Magischer Moronthor: Drei Fantasy Romane - Art Norman - E-Book

Magischer Moronthor: Drei Fantasy Romane E-Book

Art Norman

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Art Norman Der Dämonen-Schneider Shengs Racheschwur Als die Pflanzen Rache nahmen Der Mann, der schwungvoll durch die Ladentür trat, war ein Dämon. Der Inhaber des Geschäftes wußte das, aber es störte ihn nicht. Viele seiner Kunden besaßen schwarzes Blut. Er selbst auch… Seine kleine Modeboutique mit dazugehöriger Schneiderei war ein Geheimtip unter den Angehörigen der Schwarzen Familie. Der Besitzer fertigte Kleidung ganz besonderer Art an. Sie war magisch behandelt und besaß zuweilen recht interessante Eigenschaften. Der Dämon, der einen bestellten Anzug abholte und wie jeder normale Mensch bezahlte, um nicht aufzufallen, hatte für den Schneider einen Tip.

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Art Norman

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Inhaltsverzeichnis

Magischer Moronthor: Drei Fantasy Romane

​Copyright

​Der Dämonen-Schneider

​Shengs Racheschwur

Als die Pflanze Rache nahmen

Magischer Moronthor: Drei Fantasy Romane

Art Norman

Dieser Band enthält folgende Romane

von Art Norman

Der Dämonen-Schneider

Shengs Racheschwur

Als die Pflanzen Rache nahmen

Der Mann, der schwungvoll durch die Ladentür trat, war ein Dämon. Der Inhaber des Geschäftes wußte das, aber es störte ihn nicht. Viele seiner Kunden besaßen schwarzes Blut.

Er selbst auch…
Seine kleine Modeboutique mit dazugehöriger Schneiderei war ein Geheimtip unter den Angehörigen der Schwarzen Familie. Der Besitzer fertigte Kleidung ganz besonderer Art an. Sie war magisch behandelt und besaß zuweilen recht interessante Eigenschaften.
Der Dämon, der einen bestellten Anzug abholte und wie jeder normale Mensch bezahlte, um nicht aufzufallen, hatte für den Schneider einen Tip.

​Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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​Der Dämonen-Schneider

