Im Feuersturm - Uwe Goeritz - E-Book

Im Feuersturm E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

"Im Feuersturm - Grete Minde" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Vor genau vierhundert Jahren starb eine junge Frau in den Flammen eines Scheiterhaufens. Wie viele andere, die in dieser Zeit wegen Hexerei angeklagt waren, so war auch sie unschuldig. Doch noch lange Zeit später glaubten die Menschen, dass sie den großen Stadtbrand von Tangermünde verursacht haben sollte. Was hat zu ihrer Verurteilung geführt und wie hat sie gelebt? Diese Geschichte versucht eine Rekonstruktion und Richtigstellung der Ereignisse des Jahres 1619 anhand von Vergleichen zum Leben von anderen Menschen dieser Zeit und den erhalten gebliebenen Überlieferungen zum Leben der Margarete von Minden oder kurz: Grete Minde. Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) "Die Sklavin des Sarazenen" ISBN: 978-3-7448-5151-0 (26.07.2017) "Die Tochter aus dem Wald" ISBN: 978-3-7448-9330-5 (28.09.2017) "Anna und der Kurfürst" ISBN: 978-3-7448-8200-2 (20.11.2017) "Westwärts auf Drachenbooten" ISBN: 978-3-7460-7871-7 (26.02.2018) "Nur ein Hexenleben..." ISBN: 978-3-7460-7399-6 (24.04.2018) "Sturm über den Stämmen" ISBN: 978-3-7528-7710-6 (23.07.2018) "Die Rache der Barbarin" ISBN: 978-3-7528-4103-9 (01.10.2018) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Grete Minde

Inhaltsverzeichnis

Im Feuersturm - Grete Minde

Erinnerungen

Schmetterlingsflügel

Bruderliebe

Freundesbande

Kind oder Frau?

Im Wein liegt Wahrheit?

Mägdeleben

Zwei Seiten einer Münze

Wintergedanken

Ein weiter Weg

Entscheidungen

Halunken und Halloren

Ehrlos

Zorn und Hass

Vollkommenes Glück?

Motten im Licht

Ab ins Verderben?

Herren und Männer

Angst im Dunklen

Sehnen nach Sonne

Frühlingsgedanken

Ein wichtiges Dokument

Eine unmissverständliche Warnung

Recht haben und Recht bekommen

So nah und doch so fern

Am Hünerdorfer Tor

Nichts zu verlieren?

Macht des Geldes

Sommer der Räuber

Verzweifelte Suche

Mut oder Übermut?

Todesstunden

Schrecken der Wälder

Freude und Schmerz

Der Herbst der glücklichen Magd

Freundinnen

Ein weißes Tuch

Schmerzvolle Erfahrungen

Familienleben

Zwischen den Männern

Schmutziges Geld

Osterfreuden

Ein Meisterstück

Die Frau des Meisters

Staubige Pfade

Geschenk des Himmels?

Ein gütiger Hirte

Glück auf Zeit

In Todesangst

Gottesgericht oder Höllenfeuer

Schutt und Asche

Heilung und Befreiung

Fahrendes Volk

Schicksalshafte Begegnungen

Schuldlos in Haft

Glückliche Fügung

Unschuldig und doch verloren

Gedankenflügel

Falsches Zeugnis

Sommerträume

Frei von Furcht und Zwang

Des Teufels Gehilfe

Schmerz und Wut

Tödliche Gerüchte

Gerechtes Urteil?

Schwarzer Geselle

Dem Tode so nah

Getautes Herz

Im Feuersturm

Ein nutzloses Symbol

Flucht oder Aufbruch?

Aus dunkler Zeit…

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Im Feuersturm - Grete Minde

V or genau vierhundert Jahren starb eine junge Frau in den Flammen eines Scheiterhaufens. Wie viele andere, die in dieser Zeit wegen Hexerei angeklagt waren, so war auch sie unschuldig. Doch noch lange Zeit später glaubten die Menschen, dass sie den großen Stadtbrand von Tangermünde verursacht haben sollte. Was hat zu ihrer Verurteilung geführt und wie hat sie gelebt?

Diese Geschichte versucht eine Rekonstruktion und Richtigstellung der Ereignisse des Jahres 1619 anhand von Vergleichen zum Leben von anderen Menschen dieser Zeit und den erhalten gebliebenen Überlieferungen zum Leben der Margarete von Minden oder kurz: Grete Minde.

Ein Teil der handelnden Figuren ist frei erfunden, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen. Die historischen Bezüge sind jedoch durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

Prolog

Erinnerungen

S ie saß mit dem Rücken gegen die buckelige Wand gelehnt und hatte die Beine weit von sich gestreckt. Es war ein kleines Kellerloch, worin sie sich befand und das Rathaus ruhte mit seinem steinernen Bau über ihrer Zelle. Noch war es dunkel, so dass sie noch nicht mal ihre Hand vor Augen sehen konnte. Sie versuchte sich anders hinzusetzen, doch ein Schmerz durchzuckte sie und sie hörte mitten in der Bewegung auf. Nur so konnte sie einigermaßen Schmerzfrei sitzen. Darum rutschte sie wieder zurück in die vorherige Position. Vor vielen Tagen hatte die Folter geendet, doch ihr geschundener Körper hatte noch immer nicht die Kraft gefunden, sich davon wieder zu erholen.

Wie lange war sie schon hier unten? Es schien ihr ewig her zu sein, dass sie die Sonne zuletzt gesehen hatte, und doch war es noch keine neun Wochen her, dass sie noch unbehelligt vor diesem Rathaus Kräuter verkauft hatte. Hätte sie noch Tränen gehabt, dann wären diese nun sicher in ihre Augen getreten, doch Grete hatte keine Tränen mehr. Diese letzten Wochen waren einfach nur furchtbar gewesen und immer noch fragte sie sich, warum sie eigentlich hier unten war, aber das Urteil des Gerichtes war eindeutig gewesen. Vor ein paar Tagen hatte man sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt und damit würden heute wohl diese Woche und gleichzeitig auch ihr Leben enden. Ihr Mann und dessen Kumpan waren schon vor einigen Tagen diesen Weg gegangen. Nur sie hatte man aufgehoben für ein besonderes Schauspiel, das der Rat seinen Bürgern bieten wollte. Es war ein grausames Urteil gewesen.

Eine Rettung konnte es nicht mehr geben. Entschieden war entschieden. Vielleicht konnte sie wenigstens die Gnade eines schnellen Todes finden. Aber auch so würden nun die Schmerzen enden, die die Befragungen nach sich gezogen hatten. Alles tat ihr weh und sie versuchte Kraft zu finden, für die letzten paar Schritte, die sie in ihrem Leben noch machen musste. Sie wollte den Männern nicht die Genugtuung überlassen, sie gebrochen zu sehen.

Grete war ihr ganzes Leben eine starke Frau gewesen. Nicht so körperlich stark, sondern mehr in ihrem Willen und vielleicht hatte auch dies sie hierher gebracht. Der erste Strahl der Sonne fiel durch das kleine Loch am oberen Zellenrand. Der letzte Tag begann. Es war Freitag und seit einem Tag war Frühling, aber sie würde wohl kaum noch die Blumen des neuen Jahres sehen können.

