte er nur Ebba und ihre Mutter als Arbeitskräfte auf dem Hof. Von ihm und seiner Frau mal abgesehen. Vermutlich war er deshalb so reich.

Auch das Feld war größer als die Felder der anderen Bauern. Dreimal so groß, wie manche andere. Noch immer spürte Ebba es im Rücken, wenn sie an die Arbeit des Frühjahres zurückdachte. Zwar hatte der Bauer den Pflug geführt, aber Ebba hatte die beiden Ochsen führen müssen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang waren sie über den Acker gezogen. Abends war sie meist zurück in die Scheune gestolpert, aber es hatte sich gelohnt. Nur noch ein oder zwei Wochen und die Ernte würde beginnen können.

Das Mädchen stand an der Stalltür und sah zu dem wogenden Getreide hinüber. Wie die Wellen im Fluss sah das aus. „Mach hin du Faulpelz!“, rief der Bauer und an seinem Gesicht sah das Mädchen, dass der Mann es ernst meinte. Nur wer arbeitete, der durfte bei ihm auch essen und schon oft war sie hungrig auf ihren Strohsack gefallen, bloß weil der Mann der Meinung gewesen war, dass sie nicht hart genug gearbeitet hatte. Schnell griff sie sich die Mistgabel und verschwand wieder im Stall.

Tägliche harte Arbeit folgte. Eine Stunde später war der Mist im Hof und neues Stroh im Stall. Gerade als sie die Mistgabel an die Stallwand stellte, da hörte Ebba einen lauten Knall vom Feld. Erschrocken fuhr sie herum und sah, wie eine der Kühe den Zaum zersplittert hatte. Zum Überlegen war keine Zeit! „Schnell! Die Kühe!“, schrie sie und alle liefen zum Feld hinüber. Die erste Kuh war schon durch die Lücke hindurch und trampelte durch das Korn. Sie fraß es nicht, sie trat es nur in Panik platt. Was hatte die Kühe so erschreckt, dass sie durch den Zaun gebrochen waren? Zuerst mussten die anderen daran gehindert werden, durch die Lücke in das Getreide zu laufen.

Mit ausgebreiteten Armen stellte sich Ebba den verbliebenen sieben Tieren entgegen, aber so richtig wohl war ihr dabei nicht. Schließlich waren die Tiere viel schwerer als sie und spitze Hörner hatten sie auch noch. Das Mädchen schrie die Tiere an und die Kühe wendeten. Nun stand sie in der Lücke und die anderen drei versuchten die Ausreißerin einzufangen.

Ebba konnte nur über ihre Schulter sehen, wie der Bauer versuchte, den Schaden im Feld zu begrenzen. Die Kuh rannte hin und her. Jeder Schritt des Tieres ließ den Bauern brüllen und das machte das schwere Tier nur noch nervöser. Dann forderten die sieben Tiere vor Ebba wieder ihre Aufmerksamkeit. Sie musste die Tiere im Auge behalten und hörte das Gebrüll hinter sich. Trotzdem musste sie auch immer wieder nach hinten, über ihre Schulter, sehen, weil sie ja der achten Kuh im Wege stehen würde, wenn diese zurück zu den anderen wollte.

Praktisch stand die sechzehnjährige mit ausgebreiteten Armen zwischen den Hörnern der Tiere. Hinter ihr schrie die Mutter auf, Ebba sprang zur Seite und das Tier sauste an dem Mädchen vorbei.

Schnell brachte der Bauer ein Brett und nagelte den Durchbruch zu. Ebba hielt das Brett fest, dann drehte sie sich um und rief „Danke Mutter!“ Ihre Augen suchten die Frau, konnten sie aber nirgendwo ausmachen. Nur die Bäuerin lief durch das Feld. „Mutter?“, rief Ebba, erhielt aber keine Antwort. „Mutter!“, schrie sie nun viel lauter, weil offensichtlich etwas passiert sein musste.

Ebba rannte los und lief über das niedergetrampelte Feld. Nach einem Dutzend Schritten sah sie die Mutter im Getreide liegen, aber sie rührte sich nicht mehr. Die Frau lag einfach auf dem Bauch, vielleicht war sie gestolpert. Das Mädchen kniete sich daneben und drehte die Mutter um. Doch auch daraufhin rührte sich die Frau nicht. Ebba sah einen sich schnell vergrößernden roten Fleck auf der Brust der Mutter. „Was ist?“, fragte sie entsetzt, aber erhielt auch weiterhin keine Antwort. „Mutter! Nein!“, brüllte sie und warf sich über die sterbende Frau. Die Kuh hatte die Mutter mit dem Horn getroffen und dabei tödlich verletzt.

Weinend lag sie über dem Körper, bis der Bauer sie an der Schulter nach oben zog. Dann ergriff der Mann die Arme der toten Frau, schleifte sie vom Feld und zog sie vor die Hütte auf den Hof. Dort legte er sie ab und schickte seine Frau zum Pfarrer. Das Mädchen taumelte ihm hinterher, kniete sich zu ihrer Mutter und ließ ihre Tränen laufen.

Dort hockte sie auch noch, als ein paar Männer den Leichnam holten und zum Friedhof brachten. Wie im Schlaf wankte sie hinter den Männern her und schließlich hatte sie keine Tränen mehr. Nachdem das Grab geschlossen war, fragte sie der Bauer „Willst du jetzt meine Magd sein?“ Wo sollte sie hin? Sie nickte und ging zurück zum Hof. Nun war sie erwachsen. Ihre Finger glitten über den Griff des Drachendolches. Er war die letzte Erinnerung an die Mutter. Alles, was von ihr blieb.

2. Kapitel

Staubige Pfade

B eide Beine fest auf das Brett gestemmt, zog Gustav am Zügel des müden Esels, doch das störrische Tier wollte einfach nicht mehr. Der junge Mann sprang vom Karren und ging nach vorn, dort nahm er das Ohr des Tieres und flüsterte hinein „Du bekommst auch später eine Möhre von mir!“ Das hatte bisher noch immer geklappt und auch diesmal verfehlten seine Worte nicht die gewünschte Wirkung. Das zottelige Grautier ruckte an und der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Jetzt hatte er bis zum Abend Zeit, sich zu überlegen, wo er die Möhre herbekam, denn der Esel war schlau. Er würde nicht zweimal auf denselben Trick hereinfallen.

