Jenseits von Jupiter - Nick Living - E-Book

Jenseits von Jupiter E-Book

Nick Living

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Beschreibung

Ein Traum zieht durch die Nacht, ein Traum von einem fernen Planeten, der Traum vom Jupiter. Doch es ist nicht Jupiter, wo letztendlich die Wahrheit zu finden ist. Es scheint irgendetwas Dahinterliegendes zu sein. Allerdings ist die Wahrheit auch in den anderen Geschichten schwerlich zu entdecken. Es bleibt stets die wage Frage: Ist es nun wahr oder ist es Fiktion? Sind es Geister oder doch nicht? In jedem Fall bleibt es eine Entdeckungsreise, doch nicht nur reine Spinnerei. Denn es geschieht im ganz normalen Leben, einfach so. Es könnte eine Reise in vollkommen unbekannte Gefilde werden. Doch es bleibt immer wieder eine Reise in eine Welt, die wir doch zu kennen glauben: Eine Reise zu uns selbst!

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Inhalt

Kollision

Vermisst

Die Stadt der Dummheit

Blinds Alptraum

Telefonzelle

Rosen

Verfahren

Die Bar

Einbruch

Der Helm

Der Fluch

Mordfall

Begegnung

Spritztour

Schwimmbad

Loch

Banküberfall

Buße

Stadt der Engel

Schreckensfahrt

Weihnachtsengel

Die Kette

Seemannsgarn

Traum

Wunschbuch

Letzter Arbeitstag

Jungbrunnen

Alpträume

Brücke

Schmetterlinge

Soße

Flug 2033

Speichersticks

Hauch des Lebens

Fantasien

Bommel-Mütze

Der letzte Fall

Sandra

Hexe

Kredithai

Stein

Apotheke

Kleine Elfe

Kronleuchter

Knoten

Tattoo

Steppenbrand

Basecap

Flug ins Jenseits

Lebensbrunnen

Erbschaft

Pullover

Gelber Eimer

Hotel des Schreckens

Fuchs

Der gespenstische See

Die H – Bombe

Jenseits von Jupiter

Jenseitig

Kollision

Es war trübe geworden und der Herbst hielt mit aller Macht Einzug in die wundersame Welt. Milla war eine junge Frau, die gerade erst ihr Psychologiestudium erfolgreich hinter sich gebracht hatte und nun in der großen Stadt Atlantic City lebte. Der Regen an diesem Tage gefiel ihr gar nicht, doch sie ließ sich davon nicht abhalten, ein wenig durch die breiten Straßen ihrer schönen Stadt zu laufen. Sie wollte abschalten und es sah ganz so aus, als wenn es ihr auch gelingen mochte. Aber da waren auch die Probleme und die Sorgen, all die Rechnungen, die sie erhielt, nicht mehr begleichen zu können. Denn obwohl sie ihr Studium so erfolgreich abschließen konnte, hatte sie noch immer keinen Job gefunden und das Geld, welches sie sich zusammengespart hatte, ging ihr langsam aus. Wie sollte es nur weitergehen, wie sollte sie nur ihr Leben auf die Reihe bekommen, wenn doch so ganz und gar nichts richtig lief? Sollte sie vielleicht stempeln gehen, so jung, wie sie war? War das wirklich eine Lösung? Wo blieb das Glück, von dem sie oft träumte?

Da begegnete ihr ein kleines Mädchen. Mit seinen großen Kulleraugen schaute es zu Milla auf und schien sie irgendetwas fragen zu wollen. Natürlich blieb Milla stehen und sprach zu dem Kind, wollte wissen, warum es so schaute. Das kleine Mädchen aber schwieg zunächst, wollte wohl nicht sprechen, vielleicht war es aber auch einfach nur verstockt, aber dann sagte es doch noch etwas: „In drei Stunden geht die Welt unter und dann ist alles vorbei!“

Milla hatte ja so einiges erwartet und war auch schon einiges gewohnt, aber eine solche unfassbare Antwort hatte sie nicht erwartet. Was war nur mit diesem eigenartigen Mädchen los? Ging es ihr nicht gut oder war sie gar psychisch … nein, Milla schaute in den wolkenverhangenen Himmel und wischte sich dann den herniederprasselnden Regen von der Stirn. Als sie wieder nach unten schaute, war das kleine Mädchen verschwunden. Irritiert schaute sie sich nach allen Seiten um, aber zwischen den vorbeieilenden Menschen konnte sie die Kleine nirgends mehr entdecken. Nachdenklich lief sie zu einem angrenzenden Park und setzte sich auf eine der vielen vom Regen durchnässten Bänke. Sie kam einfach nicht über diesen furchterregenden Satz hinweg. Wie kam diese Kleine nur auf einen solchen, zugegebenermaßen unglaublichen Gedanken? Wer hatte ihr das nur gesagt – den Weltuntergang gab es doch gar nicht, das wussten doch schon die Kinder in der Schule. Doch so sehr sie auch versuchte, das soeben Erlebte wegzuschieben, es gelang ihr einfach nicht. Stattdessen fielen ihr nun auch noch die Naturkatastrophen ein, über die in den Morgennachrichten berichtet wurde. Nein, sie musste unbedingt etwas Sinnvolles anstellen, bevor sie gänzlich in Panik verfiel. So setzte sie einfach ihren Spaziergang durch den Regen fort und zwang sich streng, nicht mehr daran zu denken. Als sie daheim war, schaltete sie den Fernsehapparat ein und war sprachlos. Denn da wurde eindrucksvoll berichtet, dass sich aus bisher ungeklärten Gründen der Nachbarplanet der Erde, der Mars aus seinem Orbit gelöst habe und sich nun auf die Erde zubewegte. Das Ganze geschah so schnell, dass bereits Notfallpläne veröffentlich wurden. Milla schoss der Schreck in alle Glieder und sie spürte, wie ihr Magen rebellieren wollte. Sollte das wirklich alles wahr sein, und woher wusste dieses kleine Mädchen von all diesem Übel? Hatte es diese Nachricht vielleicht schon irgendwo gelesen? Panisch stürzte Milla in die Küche und nahm sich eine Schreibe trockenes Brot. Irgendetwas musste sie jetzt zu sich nehmen, bevor sie das Haus wieder verließ. Immerhin dachte sie schon darüber nach, wie die Evakuierung ablaufen könnte. Doch draußen blieb es ruhig und nur der Regen plätscherte gleichmäßig gegen die Scheiben. Nervös setzte sich Milla wider auf ihr Sofa und verfolgte weiterhin die verhängnisvolle Nachrichtensendung.