Die Wache ging vor ihrer Zelle entlang und schob ihr einen Teller mit trockenem Brot und einen Krug Bier in den Raum. Dann sagte der Mann „Heute wirst du sterben!“, doch das hatte sie auch so schon gewusst. Mühsam ging sie die zwei Schritte und schob sich das Brot in den Mund. Sie spülte es mit dem Bier herunter und kroch zurück in ihre Ecke. Nach einer Weile betrat der Pfarrer die Zelle und kniete sich neben sie. Zusammen beteten sie und dann fragte er sie, im Aufstehen, „Hast du noch einen letzten Wunsch?“ Grete überlegte „Eigentlich habe ich zwei!“, antwortete sie und sah, wie der Mann die Augenbrauen hochzog. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, setzte sie schnell hinzu „Ich würde mich gern waschen und meinen Sohn noch einmal in den Arm nehmen!“

Der Pfarrer nickte und entgegnete „Das lässt sich sicher einrichten.“, dann ging er und die Wache verschloss die Zelle. Grete lächelte, als sie an ihr Kind dachte. Seit einer Woche, nach der Verkündung des Urteils, hatte sie ihn nicht mehr gestillt und die Brust tat ihr weh.

Bei dem Gedanken an das Kind kam plötzlich die Erinnerung zurück. Ihre Gedanken flogen zurück zu jenem Tag, an dem ihre eigene Kindheit geendet hatte. An dem vermutlich begonnen hatte, was nun, an diesem Tage, enden musste.

1. Kapitel

Schmetterlingsflügel

M argarete lief durch die Wiese und suchte ein paar schöne Blumen, die sie der Mutter mitbringen wollte. Die langen schwarzen Haare flogen hinter ihr her und immer wieder bückte sie sich, um eine der Wiesenblumen zu pflücken. Dann flocht sie diese in einen Kranz und eilte zur nächsten Blume. Seit einer Woche ging es der Mutter nicht mehr so gut. Sie hustete fast ununterbrochen in der zugigen Hütte. Das Mädchen stoppte kurz, weil ein Schmetterling ihren Weg kreuzte und sie sah ihm hinterher. Das Gras kitzelte ihre nackten Füße, aber Schuhe konnte sie sich nicht leisten. Jetzt im Sommer war das auch egal, es war warm hier. Die Wiese schien endlos, aber an der Seite konnte sie das Stadttor und die daneben befindliche Mauer sehen. Die Kirchenglocken von St. Stephan riefen die volle Stunde aus und Margarete setzte sich im Schatten eines Baumes vor das Tor, um den Kranz zu Ende zu flechten.

Noch war sie ein Kind, schlank in der Gestalt und kaum von jemanden beachtet. Immer wieder dachte sie an die Mutter und daran, dass ihr Onkel bisher erfolgreich verhindert hatte, dass sie in dem schönen Haus wohnen durften. Schon vor langer Zeit, Margarete konnte sich nicht daran erinnern, wann es gewesen war, waren sie in diese Stadt gezogen. Immer wieder hatte die Mutter ihr von ihrem Vater erzählt, den sie niemals kennengelernt hatte. Peter von Minden war aus der Stadt geflohen, nachdem er einen Bürger bei einer Prügelei erschlagen hatte. Daraufhin war er als Landsknecht unterwegs gewesen und hatte ihre Mutter geheiratet. Nachdem der Vater aber wenig später gestorben war, war die Mutter mit ihr, der Not gehorchend, in diese Stadt gezogen.

Tangermünde war eine wohlhabende Stadt. Sie gehörte der Hanse an und lag an der Kreuzung zwischen der Elbe und einer Straße, die in einer Furt über den breiten Fluss führte. Dieser Schnittpunkt hatte die Bürger reich gemacht und einer der Reichsten war ihr Onkel. Doch Margarete sah nur das Haus von außen und von seinem Reichtum bekam sie auch nur durch den Streit der Mutter mit dem Onkel etwas mit. Jeden Abend klagte die Frau über das Unrecht, was ihr hier widerfuhr und sicher war es dieser Streit, der ihr die Lebenskraft entzog. Doch was sollte die Frau machen? Ohne Mann, mit dem Kind an ihrer Seite, konnte sie auch schlecht durch das Land ziehen und um vor der Kirche zu betteln, dazu war sie zu stolz. In der Mutter brannte das Feuer des Südens und ein bisschen auch in ihr. Dazu kam natürlich auch das Aussehen, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte.

Zwar war sie mit ihren zwölf Jahren noch flach wie ein Brett, aber das schwarze Haar, die dunklen Augen und ihr südländisches Aussehen hoben sich so ganz von dem aller anderen hier ab. Wenn sie nur ein bisschen so wie ihr Vater ausgesehen hätte, so wäre es sicher nicht so schwierig für die Mutter gewesen, das Erbteil einzufordern. Aber sie war eben so, wie sicher ein dutzend ihre Ahnen vor ihr. Dazu kam dann auch noch, dass das Schriftstück, das die Eheschließung der Eltern und ihre Taufe bekräftigte, verloren gegangen war. Und so hatte sie noch nicht mal ihren Namen behalten können. War sie noch auf den Namen Margarete von Minden getauft worden und hatte damit vor einem Jahr auch die Firmung erhalten, trotz Widerspruch ihres Onkels, so hieß sie nun einfach Grete Minde. Nur die Mutter rief sie noch Margarete.

Endlich war der Kranz fertig, als von der Seite jemand nach ihr rief. Sie drehte ihren Kopf und erkannte ihren Freund Jacob, der gerade fünfzehn geworden war und der in der Nachbarhütte lebte. Er lief wild winkend auf sie zu und Grete erhob sich. Völlig außer Atem stand er schon wenig später vor ihr. „Ich habe dich schon überall gesucht“, sagte er hastig und setzte hinzu „Komm. Schnell! Mit deiner Mutter geht es zu Ende!“ „Was ist?“, rief Grete entsetzt und rannte los. Nun hatte Jacob Mühe, hinter ihr herzu kommen. Die Wachen am Tor kannten die beiden Kinder und ließen sie einfach hindurch Sausen. Sie hätten sie vermutlich auch nicht zu fassen bekommen, so flink und gewandt wie das Mädchen lief.

Grete rannte durch die ganze Stadt bis zum anderen Ende, wo im Schatten der Stadtmauer die kleine Hütte lag. Bis dahin musste sie auch an der Burg und dem Haus des Onkels vorbei. Doch sie würdigte dieses prachtvolle Anwesen keines Blickes. Es wäre dem Onkel sicher ein Leichtes gewesen, die 300 Gulden zu zahlen, die ihre Mutter gefordert hatte. Doch nicht einen davon hatten sie erhalten. Was würde nun werden? Ihre Mutter war doch der einzige Mensch, der sich um sie sorgte! Wo sollte sie hin? Betteln? An der Hüttentür hatte sie Jacob eingeholt und gemeinsam betraten sie den halbdunklen Raum. Die Nachbarin saß am Bett der Mutter. „Was ist mit ihr?“, fragte Grete und hoffte, dass sich Jacob geirrt hatte. Doch die Nachbarin schüttelte nur den Kopf.

