Flugsand Journal 2018 - Joke Frerichs - E-Book

Flugsand Journal 2018 E-Book

Joke Frerichs

0,0

Beschreibung

In meinem Journal halte ich fest, was mir im Jahr wichtig war: Leseeindrücke. Berichte von Ausstellungen und Konzerten. Begegnungen. Naturschilderungen. Reiseberichte. Reflexionen. Erlebnisse der besonderen Art. Es handelt sich um Schreibversuche, Fingerübungen, Arbeitsnotizen, Materialsammlungen, kurzum: um das Innenleben einer schriftstellerischen Existenzweise, aus deren Rohstoff im Idealfall irgendwann einmal Literatur wird.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 142

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das erste Buch des Jahres ist auf den Weg gebracht – das Journal 2017 mit dem Titel: Gegenblende. Petra hat es gestern formatiert; das ist schon fast zur Routine geworden, obwohl es immer wieder Überraschungen gibt. Diesmal lassen sich die Zitate aus Fremdtexten (Briefe; Stellen aus Romanen etc.) nicht einfügen; sie tanzen buchstäblich aus der Reihe, und es macht Mühe, sie wieder in den Text zu integrieren. Aber Petra schafft es immer wieder – mit viel Geduld und mittlerweile großem technischen Sachverstand.

*

Ich schreibe fast täglich; mal mehr, mal weniger. An Tagen, an denen ich nicht zum Schreiben komme, fehlt mir etwas. Sie kommen mir irgendwie leer bzw. vertan vor; trotz Lektüre. Man kann also sagen: das Schreiben ist mir zur Passion geworden. Das Gefühl, einen Sachverhalt adäquat formuliert zu haben; vielleicht eine gelungene Gedichtzeile o.ä., tut dem Gemüt gut. Erst danach kann ich mich auf andere Dinge konzentrieren, die mir dann ebenfalls Spaß machen: Kochen z.B. In diesem Fall hat es damit zu tun, dass man etwas mit den Händen macht.

*

Petra hat ihr Auto an die Werkstatt Dirks verkauft. Schade um das schöne Auto; aber wir haben es einfach zu wenig genutzt. Gleichzeitig hat sie ihre Garage an unseren Nachbarn Enzo weitergereicht, der ganz scharf darauf war. Vor Petra hatte sie seinem Vater gehört.

*

Rufe bei der Hautärztin an. Alles in Ordnung; der Sonnenschaden ist nach zweimaligem Eingriff behoben. Ich brauche mir keine weiteren Sorgen zu machen. Große Erleichterung, dass es kein Hautkrebs ist.

*

Habe den Roman Operation Shylock von Philip Roth gelesen. Ein kunstvoll gestalteter Roman mit vielen stilistischen Glanzpunkten. Es tritt ein Doppelgänger von Roth auf, der vorgibt, eine Lösung für die Judenfrage zu haben: alle Juden, die während der Nazizeit nach Israel geflohen oder ausgewandert sind, sollen in ihre Herkunftsländer zurückkehren – in die sog. Diaspora. Nur so könne ein weiterer Holocaust in Gestalt eines von den Arabern inszenierten Atomschlags verhindert werden. Da der Doppelgänger als Philip Roth auftritt und bis ins Äußere diesem gleicht, beginnt ein Verwirrspiel um Identität, Verstellung, Täuschung und Realitätsverlust. Roth reist nach Jerusalem, um sein Double zu stellen. Dabei gerät er immer tiefer in den ganzen Schlamassel, dessen Sinn ihm verborgen bleibt.

Eingewoben in die Handlung wird der Prozess gegen den ukrainischen Massenmörder Demjanjuk, bei dem auch nicht sicher ist, ob es sich tatsächlich um Ivan den Schrecklichen handelt, der im KZ Treblinka Juden auf die grausamste Weise massakriert hat. Der Angeklagte jedenfalls bestreitet seine Identität.

Dass man in dem Roman viele Details über die Geschichte des Judentums und Israels erfährt, versteht sich nahezu von selbst.

*

Das neue Buch ist da: mein Journal 2017 mit dem Titel Gegenblende. Werde nachher einmal darin blättern und bin gespannt, wie sich das Ganze liest. Man überrascht sich häufig selbst mit einigen Episoden.

