Ein Sommer unter der Mondsichel - Uwe Goeritz - E-Book

Ein Sommer unter der Mondsichel E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

"Ein Sommer unter der Mondsichel - Wien, im Jahre 1683" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Im Sommer des Jahres 1683 überfiel das Osmanische Reich Wien zum zweiten Male. Mit einem gewaltigen Heer versuchten sie die Stadt zu erobern, doch die Bevölkerung leistete ihnen erbitterten Widerstand. Dies ist die Geschichte von einigen dieser Menschen, die in der Stadt und um sie herum gelebt haben. Sie erzählt von ihren täglichen Nöten und den Kämpfen um das Überleben in der eingeschlossenen Stadt. Aber auch von der Liebe, die in der belagerten Großstadt, trotz des Sterbens, nie völlig verschwand. Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Inhaltsverzeichnis

Ein Sommer unter der Mondsichel

Verwehte Asche

Im Feuer geboren

Unerwartete Möglichkeiten

Am Leben gelassen?

Schande und Sünde

Erinnerungen in blauem Dunst

Beute des Krieges

Unterwegs

Das Los der Soldaten

An der Donau entlang

Zwei Männer oder eine Frau

Stadtleben

Magd oder Frau?

Groß oder klein?

Mit Geduld und ohne Gedanken

Ein Tag des Glaubens

Erwachendes Herz

Ein neuer Weg

Ein Wetteinsatz

Nachtgedanken

Träumereien

Im Auge des Feindes

Pech im Spiel

Eine Räuberbande?

Ungeahnte Köstlichkeiten

Freundschaft?

Anfang oder Ende?

Ein Dienst an Gott

Handel oder Betrug

Ewige Finsternis

Neue Freunde

Ein Neubeginn

Unerfüllte Liebe

Zwischen Leben und Tod

Frieden unter Kanonen

Unzüchtige Gedanken

Der rote Tod

Ein langer Weg

Ein mutiger Schritt

Die Löwen von der Löwelbastion

Erwischt!

Grabenkämpfe

Strafe muss sein!

Nicht in Gefahr?

Höllenqualen

Gedanken in der Nacht

Gottes Gnade

Dunkle Gedanken

Minenschächte

Zwei Frauen

Ein Licht in der Dunkelheit

Ein schwerer Fehler?

Betrogener Betrüger

Schmerzen der Seele

Das Ende

Rettung im letzten Augenblick?

Freigeschwommen?

Nebelwege

Verwüstungen und Glück

Taubenschwingen

Kampf der Götter

Vereinigt und stark

Neue Aufgaben

Traum oder Wirklichkeit?

Erlöst?

Alte und neue Freunde

Ein Tag zum Feiern

Glückliche Frauen

Postkutschenwege

Angekommen?

Graf und Gräfin

Stilles Gedenken

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Ein Sommer unter der Mondsichel

Im Sommer des Jahres 1683 überfiel das Osmanische Reich Wien zum zweiten Male. Mit einem gewaltigen Heer versuchten sie die Stadt zu erobern, doch die Bevölkerung leistete ihnen erbitterten Widerstand.

Dies ist die Geschichte von einigen dieser Menschen, die in der Stadt und um sie herum gelebt haben. Sie erzählt von ihren täglichen Nöten und den Kämpfen um das Überleben in der eingeschlossenen Stadt. Aber auch von der Liebe, die in der belagerten Großstadt, trotz des Sterbens, nie völlig verschwand.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Verwehte Asche

Im Burgenland bei Ödenburg, am 09. Juli 1683

Mit Tränen in den Augen schritt die Frau vorwärts. Immer wieder stieß ihr einer der Soldaten in den Rücken, wenn sie mal etwas langsamer ging. Nur wenige Schritte vor ihr lief Swetlana, ihre Freundin aus dem heimatlichen Dorf. Neben ihr und auch neben der Freundin gingen jeweils zwei osmanische Soldaten. Durch die Tränen sah sie nur das gelegentliche Blitzen der Sonnenstrahlen auf den blanken Säbeln der Männer. Dabei dachte sie daran, dass vielleicht das Blut ihrer Familienangehörigen an diesen Klingen klebte. Der von ihr geliebten Menschen, die nun erschlagen hinter ihr in dem Dorf lagen. Nur Swetlana und sie waren am Leben geblieben. Sie stolperte über einen Stein und fiel auf die Knie, aber die Soldaten brüllten sie an und rissen sie auf die Füße. Wieder traf sie ein Stoß in den Rücken, der sie vorwärts taumeln ließ.

Was hatten die Männer mit ihnen vor? Warum hatten die Soldaten nur sie beide am Leben gelassen? Arika war noch keine siebzehn Jahre alt und immer noch unverheiratet. War es das gewesen, was die Soldaten mit ihrer Gewalt einhalten ließ? Sie und Swetlana waren die beiden einzigen unverheirateten Mädchen im heiratsfähigen Alter gewesen. Die junge Frau wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Vorsichtig drehte sie sich um und sah zu der Rauchsäule zurück, die sich dort erhob, wo das Dorf noch am Morgen gewesen war. Es lag in der flachen Ebene, nicht weit von der Donau entfernt. Doch sie sah auch die dahinstürmenden Reiter der Osmanen, die mit den paar eigenen Reitern, die sich ihnen vor dem Dorf entgegengestellt hatten, ein leichtes Spiel gehabt hatten.

Das schutzlose Dorf war ihnen dann in die Hände gefallen. Die krummen Säbel schwingend, waren die fremden Reiter durch das Dorf gejagt und hatten alle niedergemacht, derer sie habhaft werden konnten. Noch immer hatte Arika das Schreien der Frauen und Kinder in den Ohren. Das würde wohl auch nicht mehr aus ihrem Kopf verschwinden können. Sie selbst hatte sich mit Swetlana hinter einem Holzstapel versteckt und war somit der ersten Raserei der Kämpfer entgangen. Mit Entsetzen hatten sie aus dem Versteck mit ansehen müssen, wie die Männer einfach alle niedermachten und die Frauen schändeten, bevor sie auch diese töteten. Als sie die letzten beiden Lebenden gewesen waren, da hatten sie versucht, sich davonzuschleichen, waren aber sogleich ergriffen worden.

Arika hatte da schon mit ihrem Leben abgeschlossen, aber ihnen war nichts passiert. Die Männer hatten sie durch das rauchende Dorf geführt, in dem schon die ersten Flammen in die Strohdächer fuhren. Wieder diese Frage, was werden sollte. Sie drehte sich nach vorn und stolperte im selben Moment erneut über einen Stein, der auf dem Wege lag. Gerade noch konnte sie sich auf den Händen abfangen. Trotzdem lag sie schließlich der Länge nach im Straßenstaub und jemand schlug ihr kräftig in den Rücken. Dann wurde sie am Kleid wieder nach oben gerissen. Sie hörte das Krachen der Nähte, aber das Kleid hielt. Vor sich sah sie das Gesicht eines der Männer. Er kam ganz dicht an sie heran, wobei sie die Haare seines schwarzen Schnurrbarts hätte zählen können, dann brüllte der Mann sie an und Arika zuckte vor Angst zurück. Das Schwert drohend erhoben brüllte der Mann immer weiter, ohne dass sie es verstehen konnte. Doch der Mann blieb vor ihr stehen und griff zu ihrem Kleid. Daran zog er sie zu sich.