„Komm zu mir mein Kind“, sagte die Mutter schwach und hob ihre Hand. Am Morgen, als Grete das Haus verlassen hatte, da war es ihr doch noch gut gegangen. Offensichtlich hatte Jacob recht behalten, denn der Pfarrer trat unmittelbar hinter ihr in die Hütte, um der sterbenden Frau die Sakramente zu spenden. „Ich habe doch aber einen Kranz für dich!“, sagte Grete, als der Gottesmann endlich gegangen war. Sie drückte der Mutter das Blumengesteck in die Hand. Die Frau lächelte schwach und roch an den Blüten. Dann fiel ihre Hand auf das Lager zurück und Grete warf sich über die Mutter „Bitte! Bitte bleib bei mir!“ schluchzte sie, doch die Mutter konnte sie nicht mehr hören.

Das Mädchen lag noch über dem Leib der Mutter, als ein paar Männer in die Hütte kamen, um die Hülle zu holen, die den Geist der Mutter beherbergt hatte. Traurig und weinend lief Grete hinter ihnen her. Der Weg war nicht weit. In Sichtweite der Hütte hatten die Männer auf dem Friedhof eine Grube ausgehoben. Am Rande des Friedhofes! Praktisch auf dem Weg. Dort, wo die Mutter vermutlich nach Auffassung des Onkels hingehörte. Sicher hatte er auch für die Beerdigung bezahlt. Aber kein Pfarrer hielt eine Predigt am offenen Grab. Grete sah auf den Blumenkranz in ihrer Hand und legte ihn auf den toten Körper, dann verschlossen die Männer das Grab.

Ein Schmetterling flog an Grete vorbei. Mit Tränen in den Augen sah sie ihm nach. Was sollte werden? Als die Dämmerung einsetzte schlurfte sie die paar Schritte zurück zu der Hütte und fiel in das Bett. Ihre Tränen durchweichten die Decke.

Nun war sie zwölf Jahre alt und völlig alleine auf der Welt! Was würde der kommende Tag bringen?

2. Kapitel

Bruderliebe

H einrich saß bei seinem ausgiebigen Mahl, welches er jeden Abend zu sich zu nehmen pflegte. Er war gut gelaunt, denn alle seine Probleme hatten sich in Luft aufgelöst. Die Frau, mit der er sich all die Jahre gestritten hatte, war nun endlich unter der Erde. Natürlich hatte er gewusst, dass das Kind der Frau die Tochter seines Bruders gewesen war. Schon ein einziges Gespräch hatte ihm damals genügt, um dies zu erkennen. Aber er hatte es immer wieder abgestritten. Schließlich wollte er sein Erbe nicht mit solch einer dahergelaufenen Dirne teilen müssen. Wäre sie zusammen mit seinem Bruder zurückgekommen, dann wäre natürlich alles anders gewesen. Aber zum Glück war dies nicht passiert und auch der Trauschein war verschwunden gewesen. Selbst der vor Rat vorgeschriebene Vergleich mit der Frau war nun nichts mehr wert, denn mit einer Toten konnte man ja keinen Vergleich mehr schließen.

Natürlich hätte es ihm nichts ausgemacht, die 300 Gulden zu zahlen. Aber es wäre ein Eingeständnis gewesen, dass Grete doch die Tochter seines Bruders war. Das war nun nicht mehr zu beweisen! Die einzige Frau, die die Wahrheit kannte, lag nun auf dem Friedhof. Was das Mädchen anbetraf, so würde die Zeit alles klären. Sie würde sicher den nächsten Winter nicht überleben. Oder sich irgendwohin wenden, wo sie betteln oder stehlen konnte und Gottes Gerechtigkeit würde dann schon für den Rest sorgen. War sie erst mal aus der Stadt, so würde in ein paar Tagen niemand auch nur einen Gedanken daran verschwenden. „Bring mir noch Wein!“, rief er nach der Magd und diese eilte mit dem Krug zu ihm.

Als sie ihm einschenken wollte, zog er sie auf seinen Schoß. Die strampelnde Maid blieb dort aber nicht lang und er lachte ihr hinterher. Er liebte dieses Leben! Sein Großvater war hier noch als Oberförster umhergestreift. Alter, aber verarmter Adel. Doch durch eine günstige Fügung und etwas Geschick hatte es sein Vater zu einem beachtlichen Vermögen gebracht. Dass dabei auch die ein oder andere Münze unter der Hand in die Säckchen der Verantwortlichen geflossen war, das war sicherlich so manchem klar gewesen. Nur beweisen konnte man es niemanden. Und genauso war es eine günstige Fügung gewesen, dass sein Bruder diesen Mann im Streit erschlagen hatte. Eine simple Wirtshausschlägerei im Rausch. Es wäre mit ein paar Münzen sicherlich sofort aus der Welt zu schaffen gewesen, aber er hatte dem Bruder geraten, für eine Weile unterzutauchen.

Heinrich sah in den roten Wein, der in sich in dem Kristallglas befand. Die Farbe des Blutes! Wieder dachte er an den Bruder, der in der Fremde gestorben war. Hatte er das bezwecken wollen? Er konnte es nicht sagen, aber es war wohl so gekommen, wie es hatte kommen müssen. Genüsslich setzte er das Glas an den Mund, das Getränk lief seine Kehle herunter und der Geist des Weines vernebelte langsam seinen Kopf. Es war schon spät am Abend und draußen hatte sich schon die Dunkelheit über die Stadt gelegt. In den Butzenglasscheiben spiegelte er sich selbst. Und mit einem Male verzog sich das Bild und wandelte sich vor seinen Augen zum Abbild von Peter. War der Geist des Bruders gekommen, um sein Recht einzufordern? Heinrich schüttelte den Kopf, doch das Bild blieb! Welches Recht konnte ein Toter schon bekommen? Gar keines! Es war sein Geld! Nur er hatte durch die günstige Fügung und etwas Glück den Reichtum des Vaters gemehrt. Warum sollte er ihn mit irgendjemanden teilen?

Wutentbrannt nahm er den Kelch und schleuderte ihn dem Bruder entgegen. „Verschwinde!“, schrie er hinterher und das Glasgefäß durchschlug das Fenster. Der Spiegel zerbrach und damit löste sich auch das Bild des Bruders vor ihm auf. Die Magd kam gelaufen, als sie das splitternde Geräusch gehört hatte. An der Tür schreckte sie zurück und er brüllte sie an „Bring mir mehr Wein!“, doch das faule Weibsstück zögerte, seinen Wunsch zu erfüllen. Wo war er den hier? Und vor allem, wer war er, dass sie es wagen konnte, sich seinem Willen zu widersetzen! Er versuchte sich aus dem Sessel zu erheben, doch der Wein war wohl schon zu viel gewesen, denn er schaffte es nicht. Nach drei Versuchen brach er die Bemühungen schließlich ab.

