Im Zeichen der Schlange - Uwe Goeritz - E-Book

Im Zeichen der Schlange E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

"Im Zeichen der Schlange - Die Chroniken von Mirento Band 2" Altersempfehlung: ab 16 Jahre In einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit durch Naturkatastrophen und Kriege fast vollständig ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden sind auf ein Dasein wie zur Zeit des Mittelalters zurückgefallen und bewohnen den Kontinent Mirento, der früher einmal Europa war. Dieser Kontinent ist in fünf Reiche aufgeteilt. Das Gleichgewicht zwischen den Kräften hängt an einem seidenen Faden und wird immer wieder durch Überfälle der Tuck oder durch Reibereien zwischen den eigentlich befreundeten Königreichen empfindlich gestört. Nur die Kraft der drei Schlangenhüterinnen, Königin Zondala, Barbara und der Schamanin Ursula, hält das brüchige Band aufrecht, aber wie lange noch? In der Fortsetzung der Geschichte "Die Hüterin der Schlangen - Die Chroniken von Mirento Band 1" liegt jetzt das Schicksal des Kontinentes und seiner Bewohner auf den Schultern von Königin Zondalas und Fürstin Sandras Töchtern. Die jungen Frauen übernehmen diese Rolle nur ungern, doch die Zukunft der ganzen Menschheit steht immer wieder auf dem Spiel.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 503

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen

Im Zeichen der Schlange

Blutiger Herbst?

Im Schweiße des Angesichtes

Stell dich deiner Angst

Katz und Maus

Königin für einen Tag

Schmach und Schande

Freude und Leid einer Königin

Aufbruch schweren Herzens

Botschaften

Das Herz einer Reiterin

Gedemütigt!

Ein Blick in den Spiegel

Schlimmer als Tiere

Bizarre Sitten

Hoffnung stirbt nicht!

Pfad des Herzens

Mutter oder Königin

Schmerz und Lust

Auf schwankendem Holz

Frieden oder Glück?

Seelenverkäufer

Die Macht der Frauen

Im Kampf für die Ehre

Neue Ansichten, neue Wege?

Ein blaues Kleid

Zukunft in Flammen

Visionen des Todes!

Ein Leben in Schande!

Blutige Tränen

Opfer für Opfer!

Am Ende der Kraft

Auf dem Rücken des Windes

Spuren im Gras

Blutmond

In der Falle!

Ein Fanal zum Aufbruch

Am Teich der Angst

Alles auf Anfang?

Beim Leben eines Hasen

Suche nach einem Ausweg

Schwanenschwingen in der Not

Ein Schatz, wertvoller als Gold

Nachtgedanken

Unter dem Sternenzelt

Die falsche Wahl?

Im Hain der Göttin

Seelentröster

Aufstand der Frauen

Tinka!

Zwischen Tod und Leben

Herbststürme

Die Schatzkammer der großen Göttin

Das Zeichen der Schlange

Drachenschlund!

Zeichen der Kraft!

Dämonenpfade

Ende und Neubeginn

Ein gefährlicher Weg!

Ein Traum wird wahr

Eine tödliche Wahl!

Todesangst!

Auf der Flucht

Amazonen!

Dem Tode so nah

Der letzte Augenblick

Marinas Weg

Auf dem Weg zu einer Göttin

Wunsch auf Heilung

Waldpfade

Das Messer an der Kehle

Zwei Frauen alleine im Wald!

Der Schoß der Göttin

Winterwind

Weite Wege

Die letzte Nacht?

Familienbande

Angst und Hoffnung

Rache und Verzweiflung

In Geborgenheit!

Ein Plan der Rache!

In den Klauen der Dämonen

Neuer Wind in alten Gemäuern

Ein Tag der Freude

Sehnsucht

Krönungen und andere Missgeschicke

Heimat!

(

K)ein Weg zurück?

Auf dem Heimweg?

Noch ein Freudentag!

Besuch bei Freunden

Nacht der Schatten

Ein Vogel am Morgen

Südwärts, auf acht stählernen Beinen

Goldener Sommer

Anmerkungen

D iese Erzählung sollte Jugendlichen unter 16 Jahren nicht zugänglich gemacht werden.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieser Erzählung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Prolog

Im Zeichen der Schlange

I n einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit durch Naturkatastrophen und Kriege fast vollständig ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden sind auf ein Dasein wie zur Zeit des Mittelalters zurückgefallen und bewohnen den Kontinent Mirento, der früher einmal Europa war.

Dieser Kontinent ist in fünf Reiche aufgeteilt:

Im Norden, an den Ufern des Nordmeeres, befindet sich das Königreich Mortunda, das durch seine Häfen und Eisenvorkommen zu Reichtum und Macht gekommen ist.

Das Königreich Cenobia, das sich im Osten befindet, ist durch Gold- und Silbervorkommen sowie durch seine Kohlelagerstätten wirtschaftlich bedeutend und ohne diese Kohle nutzt Mortunda das Eisen rein gar nichts.

Demzufolge ist die Kooperation zwischen diesen beiden großen Königreichen so wichtig für den Wohlstand in Mirento.

Im Süden, in den Bergen, die früher einmal die Alpen waren, lebt das Reitervolk der Tuck. Raue Gesellen und wilde Barbaren, die nur von Raub leben können, weil ihr karges Land keinerlei Ressourcen zum Leben bietet. Immer wieder fallen sie daher in die fruchtbaren Ebenen Mirentos ein.

Im Westen befinden sich dichte Wälder, die das Königreich Waldonien beinahe vollständig bedecken.

Und im Zentrum, in der flachen Ebene, durch die sich der Fluss Tassaros zum Nordmeer schlängelt, liegen die Felder des Fürstentums Wiesenland. Die ertragreiche Ebene ernährt mit ihrem Überfluss alle Menschen des Kontinents.

Das Gleichgewicht zwischen den Kräften hängt an einem seidenen Faden und wird immer wieder durch Überfälle der Tuck oder durch Reibereien zwischen den eigentlich befreundeten Königreichen empfindlich gestört.

Nur die Fähigkeiten der drei Schlangenhüterinnen, Königin Zondala, Barbara und der Schamanin Ursula, halten das brüchige Band aufrecht, aber wie lange noch?

In der Fortsetzung der Geschichte „Die Hüterin der Schlangen - Die Chroniken von Mirento Band 1“ liegt jetzt das Schicksal des Kontinentes und seiner Bewohner auf den Schultern von Königin Zondalas und Fürstin Sandras Töchtern. Die jungen Frauen übernehmen diese Rolle nur ungern, doch die Zukunft der ganzen Menschheit steht immer wieder auf dem Spiel.

1. Kapitel

Blutiger Herbst?

D er Tag neigte sich seinem Ende zu, die Sonne versank am westlichen Himmel und tauchte dadurch den Horizont in ein Licht, welches aussah wie Blut, das sich über den ganzen Umkreis ergossen hatte.

In den nächsten Tagen würde die Kornernte in Wiesenland abgeschlossen sein und die verbündeten Königreiche von Mortunda und Cenobia hatten mit ihren Heeren dafür gesorgt, dass die Tuck hinter ihren Bergen geblieben waren, doch was würden die kommenden Wochen bringen?

War dieser blutrote Himmel ein schlechtes Omen?

Königin Zondala stand auf dem Turm ihrer Burg und ließ ihren Blick über ihr Königreich Mortunda gleiten. Das tat sie zwar jeden Tag, doch diesmal war irgendetwas anders. Lag es an dieser seltsamen Abenddämmerung? Ihre Augen fixierten das blutrote Band und ihre Gedanken reisten zurück.

Vor fast zwanzig Jahren hatte sie ihren tyrannischen Vater in einer entsetzlichen Schlacht in die Flucht geschlagen und danach zusammen mit ihrem Mann Achim das Reich übernommen.

Es waren danach friedliche Zeiten in dem Reich gekommen, die aber immer wieder durch die Überfälle der Tuck aus dem Süden beeinträchtigt wurden. Zwar kam das Reitervolk nicht bis zu ihnen herauf, aber die Angriffe auf das Fürstentum Wiesenland, welches die Kornkammer aller Reiche in Mirento bildete, hatten im letzten Winter für eine verheerende Hungersnot gesorgt.

Würde auch der folgende Winter so werden?

Fröstelnd zog sie ihren Mantel um die Schultern, aber es war nicht der auffrischende Wind auf der Turmkrone, der ihr diesen Schauer durch den Körper jagte, sondern die Angst vor dem, was möglicherweise kommen konnte.

Waren die friedlichen Jahre wirklich vorüber?

Das unzugängliche Bergland der Tuck war eine sichere Rückzugsbasis für die Reiter und sie dorthin zu verfolgen schien aussichtslos.

Zondala riss sich vom Horizont los, wandte sich nach links und sah in die Richtung, in welcher sich die Berge irgendwo in der Ferne befanden. Von ihrer Position aus waren sie nicht zu erkennen und doch lag der Schatten dieses Gebirges drohend über dem ganzen Land.

Ihre Mutter Sandra hatte ihr von den Männern erzählt und Zondala hatte die Gewalt der Überfälle selbst am eigenen Leib gespürt.