Mit dem Zügel lief Gustav neben dem Tier her. Es war ziemlich warm und fast Sommer. Der junge Mann sah nach oben zu den Baumwipfeln des kleinen Wäldchens. Noch war Schatten und ein warmer Wind wehte ihm entgegen. Bald wären sie wieder in der prallen Sonne, deswegen lag seine Jacke auch auf dem Wagen. Nur im Unterhemd und Hose schritt er zügig dahin. Hinter sich hörte er eine der Frauen singen und drehte sich zu ihnen um. Die kleine Gruppe zog auf diesem staubigen Pfad schon den ganzen Tag dahin.

Er selbst war im vergangenen Winter achtzehn Jahre alt geworden und schon mehr wie sechs davon bei dieser Gruppe. „Fahrendes Volk“ sagten die anderen Menschen meist abfällig, wenn sie in eines der Dörfer kamen und trotzdem waren sie eigentlich gern gesehen. Die Gruppe bestand aus zwei Frauen und drei Männern.

Gustav rief über die Schulter „Karola, willst du nicht auf den Wagen?“ Die angesprochene Frau warf ihr Haar hinter sich und kam zu ihm nach vorn. Der Esel zog nicht so schnell, als dass man nicht während der Fahrt auf den Karren klettern konnte. Die Frau mit der schwarzen Mähne war keine fünf Jahre älter als er und setzte ihren Fuß in einen der seitlich angebrachten Bügel neben dem Wagenrad. Sie nickte ihm dankbar zu und schwang sich nach oben. Immer einer, oder eine, konnte oben sitzen und die Füße schonen, denn Schuhe hatte nur ihr Anführer an den Füßen.

Karola setzte sich auf den Bock des zweirädrigen Gespannes, das ihre ganze Habe trug. Aber es war nicht viel, was sie besaßen. Nur ein paar Dinge für ihre Auftritte, die sie bei Festen, Hochzeiten oder Feiern benötigten. Gerade jetzt, im Sommer, waren die meisten Feiern auf den Burgen, wo sie ein paar Münzen erhaschen konnten. Später würden dann, nach der Ernte, die Feste der Bauern kommen. Da gab es eher Naturalien.

Gustav sah zu der Frau zurück. Sie war die Schönste ihrer Gruppe und die Tänzerin bei den Auftritten. Konrad, ihr Anführer, war ein Riese und der Kräftigste. Er machte alle die Dinge, die mit viel Kraft zu tun hatten. So hatte er vor ein paar Tagen sogar eine Kuh auf die Schultern genommen. Hans war der Narr in ihrer Gemeinschaft. Die letzte in ihrem Bunde war Sieglinde. Die grauhaarige Frau spielte gerade die Drehleier und sang dazu.

Und er, Gustav, war der Flinke und Gewandte. Seine Spezialität war das Seillaufen, Artistik und das Jonglieren. Mit dem Zügel in der Hand ließ er sich ein Stück zurückfallen, bis er neben Karola lief. So konnten sie sich etwas unterhalten und der steinige Weg war mit einem Male nicht mehr ganz so beschwerlich.

Am Vortag waren sie in einem Dorf gewesen und nun befanden sie sich auf dem Weg zu einer Burg, denn nach einigen Gerüchten sollte dort in den nächsten Tagen eine Hochzeit stattfinden und wenn sie sich beeilten, so würden sie vielleicht vor einer anderen Gruppe dort ankommen. Diese Hochzeiten des Adels waren sehr beliebt beim fahrenden Volk und wer zuerst am Tor war, der konnte seine Talente unter Beweis stellen. Manches Mal gab es regelrechte Kämpfe um diese Auftritte, aber mit Konrad hatten sie bisher noch jede Auseinandersetzung zu ihren Gunsten verschieben können.

Wieder ging Gustavs Blick zu Karola hinauf. Die Frau wusste, dass sie schön war und das zeigte sie jedem, der sie ansah. Ihre Gesten und sogar ihre Haltung zeigten das mehr als deutlich. Aber für Gustav war mit ihr am Tage nicht mehr als Reden möglich, denn sie war Konrads Freundin und der gutmütige Riese hätte sicher kein Problem damit, ihm seine Meinung auf den Hintern zu schreiben.

Nur gegen bare Münze teilte er Karola mit anderen Männern. Hans kam nach vorn und neckte den Esel. Als dieser sich lautstark beschwerte, da rief Konrad von hinten „Lass das Hans! Sonst ziehst du den Karren!“ Der Narr drehte sich zu ihm zurück und drehte ihm eine Nase. Schon oft hatte sein vorlautes Mundwerk ihn in Schwierigkeiten gebracht und wenn er mit Konrad nicht solch einen guten Freund gehabt hätte, dann hätte schon so mancher Bauer ihm das Fell mit einem Knüppel gegerbt.

Sieglinde stimmte ein neues Lied an. Trotz ihres Alters hatte sie eine glockenhelle Stimme und sie war es, die diese Gemeinschaft zusammenhielt. Für Gustav war sie wie eine Großmutter und wusste alles über Kartenlegen, Kräuter und das Heilen.

So ungleich diese Gruppe auch war, so eng war ihr Zusammenhalt. Mitunter ging es etwas ruppig zu, aber dennoch immer herzlich.

Endlich lichtete sich vor ihnen der Wald und gab den Blick auf ein kleines Dorf frei. Hans zeigte nach vorn und rief nach hinten „Was meint ihr? Wollen wir dort für die Nacht lagern?“ Natürlich hatte keiner etwas gegen ein weiches Lager im Stroh einzuwenden. Die letzte Nacht auf dem harten Waldboden steckte ihnen noch allen in den Knochen.

Nach dem Wald wurde der Pfad noch staubiger und selbst der Esel musste husten. Nur Hans machte weiter seine Scherze. Lachend und hustend zogen sie zu der kleinen Gruppe von Häusern hinüber.

Wie immer kamen ihnen schon die kleinen Kinder entgegen gelaufen, denn der bunte Wagen war nicht zu übersehen und auch der im Wind wehende Rock von Karola zog Blicke auf sich, allerdings nicht die, der Kinder. Die waren bei Hans, der in seinem bunten Aufzug, Flöte spielend, vornweg tanzte.