„Bring mir Wein oder du lebst ab morgen bei den Schweinen!“, schrie er die junge Frau erneut an, doch die blieb einfach wie angewurzelt dort an der Tür stehen. Heinrich sah sich nach etwas zum Werfen um, aber er konnte sitzend nichts erreichen und der Kelch war schon fort. Im Moment fühlte er sich so, wie wohl sein Bruder Peter sich damals in der Schänke gefühlt hatte. Bei dem Gedanken an den Bruder war er mit einem Schlage wieder nüchtern. Heinrich sah zum zerstörten Fenster und sagte leise „Du glaubst wohl, dass ich dir gleiche, mein lieber Bruder? Ich bin besser als du!“ Er schüttelte den Geist ab, der seine Sinne vernebelt hatte und stand auf. Nun ging das sofort und ohne Problem. Zwar schwankte er etwas, als er neben dem Tisch stand, aber er hatte sich wieder im Griff. „Lass das reparieren!“, fuhr er die Magd an, die sich schnell, nach einer tiefen Verbeugung und den Worten „Sehr wohl. Gnädiger Herr.“, von ihm entfernte.

Als er in der Tür stand sah er den dunklen Flur. Er blickte zurück zum Tisch, auf dem ein Licht stand und dann nach vorn. Sollte er die Kerze holen? Wieder rief er die Magd, die aus der Küche auftauchte. „Bringe mir ein Licht!“, verlangte er und hielt sich am Türrahmen fest. Wenig später kam die Magd mit einem Kerzenleuchter zu ihm, aber war es wirklich so eine gute Idee, schwankend mit einer brennenden Kerze durch das hölzerne Haus zu laufen? Er konnte eigentlich kaum noch stehen. Der Wein war wiederum in seine Beine gelaufen. Trotzdem fuhr er die Magd an „Her mit dem Licht!“, doch die Frau hielt es fest und begann ihn am Arm zu führen. Das machte ihn nun erst recht wütend. War er denn ein alter Mann? Er war in seinen besten Jahren und strotzte nur so vor Manneskraft und das wollte er nun auch der Magd beweisen.

Jedoch blieb es bei dem Versuch. Die Magd war schnell und der Wein hatte ihn langsam gemacht. Nur ein Griff in das Kleid gelang ihm, dann ließ er sich von ihr führen, so hatte er seine Hand um ihrer Hüfte und war damit seinem Ziel um einiges näher. Die Frau ließ es zu und schon wenig später war er in seinem Schlafgemach, wo seine Frau schon schlief. „Hilf mir bei meinen Kleidern.“, sagte er noch, dann setzte sie ihn im Bett ab.

Geschickt zog sie ihn aus und es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie einen Mann auszog. Zu schnell waren ihre Handgriffe. Einem Kuss wich sie dann aber aus und kurz darauf lag er im Bett. Im Dunklen tauchte sein Bruder wieder auf. Höhnisch lachte Peter ihm in sein Gesicht. Dann verschwand er und Heinrich schlief seinen Rausch aus.

3. Kapitel

Freundesbande

E r mochte dieses Mädchen. Soweit es sich zurückerinnern konnte, war sie in der Nachbarshütte gewesen. Oft hatten sie zusammen gespielt und nun war sie alleine auf der Welt. Der plötzliche Tod von Gretes Mutter hatte auch ihn betroffen gemacht. Im Moment schätzte er sich glücklich, dass er noch Mutter und Vater hatte, doch seine Freundin, für die er wie ein Bruder fühlte, war nun mit Zwölf schon Waise. Obwohl sie ja Verwandtschaft hatte, würde sich von denen sicher niemand um das Mädchen kümmern. Er hätte es gern getan, aber er konnte nicht. Dafür war er noch ein paar Jahre zu jung. Und sie natürlich auch. Selbstverständlich sah er den gleichaltrigen Mädchen hinterher und träumte auch in mancher Nacht von diesen. Aber bei Grete war das anders. Wenn sie im Sommer in der Elbe badeten oder danach über die Wiesen liefen, dann waren sie Freunde.

Doch nun wurde diese Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Was konnte er tun, um es der Freundin etwas leichter zu machen, hier weiter leben zu können? Schließlich wollte er sie ja nicht verlieren! Sollte er zu ihrem Onkel gehen und ein gutes Wort für sie einlegen? Was würde das wohl nutzen? Das Wort eines armen Jungen! Nicht viel! Bisher hatte sich Heinrich von Minden nicht um sie gekümmert, obwohl es überall in der Stadt ein offenes Geheimnis war, dass der Rat ihn dazu verpflichtet hatte, sich mit seiner Schwägerin zu einigen. Nur das diese jetzt unter der Erde war. Eigentlich war es schon ein Wunder gewesen, dass dieser Richtspruch überhaupt gefallen war, denn der Mann saß ja selbst im Rat und war einer der reichsten und damit einflussreichsten Patrizier in der Stadt. Vielleicht aber auch einer der Geizigsten? Denn was hätte es ihm schon ausgemacht, die geforderte Summe zu zahlen?

Wie konnte der hartherzige Mann umgestimmt werden? Doch nur, wenn er durch Grete einen Vorteil sehen konnte. Nur durch Geld, dass er mit ihr verdienen konnte! Sie würde sich bei ihm als Magd verdingen müssen, damit konnte sie dann vielleicht in Tangermünde bleiben. Würde sich der Mann darauf einlassen? Oder wenn sie bei einer anderen Familie als Magd begann? Zwar würden sie sich dann nicht mehr so oft sehen können, aber sie wäre ihm immer noch nahe. Jacob nahm sich vor, am nächsten Morgen mit der Mutter zu reden. Die Frau wusste einfach alles in der Stadt und konnte jedem mit allem einen Dienst erweisen. Schon oft hatte sie Gretes Mutter geholfen, wenn diese eine Arbeit gesucht hatte. Zwar war meist nur kurzzeitig etwas zu finden, aber es hatte für das Überleben gereicht.

Im Sommer bei einem der Bauern auf dem Feld und im Winter in einer der Lagerscheunen der Patrizier. Vielleicht war das auch etwas für Grete? Alles, nur nicht in irgendein Kloster! Den dann würde er die Freundin nie wieder zu Gesicht bekommen und im Moment war das Mädchen dem Kloster näher, als dem Weg in das Haus eines reichen Bürgers. Sie war eine Waise, ohne Fürsprecher und der Onkel hatte seine Hand drohend über ihr. Vielleicht machte er sich gerade dieselben Gedanken? Wenn er Grete in ein Kloster brachte, dann war er sie und die Gerüchte los.

Doch das durfte Jacob nicht zulassen! Die ganze Nacht wälzte er sich auf dem Strohsack hin und her. Warum sollte er bis zum nächsten Tag warten? Am liebsten hätte er die Mutter schon jetzt bestürmt, um sofort für Grete eine Anstellung zu finden.