Art Norman

Der Mann, der schwungvoll durch die Ladentür trat, war ein Dämon. Der Inhaber des Geschäftes wußte das, aber es störte ihn nicht. Viele seiner Kunden besaßen schwarzes Blut.
Er selbst auch…
Seine kleine Modeboutique mit dazugehöriger Schneiderei war ein Geheimtip unter den Angehörigen der Schwarzen Familie. Der Besitzer fertigte Kleidung ganz besonderer Art an. Sie war magisch behandelt und besaß zuweilen recht interessante Eigenschaften.
Der Dämon, der einen bestellten Anzug abholte und wie jeder normale Mensch bezahlte, um nicht aufzufallen, hatte für den Schneider einen Tip.
***
»Sei auf der Hut«, sagte er. »Wir wollen dich nicht verlieren, weil wir deiner Dienste noch lange bedürfen… sei vorsichtig. Gefahr droht. Professor Moronthor ist in der Stadt!«
Damit glaubte er alles gesagt zu haben. Grußlos verließ er den Laden. Nachdenklich sah der Schneider ihm nach.
Professor Moronthor, der Dämonenjäger! Da war wirklich höchste Wachsamkeit geboten…
***
»Ich habe«, stellte Nicandra fest und machte damit das Problem des Jahres deutlich, »nichts anzuziehen.«
Professor Moronthor lehnte sich weit im bequemen Sessel zurück, schlug das rechte Bein lässig über das linke und betrachtete seine Lebensgefährtin, Partnerin, Sekretärin und Zusatzgedächtnis wohlgefällig.
»Das ist äußerst erfreulich«, sagte er.
»Gar nicht erfreulich«, protestierte Nicandra Darrell, hübsch, schlank, langbeinig, aufregend, zur Zeit rothaarig und nur mit ihrer Schönheit und ihrem ausgeprägten Selbstbewußtsein bekleidet. »Ich kann doch nicht den ganzen Tag nackt draußen herumlaufen.«
»Warum eigentlich nicht?« fragte Moronthor. »Du würdest etwa fünfzig Prozent der hier ansässigen Menschen damit eine Freude machen.«
»Grrr«, machte Nicandra.
Vor ihr auf dem breiten. Hoteldoppelbett lag der Inhalt von insgesamt drei Koffern verstreut. Kleider, Blusen, Röcke, Hosen, Shirts, Schuhwerk, diverse Reizwäsche…
Nicandra schüttelte den Kopf. »Das kann man wirklich nicht anziehen«, sagte sie energisch. »Wirklich nicht. Moronthor, Liebling«, flötete sie mit Unschuldmiene.
Der Parapsychologe wußte, was kam. Denn sehr zu seinem Leidwesen entschloß sich Nicandra tatsächlich nicht dazu, nackt zu bleiben. Ganz im Gegenteil.
Sie kam zu ihm, schmiegte sich mit in den Ledersessel und kraulte sein Kinn. »Wenn du nachher deinen Vortrag hältst, könnte ich doch die Zeit nutzen und ein wenig einkaufen…«
Moronthor seufzte. Genau das war es: einkaufen. Wenn die Länderpacht von Château Aranaque im schönen Loire-Tal sowie eine Reihe von Aktienpaketen nicht so viel Geld abwerfen würden, wären ihre kostspieligen Reisen und Aktionen gegen die Mächte der Finsternis längst an Geldmängeln gescheitert. Denn nur von den Beträgen, die Moronthor für seine Gastvorlesungen an den Universitäten erhielt, konnte Nicandras Einkaufsfimmel kaum ausgeglichen werden.
Aber trotzdem oder gerade deshalb liebte er sie doch so.
Er nutzte die Gelegenheit und küßte sie ausgiebig, bis sie atemlos wieder aufsprang. »Stop, Moronthor«, entschied sie. »Wenn wir weitermachen, kommst du nicht zu deiner Vorlesung und ich nicht zum Einkäufen…«
»Letzteres wäre wirklich ein Grund, weiterzumachen«, erkannte Moronthor, sprang auf und sauste hinter Nicandra her. Aufjauchzend ergriff sie vor ihm die Flucht, suchte hinter einem Tisch Deckung, den Moronthor entschlossen beiseite räumte, und rannte in Richtung Tür, »Weglaufen hilft nicht«, rief Moronthor und setzte ihr nach. Nicandra wollte sich aber noch lange nicht ergeben, probierte »Trick siebzehn« aus und verschwand durch die Tür, die sie Moronthor vor der Nase zuzog, um sich dann gegen die Klinke zu stemmen.
»Warte, ich kriege dich«, drohte Moronthor von drinnen.
Schepperndes Klirren und ein spitzer Aufschrei kamen von draußen.
Nicandra fuhr erschrocken herum und ließ die Tür zu. Moronthor fegte nach draußen und prallte mit ihr zusammen.
»Ach du blaues Einhorn«, entfuhr es Nicandra.
Im Eifer des Gefechtes hatte sie total übersehen, daß sie sich nicht daheim im Château Aranaque befanden, sondern in einem geradezu stinkvornehmen Hotel in San Francisco. Und die perlenkettenüberwucherte ältere Lady, die gerade die Treppe heraufkam, verkraftete naturgemäß den eigentlich reizenden Anblick eines rothaarigen Nackedeis nicht. Aufschreiend geruhte Mylady in Ohnmacht zu fallen, nicht ohne sich zu vergewissern, daß rein zufällig ein Zimmerkellner in Griffnähe war, der sie auffangen konnte. Daß der dabei ein Tablett mit Gläsern und Flaschen fallen lassen mußte, interessierte die Dame dabei nicht. Tablett, Scherben und mehr oder weniger alkoholische Flüssigkeiten bewegten sich nun auf getrennten Wegen die breite Treppe hinunter und verursachten einen ungebührlichen Lärm in den heiligen Hallen.
Moronthor betrachtete die Szene.
»Hilfe«, stammelte der Zimmerkellner entsetzt, der auch nicht so genau wußte, was er mit den zwei Zentnern Ohnmacht in seinen Armen anfangen sollte. Er sah Moronthor blaß an. »Sir, bitte… könnten Sie vielleicht…«
»Wie Sie sehen«, schmunzelte Moronthor und deutete auf Nicandra, »habe ich zu tun. Aber wenn Sie das Gewicht nicht mehr aushalten, könnten Sie die Dame vielleicht auf den Teppich legen - aber vorsichtig, von wegen der Quetschfalten.«
Die ältere Lady holte auf jaulend Luft. So ohnmächtig war sie nun auch wieder nicht! Entschlossen kämpfte sie sich frei und stampfte auf. »Unfaßbar!« keifte sie. »Muß ich mir so eine Frechheit bieten lassen? Sie - Sie - Sie Ungeheuer! Mein Schirm! Wo ist mein Regenschirm? Ich will sofort meinen Regenschirm haben!«
»Bitte, äh… Madam… wofür? Draußen scheiht die Sonne«, brachte der Zimmerkellner zögernd hervor.
»Schweigen Sie!« fuhr die Lady ihn an. »Ich will ihn diesem - diesem Flegel über den Kopf schlagen!« Zeternd stampfte sie auf Moronthor und Nicandra zu. Nicandra bedachte sie mit giftigen Blicken. »Bedecken Sie sich! Dies ist ein anständiges Haus!«
»Richtig«, erwiderte Nicandra lächelnd. »Und deshalb ist auch alles, was hier geschieht, anständig. Nicht wahr? Ein phantastisches Kleid haben Sie da, es gefällt mir. Wo lassen Sie arbeiten, wenn man fragen darf?«
Schlagartig verrauchte der Zorn der streitbaren Dame. Hoheitsvoll ließ sie sich über die Kunstfertigkeiten der Schneidermeister von heute aus, erwähnte diverse Adressen, die über den ganzen Erdball verstreut lagen, und engte den Bereich schließlich auf ihren Haus- und Hofschneider ein. Sprachlos hörte Moronthor zu. Verstehe einer die Frauen, dachte er. Da stehen eine dicke Dame und ein nacktes Prachtgirl auf dem Hotelflur und unterhalten sich über Modeprobleme!
Der Zimmerkellner war nicht minder fassungslos.
Moronthor drückte ihm einen Zehn-Dollar-Schein in die Hand. »Vergessen Sie’s«, sagte er, »und lassen Sie die Treppe säubern und entsplittern. Falls Nicandra nämlich auf die Idee kommen sollte, jetzt so nach unten zu gehen…«
Da endlich entschloß sich Nicandra, wieder in die Abgeschiedenheit des Hotelzimmers zurückzukehren.
Freundlich lächelnd und winkend verabschiedeten sich die beiden so ungleichen Geschlechtsgenossinnen voneinander. Die Lady hatte dennoch nur einen vernichtenden Blick für Moronthor übrig.
»Trotz Ihrer reizenden Gattin sind Sie ein Flegel, Mister«, fauchte sie ihn an und betonte das »Mister« besonders abfällig.
»Sie irren«, sagte Moronthor schon in der Tür. »Parapsychologe, wenn Sie gestatten, nicht Flegel. Professor Moronthor. Empfehlen Sie mich bitte weiter.«
»Ein akademischer Flegel, auch das noch!« ächzte Mylady. »Nein, die Jugend von heute…«