Sie riss schützend die Arme hoch, aber der Mann schleuderte sie nur der Freundin hinterher. Geistesgegenwärtig zog sie das lange Kleid ein Stück hoch, sonst wäre sie vermutlich wieder über den Saum gestolpert und ein weiteres Hinfallen hätte sie vermutlich mit ihrem Leben bezahlt. Sie rannte Swetlana hinterher, bis sie wieder im selben Abstand hinter der anderen Frau war.

Der Wind drehte und begann die Rauchwolken aus dem Dorf ihnen hinterherzuschicken. Wenig später hatte der erste Ruß sie eingeholt und nun brannten Arikas Augen von der verwehten Asche, doch Tränen hatte sie nun schon keine mehr. Eine Gruppe Reiter kamen ihnen entgegen und die Soldaten rissen die beiden Frauen zur Seite. Nur wenig später galoppierten die Pferde auf Armlänge an Arika vorbei. Die Männer hätten sicher nicht für sie angehalten.

Der durch die Hufe aufgewirbelte Staub vermischte sich mit dem Rauch aus dem Dorf. Ein paar Augenblicke später standen sie im undurchdringlichen Gemisch aus Asche und Straßenstaub. Arika begann zu husten und schluckte nur noch mehr von dem Nebel, der in ihrem Hals zu würgen begann. Wie viele Pferde mochten das sein? Eine unzählbare Menge ritt an ihr vorbei. Sie sah sie nicht, sie hörte nur das Donnern der Tiere, die keine Armlänge vor ihr vorbei raste. Die Erschütterungen übertrugen sich auf ihre Beine und ließen sie zittern.

Sollte sie einfach einen Schritt vortreten? Die Pferde würden den Rest übernehmen und Arika wäre wieder mit ihrer Familie vereint. Mit Vater, Mutter und den drei kleinen Schwestern.

Doch irgendetwas hielt sie zurück und das war nicht die nur leicht auf ihre Schulter gelegte Hand eines der Soldaten. Noch war sie am Leben und wusste nicht warum. Warum gerade sie beide? Hatten die fremden Soldaten noch etwas mit ihnen vor? Sicherlich! Sonst wären sie nun auch schon geschändet und tot.

Das Dröhnen verstummte und der Staub verteilte sich langsam. Das mussten wohl mehrere hundert Pferde gewesen sein. Arnika klopfte sich den Staub vom Kleid und sah, dass auch Swetlana es so machte. Sie hatten direkt nebeneinander gestanden und es nicht gemerkt. Vorsichtig nickten sie sich zu und wurden dann wieder auf die Straße gebracht. Es ging noch eine Weile weiter, bis am Rande des Weges ein geschlossener Wagen, mit ein paar Soldaten davor, stand. Es war ein Kasten auf Rädern. Nicht viel größer als zwei mal zwei Schritte und nicht sehr hoch.

Einer der Soldaten, mit einem besonders breiten Schnurrbart, öffnete eine Klappe an der Rückseite und zeigte hinein. „Da werden wir noch nicht mal richtig drin sitzen können!“, dachte Arika und zögerte einen Moment, doch einer der Männer schob Swetlana schon hinein und einer der krummen Säbel an Arikas Hals brach jeden Widerstand der jungen Frau.

Halb sitzend und halb liegend befanden sie sich wenig später in dem Kasten, in dem auch schon eine andere junge Frau lag. Die Klappe schloss sich und von oben fiel nur ein wenig Licht durch einen kaum fingerbreiten Spalt. Erst jetzt konnten sie sich weinend in die Arme fallen. Holpernd setzte sich der Wagen in Bewegung. Immer noch wussten sie nicht, warum sie noch lebten.

2. Kapitel

Im Feuer geboren

Wien, am 10. Juli 1683

Hans stand auf der Mauer der Stadt und sah in das Land hinaus. Die Rauchfahnen der brennenden Dörfer kamen immer näher. Am Tage zuvor hatte er sich freiwillig gemeldet, um an der Verteidigung Wiens teilzuhaben. Er war siebzehn Jahre alt und sein Vater, ein erfolgreicher Kaufmann, war nicht sehr erfreut über seine Entscheidung gewesen. Nun war er zu einer Geschützbatterie auf der Bastion eingeteilt, da er noch nicht viel Ahnung vom Soldatenhandwerk hatte. Wenn es dann soweit sein würde, dass das kleine Geschütz feuern musste, dann würde er Pulver aus dem Magazin holen müssen. Er war den Weg schon ein paar Mal mit einem, mit Steinen gefüllten, Eimer hin und her gerannt, um sich an den Weg zu gewöhnen. Die älteren Soldaten hatten ihn ziemlich gescheucht, aber einer hatte ihm gesagt „Dein Schweiß von heute erspart dein Blut von morgen!“ Das hatte er dann auch eingesehen. Sie hatten hier eine der elf Kolumbrinegeschütze mit einem Kaliber zu 10 Pfund aus dem Arsenal der Festung erhalten, mit dem sie die Bastion und das Vorfeld mit Kartätschen beschießen sollten. Die schwereren Geschütze standen weiter oben und sollten auf weitere Entfernung das Feuer führen. So würden sie eigentlich erst im letzten Moment mit ihrem leichten Geschütz in den Kampf eingreifen können.

Wenn er sich umdrehte, so konnte er das Dach vom Geschäft seines Vaters sehen. Es war keine vierhundert Schritte entfernt. Sollte der Feind hier durchbrechen, so würde das Haus seiner Ahnen nicht mehr zu retten sein. Der alte Paul trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hole einen Eimer Pulver aus dem Magazin. Wir wollen mal ausprobieren, ob dieses alte Feuerrohr überhaupt noch funktioniert“, sagte er und Hans lief los. Wenig später stand er vor dem Geschütz und Paul begann das Pulver in das Rohr zu füllen. Er stopfte es fest und zog einen zweiten Eimer zu sich, dann griff er hinein und zeigte eine Handvoll Nägel und Eisenschrott. „Das ist unsere Munition. Auf zweihundert Schritte zerreißt sie alles, was sich vor der Mündung befindet“, erklärte er. Mehrere Handvoll von den Nägeln fanden ihren Weg in das Rohr und wurden dann ordentlich gestopft. „Im Kampf muss das dann schneller gehen“, sagte Paul mit einem Schmunzeln. „So! Alle nach hinten!“, rief er und die Männer richteten das Rohr auf die Freifläche vor der Bastion. Er bohrte mit einem Dorn in die Öffnung der Kanone und füllte dann etwas Pulver aus einem Pulverhorn auf.

Alle traten zurück und Paul entzündete eine Zündschnur, die er in einen langen Haken klemmte. Er brüllte „Ein Schuss Kartätschen zur Probe!“, dann sagte er zu Hans, „Halte dir die Ohren zu.“ Langsam senkte er den Haken auf das Pulver. Es dauerte einen Augenblick, bis ein Flammenstrahl aus dem Zündloch schlug. Wenig später bäumte sich die Kanone auf und spuckte den Eisenschrott mit einem klingelnden Geräusch aus. Überall vor ihnen schlugen die Nägel ein. „So ist es richtig“, lachte Paul und schlug Hans auf die Schulter. Mit einem Wischer und Wasser säuberten sie das Rohr wieder und wischten es danach trocken. Wie als wäre ihr Schuss ein Signal gewesen, begannen nun auch die weiter oben postierten großen Kanonen der Bastion mit den Übungsschüssen. Der Druck des Mündungsfeuers riss an den Sachen der Männer an dem leichten Geschütz. „Das ist deine Feuertaufe!“, sagte Paul lachend, als er die Angst in den Augen von Hans gesehen hatte, die er eigentlich verbergen wollte.

