1,99 €
Julie Caldwell schickt ihre Cowboys mit zweitausend Rindern nach Cheyenne und hofft auf ein gutes Geschäft. Ihre Ranch hat den Erlös aus dem Verkauf bitter nötig. Doch die Tiere kommen nie an ihrem Ziel an. Und die Cowboys? Spurlos verschwunden!
Gerüchte über ein Konsortium aus dem Osten machen die Runde. Es hat die Geschäfte in der Rinderstadt übernommen und die kleineren Viehhändler verdrängt. Wer sich weigert, ihre Schleuderpreise anzunehmen, lebt meistens nicht mehr lange.
Julie ahnt nichts Gutes. In ihrer Not heuert sie drei fremde Reiter an, um ihre Herde zu finden. Doch die drei haben andere Pläne...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 149
Cover
Julie und die Galgenvögel
Vorschau
Impressum
Julieund dieGalgenvögel
von Katja Martens
Der süßliche Geruch des Todes waberte den Besuchern schon zwei Meilen vor den Union Stock Yards entgegen. Er kroch in die Atemwege und die Kleidung und biss sich tagelang dort fest.
Die Schlachthöfe am Rande von Chicago lieferten mehr als Fleisch und Wurst. Sie waren auch eine Touristenattraktion. Schaulustigen wurde Einblick gewährt in die weitläufigen Viehpferche, die hochmodernen Schlachtanlagen und die Brühräume. Nach der Besichtigung nahmen die Menschen Vorräte an Dosenfleisch mit nach Hause, überzeugt davon, Qualität erstanden zu haben. Schließlich hatten sie sich mit eigenen Augen vergewissert, wie effizient in den Yards gearbeitet wurde. Sie ahnten nicht, dass sie nur gesehen hatten, was ihnen erlaubt wurde zu sehen...
»Der Kerl macht mehr Ärger, als er wert ist, Boss.« Der rotgesichtige Ire zerrte seine Mütze vom Kopf und strich sich glättend über die Haare. Er wusste genau, wie viel Wert sein Arbeitgeber auf ein gepflegtes Erscheinungsbild legte. Hastig schloss er den obersten Knopf seiner schwarzen Weste, um die Blutspritzer auf seinem Hemd zu verbergen. Dann trat er einen Schritt näher an Vito Muratori heran.
Der gebürtige Sizilianer würdigte ihn keines Blickes. Der teure Wollstoff seines Anzugs machte kein Geräusch, als er sich an das Stahlgeländer lehnte, eine Hand über das kühle Metall gleiten ließ wie über die Haut einer Geliebten, und den Blick über die lang gestreckte Halle unter sich schweifen ließ. Seine Augen unter den buschigen schwarzen Brauen waren dunkel wie Kohlestücke. Es lag jedoch keine Wärme darin, nur Finsternis.
Seine erhöhte Position auf der Empore erlaubte ihm eine ungehinderte Sicht auf die Besuchergalerie. Schweine irrten in ihrem Pferch umher, bis sie gepackt und lebendig an einem Bein aufgehängt und in die Luft gerissen wurden. Hilflos baumelten sie an der Kette. Das vielstimmige Quieken und Wimmern der verängstigten Tiere bohrte sich schmerzhaft wie Klingen in die Trommelfelle.
Für Vito Muratori war es jedoch Musik in seinen Ohren.
Im Geiste sah er die Dollars strömen – wie das Blut, das aus einem Leib nach dem anderen floss, als die Arbeiter ungerührt ihren Job erledigten, die Tiere eines nach dem anderen packten und abstachen. Blitzschnell ging das. Dank des Hurford Wheels, mit dem die Tiere effizient aufgehängt und für die Verarbeitung weitertransportiert werden konnten. Eine lange Reihe von Schweinen bewegte sich über eine Schiene voran. Und eines nach dem anderen verstummte jäh.