Auch jetzt noch, zwei Jahrzehnte später, wachte sie in mancher Nacht schreiend auf, wenn sie das Gesicht des Mannes wiederum vor sich sah, der sie einst in ihrem Dorf in Wiesenland geschändet hatte.

Unwillkürlich schloss sich ihre Hand um den Griff des Dolches, der an ihrem Gürtel hing.

Sie war die Königin des mächtigsten Reiches von Mirento und trotzdem hatte die Angst sie immer noch in ihrer Gewalt!

Tausende Ritter würden auf ihren Befehl hin sofort ihr Leben für sie einsetzten und dennoch trug sie noch immer einen Dolch an ihrer Seite.

Was stimmte da nicht mit ihr?

„Kommst du zum Essen runter?“, fragte ihre Tochter Sofia von hinten und riss sie damit aus ihren unnützen Grübeleien.

Zondala wandte sich zu ihr um. Die letzten Sonnenstrahlen färbten auch das Gesicht der Tochter rot ein. Sie konnte nur hoffen, dass Sofia diese Qualen erspart bleiben würden, die sie einst durchlitten hatte.

Sofia trat zu ihr und sah zur Ebene hinab, wo sich das silberne Band des Tassaros durch die Landschaft schlängelte. Der breite Fluss war die Grenze zwischen ihrem Königreich und dem Königreich Waldonien und gerade noch so mit bloßem Auge vom Turm aus zu erspähen.

In einigen Wochen würde dieser Fluss sie beide voneinander trennen, denn Prinz Frederic von Waldonien hatte um die Hand der Tochter angehalten. Das würde die beiden Königreiche noch näher zusammenbringen und Zusammenhalt war das einzige, was sie der dunklen Gefahr aus dem Süden entgegensetzen konnten.

Doch sie wollte Sofia mit ihren Befürchtungen nicht verängstigen, denn die achtzehnjährige sollte nicht mit Angst aufwachsen müssen. Daher hatte sie bisher auch versucht, jede Sorge vor den Kindern fernzuhalten.

Doch was würde jetzt kommen?

In ein paar Jahren würde Sofia Königin von Waldonien sein, denn König Conrad der Starke war nur noch seinem Namen nach ein starker Mann. Er hatte zwar die Weisheit des Alters, aber seine Körperkraft nahm ständig weiter ab.

Und an Zondalas südlicher Flanke war ein starker Bündnispartner Gold wert. Auch deshalb freute sie sich so, dass Frederic sie um die Hand der Tochter gebeten hatte.

Schweigend sahen sie hinüber und hingen ihren Gedanken nach.

„Komm! Lass uns hinuntergehen!“, sagte Zondala nach einer Weile und machte den ersten Schritt in Richtung des Treppenaufganges, als eine Fledermaus ihre Kreise um ihren Kopf zog.

Das aufdringliche Tier erinnerte sie wieder an jene, auf deren Schwingen sie einst diese Burg erobert hatte.

War das ein Zeichen aus der Vergangenheit? Oder ein Hinweis darauf, den Bund der Schlangenhüterinnen wieder ins Leben zu rufen.

In der letzten Zeit hatten sie es nicht geschafft, sich an der Höhle des Drachens in Waldonien zu treffen und vielleicht war genau das die Ursache für das Erstarken der Tuck.

Sie würden alle Kräfte brauchen, um ihre Länder und Grenzen zu sichern.

Die Schamanin Ursula, nach ihrer Freundin Barbara die dritte in ihrem Bund, war mittlerweile genauso klapprig, wie ihr König Conrad und es war absehbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft eine neue Frau ihrem Dreierbund beitreten würde.

Die Fledermaus setzte sich genau auf die Schulter, auf der Zondala das Schlangensymbol trug und das war nur die Bestätigung dafür, dass sie richtig gedacht hatte.

Als Sofia an ihre Seite trat, da hopste die Fledermaus wie selbstverständlich auf die Schulter der Tochter hinüber. Vielleicht war auch das eine Antwort.

Zu gern würde Zondala die Pflichten als Schlangenhüterin an die Tochter übergeben, aber diese Aufgabe konnte man nicht einfach so abgeben. Es war ein Auftrag der großen Göttin und wen die Schlange erwählt hatte, der hatte diese Bestimmung ein Leben lang.

Zu dritt war es ihre Pflicht, den Frieden zwischen den Königreichen aufrechtzuerhalten.

„Wer bist du denn?“, fragte Sofia und hob das Nachttier auf ihre Hand.

„Ein Bote aus der Vergangenheit, der mich an meinen Auftrag erinnert hat!“, erklärte Zondala und die Fledermaus erhob sich.

Noch zwei Runden flog sie um ihre Köpfe, um danach in der beginnenden Nacht zu verschwinden.

Hand in Hand stieg Zondala mit der Tochter hinab in die laute Burg.

Von der Stille des Turmes in den Trubel der Essensvorbereitung.

Einige Mägde liefen mit Vorspeisen und Krügen zum Saal und deckten den Tisch.

Die ersten Berater und Gäste saßen schon schwatzend an den Tischen und erhoben sich, als Zondala den Raum betrat. Sofia blieb an der Tür stehen.

Die Tochter war nicht für solche großen Gelage zu begeistern, aber sie musste jetzt in die Rolle einer Landesführerin hineinwachsen.

Mit einer Handbewegung holte Zondala ihre Tochter zu sich und wies ihr einen Platz neben sich an der Tafel zu.

Sofias Gesichtsausdruck war zwar nicht glücklich, aber sie würde das als eine Schulstunde auffassen müssen.

Mit dem Blick zum noch rot angeleuchtet Fenster bat Zondala um einen friedlichen Herbst.

2. Kapitel

Im Schweiße des Angesichtes

B arbara war mittlerweile schon über sechzig Sommer alt, aber nur die grauen Haare in ihrem Zopf verrieten dieses Alter. Die vielen Kämpfe der Vergangenheit hatten sie topfit gehalten und im Armdrücken konnte kein Mann sie bezwingen. Die gestählten Muskeln zeigten sich wie Drahtseile unter ihrer Haut und auch nach all den Jahren war sie immer noch die Anführerin des Heeres von Mortunda.

In zahlreichen Schlachten hatte sie gekämpft und nur wenige Wunden davon getragen. Die schlimmste Verletzung stammte aber nicht von einer Schlacht, sondern von der Hand ihres Meisters Dakora.

Einst hatte dieser ihr die Glut eines Feuers in ihr Gesicht geschleudert, um sie unerkannt als Küchenmagd bei König Xander einzuschleusen und selbst heute noch, Jahrzehnte später, zwickte die Wunde, wenn das Wetter umschlug. So wie heute und deshalb hatte sie sich in die Schwitzhütte hinter der Burg zurückgezogen.

Hier war sie alleine und konnte ihren Gedanken nachhängen. In der Stille konnte sie in ein Gespräch mit Dakora kommen, der vor vielen Jahren in das Totenreich übergewechselt war.

Während der Schweiß ihren nackten Rücken herunterlief, dachte sie daran, dass es wohl nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie nicht mehr die Kraft haben würde, um ein Schwert zu halten.

Langsam kam der Moment, zu dem sie einen Nachfolger für dieses Amt finden musste. Bloß wen? Es gab viele Ritter im Reich, aber im Augenblick traute sie keinem davon zu, dieses Heer zu führen.

Gedankenverloren spielte sie mit dem Zopf. Einst hatte auch Dakora das in dieser Art getan, wenn er über etwas nachgedacht hatte und sie hatte diese Angewohnheit einfach übernommen.

Vor ihrem inneren Auge zogen die Kämpfer dahin. Nicht einer war darunter, der dieser gewaltigen Aufgabe gewachsen war und darum lehnte sie sich schließlich seufzend zurück.

Gerade betrat die Königin die Schwitzhütte, legte das Tuch zur Seite und ließ sich auf der anderen Bank ihr gegenüber nieder. Mit Königin Zondala war sie inzwischen schon Jahrzehnte befreundet und kannte sie, seit dem Tage ihrer Geburt.

Beide Frauen nickten sich zu und es war wohl das natürlichste der Welt, dass zwei Frauen nackt in dieser Hütte saßen. Nur waren es eben die zwei mächtigsten Frauen des ganzen Königreiches. Und auch noch zwei der drei Schlangenhüterinnen!

„Was bedrückt dich?“, fragte Zondala.

Barbara ließ den verräterischen Zopf aus den Fingern gleiten und warf ihn nach hinten.

„Ich denke über einen Nachfolger für mich nach!“, antwortete sie.

„Warum?“, erkundigte sich die Königin sichtlich verwundert.

„Ich werde nicht jünger!“

„Wenn du einen Sohn oder eine Tochter hättest, dann wäre deine Wahl sicherlich kein Problem mehr!“, erwiderte Zondala.

„Anderes war wichtiger! Ich habe mir meine Jungfräulichkeit immer mit dem Schwert verteidigt!“, entgegnete Barbara und lachte.

„Nein! Spaß beiseite!“, setzte sie fort. „Als Berater mag ich noch einige Jahre an deiner Seite sein, aber im Kampf? Und es wird jetzt wieder schwerer!“, seufzte Barbara.

„Wieso?“, fragte Zondala zurück.