Nun wurde ein Filmbericht gezeigt, indem man den Mars sehen konnte. Er war ein winziger Lichtpunkt, der sich rasch über den Himmel bewegte. Sollte das wirklich der nahende Planet, dieses nahende Unglück sein?

Wieder schaute sie aus dem Fenster, und diesmal hatten sich schon sehr viele Menschen aus ihren Häusern begeben, um zum Himmel zu starren und auf die Katastrophe zu warten. Milla aber wollte das nicht, sie nahm den Telefonhörer und rief Ken, einen Freund im Institut an, um sich nach dieser vermeintlichen Katastrophe zu erkundigen. Zu allem Unglück bestätigte Ken das nahende Desaster und meinte, dass er ihr einen Platz in einem Atombunker, nicht weit von der Stadt, anbieten könnte. Milla nahm dankend an, wollte aber erst einmal sehen, wie es weiterging. Nun hielt sie es doch nicht mehr in der Wohnung aus! Schnell packte sie sich einige Sachen in ihre Umhängetasche und stürmte ebenfalls hinaus zu den anderen auf die Straße. Unterdessen hatte sich der Regen verzogen und die Menschen konnten ungehindert in den klaren Himmel schauen. Auch Milla schloss sich der Masse an und starrte nach oben. Der immer größer werdende Lichtpunkt versetzte die ganze Stadt, ja sogar die ganze Welt in Angst und Schrecken. Als schließlich der gesamte Horizont von der mächtigen dunkelroten Scheibe des Mars verdeckt wurde, liefen einige Leute weinend davon. Andere suchten in ihren Häusern und Wohnungen Schutz, obwohl sie wussten, dass diese Notfallmaßnahme, dieser verzweifelte Rettungsversuch vollkommen unnötig war. Milla blieb, denn sie wollte auf einmal der tödlichen Gefahr ins Auge schauen. Wenn sie schon sterben musste, so dachte sie sich, dann wenigstens hoch erhobenen Hauptes!

Schon konnte sie einzelne Krater und eigenartige Landschaftsformationen auf dem fremden Planeten ausmachen und es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis er mit der Erde kollidierte. Um den dabei entstehenden Krawall nicht mehr hören zu müssen, hatte sie sich Ohrstöpsel mitgenommen, die sie sich nun fest in die Ohren stopfte. Irgendwie wurde sie immer ruhiger und der nahende Tod ließ sie plötzlich kalt. „Wie schön der Mars doch ist“ flüsterte sie so vor sich hin, und in Gedanken flogen all die vielen Erlebnisse und die schönen und weniger schönen Stunden wie Eilzüge an ihr vorüber. Sie dachte an ihre Lieben und an die, die sie nicht so sehr mochte. Und sie dachte an das, was sie vielleicht noch erlebt hätte. „Schade“ raunte sie einsilbig dahin und war traurig, dass sie in Kürze auf eine ziemlich komische Art und Weise aus dem Leben gerissen werden würde. Plötzlich spürte sie etwas Warmes in ihrer Hand. Als sie herunterschaute, sah sie das kleine Mädchen. Es stand einfach neben ihr und hielt ihre Hand ganz fest. Doch es weinte nicht und es sprach auch kein einziges Wort, es stand nur einfach da und schaute zusammen mit den anderen zu dem riesigen Planeten dort oben am Himmelszelt. Schließlich sagte es doch noch etwas: „Siehst du, ich hab´s dir ja gesagt“, und Milla musste sich die Tränen aus dem Gesicht wischen. Aber nicht wegen der drohenden Katastrophe, nein, wegen der Traurigkeit des kleinen Mädchens, dass sein ganzes Leben noch vor sich hatte und es doch nicht leben sollte! Und auf einmal waren all die vielen Sorgen und Nöte wie weggeblasen. Wie ein Wasserfall, der mit aller Kraft an spitzen mächtigen Felsen nach unten stürzt, machten sich eine unendliche Klarheit und eine nie gekannte Leichtigkeit in Milla breit. Wieso hatte sie so etwas nicht schon viel früher gespürt? Warum sich immer nur über Nichtigkeiten aufregen, über Dinge, die man am Ende doch nicht ändern konnte? Warum eigentlich an all den vielen Tagen, dem vermeintlichen Glück hinterherrennen, und es dann doch nicht ergreifen können? Was war denn eigentlich dieses Glück? Geld, Reichtum, Erfolg, vielleicht ein supertoller Sportwagen? Sie wusste, dass es all das nicht sein konnte. Und als sie den riesigen roten Planeten da vor sich erblickte, drückte sie die Hand des kleinen Mädchens ganz fest an sich und wusste auf einmal, was das Glück wirklich war – es war dieser eine Augenblick, das Leben selbst, der Himmel, die Luft, die sie atmen konnte und der Frieden, in welchem sie sein durfte. Ja, und es war dieses kleine Mädchen, das nicht viel sprach, aber doch soviel sagte, wie sie es noch nie erlebte. Ja, das alles war das Glück und sie würde alles darum geben, wenn sie einfach nur zwangslos und ohne alle Konventionen weiterleben dürfte, ja, das würde sie! Und wie sie das so dachte und sich im Klaren war, das selbst dieser eine kurze Moment, als ihr diese weitreichende Erkenntnis kam, unglaubliches Glück bedeutete, wurde es schwarz um sie herum! Sie glaubte, den Boden unter ihren Füßen zu verlieren, und auch das kleine Mädchen schien nicht mehr da zu sein. Was war nur geschehen; war das die befürchtete Kollision, war das das erwartete Ende? Es dauerte einige Zeit, bis sie ihre Augen wieder öffnen konnte. Sehr hell war es um sie herum, gleißend hell sogar. War sie vielleicht im Paradies oder war das die Hölle? Es war nichts dergleichen! Sie lag auf ihrem Sofa und hatte wohl alles nur geträumt. Stöhnend erhob sie sich und fühlte sich auf einmal recht wach und ausgeschlafen. Draußen war es hell und die Sonne schien zwanglos vom azurblauen Himmel. Ein wenig nervös und mit einer leichten Spur von Ängstlichkeit schaute sie zum Himmel. Doch da war weder der riesige Planet Mars, noch irgendein anderes Unheil, dass sich sogleich über sie und die Welt wie ein Schwarm Asteroiden niederwalzen mochte. Nein, da hing nur die wärmende Sonne und der endlose blaue Himmel. Und plötzlich spürte sie eine unbändige Kraft in sich und den alles beherrschenden Wunsch, in die Welt hinaus zu gehen, zu den anderen Menschen zu gehen und ohne Unterlass zu singen und zu tanzen. Und eine innere Stimme sagte zu ihr: Warum tust du dann nicht! Noch einmal schaute sie sich im Zimmer um - auf dem Tisch lagen noch drei unbezahlte Rechnungen, doch das störte sie überhaupt nicht mehr. Sie würde schon einen Weg finden, und so lief sie aus der Wohnung, die Stufen hinab, hinaus auf die belebte Straße. Auf dem Bordstein saßen zwei junge Männer. Neben ihnen lag ein riesiges Kofferradio, welches sie auf Volltouren gestellt hatten; und plötzlich begann Milla zu der überlauten, verrückten Musik zu singen und zu tanzen. Tja, und es war wirklich total irre, aber die anderen Leute tanzten einfach mit. Es schien, als ob alle nur auf diesen einen Moment gewartet hätten. Die ganze Straße sang und tanzte – dabei kam es weder auf Können, noch auf Stimme oder einen sicheren Text an – es ging nur um die Fröhlichkeit und um das Leben! Einfach nur leben, das dachten sich wohl alle; und ganz sicher hatte jeder dieser vielen Menschen mit irgendeiner Kollision im Leben zu kämpfen. Da gab es nur noch eines, rausgehen und leben, einfach nur leben!