Nachdem nun die Kanone wieder sauber war und die anderen Geschütze das Feuer eingestellt hatten, schlug Paul dem jungen Mann erneut auf die Schulter und sagte „Morgen früh bist du wieder hier oder wenn die Kirchenglocken uns alle auf die Mauern rufen.“ Hans nickte und verabschiedete sich. Noch einmal blickte er auf die Rauchsäulen und lief dann durch die Gassen zurück zu seinem Elternhaus. Überall sah er Menschen, die mit ihren Habseligkeiten auf der Flucht waren. Vielleicht konnten sie noch eine sichere Fahrt auf der Donau bis Passau erhalten. Auf dem Landweg wäre das sicher zu gefährlich.

Der Vater stand an der Tür seines Kontors und sah auch auf die Menschen. „Willst du nicht auch gehen?“, fragte Hans den Vater. Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Hier sind wir sicher und das verspricht sicherlich ein gutes Geschäft zu werden. Meine Lager sind voll. In ein paar Tagen wird man mir jeden eingepökelten Hering vergolden“, sagte der Mann und Hans schüttelte den Kopf. „Ist das christliches Denken, so auf die Not der Menschen zu spekulieren?“, fragte er den Vater, doch der winkte nur ab. Sicherlich wollte er sich auf keine Diskussion mit seinem Sohn einlassen.

Ein kleiner Junge kam die Straße heruntergelaufen und rief „Kaiser Leopold I. und die Kaiserfamilie haben Wien verlassen. Rette sich, wer kann!“ Hans hielt den Jungen an. „Ist das wirklich wahr?“, fragte er und der Junge nickte heftig, dann riss er sich los und lief weiter die Straße hinunter. Immer hektischer wurden die Menschen. Viele brachen nun noch schneller auf. Auch der Geselle des Vaters hatte sein Bündel geschnallt und wollte aufbrechen. „He! Ich brauche jede Hand!“, versuchte der Vater den Mann aufzuhalten, doch der Geselle riss sich los, lief davon und verschwand in dem Gewimmel auf der Straße. Hans sah ihm nach. „Solange du da an der Kanone rumspielst bin ich also hier alleine!“, stellte der Vater fast zornig fest. „Wenn die Tataren hierherkommen, so wirst du dafür sicher mit deinem Leben bezahlen!“, sagte Hans ebenfalls zornig, doch der Vater winkte ab. „Ich mache wenigstens etwas für die Verteidigung der Stadt!“, rief Hans dem Vater hinterher.

Ein Trupp Soldaten mit geschulterten Musketen kam die Gasse herunter und ging zur Bastion. „Wir werden die Stadt verteidigen!“, rief einer der Männer den Flüchtenden zu, doch damit konnte er nur wenige dazu bewegen, in der Stadt zu bleiben. Lange Kolonnen von schwer bepackten Männern und Frauen zogen zur Donau hinunter oder zu den westlichen Stadttoren hinüber. Viele Kinder liefen weinend zwischen ihnen herum und versuchten den Anschluss in dem Gewimmel nicht zu verlieren.

Hans sah den Soldaten nach und dann dem Vater, der gerade das Geschäft verschloss. Wohin sollte er gehen? Er entschied sich zur Kanone zurückzugehen. „Na? Schon wieder da?“, fragte Paul, als er wenig später auf der Bastion eingetroffen war. Hans nickte. „Ich habe da was für dich“, sagte Paul und holte aus einer Kiste ein breites, kurzes Schwert, dass er Hans umlegte. Nun war er ein Soldat!

3. Kapitel

Unerwartete Möglichkeiten

Im Burgenland, am 10. Juli 1683

Es war schon der nächste Tag, das hatte Arika aber nur an dem Licht gesehen, dass von oben in den Kasten fiel. Immer noch zuckelte der Wagen dahin. Wohin, das wussten sie nicht. Die dritte Frau hatte etwas von Harem aufgeschnappt, aber keine von ihnen wusste, was das bedeuten sollte. Nur dass sie die einzigen Mädchen aus den Dörfern gewesen waren, die noch Jungfrauen waren. Wahrscheinlich hatten die fremden Krieger das daran erkannt, dass sie noch nicht die typischen Hauben getragen hatten, die einer Frau übergestreift wurde, wenn sie zu einem Manne zog. Die Mutter hatte gerade an Arikas Haube gestickt, als die fremden Reiter das Dorf überfallen hatten. Bisher hatten sie diese Kiste nicht wieder verlassen dürfen und auch zu essen oder zu trinken hatte man ihnen nichts gegeben. Nur leise hatten sie sich unterhalten, nachdem einer der Männer auf die Kiste geschlagen hatte, als sie sich am Anfang darin noch laut unterhalten hatten. Sie wollten die fremden Männer nicht unnötig erzürnen.

Diese Ungewissheit ihres Schicksals war noch schlimmer, als die Gefangennahme. Immer wieder kamen die schrecklichen Bilder bei Arika hoch und sie sah wieder die säbelschwingenden, fremd aussehenden, Krieger in dem Dorf, wie sie über die sich nur unzureichend wehrenden Menschen herfielen. In wenigen Augenblicken war alles entschieden gewesen. Was hatten sie schon für eine Chance gehabt? Mistgabeln gegen Schwerter? Wenn das Verhältnis ausgeglichen gewesen wäre, dann hätte der Widerstand vielleicht noch einen Zweck gehabt. Aber so? Kaum fünfzig Bauern, Bäuerinnen und Kinder gegen mehr als zweihundert Reiter!

Immer, wenn sie die Augen schloss, sah sie vor sich, wie der Vater getroffen zusammenbrach und die drei kleinen Schwestern zur Mutter in die Hütte liefen, verfolgt von ein paar der Männer. Hätte sie entkommen können, wenn sie sich besser versteckt hätte? Sicher nicht! Die Männer hatten alles abgesucht und die Rinder aus den Ställen geholt. Nur die Schweine hatten sie in den brennenden Ställen gelassen.

Das quieken der Tiere in ihrer Todesangst war noch in ihren Ohren. Es hatte das Schreien der Menschen vollständig verdrängt. Das bei lebendigem Leib verbrannte Vieh hatte so ein unbeschreibliches Geräusch gemacht, das sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. In der Nacht hatte sie daher auch kaum geschlafen, auch wenn der Wagen da gestanden hatte und sie nicht durchgerüttelt worden waren. Mit ihnen Dreien war die Kiste gut gefüllt, aber es stank hier drin. Arika lag mehr, als das sie sitzen konnte und da sie ja nicht heraus konnten, hatte sie sich, als sie es nicht mehr ausgehalten hatte, das Kleid und Unterkleid hochgezogen und einfach laufen lassen, bis ihre Blase wieder leer war. Das machte den Geruch zwar noch unerträglicher, aber es half ja nichts.