Moronthor folgte Nicandra ins Zimmer. Nicandra warf sich in den Sessel und begann zu lachen. »Ich werde verrückt«, sagte sie. »So etwas… Himmel, die Frau muß in den Zirkus. Die Vorstellung war bühnenreif! Gibst du mir einen Orangensaft?«
Moronthor öffnete die in die Wand eingebaute Kühlbox und schenkte ein. »Aber mit diesem Auftritt wäre bewiesen«, sagte er, »daß du eigentlich wirklich nichts anzuziehen brauchst…«
Nicandra nippte an dem Getränk.
»Geizkragen«, verkündete sie. »Du hast ja nur Angst, daß ich ein bißchen Geld investiere. Die Wirtschaft muß angekurbelt werden.«
»Du mußt patriotisch denken«, versuchte Moronthor es ein letztes Mal. »Als Französin solltest du nicht die amerikanische, sondern die französische Wirtschaft ankurbeln. Warte mit dem Einkauf, bis wir wieder in Frankreich sind«, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: Bis dahin fällt mir vielleicht ein weiteres Ablenkungsmanöver ein… Nicandra schüttelte den Kopf.
»Nichts da. Ich durchschaue dich. Du gönnst mir wieder mal gar nichts. Trotzdem solltest du dich allmählich fertigmachen. In einer Stunde beginnt dein Vortrag.«
»Ich«, sagte Moronthor. »Sicher. Ich muß mich fertig machen. Wer sonst?« Er sah an sich herunter. Weißer Anzug, rotes Hemd, Seidenschleife. Wenn hier jemand ausgehfertig bekleidet war, dann war doch wohl er es.
Nicandra erhob sich wieder und begann in den auf dem Bett verteilten Sachen zu wühlen. Schließlich entschied sie sich für eine durchscheinende Spitzenbluse, weiße Jeans, die so eng waren, daß sie fast einen Schuhanzieher dafür benötigte, ebenfalls weiße Cowboystiefel und einen breitrandigen Hut. Unternehmungslustig klatschte sie in die Hände.
»Wir können, Chef.«
Nichts anzuziehen, dachte Moronthor resignierend und genoß ihren aufreizenden Anblick. Das nennt sie nichts anzuziehen… aber versteh’ einer die Frauen!
Er verdrängte die dummen Gedanken, die sich in ihm ausbreiten wollten, und konzentrierte sich auf die bevorstehende Arbeit. »Weck schon mal Bill, das alte Faultier, und dann sehen wir zu, daß wir zur Uni kommen…«
***
Der Mann sah nicht wie ein Dämon aus. Das war seine Stärke. Er glich einem eleganten Manager eines Industriekonzerns, etwa Mitte der dreißig, dunkelhaarig und hoch gewachsen.
Moronthor, dachte er. Moronthor ist in der Stadt. Unser größter Gegner! Der Mann, dem wir unsere schlimmsten Verluste verdanken…
Er überlegte. Es mußte eine Möglichkeit geben, Moronthor zu vernichten oder wenigstens zu schwächen. Aber dabei mußte man sehr vorsichtig zu Werke gehen. Moronthor war gefährlich.
Er war superstark und clever und würde sich nicht so leicht hereinlegen lassen. Der Dämon, der sich Rod Kidney nannte, wußte, wie viele seiner Artgenossen schon an Moronthor gescheitert waren. Sie hatten geglaubt, spielend leicht mit ihm fertig zu werden.
Und der Parapsychologe hatte sie alle irgendwie hereingelegt.
Rod Kidney wußte, daß Moronthor über eine sehr starke Waffe verfügte: das Amulett des Leonardo de Aranaque. Dieses Amulett mußte zunächst entfernt werden. Das würde nicht einfach sein, denn Moronthor pflegte es stets an seinem Körper zu tragen.
Man mußte es ihm gewaltsam entwenden…
Ein Überfall! Das war es. Ein paar Kriminelle mußten Moronthor überfallen und ihn berauben. So mußte es gehen. War das Amulett erst einmal aus dem Spiel, dann konnte Kidney sich daran machen, mit Moronthor abzurechnen. Natürlich stellte er sich auch das nicht leicht vor, denn Moronthor war mit allen Wassern gewaschen und besaß auch so noch eine Menge an magischem Wissen und Tricks. Ansonsten hätte er sich nicht so lange gegen die Schwarze Familie halten können.
Mit ein bißchen Glück, überlegte Rod Kidney, müßte das aber zu ändern sein. »Satan, steh mir bei«, murmelte er. »Dann will ich diesem Moronthor an den Kragen gehen…«
Daran, daß er vor ein paar Stunden dem Schneider eine Warnung zuflüsterte, dachte er schon gar nicht mehr. Er hielt es auch nicht für bedeutsam.
Es gab Wichtigeres zu bedenken.
***
Der weiße Cadillac schwebte durch die Straßen von San Francisco. Natürlich war Nicandra dafür verantwortlich, daß sie den größten und teuersten der verfügbaren Mietwagen genommen hatten. Seit sie vor ein paar Monaten ein Heckflossen-Cabriolet aus den endfünfziger Jahren gekauft hatte, schwärmte sie für Cadillac. Und so waren sie jetzt in einem solchen Gefährt unterwegs zur Hochschule.
Bill Relokin fiel in all dem Weiß -Auto, Moronthor, Nicandra - auf wie ein Papagei am Nordpol. In kurzärmeligem, knallbunten Hemd und ausgewaschenen Jeans saß er am Lenkrad des großen Wagens. Der blonde Historiker aus New York begleitete Moronthor und Nicandra aus Freundschaft bei Moronthors Vortragsreisen durch die Vereinigten Staaten. Oft genug hatten sie schon gemeinsam Kämpfe ausgestanden, und der letzte lag noch gar nicht lange zurück. Bill war nur zufällig dazu gekommen; er hatte gerade eine längere Auslandsreise hinter sich. Moronthor wurde in die graue Vorzeit der Erde verschlagen, und Bill und ein paar Freunde versuchten, ihn zurück in die Gegenwart zu holen.
Mit Erfolg, wie man sah.
San Francisco war nun die letzte Etappe auf Moronthors Vortragsreise. Bill, der noch ein paar freie Tage zur Verfügung hatte, versuchte die beiden Gefährten zu einem kurzen Urlaub an Kaliforniens weißen Stränden zu überreden.
Schließlich lenkte er den Wagen auf das Hochschulgelände. Die beiden Männer stiegen aus. Bill wollte sich zwischen die Studenten mischen. »Mal sehen, was du so zu sagen hast«, nickte er Moronthor zu. »Die anderen Vorlesungen habe ich ja geschwänzt, um Nicandra Gesellschaft zu bieten, aber sie kann ja dieses eine Mal auch allein auskommen, nicht wahr?«
Nicandra nickte. »Wann soll ich euch abholen?« fragte sie und glitt hinter das Lenkrad des Wagens.
Moronthor zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie lange die Diskussion nach der Vorlesung dauern wird, wie üblich. Und vielleicht wird der Dekan auch noch mit mir fachsimpeln wollen… weißt du was? Wir bestellen uns ein Taxi, wenn wir hier fertig sind. Okay?«
»Okay«, flötete Nicandra. Moronthor beugte sich zu ihr hinab und küßte sie.
»Jetzt aber Tempo«, drängte Bill. »Wir sind schon spät dran und müssen auch noch dem Dekan einen Antrittsbesuch machen…«
Seufzend löste sich Moronthor von seiner Gefährtin. Nicandra fuhr an. Der weiße Cadillac entschwebte förmlich. Die beiden Männer sahen sich an, dann schritten sie auf das riesige Portal zu.
Nicandra steuerte die City an.
Die Würfel waren gefallen.
***
Der Dämon Rod Kidney saß den drei Männern gegenüber, die keinen vertrauenerweckenden Eindruck machten. Kidney wußte jedoch, daß sie ihn nicht enttäuschen würden. Sie konnten es nicht. Denn er würde sie überall auf der Welt wiederfinden, falls sie versuchten, ihn hereinzulegen oder einfach versagten.
»Dies ist der Mann«, sagte Rod Kidney und legte das große Foto auf die runde Tischplatte in der Gaststube. Niemand sah dem Foto an, daß es auf magischem Weg geprägt worden war. Nach Rod Kidneys Erinnerung war das Abbild Moronthors entstanden. Kidney selbst kannte Moronthor nicht, aber die exakte Beschreibung reichte ihm aus, und Professor Moronthor selbst wäre verblüfft gewesen über die Ähnlichkeit. Nur unwesentliche Kleinigkeiten stimmten nicht ganz, aber sie reichten nicht aus, den Mann verwechseln zu können.
»Und?«, fragte Mills, der Wortführer der drei. Reggin und Stakowsky lauschten nur.
Kidney beschrieb Moronthors Amulett. »Wahrscheinlich trägt er diesen Gegenstand an einer Halskette vor der Brust. Ich brauche diese Silberscheibe, koste es, was es wolle. Nehmt sie ihm ab, prügelt ihn durch.«
Mills’ Gesicht blieb ausdruckslos. »Kleinigkeit, Boß. Was, wenn wir nicht verhindern können, daß er draufgeht?«