Stehend, vom Wagen aus, grüßte Karola nach unten. Der Wind ließ ihre Haare hinter ihr her wehen und der gleiche Wind fuhr ihr immer wieder unter den Rock. So zeigte die Frau ganz unfreiwillig ihre makellosen Beine bis oben hin und selbst Gustav konnte seinen Blick kaum davon lösen. Dann passierte es. Er war zu unvorsichtig und übersah einen Stein am Wegesrand. Das Rad stieß dagegen und zerbrach. Offensichtlich war es schon etwas beschädigt gewesen.

Der Karren kippte zur Seite und schleuderte Karola im hohen Bogen zur Seite. Kopfüber plumpste die Frau in das Feld. Dort rappelte sie sich wieder hoch, lachte und kippte sofort mit einem Schrei zur Seite. Sieglinde warf die Leier auf den Wagen und eilte zu der anderen Frau. „Dein Bein ist gebrochen!“, sagte die alte Frau nach wenigen Augenblicken und legte Karola einen Ast an das Bein. Mit ein paar Schnüren band sie das Bein fest. Nun waren alle aus der Gruppe bei Karola. „Und nun?“, fragte die am Boden sitzende Frau.

Alle in der Gruppe sahen sich besorgt an. Eine Weile würde Karola sicher nicht tanzen können. „Wir werden hier eine längere Pause machen müssen!“, sagte Konrad und hob seine Freundin auf seine Arme.

3. Kapitel

Mägdepflichten?

D ie ganze Nacht hatte sich Ebba die Augen ausgeweint. Sie hatte immer wieder auf den anderen Strohsack sehen müssen, der nun ja leer war. Am Morgen zuvor hatte die Mutter noch dort geschlafen und nun war sie fort. Ebba war eine Waise geworden, doch zu ihrem Glück hatte sie die Anstellung als Magd erhalten, denn sonst hätte sie betteln müssen. Nun würde allerdings viel mehr Arbeit an ihr hängen bleiben, denn zwei Hände fehlten und es war sonst schon schwer genug gewesen.

Schließlich holte sie der Hahn aus einer durchwachten Nacht. Ein neuer Tag begann und damit hatte Ebba keine Zeit mehr zur Trauer und auch keine Zeit für viele Gedanken. Alles musste viel schneller gehen, aber die altvertrauten Handgriffe saßen schon lange tief in ihr. Von klein auf hatte sie der Mutter helfen müssen.

Als sie dann die Kühe wieder auf das Feld brachten, da sah Ebba auch diejenige, welche den Tod der Mutter verschuldet hatte, doch sie konnte dem Tier nicht böse sein. Es war nur ein komisches Gefühl, dem Horn so nah zu sein. Nie hatte die Mutter ihr gesagt, wie ihr Vater ums Leben gekommen war. Vielleicht so ähnlich? Das einzige, was sie von ihm noch hatte, war dessen Dolch, den die Mutter ihr am Vortag geschenkt hatte. Jahrelang hatte die Mutter diese Waffe wie einen Schatz gehütet und in mancher Nacht hatte Ebba sie weinen gehört. Nun strichen ihre Finger wieder über den Griff mit dem kleinen Drachen.

Eigentlich war diese Waffe für einen Knecht viel zu kostbar, aber wer wusste schon, wo ihr Vater den Dolch her hatte. Vielleicht hatte er einmal einem Ritter in der Not geholfen und diese Waffe zum Dank dafür erhalten.

Ebba lehnte zum Verschnaufen an dem Scheunentor, als der Bauer sie anfuhr „Mach endlich weiter. Die Arbeit tut sich nicht von alleine!“ Aus ihren Gedanken gerissen fuhr das Mädchen herum und eilte wieder in das dunkle Gebäude hinein. Die junge Frau arbeitete schwer und schnell. Der Schweiß lief ihr über die Stirn und es war auch noch drückend warm in der Scheune. „Nur Raus hier!“, dachte sie immer wieder und arbeitete noch schneller, als es nötig gewesen wäre. Dabei wurde ihr von der Hitze sogar schwindelig.

Nachdem sie das Stroh auf den Hof geschafft hatte, lief sie schnell zur Viehtränke, um ein paar Schlucke Wasser zu trinken und sich das lauwarme Nass über den Kopf zu gießen. Ein paar Augenblicke hatte sie durch das schnelle Arbeiten gewonnen, doch wieder trieb sie der Bauer gnadenlos an. Offensichtlich schien der Mann sie zu beobachten und dabei einzuschätzen, was sie in der Lage war, zu leisten.

Aber schon jetzt, die Sonne hatte ihren höchsten Punkt am Himmel noch nicht erreicht, war sie fast am Ende mit ihrer Kraft und ein halber Tag war noch zu überstehen.

Fast kam sie vom Trog, vor den sie sich gekniet hatte, nicht mehr hoch, denn der Rücken und die Arme schmerzten. So schwer hatte sie noch nie gearbeitet und im Moment zweifelte sie daran, dies auch nur noch einen weiteren Tag aushalten zu können.

Doch der Stall brauchte nun ihre Aufmerksamkeit. Sie eilte hinüber und griff zur Mistgabel. Noch lag das Stroh vor dem Haus, der alte Mist musste raus und die neue Einstreu hinein. Dazu kam auch noch, dass sie sich selbst hier drin beobachtet fühlte. Lange würde sie dieses Tempo wohl kaum noch aushalten. Endlich stand die Gabel wieder in der Ecke und Ebba lehnte schnaufend an der Wand. Nur ein Moment des Verschnaufens.

Bisher hatte noch niemand die Zeit gehabt, ihr wirklich zu erklären, was wohl ihre Pflichten als Magd waren. Sie machte es einfach so, wie sie es all die Jahre bei der Mutter gesehen hatte, doch würde das reichen? Momentan arbeitete sie ja auch so hart, weil sie gar keine andere Wahl hatte, denn wo sollte sie hin? Bis zum Tag davor hatte sie sich darüber keine Gedanken gemacht und selbst jetzt hatte sie keinen Einfall, was sie tun konnte, falls der Bauer sie vom Hof warf.

Dröhnend hörte sie wieder seinen Ruf von draußen, erschrocken zuckte sie zusammen und stürzte aus der Scheune. Die Kühe mussten zurück in den Stall! War es denn wirklich schon so spät? Fast hätte sie den Mann umgerissen, der vor der Scheune stand. Dann eilte sie zur Wiese hinüber.

Aus dem Augenwinkel sah sie einen bunten Wagen den Pfad zum Dorf hinunterfahren. Früher war sie da immer hingelaufen, wenn die Spielleute kamen, heute hatte sie anderes im Kopf.