Die Zuschauer auf der Besuchergalerie reagierten verhalten auf den Anblick. Die Männer schauten betreten zur Seite oder lächelten verkrampft, die Frauen pressten die Hände vor der Brust zusammen, während sie mit den Tränen kämpften. Einige warfen flehende Blicke zu ihrem Führer, Mr. Chase, und wollten offenbar nichts sehnlicher, als mit der Besichtigung fortfahren, um die blutigen Details nicht länger betrachten zu müssen. Sie ahnten offenbar nicht, was noch vor ihnen lag.
Die Schweine wurden zu einem riesigen Kessel mit kochendem Wasser befördert, plumpsten hinein und verschwanden darin, bevor sie weiter zum Entborsten transportiert wurden. In einer Rekordzeit, die Vito Muratori die Brust schwellen ließ. Unter keinem Geschäftsführer hatten die Schlachthöfe so produktiv gearbeitet unter ihm.
Unter seiner Leitung waren die Stock Yards von Chicago größer und rentabler als jemals zuvor. Seinen Berechnungen zufolge lieferten sie mehr als achtzig Prozent des Fleischs, das in der Neuen Welt verzehrt wurde. Nicht schlecht für einen Einwanderer, der vor zwölf Jahren mit leeren Taschen in dieses Land gekommen war, wie er fand. Muratori hatte schnell begriffen, dass man sich nehmen musste, was man haben wollte, wenn man es zu etwas bringen wollte. Und er scheute sich nicht, zuzugreifen, wann immer sich die Gelegenheit bot.
Effizienz wurde in seinem Unternehmen großgeschrieben.
Jeder Arbeiter hatte genau eine Aufgabe zu erledigen. So schabte einer die Borsten an der Außenseite der Beine ab, einer erledigte das an der Innenseite. Wieder ein anderer schlug den Schweinen den Kopf ab. So ging das von früh bis spät. Wie die Rädchen eines Uhrwerks funktionierten sie alle zusammen. Durch die Spezialisierung saß jeder Handgriff perfekt und ging schneller, als wenn sich ein Arbeiter um mehrere Aufgaben zu kümmern hatte. Die Arbeiter stammten oft aus Osteuropa und sprachen kein Wort Englisch, aber das machte nichts, solange sie nur anpacken konnten.
Die lange Reihe von Schweinen bewegte sich am Band vorwärts. Alle paar Yards stand ein Arbeiter, der arbeitete wie vom Leibhaftigen persönlich gehetzt. Körperlich gezeichnet waren sie alle, hatten Arme voller Schnitte, abgewetzte Fingernägel und eine verkrümmte Haltung von der eintönigen Arbeit. Sie legten ein atemberaubendes Tempo vor, weil sie wussten: Wer nicht mithalten konnte, war raus aus dem Job. Für jeden, der ausfiel, warteten schließlich zwanzig andere, um seinen Posten zu übernehmen. Und wen kümmerte es, wie er fortan seine Familie ernähren sollte? Jeder musste zusehen, wie er selbst durchkam, dachte Muratori. Und der Erfolg gab ihm recht. Täglich wurden in den Stock Yards zehntausend Rinder und ebenso viele Schweine geschlachtet. Dazu kam eine vierstellige Anzahl von Schafen.
Natürlich wurden die Schlachtungen überwacht. Inspektoren schauten den Arbeitern genau auf die Finger – und auch wieder weg, wenn sie nur gut genug bezahlt wurden. So ahnten die arglosen Besucher nicht einmal, was sie während der Führung durch das Werk alles nicht sahen.
Zum Beispiel die Arbeiter, die im Kühlraum mit den bloßen Füßen in den noch warmen Gedärmen standen, weil sie sich sonst früher oder später ein paar Zehen abfroren oder das Reißen holten.
Oder den Wursttrichter, in den alles gestopft wurde, was wegmusste. Seien es nun Fleischreste, vergiftete Ratten, Unrat oder fauliges Wasser. Es war auch schon vorgekommen, dass ein Arbeiter zu nah an den Rand des Bottichs geraten und vor Schwäche gestrauchelt war. Man hatte nie wieder von ihm gehört.