„Die Tuck greifen jedes Jahr an und dringen dabei immer weiter in den Norden vor und an der Küste häufen sich in der letzten Zeit die Piratenüberfälle!“, antwortete Barbara nachdenklich.

„Vielleicht sollten wir im nächsten Jahr einen Wettbewerb ins Leben rufen, in welchem du einen würdigen Nachfolger finden kannst?“, erklärte die Königin.

„Das ist eine gute Idee und in den langen Winternächten kann ich mir ja ein paar Aufgaben dafür ausdenken!“

„Na, wenn du sonst keine Hobbys hast! Ich werde mich jedenfalls mit Achim vor den Kamin kuscheln!“, sagte Zondala und wischte sich lachend den Schweiß von der Stirn.

„Da wird es bestimmt genauso heiß, wie hier!“, erwiderte Barbara schmunzelnd.

„Bestimmt!“, erklärte Zondala, lachte und schlug ihr auf den Schenkel, dass es laut klatschte.

Gemeinsam schwitzten sie und Zondala goss noch einmal auf. Dampfschwaden zogen durch die Hütte.

„Ich muss hier erst einmal raus, bevor es mir zu heiß wird!“, entgegnete Barbara nach einer Weile und erhob sich.

Schnell lief sie durch die Tür nach draußen und sprang hinter der Hütte in den kleinen Tümpel mit dem kalten Wasser.

Für einen Tag zu Beginn des Herbstes war es draußen noch ziemlich warm.

Neben ihr hüpfte auch Zondala in das Gewässer. Prustend tauchte die Königin wieder daraus auf und bespritzte sie.

Sofort war das Alter vergessen und sie tollten im Wasser herum, als wären sie nicht beides gestandene Frauen, sondern kleine Kinder. Sie probierten sich gegenseitig unter die Wasseroberfläche zu drücken, aber Barbara ließ die Königin gewinnen, denn mit ihrer Kraft konnte sie Zondala sicher leicht überwinden.

Lachend kletterten sie später wieder an das Ufer und griffen sich von einer Bank die Tücher, die eine Magd für sie dort bereitgelegt hatte.

„Musst du nicht eigentlich die Heirat deiner Tochter vorbereiten?“, fragte Barbara.

„Das macht Achim mit Sofia. Ich bin da nur im Weg!“, erklärte Zondala.

„Als Mutter? Das glaube ich dir nicht!“

„Meine Aufgabe kommt dann später! Ich werde bei der Vermählung ein dutzend Taschentücher vollheulen!“

„Wo ist denn da die Kämpferin geblieben, die mit bloßen Händen einen Wolf bezwungen hat?“, fragte Barbara und griff zu dem Wolfszahn, den die Königin an einer Kette um den Hals trug.

„Die Mutter in mir hat die Kämpferin bezwungen!“, entgegnete Zondala und beide mussten lachen.

Während sich Zondala in ihr Handtuch wickelte und ging, warf sich Barbara das Tuch nur über die Schulter und folgte ihrer Königin einfach nackt.

Die Wachen am Burgtor hatten sich schon an diesen Anblick gewöhnt und falls einer etwas zu sagen hätte, so konnte Barbara jeden sofort niederringen.

Sicherlich sogar mit bloßen Händen.

Barfuß ging sie über den Vorplatz zum Haupthaus der Burg hinüber und band sich dabei das Tuch um die Hüften, wodurch sie wenigstens untenrum bedeckt war.

In jeder anderen Burg hätte es gewiss einen Aufstand gegeben, wenn eine halbnackte Frau dort entlang gelaufen wäre, hier war das normal. Sie verschwendete daran auch keinen Gedanken, doch dann spürte sie den Blick eines jungen Mannes.

Das Augenmerk des Jüngelchens lag abschätzend auf ihrer Brust. Vermutlich war er hier neu, denn er trug die Uniform eines Knappen.

Sie hätte es ignorieren können, doch im Moment konnte sie etwas Ablenkung von den seltsamen Gedanken um ihr Alter und die Nachfolge gebrauchen.

„Hast du noch nie eine nackte Frau gesehen?“, fragte sie, dabei stützte sie die Arme in die Hüften und blieb vor ihm stehen.

Jetzt stand ihr der Sinn nach einem Ringkampf, denn sein Blick lag immer noch auf ihrer Brust!

Das Handtuch fiel und ein paar Augenblicke später hatte sie den Knappen in den Staub des Burghofes gerungen.

„Noch mal? Ich will eine Revanche!“, entgegnete der Mann, nachdem er sich den Staub von der Kleidung geklopft hatte.

„Gern!“, antwortete Barbara.

Das imponierte ihr und der Kampf ging weiter.

Zuschauer hatten sie momentan genug und der junge Mann hielt jetzt gut dagegen. Trotzdem hatte er nicht den Hauch einer Chance.

Er hatte zwar Kraft, aber sie die Erfahrung.

„Wie heißt du?“, fragte sie, als sie ihm abermals aufhalf.

„Julian!“, war seine Antwort und sie reichten sich die Hände.

3. Kapitel

Stell dich deiner Angst

D ie Einladung war überraschend gekommen. Zwar hatte Zondala gewusst, dass wieder, wie in jedem Herbst, in Wiesenland das Erntefest gefeiert werden würde, doch eine Einladung dazu hatte es bisher noch nie gegeben. Und das, wo ihre Mutter Sandra doch die Fürstin von Wiesenland war.

Aber das Erntefest war eben ein ganz besonders Fest für die Einwohner des Fürstentums und da lud man sich nur Freunde ein und nicht eine Königin aus einem Nachbarreich.

Früher, als Zondala noch in Wiesenland gelebt hatte, da hatte sie dieses Fest geliebt. Alle hatten sich nach der Ernte getroffen und waren bis tief in der Nacht mit singen, schlemmen und feiern beschäftigt.

Und dann hatte es jenes furchtbare Jahr gegeben, in welchem kurz vor diesem Fest ihr Dorf überfallen und fast die gesamte Bevölkerung ihrer Siedlung getötet worden war. Damals war sie gerade einundzwanzig geworden und dieses schicksalsträchtige Fest war in diesem Jahr genau 20 Jahre her.

Noch immer steckte die Angst in Zondala und aus Rücksicht auf diese Furcht hatte es Sandra bisher vermieden, sie zu dieser Feier einfach so einzuladen. Doch soeben war der Bote eingetroffen, hatte den Brief gebracht und Zondala hatte ganz spontan zugestimmt.

Damit war wohl jetzt der Moment gekommen, wo sie sich ihren inneren Dämonen stellen musste.

Bisher hatte sie sich in jedem Jahr an diesem Tag in ihrem Zimmer verkrochen. Es war schon so lange her und dennoch hatte sie ihre Furcht noch immer nicht bezwungen.

Achim blickte zu ihr herüber und erkundigte sich: „Und du meinst das wirklich ernst?“

„Wenn du mitkommst?“, fragte sie zurück.

„Natürlich. Ich bin an deiner Seite. Allerdings wohl nicht in offizieller Mission. Oder?“, erwiderte ihr Mann.

„Wir sind als Freunde eingeladen. Ich werde nur eine kleine Wache und die Kinder mitnehmen. Wenn da zu viele Ritter erscheinen, dann könnte das nur schlechte Stimmung geben. Gegen ein dutzend bewaffneter Männer hat in Wiesenland sicherlich niemand etwas!“, erklärte Zondala.

„Zumal Barbara und unser Heer ein paar Wochen lang die südliche Grenze von Wiesenland gegen die Tuck verteidigt hatten!“, bestätigte Achim.

Bei der Erwähnung der Feinde zuckte Zondala unmerklich zusammen.

Beruhigend legte Achim ihr seine Hand auf den Arm. Die Wärme und Zärtlichkeit dieser Berührung löschte die Bestürzung sofort wieder aus.

„Ein bisschen Erholung tut mir auch ganz gut, denn ich verhandle seit Wochen mit dem Gesandten von Cenobia um die Kohlenpreise. Das ist vielleicht zermürbend“, setzte Achim lächelnd hinzu.

„Ja! Das hat dir damals keiner gesagt, als du König geworden bist! Oder?“

„Nein! Du hast gefragt und ich habe zugesagt!“, entgegnete er und lachte.

„Von Kohle war damals keine Rede gewesen!“, setzte er noch hinzu und Zondala musste schmunzeln.

„Amelie! Bring mal die Kinder!“, rief sie nach der Amme.

Es dauerte eine Weile, bis die Amme mit den drei Kindern wieder in den Raum kam.

Sofia war achtzehn, ihr Bruder Andreas zwölf und das Nesthäkchen Franziska gerade sechs Jahre alt.

Franziska freute sich, die Großmutter wiederzusehen, bei Andreas hielt sich die Begeisterung darüber schon in Grenzen und Sofia lehnte dankend ab, was Achim die Stirn in Falten ziehen ließ.

Beruhigend legte Zondala ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. Auf seinen Blick hin nickte sie und Achim gewährte der Tochter diese paar Tage ohne die Eltern. Was natürlich sofort bei Andreas für eine entsprechende Reaktion sorgte, aber weder sie, noch Achim, wollten sich auf eine Diskussion mit dem Sohn einlassen. Noch war er nicht alt genug, um alleine in der Burg zu bleiben.