Der Dämon grinste.
»Ich nehme zwar nicht an, daß ihr das schafft - aber traurig wäre ich auch nicht darüber. Haben wir uns verstanden?«
»Noch nicht ganz«, sagte Mills und hielt die Hand auf. Einen Preis nannte er nicht. Er setzte voraus, daß Kidney Bescheid wußte.
Kidney griff in die Tasche. Durch dämonische Magie entstanden gerade in diesem Moment dort einige Geldscheine. Sie würden genau vierundzwanzig Stunden existieren und dann einfach zerfallen. Dann aber sollten die drei Burschen kommen und Ersatz fordern!
Kidney lächelte. Er zählte jedem der drei Männer zwei Tausender in die Hand. »Das wird reichen«, sagte er. »Heute abend, bis Mitternacht, erhalte ich von einem von euch dreien Besuch.«
Mills nickte.
»Noch etwas, was wir wissen müßten, Boß?«
Als Kidney den Kopf schüttelte, erhoben sich die drei Männer wie Drillinge und verließen die Gaststätte. Kidney blieb mit der Rechnung zurück. Draußen summte der Motor eines schwarzen Buick auf.
Der Dämon war zufrieden. Professor Moronthor würde mit allem rechnen -nicht aber mit einem ganz stinknormalen Raubüberfall. Kidney wußte, daß er mit diesem Vorgehen gegen den dämonischen Kodex verstieß, magische Gegner nur mit Hilfe der Magie anzugreifen, aber wenn er Erfolg hatte, würde man ihm dies nachsehen. Wichtig war, daß Moronthor wenigstens geschwächt wurde.
Spätestens um Mitternacht wußte Kidney mehr…
***
Nicandra Darrell brauchte nicht sonderlich weit zu fahren. Sie ließ den Cadillac dicht am Straßenrand langsam dahingleiten, und dabei spähte sie nach den Geschäften, die für sie von Interesse waren.
Anfangs gab es nur Privathäuser. Dann aber, als sie dem Stadtzentrum ganz allmählich näher kam, tauchten die ersten kleineren Läden auf. Hier gab es alles mögliche und unmögliche zu kaufen, und plötzlich sah Nicandra das Hinweisschild auf eine kleine Modeboutique.
Normalerweise war sie äußerst wählerisch und ließ so manchen Laden links liegen, wenn schon der äußere Eindruck ihr nicht behagte. Hier aber verriet ihr eine innere Stimme, daß sie richtig war.
Sie glaubte nebenbei auch noch das kleine Schild gesehen zu haben, das auf eine »eigene Schneiderei« hinwies. Das war dann natürlich etwas ganz besonders Feines. Hier ließen sich exklusive Modelle erstehen.
Sie hielt nach einer Parkmöglichkeit Ausschau. Aber da war nichts. Der Straßenrand war von anderen Fahrzeugen bereits gespickt, und ein Streifenpolizist äugte bereits mißtrauisch herüber; wahrscheinlich wartete er nur darauf, seiner Beförderung durch einen weiteren Strafzettel wieder einen Schritt näher zu kommen. Nicandra lächelte. Sie konnte ja ein Stück zurückgehen, wenn sie nicht hier direkt einen Parkplatz fand.
Endlich tauchte ein Hinweisschild auf. Ausnahmsweise kein Parkhaus, sondern eine große Abstellfläche, nicht einmal gebührenpflichtig. Nicandra lenkte den großen Straßenkreuzer auf die Fläche und parkte lässig quer über zwei Stellflächen ein.
»Breit sein ist alles«, murmelte sie, schaltete Klimaanlage und Motor ab und stieg aus. Sorgfältig schloß sie den Wagen ab. Man hörte in den letzten hundert Jahren so viel von Autodiebstählen überall auf der Welt…
Nicandra reckte sich im strahlenden kalifornischen Sonnenschein, rückte den Cowboyhut leicht zurecht und setzte sich in Bewegung. Der dunkelhäutige, breitschultrige Polizist, der vorhin sein Interesse dem weißen Cadillac widmete, zeigte sich jetzt an Nicandra selbst nicht weniger interessiert und nickte ihr freundlich zu.
Nicandra grüßte zurück und setzte ihren Weg fort. - Ein paar Menschen kamen ihr entgegen oder überholten sie, doch es hielt sich in Grenzen. Hier war nicht sonderlich viel los. Das große Gewühl ging erst ein Stück weiter stadteinwärts los.
Aber da konnte man mit dem Einkaufsbummel ja anschließend weitermachen.
Nach einer Weile erreichte Nicandra den kleinen Laden. Der Weg war doch weiter, als es vom Auto her aussah. Aber nun war sie da.
Rechts und links der kleinen Tür gab es Schaufenster. Sie waren phantasievoll dekoriert, mit künstlichen Pflanzen, Postern und Tierpräparaten. Dazwischen, dem jeweiligen Landschaftsteil angepaßt, standen die Puppen in Kleidern und Anzügen.
Sie sahen verblüffend lebensecht aus. Nicandra vertiefte sich in den Anblick. Sechs Puppen waren es, in jedem Fenster drei. Der sie geformt hatte, mußte ein genialer Künstler sein. Die Puppen befanden sich in erstarrter Bewegung. Es sah fast so aus, als lebten sie, als wären sie mitten in der Bewegung eingefroren.
Als hätte jemand die Zeit angehalten.
Die Kleidung, die sie trugen, war wunderschön. Der Schneider mußte nicht minder genial sein als der Puppenmacher. Nicandra war sicher, daß sie hier fündig wurde.
Entschlossen trat sie durch die Glastür. Ein Glöckchen bimmelte.
Der Laden war von anheimelndem, romantischen Licht erfüllt. Nicandra konnte allerdings keine Lampen erkennen. Sie lagen gut versteckt hinter Halbvorhängen und Regalen. Ein breiter Ladentisch prangte in der Mitte des Raumes, geziert von einer vorsintflutlichen Registrierkasse mit Handkurbel. Auch hier standen Blumen. An den Wänden wechselten sich Regale mit Kleiderständern ab. Die ausliegenden Stücke waren nicht zahlreich, waren aber sehr erlesen. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, standen am Fenster. Nicandra wollte sie schon ansprechen, als sie erkannte, daß es sich ebenfalls um Puppen handelte. Leise pfiff sie durch die Zähne und sah sich weiter um.
Hinter dem Ladentisch führte eine halb offene Tür in den hinteren Teil des Ladens. Wahrscheinlich wirkte dort der Meister selbst mit Nadel und Zwirn. Nicandra rief leise: »Hallo?«
»Ich komme ja schon«, krächzte jemand aus dem angrenzenden Raum. Asthmatisches Keuchen ertönte, und dann erschien ein altes, verhutzeltes Männchen mit Kahlkopf und Hornbrille. »Ein alter Mann ist kein Eilzug. Entschuldigen Sie, Miß. Womit kann ich Ihnen dienen?«
Er sah Nicandra prüfend an und lächelte. Ein seltsames Glitzern trat in seine Augen.
»Ah, warten Sie. Sagen Sie nichts«, rief er. »Ich zeige Ihnen etwas. Gerade vor ein paar Minuten fertig geworden. Es wird Ihnen gefallen. Ein Einzelstück. Warten Sie.« Er wieselte wieder zurück in die Schneiderei. Nicandra hörte ihn brabbeln und kramen, und dann tauchte er wieder auf. Er breitete ein Kleid auf dem Ladentisch aus.
»Gefällt es Ihnen?« fragte er.
Nicandra traten fast die Augen aus dem Kopf. Sie war sprachlos.
Natürlich gefiel es ihr!
Es war ein Meisterwerk und stellte alles in den Schatten, was sie bisher jemals gesehen hatte. Unfaßbar einfach und doch raffiniert geschnitten, aus einem fließendweichen, einschmeichelnden Stoff. Vorsichtig streckte Nicandra die Hand aus und strich leicht darüber. Der Stoff war warm, schien zu leben und sich ihr entgegenzustrecken. Sie kannte das Material nicht, hatte niemals etwas Ähnliches berührt.
»Was ist das?« fragte sie.
Das Glitzern in den Augen des Hutzelmännchens verstärkte sich. »Das ist mein Geheimnis«, krächzte der Schneider. »Ich fertige diesen Stoff selbst an. Schauen Sie.« Er nahm das ärmellose Kleid, das eine Schulter freiließ, und hielt es vor eine der beiden Puppen am Seitenfenster. »Was sagen Sie, Miß?«
»Ich bin überwältigt«, stellte Nicandra fest.
Sie wußte jetzt, daß sie es haben mußte, um jeden Preis. Und wenn es tausend Dollar kostete. Aber sie wagte in diesem Moment nicht nach dem Preis zu fragen, um die traumhafte Stimmung nicht zu stören.
Der Stoff glitzerte so eigentümlich wie die Augen des Schneiders. Doch die Ähnlichkeit fiel ihr nicht auf. Sie sah nur das Kleid und spürte unbändiges Verlangen, es auf der Haut zu tragen.
»Ich möchte es anprobieren«, bat sie.