Kollateralschäden. Tragisch, aber nicht zu vermeiden. Große Aufgaben erforderten große Opfer. Und ein ganzes Land, ach was, einen ganzen Kontinent zu ernähren, war eine verdammt große Aufgabe. Die Inspektoren wussten das und drückten beide Augen zu, solange der Geldstrom nicht abriss.
Einer jedoch war anders.
Ein Tierarzt.
Der Stachel in Muratoris Fleisch.
Die schwelende Wunde an seinem Hintern.
Daniel Elmer Salmon. Seines Zeichens Doktor der Veterinärmedizin und vom Staat mit der Erforschung und Bekämpfung von Seuchen bei Nutztieren betraut. Salmon vergrub sich in keinem Labor. Nein, er forschte dort, wo die Tiere waren: in Ställen, auf Schlachthöfen und bei Tiertransporten.
Muratori knirschte mit den Zähnen.
»... dieser Rinderdoktor könnte uns noch reichlich Ärger bescheren«, brachte sich der Ire in Erinnerung. »Ich fürchte, er hat Verdacht geschöpft.«
»Nicht hier«, zischte Murator und blickte sich nach allen Seiten um. Es war unwahrscheinlich, dass die Besucher bei dem Lärm, den die sterbenden Schweine machten, ihrer Unterhaltung folgen konnten.
Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.
Er war nicht der Leiter eines der größten Unternehmen des ganzen Landes geworden, weil er unbedacht handelte. So warf er dem Iren auch jetzt einen finsteren Blick zu und murmelte: »Gehen wir in mein Büro. Dort können wir reden.«
Der Rotbart nickte und folgte ihm aus der langen Halle in das darüber liegende Büro. Muratori nahm hinter dem langen, massiven Schreibtisch Platz und zündete sich eine Zigarre an. Sie hatte mehr gekostet, als seine Arbeiter in einer ganzen Woche verdienten, aber an diesen Umstand verschwendete er keinen Gedanken.
Sich in eine Wolke Tabakrauch hüllend, fasste er den Iren scharf in den Blick. »Was haben Sie mir zu sagen?«
»Dieser Mr. Salmon hat den Raum mit den aussortierten Tieren inspiziert. Ich habe ihm erklärt, dass das überflüssig ist. Dort werden Tiere aufbewahrt, die von Krankheiten befallen sind und nicht verarbeitet werden dürfen.«
Zumindest nicht tagsüber und unter den wachsamen Augen der Inspekteure, präzisierte Muratori in Gedanken. Fleisch war ein begehrtes Gut angesichts der rasant wachsenden Bevölkerung. Die Umsätze der fleischverarbeitenden Industrie waren enorm, und sie ließen sich immer noch steigern. Besonders, wenn kaum sichtbare Erkrankungen bei dem Schlachtvieh ignoriert wurden.
Es ist schade um jedes Tier, das nicht verwertet wird. Wozu gutes Fleisch vergeuden? Solche Albernheiten hätte es früher nicht gegeben. Fleisch ist Fleisch. Ob das Schwein nun gehustet hat oder nicht. Was spielt das noch für eine Rolle? Es ist schließlich tot!
Muratori zog eine Braue hoch. »Bericht!«
Der Ire trat von einem Fuß auf den anderen, ehe er mit der Sprache herausrückte.