Trotz der Hektik musste sie den Tieren ruhig gegenüber treten. Was passieren konnte, das hatte ja das Schicksal der Mutter gezeigt. Also wartete das Mädchen am Rand der Wiese, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Mit sanfter Stimme sprach sie auf die Tiere ein und führte eine Kuh nach der anderen zum Stall hinüber.

Nachdem sich das letzte Tier wieder im Stall befand, war für Ebba der Arbeitstag zu Ende. Schwankend ging sie zur Scheune hinüber, wo sich ihr Nachtlager befand. Zwar war die Sonne noch am Himmel und eigentlich hätte sie nun in der Küche am Tisch Platz nehmen müssen, doch sie konnte vor Erschöpfung nichts mehr Essen.

Sie wollte nur noch auf ihren Strohsack, doch sie kam nicht bis dorthin, denn direkt hinter ihr trat der Bauer in die Scheune und sah sie an, wie sie schwankend mitten in dem Raum stand. Sein Blick ließ sie zurück zur Wand taumeln. Nach einer Pause begann der Mann „Soll ich dich in alle deine Pflichten als Magd einweisen?“ Dies klang irgendwie drohend, so, wie es der Mann sagte. Trotz der Müdigkeit war Ebba sofort wieder hellwach. „Aber ich habe doch alles gemacht!“, entgegnete sie und blickte zur Tür. Diese hatte der Bauer hinter sich geschlossen, sonst war die immer, Tag wie Nacht, offen geblieben.

„Eines noch nicht!“, sagte der Mann und löste seinen Gürtel. Er stand keine vier Schritte vor ihr und ließ seine Hose fallen. „Nein! Das gehört nicht zu meinen Pflichten!“, sagte Ebba. „Ich lege fest, was deine Pflichten bei mir sind!“, entgegnete der Mann.

Das war nun wirklich zu viel! „Zieh dein Kleid aus und lege dich hin!“, forderte er sie auf. Beischlaf gegen Arbeit und Brot? Ihre Finger tasteten sich zu ihrem Gürtel und der Mann zeigte auf ihren Strohsack. Sollte sie wirklich? Mit der Gürtelschließe in der Hand stand sie vor ihm. Noch ein Moment des Zögerns, dann sauste ein „Nein!“ durch ihren Kopf. Das wollte sie wirklich nicht!

„Jetzt mach schon!“, blaffte sie der Mann an. Ohne über die Konsequenzen ihrer Handlung nachzudenken, riss die junge Frau den Dolch aus dem Gürtel und richtete die Spitze der Waffe auf den Mann. „Ich habe Nein gesagt“, erklärte sie trotzig. Der alte Mann zog sich die Hose hoch und antwortete ihr „Dann steht es dir frei, mein Haus sofort zu verlassen!“ Noch stand der Mann vor ihr und sie sah zwischen ihm, dem Strohsack und der Tür hin und her.

Was sollte sie tun? Sie entschied sich, zu gehen und ließ den Mann einfach in dem Raum stehen. Wohin nun?

Langsam brach schon die Abenddämmerung über das Dorf herein und sie würde an diesem Abend kein Dach über dem Kopf haben. Sie hatte nichts mehr, nicht mal ein paar Münzen. Nun stand es ihr frei, zu verhungern oder zu betteln. Vor der Scheune blickte sie zurück, doch das Nein war unumstößlich. Es würde sich ein Weg finden! Sicherlich! Hoffentlich! Vielleicht?

4. Kapitel

Kommt Zeit, kommt Rad!

E s blieb ihnen nichts anderes übrig, als erst einmal in dem Dorf zu bleiben. Konrad hatte Karola zu einem freien Platz am Dorfrand getragen und sich dann auf den Weg gemacht, den Wagen, den sie zuvor entladen hatten, zu diesem Platz zu bringen. Der große Mann trug das Gefährt auf seinem Rücken zu ihnen herüber und die Kinder liefen begeistert hinter ihm her. Offensichtlich war auch das für sie ein großer Spaß. Für die kleine Gemeinschaft war es das leider nicht. Gustav wartete schon darauf, dass er von Konrad eine Tracht Prügel für sein Versehen bekommen würde. Ein Moment der Unaufmerksamkeit hatte dafür gesorgt, dass sie nun wahrscheinlich eine Weile nichts mehr zu essen bekamen, denn ohne Wagen und Tänzerin brauchten sie auch nicht weiterziehen.

Der Blick des Riesen war eigentlich schon Strafe genug für Gustav. Konrad stellte den Wagen ab und zog das zerbrochene Rad einfach so mit einer Hand von der Achse. Dann drückte er ihm die Reste in die Hand und sagte nur „Kümmere dich!“ Gustav duckte sich unter ihm fort, denn eine Ohrfeige würde schon reichen, dass er die nächsten Tage neben Karola liegen würde.

Schnell eilte er zum Dorf und er war froh, dem Riesen erst mal entkommen zu sein. Aber wer machte das Rad wieder ganz? Und womit diese Reparatur bezahlen? Oder einfach eines stehlen? Aber das war zu riskant. Schnell würde der Verdacht auf sie fallen und mit Karolas gebrochene Bein konnten sie nicht so schnell fliehen, wie sie es dann gemusst hätten.

Der junge Mann ging durch das Dorf und sah einige Wagen stehen, aber keiner war unbeobachtet. Dann bemerkte er ein Haus, an dessen Seite drei Räder an die Wand gelehnt waren. Die hatten auch noch die richtige Größe. Sollte er sich eines davon borgen? Ein kleiner Tausch? Ein kaputtes gegen ein ganzes?

Er zögerte und sah sich um, dann trat er zum Tor und klopfte an. Ein ziemlich kräftiger Mann stand in einer halbdunklen Scheune, drehte sich um und Gustav fragte ihn „Könnt ihr mir mit meinem Rad helfen?“ „Da bist du bei mir genau richtig“, erwiderte der Mann und kam auf ihn zu. „Aber ich habe kein Geld“, ergänzte Gustav schnell. „Du willst also, dass ich dir eines schenke?“, fragte der große Mann und sah aus der Scheune heraus.