Schmollend verließ er den Raum und das freudige Hopsen seiner beiden Schwestern hob seine Stimmung auch nicht, aber ob er wollte, oder nicht, er würde sie einfach zur Großmutter begleiten und bis dahin hatte er noch eine Woche, um sich damit abzufinden.

Und auch die Aussicht darauf, sich dort mit seiner Tante Lunara treffen zu können, hatte bei ihm wohl auch nicht mehr den Erfolg, den es früher gehabt hatte.

Die Schwester war neunzehn Jahre alt und vielleicht war ja da ein freudiges Ereignis durch Sandra in der Planung. Zumindest war Lunara mittlerweile alt genug, um zu heiraten.

Schon fast ein halbes Jahr hatte Zondala die Schwester nicht mehr gesehen und jetzt freute sie sich darauf, Lunara endlich wieder in die Arme schließen zu können.

Gleichzeitig war auch das eine Konfrontation mit der Angst, denn Lunara war ja aus der Vergewaltigung durch den Führer der Tuck, Kahn Archus, entstanden und der Fluch der jungen Frau war, dass sie dem Vater ziemlich ähnlich sah. Die Schwester war in jenem Jahr gezeugt worden, in welchem auch Zondala der Gewalt ausgesetzt gewesen war.

Damit war verstecken praktisch unmöglich.

Nach all der Zeit würde sich Zondala den Dämonen der Vergangenheit stellen müssen.

Zondala erhob sich aus ihrem Sessel und trat an das Fenster, welches zum Burghof hinab zeigte.

Die Schlangengrube, die einer der Vorfahren ihres gewalttätigen Vaters einst dort gegraben hatte, war vor vielen Jahren für immer verschlossen worden. Nur der etwas hellere Sand zeigte die Stelle noch an, an welcher sie in die Tiefe gestoßen worden war, um dort zu sterben.

Immer mehr Erinnerungen von damals sausten durch ihren Kopf und der Bote verließ gerade erst den Burghof wieder.

Noch sieben Tage, um sich zu ängstigen! Oder eine Woche, um sich allen Ängsten entgegenzustellen!

Achim trat neben sie und legte seinen Arm schützend um sie. Er wusste, wie es gerade in ihr aussah, denn seit damals gab es dieses Band zwischen ihnen, dass der eine immer genau wusste, was der andere fühlte oder dachte.

„Verschwende keinen Gedanken an das, was dein Vater dir angetan hat. Sieh nach vorn und schaue nur, was du deinen Kindern und deinem Volk Gutes tun kannst!“, flüsterte ihr Achim ins Ohr.

Genau so wollte sie es halten!

Unten ritt Barbara in voller Rüstung auf den Burghof. Sie nahm den Helm ab und grüßte nach oben. Die Abteilung der Ritter, die sie begleitet hatte, saß unter ihrem Fenster ab.

Vielleicht wollte Barbara sie ja nach Wiesenland begleiten? Schnell winkte Zondala die Freundin nach oben.

Das Klappern der Rüstung zeigte schon wenig später an, dass Barbara sich dem Saal in Eile näherte.

Als die Freundin zu ihr trat, schlug sie Barbara vor, dass diese sie begleiten solle, doch die Freundin lehnt dies ab, weil im Moment zu viel zu tun war.

Barbara hatte ja schon davon berichtet, dass eine Piratenbande die Orte an der Küste nachts überfiel. War da der richtige Zeitpunkt für ein fröhliches Fest?

4. Kapitel

Katz und Maus

E s war ein ungleicher Kampf, dem sich Barbara seit Tagen stellen musste. Diese Bande von Seeräubern war schnell und die Reiter waren im Gegensatz dazu ziemlich langsam. Zwar hatten sie schon vor ein paar Jahren ein Problem mit den Piraten gehabt, aber damals hatten diese nur die Schiffe der Händler überfallen und das Land verschont.

Inzwischen hatten die Seeräuber ihre Ziele gewechselt.

Die nächtlichen Überfälle terrorisierten die Bevölkerung an der Küste zunehmend und mehr, als nur Präsenz zu zeigen, blieb Barbara und dem Heer nicht übrig. Die Flotte war praktisch nicht vorhanden. Nur drei Schiffe hatte ihre Marine und die waren auch noch so langsam, dass sie die Piraten nicht einholen konnten.

Jahrelang hatten die Angriffe der Tuck sämtliche Ressourcen von Mortunda gebunden und da dieses Reitervolk eben keine Schiffe hatte, war für die Marine auch nicht viel Geld im Haushalt geblieben.

Die wenigen Händler, die das Nordmeer befuhren, um mit der Insel Brilarum Handel zu treiben, hatten sich selbst bewaffnet und geschützt.

Diese Nachlässigkeit rächte sich jetzt bitter und Mortunda war das Königreich mit der längsten Küste zum Nordmeer! Zwar hatten auch Waldonien und Cenobia eine Küste, aber da war eben nichts für Räuber zu holen. Die reichen Siedlungen von Mortunda boten da schon eine bessere Beute.

Und das Heer von Mortunda war zwar groß, aber reichte eben dennoch nicht aus, um jeder Hafenstadt und jedem Dorf eine Abteilung zum Schutz zu geben, denn es gab mehr als hundert Siedlungen an den Küsten! Von den Fischerdörfern mit drei oder vier Hütten im Westen und Norden, bis zur Stadt Fontara im Osten, fast an der Grenze zu Cenobia.

Die Straßen waren zwar gut ausgebaut, aber das reichte eben nicht, um nachts schnell genug in der jeweiligen Siedlung zu sein, falls diese überfallen wurden.

Und es gab auch kein Muster, anhand dessen man seine Kräfte planen konnte. Völlig willkürlich schlugen die Räuber mit ihren Booten in der Nacht zu. Die Banditen stürmten die Siedlungen, raubten Menschen oder deren Hab und Gut, setzten die Häuser in Brand und verschwanden, bevor eine geregelte Gegenwehr zustande gekommen war.

Dass die Räuber von der Insel Brilarum kamen, das war wahrscheinlich, beweisen konnte es allerdings keiner und die Insel lag zu weit entfernt mitten im Nordmeer.

Fast einen Tag brauchten die Händler bis zum Hafen Londinum auf der anderen Seite des Meeres. Und natürlich reichte die Kraft von Mortunda nicht aus, um den Hafen der Seeräuber zu finden. Wie sollte das auch gehen? Mit diesen drei klapprigen Schiffen?

Wenn sie wenigstens eine Spur hätten!

Damit war es jede Nacht ein Spiel, wie von Katze und Maus. Wobei die Seeräuber in diesem Falle die Katze waren, die sich im Schutze der Dunkelheit die Maus griffen.

Und wieder eilte Barbara durch die Nacht! Vor ihr sah sie den Feuerschein eines brennenden Dorfes und wusste doch schon jetzt, dass sie erneut zu spät dort sein würden.

Selbst das schnellste Pferd konnte nicht den Schiffen auf das Meer hinaus folgen. Es war frustrierend, so gar nichts dagegen tun zu können!

Mit donnernden Hufen jagten die Pferde durch die Dunkelheit. Schon seit ein paar Tagen hatte Barbara befohlen, nur leichte Panzerung anzulegen, um die Reittiere schneller zu machen, aber auch dieser kleine Gewinn an Geschwindigkeit würde nicht reichen.

Ihre Abteilung mit den zwei Dutzend Kämpfern hatte die schnellsten Pferde von ganz Mirento. Es waren extra dafür gezüchtete Renner, die besonders darauf trainiert waren, die Tuck zu stellen, aber auch dabei waren sie genauso erfolglos gewesen, wie auf dieser verzweifelten Jagd im Norden!

Barbara trieb ihre Sporen in die Flanken ihres Rappen. Noch schneller preschte das Tier dahin! Falls irgendjemand in dieser Nacht auf dieser Straße unterwegs sein würde, er würde wohl kaum den Tieren ausweichen können.

Und sie selbst würden vor einem Hindernis nicht zum Stehen kommen. Sollten die Seeräuber jemals auf die Idee kommen, den Landweg zu den Dörfern zu versperren, sie würden alle, samt Pferden, in dem Hindernis den Tod finden. Selbst bei Vollmond war es unmöglich, bei dieser Geschwindigkeit eine Blockade der Straße rechtzeitig zu erkennen.

Das Keuchen des Tieres war fast lauter, als sein Hufschlag, als sie die ersten Hütten erreichten. Oder zumindest das, was vor kurzem noch eine Siedlung gewesen war.

Die strohgedeckten Dächer brannten nach dem heißen Sommer wie Zunder. Fünf Hütten waren es mal gewesen und nur bei einer davon lohnte sich das Löschen noch.

Da die Feinde längst verschwunden waren, war nur noch das Retten der letzten Hütte für sie übrig geblieben. Eine Eimerkette von der See bis zur Hütte wurde flugs eingerichtet und zusammen mit den letzten Bewohnern der Siedlung gelang es, die Hütte zu löschen. Trotzdem war der Schaden immens!

Eine kurze Aufnahme brachte schnell Gewissheit: Von den dreißig Bewohnern, die am Tage noch hier gelebt hatten, waren nur zwölf übrig geblieben. Fünf Frauen und drei ältere Mädchen waren verschwunden. Sicherlich würden die irgendwo auf einem Sklavenmarkt zum Kauf angeboten werden.