»Doc Salmon verlangt, dass kranke Tiere getötet und verbrannt werden sollen. Darüber soll exakt Buch geführt werden. Außerdem fordert er Impfungen, größere Ställe, mehr Freilauf und eine bessere Hygiene wie Ölbäder für die Rinder...«
»Ölbäder für die verdammten Viecher?«, fuhr Muratori auf. »Hat der gute Doktor den Verstand verloren? Sollen wir ihnen womöglich auch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen und ihnen die Hörner pudern?«
»Er sagt, das Ölbad würde den Befall mit Insekten reduzieren.«
»Nicht zu fassen.« Muratori blickte auf die Liste nieder, welche der Ire vor ihn hinlegte. Die Forderungen von Daniel Salmon waren kostspielig. Ihm sträubten sich die Nackenhärchen bereits beim Durchlesen. Wenn es etwas gab, das er noch weniger ausstehen konnte als die schmerzende Ruinen seiner Backenzähne, dann war es, Geld zu verschwenden. »Ignorieren Sie diese Liste. Verstanden?«
»Verstanden, Boss. Es ist nur... Das wird Mr. Salmon nicht gefallen. Ich weiß nicht, was er in seinen Bericht schreiben wird. Außerdem... da ist noch etwas.«
»Und was? Nun lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Mann!«
»Mr. Salmon hat Fragen gestellt. Fragen über die aussortierten Tiere. Was mit ihnen geschieht; wohin ihre Asche gebracht wird. Solche Sachen. Ich fürchte, er hat einen Verdacht.«
»Ein Verdacht ist noch kein Beweis.«
»Noch nicht, Sir.«
»Ich verstehe. Bieten Sie ihm Geld an.«
»Hab' ich bereits. Er hat es rundheraus abgelehnt.«
»Dann haben Sie ihm nicht genug geboten.«
»Ich habe auf mehr erhöht, als wir an irgendjemanden sonst bezahlen.«
»Und er hat sich weiterhin geweigert?«
»So ist es.«
Muratori zog den Atem ein und ließ ihn langsam durch den Mund wieder entweichen. Sollte sich dieser Rinderdoktor als unbestechlich erweisen? Als der erste Mann seit wer weiß wie vielen Jahren, der sich nicht von den Verlockungen eines Vermögens beeindrucken ließ? Das war... nun interessant. Wenngleich auch ärgerlich, denn es bedeutete mehr Arbeit. »Finden Sie seine Schwachstelle und benutzen Sie sie gegen ihn.«
»Er hat keine, Sir.«
»Jeder Mensch hat eine Schwäche.«
»Nicht Mr. Salmon. Zumindest ist uns noch keine aufgefallen. Er trinkt nicht, er spielt nicht, er hat keine kostspieligen Hobbys und ist seiner Frau absolut treu. Er lebt sparsam und bescheiden.«
»Wollen Sie mir sagen, der Kerl ist ein verdammter Heiliger?« Muratori hieb mit der Faust auf seinen Schreibtisch, dass das Tintenfass gefährlich hochsprang. Ein Inspektor, den er nicht kontrollieren konnte, war eine Gefahr für sein Unternehmen. Wenn Salmon Dinge aufdeckte, die besser unentdeckt blieben, würde das dem Image der Stock Yards immensen Schaden zufügen – und damit auch den Einwohnern von Chicago, von denen viele bei ihm in Lohn und Brot standen.
»Was sollen wir tun, Boss?« Der Ire rieb sich das Kinn.
»Wir müssen dafür sorgen, dass ein anderer seinen Posten übernimmt. Jemand, der unseren Offerten gegenüber offener ist. Dieser Mann ist ein Problem. Lösen Sie es.«
»Sicher, Boss. Ich tue, was ich kann. Die Frage ist nur: Wie genau stellen Sie sich das vor? Sollen wir ihn umlegen?«
»Meinetwegen. Das wird wohl der schnellste Weg sein. Erledigt das nur nicht hier. Es darf keine Verbindung zu unseren Schlachthöfen geben.«
»Wir könnten es wie einen Unfall aussehen lassen. Ein Sturz in das Brühbecken oder in die Mahlanlage. So was passiert schon mal.«
»Nein, habe ich gesagt! Ich will nicht, dass auch nur der Schatten eines Verdachts auf mein Unternehmen fällt. Salmon arbeitet im Auftrag des Staates. Es darf keinen Zusammenhang zwischen seinem Tod und uns geben, sonst werden noch mehr Schnüffler kommen und Fragen stellen und das ist nun wirklich das Letzte, was ich will. Kümmert euch um ihn, aber weit weg von hier.«
»Er wird übermorgen abreisen, Boss.«
»Abreisen?«
»Nach Cheyenne. Nach allem, was ich gehört habe, will er einen der Viehtransporte kontrollieren. Ihm ist aufgefallen, dass etliche Transporte trotz der Kontrollen kranke Tiere zu uns bringen.« Der Ire starrte seine Stiefelspitzen an, wohl wissend, dass Muratoris Gesicht bei seinen Worten dunkelrot anlief. »Diese Transporte kommen aus Cheyenne. Er will dort nachforschen.«
Muratori fluchte in sich hinein. »Also schön. Damit ist es entschieden. Nimm ein paar Männer mit und sorge dafür, dass er uns keinen Ärger machen kann!«
✰
Zwei Tage später saß Daniel Elmer Salmon in einem zugigen Abteil und war auf dem Weg von Chicago nach Cheyenne. Die Dampflokomotive zog weiße Dampfschwaden hinter sich her, welche den Fahrgästen die Sicht vernebelten.