Endlich konnte er hören, wie sich die Mutter von ihrem Lager erhob. Noch war es dunkel, aber sicher würde in ein paar Augenblicken der Hahn vor der Hütte den Beginn des neuen Tages verkünden. Und noch bevor die Mutter die Hütte verlassen konnte, war er schon aufgesprungen und zu ihr gelaufen. Vier Schritte die er die ganze Nacht in Gedanken immer und immer wieder gemacht hatte. Vier Worte, die er sich die ganze Nacht überlegt hatte „Du musst Grete helfen!“ Noch konnte er nicht sehen, wie die Mutter ihn gerade ansah. Es war einfach viel zu dunkel hier drin. Der Junge sah nur die Umrisse der fülligen Frau vor sich. Alle anderen ruhten noch ein paar Augenblicke, aber er brauchte eine Antwort und er brauchte sie jetzt!

Mit dem Spruch „Lass mich doch erst mal auf die Latrine gehen!“, versuchte die Mutter ihn abzuwimmeln, doch Jacob hatte viel zu lange gewartet, als dass er sich nun einfach abschütteln ließ. Da sich die Frau aber an ihm vorbei ins Freie drängelte, folgte er ihr zu der Stelle zwischen den Hütten, wo der Baumstamm quer über die kleine Grube gezogen war. Der erste Sonnenstrahl beleuchtete die Situation, die nicht einer gewissen Komik entbehrte. Die Frau saß auf dem Balken, Jacob hörte es plätschern und versuchte aus ihr eine Aussage herauszubekommen. „Ich überlege mir was!“, sagte die Mutter entnervt, um ihn endlich loszubekommen und ihr Geschäft in Ruhe zu vollenden.

Jacob verstand, dass dies wohl im Moment das Einzige war, was er erreichen konnte. Doch die Mutter würde Wort halten. Daher nickte er dankbar und ging zur Seite, wo die Hütte von Grete stand. Vielleicht war die Freundin auch schon wach. Die Tür stand offen und so trat er in den dunklen Durchgang und flüsterte „Grete?“ ein leises „Ja.“ war aus der Dunkelheit zu hören und dann tauchte die Freundin mit verheulten Augen aus der Hütte auf. Offensichtlich hatte auch sie nicht geschlafen. Die langen Haare waren wild durcheinander und sie trug nur das Unterkleid, in welchem sie geschlafen hatte. Schnell erklärte er ihr seine Idee, doch dafür, dass sie ein Erfolg werden würde, dafür musste sich Grete noch etwas herausputzen. Wenn sie sich so vorstellen würde, würde sie nicht mal als Aschenmagd in einem Haus arbeiten dürfen. Zusammen liefen sie den altbekannten und wohlvertrauten Weg zur Elbe hinunter, wo sie sich beide im flachen Wasser wuschen. Es war noch niemand unterwegs, der sie hätte sehen können und selbst wenn, was wäre schon dabei gewesen? Ein Junge und ein Mädchen, im Unterkleid, bis zur Hüfte im kalten Wasser des Flusses.

Schon oft hatten sie so gestanden, doch die sonst übliche Fröhlichkeit des Mädchens fehlte. Verständlicherweise, wenn man die Trauer des Vortages berücksichtigte. Dann setzte sie sich auf einen der Steine am Flussufer und ließ sich von ihm die Zöpfe flechten. Das war zwar keine Arbeit für einen Mann, aber für sie tat er es gern.

Kurz darauf liefen sie zur Hütte zurück, wo die Mutter sie in Empfang nahm. Ihr Blick sagte nichts Gutes aus. Was sollte das bedeuten?

4. Kapitel

Kind oder Frau?

D as Donnerwetter von Frau Emmert, der Nachbarin, hatte Grete völlig unvorbereitet getroffen. Was hatte die Frau nur? „Glaubst du, dass ich dich irgendwo unterbringen kann, wenn du dich herumtreibst wie eine Hure?“, fuhr sie das Mädchen an und Grete sah an sich herunter. Es war doch aber alles so, wie sonst auch. Was war denn diesmal anders? Schon oft war sie mit Jacob und den anderen Kindern im Fluss gewesen. „Aber ich habe doch nur…“, brachte sie zögerlich heraus und wurde sofort zum Schweigen gebracht. „Bis gestern war deine Mutter für dich verantwortlich. Nun bist du es selbst. Und wenn ich etwas für dich tun soll, dann halte dich daran, dass du nun eine Magd bist!“ Sie sah Jacob an, der neben ihr ebenfalls schwieg und zu Boden sah.

Sicherlich hatte die Frau recht mit ihrer Aussage. Gerade eben war sie alleine mit Jacob am Fluss gewesen, im Unterkleid und er in Unterwäsche. Als Kind war das, bis zum Tage zuvor, kein Problem gewesen. Doch nun war Grete erwachsen! Jacobs jüngerer Bruder Martin schaute verschlafen aus der Hütte. Das frühe Schimpfen hatte ihn aufmerksam gemacht, doch Frau Emmert fuhr herum und scheuchte ihn zurück in die Hütte. Danach blaffte sie Grete an „Zieh dir dein schönstes Kleid an. Wir müssen dann los!“ Schnell lief das Mädchen zur Seite, froh aus dem Bereich der dicken Frau zu kommen. In der Hütte war es nun etwas heller. Die Sonne fiel durch die offene Tür herein und beleuchtete den kargen Innenraum der Behausung.

Bis gerade eben hatte sie sich um sich selbst noch keine Gedanken gemacht. Vermutlich musste sie nun umdenken. Die Kindheit war zu Ende. Nun war sie eine Frau! Auch, wenn das im Moment noch komisch klang. Doch durch den Tod der Mutter war sie nun mal auf sich alleine gestellt und da gehörte ihr Ruf dazu. Kein guter Ruf: keine Ehre. Keine Ehre: Kummer und Not! Hatte sie dasselbe nicht all die Jahre bei ihrer Mutter gesehen? Zwar hatte diese sie beschützt und von allem abzuschirmen versucht, doch trotzdem waren die Gerüchte nicht abgerissen. Zu oft hatte Grete das Tuscheln hinter dem Rücken der Mutter gehört. Ihr besonderes Aussehen hatte es ihr nicht leichter gemacht.

Und nun stand sie hier und sah sich in dem Raum um. Das Mädchen hatte das Aussehen ihrer Mutter geerbt und in ein paar Jahren würde sie sich mit denselben Anschuldigungen herumschlagen müssen. Ein paar Augenblicke des Badens hatten schon gereicht, dass Frau Emmert sie so angefahren hatte. Die Frau hatte „schönstes Kleid“ gesagt und da blieb nur eines übrig. Das, welches sie sonntags immer zur Kirche anzog und welches sie schon bei der Firmung getragen hatte. Die Mutter hatte es immer wieder abgeändert, sodass es ihr immer noch passte. Schnell schlüpfte sie hinein und zog die Bänder am Halse zusammen. Den kleinen Rosenkranz mit dem Kreuz daran, welches den wertvollste Schatz der Mutter dargestellt hatte, legte sich Grete in den Beutel an ihrem Gürtel. So war die Mutter bei ihr.