Als Milla so unbeschwert durch die Straßen tanzte, bemerkte sie plötzlich ein Mädchen, welches schweigend am Straßenrand stand und sich freute, das alle Menschen so glücklich waren. Milla erkannte es sofort - es war das kleine Mädchen aus ihrem Traum. Aber, war es überhaupt ein Traum? Egal, frohen Mutes winkte sie dem Mädchen zu und das winkte zurück und verschwand plötzlich in der Menschenmenge. Milla sah es niemals wieder, doch sie hatte ja auch schon das wichtigste im Leben wiedergefunden:

Das Glück!

Vermisst

Lori Campbell lebte in Pheonix Arizona. Sie war eine glückliche Ehefrau und ihr Ehemann, der Bauunternehmer Jim Campbell, war erfolgreich und konnte gut für die Familie sorgen. Eines Tages jedoch schien dieses Glück zu zerplatzen wie eine Seifenblase im Wind. Jim kam nach Hause und unterbreitete seiner Ehefrau, dass die Firma pleite sei und kein Geld mehr vorhanden war. Lori wurde zwar sehr traurig über diese schlimme Nachricht, doch sie schwor Jim, dass sie immer zu ihm stehen wollte. Die Familie musste aus ihrem Haus in der Washington Ave ausziehen und in eine heruntergekommene Siedlung ziehen. Doch obwohl sich die beiden ewige Treue gelobten, schien das traute Familienleben innerhalb der folgenden sechs Monate erheblich unter den bestehenden Schwierigkeiten zu leiden. Da Jim oft unterwegs war, um einen neuen Job zu suchen, was sich als mehr als schwierig herausstellte, weil er nicht mehr so jung war, hatte er sich daran gewöhnt, dass Lori manchmal nicht zu Hause wartete, wenn er wieder nach Hause kam. Auch an jenem Freitag war das wieder so. Nach einem anstrengenden Tag, der mal wieder gar nichts brachte, kehrte Jim nach Hause zurück. Und zunächst wunderte er sich auch nicht, dass Lori nicht daheim war. Sie hatte ihrem Ehemann einen Topf auf den Herd gestellt, in welchem sie das Mittagessen, eine leckere Linsensuppe, vorgekocht hatte. Jim deckte den Tisch und wartete eine kleine Weile. Als Lori jedoch nicht kam, begann er zu essen. Doch nach einer halben Stunde, als Lori noch immer nicht erschienen war, begann sich der Mittvierziger Sorgen um seine Frau zu machen. Er stellte den Teller beiseite, holte sich auch keinen Nachschlag, obwohl die Suppe an diesem Tag besonders gut schmeckte und schaute aus dem Fenster. Draußen hatte es zu regnen begonnen, doch Lori war nirgends zu sehen. Jim wurde immer nervöser, er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte, er fühlte es genau, aber was sollte er tun, wo sollte er suchen? Lori hatte nicht einmal einen Zettel auf den Tisch gelegt, so wie immer, wenn sie mal etwas länger von Zuhause fort war. Weil er es einfach nicht mehr aushielt, zog er sich eine Jacke über, nahm den Schirm und verließ das Haus. Draußen auf der Straße schaute er sich um, sein Blick schweifte über den Vorgarten bis zu den Häusern auf der anderen Straßenseite, doch nirgends, nicht einmal in irgendeinem Garten der angrenzenden Häuser konnte er seine Lori entdecken. Ihm wurde übel, denn er fühlte, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Er fühlte genau, dass es etwas Außergewöhnliches war, dass sich wie ein scharfes Schwert in sein Leben geschnitten hatte, doch er wollte es nicht wahrhaben. Noch immer glaubte er, dass sich Lori doch noch meldete, dass sie wieder zurückkehrte, egal, wo auch immer sie war. Immer hatten sich die beiden Eheleute geschworen, dass sie zusammen bleiben wollten und sich immer ehrlich sagen würden, wenn etwas nicht stimmte. Diesmal aber gab es nicht ein Wort, keine geschriebene Zeile, keine Hinweise und auch kein Zeichen, nichts. Ein wenig panisch schwang sich Jim in den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen los. Er raste durch die breiten Straßen der großen Stadt, ließ seinen Blick über die Straßenränder schweifen, blieb stehen, um sich wieder umzuschauen und fuhr wieder weiter. Irgendwann kam er bei „Bills Drive Inn“ vorbei, einer kleinen Kneipe, wo sie immer mal gemeinsam waren. Doch auch Bill wusste nicht, was mit Lori passiert sein konnte.