Während einige Reisende über das trübe Wetter, die unbequemen Sitzbänke und das Gerüttel in den Wagen schimpften, beugte Daniel Salmon das Haupt über einer veterinärmedizinischen Abhandlung: ›Tödliche Stiche?‹ Der Verfasser untersuchte die Möglichkeit, dass Insekten bestimmte Infektionskrankheiten auf Nutztiere übertrugen. Er hielt diese Möglichkeit für ausgeschlossen. Salmon war anderer Ansicht, verfolgte die Argumentation seines Kollegen jedoch mit großem Interesse. Er war dermaßen gefesselt von seiner Lektüre, dass ihm der nächste Halt des Zuges ebenso entging wie die Tatsache, dass die meisten anderen Fahrgäste an dieser Station ausstiegen. Lediglich zwei Männer in abgerissener Garderobe blieben sitzen – die Stiefel auf einer Sitzbank abgelegt und die Hüte tief über die Gesichter gezogen. Sie schienen zu schlafen. Ihr gedämpftes Schnarchen drang über die drei Sitzreihen bis zu Daniel Salmon vor, auch wenn er es nicht bewusst wahrnahm.
An der Station stieg eine junge Frau in einem tief ausgeschnittenen roten Kleid zu. Als ihr Blick auf ihn fiel, leuchteten ihre Augen auf. Sie zupfte den Ausschnitt noch ein wenig tiefer, sodass kaum noch etwas von ihren drallen Kurven der Fantasie überlassen blieb, leckte sich über die Lippen und setzte ein Lächeln auf, das ihm alles versprach, was sich ein Mann nur erträumen konnte.
Auch dies blieb von ihm unbemerkt.
Salmon hatte sein Leben dem Kampf gegen Erkrankungen von Tieren gewidmet. Rinderseuchen, das Texasfieber und Schweinekrankheiten verbreiteten viel Elend in den Ställen und minderten die Qualität des Fleisches, das für den Verzehr gedacht war. Beides war für ihn nicht akzeptabel. Aus diesem Grund reiste er quer durch das Land, überwachte Viehtransporte und untersuchte die Ursachen verschiedener Seuchen. Er tat, was er konnte, und hatte trotzdem das Gefühl, nicht genug zu tun.
Die Regierung in Washington hatte sein Können erkannt und ihn in ihre Dienste genommen. Sein Auftrag: die Unbedenklichkeit von Fleischprodukten für die menschliche Gesundheit sichern. Das war jedoch leichter gesagt als getan. In Chicago hatte er einiges gesehen, das ihm bedenklich erschienen war. Seine Beobachtungen hatte er schriftlich festgehalten und trug sie in einer Ledermappe bei sich. Bevor er damit an seine Auftraggeber herantrat, wollte er einer Spur in Cheyenne nachgehen. Viel zu oft kamen ihm kranke Tiere unter, denen er nicht zu helfen vermochte. Das sollte sich unbedingt ändern!