Danach verdeckte die Kappe ihr Haar, das Jacob zu den beiden Zöpfen geflochten hatte und die sie nun darunter verbarg. Mit einer Handbewegung kontrollierte sie, ob noch irgendwo eine Haarsträhne hervorsah. Dann sah sie auf ihre Füße. Das Kleid ging ihr bis zur Hälfte der Unterschenkel und unten sahen ihre nackten Füße hervor. In der Kirche hatte sie immer zu den Frauen geschaut, die solch schöne Schuhe hatten. Nur im Winter trug sie Holzpantoffel und hatte dann ihre Füße darin mit Lappen gegen die Kälte umwickelt. Sollte sie die Holzschuhe heute anziehen? Ohne die Lappen wären diese sicher zu groß. „Jacob?“, flüsterte sie und hoffte, dass der Freund in der Nähe war.

Fast sofort vernahm sie sein leises „Ja?“, dann steckte der Freund vorsichtig seinen Kopf in die Hütte. Sie bückte sich und hob die Schuhe auf „Soll ich die anziehen?“, fragte sie und hielt ihm die Holzschuhe hin. Jacob nickte und verschwand schnell wieder. Sicher war er froh, wenn ihn die Mutter nicht erwischte. Grete schlüpfte in die Schuhe und machte zwei Schritte. Es war nicht einfach, aufrecht zu bleiben, aber konnte sie ohne Schuhe gehen? Bis zum Tage zuvor waren solche Fragen noch vollkommen nebensächlich gewesen. Nun waren sie wichtig.

Noch fühlte sie sich nicht als Frau, aber sie war es schon. Eine Nacht hatte sie erwachsen werden lassen. Ein letztes Mal sah sie sich um. Wenn sie als Magd in einem Hause beschäftigt werden würde, dann würde sie dort sicher auch leben müssen. Das Mädchen fuhr mit der Hand über das Kreuz in ihrem Beutel. Die Mutter hatte, durch sie, nie als Magd arbeiten können. Wer nahm schon eine Magd mit Kind? Mit zwei Schritten verließ sie die Hütte und trat in das Sonnenlicht auf dem Weg. Dort stand schon Frau Emmert und sah sie prüfend an. Die dicke Frau lief einmal um sie herum und betrachtete jedes Detail an ihrer Kleidung. Natürlich waren ihr auch die viel zu großen Schuhe aufgefallen, aber sie sagte nichts dazu. Sorgfältig zupfte sie die Kleidung zurecht. Sie sah sich Gretes Hände an und nickte stumm.

Dann sagte sie nur noch „Denke immer daran: deine Ehre ist das Wichtigste! Lebe keuch und so, wie es einem wahren Christenmenschen geziemt.“ „Ja! Frau Emmert. Das werde ich tun!“, pflichtete sie der Frau bei und strich sich die weiße Schürze glatt, die das Zeichen ihre Unberührtheit war. Dann brachen sie auf. Sie gingen an der Burg vorbei und passierten das Hünerdorfer Stadttor. Dort blieb Frau Emmert kurz stehen, um mit den Wachsoldaten zu sprechen. Grete stand einfach nur dabei und fühlte sich irgendwie verloren. Der neueste Klatsch und Tratsch wurde ausgetauscht und wenig später ging es weiter. An der großen Kirche vorbei bis zu einem der Patrizierhäuser, so einem, wie es auch ihr Onkel besaß. Nur das seines noch viel pompöser und prächtiger aussah.

Die Frau klopfte an einem Seiteneingang und eine ältere Frau schaute heraus. „Hallo Regina. Ich habe gehört, ihr sucht noch eine Magd?“, fragte Frau Emmert die andere Frau. Diese nickte und antwortete „Da hast du recht Constanze. Aber es ist schwere Arbeit.“, dabei sah sie abschätzend zu Grete herüber. Sollte sie etwas antworten? Vorsichtig sah sie zu Frau Emmert hinauf und noch bevor sie etwas fragen konnte, antwortete diese „Grete kann das ganz sicher!“, schon waren sie im Haus und betraten eine Küche.

5. Kapitel

Im Wein liegt Wahrheit?

S ie war nun sechzehn und damit heiratsfähig. Aber ihre Mutter hatte für Minna etwas anderes vorgehabt. Gerade war diese Stelle in dem Hause der reichsten Patrizierfamilie Tangermündes frei geworden und daher diente nun Minna hier. Zusammen mit vier anderen Frauen wohnte sie unter dem Dach in einer Kammer, so wie sicher hunderte andere Mägde in der Stadt ebenfalls. Bereits in den ersten Tagen hatte sie begriffen, dass sie sich wie ein Geist durch das Haus bewegen musste. Nicht auffallen, nichts sagen und die Ohren vor allem verschließen, was die Herrschaft redete. Nur so konnte man die Stelle eine längere Zeit innehaben. Ihre Vorgängerin hatte dem Herrn nicht schnell genug seinen Wein gebracht und war daraufhin nun als Bauersmagd tätig, denn keiner der anderen Herren wollte sie danach noch einstellen. Wer wollte schon eine Magd, die den Wunsch des Hausherrn nicht befolgte?

Formal war sie der Mamsell unterstellt, der ältesten Magd im Hause. Aber natürlich hatte auch jeder andere ihr etwas zu sagen. Schließlich war sie ja die jüngste der Mägde. Dann kam es, wie es kommen musste. Der Herr hatte wieder einmal „seinen“ Abend. Jeder im Haus wusste, dass er sich dann in das Kontorszimmer setzte und dort reichlich dem Wein zusprach. Und da keine der anderen Mägde riskieren wollte, am nächsten Tag nicht mehr im Hause beschäftigt zu sein, war es wohl nur zu klar gewesen, das Minna den Auftrag bekam, den Herrn mit Wein zu versorgen. Würde damit dieser Tag auch schon ihr letzter sein? Es blieb ihr nur übrig, den Wein bereits vorher bereitzustellen und auf die Wünsche des Mannes zu warten.

Allerdings war da auch noch eine zweite Angst in ihr. An diesem Abend war sie dann praktisch mit dem Mann alleine! Alle anderen würden sich schon im Vorhinein in ihre Kammern zurückziehen. Das hatte ihr zumindest die Mamsell am Morgen des Tages in der Küche gesagt. Wie konnte sie da auf ihre Ehre und Unschuld achten und sich nicht, wie es die Mutter so schön umschrieb, „die Blume zu früh pflücken lassen“? Wie konnte man einen betrunkenen Mann auf Abstand halten, selbst wenn dieser die weitere Existenz in seinen Händen hielt?

Eigentlich gab es da nur eine Möglichkeit: sie musste ihm den Wein so schnell bringen, dass er schon nach wenigen Bechern nicht mehr in der Lage sein würde, ihr in irgendeiner Form gefährlich zu werden. Und damit dies gelingen konnte, besorgte sich Minna schon mal einen großen Vorrat des roten Getränkes.