Weit war Jim hinausgefahren, bis dorthin, wo er als Kind oft war, wenn er nicht mehr weiter wusste. Die einsame Gegend brachte ihm schon in der Kindheit so manche brauchbare Idee, die ihm dann irgendwie weitergeholfen hatte. Er hielt den Wagen an und schaute auf sein Mobiltelefon. Niemand hatte angerufen, auch Lori nicht. Mutlos und geschwächt setzte er sich auf einen herumliegenden Stein und schaute auf die mannshohen stacheligen Kakteen am Straßenrand. Aus der Ferme hörte er Geräusche, die sich wie Kinderlachen anhörten. Als er sich umschaute, versuchte, in der Ferne irgendetwas zu erkennen, war da jedoch nichts. Er blieb bis es dämmerte und auch da wollte er einfach nicht mehr heim. Weil er keine Kinder mit Lori hatte, schien es ihm auch nicht mehr so wichtig, nach Hause zu fahren. Er wollte einfach weiter suchen, doch irgendwann musste er die Polizei einschalten, denn allein konnte er nichts mehr tun. Plötzlich machte sich dichter weißer Nebel breit. Er kam so schnell, dass es Jim nicht mehr schaffte, in seinen Wagen zu steigen um wegzufahren. Er wollte abwarten, bis sich die dichten Schwaden wieder verzogen, doch sie gingen nicht weg und wurden stattdessen immer stärker und immer dichter. Durch den weißen Nebel hörte sich das vermeintliche Kinderlachen noch unheimlicher an als eben noch. Jim stand regungslos in diesem undurchdringlichen Nebel und rührte sich nicht, da spürte er, wie ihn jemand ganz sacht an der Schulter berührte. Als er sich umdrehte, stand da Lori. Sie stand einfach nur da und rührte sich nicht. Ihr Blick war sorgenvoll und ihr rotgeschminkter Mund drückte Trauer und Bestürzung aus. Jim wollte etwas sagen, doch Lori hielt ihm den Zeigefinger auf den Mund, was so viel bedeuten sollte, dass er nicht sprechen möge. Vorsichtig aber auch entschlossen nahm sie seine Hand und zog ihn hinter sich her. Jim folgte widerstandslos und die beiden erhoben sich auf einmal in die Luft und flogen durch den dichten Nebel hindurch. Jim fragte schon lange nicht mehr, wie all das sein konnte, wie es möglich war, dass seine Frau so plötzlich bei ihm war, dass sie so unbehelligt sein konnte und das sie schließlich durch diesen Nebel flogen als seien sie Vögel. Er fand sich einfach damit ab und machte alles mit, so, als wenn es ganz normal sei, was da mit ihnen ablief. Die beiden flogen durch die undurchdringlich wirkenden Nebelschleier und schienen überhaupt kein Ziel mehr zu haben. Irgendwann blieben sie stehen und Lori sagte: „Wir sind da.“ Jim wunderte sich, konnte er doch nichts entdecken, außer Nebel. Aber plötzlich verfärbte sich der Nebel und gab den Blick auf eine eigenartige Konstruktion frei. Wie Federn schwebten sie im Universum, alles um sie herum war dunkel und die Planeten des Sonnensystems drehten sich langsam und mächtig um sie herum. Plötzlich aber wurden sie immer kleiner und verschwanden in einer Art flirrenden Edelstein. Der driftete riesig groß und wuchtig im samtschwarzen Raum vor ihnen und Jim verstand überhaupt nicht, was das alles zu bedeuten hatte.

Er wollte Lori danach fragen, doch die kam ihm zuvor und flüsterte: „Das ist unser Universum … alles wird vergehen … schon in Kürze. Das Universum zieht sich zusammen und wir werden alle vergehen. Ich bin auserwählt, um es den Menschen zu berichten … dann wird alles neu beginnen.“

Fassungslos starrte Jim auf den Edelstein und dann zu Lori. Er konnte nichts damit anfangen und schloss seine Augen, weil ihm alles zu viel wurde.

Als er sie wieder öffnete befand er sich nicht mehr im Universum und es war auch nicht schwarz um ihn herum und auch nicht neblig. Friedlich lag er in seinem Bett und neben ihm lag tatsächlich seine Ehefrau Lori.

Wie konnte das nur möglich sein, wie war er so schnell in sein Bett gekommen, waren sie doch eben noch im Universum. Aber es war so wie es immer war, er musste das Ganze wohl einfach nur geträumt haben.

Als gegen Morgen die beiden Eheleute aufstanden und Lori das Frühstück zubereitete, hatte Jim seinen verrückten Traum erfolgreich beiseite geschoben, wenngleich er ihm nicht ganz aus dem Kopf gehen wollte. Zu realistisch schienen die Erlebnisse und zu echt waren der Nebel und dieses Universum, durch den er mit Lori gefahren war. Dennoch schmeckte der starke Kaffee an diesem sonnigen Morgen ganz wunderbar und die beiden unterhielten sich angeregt über dies und das. Als Lori ihrem Mann noch etwas Kaffee nachschenkte, fiel dessen Blick auf ihre Hand. Was er dort erblickte, jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Denn an ihrem kleinen Finger glitzerte ein Ring mit einem großen Edelstein, den Jim bis dahin noch nie bemerkt hatte. Es glich aufs Haar jenem Edelstein, der in seinem vermeintlichen Traum im Universum schwebte, und plötzlich schaute Lori ganz seltsam zu ihm herüber. Es war ein Blick, der ihm durch Mark und Bein ging und wieder hörte er dieses seltsame Kinderlachen, während Lori flüsterte:

„Schon bald

wird es geschehen.

Das Universum

wird vergehen.“

Die Stadt der Dummheit

Irgendwo, ganz tief im Osten oder Westen einer sonst recht aufgeräumt erscheinenden Welt lag eine Stadt, die man weder gerne sah noch gern dort leben mochte. Als Paul mit seiner Frau Christin aus der großen Welt wegen des Jobs dorthin zog, waren die Verhältnisse gar nicht mehr schön. Eine einzige Partei regierte dies Provinznest und die Bewohner trauten sich nicht dagegen vorzugehen. Es war die Partei der Heimlichkeit und der Totalität! Und es war die Partei der Ignoranz und der grenzenlosen Dämlichkeit!