*

Fast täglich gibt es neue Skandale um Trump. Jetzt hat er die Afrikaner beleidigt, die angeblich alle aus Dreckslöchern in die USA kommen. Einer Prostituierten hat er angeblich Schweigegeld bezahlt. Presse und Justiz verunglimpft er in einem fort. Während alle Welt nur den Kopf schüttelt und sich fragt, was daraus noch werden soll, sind seine Anhänger begeistert.

*

Die SPD windet sich in eine neue Große Koalition, nachdem Schulz nach der Wahlniederlage erklärt hatte, die Partei müsse sich in der Opposition erneuern. Diese Aussage wurde tags darauf vom Vorstand einstimmig bestätigt. Nun ist er dafür, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, da die Sondierungen großartige Ergebnisse gebracht hätten. Dabei ist von den großmäuligen Forderungen nach einer Bürgerversicherung oder Reichensteuer rein gar nichts übrig geblieben. Die einst so stolze Partei versinkt in der Bedeutungslosigkeit. Ein Trauerspiel.

*

18.1.: Heute wird die Ausstellung Mit Bildern erzählt von Klaus in der Landesbibliothek Oldenburg eröffnet. Wie Klaus schrieb, steht die Ausstellung. Sorgen macht das Wetter: just für heute ist ein Orkan, Schnee und Glätte angekündigt. Bleibt zu hoffen, dass alles gut geht.

*

Habe die Erzählung Siddhartha von Hermann Hesse gelesen. H. hat sich intensiv mit indischer Philosophie und Religion auseinander gesetzt; die Erzählung ist Resultat dieser Beschäftigung.

S. gehört der Oberschicht der Brahmanen an, ist aber mit seinem Leben unzufrieden. Er verlässt sein Zuhause und schließt sich den Besitzlosen an, bis ihm die Einsicht kommt, dass ein Leben des totalen Verzichts und der Enthaltsamkeit auch nicht das Wahre ist. Er möchte am Leben teilhaben und beginnt, sich ins pralle Leben zu stürzen. Sinnlicher Genuss und das Ansammeln von Reichtümern werden ihm zum Lebensinhalt; bis auch das ihn nicht mehr befriedigt und er sich zu einem alten Fährmann, der einsam in einer Hütte am Fluss wohnt, zurückzieht.

S. versucht zeitlebens zur wahren Erkenntnis und Vollkommenheit zu gelangen. Sein Lebensmotto lautet: Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten. Man könnte sagen, dass sich darin die verschiedenen Lebensabschnitte widerspiegeln. Das erste Motto steht für eine Phase der Lernens und des Versuchs, durch die Lehren der Weisen zur wahren Erkenntnis zu kommen. Das zweite Motto für die Zeit der Suche und Teilnahme am richtigen Leben, ohne allerdings ganz darin aufzugehen. Und das dritte Motto steht für das Leben als Asket, für völlige Besitzlosigkeit und Verzicht.

Erst zum Ende seines Lebens – in der Zurückgezogenheit der Fährmannshütte – gelangt S. zur Einsicht, dass das Streben nach Wahrheit und die ewige Suche nach einer Theorie oder Lehre vergeblich sind. Es ist der alte, weise Fährmann, der ihn folgendes lehrt: Alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen ist die Welt. Alles zusammen ist der Fluss des Geschehens, ist die Musik des Lebens.

Am Schluss der Erzählung trifft Siddhartha noch einmal mit seinem Jugendfreund Govinda zusammen, mit dem er einst aufgebrochen war. S. sagt zu ihm: Und dies ist nun eine Lehre, über welche du lachen wirst: die Liebe, o Govinda, scheint mir von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt zu durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu können. Und etwas später heißt es: Mir ist das Ding lieber als die Worte, das Tun und Leben wichtiger als das Reden, die Gebärde einer Hand wichtiger als Meinungen. Nicht im Reden, nicht im Denken sehe ich die Größe, nur im Tun, im Leben.

*

Gratuliere Frauke zum 75. Geburtstag. Es wird ein ganz gutes Gespräch. Natürlich geht es überwiegend um früher. Aber sie hat mitbekommen, dass auch Janis Joplin 75 geworden ist. Und sie erzählt, dass Elke R. ein Jazzkonzert mit Chris Barber besucht und ihr vorgeschwärmt hat. Daraufhin erinnere ich sie, dass Gerhard und ich ein Konzert im damaligen Roxy – also ganz in der Nähe, wo sie und Hans gewohnt haben – erlebt haben. Das muss Anfang der 60er Jahre gewesen sein. Und sie berichtet von einem Traum, in dem Gerhard und ich vorkommen. Er sei so intensiv gewesen, dass sie anschließend kaum noch wusste, dass es nur ein Traum war.