Der Abend kam über das Haus und der erwartete Ruf nach dem Wein ließ nicht lange auf sich warten. Becher um Becher brachte Minna ihm das gewünschte Getränk. Nach einer Stunde war der erste Krug alle und der zweite begann sich zu leeren. Wie lange konnte der Mann in diesem Tempo weitermachen? Minna hatte nur vier Krüge in der Küche stehen, da sie davon ausgegangen war, dass ein einzelner Mann sicher keine acht Kannen trinken konnte. Jeder Krug enthielt ja das Maß zweier Kannen. Der dritte Krug näherte sich seinem Ende und Minna schüttelte zweifelnd den Kopf. Dieser Mann vertrug eine ganze Menge. Sollte sie noch einmal schnell in den Keller eilen, um zwei weitere Krüge zu holen? Doch dazu hatte sie keine Zeit. Sie musste ja ständig von der Küche zum Kontorszimmer und zurück laufen.

Endlich nahm die Geschwindigkeit ab, mit der er trank. Nun stand Minna hinter ihm in dem Raum und wartete auf die weiteren Anweisungen. Im Spiegel des Fensters sah sie, wie der Mann im Rausch des Weines vor sich hin starrte. Mit unsicherer Hand hielt der Herr ihr den Becher hin und sie goss nach. Dann sah er wieder zum Fenster und murmelte etwas vor sich hin.

Minna stand so nah, dass sie es hören musste. Er sagte „Peter. Warum hast du mir das angetan? Was soll ich mit deiner Tochter machen?“ Minna stutzte. Redete er gerade von Grete? Und dann setzte der Mann fort „Du bist ja schon unter der Erde und deine Frau ist dir gefolgt. Das Mädchen wird dir sicher auch bald folgen.“ Minna trat zurück zur Tür. Hatte der Mann gerade zugegeben, dass er der Onkel von Grete war? Es klang zumindest so, aber im nüchternen Zustand würde er dies sicher abstreiten und Minna war als Magd zum Schweigen verpflichtete. Hatte der Wein gerade die Wahrheit über das schändliche Tun des Mannes an die Öffentlichkeit gebracht? Schließlich tuschelte jeder in der Stadt darüber und auch die Mutter hatte ihr von ihm und Grete erzählt. Der Herr erhob sich und kam auf sie zu. Schwankend blieb er vor ihr stehen und sah ihr in die Augen. Minna wich weiter zurück und er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben.

Plötzlich sah Minna in den Augen des Mannes etwas aufblitzen, was ihr Angst machte. Vor Schreck ließ sie den leeren Krug fallen, der auf dem Fußboden in hunderte Teile zerbrach. Dann hatte der Mann seine Hände um ihren Hals geschlossen und sie kämpfte darum, wieder Luft zu bekommen. „Du hast mich belauscht du Metze!“, lallte der Mann und drückte sie rückwärts. Minna kämpfte weiter um Luft, wagte aber nicht, ihre Hand gegen den Herren zu erheben. Schwankend drückte er sie weiter nach hinten, dann verlor sie das Gleichgewicht und stürzte die Treppe hinab. Etwas knackste in ihrem Rücken und sie sah von unten, wie der Herr in sein Schlafzimmer wankte.

Mühsam erhob sich Minna und versuchte sich aufzusetzen, aber die Schmerzen in ihrem Unterleib waren einfach zu groß. Tränen schossen ihr in die Augen und sie hielt sich den Bauch. Dann erschien oben an der Treppe die Mamsell im Unterkleid. Die ältere Frau lief die Treppe herab und beugte sich über Minna. „Was ist passiert?“, fragte die Mamsell und Minna log „Ich bin auf der Treppe ausgerutscht und gefallen.“ Mühsam schleppte sich Minna, auf die Mamsell gestützt, in ihr Zimmer unter dem Dach. Dort stellte sie fest, dass sie auch aus ihrem Unterleib blutete. Mit einem Lappen versuchte sie diese Blutung zu stillen, was ihr nach einer ganzen Weile auch gelang.

Müde, erschöpft und unter Schmerzen schlief sie dann endlich ein. Immer die Angst in ihrem Kopf, dass der Herr sie am nächsten Tag aus dem Hause werfen würde. Sie dachte auch an Grete, um die es ja bei der Auseinandersetzung gegangen war. Doch die Kleine durfte niemals etwas davon erfahren. Der Herr würde sie beide dafür töten. Als Minna am nächsten Tag erwachte, konnte sich der Herr an nichts mehr erinnern. Die Schmerzen waren etwas erträglicher geworden und sie arbeitete schnell weiter. Der nächste Weinabend warf aber schon seine Schatten voraus. Eine Woche noch, dann würde es wieder losgehen!

6. Kapitel

Mägdeleben

S eit einer Woche arbeitete Grete nun schon in dem Hause. Die Aussage von Regina war nicht untertrieben gewesen. Dies war wirklich harte und schwere Arbeit! Schon früh am Morgen kniete Grete im Flur und schrubbte die Holzfußböden. Noch vor dem Aufwachen der Herrschaft, denn da musste schon alles wieder trocken sein. Dann arbeitete sie in der Küche und auch da war es nicht viel leichter. Sie musste Wasser schleppen. Asche fortbringen und auch sonst schwer arbeiten. Schon am ersten Abend hatte sie ihre Arme nicht mehr gespürt. Mit der einsetzenden Dämmerung war sie in dem kleinen Raum unter dem Dach auf ihren Strohsack gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. Es hatte auch sein Gutes: sie hatte keine Zeit zur Trauer um die Mutter!

Mit Regina hätte sie es nicht besser treffen können. Die alte, fast weißhaarige Frau war wie eine Großmutter zu ihr. Natürlich konnte sie ihr keine Arbeit abnehmen und genau genommen hatte Grete diese Stelle als Magd auch nur bekommen, weil Regina so alt und gebrechlich war. Die Frau konnte sich nicht mehr bücken und auch das schwere Tragen war ihr kaum noch möglich. Die Arbeit all der Jahre hatte ihren Rücken schwer zu schaffen gemacht. Damit aß sie eigentlich hier nur noch ihr Gnadenbrot. Die Arbeit hing somit allein an Grete. Ein junges Mädchen und eine alte Frau führten den Haushalt, der in anderen, etwa gleichgroßen, Häusern von vier oder mehr Mägden geführt wurde.

Die Herrschaft ignorierte sie. Das Mädchen war für die Herren nichts weiter als ein notwendiges Möbelstück. Ersetzbar, wichtig, aber nicht wirklich von Wert. Und genauso wurde sie auch von der Herrin behandelt. Sie wurde einfach übersehen und wenn sie nicht schnell zur Seite sprang, dann wurde sie einfach aus dem Weg gestoßen. Zweimal war ihr das in der Woche passiert und ein paar blaue Flecken zeugten noch von dem Aufprall. So lief eben ihre Woche von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dahin. Selten mal mit einer kurzen Pause.