Er studierte weiter den Artikel, bis ihm ein blumiger Duft in die Nase stieg und ein hauchzarter Seidenstoff seine Wange kitzelte. Als er den Kopf hob, landete seine Nase geradewegs im ausladenden Dekolletee der bildhübschen Brünetten, die soeben ihr Gepäck in der Ablage über seinem Kopf verstaute.
»Oh, Sir, wie stürmisch Sie sind!« Sie strahlte ihn an.
Grundgütiger! Was hatte er da nur wieder angerichtet? Salmon nestelte an seiner runden Drahtgestellbrille, während sich sein Gesicht erwärmte. »Verzeihen Sie bitte meine Aufdringlichkeit. Das lag wirklich nicht in meiner Absicht.«
»Oh, wie schade.« Ihr Lächeln schmolz und sie zog ein langes Gesicht.
»Äh, wie meinen Sie das, Miss?« Ratlosigkeit machte sich in ihm breit. Sie konnte doch nicht wirklich meinen, was er gerade dachte, oder?
»Ich hätte nichts dagegen, dass Sie ein wenig aufdringlich zu mir sind.« Sie kniff verschwörerisch ein Auge zu. »Sie sehen einsam aus. Ich bin es auch. Warum sollten wir das nicht gemeinsam ändern?«
»Das ist ein ganz reizendes Angebot, Miss, wirklich, aber meine Frau wäre damit gewiss nicht einverstanden.«
»Sie muss es ja nicht erfahren. Wollen wir nicht ein bisschen Spaß miteinander haben? Es juckt mich, wissen Sie?«
Es juckte sie? Das arme Ding! Er schob die Brille höher auf seinem Nasenrücken. »Nun, dagegen sollten Sie etwas unternehmen, bevor es schlimmer wird, Miss. Haben Sie schon eine Salbe aus Ringelblumen probiert? Die wirkt oft Wunder. Vor allem, wenn sie vorher in Flusswasser gekühlt wurde.«
»Ringelblumensalbe?« Die Brünette zog die Nase kraus und blickte ihn säuerlich an. Offenbar war er ohne es zu wollen in ein Fettnäpfchen getreten. Die Frage war nur: Was hatte er falsch gemacht? Sein Rat war vielfach erprobt und half gewiss.
Ratlos rieb er sich das bärtige Kinn. Dabei richtete er den Blick aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft, die sich verschwommen hinter den Dampfschwaden abzeichnete.
Ein enttäuschtes Seufzen entfuhr der Brünetten. Dann ließ sie sich auf einen freien Platz sinken und starrte aus dem Fenster.
Er konnte ihr Verhalten nicht recht deuten. Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm auch nicht, weil in diesem Augenblick die beiden Gentleman drei Bänke weiter wach wurden. Sie nahmen die Stiefel von den Sitzflächen, schraubten sich langsam in die Höhe und wandten sich zu ihm um.
Ihre Blicke verursachten einen dumpfen Druck in seiner Magengrube. Ihr letztes Bad schien Monate her zu sein und die Narben, die ihre Gesichter und Hände zeichneten, deuteten auf ein bewegtes Leben hin. Was ihm jedoch wirklich Sorgen bereitete, waren die Revolver, von denen jeder zwei an der Hüfte trug. Diese Männer scheuten sich offenbar nicht, ihr Leben ihren Schießeisen anzuvertrauen. Oder sollten die Waffen nur der Abschreckung dienen?
Die beiden sahen sich kurz an, dann kamen sie zu ihm und setzten sich links und rechts von ihm nieder.
Salmon blickte von einem zum anderen.
»Kann ich Ihnen helfen, Gentlemen?«, fragte er höflich.
»Das können Sie in der Tat, Doktor.«
»Sie kennen mich?«
»Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.« Der Kleinere der beiden grinste breit und ließ dabei zwei Reihen schwarzer Zahnstummel sehen, bei denen sich alles in Salmon zusammenzog.
Sein Begleiter sah die Brünette vielsagend an und wedelte dann mit einer Hand.
Mit einem enttäuschten Schnaufen erhob sie sich und zog sich auf eine der Bänke am anderen Ende des Wagens zurück.