*

terhalte mich im Basil’s mit Anke über lyrischen Expressionismus. Sie behandelt gerade im Unterricht den Expressionisten Ernst Wilhelm Lotz, den ich bis dahin gar nicht kannte. Jetzt habe ich einige Gedichte gelesen und bin ganz angetan. Mir gefällt die direkte, unverblümte Sprache, der weitgehende Verzicht auf überbordende Symbolik und die teilweise riskanten, weil ver-rückten Wortspiele. Formulierungen wie: Da warf ich dem Chef an den Kopf seine Kladden / Und stürmte mit wütendem Lachen zur Türe hinaus – heißt es etwa im Gedicht Wolkenüberflaggt.

Anke lässt ihren Schülern sehr viel Raum, um deren Phantasie anzuregen. Sie fordert sie auf, analog zu einem Gedicht von L. eigene Erfahrungen niederzuschreiben; es sei ganz erstaunlich, was die Schüler hervorbrächten, meint sie.

Anke scheint eine gute Lehrerin zu sein; so eine hätte man sich selbst gewünscht.

Unser Gespräch findet statt, nachdem der FC 2:0 gegen den HSV gewonnen hat.

*

Die SPD hat sich auf einem Sonderparteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entschieden. Allerdings haben nur 56 % der Delegierten dafür bestimmt. Die Parteispitze feiert das als großen Sieg. In Wirklichkeit wird damit der weitere Abstieg besiegelt, da eine Neuausrichtung der Partei ausbleibt. So sieht also der Politikwechsel à la SPD aus; es ist ein Weiter so Richtung 15 %.

*

Nachdem ich einige Gedichte von Ernst Wilhelm Lotz gelesen hatte, erinnere ich mich, dass ich Anfang der 80er Jahre eine Faksimile-Ausgabe mit dem Titel Der jüngste Tag antiquarisch erworben hatte. Die siebenbändige Ausgabe versammelt die Werke vieler Expressionisten der Jahrhundertwende bzw. der Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts. Darunter sind vergessene Künstler, aber auch Größen wie Benn; Kafka; Lasker-Schüler; Rilke; Franz Werfel; Musil; Heym oder Trakl. Es ist also ein wahrer Schatz, den ich damals gehoben habe. Und da ich z.Zt. an eigenen lyrischen Texten arbeite, werde ich mich weiter in die Lektüre dieser Autoren vertiefen und mir einige stilistische Anregungen holen.

Sehr hilfreich, um sich einen Überblick zu verschaffen, ist Band 7 der Ausgabe. Er enthält kurze Autorenkommentare und gliedert sich in 4 Abschnitte: Biographie; Bibliographie; Kurzinterpretation; Zitate. Zur Erläuterung heißt es im Text des Herausgebers: Der Umfang des einzelnen Autorenkommentars gibt keinen Hinweis auf die Bedeutung des Autors. Auf vergessene oder verschollene Autoren soll ein neues Licht fallen. Daher wird das vergleichsweise Wenige, was wir über sie wissen, möglichst lückenlos mitgeteilt, wohingegen bei bekannten Autoren vergleichsweise knapper verfahren werden konnte.

Über besagten Lotz heißt es: Lotz schrieb Verse, die wie Schmetterlinge im Frühling waren; bunt, lustig und taumelnd; alles andere als Tendenz, alles andere als Predigt.

*

Waren zu einem Benefiz-Konzert im Basil’s. Organisiert hatte es Marlene, die Schauspielerin, die im B. bedient. Das Konzert fand zugunsten der Flüchtlinge in Calais statt, die dort in einem Lager unter schlimmsten Bedingungen hausen.

Junge Musiker bieten kostenlos ihr Können dar; es ist eine anspruchsvolle, kunstvoll dargebotene Musik. Tom kümmert sich um die Elektronik und gibt am Schluss noch einige Chansons zum Besten. Marlene kümmert sich um Essen und Getränke, und zwei der Musiker geben Informationen zur Situation in Calais.

Zum Glück ist das Konzert sehr gut besucht; viele junge Leute, die nicht zur Stammkundschaft des B. gehören, sind gekommen. Dass wir mittlerweile die Ältesten sind, damit haben wir uns mittlerweile abgefunden.

