Liebe in stürmischen Zeiten - Uwe Goeritz - E-Book

Liebe in stürmischen Zeiten E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

"Liebe in stürmischen Zeiten" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Die Großeltern brechen nur zögerlich ihr Schweigen und dabei wäre es doch so wichtig, über eine dunkle Zeit des Krieges und der Gewalt zu berichten, denn Millionen Tote klagen ihre Mörder an. Raub, Flucht, Vertreibung und systematische Vergewaltigung der Frauen, begangen von allen beteiligten Kriegsparteien in diesem Zweiten Weltkrieg, müssen für die Nachwelt berichtet werden, damit sich so etwas nie wieder ereignen kann, damit die Tränen der Mütter, Frauen und Mädchen nicht umsonst vergossen worden sind. Lore, die Heldin dieser Geschichte, lebt in dieser Zeit und muss täglich mit den Widrigkeiten des Lebens zurechtkommen. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg stellt sich die junge Mutter täglich die Frage "Was bist du bereit, für dein Kind zu tun?" und jedes Mal lautet ihre Antwort daraufhin "Alles!" Ihr Mann Karl versucht indessen an der Front Mensch zu bleiben, was nicht leicht ist, in diesem unmenschlichen Krieg. Diese Geschichte schildert das Schicksal eines Mannes und einer Frau in Sachsen, wie es wohl tausende Paare in jener Zeit gegeben hat, auch wenn die Meisten davon diesen Zeitraum nur zu gern vergessen würden. Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Seitenzahl: 188

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Inhaltsverzeichnis

Liebe in stürmischen Zeiten

Ziehende Wolken

Auf schmaler Spur

Versteckte Blicke

Verhängnisvolle Treffen

Weiße Weihnacht

Wie vom Blitz getroffen

Hochzeit grau-bunt

Gemeinsame Freuden

Ein schwerer Abschied

Das weite Land

Munition oder Uniform?

Grausames Schicksal

Ein glutroter Horizont

Gefangen unter Gefangenen

Wer Wind sät...

Ein Neuanfang

Was bist du bereit zu tun?

Der Rübenwinter

Ein zerlumpter Held

Kommunisten und solche, die es sein wollen

Nähen und Drehen

Anpassung?

Der Aufstand

Entscheidung aus Liebe

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Liebe in stürmischen Zeiten

Die Großeltern brechen nur zögerlich ihr Schweigen und dabei wäre es doch so wichtig, über eine dunkle Zeit des Krieges und der Gewalt zu berichten, denn Millionen Tote klagen ihre Mörder an. Raub, Flucht, Vertreibung und systematische Vergewaltigung der Frauen, begangen von allen beteiligten Kriegsparteien in diesem Zweiten Weltkrieg, müssen für die Nachwelt berichtet werden, damit sich so etwas nie wieder ereignen kann, damit die Tränen der Mütter, Frauen und Mädchen nicht umsonst vergossen worden sind.

Lore, die Heldin dieser Geschichte, lebt in dieser Zeit und muss täglich mit den Widrigkeiten des Lebens zurechtkommen. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg stellt sich die junge Mutter täglich die Frage „Was bist du bereit, für dein Kind zu tun?“ und jedes Mal lautet ihre Antwort daraufhin „Alles!“ Ihr Mann Karl versucht indessen an der Front Mensch zu bleiben, was nicht leicht ist, in diesem unmenschlichen Krieg.

Diese Geschichte schildert das Schicksal eines Mannes und einer Frau in Sachsen, wie es wohl tausende Paare in jener Zeit gegeben hat, auch wenn die Meisten davon diesen Zeitraum nur zu gern vergessen würden.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch Dokumente, Geschichten, Augenzeugenberichte, Filme und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Ziehende Wolken

Das Mädchen lag am Rande des abgeernteten Feldes und schaute in den Himmel hinauf. Mitten auf dem Feld waren Strohbündel zusammen gestellt und sogar bis zu ihr hier herüber roch es nach Stroh. Sie hatte sich eine Grashalm abgerissen, auf dem sie gedankenverloren herumkaute. Ihr Fahrrad lag nicht weit von ihr entfernt am Wegesrand. Vor einer Woche war sie siebzehn geworden und nun waren die letzten Tage ihres Urlaubes angebrochen. Lore war gern hier bei ihrem Onkel auf dem Lande und genoss es so richtig, hier auszuspannen und zu träumen. Das Baden und das durch die Felder laufen, das war einfach nur zu schön für die junge Frau.