„Dafür, dass du mir keines gestohlen hast, will ich dir gern helfen. Sonst hätte ich dich auf eines davon geflochten“, erklärte der Mann und Gustav zuckte fast zusammen „Wie kann ich euch den dafür danken?“, fragte er, denn sicherlich würde er kein Rad geschenkt bekommen. „Zeig mal her“, sagte der große Mann und nahm ihm die Radstücken ab. Sorgfältig betrachtete er die Trümmer, kratzte sich am Kopf und erklärte „Da ist nichts mehr zu retten!“

Achtlos warf er die Holzstücken in die Ecke zum Feuerholz und griff sich eines der Räder von der Scheunenwand. Doch bevor er es an den jungen Mann übergeben konnte, sagte er „Kannst du klettern?“ was Gustav bejahte. Dann zeigte der große Mann nach oben auf das Schuppendach und erklärte „Da oben ist was undicht und ich bin zu schwer, um es zu reparieren. Du scheinst mir leicht genug zu sein, um die undichte Stelle zu stopfen.“

Einen Moment zögerte der junge Mann. Ein Dach hatte er noch nie gedeckt, aber was hatte er schon zu verlieren? „Wenn ich es vermag“, erklärte er und ging zum Schuppen. Vorsichtig kletterte Gustav eine Leiter hinauf und sah sich auf dem Dach um.

Der Schaden war gewaltig und das musste schon eine Weile her sein. Vermutlich hatte ein Wintersturm ein Stück des Daches herausgerissen. Das war nicht nur undicht, es hatte sogar ein Loch, durch das er ohne Probleme hindurch springen könnte. Er balancierte zu der Öffnung und hörte es dabei ständig unter sich knacken. Die Balken waren anscheinend nicht so stabil und jeder, der auch nur ein Pfund schwerer wäre als er, würde das Dach unweigerlich zum Einsturz bringen.

„Könnt ihr mir das Schilf nach oben reichen?“, fragte er durch das Loch nach unten, wo der Mann in dem Schuppen unter ihm stand. Statt einer Antwort bekam er das erste Bündel gereicht. „Danke euch“, sagte er nach unten und legte es zur Seite. Noch ein paar weitere Bündel fanden den Weg auf das Dach, bevor Gustav begann das Strohdach zu flicken und mit Draht zu fixieren.

Immer wieder erinnerte ihn dabei das Knacken im Gebälk daran, vorsichtig zu sein. Ein falscher Schritt, ein falscher Griff und der Schaden wäre nicht mehr abwendbar. Und der große, kräftige Mann unter ihm würde es sicher nicht verstehen, wenn das Dach über ihm zusammenbrach. Ganz davon abgesehen, dass der tiefe Sturz nicht ganz ungefährlich sein würde.

Endlich war das Loch zu, Gustav sah sich das Dach noch ein letztes Mal an und kletterte dann vorsichtig hinab. Unten schüttelte ihm der Mann die Hand und gab ihm das Rad. „Danke dir!“, sagten sie gleichzeitig und lachten darüber. Danach nickten sie sich zu und Gustav zog mit seinem Rad wieder zurück zu der kleinen Gruppe am Rande des Dorfes. Dort machte Hans Späße für die Kinder und Sieglinde kümmerte sich um die am Boden liegende Karola, deren Gesichtsausdruck die Schmerzen deutlich zeigte.

Konrad sah das neue Rad an und fragte „Gestohlen?“ „Erarbeitet!“, antwortete Gustav stolz und zusammen brachten sie es an dem Wagen an. Dann holte Konrad aus und der junge Mann duckte sich weg, doch statt einer Ohrfeige erhielt er einen anerkennenden Schlag auf die Schulter. Der war fast genauso schmerzhaft, aber es fühlte sich gut an. „Jetzt geh noch Holz für das Feuer sammeln. Wir bleiben die Nacht hier!“, setzte Konrad hinzu.

Gustav nickte und sah nach oben zum Himmel. Er würde sich beeilen müssen, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung einsetzte und der Wald war ein ganz schönes Stück entfernt. Daher rannte er die Strecke zurück und suchte sich etwas Holz, bis er einen umgefallenen Baum fand. Konrad hätte den vermutlich in einer Hand getragen, doch für den jungen Mann war er viel zu schwer. Mit aller Kraft zog und zerrte er, doch das Holz rührte sich nicht ein Stück.

Als er schon fast aufgeben wollte, da hört er eine Stimme hinter sich „Warte. Ich helfe dir!“ Eine junge Frau kam zu ihm gelaufen und zusammen zogen sie den Baum auf den Pfad hinaus.

5. Kapitel

Bruderliebe

D er Mann stand auf der Brüstung der Burgmauer und sah in den Hof hinunter. Unter ihm trat gerade sein Bruder Georg aus dem Palas heraus. Vorsichtig versuchte der Mann einen Stein zu finden, der gerade locker war, um ihn eventuell in die Tiefe zu stoßen, doch alles war fest gemauert. „Verdammt“, sagte Martin leise und schlug mit der Hand auf den Stein, den er direkt vor sich hatte. Er hob den Kopf und sein Blick ging von der Mauer aus über das Land zu Füßen der Burg. Sein Land! Zumindest das Land seiner Ahnen. Doch wenn er die Worte seines Vaters vom Abend zuvor richtig verstanden hatte, dann würde es nicht mehr lange sein Land sein.

Er war zwanzig, sein Bruder zwei Jahre älter. Diese Andeutung des Vaters hatte ihn aufgeschreckt. Georg sollte im Herbst heiraten und das würde bedeuten, dass sich der Vater dann zur Ruhe setzen würde. Zumindest war das bisher in ihrer Familie so gewesen. Da aber die Burg nicht zwei Herren gehören konnte, würde der alte Mann danach Martin sicher von der Burg verweisen. Und da es für Ritter ohne Burg nicht allzu viel zu tun gab, außer als Raubritter durch die Lande zu ziehen, würde der Vater wohl dafür sorgen, dass Martin in einem Kloster unterkommen würde.

Am Horizont sah er die beiden Turmspitzen des Klosters. „Bruder Martin?“ Das klang seltsam! Leise sagte er es vor sich hin und es schüttelte ihn bei dem Gedanken. Auch die Aussicht, bald Abt werden zu können, konnte ihn nicht mit dem Gedanken an das Klosterleben versöhnen. Vor zweihundert Jahren, als Tempelritter in einem Kreuzzug, da hätte er es sich vorstellen können, das Kreuz zu nehmen. Aber jetzt? Er war Ritter mit Leib und Seele. Ein Kreuz satt eines Schwertes? Ein Mönchshabit statt eines Kettenpanzers? Nein! Niemals!