Als die noch anständigen Leute sich dann doch auflehnten, trauten sie ihren eigenen Augen und Ohren nicht mehr. Denn nicht etwa sie selbst, die diese Revolte angezettelt hatten, waren die Nutznießer dieses respektablen Aufstandes. Nein, die Macht wurde von dummen, geldgierigen und oberflächlichen Lebewesen übernommen, die nichts anderes im Schilde führten, als mit ihrer Dummheit die übrigen Bewohner dieser Stadt zu malträtieren. Alles verkam, verdreckte und vergammelte und es regierte der besoffene und zugekiffte Mob, der nur Angst, Zwietracht und Aggressivität schürte! Paul, der all das miterleben musste, konnte es nicht fassen. Sollten allen Ernstes nun die Dummheit und der Pöbel regieren? Sollte all das, was er und die anderen intelligenten, gebildeten Menschen aufgebaut hatten, unter dem Schweiße ihres Angesichts und mit ihren eigenen Händen errichtet hatten, für alle Zeit verloren sein? Alles nur wegen solch dummen Wesen? Er konnte es nicht begreifen, wollte es nicht wahrhaben und zog sich wie all die anderen umgänglichen Leute in sein Schneckenhaus zurück. Nächtelang sannen er und seine kleine Familie nach einer Lösung und tagelang ertrug er die Dummheit, welche fortan diese arme Stadt regierte. Er sah die feisten fettbeschmierten aufgedunsenen und leeren Gesichter dieser üblen Brut, und er hörte, wie primitiv und gewöhnlich sie miteinander zu kommunizieren pflegten, wenn sie sich nicht gerade niederschlugen! Er sah, wie die Intelligenten und Gebildeten ganz langsam an unerklärlichen Nervenkrankheiten dahinsiechten und er erlebte, wie jene Leute, welche noch gesund waren, die Stadt und die gesamte Region der Dummheit für immer verließen. Er wusste es und er spürte es mit jeder Faser seines Körpers, dass er handeln musste, so schnell es nur ging! Und so verabredete er sich mit Conny, der ebenfalls zu den wissenden Leuten gehörte und den Niedergang dieser Stadt nicht mehr ertragen konnte. Die beiden verabredeten sich heimlich und trafen sich im Keller von Pauls kleinem Häuschen, denn die Dummen hatten ihre intriganten falschen Augen beinahe überall und liefen in ihrer Dämlichkeit sofort zum Bürgermeister oder der Polizei, wenn sie eine ihnen sonderbar erscheinende menschliche Ansammlung beobachteten. Die beiden Männer unterhielten sich lange und kamen doch zu keinem einzigen Ergebnis. Längst war Mitternacht vorüber und Pauls Ehefrau Christin wollte schon schimpfen, da meinte Conny, dass sie vielleicht ebenfalls diese heruntergekommene Stadt verlassen sollten. Warum sollten sie diese Dummheit, diese Aggressivität auf den stinkenden Straßen und den Verfall der Moral und der Sitten, den allgemeinen Niedergang dieser einstmals so glorreichen Stadt, wo man mal wunderschöne Autos gebaut hatte, bis sie dann vollkommen verfiel, noch länger ertragen? Warum sich selbst zerstören, wenn es anderswo viel schöner und viel besser, viel anständiger und viel lebendiger zuging? Christin konnte Connys Vorschlag nur zustimmen und so beschlossen sie traurigen Herzens, die Stadt schon in der nächsten Nacht heimlich zu verlassen. Die Reisetaschen waren schnell gepackt und die Sachen flink übergeworfen. Doch als sie in der dunklen diesigen Nacht schließlich ihre Autos bestiegen und ihre kleinen Häuser, ihren doch so geliebten Lebensmittelpunkt so traurig hinter sich in der Dunkelheit liegen sahen, wurde es ihnen ganz schwer ums Herze. Sollten sie das wirklich tun? Einfach alles, sogar das Mobiliar, einfach so zurücklassen? Sollten sie wirklich all ihr Eigentum diesen Dümmlingen, die diese Stadt so bösartig heruntergerichtet hatten, überlassen? Nein, das wollten sie nicht! Und als sie wieder ausstiegen, fielen sie sich weinend in die Arme. Dennoch war das Problem nicht beseitigt - die Stadt musste dringend verändert werden. Und plötzlich wussten sie, was zu tun war!

Wovor hatte die Dummheit Angst? Richtig, vor Intelligenz und Wissen, sie bekam Panik vor Schönheit und Leben, vor Hoffnung und Glauben, vor Selbstbewusstsein und Courage! Und genau das mussten sie den Leuten wieder beibringen – Klugheit und Wissen, Selbstbewusstsein und Courage! Natürlich würde es schwer werden, gegen die alles bestimmende und regierende Dummheit, die sich schon im Rathaus und in den Stadtverwaltungen breitgemacht hatte, vorzugehen. Dennoch mussten sie es wenigstens versuchen. Denn kampflos wollten sie ihre geliebte Stadt, ihre einst lieb gewonnene Heimat keinesfalls hergeben! Sie wollten kämpfen und das Gute wieder in ihre Stadt zurückbringen!