Auch Swetlana hatte sich nach ihr so erleichtert. Beide waren sie dazu nah an den Ausgang gekrochen und dann wieder zurück, damit sie nicht darin liegen mussten. An Stroh oder etwas Ähnliches hatten die Osmanen nicht gedacht. Die drei Frauen lagen auf den Brettern und malten sich in ihren Gedanken immer düstere Bilder ihrer Zukunft aus.

Die Bewegungen des Karrens wurden mit einem Male heftiger und die drei Frauen wurden regelrecht durchgerüttelt. Entweder war der Weg nun viel unebener oder sie bewegten sich schneller. Sie schrien auf und versuchten sich in dem Kasten irgendwo festzuklammern, doch es gab keine Griffe oder andere Möglichkeiten sich hier festzuhalten. Immer heftiger wurden die Bewegungen und sie wurden übereinander geworfen. Dabei versuchten sie, sich aneinander zu klammern, doch das gelang ihnen nicht. Schließlich klemmte sich Arika hockend mit Füßen und Rücken so zwischen Decke und Boden, dass sie feststeckte. Dann flog der Kasten durch die Luft und überschlug sich. Arika hielt die Luft an, es polterte und dann blieb der Wagen auf der Seite liegen. Da Arika sich festgeklammert hatte, hatte sie nur ein paar Abschürfungen und Prellungen abbekommen. Durch den Aufprall ging die Klappe am hinteren Ende auf und die Sonne schien herein.

Geblendet schloss die Frau die Augen und wendete sich ab. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie die andere Frau. Ihr Kopf war seltsam verdreht. Swetlana lag auf ihr und blutete am Kopf. Arika beugte sich über die Freundin, konnte sie aber nicht aufwecken. Völlig verstört kroch sie zu der offenen Luke und schaute hinaus. Vor ihr lag einer der Soldaten. Er war tot. Von vorn hörte sie die Pferde wiehern. Vorsichtig richtete sie sich auf und sah über den Kasten nach vorn. Die Pferde lagen am Boden und strampelten mit den Beinen. Der zweite Soldat lebte noch, war aber unter dem Wagen eingeklemmt. Das war die Chance zur Flucht.

„Swetlana! Komm!“, rief sie in den Kasten hinein, doch die Freundin rührte sich immer noch nicht. Sollte sie warten? Sie wendete sich ab und stieg vom Kasten. Ein Geräusch erschreckte sie. „Nur fort von hier!“, dachte sie. Schnell raffte Arika das Kleid bis zu den Knien herauf und rannte los. Wohin wollte sie eigentlich? Sie wusste es nicht, aber sie wollte den Männern nicht noch einmal in die Hände fallen. Die Ebene war so flach, dass ein Mensch sicher sehr weit zu sehen war. Es stand kaum mal ein Baum in der Gegend und wenn die Reiter kommen würden, so wäre es für sie ein leichtes gewesen, Arika wieder einzufangen.

Die junge Frau lief so schnell, wie sie nur konnte und nach einer Weile fiel sie in eine flache Grube, wo sie mit rasselnden Atem erst einmal ein paar Augenblicke liegen bleiben wollte, um etwas neue Kraft zu schöpfen. Nur langsam beruhigte sie sich wieder und presste sich dabei fest auf den Grund der Senke. In ihren Händen spürte sie Erschütterungen und drückte deswegen ihr Ohr auf den Boden. Ganz deutlich waren viele Hufe zu hören. Es konnte nicht weit entfernt sein, da die Erde sicher die Geräusche nicht sehr weit tragen konnte.

Vorsichtig schaute sie sich über dem Rand um und sah die Staubfahne, die nicht weit von ihr entfernt über das Feld zog. Die Reiter waren in derselben Richtung unterwegs, wie sie auch. Nach den Reitern kamen Pferdekarren und dann wurden lange Rohre hinter den Pferden hergezogen. Die Soldaten waren so nahe, dass sie einzelne Männer und Gesichter erkennen konnte.

Arika ließ sich zurücksinken und drückte sich wieder auf den Boden. Hier konnte sie bei Tageslicht nicht weiter gehen. Sie würde auf die Nacht warten müssen. Die junge Frau drehte sich vorsichtig auf den Rücken, presste sich auf den Boden der Senke und hoffte, dass sie nicht gefunden werden würde. Den Blick zur Sonne gerichtet flog ein stummes Gebet zu ihrem Gott nach oben. Würde es ihn erreichen?

4. Kapitel

Am Leben gelassen?

Im Burgenland, am 10. Juli 1683

Mit Kopfschmerzen wachte Swetlana auf und sah in die toten Augen der Frau unter ihr. Sie schrie auf, zuckte zurück und schlug dabei mit dem Kopf gegen die niedrige Holzdecke der Kiste, in der sie immer noch gefangen war. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihr und dann kroch sie langsam auf das Licht zu, das durch die offene Klappe zu ihr hereinfiel. Ihre Freundin konnte sie nicht sehen und so rief sie „Arika?“, aber sie erhielt keine Antwort. Vielleicht war die Freundin aus dem Wagen geschleudert worden? Swetlana sprang durch die Öffnung in das Gras hinaus und sah sich um, aber die Freundin war nirgendwo zu sehen. Stattdessen kam eine Gruppe von Reitern auf sie zu. Noch bevor sie eine Bewegung machen konnte, hatte sie die Spitze eines Säbels an der Kehle und sah zu einem wild aussehenden Reiter hinauf. Geblendet durch die Sonne, die hinter dem Kopf des Mannes stand, versuchte sie ihn zu erkennen. Er hatte eine Pelzmütze auf und seine Augen waren zu Schlitzen zusammengezogen. Ein zerzauster Schnurrbart zerteilte sein Gesicht, in dem sie keinerlei Regungen erkennen konnte. Die Säbelspitze wanderte aufwärts und drückte somit ihren Kopf nach oben. Sie wagte nicht zu atmen und stand einfach mit hängenden Armen vor dem Mann.

Dann sprang er vom Pferd, griff sie an der Hüfte und warf Swetlana wie einen Sack über den Pferderücken. Die Arme hingen auf der einen Seite und die Beine auf der anderen herab. Blitzschnell hatte er ihr Hände und Füße mit einem Strick zusammengebunden, so wie man sonst im Dorf die Kälbchen fesselte. Damit konnte sie zwar nicht mehr herunterfallen, doch an Flucht war auch nicht mehr zu denken. Selbst wenn sie gekonnt hätte, den schnellen Reitern hätte sie rennend nicht entkommen können. Ihr Zopf fiel herab und berührte den Boden. Mit einer schnellen Bewegung hatte der Mann ihr den Zopf mit seinem Schwert komplett vom Kopf getrennt. Achtlos ließ er ihn fallen, steckte das Schwert ein und ging zum Wagen hinüber. Swetlana sah mit aufgerissenen Augen auf das achtlos abgeschnittene Haar, das direkt vor ihr am Boden lag. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre langen Haare waren ihr ganzer Stolz gewesen. Jeden Tag hatte sie diese zwei Mal gewaschen und in jedem freien Moment gekämmt. Im Dorf war sie schon fast deswegen verspottet worden, aber das hatte sie stets ignoriert. Ihre langen schwarzen, glänzenden Haare lagen nun abgeschnitten am Boden.