In ein paar Tagen würde sie wieder in der stinkenden und staubigen Stadt sein und den Qualm aus der Textilfirma einatmen, die genau gegenüber ihres Wohnhauses stand. Vor ihren Augen bildeten sich aus den schnell dahin ziehenden Wolken kleine Bilder. Hasen, Löwen, Schiffe konnte sie erkennen und spielte dabei mit ihrem Zopf. Hinter sich hörte sie ein Fahrrad quietschend den Weg entlang kommen, drehte sich danach um und sah ihre Cousine Anna, die gerade vom Rad sprang. „Lore, es ist Krieg!“, rief das andere Mädchen, welches ein Jahr jünger als sie war.

„Krieg?“, fragte Lore und Anna nickte. Sie ließ sich neben Lore auf der Wiese fallen und begann zu erzählen „Polen hat uns angegriffen. Ich habe es gerade im Radio gehört!“ „Warum sollte Polen uns angreifen?“, fragte Lore, doch Anna zuckte nur mit den Schultern. Die beiden Mädchen schauten sich an und legten sich anschließend nebeneinander hin. Damit war das Thema für die Beiden erst einmal erledigt. Krieg? Was bedeutete das schon? Keine von beiden wusste es. Lore verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf und genoss die Wärme der Sonne, denn Polen war so unendlich weit entfernt!

Am Waldrand tauchte Lores Tante auf. Wie immer in komplett schwarzen Sachen. Die Frau war noch keine 40 Jahre alt, sah aber mit ihren Kleidern wie über sechzig aus. Mit der dunklen Holzkiepe auf dem Rücken hatte sie im Wald Brennholz gesammelt, so wie sie es jeden Tag tat. Die Frau bemerkte die beiden ihr bekannten Fahrräder, die halb auf dem Weg lagen, und suchte die dazugehörigen Kinder, konnte sie aber offensichtlich im hohen Gras nicht finden.

Schließlich rief sie einfach nach Anna und die richtete sich auf. Auch Lore setzte sich hin und sah zum Weg. „Kommt ihr dann zum Essen?“, fragte die Frau und die beiden Kinder nickten. Die Tante hatte dreizehn Kinder und war schon wieder schwanger. Deutlich zeichnete sich der runde Bauch unter dem Kleid ab. Watschelnd folgte die Frau dem Weg zum Dorf und Lore blickte ihr hinterher. Dabei dachte das Mädchen an den Spruch, den ihr Onkel immer zu sagen pflegte, wenn er über den Babybauch seiner Frau strich: „Wo fünfzehn satt werden, da werden auch sechzehn satt!“

So viele Geschwister hatte Lore nicht. Ihr ältester Bruder Peter war 19, ihre Schwester Hildegard gerade 18 geworden und ihr Bruder Manfred war als Nesthäkchen erst sieben Jahre alt. Die Wolken begannen nun wie in einer wilden Flucht über die beiden Mädchen hinweg zu sausen. Es wurde immer dunkler um sie herum und Lore erschrak, als sich vom Waldrand aus eine finstere Wand am Himmel zu ihnen herüberschob.

Schnell waren sie auf die Fahrräder gesprungen und losgefahren, doch der warme Sommerregen erwischte die beiden Mädchen mitten auf dem Weg. Binnen Sekunden waren sie bis auf die Haut durchnässt und flüchteten sich unter die ausladenden Zweige eines Baumes, als ob das nun noch geholfen hätte. Der Regen hörte genauso schnell wieder auf, wie er angefangen hatte. Zum vollständig nass werden hatte es aber dennoch gereicht.