Schon am darauf folgenden Tag begannen sie, ihr mutiges Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie zogen sich ordentlich an und traten entschlossen und hoch erhobenen Hauptes hinaus auf die Straße. Dort schlichen die Dummen mit dunkler Einheitskleidung und gesenktem Kopf an ihnen vorüber und taten mit versteinerter eisig kalter Miene so, als bemerkten sie nichts. Doch Paul und seine Freunde liefen mit aufrechtem Gang, lächelnd und mit selbstbewusstem Schritt die Straßen entlang. Und es war ganz seltsam - hinter den Gardinen der meisten Häuser bewegten sich plötzlich menschliche Silhouetten. Und auf einmal öffneten sich die sonst stets verschlossenen Türen der Häuser, die bislang trübe und trist, einsam und kalt in der Düsternis lagen und Dutzende von aufrecht laufenden, lachenden und singenden Menschen strömten ans Tageslicht. Es waren all jene, welche sich über die Zeit total zurückgezogen und abgeschottet hatten. Es waren all jene, die klug und intelligent, sympathisch und charismatisch waren. Es war die anständige Bevölkerung der Stadt, die von den Dummen bis eben noch unterjocht wurde. Sie alle besannen sich angesichts des entschlossenen Auftretens von Paul und seinen Freunden ganz plötzlich auf ihre Stärken und schlugen sich bis zum Rathaus durch. Und es war kaum zu glauben – es waren schließlich so unglaublich viele Menschen, dass die Dummen nicht wagten, sie anzugreifen. Die Intelligenten waren einfach in der Überzahl und es wurden von Minute zu Minute mehr. Schließlich versuchte der poltrige herumbrüllende Bürgermeister der Dummen den eingeschüchterten Mob gegen die selbstbewusste Stadtbevölkerung aufzuwiegeln. Doch die waren nicht nur dumm sondern auch mächtig feige. Und so trauten sie sich nicht an die Revoltierenden heran. Sie gaben schließlich auf und wollten sich in ihrer Feigheit den Demonstranten anschließen. Die ließen sich jedoch nicht beirren und jagten den vermeintlichen Bürgermeister mit Hieben und mit Schimpf und Schande aus der Stadt! Da verzogen sich die dunklen Wolken über den Häusern, der Gestank in den Straßen wich einer neuen wohlduftenden optimistischen Brise und die Stadt erstrahlte hell im freiheitlichen warmen Sonnenlicht einer besseren Zeit. Die Dummen und die Säufer, die Kiffer und die Ungebildeten, die Primitiven und jene, die vom Bock zum sprichwörtlichen Gärtner erhoben wurden, weil sie ein paar sinnreiche Worte dummschwätzerisch nachgeplappert hatten, zogen sich in eine menschenleere Gegend zurück, wo sie in trostloser Vergessenheit und ihrer eigenen Dummheit ungesehen und ungehört vergingen. Die Stadt hingegen wurde ein glorreiches Beispiel für die gesamte Region und schon bald erging es der gesamten Gegend so und sie erlebte einen regelrechten positiven Aufschwung!

Paul und seine Freunde regierten fortan diese neue lebendige Stadt und alle Menschen, die dort lebten, konnten sich daran beteiligen und waren endlich wieder erleichtert und froh. Sie waren glücklich, den üblen Mob, den Hass und die Dummheit, die Oberflächlichkeit und die Bösartigkeit für immer aus ihrer Stadt verbannt zu haben. Und sie passten genau auf, dass diese Brut niemals wieder ihre schöne Stadt beschmutzte!

Tja, und wenn sie nicht gestorben sind, und die Dummheit und die Oberflächlichkeit nicht wieder die Seelen der gut situierten Leute verseuchten, dann könnten sie vielleicht noch heute leben, oder?

Blinds Albtraum

Der äußerst erfolgreiche Konzernchef Stephen Blind war auf der Suche nach neuen Absatzmärkten. Nachdem es seine wundervolle Suspensorien-Firma von „Null“ auf „Hundert“ in nur zehn Jahren schaffte, schien für ihn nun das schöne und geheimnisvolle Asien das gefundene Fressen zu werden!

Es war der Tag, an dem es hieß, Gott würde auf die Erde schauen, um zu sehen, was seine Geschöpfe so trieben, da machte sich Blind auf seinen glorreichen Siegeszug. Er wollte nach Schanghai, um dort seine neuesten Verträge abzusichern. Er hatte sogar schon die zukunftsorientierten Vorschläge nagelneuer umweltfreundlicher Suspensorien, extra für die stets freundlichen Asiaten, im Petto. Ging alles so, wie er es sich erträumte, würde seine Firma schon bald die mächtigste der Welt sein. Der Privatflieger seiner ureigenen „Blind-Air“ stand schon bereit, und der Abschied von der alten Heimat schien nicht wirklich tränenschwer. Denn die Familie war längst beim Packen und schon bald würde auch sie in die geheimnisvolle Region des scheinbar ewigen Lächelns folgen. Im Flieger gab es alles, was das Herz begehrte: Schampus, Kaviar und Hummer ohne Ende! Und so rekelte sich Blind zufrieden auf dem weißen Büffel-Ledersofa vor seinem vergoldeten Tablett-PC und beduselte sich dabei mit den allerneuesten Zahlen seiner Firma. Nahezu jeder halbwegs auf sich haltende männliche Zeitgenosse schien neuerdings ein Suspensorium seiner ach so familienfreundlichen und umweltbegeisterten Werke ergattern zu wollen. Plötzlich geriet das Flugzeug in starke Turbulenzen! Blind hatte das schon oft erlebt und geriet nicht sonderlich in Angst. Außerdem war die nähere Zukunft, das, was er erreichen konnte, viel stärker als das bisschen Wackeln einer winzigen Privatmaschine. Doch es hörte einfach nicht mehr auf und laut polternd fielen die kostbaren Errungenschaften der modernen Zivilisation durch den mit teurem Plüsch ausgelegten Gang … auch Blind selbst. Zwischen dem heruntergeklappten Notsitz und dem aufgesprungenen Aktenkoffer mit seiner modernsten