Doch die Arbeit hatte auch ihr Gutes: das Mädchen hatte, statt Lohn, neue Schuhe bekommen. Diese hütete sie nun wie einen Schatz. Noch nie hatte sie Schuhe aus Leder besessen. Es waren gewöhnliche Schuhe mit Bändern daran zum zuschnürenden, aber für die zwölfjährige waren sie etwas Besonderes. Sechs Tage schwere Arbeit für ein Paar Schuhe! Einzig der siebente Tag, der Sonntag, war für Grete frei gewesen. Nach dem Gottesdienst in der Stephanskirche hatte ihr Regina freigegeben und sie hatte nicht gewusst, was sie mit der Zeit anfangen sollte.

Schließlich fiel ihr der Freund wieder ein. Daher lief sie nach dem Kirchgang sofort wieder zurück in das Haus, verwahrte ihre Schuhe und hängte das gute Kleid an den Haken in dem schmucklosen Raum, den sie zusammen mit Regina bewohnte. Dann hatte sie sich, barfuß und mit dem Arbeitskleid, auf den Weg zur Elbe hinunter gemacht.

Dorthin hätte sie zwei Wege gehabt: über das Elbtor direkt zur Elbe hinunter oder durch das Hünerdorfer Tor hindurch, wobei sie zu ihrem Freund Jacob kommen konnte, der dort ja noch in der Hütte wohnte. Allerdings musste sie dann auch an der Hütte der Mutter und dem Haus des Onkels vorbei und das würde beides vielleicht die alten Wunden wieder aufreißen. Also war sie durch das Elbtor hinunter zur Mündung der Tanger, eines kleinen Gewässers, gelaufen. Sie hoffte, dass der Freund am Sonntagnachmittag dort sein würde. Schließlich war es Sommer und die Elbwiesen waren ihr Spielplatz in all den Jahren gewesen. Am Ufer sitzend spürte sie nun wieder die Arbeit der Woche so richtig in sich.

Nachdem sie sich erst einmal dort hingesetzt hatte, kam sie nicht mehr auf die Beine. Damit würde sie sich ausruhen oder auf Jacob warten müssen. Und so lange konnte es ja auch nicht dauern, bis er erscheinen würde. Das Mädchen saß einfach in der Sonne, mit den Füßen in der Elbe, und sah den Schiffen zu, die von Hamburg in den kleinen Hafen kamen. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass auch sie einst mit einem dieser Flussschiffe hierhergekommen waren. Grete musste daran denken, wie Jacob mal ein kleines Boot geschnitzt hatte, dass sie dann gemeinsam in den Fluss gesetzt hatten. Schnell hatte es die Strömung damals erfasst und mit sich genommen. Vielleicht war es nun schon in Hamburg oder sogar in Brügge, wo sie geboren worden war. Manchmal hatte die Mutter von der Stadt geschwärmt und vielleicht sollte Grete dorthin gehen. Schuhe hatte sie ja nun.

Einige Kinder kamen den Weg herunter. Die ganz kleinen streiften sich ihre Sachen ab und liefen nackt in den kleinen Bach, der hier in die Elbe mündete. Auch die Größeren kamen nun und sie sah bei ihnen auch Jacob. Er redete mit einem älteren Mädchen, das fast so alt war, wie er selbst. Dies mit anzusehen gab Grete einen Stich in ihr Herz. So schnell hatte der Freund sie offenbar schon vergessen! Das durfte doch nicht wahr sein! Neidisch sah sie das andere Mädchen an. Sie war bestimmt fünfzehn, fraulich geformt und nach ihrer Kleidung arbeitete sie auch als Magd. Offensichtlich war sie nun genauso erwachsen, wie Grete. „Jacob!“, rief sie zu dem Freund hinüber, der sie noch gar nicht wahrgenommen hatte. Der Junge sah zu ihr, winkte und setzte sein Gespräch fort.

Dann kamen sie beide zu ihr und setzten sich an das Ufer. „Das ist Minna. Sie arbeitet seit einer Woche bei den von Minden“, sagte er und Grete verzog das Gesicht. Auch das noch! Wollte er sie nun wirklich wieder daran erinnern? „Schön“, sagte Grete und sah demonstrativ an ihm vorbei zum Wasser hinaus. Am liebsten wäre sie jetzt aufgestanden und in das Wasser hinein gegangen, sie hätte auch Jacob fragen können, ob er ihr helfen würde, aber mit Minna, die nun neben ihr saß, traute sie sich nicht zu fragen. Die ältere Magd hätte sie sicher ausgelacht.

Also blieb sie einfach so, mit angezogenen Knien, dort sitzen. Trotzdem hörte sie zu, was Jacob erzählte. Er sagte, dass er schon bald bei einem Kufner in die Lehre gehen würde. Dort würde er lernen, wie man Fässer machte. Grete stützte ihren Kopf in die Hände. Dabei dachte sie nach. Jungen konnten so viele Berufe bekommen. Es gab alleine in Tangermünde dutzende verschiedene Zünfte. Tischler, Bäcker, Metzger, Kaufleute und was sonst noch alles. Bei Mädchen gab es eigentlich nur drei Möglichkeiten. Hausfrau, Magd oder Händlerin.

Plötzlich lief die schöne Ursula durch ihren Blick und Grete sah zu ihr auf. „Vier Möglichkeiten!“, fuhr es durch ihren Kopf, als die junge Frau vor ihr das offene Haar nach hinten warf. Aber war das eine Option? Das Lager mit den Männern für Geld teilen? Sie bemerkte, dass Jacob aufgehört hatte zu erzählen und sah ihn an. Auch er sah zu der wohlgeformten Frau auf, daher schubste sie den Freund an und auf einmal mussten beide lachen. Minna sah nun etwas überrascht zu ihnen, denn sie wusste ja nicht, worüber die beiden lachten. Doch die wussten es gerade auch nicht. Die Kindheit kam noch einmal für ein paar Augenblicke zurück, bevor alle drei wieder erwachsen wurden. Für einen kurzen Moment der Freude liefen alle drei in das Wasser und von den Schmerzen ließ sich Grete nichts anmerken.

7. Kapitel

Zwei Seiten einer Münze

D er Herr schien zwei Gesichter zu haben. War er die meiste Zeit normal und manchmal sogar freundlich zu seinen Mägden, so konnte das im betrunkenen Zustand sofort umschlagen. Natürlich war er der Herr und wenn Minna „Freundlich“ dachte, so hieß das natürlich nicht, dass er mit ihnen wie mit seinesgleichen redete und auch nicht diesen Umgang pflegte, den Minna bei Empfängen von ihm sah. Jedoch behandelte er sie gut und an manchen Tagen erhielt sie sogar mal eine kleine Münze extra. Doch so wie diese Münze eben zwei Seiten hatte, so hatte auch der Herr zwei Gesichter. Wenn er genug Wein getrunken hatte, so ließ er die Maske fallen und war jähzornig und aggressiv. Und in diesen Momenten war sie immer mit ihm alleine!