Lachend schüttelten sie sich das Wasser aus den Haaren. „Wollen wir heute noch baden?“, fragte Anna und zeigte nach unten, wo im Tal die Freiberger Mulde entlang floss. „Wieso? Ich bin doch schon nass!“, antwortete Lore mit einem Lachen, dann sprangen sie wieder auf ihre Räder und sausten nach Hause. Der Fahrtwind streifte das Regenwasser von Lores nackten Armen. Erst vor dem Haus überholten sie Annas Mutter, die sich sicherlich irgendwo untergestellt hatte und damit erst so spät, aber trocken, am Gehöft eintraf. Das Essen war damit natürlich auch noch nicht fertig, doch die beiden Mädchen mussten sich ja sowieso erst mal umziehen.

Sich gegenseitig neckend liefen sie in ihre Zimmer. Wenig später saßen alle am Tisch und nach dem Essen radelten sie auch schon wieder los, denn es war ein solch schöner, warmer Tag und das Freibad unten am Fluss lockte viel zu sehr, als dass sie zu Hause geblieben wären.

Wenig später lagen ihre Räder wieder im Gras. Die Badestelle am Fluss war der Treffpunkt der Jugend! Am Ufer begegneten ihnen ein paar Freunde aus Annas Schule und in den letzten beiden Wochen hatte auch Lore hier viele Freundschaften geschlossen. Die Kleider landeten im Gras und einen Augenblick später lagen sie auch schon im Badeanzug auf der mitgebrachten Decke. Während Anna den Jungs im Bad ein paar abschätzende Blicke zuwarf, hatte Lore dafür keinen Gedanken. Jungs waren einfach nur doof!

Anders sah das wohl ihre Schwester, die sich vor ein paar Wochen mit Bernhard verlobt hatte. Lore war mit ihren siebzehn Jahren ganz gut gebaut, und manchmal pfiffen ihr ein paar junge Männer hinterher, aber mit den gleichaltrigen Jungs hatte sie so gar nichts am Hut. Die waren ihrer Meinung nach einfach viel zu blöd, zu unreif und zu kindisch. Immer wieder hatten sie ihnen daher die kalte Schulter gezeigt.

Ein paar von Annas Freunden versuchten allerdings im Moment ihre Meinung zu ändern, aber Lore ließ sich auf nichts ein. Sie ignorierte die plumpen Annäherungsversuche, genoss die warme Sonne und das lauwarme Wasser zur Abkühlung zwischendurch. Irgendwann ließen die Jungs von ihr ab und es entwickelte sich in der Gruppe ein Gespräch zur Radiomeldung des Kriegsbeginns. Einige Jungen wollten sich freiwillig zum Einsatz melden. Für sie war das alles ein großes Abenteuer, doch Lore blieb da lieber skeptisch. Allerdings sagte sie dazu nichts, denn man konnte ja nie wissen, wer da gerade mithörte und sie dann vielleicht anzeigen würde, weil sie jemanden vom Einsatz abraten würde.

Ihre Gedanken gingen zurück zu einem Gespräch mit der Mutter. In der Stadt war ein Nachbar im letzten Monat verhaftet worden, weil er im Wirtshaus über ein paar Soldaten geschimpft hatten. Dabei ging es noch nicht mal um etwas Politisches, sondern nur über eine persönliche Reiberei.

Lore hörte einfach still zu und schaute in die Sonne. Mit den Händen unter dem Kopf und angezogenen Kien, lag sie auf der Halbinsel im Fluss und schaute zu der kleinen Ausflugsgaststätte hinüber, wo sie sich sonst immer ihr Eis holte. Der Wirt schien heute seinen ganz besonders patriotischen Tag zu haben, denn er hisste gerade die Fahne in seinem Vorgarten, direkt neben dem Eisstand.