„Asia-Suspensorien–Kollektion“ blieb er liegen und hatte große Schmerzen. So bemerkte er nicht, wie der Pilot hektisch gestikulierend in die Kabine stürmte, um zu berichten, was sich rund um die Maschine tat. Denn nicht etwa ein schweres Gewitter oder eine plötzliche Sturmfront hatte den Flieger in der Gewalt – es war ein unvorstellbar großer Wirbel, der aschgrau das Flugzeug in sich einhüllte. Es gab weder oben noch unten, weder rechts noch links … das Flugzeug trudelte steuerungslos durch den Strudel und schien wohl bald zu zerbrechen wie ein Streichholz zwischen zwei Fingern. Der Pilot half Blind wieder auf die Beine und die beiden humpelten umständlich nach vorn ins Cockpit. Was der schon einiges gewohnte Blind da zu sehen bekam, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sämtliche Instrumente flackerten wirr auf, um danach gleich wieder zu erlöschen. Weder eine Anzeige noch eine Sicherheitseinrichtung funktionierte noch. Die Maschine schien ein Spielball dieses riesigen, Furcht einflößenden Strudels zu sein. Zitternd hielten sich die beiden verwirrten Passagiere an der Tür fest und waren einfach nur starr vor Schreck. Allmählich wurde es wieder ruhig und es schien, als sei der merkwürdige Spuk vorüber. Doch plötzlich verwirbelte sich der aschgraue Strudel, und aus dessen Innerem tauchte eine riesige blutig-rote Hand vor der Maschine auf. Sie schien sich aus den tosenden Wolken, aus dem todbringenden aschrauen Strudel, wie aus einer lebendigen Eizelle gebildet zu haben. Blind und sein Pilot konnten nicht einmal mehr schreien, so grauenvoll erschien ihnen der Anblick jener Monsterhand. Und ehe sich die beiden versahen, packte die riesige Hand das Flugzeug und nahm es mit sich. Es wurde stockdunkel in der Maschine und die beiden hilflosen Passagiere waren längst vom heftigen Herumwirbeln des Flugzeugs unsanft auf den Boden geworfen worden. Als es wieder ruhig wurde, krochen die beiden stöhnend hervor und starrten ungläubig durch das dicke Glas der Bullaugen. Offenbar waren sie noch am Leben und die Maschine flog, so viel schien sicher. Doch wo befanden sie sich? Blind versuchte, Kontakt mit einer Bodenstation aufzunehmen. Irgendwer musste sie ja hören. Aber aus den Lautsprechern drang lediglich ein monotones Knistern und Rauschen. Am Geigerzähler bemerkte der Pilot eine unglaublich hohe radioaktive Strahlung! Befanden sie sich etwa noch immer in dieser übermächtigen Teufelshand? Da zuckte ein greller Blitz aus dem Inneren der Schwärze hervor und schien alles zu vernichten, was sich auf seiner Bahn befand, auch das Flugzeug mit Blind und dem Piloten. Doch welch Wunder - abrupt endete dieser vermeintliche Totentanz und Blind starrte in eine merkwürdige Leere hinein. War das vielleicht das Ende der Welt, oder war das die unbekannte schwarze Materie, von der man nicht wusste, was sie wirklich war? Aus der gähnenden Leere formte sich eine Kugel. Schnell wuchs sie zu einem mächtigen Gebilde, zu einem riesigen Raum, zu einer übergroßen Halle heran. Längst glaubte Blind gestorben zu sein und ließ alles willenlos mit sich geschehen. Wie von Geisterhand getragen schwebte er in diese sonderbare Halle hinein und konnte sich nicht erklären, warum es einerseits so dunkel, andererseits auch wieder so hell um ihn herum wurde. Doch dann wich dieses Wechselspiel von Hell und Dunkel einem blutigen Rot. Seltsame Geräusche drangen an seine Ohren. Alles schien unwirklich und bedrohlich zu sein. Wo war er nur? War das vielleicht Gott, der ihn nun zu sich holte? Sah so allen Ernstes der Himmel aus? Oder war er in der Hölle beim Teufel gelandet? Sein Atem schien zu stocken und wurde schwer, sehr schwer. Atmete er überhaupt noch? An den purpurnen schwingenden Wänden, die nach oben keine Grenzen zu haben schienen, thronten seltsam geformte gläserne Sarkophage. Als Blind in einen dieser bedrohlich wirkenden Sarkophage schaute, erschrak er fürchterlich. In einer roten pulsierenden Flüssigkeit lagen da recht bekannte Dinge herum. Ein Rad, eine komplette Maschine, ein Flugzeug, eine Rakete, Blind konnte sich das alles nicht zusammenreimen. Doch dann ahnte er, was es sein könnte - das da vor ihm waren all die ungezählten Errungenschaften der Menschheit und der westlichen Welt! Er schien sich in einer Art Bibliothek des menschlichen Wissens aufzuhalten. Aber wie kam nur all dieses Wissen an diesen verklärten unwirklichen Ort? Sollte wirklich Gott … oder doch der Teufel … nein, unmöglich! Da spürte er plötzlich einen unerträglichen Stich in seinem Hirn. Wie in Zeitlupe torkelte er zu Boden und spürte im selben Augenblick, wie eine übermächtige Kraft an seinen verwirrten Gedanken nagte. Wollte man nun auch sein ureigenes Wissen stehlen? Sollte sein Wissen etwa auch in diese Bibliothek des Grauens einfließen? Er wollte es nicht und stemmte sich mit aller Macht gegen dieses bedrohliche Gefühl. Und zunächst gelang es ihm auch - langsam wurde er wieder frei von diesem fremdartigen Stechen. Am scheinbaren Ende der Halle entdeckte er eine fluktuierende silbrige Wolke. Übermächtig schwebte sie über dem samtig grau wabernden Boden und wurde mal größer und mal kleiner. Sämtliche Sarkophage waren durch glitzernde Fasern und schillernde Sehnen mit dieser Wolke verbunden. Als sich Blind der Wolke näherte, fühlte er, wie sich auch sein Denken mit diesem Gebilde verband. Er konnte sich einfach nicht dagegen wehren. Und nun sah er auch, was diese vermeintliche Wolke wirklich war – es war ein überdimensionales pulsierendes menschliches Gehirn! Es saugte alles, was sich in der Halle befand, und auch Blinds Wissen gierig in sich hinein. Blind fühlte sich ohnmächtig und wusste nicht mehr, ob ihn Gott für seinen plötzlichen Suspensorien-Erfolg belohnen oder ob ihn der Teufel für seine Gnadenlosigkeit und für seine Gier nach Macht und Reichtum bestrafen wollte. War sein Aufbruch nach Osten wirklich falsch? Schweißgebadet und kraftlos fiel er schließlich zu Boden und schien all seine Gedanken verloren zu haben - war er nun endgültig gestorben?