»Bitte, Miß«, dienerte der Verhutzelte und deutete auf die Umkleidekabine, die durch eine schulterhohe Schwingtür betreten werden konnte. Vorsichtig, als könne sie es durch die Berührung beschädigen, nahm Nicandra das Kleid entgegen und betrat die Kabine.
Der Schneider sah ihr nach, und sie glaubte so etwas wie sehnsüchtiges Begehren nach ihrer Schönheit zu erkennen. Lächelnd stieg sie aus den Stiefeln, streifte die Bluse ab und legte sie über die Kante der hölzernen Pendeltür. Dann folgte die weiße Jeans, die so eng saß, daß der winzige Traum aus sündiger Spitze und schmalem Bändchen gleich mit ging. Kurz zögerte Nicandra, dann beschloß sie, der begehrlichen Phantasie des Schneiderleins Auftrieb zu schenken und präsentierte auch diese letzte Hülle seinem Blick. Sollte er auf zu dumme Gedanken kommen - nun, dann würde sie sich zu wehren wissen.
Langsam griff sie nach dem Kleid, genoß den weichen Stoff und streifte ihn über. Er umfloß ihren Körper und schmiegte sich eng an ihre bloße Haut. Es war ein traumhaftes Gefühl. Nicandra betrachtete sich im Spiegel. Das Kleid zeichnete die Konturen ihres Körpers hauteng nach, paßte sich förmlich an.
Ich muß es haben, dachte sie. Egal, was es kostet.
Sie trat wieder in den Laden und drehte sich einmal um sich selbst. »Na?« fragte sie.
»Großartig«, gestand das Hutzelmännchen. »Gerade, als hätte ich es eigens für Sie geschneidert, Miß. Es paßt wunderbar und steht Ihnen hervorragend. Sie sollten einen Karatekurs besuchen. Die Männer werden sich förmlich um Sie prügeln, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.«
»Oh, ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht sein«, wehrte Nicandra ab. »Es gefällt mir, und ich nehme es. Kann ich es direkt anbehalten?«
Der Gesichtsausdruck des Schneiders änderte sich.
Gerade noch zeigte er höfliches Lächeln, jetzt aber schien es Nicandra ein gräßliches, fratzenhaftes Grinsen zu sein. Er kicherte, und in seinen Augen glitzerte es bösartig.
»Es wird dir wohl nichts anderes übrigbleiben, als es direkt anzubehalten, Nicandra Darrell«, kreischte der Verhutzelte.
Nicandra erschrak. »Was soll das?« stieß sie hervor.
Sie sah, wie sich die Finger der rechten Hand des Mannes bewegten und eine seltsame Stellung einnahmen. Sie kannte sie.
Entsetzen sprang sie an wie ein wildes Tier.
Dämonen werk! Böser Zauber schlug zu!
Ahnungslos war sie in eine Falle gegangen!
Aber woher wußte der Schneider, wer sie war? Sie hatte ihn doch niemals zuvor gesehen!
Sie wollte herumwirbeln, den Laden verlassen. Sie spürte die Gefahr, die von allen Seiten auf sie zuraste und nach ihr griff, wollte noch flüchten.
Aber dazu war es schon zu spät.
Die Falle schlug zu!
***
»Na, wie war’s?« fragte Professor Moronthor. »Wie fühlt man sich, so unter einem Haufen Studenten?«
Bill Relokin kratzte sich hingebungsvoll im Genick. »Alt«, sagte er. »Sehr alt.«
Normalerweise stand er selbst, wenn er nicht gerade auf Forschungsreisen war, selbst in Hörsälen hinter dem Pult und hielt Vorlesungen und Seminare ab. Er besaß einen Lehrstuhl an der Harvard-Universität. Aber die meiste Zeit verbrachte er mit Forschungen - und damit, ähnlich wie Moronthor oder häufig mit diesem zusammen, dämonischen Erscheinungen nachzuspüren und sie zu bekämpfen.
Die letzten Studenten verließen den Hörsaal. Zu Moronthors Überraschung hatte es in der abschließenden Diskussion kaum Fragen gegeben. Doch das mochte daran liegen, daß es ein Freitagnachmittag war und jeder nur von dem Wunsch beseelt war, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
Der Dekan des Fachbereichs Psychologie, der an dem Vortrag ebenfalls teilgenommen hatte, schüttelte Moronthor die Hand und murmelte eine Einladung zum festlichen Abendessen. Moronthor war froh, daß sich die Unterhaltung nicht direkt an die Vorlesung anschloß. Er verabschiedete sich und strebte mit Bill Relokin dem Ausgang zu, nachdem der Dekan versichert hatte, ein Taxi herbeizuordern.
Dann warteten die beiden Freunde draußen in der Nähe der Haupteinfahrt.
»Sag mal«, brummte Bill. »Diese Weridar-Fragmente, die du so ganz nebenbei erwähntest - ich kenne mich ja ziemlich in der antiken Weltgeschichte aus, aber ein solcher Fund ist mir bislang noch nicht untergekommen.«
»Sie sind eigentlich auch nicht weltbewegend«, sagte Moronthor. »Ich weiß selbst nicht ganz genau, woher sie nun stammen und wer sie ausgrub. Die einzige Ausfertigung, die je entdeckt wurde, befindet sich allerdings in meiner Sammlung. Schwer zu über setzen. Ich selbst habe größte Schwier igkeiten damit, zumal es sich nun eben tatsächlich auch nur um Fragmente handelt.«
»Nicht weltbewegend?« knurrte Bill Relokin. »In unserem Metier ist alles weltbewegend.«
»Ich weiß«, sagte Moronthor. »Ich gehe aber vom Standpunkt anderer, unbeteiligter Leute aus…«
Ein Taxi tauchte auf und unterbrach die Unterhaltung.
»Paß auf«, sagte Bill plötzlich, während sie in dem gelben Chevy stadteinwärts fuhren. »Ich kenne mich ein wenig in diesem Bezirk aus. Direkt hier an der Ausfallstraße gibt es ein kleines, gemütliches Lokal. Ein Spezialdrink nach geheimen Rezepten… wenn wir schon mal hier sind, laß dich einladen… das Stöfflein ist einmalig, gibt’s nur hier und sonst nirgends auf der Welt…«
Bill schnalzte genießerisch mil der Zunge.
Moronthor kannte seinen Freund Der war alles andere als ein Alkoholiker, und wenn er von einem Getränk besonders schwärmte, dann mußte wirklich etwas dran sein.
»Okay. Da Nicandra ohnehin noch lange nicht mit ihrem Einkaufsbummel fertig sein wird…«
»Na, dann wollen wir mal«, sagte Bill. »Da hinten ist das Lokal schon. Eh, Mac… halten Sie bitte. Wir steigen aus.«
Beide ahnten nicht, in was sie damit hineinschlitterten…
***
Nicandra erstarrte mitten in der Bewegung. Sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Etwas explodierte in ihr!
Sie wollte aufschreien und konnte es nicht! Selbst ihre Stimmbänder waren gelähmt!
Feuer durchraste sie.
Feuer, das brannte und schmerzte. Feuer, das dem Gewebe des Kleides entströmte. Entfesselte schwarze Magie, durch die beschwörende Handbewegung des dämonischen Schneiders geweckt!
Blaue und rote Flammen schlugen aus den Gewebefasern hervor und umflossen Nicandra. Von einem Moment zum anderen wurde sie eine Fackel. Aber das Feuer zerstörte sie nicht!
Es schmerzte nur und lähmte sie!
Dann wich das Höllenfeuer. Die Flammen erloschen, aber dafür breitete sich jetzt Kälte in Nicandra aus. Sie entstand überall zugleich, floß aus den Adern hervor und durchströmte sie zur Gänze.
Kälte, die noch schlimmer war als das Feuer!
Und auch die letzte Möglichkeit, sich zu bewegen, wurde Nicandra genommen! Sie versteinerte, als habe sie in Medusas Antlitz geschaut.
Das war die dämonische Falle…
Da tauchte der Schneider vor ihr auf. Er grinste immer noch.
»Ja, meine liebe Nicandra Darrell«, kicherte er. »So einfach geht das, die Gefährtin des berüchtigten Dämonenjägers kaltzustellen…«
Woher kennt er mich? fragte sie sich erneut und stellte fest, daß auch ihre Gedanken viel langsamer abliefen als früher.
Der Schneider rieb sich die Hände.
»Ich erfuhr, daß Moronthor in der Stadt ist«, erklärte er ungefragt. »Und wo Moronthor ist, da ist Nicandra Darrell nicht fern! Na, ist das nicht ein schwerer Schlag für ihn, dich so zu verlieren? Und er wird nicht einmal ahnen, was mit dir geschah…«
Nicandra stöhnte innerlich, aber kein Laut wurde hörbar. Moronthor! Er wußte nicht, wo sie sich befand! Er würde zwar nach ihr suchen - aber San Francisco ist groß! Und wenn, würde er seine Nachforschungen in der Innenstadt beginnen, in den großen Einkaufszentren…