Die flatternde Flagge fing ihren Blick ein und lenkte diesen zum Eisschild hinüber! Der Gedanke an das leckere Eis mit Schokoladensoße ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen und nun lockte diese kühle Leckerei sie unwillkürlich zum Lokal hinüber. Lore setzte sich auf, kramte ein paar Pfennige aus ihrer Tasche, warf sich das Kleid über den Badeanzug und fragte Anna „Willst du auch ein Eis?“ Doch die Freundin war viel zu beschäftigt mit drei Jungs, mit denen sie in ein Gespräch vertieft war.

Da sie keine Antwort von der Freundin bekam, ging Lore schließlich die zweihundert Meter über den Weg am Fluss entlang. Sie hatte sich allerdings keine Schuhe angezogen und die spitzen Steine drückten sich beim Gehen auf dem Weg in ihre Fußsohlen. Endlich hatte sie es geschafft und bekam auch sofort ihr Eis. Damit setzte sie sich auf eine Bank vor der Gaststätte und schaute zu all den Gästen, die dort so saßen. Schleckend blinzelte sie in die Sonne hinauf. Konnte das Leben schöner sein? Sonne und Eis! Einfach herrlich!

Das knatternde Geräusch von einigen Motorrädern klang von der Straße zu ihr herüber und wenig später hielten zwei der Räder mit zwei Männern vor dem Lokal, während die anderen weiter fuhren. Die zwei Männer stiegen ab, kamen an ihr vorbei und sie hörte den einen sagen „Das war jetzt aber ganz schön knapp Karl!“ Der andere Mann antwortete ihm „Na ja, Siegfried, das Auto hätte auch bremsen können. Wir hatten schließlich Vorfahrt!“ Lore schaute zu den beiden Männern. Die waren sicher doppelt so alt, wie sie selbst und doch zog sie irgendetwas zu den Männern. Vielleicht waren es die Motorräder, die vor ihr standen oder der Umstand, dass es richtige Männer waren und nicht solche Kindsköpfe, wie Annas Freunde.

Als die Männer das Lokal betraten, erhob sich Lore von ihrem Platz und trat an eine der Maschinen heran. Chrom blitzte in der Sonne. Einmal umrundete sie das Motorrad. Zu gern wäre sie damit auch mal mitgefahren, sie traute sich aber nicht, danach zu fragen, denn die beiden Männer würden sich sicherlich nicht mit einem kleine Mädchen abgeben wollen. Träumend stand sie vor dem Motorrad und merkte dabei nicht, dass sich der Parkplatz in der Sonne ganz schön aufgeheizt hatte. Flirrend stand die Hitze über dem Beton des kleinen Platzes und erst nach einer Weile spürte sie es unter ihren Fußsohlen.

Hüpfend hatte sie kurz darauf den Platz daneben erreicht und stand nun im Gras. Einer der beiden Männer schien sie dafür auszulachen. Schmollend blickte sie zu ihm hinüber, steckte ihm schließlich, wenig damenhaft, die Zunge heraus und wendete sich dann dem Badestrand wieder zu. Schlendernd lief sie, nun im Gras, zur Insel zurück. Das Eis fand seinen Weg in ihren Magen und wenig später lag sie wieder auf ihrer Decke am Ufer, aber Anna war verschwunden.

Es dauerte sicher noch eine halbe Stunde, bis die Freundin wieder auftauchte, vermutlich war sie im Wald austreten gewesen, und kurz danach kam auch einer ihrer Freunde aus derselben Richtung. Knatternd fuhren die Motorräder wieder fort und Lore sah ihnen wehmütig nach. Nun träumte sie vom Motorrad fahren und dem Wind im Haar.