*

Schicke Rob meinen Text über Funktionäre, nachdem wir uns über diese Spezies unterhalten haben. Er schreibt wie folgt zurück:

Dein ‚Funktionär‘ ist ‚erfahrungsgesättigt‘ (herrliche Vokabel, darf man die verwenden?) und universell zugleich. Du beschreibst einen Archetyp und seinen Kosmos aus Ritualen. Meine Bezeichnung dafür: 'Flanell-Affe' oder ‚Silberrücken‘. Als ich das erste Mal mit dieser Lebensform in Berührung kam, das mag gut 35 Jahre her sein, konnte ich es buchstäblich nicht fassen.

Außen Normalpath: Anzug. Krawatte, joviales, liberales Getue, Mo - Frei Meeting auf Meeting und eine Packung Marlboro, am Wochenende Party ‚Männer‘ von Herbert Grönemeyer. Innen: Man konnte nicht sicher sein, dass das Knochen sind oder was den aufrecht hält - ein Kerl ohne Eigenschaft.

'Wie wird man so?‘ oder ‚Wie kann man so leben?' Die Mittelmäßigkeit hat Angst, dass ihre Mittelmäßigkeit (und Faulheit) auffällt. Die können nämlich nix und sie wissen es. Außer den Anschein der eigenen Unersetzbarkeit zu pflegen.

Es spielt den Apparatschiks zusätzlich in die Karten, dass die deutsche Gesellschaft die Mittelmäßigkeit liebt, weil die sich vertraut und sicher anfühlt.

Wer seine eigene Mittelmäßigkeit quasi als Schild vor sich her trägt, bekommt in diesem Land deutlich mehr Applaus, als jemand, der eigene, evtl. kühne Ideen entwickelt.

Deswegen hatten wir 16 Jahre Herrn Kohl und bekommen die wohl auch mit Frau Merkel.

Ja, und wären wir dann bei der SPD. Die einst stolze Partei der Arbeiterbewegung wird seit Jahrzehnten dominiert von Besitzstandsbewahrern aus dem Öffentlichen Dienst und anderen mittelmäßigen Betonköpfen.

Die haben die Alte Tante in stabile Seitenlage versetzt – weil sich das aus ihrem Blickwinkel vertraut und sicher anfühlt. Ich kenne diese Mischpoke aus eigener Anschauung.

Am Ende stand eine ‚Immunreaktion', ungefähr so als ob der Körper fremde Einzeller bekämpft – so viel ist klar: Wir sind nicht kompatibel.

Dann schaue ich wirklich zufällig den SPD-Parteitag und reibe mir verwundert die Augen: Weil da steht jemand am Pult und zitiert aus dem Film Herr der Ringe.

Wer hätte gedacht, dass so viel Phantasie in einem Zwergenaufstand steckt? Wer hätte gedacht, dass er dafür keinerlei Häme oder Spott abbekommt?

Und wie konnte das den Silberrücken entgehen? Bricht da gerade was auf?

Fragen über Fragen. Die klären wir sicher bald.

Aber vorher viel Vergnügen im WW.

*

25.1. – 28.1.: Zimmerschied

Sind seit über 2 Monaten einmal wieder in Zimmerschied. Schuld war das miese Wetter. Als wir ankommen, ist es furchtbar warm in den Räumen. Unsere E-Heizung war voll in Betrieb, obwohl ausgeschaltet. Wahrscheinlich ist der Regler o.ä. defekt. Nach einiger Zeit gelingt es uns, die Heizung abzuschalten.

Etwas später bemerken wir, dass der letzte Orkan zwei Bäume direkt hinter der Sauna umgeweht hat. Der eine liegt ca. einen Meter hinter der Sauna quer über dem Reitweg. Glück im Unglück nennt man das wohl. Dann funktioniert der Fernseher nicht, so dass ich Czislinsky anrufen muss, der uns ganz sachlich und freundlich weiterhilft.

Dann gibt es aber auch noch erfreuliche Dinge: Wir hängen in Petras Zimmer einige Bilder von Zezo auf, die wir aus Köln mitgebracht haben. Sie machen sich prächtig. Die alten Bilder von Elias parken wir in der Saunahütte. Vielleicht können wir einige davon verschenken. Man glaubt gar nicht, wie sich die Atmosphäre durch die Neuhängung der Bilder in den Zimmern verändert.