Als der Morgen mit dem ersten Licht der Sonne über die Reste des Dorfes kam, blieb den Fischern nicht viel von ihrer Habe.

Nur die Boote waren unversehrt geblieben. Somit würden sie die Hütten wieder aufbauen und mit den Booten auf das Nordmeer hinaus fahren.

Vielleicht war es Kalkül der Piraten gewesen, damit die Fischer blieben, oder Respekt vor der Leistung der kleinen Boote, die sich täglich den Stürmen des Meeres in den Weg warfen.

Wer konnte es schon wissen?

Aber irgendwann würden die Piraten auch dieses Dorf erneut heimsuchen. Und Barbara hatte keine Mittel, um dies zu verhindern!

Im Umdrehen sah sie in der Ferne auf dem Hügel die Burg, von der sie am Abend aufgebrochen waren. So nahe war der unsichtbare Feind der Burg der Königin noch nie gekommen.

Zeigte das den Mut der Räuber an? Oder nur die Unverfrorenheit der Piraten? Es war fast eine Art von Hohn, den man darin sehen konnte.

Es hieß: Schaut her, uns macht es nichts aus, die Dörfer direkt vor eurer Feste zu überfallen!

Barbara fluchte still in sich hinein. Das erschöpfte Pferd am Zügel hinter sich herziehend, machte sie sich auf den Rückweg. In ihre Gedanken versunken, führte sie es heimwärts. Sie überlegte dabei, was sie tun konnte und kam abermals zu der Erkenntnis, dass sie nichts machen konnte!

Zornig spie sie in den Straßenstaub, drehte sich zum Meer um und drohte mit der Faust dem unberechenbaren Feind.

Aber außer dieser Geste konnte sie nichts bewirken!

5. Kapitel

Königin für einen Tag

S ofia saß an ihrem Tisch und kämmte sich vor dem Spiegel ihre langen braunen Haare. Die Aussicht darauf, die Burg für ein paar Tage ganz alleine für sich zu haben, war einfach viel zu verlockend.

Während die Geschwister hinter ihr lautstark ihre Sachen packten, lächelte sie still in sich hinein. Der Lärm hatte bei Schwester und Bruder eine andere Ursache, denn während Franziska sich über den Besuch bei der Großmutter freute, fluchte Andreas, dass er nicht sein Pferd reiten konnte.

Dabei gab es in Wiesenland ausgezeichnete Rennpferde. Ihre Tante Lunara hatte eines davon. Der Rappe war sogar das schnellste Pferd, das Sofia kannte.

„Wenn du lieb bist, dann lässt dich unsere Tante vielleicht auf Donnerschlag reiten!“, sagte sie über die Schulter und sofort hellte sich der Gesichtsausdruck von Andreas sichtlich auf. An den Rappen hatte er sicherlich nicht mehr gedacht.

Die Mutter erschien und war überrascht, dass es Andreas mit einem Mal nicht schnell genug gehen konnte. Fast musste die Mutter ihn jetzt bremsen.

„Und du, mache keinen Unfug!“, sagte sie, als sie zu Sofia trat und ihr einen Abschiedskuss geben wollte.

Geschickt wich Sofia aus, denn sie war ja kein Kind mehr.

„Ich hoffe, dass bei meiner Rückkehr die Burg noch steht!“, sagte die Mutter.

„Ganz sicher!“, entgegnete Sofia und dachte sich dabei: „Vielleicht braucht sie dann aber einen neuen Anstrich!“

Wenig später stand Sofia am Fenster und sah zum Burghof hinab, auf dem die restliche Familie gerade in die Kutsche stieg und wenig später, begleitet von etwas mehr als einem Dutzend Männer, aus der Burg fuhr.

„Endlich! Jetzt bin ich die Königin!“, rief Sofia und tanzte freudig durch ihr Zimmer.

Im Augenblick kam ihre Zeit! Bisher war sie immer die brave Tochter gewesen.

Bei ihrem alten, grauhaarigen Lehrer Alexej lernte sie täglich stundenlang und nach seiner Aussage war sie eine gute Schülerin, aber was sagte das, wenn der Mann es in Gegenwart der Mutter erzählte, die ihn dafür bezahlte?

Er konnte ja schlecht sagen, dass sie bei ihm nicht viel lernte, weil sonst ein anderer Lehrer seine Position bekommen würde.

Sofia war nicht dumm, sie hatte allerdings eine andere Auffassung von dem, wie der Tag sein sollte. Und davon, was sie in Zukunft mal brauchen würde.

In ein paar Wochen, vermutlich zur Wintersonnenwende, würde sie Frederic zum Mann bekommen und nach Waldonien ziehen.

Der gleichaltrige junge Mann hatte ihr vor Tagen ein Bild geschickt und wenn der Maler es nicht allzu sehr geschönt hatte, dann war Frederic in den paar Jahren zu einem ansehnlichen Prinzen herangewachsen.

Vor sieben Jahren, bei ihrem letzten Besuch bei König Conrad, war Frederic noch ein pickeliger, rothaariger Junge mit unzähligen Sommersprossen auf der Nase gewesen, aber damals hatte sie noch Zöpfe gehabt und mit Puppen gespielt. Lang war es her!

Vor einigen Wochen hatte die Mutter ihr erklärt, was nach dieser Hochzeit von ihr verlangt werden würde. Immer noch bekam Sofia rote Ohren, wenn sie an diese Unterhaltung zurückdachte, aber wenn es nun mal zu den Pflichten einer Königin gehörte, dem König einen Stammhalter zu schenken, dann würde sie das eben tun müssen.

Allerdings war genau das etwas, was der Lehrer all die Jahre mit keiner Silbe erwähnt hatte. Was sagte das wohl darüber aus, was sie bei ihm lernte? Vermutlich brachte er ihr nur Dinge bei, die sie nie wieder benötigen würde.

Alles andere würde erst noch kommen!

Und heute war ein Tag, an welchem sie austesten konnte, was so eine Königin tun musste! Zuerst wollte Sofia in den Thronsaal gehen und eine Audienz abhalten.

Ein paar Augenblicke später hatte sie sich zwei Mägde in der Küche ausgeborgt, die mit ihr Audienz spielen mussten.

Die beiden jungen Mägde nahmen das aber nicht sonderlich ernst.

Als richtige Königin hätte sie diese beiden bestrafen können, im Spiel blieb auch das für die beiden jungen Frauen gefahrlos.

Damit war der nächste Tagesordnungspunkt ein festliches Bankett für sie und die beiden Mägde, was denen viel besser gefiel.

Es wurde geschlemmt, bis sich Sofia rülpsend zurücklehnen musste. Das war noch etwas, was man als Königin tun konnte, denn wenn sie bei der Mutter am Tisch rülpste, dann verzichtete sie damit notgedrungen auf den Nachtisch.

Nach dem Festmahl begann es draußen langsam dunkel zu werden und damit kam der nächste Teil des Spieles „Königin für einen Tag“, denn die Gebieterin zog sich in ihre Gemächer zurück.

Oder in diesem Falle in die ihrer Mutter!

Der Schrank bot so vieles zum Stöbern, so viele Kleider, die anprobiert werden mussten und fast alle passten.

Nach einer Weile sah es wie auf einem Schlachtfeld aus, aber die Mägde konnten am nächsten Tag ja alles wieder einräumen!

Im Nachthemd der Mutter ließ sich Sofia unter den königlichen Baldachin in das weiche Bett fallen.

Sie träumte mit offenen Augen von dem, was bald auf sie zukommen würde, mit Ausnahme der Hochzeitsnacht!

Sofia strich die feine Borte des Nachthemdes entlang. Es war ein Kleid aus Seide und das Lieblingsnachthemd der Mutter! Niemals hätte sie erlaubt, dass sie es hier gerade trug.

Dieser Stoff fühlte sich so gut auf der nackten Haut an! Das war wirklich der Himmel und sie nahm sich vor, genau solch ein Kleid von ihrem zukünftigen Mann zu fordern.

Ein Lärm auf dem Gang ließ sie sich im Bett aufsetzen. Was war da los? Hatte eine von den Mägden eine der Rüstungen umgeworfen? Da musste sie hinaus, um sie zu schelten.

Dieses Spiel machte ihr richtig großen Spaß.

Als Sofia die nackten Füße auf den Boden setzte, stürmten vier Männer in den Raum. Offenbar hatten die Mägde jetzt auch ein paar Knechte engagiert, die mitspielten. Fein!

„Hinaus mit euch, ihr Unholde! Ich bin Königin Zondala!“, schrie sie die Männer an, die sich sofort auf sie stürzten.

Die Männer rissen sie von den Füßen, stülpten ihr einen Sack über den Kopf und fesselten anschließend ihre Hände und Füße.

Sofia schrie auf und dachte sich schon eine Belohnung für die Mägde aus, die ihr Spiel so realistisch gemacht hatten.

„So! Ihr könnt mich wieder losmachen!“, sagte sie laut, als die Männer sie anhoben.

Jemand warf sie sich über die Schulter und ging mit ihr davon.

Jetzt übertrieben die Männer aber!

„He! Lasst mich runter!“, rief Sofia und bekam einen schmerzhaften Hieb auf den Hintern.