2. Kapitel

Auf schmaler Spur

Es war Ende Mai des Jahres 1940. Karl drehte am Lenkrad des Lastkraftwagens und folgte der Kurve. Links und rechts des Weges befanden sich goldgelbe Getreidefelder, die eigentlich abgeerntet werden sollten, doch die Männer waren sicher im Krieg. Langsam tuckerte der Sanitätswagen den Feldweg entlang. Sein Freund Siegfried saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und hatte noch nicht mal eine Jacke an. Seit mehr als einem Monat waren sie zwar im Krieg, aber bisher hatten sie noch nicht einen Schuss gehört. Wenn sie schon mal einen französischen oder britischen Soldat sahen, dann mit erhobene Händen auf dem Weg nach hinten, in die Gefangenschaft. Vor ihnen walzten die schweren Panzer Typ IV auf dem Weg entlang, aber höchstens der erste von ihnen schoss von Zeit zu Zeit mal auf irgendwas. Meist auf einen französischen Panzer, welcher aus Mangel an Sprit einfach stehen gebliebenen war.

Das meiste erledigten die Flieger, die immer wieder über ihren Köpfen kreisten und weit vorn Bomben auf die Dörfer warfen, an denen die Panzer danach ungestört vorüberfuhren. Karl war Unteroffizier und Sanitäter. Mit Siegfried, dem Sanitätsgefreiten, der im Unterheld neben ihm im Sitz lümmelte, verband ihn einen Freundschaft von mehr als zwanzig Jahre und sie verstanden sich fast blind. Früher hatten sie oft Motorradausflüge gemacht und nun wartete seine Maschine zu Hause in der Garage, dass er bald wieder zurück sein würde.

Das Ganze war fast wie ein Ausflug für die zwei Männer, denn so lange nichts passierte, waren sie hier eigentlich völlig nutzlos. Manchmal mussten sie einem der Gefangenen einen Verband anlegen, dann hielt sie einer der Begleitsoldaten mit einem Handzeichen an und sie kümmerten sich schnell um den Mann.

Den eigenen Leuten mussten sie höchstens mal was gegen Durchfall geben, das war es dann aber auch schon. Alles lief so ganz ohne Gegenwehr ab. Wieder hielt einer der Soldaten vor ihnen die Hand hoch. Karl bremste und fragte durch das offene Fenster, was los war. Ein Gefreiter zeigte auf einen am Boden sitzenden Soldaten. Karl stieg aus und zog die Verbandstasche hinter sich her. Er sah in die vor Schreck geweiteten Augen eines jungen französischen Soldaten, vermutlich war er noch keine 19 Jahre alt.

Der Junge hatte einen Schuss in die Schulter bekommen und blutete stark. „Siegfried“, rief Karl und sein Freund stieg, ohne die Jacke anzuziehen, gemächlich aus dem Wagen aus. Der Freund sprach etwas Französisch und konnte den Jungen damit beruhigen, während Karl ihn verband.

Diese Sprachkenntnisse konnte Siegfried besonders in den kleinen Dörfern an der Marschstraße anwenden. Manchen Abend verschwand er für ein oder zwei Stunden, denn die französischen Männer waren ja teilweise schon ein viertel Jahr eingezogen und so hatte er bei den Frauen mitunter Glück. Nach ein paar Minuten setzten sie ihren Weg fort. Der KrKW, wie der Krankenwagen bei ihnen hieß, nach Norden und der Junge nach Süden.

Immer weiter wälzte sich die Blechkolone durch das fremde Land und schon bald würden sie sicherlich an der Küste stehen. Die Panzer vor ihnen kamen viel besser auf diesem Weg zurecht oder machten diese Trasse für den KrKW nur noch schwieriger, denn wo die Panzerketten den Boden aufgewühlt hatten, da konnten die Räder nicht mehr wirklich gut greifen. Zusätzlich hielt Karl einen möglichst großen Abstand zu den Kettenfahrzeugen, um den Staub nicht einzuatmen, den die schweren Panzer vor ihm aufwirbelten.

Stunden später endete wieder ein Marschtag und diesmal bezogen sie in einer kleinen Stadt ihr Quartier. Das Lazarett hatte in einem Krankenhaus Station gemacht und dort parkte auch Karl den schweren LKW. Mitten auf dem Platz davor, so, dass man das große rote Kreuz auf weißem Grund von überall gut erkennen konnte. Er klappte die Tür am Heck auf und setzte sich auf die Leiter.