Vom Wagen hörte sie ein fürchterliches Brüllen. Sie drehte ihren Kopf und sah durch die Tränen hindurch, wie die Reiter die beiden verletzten Pferde töteten und anschließend zerteilten. Der Reiter kam mit einem großen, blutigen Stück Pferdefleisch zurück zu ihr. Kurz überlegte er, worin er wohl das Fleisch verwahren wollte, als er an sie heran trat und ihr den Rock zerriss. Kurz schrie Swetlana auf, sah dann aber, dass der Mann das Fleisch in den Stoff wickelte und am Sattel befestigte, wodurch der, nun blutige, Beutel aus Stoff neben ihrem Kopf zu hängen kam. Schnell war der Mann auf dem Pferd und jagte los. Auf die Frau nahm er dabei keine Rücksicht. Sie sah nur, wie die Pferdehufe im wilden Galopp immer wieder in Richtung ihres Kopfes gingen. Daher versuchte sie, ihn so hoch wie möglich zu halten, aber ihr Genick erlahmte immer wieder. So sah sie auf den Weg herunter und schluckte den durch die Hufe aufgewirbelten Staub.

Wenn sie diesen Ritt überlebte, so war sie zumindest am Leben gelassen worden. Doch nun war sie die Beute dieser Männer und mit jedem Schritt der Pferde machte sie sich immer dunklere Gedanken darüber, was wohl noch mit ihr passieren würde. Immer wieder traf sie auch der blutige Beutel mit dem Fleisch am Kopf. Dagegen konnte sie sich nicht schützen, da sie ja ihre Hände nicht benutzen konnte. Mit jedem Pferdeschritt schnitt der Strick weiter in ihre Handgelenke und mit jeder Bewegung des Pferdes wurde es schlimmer. Wieder versuchte sie dem Schlag auszuweichen, rutschte dabei aber ab und hing nun, mit den Armen und Füßen nach oben, falsch herum auf dem Pferderücken. Nun sauste der Boden unter ihrem Rücken durch und sie zog sich nach oben, damit die Hufe nicht ihre Seite trafen. Sie blickte zur heißen Sommersonne hinauf und schickte ein Gebet nach oben, das sie am Leben blieb. Endlich wurde das Pferd langsamer und lief dann nur noch im Schritt weiter.

Schließlich hielt das Pferd, der Mann saß ab, sah sie Kopfschüttelnd an und zog sein Messer. Noch bevor sie sich darauf vorbereiten konnte, hatte der Mann den Strick durchtrennt, der sie oben hielt. Swetlana fiel nach unten und landete auf ihrem Rücken, alle viere nach oben gestreckt. Wenn es nicht so ernst gewesen wäre, so hätte sie darüber lachen können. Die Höhe war ja nicht so groß gewesen. Der Mann zog sie unter dem Pferd hervor und stellte sie auf die Füße, dann zog er sie am Arm hinter sich her. In der anderen Hand hatte er die Zügel, wodurch Pferd und Frau etwa gleichauf waren. Nach ein paar Schritten schob er das Pferd in ein Gatter, nachdem er ihm den Sattel und den Beutel mit dem Fleisch abgenommen hatte. Der blutgetränkte Sack, der mal ihr schöner Rock gewesen war, wurde Swetlana in die Hand gedrückt und sie hielt ihn, mit ausgestreckten Armen, weit vor sich. Die Frau sah an sich herunter. Im Mieder und weißem Unterkleid stand sie auf einer Freifläche.

Der Reiter hängte den Sattel auf, nahm ihr den Beutel wieder ab und zog sie am Arm hinter sich her zu einer Gruppe von Zelten, die dort gerade aufgebaut wurden. Einige Zelte waren um ein Feuer errichtet und dorthin gingen sie. Der Mann wickelte das Fleisch aus, platzierte es über dem Feuer und schob danach Swetlana in eines der Zelte.

Darin war nur eine Decke auf dem Boden ausgebreitet, die offensichtlich seine Schlafstadt darstellte. Swetlana zuckte zurück, doch der Mann drehte sie an der Schulter zu sich herum. Mit einem kurzen Ruck zerriss er ihr zuerst das Mieder und danach das Unterkleid, dann warf er Swetlana rückwärts auf das Lager. Die junge Frau schlug mit dem Rücken schmerzhaft auf den Boden auf und versuchte sich mit beiden Armen ihre Blöße zu bedecken.

Der Mann baute sich vor ihr auf. Kurz sah er sie von oben herab an, dann öffnete er sich den Gürtel, ließ die Hose fallen und warf sich auf sie. Alles Strampeln half ihr nichts, der Mann war viel zu kräftig. Er drückte ihr die Knie auseinander, stieß in ihren Schoß und als sie dabei aufschrie, schlug er ihr in ihr Gesicht. Sie schmeckte ihr Blut und musste mit zusammengebissenen Zähnen die Schändung erdulden. Schnaufend ließ er von ihr ab, zog sich die Hose wieder hoch, band ihre Hände an einen Zeltpfahl und verließ das Zelt.

5. Kapitel

Schande und Sünde

Osmanisches Marschlager im Burgenland, am 10. Juli 1683

Geschändet, gedemütigt, benutzt und beschmutzt saß Swetlana gefesselt in dem Zelt. Der Mann hatte sich auf ihrem nackten Bauch ergossen und sie konnte es sich nicht wegwischen, da ihre Hände vor ihrem Kopf gefesselt waren und die Schnur nicht so lang war. Die Tränen stiegen ihr in die Augen und sie wischte sich das Blut von der Lippe. Der Mann wollte offensichtlich verhindern, dass sie schwanger wurde und das sprach dafür, dass noch ein langes Martyrium vor ihr lag. Diese Schande würde sich nie wieder von ihr abwaschen lassen. Sie hatte mit einem Heiden das Lager geteilt! Auch, wenn es nicht freiwillig gewesen war. Schluchzend und verzweifelt hockte sie in dem Zelt.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte, dann sah sie sich in dem Zelt um, aber die Ausstattung war eher spärlich. Die Plane wurde zurückgeschlagen und der Mann sah in das Zelt. Er brachte ihr ein Stück Fleisch, dass er auf die Spitze seines Messers gespießt hatte. Sicher war es ein Teil des Pferdes. Swetlana hätte im Moment alles gegessen, so sehr knurrte sie ihr Magen an. Mit den Zähnen zog sie sich das dampfende Fleisch von der Messerspitze. Es war sehr heiß und sie verbrannte sich fast die Zunge dabei, aber sie wollte das kostbare Essen nicht wieder hergeben. Wenn sie nicht sowieso schon weinen würde, so wären spätestens jetzt die Tränen des Schmerzes aus ihr herausgeschossen. Offensichtlich sah er ihren Kampf mit dem heißen Fleischbrocken, daher ging er nach draußen und kam mit einem Trinkschlauch zurück. Swetlana trank gierig. Es war ein leichter Wein, den der Mann sicher irgendwo erbeutet hatte.

Sie nickte ihm dankbar zu und zeigte auf seine Spuren auf ihrem Körper. Der Mann verschwand und wenig später erschien eine alte Frau mit einem Eimer und einem Kleid. Die Alte machte Swetlana los und diese streifte das zerrissene Kleid von den Schultern. Swetlana wusch sich kniend in dem Eimer die Zeichen der Vergewaltigung von ihrem Körper. Mit einer selbstverständlichen Bewegung griff sie nach ihrem Zopf, um die Haare ebenfalls zu waschen, doch ihre Hand fasste ins Leere. Erst jetzt dachte sie wieder an den abgeschnittenen Zopf. Ihre Finger glitten durch das kurze Haar. Wie das eines Mannes war es nun. Sie schluckte ihre Tränen herunter und zog das neue Kleid an. Ein Unterkleid gab es nicht, aber es passte. Vermutlich war es einer anderen Frau geraubt worden, die es nun nicht mehr brauchen würde.