Ein längerer und ein kürzerer Rundgang um das Dorf gehören wie eh und je zum Programm. Die Luft hier tut uns jedes Mal gut. Und am letzten Abend gehen wir in die Sauna, was wir ebenfalls sehr genießen. Anschließend entspannen wir bei einem Wein und Kerzenlicht.

Da das Wetter anhaltend schlecht ist (Nebel; Niesel und Wind), fällt es uns nicht schwer, nach Köln zurückzufahren.

*

Klaus und Gabi haben sich Gedanken über den Verlauf des gemeinsamen Leseabends in der Landesbibliothek Oldenburg gemacht und einen Ablaufplan geschickt, der uns sehr zusagt. Es wird eine Mischung aus Prosa- und Gedichttexten geben. Das dürfte auch für die Zuhörer attraktiv sein, wie überhaupt das Interesse an unserem Buch ungebrochen scheint. Klaus berichtet von einem 11jährigen Mädchen, der Tochter einer Bekannten, die sich in das Buch vertieft hat.

*

Waren gestern einmal wieder in der Flora. Weite Flächen waren mit Krokussen übersät; dazwischen Schneeglöckchen und Anemonen. Da die Sonne scheint, setzen wir uns zu anderen Besuchern auf eine Bank und halten für einige Momente das Gesicht in die Sonne. Da dieser Winter außer Feuchtigkeit und Kälte wenig geboten hat, ist dies ein besonderer Augenblick.

*

Lese den Roman Stiller von Max Frisch. Petra hatte ihn zuvor gelesen und mir empfohlen. Er gefällt mir aufgrund der raffinierten Erzählweise und Konstruktion sofort. Ich lese Frisch gerne. Z.B. habe ich schon sehr früh den Homo Faber gelesen; später dann Gantenbein, Biedermann und die Brandstifter und Tagebücher, die ich etwas stilisiert fand. Dann nochmals den Homo Faber,den ich beim Wiederlesen besonders eindrucksvoll fand.

Ich habe vom Stiller erst 100 Seiten gelesen, aber wie immer bei Frisch geht es um Fragen der Identität. Sätze wie: Man kann alles erzählen, nur nicht sein eigenes Leben oder: Es hängt alles davon ab, was wir unter Leben verstehen! Ein wirkliches Leben, ein Leben, das sich in etwas Lebendigem ablagert, nicht bloß in einem vergilbten Album… Dass ein Leben ein wirkliches Leben gewesen ist, es ist schwer zu sagen, worauf es ankommt. Ich nenne es Wirklichkeit, doch was heißt das! Sie können auch sagen: dass einer mit sich selbst identisch wird. Andernfalls ist er nie gewesen! – derartige Sätze geben einem schon zu denken. Sie führen mich wieder zum Nachdenken darüber, wie man von seinem Leben erzählen könnte und welcher Stellenwert der Erinnerung dabei zukommt. Mit diesen Fragen habe ich mich u.a. in meinem Roman Das Haus des Dichters auseinander gesetzt.

*

Die Lesung in Oldenburg nimmt Fahrt auf. Klaus und ich stimmen den Ablaufplan ab, und gestern gab es eine sehr anspruchsvolle, informative Presse-Erklärung. Klaus schickt auch noch einen Lageplan mit, damit wir den richtigen Eingang zur Landesbibliothek finden.

Ich schaue nach längerer Zeit einmal wieder ins Buch und lese mich fest. Diesmal im hinteren Teil, wo es um mein Schreiben geht. Ich wähle die Stellen aus, die ich vorlesen möchte. Andere, wie die über Erinnerung werde ich weglassen. Sie eignen sich nicht zum Vorlesen, weil sie zu komplex sind. Und dann ist die Passage im Teil von Klaus, wo es um seine Van Gogh-Aneignung geht, sehr eindrucksvoll und gut geschrieben.

*

Ein Geburtstag nach meinem Geschmack. Morgens Telefonate mit Frauke und Klaus. Um 11 Uhr ein kleiner Imbiss mit einem Glas Sekt. Mittags gehen wir zu Santo, unserem Italiener im Viertel. Anschließend in die neue Kunstgalerie, wo wir uns die aktuelle Ausstellung ansehen und danach einen Cappuccino trinken. Nach etwas Ausruhen und weiteren Telefonaten, u.a. mit Joke, Wolfgang, Gudrun und Nele gehen wir abends in den Bunten Hund, einem Ableger des Heimathirschen, wo der Kabarettist Stefan Reusch