Sie hatte kaum eine Chance!
»Du ahnst es«, kicherte der Schneider. »Es ist das Kleid, das dich lähmt… ja, ich habe es eigens für dich angefertigt und gehofft, daß du den Weg zu mir findest… ja, du hast mich nicht enttäuscht. Von nun an wirst du mir nützlich sein. Ist das nicht herrlich? Die größte Feindin der Dämonen als unentrinnbare, nützliche Gefangene eines Dämons… gni-hihi…«
Nicandras Verwünschungen kreisten als träge Gedanken.
Der Dämon streckte die Hand aus. Seine Finger berührten Nicandras Gesicht. Sie spürte nichts. Ihre Tastsinne waren blockiert. Die Kälte überlagerte alles, aber irgendwie merkte sie, daß sich etwas veränderte. Der Dämon glättete ihre entsetzten, erstarrten Gesichtszüge, zauberte ein verlorenes Lächeln auf ihre Lippen. Und sie konnte sich nicht dagegen wehren!
Dann griff er zu.
Sie war zwar nicht sonderlich schwer, aber sie hätte es nicht für möglich gehalten, mit welcher Leichtigkeit das Hutzelmännchen sie anhob und von der Stelle trug. Plötzlich fand sie sich im Schaufenster wieder, wo sie unbeweglich stand und in die Feme schaute.
Schlagartig begriff sie.
Die Schaufensterpuppen waren nicht lebensecht gestaltet - sie lebten! Sie lebten auf die gleiche Weise wie auch Nicandra: zur Bewegungslosigkeit verdammt, versteinert! Sie waren Menschen wie sie.
Opfer des Dämons!
Aber was bezweckte er damit? Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er die Menschen aus reinem Sammlertrieb hier einfing, versteinerte und aufstellte. Es mußte mehr dahinterstecken.
Ich muß es herausfinden, dachte sie.
Aber ein anderer Gedanke wurde stärker: was nützt es mir? Was kann ich noch damit anfangen? Ich bin verloren wie die anderen…
Hinter ihr im Laden kicherte der Dämon, der Nicandras Kleidungsstücke aus der Kabine aufsammelte und davonschleppte.
Es gab keine Spuren des unheimlichen Ereignisses mehr…
***
Der dunkelhäutige Streifenpolizist setzte seinen Weg fort. Das rothaarige Mädchen in der aufregenden weißen Kleidung ging ihm nicht aus dem Sinn. Er träumte von ihr, und er träumte gern in einer Zeit, in der es kaum etwas zum Träumen gab.
Hatte sie nicht am Lenkrad des weißen Cadillacs gesessen?
Er ging weiter, sah nach hier und dort und sorgte allein durch seine breitschultrige, massige Erscheinung für Ruhe und Ordnung. Nach einer Weile erreichte er auch den freien Parkplatz.
Da sah er den Cadillac.
Er änderte seine Marschrichtung und schlenderte auf den großen Wagen zu. Kopfschüttelnd stellte er fest, daß das Fahrzeug zwei Stellflächen einnahm. Das mußte ja wirklich nicht sein, bei aller Schönheit der Fahrerin!
Aber Cal Lewis, der Polizist, war auch nur ein Mensch mit menschlichen Schwächen. Er brachte es nicht übers Herz, eine Verwarnung zu schreiben. Stattdessen rupfte er ein Blatt aus seinem Notizblock, malte ein paar Blümchen darauf und fügte einen lustigen Vierzeiler hinzu, in dem er die Fahrerin auf ihr gar schreckliches Parkvergehen aufmerksam machte.
Aber dann blieb er doch erst mal eine Weile am Wagen stehen. Vielleicht kam die rothaarige Schönheit ja schon bald zurück, und vielleicht ergab sich ein kleiner Wortwechsel und eine Bekanntschaft. An Selbstbewußtsein mangelte es Lewis nicht. Daß zwischen seinem kleinen Polizistengehalt und einer Cadillac-Fahrerin unüberbrückbare soziale Schranken standen, berührte ihn kaum.
Er wartete.
Aber die Fahrerin kam nicht zurück.
Schulterzuckend heftete er den Zettel, weil die Scheibenwischer versenkt und nur schwer erreichbar waren, mittels eines Klebestreifens an die Windschutzscheibe und schlenderte sehr langsam weiter. Immer wieder sah er sich um. Aber sein rothaariger Traum tauchte nicht auf…
***
Der Dämonenschneider betrachtete zufrieden sein Werk. Sie war eine erlesene Schönheit, seine neue Schaufensterpuppe! Und nicht nur das. Sie war eine ausgezeichnete Lebensspenderin, denn sie war noch jung.
Nicandras Verdacht stimmte. Der Schneider bezweckte etwas mit seinem Tun. Es ging ihm nicht nur darum, Menschen einzufangen und ihnen dieses grausige Schicksal zu bereiten.
Er konnte nämlich mit diesen Puppen etwas anfangen…
Sie waren nur äußerlich erstarrt. Innen pulsierte weiterhin das Leben. Und das war es, worum es ihm ging. Er brauchte die Lebensenergien.
Von Zeit zu Zeit zapfte er sie diesen Puppen ab und führte sie sich selbst zu. Auf diese Weise lebte er schon seit vielen Jahrhunderten unter wechselnden Namen an verschiedenen Orten.
Einst war er jung und schön gewesen. Dann begann er sich mit schwarzer Magie zu beschäftigen. Er alterte dabei unheimlich schnell, weil er seine Kräfte schneller verbrauchte, als er sich davon erholen konnte. Doch die Bösartigkeit und Grausamkeit, die in ihm lauerte, machte den Fürsten der Finsternis auf den Schneider aufmerksam.
Asmodis selbst machte ihn zum Dämon.
Er rieb sich die Hände. Für ein paar Monate brauchte er keine Falle mehr zu stellen. Es war nicht gut, wenn in kurzen Abständen Menschen verschwanden. Langsam vorgehen, war seine Devise. So blieb er unauffällig und unangetastet.
Er sah in den Spiegel, betrachtete sein runzliges Gesicht. Oft schon hatte er gehofft, die Falten wieder glätten zu können, doch stets ging ihm der Versuch daneben. Denn in zu häufigen Abständen erhielt er Aufträge, magisch aktive Kleidung für andere Dämonen zu fertigen. Und in jedem Stück, das er auf diese Weise schuf, war auch ein Stück von ihm.
Jetzt aber…
Diese Nicandra Darrell barst förmlich vor Lebensenergie. Vielleicht konnte er mit ihr experimentieren und versuchen, endlich nach so vielen Jahrhunderten nicht nur eine Lebensverlängerung zu erreichen, sondern gar die erhoffte Verjüngung!
Zumindest wollte er es versuchen.
Zunächst aber kehrte er wieder in seine Schneiderei hinter dem Laden zurück und begann, Nicandras Sachen zu beseitigen. Nichts Verräterisches durfte bleiben. Denn der Zufall konnte wollen, daß doch einmal jemand hier nachschaute…
Der Dämon war übervorsichtig.
Deshalb existierte er immer noch. Und er wollte auch weiterhin existieren. Darum ging er kein Risiko ein.
Selbst wenn dieser Moronthor persönlich hier auftauchte - würde er nichts finden…
***
Im »Fisher’s Inn« hatten Moronthor und Bill Relokin den »Fisher’s special« genossen. »Hier kann man Stammgast werden«, versicherte Moronthor, der sich nicht erinnern konnte, ein ähnliches Getränk jemals irgendwo anders kredenzt bekommen zu haben. »Mein lieber Bill, ich glaube, daß wir mit Nicandra heute abend ein zweites Mal hier vorsprechen werden…«
Bill grinste. »Heute abend ist Gala-Diner bei Professors«, erinnerte er. »Der Dekan gibt eine Portion Pommes frites mit Ketchup und zwei Hamburgers aus.«
»Zynikus«, murmelte Moronthor. »Laß uns gehen, ehe ich noch einen« special »bestelle und hinterher fahruntüchtig bin…«
»Von zwei Drinks?« staunte Bill.
Moronthor lächelte. »Man muß genießen, und der größte Genuß ist es, wenn man sich dabei beherrschen kann…«
Einige Minuten später hatte San Franciscos Spätnachmittagssonne sie wieder. »Laß uns ein wenig schlendern und nach einem vorüberfahrenden Taxi Ausschau halten«, schlug Bill vor. Offenbar hatte er heute seinen gemütlichen Tag.
Moronthor hing seinen Gedanken nach. Es zog ihn wieder nach Frankreich in sein Schloß. Die Vortragsreise war lang gewesen, und er sehnte sich wieder nach ein wenig heimischem Boden. Und er wußte, daß es Nicandra genauso erging. Sie waren zwar beide die geborenen Weltenbummler und überall zuhause, und dennoch gab es etwas, das sie immer wieder nach Frankreich zurückzog.
Wieviel Geld mochte Nicandra inzwischen ausgegeben haben auf ihrem Einkaufstrip? Kleider und Perücken übten einen unwiderstehlichen Reiz auf sie aus.