Das würde Konsequenzen haben und die Belohnung für die Mägde wurde in eine Strafe umgewandelt.

6. Kapitel

Schmach und Schande

E ine neue nutzlose Nacht der Jagd war vorbei und langsam fiel es Barbara schwer, ihre Männer noch dazu zu motivieren, des Nächtens blind umherzueilen und eigentlich nur noch Feuerwehr zu spielen, um die Brände zu löschen und die Verletzten zu versorgen.

Das war keine Aufgabe für eine Truppe! Und für Ritter gleich gar nicht! Diese unendlichen und sinnlosen Jagden waren zermürbend.

Nicht so sehr körperlich, sondern sie zerstörten das Vertrauen der Männer in das, was sie taten. Und das Wichtigste in einem Heer war die Zuversicht darin, dass man den Aufgaben gewachsen war.

In der Morgendämmerung ging Barbara, mit ihrem Streitross am Zügel, an der Spitze der kleinen Gruppe den Berg zur Burg hinauf. Das Burgtor stand schon offen und keiner der Wachposten war zu sehen.

Das durfte doch nicht wahr sein!

Schneller ging Barbara, um die Männer sofort zurechtzuweisen.

Schlug diese Sinnlosigkeit ihres Tuns schon in Nachlässigkeit um? Das musste sie sofort kategorisch unterbinden!

Barbara rannte förmlich zum Tor, durcheilte es und erstarrte, denn die Posten lagen getötet neben dem Durchgang.

Die Piraten hatten die Burg überfallen!

Das Heer hatte, fast in Sichtweite, die Straße bewacht, während die Räuber in aller Seelenruhe die Burg der Königin überfallen und geplündert hatten.

Am Eingang zum Palas lagen zwei weitere Tote.

„Sichert das Tor!“, brüllte Barbara, riss das Schwert aus der Scheide und stürzte auf das Haupthaus der Burg zu. Zwei ihrer Männer folgten ihr.

Auf der Treppe lagen weitere Opfer des Überfalles.

Immer zwei Stufen mit einem Schritt nehmend eilte Barbara nach oben, wo sich die Etage der Königin und des Königs befand.

Eine der Rüstungen lag in Einzelteilen mitten im Gang.

„Sofia!“, brüllte Barbara und hoffte, dass sich die Tochter der Königin irgendwo hatte verstecken können.

„Sie ist fort!“, antwortete eine alte Magd, die aus einem der Zimmer kam. Sie hatte ein blaues Auge und hielt sich den einen Arm.

„Was ist geschehen?“, fragte Barbara, obwohl das offensichtlich war.

„Sie sind in der Abenddämmerung gekommen. Mindestens zwei Dutzend Männer. Sie haben alle jungen Mägde gefesselt und mitgenommen. Auch die Prinzessin haben sie verschleppt. Danach haben sie noch alles Brauchbare mitgenommen. An die Schatzkammer konnten sie aber nicht herankommen. Das Schloss vor der Tür hat standgehalten“, erklärte die Magd.

Barbara lief zu Sofias Zimmer, aber da sah es ganz normal aus, außer, dass die junge Frau nicht da war.

Im Zimmer der Königin sah es eher wie ein Kampfplatz aus. Sämtliche Kleider von Zondala waren aus dem Schrank gerissen und auf dem Fußboden rund um das Bett verteilt. Einige wertvolle Gegenstände fehlten und das Bettlaken hatte jemand aus dem Bett gezogen.

Die verletzte Magd erschien in der Tür und sah sich in dem Chaos um.

„Räume es auf! Wir verfolgen die Männer! Wie viel Vorsprung haben sie?“, erkundigte sich Barbara.

„Noch nicht viel!“, entgegnete die Magd.

Barbara rannte mit einem Brüller über die Treppe nach unten.

Auf dem Burghof trieb sie ihre Männer wieder auf die Pferde.

Nur wohin sollten sie reiten?

Zu dem Dorf in der Nähe, in welchem es vor ein paar Tagen schon einmal gebrannt hatte? Zumindest war dies der kürzeste Weg bis zum Nordmeer!

Im gestreckten Galopp trieben sie die Pferde an.

Vor ihnen kündete eine dünne Rauchsäule davon, dass auch dieses Dorf in der Nacht ungebetenen Besuch gehabt hatte.

Das hier war eine solche Demütigung, die Barbara nicht ungesühnt auf sich sitzen lassen konnte. Unerbittlich trieb sie ihre Hacken in die Flanken ihres Pferdes.

„Schneller!“, trieb sie ihre Männer an, aber das Dorf kam nur langsam näher.

Schließlich erreichten sie die erste Hütte, doch auch diese war soeben ein Raub der Flammen geworden und die Hütten, bei denen die Bewohner gerade den Aufbau neu begonnen hatten, lagen niedergerissen am Boden.

Das schlimmste war aber, dass das Schiff der Seeräuber fort war. Im Sand am Ufer waren nur noch der Abdruck des Rumpfes und die Fußspuren der Räuber zu sehen. Sie konnten noch nicht lange fort sein!

„Verdammt!“, brüllte Barbara und blickte auf das Meer hinaus.

Es war wohl ein großes Glück, dass Zondala und ihrer Familie gerade nicht in der Burg gewesen war, aber gleichzeitig war es auch ein großes Unglück, dass sich Sofia der Mutter nicht mit angeschlossen hatte.

Irgendwo da draußen war sie jetzt und würde vielleicht, zusammen mit den jungen Mägden, auf einem Sklavenmarkt angeboten werden.

Hoffentlich würden die Entführer feststellen, dass sie eine Prinzessin geraubt hatten und sich vielleicht mit Zondala und Achim auf ein Lösegeld einigen können.

Zumindest war dies im Moment die einzige Hoffnung für die junge Frau, die Barbara noch sah.

Jetzt war es aber noch ihre Aufgabe, Zondala informieren zu lassen.

Im leichten Trab, ständig fluchend, ritt Barbara zur Burg zurück.

Beim Durchreiten des Tores erkannte sie, dass auch andere Abteilungen der Reiter schon eingetroffen waren und gerade die Bewachung übernahmen.

Es ging an das Aufräumen und Beseitigen der Schäden und ein reitender Bote machte sich mit der Nachricht für Zondala auf den Weg.

Am unerträglichsten für Barbara war aber die Untätigkeit in dieser Sache, um Sofia nicht zu gefährden, denn sie würde einfach warten müssen, bis die Piraten sich melden würden.

Im Laufe des Tages trugen sie alles zusammen, was sie an Informationen für die Königin brauchte, wenn diese, sicher am nächsten Tag, wieder in der Burg eintreffen würde.

Zwanzig Wachsoldaten hatten den Tod gefunden, fünf junge Mägde und die Prinzessin waren verschleppt und es hatte dreiundzwanzig, zum Teil schwerer, Verletzte gegeben.

Und das waren nur die personellen Verluste. Der Schaden an materiellen Werten und am Image ließ sich im Moment noch nicht beziffern, aber sicherlich würde in ganz Mirento schon in wenigen Tagen jeder mit Fingern auf die Krieger von Mortunda zeigen und darüber lachen, dass sie noch nicht mal eine Burg gegen ein paar Räuber verteidigen konnten.

Barbara würde mit unnachgiebiger Härte zuschlagen, wenn Sofia erst mal in Sicherheit war.

Langsam reichte es ihr mit diesen Piraten und sie grübelte darüber nach, was sie tun konnte.

In Gedanken sah sie die drei Schiffe vor sich. Damit, und mit genügend Männern, musste man dieses Seeräubernest doch zerschlagen können!

Man musste es nur noch finden!

7. Kapitel

Freude und Leid einer Königin

Am Nachmittag des zweiten Tages ihrer Reise hatten Zondala und ihr Gefolge endlich die Burg von Fürst Reinhold und Sandra erreicht. Die Nacht hatten sie in einem Gasthof an der Grenze ihres Königreiches verbracht. Das Geld für die Übernachtung hatte den Wirt glücklich gemacht und Zondala eine ungestörte Nacht beschert.

In einem gemütlich eingerichteten Zimmer, fern von Kindern und Hof, hatte Achim die Muse gehabt, sie wieder mal nach allen Regeln der Liebeskunst zu verwöhnen.

Im Stress der letzten Wochen war die Liebe einfach zu kurz gekommen. Und es blieben ja noch zwei Nächte auf Sandras Burg und eine auf der Rückreise.

Genug Zeit also, um sich wieder mal ausgiebig zu lieben.

Die Umarmungen ihres Mannes hatte ihr zusätzlich auch noch die Angst vor dem Erntefest genommen.

Gerade stieg sie aus der Kutsche und Sandra kam ihr auf dem Burghof entgegen. Mit offenen Armen empfing sie Zondala und die Kinder, doch Andreas entwischte ihr. Wie der Blitz war er verschwunden und Sandra blickte ihm lachend nach.

Langsam dämmerte es Zondala, wie Sofia es geschafft hatte, dass Andreas nicht ständig in der Kutsche gemault hatte. Die Aussicht auf seine Tante Lunara hatte nicht gezogen, um ihn zu begeistern. Die Chance auf Donnerschlag zu reiten, dem Pferd seiner Tante, hatte offensichtlich geholfen.