Ein sonderbares monotones Rauschen drang an seine müden Ohren - wo war er nur - in der Hölle? Aber wo blieb dann der Teufel? Es war der Pilot, der geduldig grinsend vor ihm stand! Und in treuem Gehorsam half er seinem Chef sogar aufzustehen. Offenbar war Blind durch die starken Turbulenzen im Flugzeug der Länge nach hingefallen und hatte dabei das Bewusstsein verloren. Irgendwie schmerzte alles in seinem Körper, und er erkundigte sich ängstlich und leicht verwirrt nach dem Allmächtigen. Der Pilot wusste nicht, was sein sonst so bodenständiger Chef da vor sich hin faselte. Er hatte doch nur ein Fax aus Schanghai erhalten und wollte es Blind ergebenst überreichen. Erleichtert und laut stöhnend ließ der sich unterdessen in seinen weichen Massagesessel fallen und war froh, alles nur geträumt zu haben. Als es ihm endlich wieder etwas besser ging, las er die Nachricht. Darin stand jedoch nicht etwa, dass man in China eine ordentliche Lieferung seiner neuesten Suspensorien orderte. Nein, es war die niederschmetternde Botschaft, dass eine Landung in Schanghai zurzeit nicht möglich sei. Eine seltsame Schlechtwetterfront hielt sich hartnäckig über der Landebahn. Und als Blind die angehängten Fotos der düsteren Nachricht betrachtete, traf ihn beinahe der Schlag. Denn das vermeintliche Schlechtwettergebiet hatte die Gestalt einer riesigen blutig-roten Hand, in deren höllenschwarzem Würgegriff sich eine seltsame Kugel zu formen schien …

Telefonzelle

Gerade hatte ich mir ein neues Handy gekauft. Stolz telefonierte ich mit sämtlichen Bekannten und war stundenlang damit beschäftigt, das neue Wunderwerk meinen Bedürfnissen anzupassen. Ich lud mir die verrücktesten Klingeltöne herunter und hörte damit immer und überall meine Musik. Als ich Tage später in den Urlaub fuhr, geschah genau das, womit ich nicht gerechnet hatte: Irgendwo draußen, zwischen zwei riesigen Feldern, blieb der Wagen stehen und bewegte sich keinen Meter mehr vorwärts. Fluchend schlug ich auf das Lenkrad ein. Doch alles Schimpfen nutze nichts, der Wagen funktionierte nicht mehr und musste wohl abgeschleppt werden. Genervt griff ich nach meinem nagelneuen Handy und wollte den Abschleppdienst anrufen. Doch ich konnte es nicht glauben, es ließ sich einfach nicht einschalten. Mir fiel ein, dass ich am gestrigen Abend noch stundenlang daran herumgestellt hatte. Vermutlich war der Akku leer. Voller Wut warf ich es auf den Beifahrersitz. Zu allem Unglück begann es auch noch zu regnen. Aber es half nichts, ich musste aussteigen, um Hilfe zu holen. Vielleicht gab es in der Nähe eine Siedlung oder ein bewohntes Haus. Ich stieg aus, zog mir die Jacke über den Kopf und lief los. Zu meinem Glück entdeckte ich an einer Trafostation eine alte Telefonzelle. Entschlossen ging ich hinein. Doch auch dort funktionierte nichts. Das Telefon war, wie ich es mir bereits dachte, tot. Gerade wollte ich die Telefonzelle wieder verlassen, da hielt ein klappriger Lieferwagen und drei maskierte Männer sprangen heraus. Ich wollte wegrennen, doch zum Fliehen war es bereits zu spät. Die Männer rissen die Tür auf und brüllten: „Los! Geld raus und her mit den Wertsachen!“ Mir rutschte das Herz in die Hose. Entsetzt starrte ich die Männer an und zog umständlich meine Geldbörse aus der Hosentasche. Plötzlich geschah etwas Merkwürdiges. Einer der Gauner griff schon nach der Börse, die ich ihm entgegenhielt, da knarrte und quietschte die Tür der Telefonzelle und schlug unvermittelt und laut zu. Ich konnte gerade noch rechtzeitig meine Hand zurückziehen. Die Gauner aber gaben nicht auf. Sie versuchten mit aller Kraft, die Tür wieder zu öffnen. Doch es ging nicht. Aus irgendeinem Grund ließ sich die Tür nicht mehr öffnen. Abwechselnd schlugen die drei gegen die Scheiben, traten heftig mit ihren Springerstiefeln dagegen. Aber die Tür rührte sich nicht. Nun griffen sie zu härteren Mitteln. Eifrig beschäftigten sie sich damit, große Steine in der Umgebung zusammen zu suchen. Ich ahnte, was sie damit vorhatten. Meine Befürchtungen wurden bittere Realität - mit aller Kraft schleuderten sie die Brocken gegen die Verglasung der Zelle. Schon bildeten sich lange Risse, und ich sah mich bereits leblos am Boden liegen. Da knackte und knirschte es in den Scheiben und sämtliche Risse verschwanden. Die Telefonzelle schien sich selbst zu regenerieren. Innerhalb von wenigen Sekunden waren die Scheiben wieder vollkommen in Ordnung. Den drei Gaunern, die jene seltsamen Geschehnisse ebenfalls verfolgt hatten, stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Auch sie konnten nicht glauben, was sie da sahen. Schnellstens sprangen sie in ihren Wagen zurück und verschwanden. Es dauerte nicht lange, da erschien ein Streifenwagen der Polizei. Die Beamten erkundigten sich, ob ich drei junge Männer in einem alten Lieferwagen gesehen hätte. Noch immer unter Schock stehend schilderte ich ihnen die furchtbaren Geschehnisse. Mein seltsames Erlebnis mit der Telefonzelle aber verschwieg ich. Vor lauter Schreck vergaß ich, die Beamten um Hilfe wegen meines liegen gebliebenen Wagens zu bitten. Erst als sie wieder abgefahren waren, fiel es mir wieder ein. Jedoch kam ich nicht dazu, mich endlosen Selbstvorwürfen hinzugeben. Ich traute meinen Augen nicht ... die drei Gauner, die ich schon weit entfernt glaubte, kehrten zurück. Doch diesmal wollte ich mich nicht von den dreien bedrohen lassen. Schnell versteckte ich mich hinter einem Busch neben dem Trafohäuschen. Die drei hielten tatsächlich an und stiegen aus. Schließlich untersuchten sie die Telefonzelle. Dabei gingen sie äußerst rabiat vor. Sie zerfetzten die herum liegenden Telefonbücher und schlugen wie wild auf den Telefonapparat ein. Vermutlich erhofften sie sich auf diese Weise an das Geld im Inneren heran zu kommen.

Auch der Telefonhörer musste daran glauben. Sie rissen einfach das Kabel aus ihm heraus und schlugen ihn dann so lange auf die metallene Telefonbuchkonsole, bis er aufsplitterte und zerbrach. Plötzlich vernahm ich das gleiche Knacken und Knirschen, welches ich bereits von dem letzten Überfall her noch kannte. Laut krachend schlug plötzlich die Tür zu und die drei saßen in der Falle. Sie standen laut brüllend und tobend in der Zelle und kamen nicht mehr heraus. Und zu meiner großen Erleich