Wieder rüttelte er an dem Stein. Konnte der nicht aus Versehen nach unten stürzen und alle seine Probleme lösen? Natürlich hatte Martin gewusst, dass dieser Moment irgendwann mal kommen würde, aber bis dahin konnte ja noch so viel passieren. Zumindest hatte er das bis gestern noch gedacht. Nun wurde die Zeit langsam knapp. Vielleicht konnte man ja mal zusammen auf die Jagd gehen.

Er beugte sich über die Brüstung und sah hinab. Heute würde er jedenfalls nichts mehr erreichen können. Doch er rief „Hallo Bruder!“ Von unten grüßte Georg nach oben und winkte ihn zu sich herab. Langsam stieg Martin durch den Turm zum Burghof hinunter, wo der Bruder schon an dem Tor stand. Bevor aber Martin etwas sagen konnte, fragte Georg „Wollen wir morgen mal wieder zur Jagd gehen?“ Für einen Moment stutzte Martin. Würde sich sein Wunsch schon am nächsten Tag erfüllen? Ein kleiner Unfall bei der Jagd? „Warum nicht“, gab er, betont desinteressiert, zurück. „Unser Vater hat eine neue Armbrust gekauft. Eine, die Kugeln verschießt!“ „Kugeln? So ein neumodischer Kram“, sagte Martin und sein Bruder stimmte ihm nickend zu. „Aber man muss es ja mal ausprobieren“, antwortete Georg und musste lachen.

„Ein ordentlicher Bolzen muss es sein. Keine Kugel“, begann Martin und zeigte auf eine der großen Armbrüste, die an der Wand neben dem Tor lehnten und der Wache der Burg gehörten. Sie beide hatten schon die Nase gerümpft, als der Vater von ein paar Jahren eine dieser Feldschlangen angeschafft hatte, die nun über dem Tor stand. Die knallte und stank bei jedem Schuss ganz fürchterlich, aber der Vater hatte darauf bestanden, dass auch sie lernen sollten, wie man diese neumodische Kanone bediente. Weder Martin noch Georg sahen den Nutzen dieses Monstrums ein. Doch der Vater schien darauf zu schwören.

Gemeinsam gingen die beiden Brüder zurück zum Palas und vor dem Betreten des Hauses sagte Martin „Hat Vater schon was zu deiner Braut gesagt? Wer wird die glückliche sein?“ Georg zuckte mit den Schultern. „Es gibt da nicht so viele Kandidatinnen, die nach meiner Meinung infrage kommen würden. So wie ich Vater kenne, wird es wohl die Tochter eines seiner Freunde sein. Da bleiben im Moment nur drei. Gwendolyn, Genoveva und Siegfrieda.“ „Na hoffentlich nicht Siegfrieda. Die hat eine Nase wie ein Habicht“, entgegnete Martin. „Aber auch den reichsten Vater“, gab Georg zu bedenken. Martin lachte und ergänzte „Da musst du jede Nacht ein Tuch mit ins Bett nehmen, wenn du zu ihr gehst!“ „Na, dass wohl nicht und nachts ist es ja auch dunkel“, ergänzte Georg.

Lachend betraten sie das Gebäude und Minna, eine der Mägde, kreuzte ihren Weg. Ein Schlag von Martin auf den Hintern der Magd beschleunigte die Frau, die lachend weiterlief.

Auch das würde etwas sein, was es im Kloster nicht geben würde. Martin sah der Frau nach und seufzte. Aber das nicht nur wegen der drallen Magd, die sich ihm bisher erfolgreich verweigern konnten, sondern auch, weil er eigentlich seinen Bruder mochte. Sie waren sich beide sehr ähnlich und wenn nicht dieses Erbe mit der Burg zwischen ihnen stehen würde, so würden sie sicher gut miteinander auskommen können. Langsam stiegen sie die Treppe hinauf. Sein Blick ruhte dabei auf den Schultern von Georg, der vor ihm lief.

In einem Kampf hätte sich Martin niemanden anderes lieber an seiner Seite gewünscht, als seinen Bruder Georg. Er war kräftig, geschickt und kämpfte gut mit dem Schwert. Aus dem Saal rief der Vater nach ihnen und die beiden Brüder betraten den Raum, an dessen Eingang zwei Rüstungen standen. Eine davon gehörte Martin und er hatte sie auf einem Turnier getragen. Wehmütig klappte er das Visier des Helms hoch. Noch etwas, was es im Kloster nicht gab. „Verdammt!“, sauste es wieder durch seinen Kopf.

Minna, die dralle Magd, lief an ihnen beiden vorüber und stellte die Teller auf den Tisch. Beim nach vorn beugen zeigte sie viel von dem, was sie Martin bisher vorenthalten hatte. Mit einer Handbewegung holte der Vater die beiden Söhne an den Tisch. Es gab wieder diesen leckeren Wein aus dem Keller. Mit den Kelchen stießen sie an. Das würde wieder ein geselliger Abend auf der Burg werden. Wenn es schon vor dem Essen Wein gab, dann wurde der Abend meistens lang und Minna würde dann vor ihm und seinen Nachstellungen verschont bleiben.

Auf einmal sagte der alte Mann „Prost auf Genoveva!“ Die beiden Brüder nickten sich zu, damit war das Geheimnis gelüftet. Und diese Frau war noch die hübscheste von den dreien gewesen. Ein Kelch nach dem anderen wurde nun geleert.

6. Kapitel

Flötentöne in der Nacht

W ohin sollte sie sich nun wenden? In das Dorf hinein? Um bei einem anderen Bauern zu arbeiten? Da hatten im Moment alle ihre Mägde und die Ernte würde noch etwas dauern. Hatte Ebba zu voreilig alles aufgegeben? Aber alles in ihr hatte sich davor gesträubt, sich dem alten Mann hinzugeben. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass dies wohl zu den Pflichten einer Magd gehören würde. Die Mutter hatte ihr jedenfalls nichts davon gesagt, allerdings fiel Ebba jetzt auf, dass sie zuweilen von der Mutter in den Wald geschickt worden war, um Holz zu holen. Hatte der Bauer dann? Fast schüttelte es sie bei diesem Gedanken.