Neben ihnen tauchte ein kleiner Laden auf. Boutique und Schneiderei… Moronthors Blick wanderte über die Auslagen, registrierte die Schaufensterpuppen… erstaunlich, wie lebensecht die aussehen!
»Schau mal, Bill«, machte er den Freund darauf aufmerksam. »Hübsch gemacht, nicht wahr?«
Bill Relokin pfiff durch die Zähne. »In der Tat«, sagte er. »Wenn Nicandra diesen Laden sähe, würde sie schnurstracks hineinspazieren…«
»Das Kleid da«, sagte Moronthor und deutete auf ein einfach und doch raffiniert geschnittenes Stück aus eigenartig schimmerndem Stoff. »Das würde sogar zu ihr passen, würde ihr gut stehen… ob ich mal hineingehe und es ihr kaufe?«
»Sag mal, spinnst du?« fragte Bill trocken. »Schon genug, daß sie Geld ausgibt, als käme es morgen außer Mode, und nun willst du auch noch damit anfangen? Aber kein Wunder, daß du auf die Idee kommst… die Puppe hat ja eine verblüffende Ähnlichkeit mit Nicandra.«
Moronthor war es auch schon aufgefallen. Die Ähnlichkeit hatte ihn ja erst besonders auf dieses Kleid aufmerksam gemacht.
Er beschloß, Nicandra immerhin darauf aufmerksam zu machen. Vielleicht konnte man diese so verblüffend ähnliche Puppe sogar dem Ladenbesitzer abkaufen und als Erinnerung mit nach Frankreich nehmen…
Er sah in die Runde, prägte sich die Umgebung der Boutique ein, um sie auch wiederzufinden, und setzte dann den Weg fort.
Sie kamen zehn Meter weit.
Da erfolgte der Überfall!
***
Der Dämonenschneider war unruhig. Moronthor war in der Nähe! Er hatte sogar das Schaufenster betrachtet! Wußte er bereits, was geschehen war?
Niemals hätte der Schneider damit gerechnet, daß Moronthor hier auftauchen würde. Aber er hatte ihn eindeutig erkannt. Er war es, so wie die neue Puppe im Fenster Nicandra Darrell war!
Der Schneider klammerte sich daran, daß es Zufall sein mochte. Denn Moronthor konnte einfach noch nicht herausgefunden haben, was mit seiner Gefährtin geschehen war, und wo sie sich befand!
Es mußte ein Zufall sein.
Ansonsten war er selbst in höchster, in allerhöchster Gefahr!
Daß Moronthor weitergegangen war, beruhigte ihn nicht im Geringsten. Es konnte ein Trick sein, ihn in Sicherheit zu wiegen. Er würde zurückkehren in einem Moment, -in welchem der Schneider schon gar nicht mehr daran dachte!
Er mußte Vorkehrungen treffen. Er durfte sich nicht von Moronthor überraschen lassen, zumal er nicht die Fähigkeit besaß, die Gedanken anderer zu lesen und daraus zu erkennen, in welcher Form sie ihn angreifen würden.
Der Schneider sah aus dem Fenster. Moronthor war nicht mehr zu entdecken. Aber er war da, irgendwo in der Nähe…
Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, sich um seine Gefährtin zu kümmern. Vielleicht hätte er vorher gründlicher planen und alle Möglichkeiten berechnen sollen. Sich absichern und schützen…
Jetzt - mußte alles schnell gehen. So schnell, wie er das Geschehen eingeleitet hatte. Er mußte einen Schutzzauber wirken.
Der Dämon murmelte eine Verwünschung. Die Kraft, die er für seine Verjüngung ausersehen hatte, würde wohl hierbei verbraucht werden…
»Moronthor«, murmelte er. »Wenn ich dich doch töten könnte… oder in eine meiner Puppen verwandeln…«
Aber war Moronthor dafür nicht zu stark?
***
Auch Nicandra, die Puppe, sah Moronthor, so wie er sie sah, aber nicht erkannte!
Sie begann innerlich zu vibrieren. Moronthor und Bill standen vor dem Schaufenster, sahen sie an und deuteten auf sie! Fiel ihnen denn nichts auf? Bemerkten sie denn nicht, daß diese Schaufensterpuppe Nicandra Darrell war?
Nicandra verzweifelte innerlich. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, sich bemerkbar zu machen! War Moronthor denn blind? Begriff er nichts? Mit ihren Gedanken schrie sie nach ihm. Er war doch schwach telepathisch begabt! Warum nahm er ihre Gedanken nicht wahr?
Und sie konnte nicht einmal die Pupillen drehen!
Damit war ihr Gesichtsfeld eingeschränkt! Sie sah, wie die beiden Freunde sich aus ihrem Gesichtskreis entfernten.
Hatten sie etwas bemerkt?
Dann mußten sie doch gleich den Laden betreten!
Doch nichts dergleichen geschah. Die Türglocke klang nicht auf. Niemand betrat den Laden.
Eine Welt brach für Nicandra zusammen. Moronthor hatte die furchtbare Wahrheit nicht erkannt! Er ging einfach weiter, entfernte sich!
Der Wagen, dachte sie. Der weiße Cadillac auf dem Parkplatz. Er war zu auffällig. Sie mußten ihn sehen. Vielleicht würden sie dann etwas merken. Denn die Ähnlichkeit der Puppe Nicandra mit der lebenden Nicandra war doch viel zu groß, um dann noch Zufall sein zu können.
Ihre ganze Hoffnung setzte sie in diese letzte Chance, die sie noch besaß.
Aber die Zeit verstrich, und kein Retter kam. Dafür kam der Dämonen-Schneider wieder. Er hatte etwas vor… !
***
Moronthor hörte das Motorengeräusch und wirbelte herum. Da sah er den schwarzen Buick heranjagen.
Gerade an dieser Stelle standen keine geparkten Fahrzeuge am Straßenrand. Auf eine Länge von zwanzig Metern trennte nichts Fahrbahn von Gehsteig außer der Bordsteinschwelle.
Und die stellte für den Wagen kein Hindernis dar.
Hinter den getönten Fenstern konnte Moronthor keine Einzelheiten erkennen, aber daß es sich um einen Unfall handelte, wollte er nicht glauben. Hier verlor niemand zufällig die Kontrolle über den Wagen. Das war eine gezielte Aktion.
Sie galt ihm, Moronthor! Und auch seinem Freund Bill!
Der Wagen sprang förmlich auf den breiten Bürgersteig. Aus den Augenwinkeln sah Moronthor, der abermals herumfuhr, daß die Nummernschilder verdeckt waren. Damit war der Fall klar. Der Parapsychologe gab Bill Relokin einen kräftigen Stoß. Zwischen ihnen sauste der Wagen hindurch. Bremsen kreischten, er schleuderte mit dem Heck herum und berührte Moronthor. Der Parapsychologe wurde gegen die Hauswand geschleudert. Seine Hüfte schmerzte, und er knickte rechts ein.
Vor seinen Augen tanzten grellbunte Flecken. Nur mühsam konnte er seine Gedanken Zusammenhalten. Ein Dämonenangriff? Dann hätte ihn das Amulett gewarnt. Das hier war etwas völlig anderes. Eine Art Überfall, die er nicht begriff.
Durch rote Schleier sah er, daß der Buick so stehenblieb, daß er jederzeit wieder starten und sich in den Verkehr einreihen konnte. Die Türen flogen auf. Zwei dunkel gekleidete Männer mit Sonnenbrillen sprangen heraus. Einer deutete auf Bill. Der andere wandte sich Moronthor zu.
Der Meister des Übersinnlichen überwand seine Schwäche. Er richtete sich auf, bereit, den Gegner anzunehmen. Aber übergangslos starrte er in die schwarze Mündung einer Waffe.
»Umdrehen! Hände an die Wand, Beine auseinander«, befahl der Dunkle.
Bill prügelte sich derweil mit dem zweiten. Ein dritter Mann saß noch hinter dem Lenkrad.
Zähneknirschend folgte Moronthor der Aufforderung des Bewaffneten. Es hatte keinen Zweck, wenn er sich hier erschießen ließ. Der Mann trat zu ihm, tastete ihn blitzschnell ab. Eine Hand riß das Hemd auf, griff nach dem Amulett!
»Nein«, keuchte Moronthor und stieß sich von der Wand ab gegen den anderen. Doch naturgemäß kam er dabei nicht in Schwung. Bevor er ihn mit seinem Körper noch rammen konnte, hieb der Gangster ihm den Griff der Waffe in den Nacken. Moronthor sank aufstöhnend zusammen. Dann gab es einen heftigen Ruck, und die Silberkette, die das Amulett hielt, riß einfach. Ein ziehender Schmerz durchfuhr Moronthor.
Halb gelähmt rollte er sich herum.
»Warte, Freundchen«, hörte er Bill Relokin ein paar Meter weiter toben. Es klatschte hörbar. Ein würgender Laut. Dann brüllte ein Schuß auf.
Moronthor sah Bill Relokin gegen den schwarzen Buick taumeln. Seine Hand fuhr hoch, preßte sich gegen Brust oder Schulter. Ein heftiger Schlag ließ den Historiker zusammenbrechen.