Versonnen blickte er in die rote Abenddämmerung. Normalerweise kamen abends immer ein paar Einwohner mit Wehwehchen oder Verletzungen zu ihnen und denen half er, da er ja sonst nichts zu tun hatte. Der Mann lehnte mit dem Rücken an der Tür und es dauerte auch, wie erwartet, gar nicht lange, bis eine junge Frau mit ihrem kleinen Kind im Arm vor der Luke stand. Karl war zwar kein Arzt, aber das meiste konnte er schon selber behandeln.

Diesmal ging es nur um den Husten des Kindes und den konnte er mit einer Flasche Hustensaft schnell erledigen. Er hielt die Flasche der Frau hin, Siegfried übersetzte und Karl sah in dem Strahlen der Augen der Frau, das sie glücklich war mit seiner Hilfe. Sie war recht hübsch und gefiel Karl ganz gut, aber mit Frauen hatte er, im Gegensatz zu seinem Freund, nicht viel Erfahrung.

Seine Gedanken flogen zurück. Immer wenn sie zu Hause eine Tour gemacht hatten, so hatten die Frauen immer ganz sehnsüchtig auf die Motorräder geschaut, aber beim Schauen war es meist geblieben. Er war nun schon über vierzig, aber Erfahrung mit Frauen hatte er fast keine. Oder besser gesagt, gar keine. Sein Blick lag immer noch im Gesicht der jungen Frau. Sie redete mit seinem Freund, zeigte hinter sich, nickte dankbar und verschwand. „Sie hat noch eine Schwester“, erklärte Siegfried mit einem Augenzwinkern zu Karl und kletterte in den Wagen hinein. Dort kramte er lautstark in einer Kiste.

Nach einer ganzen Weile kam der Freund mit drei Tafeln Schokolade und einer Flasche Rotwein wieder hervor. „Kommst du mit?“, fragte er und erwartete wie immer eine Absage von Karl, doch diesmal wollte er mit. Verwundert verschloss Siegfried den Wagen und sie liefen zu zweit über den Platz zu dem Haus, dass die Frau ihnen gezeigt hatte. Da die Klingel nicht funktionierte, klopfte Siegfried an der Tür. Eine Frau machte auf, die sich vermutlich gerade die Haare gemacht hatte, denn zu perfekt saß die Frisur zu dieser späten Stunde.

Hinter ihr, im halbdunklen Flur, stand die andere Frau, die kurz zuvor an ihrem Wagen gewesen war. Siegfried sagte etwas und schon einen Augenblick später saßen sie in der Stube an einem Tisch. Die Schokolade wechselte den Besitzer und Siegfried öffnete die mitgebrachte Flasche. Edith, so hatte sich die Frau gerade vorgestellt, holte vier Gläser und schaute noch einmal kurz bei ihrem, nun sicher schon schlafenden, Kind vorbei. Offensichtlich hatte der Saft bereits geholfen. Glücklich strahlte die Frau ihn an, als sie den Raum einen Moment später wieder betrat.

Sie stießen mit dem Wein an und bereits nach einem halben Glas verschwanden Siegfried und die Freundin von Edith in ein anderes Zimmer. Nicht einmal zwei Minuten später war deutlich zu hören, was die beiden da gerade taten. Nun saßen sich Karl und Edith am Tisch gegenüber. Keiner konnte die Sprache des jeweils anderen, und so konnten sie sich nicht verständigen.

Karl blickte in ihr Gesicht und noch einmal stießen sie an. Der Wein war wirklich gut, doch durch das rhythmische und unüberhörbare Klopfen an der Wand begannen Karls Ohren zu leuchten. Er konnte es spüren und es war ihm peinlich. Edith saß ihm gegenüber und im Lichte der Kerze leuchteten ihre Augen. Da lag so eine Sehnsucht nach Geborgenheit darin und Karl konnte Edith nicht mehr in die Augen sehen, daher senkte er seinen Blick und sah auf das Glas in seiner Hand.