Aber auch weiterhin hatte die junge Frau das Problem, dass sie nicht wusste, wohin sie sich wenden sollte. Der Tag neigte sich dem Ende zu, es wurde langsam Abend und sicherlich war es nicht mehr lange hell. Auf der Dorfstraße, vor dem Bauernhof stehend, sah sie in die Ferne. Das nächste Dorf war ein paar Stunden zu Fuß entfernt und dort würde sie nicht mehr im Hellen ankommen. Sicherlich hatte der Mann extra so lange gewartete, bis sie eigentlich gar keine andere Wahl gehabt hätte, als bei ihm zu bleiben. Und würde es im Nachbardorf eine Anstellung für sie geben? Sie war eine gute Arbeiterin, aber nun ohne Dach über dem Kopf. Alleine!

Nach längeren Überlegungen wendete sie sich dem Wald zu, denn dort würde sie vielleicht auch in der Nacht schlafen können. Auf einer Lichtung zwischen den Bäumen, auch, wenn sie das noch nie gemacht hatte, aber was konnte da schon passieren? Zügig setzte sie ihre Füße auf den Weg, denn die mit nutzlosen Gedanken vertrödelte Zeit musste Ebba nun wieder aufholen. Mit einem Blick nach oben schätze sie, dass es wohl auch in der Nacht warm genug war, denn auch eine Decke hatte sie nicht. Sie hatte nichts mehr. Nur noch ihren Dolch!

Nachdem sie den Waldrand passiert hatte, und nun zwischen den hohen Bäumen stand, hörte sie neben dem Waldpfad ein Schnaufen und Stöhnen. Erschrocken fuhr sie herum, blickte zur Seite und sah einen Mann, der sich damit abmühte, einen riesigen Baumstamm zu bewegen. Erleichtert sagte sie schnell „Warte. Ich helfe dir.“ Sie fasste mit an und zu zweit ließ sich der Stamm bis auf den Weg ziehen. „Was hast du denn damit vor?“, fragte sie den Mann und er zeigte auf das Dorf. „Wir haben ein Lager am Dorfrand und wollen dort in der Nacht ein Feuer machen.“ „Ein Feuer in der Nacht. Eine gute Idee“, sauste es durch Ebbas Kopf, dann fragte sie „Du bist vom fahrenden Volk. Oder?“ Der Mann nickte und sagte „Ich bin Gustav.“ „Ebba“, entgegnete sie und setzte hinzu „Kann ich für die Nacht an eurem Feuer bleiben?“ „Sicher! Wenn du mir mit dem Holz hilfst?“, entgegnete er und schon griff sie erneut zu.

Zusammen schleiften sie den Stamm dem Dorfe zu. „Hast du denn kein Dach über dem Kopf?“, fragte er schnaufend und sie antwortete ihm keuchend „Nicht mehr!“

Nach ein paar Dutzend Schritten sah Ebba, das ein Riese aus dem Dorf auf sie zu kam und sie schrie erschrocken auf, als er dann vor ihr stand. „Das ist nur Konrad“, sagte der Mann sichtbar erleichtert und der große Mann fasste den Baumstamm an. Er hob das vordere Ende an und sie beide das hintere. Zu dritt trugen sie den Baum nun die letzten hundert Schritte.

Von vorn hörte Ebba eine Flöte und eine Leier, die eine liebliche Melodie in den beginnenden Abend spielten. Kurz darauf waren sie bei der Gruppe und nun vertrieben Axtschläge die Melodie. Der Riese zerlegte mit kräftigen Hieben den Stamm in handliche Stücken.

An der Seite stehend wusste sie nicht, was sie sagen oder tun sollte. Zwar hatte der junge Mann sie an das Feuer eingeladen, aber konnte sie sich da so einfach selbstverständlich hinsetzen? Der Mann mit der Flöte lief um sie herum und spielte eine kleine Melodie, dann sagte er „Eine solch schöne Frau bei uns zu Besuch.“ Er zog seine Kreise immer näher, bis der Riese sagte „Lass sie in Ruhe. Sie ist unser Gast!“ „Schade!“, sagte der Flötenmann, lachte und setzte sich nach ein paar Misstönen vor ihr auf den Boden.

„Wieso Schade?“, fragte Ebba nach. „Mit einem Gast darf ich mein Lager nicht teilen“, sagte der Mann lächelnd und fing an wieder dieselbe Melodie zu spielen, die Ebba schon zuvor gehört hatte. Eine grauhaarige Frau begann das Lied mit Drehleier und Gesang aufzunehmen. Darin ging es um Minnesang, Herzschmerz und die Liebe eines Knappen zu seiner Herrin. In der beginnenden Dämmerung sah sie, wie der Mann mit der Flöte ihr zuzwinkerte.

„Setzt dich Ebba“, sagte Gustav und zeigte auf den freien Platz. Gerade hatte der Mann die ersten Holzstücken zu einem Feuer geschürt.

Endlich war der Baum zerkleinert und alle setzten sich an das Feuer, bis auf eine Frau, die daneben im Gras lag. Mit zunehmender Dunkelheit wurden die Flammen immer höher geschürt. Trotz der Frühsommernacht wurde es an Ebbas Rücken kalt, während ihre Vorderseite vom Feuer durchgeheizt wurde. Jetzt stimmten alle in die Lieder ein. Zwischendurch wurde ein Brot herumgereicht und ein Schlauch mit Wein kreiste in der Runde. Ebba traute sich nicht, etwas davon zu nehmen und deshalb gab sie es einfach an Gustav neben sich weiter, doch er schob es wieder zu ihr zurück. „Du bist unser Gast“, sagte er und Ebba brach sich ein Stück Brot ab. „Dank euch“, sagte sie laut.

„Wer uns hilft, der darf auch unser Brot mit uns teilen“, erklärte der Riese. „Und unser Lager!“, setzte der Mann mit der Flöte hinzu. „Vorsicht Hans. Sie ist bewaffnet! Nicht das dir morgen früh ein wichtiges Körperteil fehlt!“, sagte die liegende Frau und alle lachten am Feuer. „Ja! Ein wirklich schöner Dolch“, bemerkte Gustav neben ihr und Ebba zog die Waffe hervor. „Meine Mutter, Gott habe sie Selig, hat sie mir gestern geschenkt“, antwortete sie und zeigte die Waffe den beiden neben sich, dann steckte sie den Dolch wieder ein.

Vor ihnen ging der Mond auf und beleuchtete die kleine Gruppe. In nicht allzu weiter Entfernung waren die Häuser des Dorfes zu sehen und darunter auch der Hof, in dem Ebba noch den Tag verbracht hatte. Immer noch wusste sie nicht, wohin sie nun sollte, als die liegende Frau aufstöhnte und sich an ihr Bein fasste.