Ihre Finger strichen über den Stoff. Eigentlich war es ein sehr kostbares Kleid mit reicher Stickerei. Der Frau eines Kaufmannes würdig und sie fuhr mit der Hand über die kostbare Borte am Saum. Die ganze Zeit hatte die alte Frau keinen Blick von ihr gelassen und nun, da sie mit dem Waschen fertig war, fesselte sie Swetlanas Hände und auch die Füße. Danach schob sie Swetlana in eine Ecke des Zeltes, wo diese sich setzten sollte, und dann zog sie ihr noch die Schuhe von den Füßen.

Anschließend verschwand sie mit dem Eimer und den Resten von Swetlanas zerrissener Kleidung. Mit der Zeit wurde es draußen immer dunkler. Der Schein des Feuers drang durch die Zeltplane und gab ihr etwas Licht. Swetlana hörte draußen die Männer grölen und singen. Die waren sicher nur ein paar Schritte von ihr entfernt und sprachen anscheinend dem, für sie ungewohnten, Wein gut zu. Sie erkannte, dass die Fesseln sie im Moment sogar schützten. Wenn sie aus dem Zelt gegangen wäre, dann wären die enthemmten Männer sicher über sie hergefallen. Was würde aber werden, wenn der Mann betrunken zu ihr zurückkam? Sie verrichtete ein stummes Gebet und sah sich wieder um. Gab es denn hier so gar nichts, das ihr helfen konnte. Wenn der Mann sie töten würde, so wäre sie wieder mit ihrer Familie vereint, aber wenn sie es selbst tat, so würde sie für ewig in der Hölle schmoren müssen.

Ihre Gedanken begannen Kreise zu ziehen. Ein Ausweg musste her! Was konnte sie tun? Sollte sie den Mann so reizen, dass er sie töten würde? Ein Zweifel blieb zurück, dass das funktionieren konnte. Eigentlich wollte sie leben, aber wenn man es genau nahm, dann war sie schon mehr tot als lebendig. Nach der Schändung würde sie jeder steinigen können. Sie war eine Dirne geworden! Eine, die es mit Heiden trieb. Der Tod war ihr sicher und warum ihn dann hinauszögern?

Erneut lauschte sie nach draußen und zuckte zurück, als der Mann in das Zelt torkelte und neben ihr auf sein Lager fiel. Er hatte seinen Dolch im Gürtel stecken und der silberne Griff schien ständig zu rufen „Nimm mich!“ Dieser war auch noch in der Nähe ihrer gefesselten Hände, doch was würde es nutzen? Direkt vor dem Zelt grölten immer noch die anderen Männer. Selbst wenn sie das Zelt verlassen hätte, so würde sie nicht weit kommen. Sollte sie sich in die Klinge stürzen? Aber das wäre doch Sünde!

Vorsichtig zog sie die Waffe aus der Scheide heraus und schaute auf die schmale Klinge. Diese begann eine Art von Eigenleben zu führen. Immer wieder zuckte die Spitze wie von selbst in Richtung ihres Halses. Wie lange konnte ihr Martyrium dauern? Tage? Wochen? Vielleicht Monate, bevor der Mann ihrer überdrüssig werden würde? Eine kleine Zeit gegenüber den ewigen Qualen in der Hölle, wenn sie ihrem Leben selbst ein Ende setzte. Zumindest war es absehbar. Hier nur ein paar Tage Quälerei und dann ewige Erlösung im Himmelreich. Vorsichtig schob sie den Dolch zurück und bat Gott, ihr die Stärke zu geben, um ihr Los zu ertragen.

Sie legte sich zur Seite und versuchte zu schlafen. Immer noch war draußen Krawall und hier schnarchte der Mann auf seiner Decke. Schließlich fielen ihr die Augen zu und sie schlief bis zum Morgen traumlos durch. Der Mann weckte sie, als er aufstand und dabei gegen ihr Bein stieß. Ob er das absichtlich gemacht hatte, konnte sie nicht sagen. Swetlana setzte sich auf und sah ihn an. Er nickte ihr zu, durchtrennte die Fußfessel und zog sie auf die Beine. Dann zeigte er auf sein Lager und sie verstand nicht, was er meinte. Wollte er sich wieder an ihr vergehen? Doch er zeigte auf die Decke und dann verstand sie, dass sie das Lager aufräumen sollte. Sie zeigte ihre gefesselten Hände, doch er schüttelte den Kopf und verließ das Zelt. Swetlana kniete sich vor das Bett und räumte auf. Viel gab es da nicht zu räumen.

Dann kam der Mann mit etwas Brot und dem Trinkschlauch zurück. Sie griff zuerst zum Brot und schob es sich mit beiden Händen gleichzeitig in den Mund. Dabei verschluckte sie sich und griff zum Trinkschlauch. Es war wieder Wein darin. Hastig trank sie und dabei lief ihr der Wein aus dem Mundwinkel und floss auf das Kleid. Eine Ohrfeige von ihm war der Lohn für ihre Unvorsichtigkeit.

6. Kapitel

Erinnerungen in blauem Dunst

Dresden, am 11. Juli 1683

Kurt saß am Tisch in der Schänke, wie er es jeden Sonntag, nach dem Gottesdienst, machte. Es war eine Art von Ritual für ihn geworden. Nur an diesem Tage war er nicht in der Kaserne. Er war, trotz dass er erst sechsundzwanzig Jahre alt war, schon Offizier in einer der acht Kompanien des kursächsischen Leibregimentes zu Fuß. Die Tatsache, dass er den Kurfürsten persönlich kannte, hatte dabei aber nur wenig zu seinem schnellen Aufstieg beigetragen, doch es hatte ganz sicher auch nicht geschadet. Dieses Regiment war das Beste der ganzen sächsischen Armee, die erst vor ein paar Jahren als stehendes Heer aufgestellt worden war. Jeder wollte dort dienen und er war mit seinen Männern ganz zufrieden.

Genüsslich zog er an seiner Pfeife und schaute dem blauen Rauch nach, der durch die Kerzenflamme nach oben gezogen wurde. Es war zwar noch heller Tag und alle Fenster waren offen, aber diese Kerze musste sein. Er hatte sie sogar selbst mitgebracht und, wie immer, umständlich entzündet. Auch das war ein Ritual für ihn und er gedachte damit an seine Frau und die Tochter, die vor ein paar Jahren an der Ruhr gestorben waren. Seit dieser Zeit hatte er sich nur noch in den Dienst gestürzt und wenn er Zeit hatte, so wie an jedem Sonntag, dann saß er hier, schaute auf das Bild in dem Medaillon und rauchte sein Pfeifchen. Warum er gerade diese Schänke immer wieder auswählte, das wusste er nicht. Es gab ja drei auf dem Weg von der Kirche zu seiner Wohnung.