Er verschwand im Stall und kam einen Augenblick später wieder suchend zurück.

„Donnerschlag ist mit Lunara unterwegs. Sie müssten aber gleich zurück sein. Lunara wollte ihn nur waschen!“, rief Sandra ihm zu.

Andreas kam mit hängenden Schultern zu ihnen herüber.

„Ich zeige dir erst mal dein Zimmer. Vielleicht möchtest du dich vor der Feier heute Abend noch etwas frisch machen?“, sagte Sandra und ging ihnen voran.

„Die Zimmer der Kinder sind eine Etage tiefer!“, setzte sie wie beiläufig hinzu, die Absicht hinter ihren Worten erklärte ihr Zwinkern.

Hier war Zondala nicht Königin, sondern einfach nur Tochter mit Familie auf Urlaub. Und es war noch Zeit, die sie sich sofort mit Achim vertrieb, als die Tür hinter ihnen geschlossen war.

Franziska würde mit Sandra den Blumengarten für das Fest plündern und Andreas sicherlich auf der Mauer auf die Rückkehr von Lunaras Hengst warten.

Einen Moment, nachdem Zondala die Zimmertür hinter sich verriegelt hatte, lag ihr Kleid am Boden und zusammen mit Achim testete sie die Beschaffenheit ihrer Lagerstätte.

Einige Zeit später ging eine sehr viel entspannter und glücklich lächelnde Zondala nach unten in den schon festlich geschmückten Saal.

Die Tochter rannte ihr mit einem Blumenkranz entgegen und Zondala kniete sich vor sie hin, um sich damit krönen zu lassen.

An der Seite des Raumes standen Ährenbündel und in Körben waren Unmengen von Feld- und Gartenfrüchten liebevoll arrangiert.

„Das ist alles sehr schön geworden“, bemerkte Zondala anerkennend.

„Lunara hat das meiste gemacht“, entgegnete Sandra, nicht ohne Stolz.

„Ist es nicht langsam Zeit für sie, um zu heiraten?“

„Ja! Aber deine Sofia hat mir den letzten potenziellen Bewerber vor der Nase weggeschnappt!“, antwortete Sandra und schmunzelte.

„Na ja, es bleibt ja in der Familie!“, erwiderte Zondala und beide mussten lachen.

„Wo ist denn eigentlich dein Mann?“, erkundigte sich Sandra.

„Achim muss sich noch etwas ausruhen. Er ist ja nicht mehr der Jüngste!“

„Aber er ist jünger, als Reinhold!“

„Du bist mir ja eine!“, entgegnete Zondala und musste wieder schmunzeln.

Natürlich war Reinhold über zehn Jahre älter als Achim.

Der Saal füllte sich langsam und Sandra musste ihre Pflichten als Fürstin übernehmen.

Still setzte sich Zondala auf ihren Platz an der Tafel und hielt ein paar Plätze für ihre Familie frei. Vermutlich wusste im Moment kaum einer, wer sie war und das war auch ganz gut so. Es war ein Urlaub von den Pflichten einer Königin.

Musik begann zu spielen, Achim und Franziska setzten sich neben sie und Andreas würde wohl erst mit dem Einbruch der Dämmerung wieder zu ihnen kommen.

Fast als letzte der Gäste erschien Lunara und lief auf sie zu. Die junge Frau war in den letzten Monaten noch viel schöner geworden, obwohl das eigentlich kaum möglich gewesen war.

Die langen schwarzen Haare hatten einen leichten blauen Schimmer und die wunderschönen dunklen Augen strahlten eine solche Liebe aus, dass sich jeder sofort zu ihr hingezogen fühlte. Einzig die dunklere Haut und die markanten Wangenknochen zeugten noch von ihrer Abstammung.

Fröhlich lachend umarmte sie Zondala und wirbelte anschließend Franziska umher.

„Andreas ist mit Donnerschlag unterwegs, aber der Hengst kennt den Weg und wird vor Einbruch der Dämmerung zurück in seinem Stall sein!“, erklärte Lunara und suchte ihren Platz an der Tafel.

Fürst Reinhold eröffnete die Feier und gab dann das Wort an Sandra weiter.

Die Fürstin erhob sich, hielt ebenfalls eine kurze Ansprache, wünschte allen ein schönes Fest und verkündete, dass Lunara für den Winter bei Ursula in Waldonien in die Lehre der Kräuterkunde gehen würde.

Am Strahlen von Lunara konnte man deutlich sehen, wie sehr sich die junge Frau darauf freute.

Zondala fielen gerade wieder die Monate in Waldonien ein, die sie bei Lisa und Ursula gelebt hatte. Die Abende im Winter mit Märchen, Sagen und Kräuterkunde. Es war eine schöne Zeit gewesen und Zondala freute sich für die Schwester. Damit erklärte sich auch Lisas Anwesenheit bei diesem Fest und Zondala würde die alte Freundin dann später noch ausgiebig herzen.

Soeben wurden Speisen und Trank hereingetragen und der Platz zwischen den Tischen war groß genug, um dort zur Musik tanzen zu können.

Das Essen war dem Anlass angemessen, denn schließlich war das Erntefest das größte Fest in Wiesenland. Eine Art von gefeiertem Dank an die große Göttin für all das, was in diesem Jahr auf dem Feld gewachsen war und sich jetzt in den Scheunen befand.

Nach dem Braten kam der erwartete Tanz und Zondala hatte einen Moment zu tun, um Achim zu überreden.

Staatsgeschäfte mit Reinhold und Kornpreisabsprachen hatten noch Zeit, denn jetzt wollte gefeiert werden.

Zur beschwingten Musik tanzte Zondala mit Achim und später auch zur Abwechslung mit Lunara.

Lachend wirbelte sie mit der Schwester über den Boden des Saales, als ein Melder aus Mortunda von Barbara bei ihnen eintraf.

In die beschwingte Stimmung des Festes platzte er mit der Nachricht von Sofias Entführung hinein.

Sofort waren Sandra und Lunara tröstend bei ihr. Das Lachen war damit ihren Tränen gewichen.

Sorge und Angst fraßen sich in ihr Mutterherz hinein. Und in der einsetzenden Dunkelheit konnten sie auch nicht sofort zurückeilen.

Mindestens eine weitere Nacht mussten sie warten und hoffen, dass es Barbara gelang, Sofia zu retten.

8. Kapitel

Aufbruch schweren Herzens

L unara stand auf dem Wehrgang hinter der Palisade der elterlichen Burg und sah Zondala hinterher, die soeben mit ein paar ihrer Krieger im gestreckten Galopp davon jagte. Gerade erst hatte die Sonne den Rand des Horizontes überschritten.

Und unten im Hof der Burg wurde momentan die Kutsche gepackt, mit der Achim und die Kinder ihr folgen würden.

Im Augenblick krampfte sich Lunaras Herz zusammen, wenn sie nur an das Leid der Schwester dachte. Die Tochter von fremden Männer entführt! Das war wohl das Schlimmste, was einer Mutter geschehen konnte.

Mit dem Blick zur Sonne bat sie die große Göttin, die Nichte zu beschützen, wo auch immer sie sich jetzt gerade befand. Niemand wusste wohl, wo das war, aber das Sonnenlicht würde sie bestimmt finden und umhüllen.

Langsam stieg Lunara die Leiter wieder zum Burghof hinab.

Andreas war im Stall und noch nicht dazu zu bewegen, Donnerschlag in Ruhe zu lassen. Doch er würde mit seinem Vater aufbrechen müssen.

Und auch für Lunara war die Zeit für den Abschied gekommen. Schon einige Monate hatte sie sich auf die Reise zu Ursula nach Waldonien gefreut und jetzt stand dieser Weg unter solch einem schlimmen Stern.

Sie betrat den Stall und versuchte Andreas vom Hals des Rappen zu trennen, was allerdings ein ziemlich kompliziertes Unterfangen war.

Nur mit Achims Hilfe gelange es ihr dann und einzig die Aussicht darauf, im Frühjahr, nach ihrer Rückkehr, viele Tage hier zu Besuch zu sein, sorgte dann dafür, dass Andreas dann doch noch in die Kutsche stieg.

„Gib mir Bescheid, wenn du was weißt. Ich werde bei Lisa sein!“, sagte sie zu Achim, der sie umarmte und danach in die Kutsche stieg.

Auch in seinen Augen hatte sie Tränen gesehen.

Winkend blieb Lunara am Tor stehen, bis die Kutsche in der Ebene verschwunden war, dann ging sie zurück in das Haupthaus.

Lisa saß im Moment noch beim Frühstück im Saal und Lunara setzte sich zu ihr.

„Schlimm, das mit Zondala!“, sagte Lisa.

Lunara konnte nur nicken.

„Willst du mich dennoch begleiten?“, erkundigte sich Lisa kauend.

„Natürlich! Ich kann für Sofia doch sowieso nur beten und das kann ich von überall!“, erklärte Lunara.

„Da hast du auch wieder recht. Ich esse nur noch schnell auf. Solch leckeres Brot gibt es bei uns nicht. Hast du dir das wirklich gut überlegt?“, entgegnete Lisa und schmierte sich eine weitere Scheibe Brot mit Butter ein.

„Na klar!“

„Dann zuerst zu deinem Haar!“, erwiderte Lisa und legte sich Schinken auf ihr Butterbrot.