Immer lauter wurde das Geräusch! Sollte er schnell wieder gehen? Aber Karl konnte sich nicht dazu durchringen, zu gehen. Schließlich war es die Frau, welche die Initiative ergriff. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und zog Karl einfach am Arm hinter sich her.

Wenig später lagen sie in Unterwäsche in ihrem Bett, doch Karl musste sich wohl so ungeschickt dabei angestellt haben, dass Edith aus dem Lachen fast nicht heraus kam. Dabei flüsterte sie ihm auch noch irgendwas in Französisch in sein Ohr, was er eben nicht verstand.

Endlich hatte er verstanden, was sie von ihm wollte und dann war es auch noch viel zu schnell zu Ende. Wie ein begossener Pudel lief er eine halbe Stunde später neben seinem zufrieden pfeifenden Freund Siegfried wieder zurück zum KrKW.

3. Kapitel

Versteckte Blicke

Gerade erst war Lore neunzehn Jahre alt geworden und nun würde sie, so wie es ihre Mutter vorgesehen hatte, in ein Geschäft gehen, um dort ihr Aufwartejahr zu machen. Mit was sie sich dort beschäftigen würde, das war ihr nicht klar, aber ihre Schwester Hildegard hatte das auch schon im letzten Jahr hinter sich gebracht. Zwar war diese in einem anderen Geschäft gewesen, aber die Arbeiten wären sicher gleich. Kinder betreuen, sauber machen und der Hausherrin zur Hand gehen.

Der Weg vom Hause der Eltern bis zu dem Geschäft war auch gar nicht weit. Schon oft war Lore über den Markt gegangen, meist, um mit der Mutter Obst und Gemüse zu kaufen, aber den Laden hatte sie noch nie bemerkt. Vielleicht auch deshalb, weil es dort nicht wirklich etwas für sie gab. Lieber hätte sie in dem Geschäft gearbeitet, in dem Hildegard gewesen war, dort hatte sie die Schwester auch ein paar Mal besucht, aber irgendwie ging das wohl nicht. Vor dem Haus stand ein schickes schwarzes Auto. Der Hausherr musste ganz schön reich sein, wenn er sich so ein schönes Fahrzeug leisten konnte.

Mit ihrem kleinen Koffer in der Hand klopfte sie an der Tür des Hauses. „Herrenschneiderei“ stand in großen Buchstaben über dem Geschäft und in der Auslage, an der sie gerade vorbei gekommen war, hingen Anzüge in sehr guter Qualität. Vielleicht würde sie ja hier auch noch besser nähen lernen. Momentan reichte es noch nicht so weit mit ihrer Kunst. Am liebsten würde sie zwar Kleider nähen können, aber mit irgendwas musste sie ja anfangen.

Die Tür öffnete sich und eine ältere Frau mit grauen Haaren blickte sie fragend an. Lore machte einen Knicks und die Frau sagte „Du bist also die Lore?“ Lore bestätigte dies, danach machte die ältere Frau eine einladende Handbewegung und schloss die Tür, nachdem die junge Frau eingetreten war. In den nächsten zwei Stunden zeigte die grauhaarige Frau ihr das ganze Haus.

In einem der Räume, der nach hinten zu lag, saß eine junge Frau an einem Tisch und nähte an einer Anzughose. Diese Frau war etwa fünfundzwanzig Jahre alt und sah müde aus. Die blonden und anscheinend langen Haare hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden. Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie Lore sah. „Das ist Susanne, unsere Schneiderin“, sagte die alte Frau und Lore nickte.

Das Haus war so aufgeteilt, dass sich das Geschäft im Erdgeschoss befand, die Herrschaften im ersten Geschoss wohnten und sie würde dann im Dachgeschoss leben, wo sicher auch Susanne ihr Zimmer haben würde, falls diese nicht täglich von zu Hause auf Arbeit kam. Über eine enge Wendeltreppe ging es schließlich bis ganz nach oben.