Als Graf hätte er sich durchaus auch ein kleines Schloss hier in Dresden leisten können, aber er sah den Nutzen nicht wirklich ein. Für sich und seinen Leibdiener Johann reichte die Wohnung völlig aus. Er winkte den Wirt zu sich und ließ sich ein Bier bringen, das auch kurze Zeit später vor ihm stand. Gerade als er es ansetzte, öffnete sich die Tür und einer seiner Offizierskameraden betrat die Schänke. Der Mann sah sich um, als ob er jemanden suchte und kam dann an seinen Tisch. „Ich war gerade beim Kurfürsten“, begann er. „Am Sonntag?“, unterbrach Kurt ihn und zog die Augenbrauen hoch. Der andere Mann nickte und setzte, nun etwas leiser, fort „Schon am 4. Juli standen die Osmanen an der österreichischen Grenze. Heute kam die Depesche, dass sie mit einem riesigen Heer über diese Grenze gekommen sind!“ „Die wollen sicher nach Wien!“, setzte Kurt ein. Beide Männer nickten sich wissend zu.

Das hatten die Osmanen ja schon mal versucht. 1529 war das gewesen, keine 160 Jahre war es her und damals waren sie gescheitert. Nun starteten sie offensichtlich einen neuen Versuch. „Sicherlich leistet der Kurfürst dem Kaiser seinen Beistand, so wie er es versprochen hat“, erklärte Kurt. Wieder nickten beide, denn sie wussten, was dies bedeuten würde. „Da werde ich mal meine Pistolen von Johann putzen lassen“, sagte Kurt und rief den Wirt. Schnell bezahlte er, löschte die Kerze und verwahrte diese in seiner Tasche.

Beide Offiziere brachen gleichzeitig auf. Noch hatte der Kurfürst nicht gesagt, dass er dieses Regiment entsenden würde, aber es war so gut wie sicher, dass er es tun würde und dass dies bald geschah. Sicherlich hatte der Kaiser noch nicht um die Hilfe gebeten, aber auch das würde sicher schon bald folgen und es war wichtig, vorbereitet zu sein für diesen Moment. Vor der Schänke trennten sich ihre Wege. Wenig später traf Kurt in seiner Wohnung ein, wo ihn Johann schon begrüßte „So früh zurück, Herr Graf?“, fragte der Diener mit einer Verbeugung und nahm seinem Herren den Mantel ab. „Ja. Es scheint wieder Krieg zu geben“, sagte Kurt, so, als ob er über den Regen reden würde. „Dann werde ich gleich die Pistolen laden“, erwiderte Johann, doch Kurt hielt ihn auf. „Reinigen ja, aber das Laden hat noch ein paar Tage Zeit.“ „Sehr wohl, Herr Graf“, sagte Johann und verschwand mit dem Mantel.

Nun stand er alleine im Flur seiner Wohnung. Er hatte sie bezogen, nachdem seine Frau und seine Tochter damals gestorben waren. Nichts sollte ihn wieder an den Kummer erinnern und doch stand er nun genau vor dem Bild an der Wand, das die Beiden zeigte. Liebevoll strich er mit den Fingern über den Bilderrahmen und ging danach in sein Wohnzimmer hinüber. Aber selbst hier konnte er sie durch die offene Tür sehen.

Der Mann stützte seinen Kopf in die Hand und dachte daran, was er seinen Männern wohl am nächsten Tag sagen würde. Sollte er überhaupt etwas sagen? Vielleicht den Unteroffizieren, damit sie schon mal vorsorglich ihre Familien informieren konnten. Die Soldaten waren ja alle ledig. Nur die Familien der Unteroffiziere konnten die Truppe begleiten, wenn sie dies wollten. Aber wer wollte schon freiwillig in einen Krieg ziehen? Er vielleicht, denn er hatte ja nichts mehr zu verlieren.

Nur gewinnen konnte er. Entweder er tat sich durch seinen Mut hervor und wurde dafür befördert oder er fand dadurch den Tod und wäre damit wieder mit Frau und Kind vereint.

„Ach Sofie“, seufzte er nur und blickte weiter zu dem Bild. Nur ein paar Jahre hatte die Ehe gehalten. Diese verdammte Krankheit hatte ihm alles geraubt, was für ihn wichtig gewesen war. Johann trat in die Tür, verbeugte sich und sagte „Herr Graf, die Pistolen und das Schwert sind bereit. Und ihr Abendessen ist auch für sie vorbereitet.“ Der Graf nickte und setzte sich an den großen Tisch hinüber. Das war das Zeichen für den Diener die Speisen aufzutragen.

Es gab ein einfaches Mahl. Genau richtig für einen Soldaten. Früher hatte er noch ausgelassene Feste gefeiert. Wie lange schien das schon her zu sein? Unendlich lang! Nur die zwei Jahre seiner Ehe hatte er so gelebt, danach eher spartanisch. Nur das unbedingt nötige wurde gegessen, gekauft, getan. Das führte natürlich dazu, dass er seinen Sold und die Gelder seines Gutes nicht brauchte.

Eigentlich wusste er selbst nicht, wie viel Geld er schon hatte und es interessierte ihn auch nicht wirklich. Was brauchte er schon? Nur sein Pfeifchen. Das fiel ihm wieder ein. „Johann“, rief er und der Diener erschien. „Besorge mir genug Tabak, damit er für einen längeren Feldzug reicht“, sagte er und der Diener verbeugte sich. Er würde am nächsten Morgen den Wunsch seines Herrn erfüllen.

7. Kapitel

Beute des Krieges

Osmanisches Marschlager im Burgenland, am 11. Juli 1683

Die Männer waren davon geritten und die alte Frau kam zurück in das Zelt. Mit ein paar Handzeichen zeigte sie an, dass das Zelt nun abgebaut werden sollte. Swetlana fragte sich in Gedanken, warum sie wohl das Lager machen musste, wenn doch das Zelt sowieso abgebaut wurde. Vermutlich wollte der Mann damit erreichen, dass sie alles machen würde, was er sagte oder zeigte, ohne Fragen zu stellen. Sie zuckte nur mit den Schultern und trat aus dem Zelt heraus. Außer ihr waren noch drei alte Frauen damit beschäftigt, etwa zwanzig Zelte abzubauen und auf zwei Wagen zu verladen. Die Arbeit ging den Frauen flott von der Hand, offensichtlich war es ihre tägliche Beschäftigung.

Swetlana schaute bei einem Zelt zu und begann dann eines der anderen abzubauen. Es ging nicht ganz so schnell, wie bei den anderen Frauen, aber schon bald wusste sie, an welcher Schnur sie zuerst ziehen musste. Auf dem Karren lag auch schon Verpflegung in Säcken und irgendetwas in Fässern darauf. Vor jedem Karren war ein Ochse angespannt und nachdem sie alles verladen hatten, begannen die anderen beiden Frauen mit dem ersten Karren loszuziehen und Swetlana trat zu dem zweiten Ochsen.