„Was ist mit meinem Haar?“, antwortete Lunara und strich sich fragend über den Kopf.

„Bei uns in Waldonien tragen wir die Haare anders!“, erläuterte Lisa und strich sich dabei mit den Fingerspitzen durch die langen Haare, die sie offen trug.

Von klein auf war Lunara in der Tradition von Wiesenland aufgewachsen. Kleine Mädchen trugen zwei Zöpfe, bis zu jenem Tage, an welchem die Natur sie durch die erste Blutung zur Frau machte. Da gab es immer ein großes Fest und Lunara konnte sich noch gut an ihre Feier erinnern.

Danach trugen die jungen Frauen einen Zopf lang nach hinten und Lunaras Zopf fiel ihr bis auf den Gürtel herab.

Die Frauen, die einen Mann hatten, trugen diesen Zopf dann wie eine Art von Kranz um den Kopf, so wie es Sandra trug, die soeben an den Tisch trat.

„Ich werde den Zopf aufmachen, wenn wir in deinem Dorf sind!“, legte Lunara fest.

Lisa schlang noch zwei Scheiben Brot hinunter und Lunara fragte sich gerade, wohin die schlanke Frau das alles nur aß.

„Du willst also wirklich?“, fragte Sandra und Lunara nickte.

„Ich muss noch packen!“, sagte sie und eilte davon.

Sie wollte zwar nicht viel mitnehmen, aber ein paar Dinge schon. Und die hatte sie sich bereits am Tage zuvor auf das Schränkchen gelegt.

Schnell stopfte sie alles in die zwei Satteltaschen, die sie sich über die Schulter warf. Den Gürtel mit dem langen Dolch legte sie sich vorsichtshalber um die Hüften.

Schwer bepackt stieg sie nach unten und ging zum Stall.

Donnerschlag war schon gesattelt und die beiden Packtaschen waren geschwind befestigt.

Der Rappe schien fast aufgeregter zu sein, als sie selbst. Tänzelnd stand er in seiner Box und konnte es kaum erwarten, das Gras der Wiesen wieder unter seinen Hufen zu haben.

Mit dem Hengst am Zügel trat sie auf den Hof und sah Lisa mit ihrer Stute aus dem gegenüberliegenden Stall heraustreten.

Am Tor wartete schon die Mutter und von Reinhard hatte sich Lunara bereits am Morgen verabschiedet. Der Vater, oder besser Stiefvater, war gewohnt frostig gewesen und umso herzlicher war jetzt die Verabschiedung durch die Mutter.

Sandra hing ihr noch am Hals, als Lisa schon lange auf ihrer Stute saß.

„Ich muss!“, bemerkte Lunara und löste sich mühsam von der Mutter.

„Im Frühjahr bin ich wieder da!“, rief sie und sprang aus dem Stand auf den Rücken ihres Hengstes.

Kaum waren ihre Füße in den Steigbügeln, da ging Donnerschlag vorn hoch und stellte sich vor Freude auf die Hinterbeine.

Wie von der Leine gelassen raste das Pferd davon und Lisa hatte alle Mühe, an ihm dranzubleiben.

Schließlich zog Lunara am Zügel und ließ Donnerschlag in den lockeren Trab übergehen, wodurch Lisa sie wieder einholen konnte.

„Wir werden die Nacht in einem Dorf bei euch bleiben und dann morgen gegen Abend in meiner Siedlung sein!“, erklärte die ältere Frau neben ihr.

Nebeneinander zogen sie zwei Spuren durch eine Wiese.

Es ging südwärts, bis sie dann nach Westen abbiegen würden, aber erst gegen Abend, wenn sie das Dorf fast erreicht haben würden.

Vor lauter Freude erzähle sie Lisa, was sie im Winter alles machen würde und die andere Frau beschrieb den Winter in Waldonien. Das klang alles so aufregend und spannend.

Nach vielen Stunden erblickte Lunara vor sich eine Rauchsäule. Da schien das Stroh eines abgeernteten Feldes Feuer gefangen zu haben.

Mit der maximal herauszuholenden Geschwindigkeit jagten die beiden Frauen auf das Feuer zu, um die Bewohner in dem Dorf zu unterstützen, denn in Wiesenland half man sich gegenseitig, obwohl man Fremden gegenüber mitunter etwas skeptisch war.

Schon bald war das Dorf zu sehen und die Menschen rannten panisch umher. Offensichtlich schienen die Flammen schon auf eine der Hütten übergegriffen zu haben.

Aus dem vollen Galopp sprang Lunara von Donnerschlags Rücken und lief um die Ecke der Hütte.

Dort prallte sie zurück.

Mit Erschrecken realisierte sie, dass es ein Überfall der Tuck war!

„Verschwinde!“, schrie sie Lisa zu, die sofort ihre Stute herumriss.

Zwei Männer liefen auf sie zu und Lunara brüllte die Männer an: „Lasst ab von den Menschen hier! Verzieht euch! Ich bin die Tochter von Khan Archus und ich befehle es euch!“

Doch entweder waren ihre Sprachkenntnisse eingerostet, oder die beiden Männer wollten sie nicht verstehen, denn wenige Augenblicke später hing sie an Händen und Füßen gefesselt über dem Rücken ihres Hengstes und musste zusehen, wie die Reiter das Dorf plünderten.

Die Schreie der Bewohner gingen ihr bis ins Mark.

9. Kapitel

Botschaften

M it donnerndem Hufschlag jagte Zondala auf ihrem Pferd dahin. Sie ritt auch nicht im Seitsitz, wie sie es bei den gemächlichen Ausritten mit Achim gelegentlich tat, sondern saß breitbeinig auf dem Rücken des Tieres. Wie das aussah, das war ihr im Moment völlig egal, nur das Ziel der Reise zählte: Die Burg so schnell wie nur irgend möglich zu erreichen.

Die Botschaft von Barbara war denkbar knapp gewesen! Immer wieder drückte sie die nackten Knie in die Flanken der Stute und trieb die Fersen in deren Seite.

Das Tier keuchte deutlich, aber für ein gemächliches Reiten zum Spaß war der Anlass zu dringend. Das Tier konnte sich ja später im Stall wieder erholen.

Für die Mutter in Sorge zählte jeder Augenblick, obwohl sie vermutlich nicht viel tun konnte. Und Barbara sicherlich schon alles Nötige in die Wege geleitet hatte.

Schließlich kannte sie die Freundin ja schon ewig. Immer wieder gingen ihre Gedanken zu Sofia und ihr Gehirn malte sich die schlimmsten Szenarios aus. Diese Bilder verstärkten auch die Angst in ihrem Kopf.

War es wirklich Zufall, dass es genau jener Tag gewesen war, der auch ihr eigenes Schicksal so gravierend geändert hatte? Konnte da jemand so grausam sein, und genau diesen Tag zum zweiten Mal zu einem Datum eines gewaltsamen Umbruchs machen?

Wenn Zondala nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dass die Hexe damals im Turm der Burg explodiert war, dann hätte sie keinen Wimpernschlag daran gezweifelt, dass es das Werk dieser grausigen Gestalt gewesen war. Aber so?

Wer tat so etwas?

Natürlich hatte Barbara sie darüber schon vor einigen Tagen informiert, dass die Seeräuber die Dörfer gezielt nach jungen Frauen durchsuchten, die sie dann wohl auf einem Sklavenmarkt verkaufen wollten. Zu augenfällig war das Verschwinden der Mädchen gewesen, aber wer machte sich dazu den Aufwand, eine königliche Burg zu überfallen, die auch noch mit vielen bewaffneten Männern besetzt war?

Vielleicht war Barbaras Vermutung mit der Erpressung von Lösegeld zutreffend, aber noch war keine Botschaft dazu eingetroffen, denn sonst hätte Barbara ihr etwas davon berichtet. Die Räuber hätten diese ja einfach nur an das Tor der Burg anschlagen können.

Gegen Mittag kam das Ufer des Tassaros in ihr Blickfeld und sie jagten über die Brücke dahin. Damit waren sie wieder in Mortunda und immer schneller trieb sie das Pferd voran, bis es erschöpft an einem Bachlauf stehen blieb.

Alles Zerren und Ziehen half jetzt allerdings nicht, denn das Tier konnte nicht mehr!

Die Rast war durch die Tiere geboten und Zondala konnte die Stute mit Befehlen nicht zum weiterreiten bringen. Verzweifelt musste sie einfach warten, bis das Tier sich wieder beruhigt hatte und sie in den Sattel lassen würde.

Mit dem Blick nach Westen, zur abendlichen Sonne, hingen ihre Gedanken wieder an Sofia.

„Große Göttin! Beschütze meine Tochter! Erspare ihr das Leid, welches ich einst erfahren musste! Ich bitte dich!“, betete sie, kniend an einem Strauch dafür, dass alles gut werden würde.

Ihre Begleiter kümmerten sich derweil um alles und einer der Männer brachte ihr einen Schlauch mit einem leichten Wein, den sie dankend annahm.

Trinkend ließ sie zur Ablenkung ihre Augen umherwandern.

In ihrem Königreich war schon einiges seltsam, wie sie mit dem Blick auf die Ritter gerade wieder feststellte, denn einer von