Der Bewaffnete sprang in den Wagen.
Wieder krachte ein Schuß. »Halt, Polizei«, brüllte eine Stimme aus der Entfernung. Der zweite Mann, der allein nicht mit Bill fertiggeworden war, kroch halb in den Wagen. Moronthor raffte sich mit aller noch verfügbaren Energie auf, warf sich nach vom und bekam die Füße des Mannes zu fassen. Der Buick ruckte an. Moronthor hielt eisern fest. Der Gangster wurde aus dem Wagen gerissen!
Ein neuerlicher Schuß zerschmetterte eine Fensterscheibe des Wagens. Glas regnete auf Moronthor und den Mann, den er krampfhaft festhielt, nieder. Reifen kreischten. Der schwarze Wagen jagte auf die Straße. Hupen und jaulende Bremsen mischten sich, dann gab es einen donnernden Knall, Knirschen von Blech und Klirren von Glas. Wieder Schüsse. Moronthor sah einige Dutzend Meter entfernt einen dunkelhäutigen Polizisten in Combatstellung auf den Buick feuern. Doch der schwarze Wagen raste davon, überquerte die nächste Kreuzung bei Rot und verschwand.
Zwei andere Fahrzeuge, die ihm ausweichen wollten, hatten sich ineinander verkeilt. Das war das Krachen und Klirren gewesen, das Moronthor wahmahm.
Sein Gegner wollte sich wieder hochschnellen. Aber Moronthor riß ihn erneut nieder, warf sich über ihn. Noch ehe der angeschlagene Gegner Moronthor abzuwehren vermochte, betäubte er seinen Gegner für kurze Zeit.
Dann richtete er sich müde auf. Er fühlte sich erschöpft. Seine rechte Hüfte und sein Nacken schmerzten teuflisch. Er sah nach Bill. Der Historiker kauerte am Boden und preßte die Hand an eine Stelle knapp unterhalb des linken Schlüsselbeins. Dort sickerte Blut hervor.
Eine Menschenmenge bildete sich. Neugierige starrten das Bild an, das sich ihnen bot. Der dunkelhäutige Polizist schob sich heran, zwängte sich durch die Menge und warf auch einmal jemanden, der absolut nicht weichen wollte, mit kräftigem Schlag zur Seite. Dann stand er in der Mitte des Kreises. Moronthor sah das Walkie-Talkie am Gürtel des Beamten.
»Verstärkung und Krankenwagen kommen gleich«, sagte der Polizist, immer noch die Waffe in der Hand. Jetzt erst lud er sie rasch nach und steckte sie zurück. Er wandte sich Bill zu.
»Sie sind verletzt, Sir? Lassen Sie mal sehen!«
»Nicht der Rede wert«, ächzte Bill und sank bewußtlos auf die Gehsteigplatten.
Moronthor tastete zur Brust. Er fühlte sich auf seltsame Weise nackt. Das Amulett war fort.
Warum? Was bezweckten ein paar Gangster damit? Woher konnten sie überhaupt wissen, daß er ein silbernes Amulett unter dem Hemd trug?
Er konnte es sich doch denken… !
***
Die Verstärkung, die Streifenpolizist Cal Lewis angefordert hatte, schaffte es immerhin, die Zuschauermenge dadurch zu zerstreuen, daß einzelne Personen angesprochen wurden, als Zeugen zu dienen. Doch so genau wollte nun niemand etwas mit dem Vorfall zu tun haben.
Bill Relokin wurde im Krankenwagen fortgebracht. Moronthor unterhielt sich mit dem Sergeant, der die fünfköpfige Polizistengruppe anführte, und mit Cal Lewis.
»Der Überfall diente dem Raum eines Gegenstandes, den ich immer mit mir führe«, sagte Moronthor und beschrieb das Amulett. »Jemand muß gewußt haben, daß ich mich zu diesem Zeitpunkt hier befand. Die Aktion war genau geplant, bis auf das hier.« Er deutete auf den noch Bewußtlosen. »Ich nehme an, die Gangster haben nicht damit gerechnet, daß ich in Begleitung unterwegs war.«
»Kennen Sie die Leute?«
Moronthor zuckte mit den Schultern. »Woher?« fragte er. »Ich weiß auch nicht, ob man über den Wagen etwas erreichen kann. Die Nummernschilder waren verdeckt…«
»Wir kriegen ihn«, versicherte Cal Lewis. »Ich habe ihm eine Scheibe zerschossen. Ein schwarzer Buick mit diesem Schaden dürfte aufzuspüren sein.«
Aber ob damit auch die Fische ins Netz gingen, wagte Moronthor zu bezweifeln. Wenn er Fahrer des Buick wäre, würde er den Wagen an erstbester Stelle stehenlassen und sich zu Fuß oder per Taxi weiterverfügen.
»Die Männer müssen Sie nicht gekannt haben, Mister Moronthor, auch wenn es umgekehrt nicht der Fall ist. Haben Sie einen Verdacht? Weshalb der Überfall?«
»Um das Amulett zu entwenden«, sagte Moronthor. »Ich sprach doch schon davon.«
»Welchen Wert besitzt es?«
Moronthor schüttelte den Kopf. »Wenn Sie nach harten Dollars Fragen, muß ich passen. Aber der… hm… ideelle Wert ist ungeheuerlich.«
Er konnte diesen braven Polizisten, die an nichts anderes als an das Greifbare und Sichtbare glauben durften, doch nichts von Dämonen erzählen. Zumal es sich bei den Amulett-Dieben nicht um Dämonen handelte, sondern um normale Menschen! Sonst hätten sie das Amulett nicht so einfach an sich bringen können!
Jene silberne Scheibe, die einst von dem mächtigen Magier Merlin aus der Kraft einer entarteten Sonne geschaffen wurde und die über fantastische Kräfte und Möglichkeiten verfügte -wenn sie nicht gerade den Dienst verweigerte. In letzter Zeit wurde sie immer unberechenbarer.
Ein Verdacht keimte in Moronthor auf. War es bereits so weit, daß es nicht mehr auf Dämonen ansprach?
Moronthor nahm für ein paar Minuten im Polizeiwagen Platz. Dort hatte er Gelegenheit, sich ein wenig zu erholen. Die Schmerzen ließen nach. Gebrochen war nichts, nur ein paar häßliche blaue Flecken würden Zurückbleiben. Und der weiße Anzug war nach der heftigen Auseinandersetzung reif für den Müll.
Moronthor erzählte seine Geschichte zum zweiten und zum dritten Mal. Beim vierten Mal explodierte er. »Schön, ich verstehe, daß Sie mir als Ausländer skeptisch gegenüber stehen, bloß stinkt mir mittlerweile Ihr Verhör-Stil! Wenn Sie schon so tun, als hielten Sie mich für den Boß der Bande, warum legen Sie mir dann nicht direkt Handschellen an?«
Der Sergeant entschuldigte sich nicht. Er fragte nur: »Wohin dürfen wir Sie bringen, Sir, oder möchten Sie Ihren Weg zu Fuß fortsetzen?«
Ergrimmt nannte Moronthor das Hotel, in dem sie Zimmer bezogen hatten. »Und dann hätte ich noch gern die Krankenhaus-Adresse, wohin Bill Relokin gebracht wurde.«
Er bekam sie.
Er wurde per Streifenwagen zum Hotel gebracht. Dadurch und durch sein ramponiertes Aussehen erregte er mehr Aufsehen, als ihm lieb sein konnte, und dann mußte ihm im Foyer noch die wohlbeleibte Dame von vorhin über den Weg laufen. Hämisch grinsend und triumphierend nickend musterte sie ihn von oben bis unten.
Himmel, Arm und Zwirn! dachte Moronthor. Aber taktvoll schwieg er und benutzte statt der altehrwürdigen Treppe den noch altehrwürdigeren Lift. Jetzt fehlte nur, daß die Kabine zwischen zwei Etagen steckenblieb!
Sie blieb nicht.
Moronthor erreichte die Zimmerflucht, trat ein und war nicht verwundert, Nicandra noch nicht anzutreffen. Wenn, sie einkaufte, dauerte das natürlich lange.
Er duschte, legte frische Kleidung an und telefonierte mit dem Krankenhaus. Dort konnte man ihm über Bills Gesundheitszustand keine verbindliche Auskunft geben. Mißmutig knallte Moronthor den Hörer auf die Gabel, hob wieder ab und bestellte einen Mietwagen.
Er wollte nicht auf Nicandras Rückkehr warten und trotzdem mobil sein.
Er wußte, daß er jetzt gefährdeter denn je war. Daß man ihm zielbewußt und ausschließlich das Amulett entwendete und dabei sogar einen Überfall auf offener Straße am hellen Tag riskierte, bewies ihm, daß Dämonen dahintersteckten. Man hatte ihn seines Schutzes beraubt. Wenn der Dämon wollte, konnte er Moronthor jetzt mit Leichtigkeit angreifen.
Es kam nur auf Ort und Zeit an.
Und ein Taxi war schon immer ein geeignetes Mittel gewesen, jemanden spurlos aus der Weltgeschichte verschwinden zu lassen. Um wieviel leichter mußte das sein, wenn es sich um einen Dämon handelte, der den Anschlag auf Moronthor plante!