Sie versuchte alles, um das Tier dazu zu bewegen, dass es loslief, aber der Ochse verstand sie einfach nicht. Schließlich begann sie auf Ungarisch zu fluchen, wie sie es immer tat, wenn sie über etwas erzürnt war. Sie dachte, dann würde sie Gott nicht verstehen. Aber der Ochse sah sie auf einmal überrascht an. Also probierte Swetlana es auf Ungarisch und das Tier gehorchte sofort. Auch die ältere Frau, die mit ihr bei dem Wagen lief, hatte zu ihr gesehen. Sie hatte wohl gewartet, wie sich Swetlana anstellen würde und war nun auch überrascht, dass sie Ungarisch sprach. Sie trat zu ihr und sagte „Ich bin Ursula. Du kannst Ungarisch?“ Swetlana nickte und sagte „Meine Familie stammt von dort. Ich bin Swetlana.“ Die beiden Frauen gaben sich die Hand und Ursula fesselte Swetlana an den Karren. „Warum tust du das?“, fragte Swetlana überrascht nach, denn die ganze Zeit hatte sie sich frei bewegen können. „Du bist die Kriegsbeute von Taras. Wenn du fliehen solltest, so wird er mich sicher töten.“ „Wäre der Tod den so schlimm?“, fragte Swetlana und zeigte auf den Dolch an Ursulas Seite. „Töte mich doch! Du kannst doch sagen, dass ich versucht habe, zu fliehen. Ich will keine Beute von irgendjemanden sein!“, bettelte Swetlana, doch Ursula schüttelte nur den Kopf.

„Dein Tod wäre auch der meinige!“, sagte sie mürrisch und wechselte auf die andere Seite, damit Swetlana nicht auf der Seite ihres Dolches lief. Die Schnur war genau so lang, dass sie neben dem Ochsen hergehen konnte. Nicht eine Handbreit länger. So hätte sie die Waffe nicht erreichen können, selbst wenn sie es gewollte hätte. Doch es wäre Sünde gewesen, sich selbst zu töten.

Aus Sicht der protestantischen Frauen war das wohl nicht so schlimm. Swetlana hatte schon gehört, dass es für sie keine Hölle gab, aber konnte das stimmen? Hatten sie nicht alle den gleichen Gott? Sie fasste den Ochsen beim Horn und zog ihn zurück in die Mitte des Weges, von dem das Tier gerade durch ihre Unvorsichtigkeit abgekommen war. Die Tiere gingen nun gemütlich hintereinander her und schlossen sich dann einem Zug von Wagen an, der scheinbar unübersehbar lang war. Der von den Hufen aufgewirbelte Staub in der Sommerhitze war so fein, dass selbst ein vor den Mund gebundenes Tuch ihn nicht abhalten konnte. Es knirschte zwischen den Zähnen und Swetlana musste fast ständig husten.

So konnten sie sich auch nur schwer unterhalten, aber Ursula war den Staub offensichtlich schon gewohnt, deshalb begann sie mit einem Monolog über die Männer, deren Zelte sie gerade transportierten. Dabei ließ sie sich durch Swetlana nicht stören und diese hörte, zwischen den Hustenattacken, aufmerksam zu. „Die Männer sind Tataren. Sie kommen von der Krim. Dein Herr, er heißt Taras, ist einer der Stammesführer. Er ist sehr wohlhabend, zumindest für einen Tataren. Er besitzt viele Pferde in seiner Heimat und von der Beute, die er hier macht, nimmt er sich alles mit nach Hause.“ Dabei zeigte sie auf eine große Kiste, die mit auf dem Wagen stand.

Swetlana zuckte zusammen und dachte daran, dass sie ja auch seine Beute war. Würde er sie mit in seine Heimat nehmen, wenn dieser Krieg hier vorbei war? Weit weg, von all dem, was sie kannte und liebte! Irgendwohin in der Steppe. An einen Ochsenkarren gebunden. War das ihr weiteres Leben, bis Gott sie irgendwann zu sich rufen würde? Sie sah Ursula an. Die Frau war sicher mehr als fünfzig Jahre alt. Blieben damit bei ihr noch über dreißig Jahre der Gefangenschaft? Es war schier zum Verzweifeln und wenn der Ochse sie nicht gezogen hätte, sie wäre auf der Straße zusammen gebrochen. Doch so lang war der Strick nicht!

Zumindest wusste sie nun, dass ihr Peiniger Taras hieß. Auch, wenn ihr das nichts nutzen würde. Aber sie konnte sich wenigstens mit Ursula unterhalten und war damit nicht mehr ganz so alleine, wie sie es noch beim Aufwachen am Morgen gewesen war. Ohne Rast ging es den ganzen Tag so weiter. Ihre Füße schmerzten, da Ursula ihr ja die Schuhe abgenommen und auch nicht wieder zurückgegeben hatte. Barfuß schleppte sie sich vorwärts.

Schließlich erreichten sie den neuen Lagerplatz gegen Abend und mussten noch schnell die Zelte aufbauen, bevor die Männer von ihren ausgedehnten Streifzügen wieder zu ihnen zurückkommen würden. Auch die Verpflegung musste dann schon vorbereitet sein. Im Gegensatz zum Abbau wurde der Aufbau der Zelte immer von zwei Frauen übernommen. Nur so ging es einigermaßen zügig vorwärts. Die ungeübten Handgriffe waren dabei bei Swetlana noch etwas unbeholfen, zumindest beim ersten Zelt. Dann standen endlich die zwanzig Zelte inmitten von hunderten anderen.

Wie die Männer diese in dem Zeltgewirr finden konnten, war Swetlana noch unklar, daher fragte sie Ursula und diese zeigte zu einer Fahne auf dem Wagen, die darauf noch eingerollt lag. „Die stellen wir dann am größten Zelt, an dem von Taras, auf und alle wissen, wohin sie müssen. Das wird dann ab heute deine Aufgabe sein“, sagte die alte Frau. Swetlana nickte und nahm die lange Stange von dem Karren. Vorsichtig wickelte sie die Fahne auf. Ein grünes Tuch mit ein paar Symbolen und einem sichelförmigen Mond erschien.

Sorgsam stellte sie die Fahne auf. Dann sah sie nach oben. Hatte sie damit nicht auch Taras symbolisiert „Hier bin ich?“

8. Kapitel

Unterwegs

Im Burgenland, am 12. Juli 1683

Seit zwei Tagen war sie nun schon zu Fuß unterwegs oder besser: seit zwei Nächten, da sie sich nur noch in der Nacht vorwärts bewegte. Am Tag lag sie am Boden und versuchte sich nicht finden zu lassen. Am ersten Tag hatte sie überlegt, wohin sie sich wenden sollte, dabei war ihr nur Wien eingefallen. Dorthin hatte sie der Vater im letzten Herbst mitgenommen. Es waren drei Tagesmärsche gewesen und das Kleid, das sie gerade trug, stammte auch aus der großen Stadt. Vielleicht war das ja ein Zeichen gewesen. Damals hatten sie ein paar Schweine auf den Markt getrieben und einen guten Preis dafür erzielt. Sicherlich waren es noch zwei Nächte, da sie im Dunklen, abseits der Straße, nicht so schnell laufen konnte. Der Hunger begann nun auch ihren Magen durcheinander zu bringen. Nirgendwo war noch etwas zu essen zu finden. Die fremden Krieger hatten sicherlich absichtlich gewartet, bis die Ernte vom Feld war und damit konnte Arika nur noch die Rinde von ein paar einzelnen Bäumen essen, die sie mit Fingernägeln und Zähnen von den Stämmen gezogen hatte.

Arika saß in einem Erdloch, mit dem Rücken an der Wand, und lauschte nach draußen. Immer wieder zogen Reiter an ihr vorbei. Nicht mal fünfhundert Schritte trennten diese Grube von der Marschstraße. Sie hoffte inständig, dass nicht irgendjemand hier herüberkam, um in die Grube zu sehen, dann wäre es um sie geschehen.