Die alte Frau legte die Drehleier zur Seite und beugte sich über die Frau, dann drehte sie sich zu Ebba um und fragte „Wohin soll dich dein Weg führen?“ Das Mädchen zuckte zusammen. Woher kannte die alte Frau ihre Gedanken? „Ich weiß es nicht“, gab Ebba leise zu und die andere Frau sagte „Wenn du tanzen kannst, dann kannst du mich ja vertreten. Ich werden wohl ein paar Wochen nicht tanzen können!“ „Tanzen?“, fragte Ebba. „Ja! Tanzen!“, sagte der Mann mit der Flöte, stand auf, spielte eine Melodie und tanzte dazu.

„Wenn ich es vermag, so will ich euch gern begleiten“, antwortete Ebba. „Dann tanz!“, forderte die liegende Frau sie auf. Die alte Frau griff zur Drehleier und Ebba stand auf. Die ersten Schritte waren noch ungelenk, doch dann ließ sie sich auf die Melodie ein und tanzte am Feuer.

Die Mühsal des Tages und der anstrengenden Arbeit fielen von ihr ab. Vielleicht war das ihr Weg? Zumindest für eine Weile, bis die Ernte beginnen würde und sie dann in einem Dorf bleiben konnte.

7. Kapitel

Erste Schritte

B is tief in die Nacht hatten sie am Feuer gesessen und gefeiert. Was sie gefeiert hatten, das wusste keiner von ihnen. Vielleicht, dass die junge Frau, Ebba, sie nun begleiten würde. Irgendwie war es wohl ein glücklicher Zufall gewesen, dass sie auf sie getroffen waren. Ihr Tanz sah zwar noch etwas unbeholfen aus, aber das würde schon noch werden. Und da Karola sicher die nächste Zeit nur noch liegend auf dem Wagen mit ihnen fahren konnte, war es ganz gut, dass Ebba sich dazu entschieden hatte, mitzukommen.

Der neue Morgen brach an und Gustav streckte sich auf seinem Lager. Dabei fiel sein Blick in das Gesicht der jungen Frau, die zwei Schritte neben ihm noch schlief. Sicherlich würden die Sonnenstrahlen sie gleich wecken. Für einen Moment konnte er seinen Blick nicht von ihrem Gesicht wenden, da lag so etwas Leichtes in ihren Zügen. Leise erhob er sich und ging ein paar Schritte zur Seite, wo er sich an einem Gebüsch erleichterte. Als er sich umdrehte, und sich dabei die Hose hochzog, da sah er in ihre Augen. Gerade eben war sie wach geworden. Obwohl er das immer so machte, war es ihm doch irgendwie peinlich, dass sie ihn mit herunter gelassener Hose gesehen hatte.

Schnell nickte er ihr zu und sah dann zur Seite, wo der Esel, ein paar Schritte entfernt, auf der Wiese graste. Die Möhre fiel ihm wieder ein, die er dem Grautier am Tage zuvor versprochen hatte und auch dem Zugtier schien in diesem Moment die Möhre wieder einzufallen. Er legte den Kopf schief und sah Gustav fragend an. „Ohne Möhre kein Geschirr!“, sagten diese Augen. „Wo bekomme ich eine Möhre für dich her?“, fragte Gustav laut und die Frau antwortete von ihrer Schlafstatt aus „Bis gestern hätte ich dir eine geben können!“ Sie setzte sich auf und auch die anderen der Gruppe wurden nun wach.

Noch nicht ganz munter machte Hans schon den ersten Scherz „Also ich habe eine versteckt! Ebba kann sie ja suchen kommen!“, erklärte er, dann zeigte er auf die Ausbeulung in seiner Hose und alle lachten. Selbst Ebba musste bei dieser Bemerkung schmunzeln. Offensichtlich kam sie mit dem derben Humor des Narren gut zurecht. „Aber ohne Möhre werden wir nicht weiter kommen!“, sagte Gustav und kratzte sich überlegend am Kopf.

„Mein Bauer schuldet mir noch meinen Lohn und daher werde ich mir den jetzt eben in Naturalien holen!“, erklärte Ebba und erhob sich von ihrem Schlafplatz. Kurz darauf lief sie in Richtung Dorf und kam wenig später mit einem Arm voller Möhren zurück. Eine davon hielt sie dem Zugtier hin. Der Esel nickte und biss hinein. Danach ließ er sich das Geschirr von Gustav anlegen.

Alles wurde nun zügig auf den Wagen verladen und zum Schluss legte Konrad Karola obendrauf. „Wenn du hier liegst, dann kann keiner sitzen. Wir werden also alle laufen müssen!“, sagte er und niemand legte Einspruch ein, denn dass sie die Freundin hier zurücklassen würden, das würde niemanden einfallen.

Der Esel ruckte an und der Karren setzte sich knarrend in Bewegung. „Liegst du gut?“, fragte Ebba die Frau und Karola nickte. Da der Weg etwas uneben war, stöhnte Karola bei jedem Stein auf. Aber wenn sie zu dem Fest wollten, dann mussten sie noch eine ziemliche Strecke fahren.

Gustav lief beim Esel und hatte die Zügel in der Hand. Nach dem letzten Haus des Dorfes kam Ebba zu ihm nach vorn. Nun liefen sie, mit dem Esel in der Mitte, über die ganze Breite des Weges. „Hast du dir das gut überlegt, mit uns fahrenden Volk mitzuziehen?“, fragte Gustav über den Eselskopf zur Seite der Frau. „Habe ich eine andere Wahl?“, fragte sie zurück. „Hat man die nicht immer?“, gab er als Antwort zur Seite. „Als Mann vielleicht. Aber als Frau?“, begann Ebba und wurde durch Karola, vom Wagen aus, unterbrochen „Auch als Frau hast du eine Wahl!“

Ebba sah nach hinten und nickte verstehend. „Ich mag euch. Ihr seid lustig!“, sagte sie. „Und dabei wolltest du nicht mal nach der Möhre suchen! Das wäre lustig geworden!“, sagte Hans von hinten. Ebba musste lachen und der Esel stimmte dem lautstark zu. Die junge Frau kraulte dem Zugtier den Kopf und holte eine zweite Möhre von hinten. Hinter dem Wagen begann Sieglinde mit der Drehleier wieder ihr Lied zu spielen. „Mit Musik geht alles besser!“, rief Hans, zog die Flöte aus seinem Gürtel und stimmte mit ein.