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Zwei Krimis in denen tierische Ermittler (Hundedame Maja und Katze Lilli) bei der Aufklärung der beiden Morde ihre Menschen unterstürzen.
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Seitenzahl: 230
Eine neue Pension
Der erste Gast
Keine Musterehe
Die Flucht
Eine undurchsichtige Frau
Der Mord
Kommissar Klein trifft am Tatort ein
Alle werden verhört
Piet und Julia kommen sich endlich näher…
Nächtliche Ruhestörung
Auf dem Polizeipräsidium
In der Redaktion
Besuch in der Seniorenresidenz
Julia´s Überlegungen
Der Ehemann kommt ins Spiel
In der Kanzlei Wiedemann
Zurück in der Pension
Eine weitere Vernehmung und ein aufschlussreiches Telefonat
Ermittlungen auf vier Pfötchen
Der Kommissar macht weiter
Noch eine Bekannte des Mordopfers
Ein zwielichtiger Gast taucht auf
Das Blatt wendet sich
Das Geständnis
Also Ende gut, alles gut?
Tod in der Kältekammer
Ein Toter wird gefunden
Die Polizei trifft ein
Mittagspause
Frauenabend
Spekulationen
Es gibt eine Verdächtige
Noch jemand gerät unter Verdacht
Annelie´s Beichte bei Julia
Es war alles ganz anders…
„Himmel noch eins, so geht’s nicht mehr lange weiter, Trudy, wir müssen endlich was tun! Wir schlittern immer mehr in die Pleite, Hannes Baehr sagt das auch“, ereiferte sich Hilda Ehlers wieder einmal.
„Ausgerechnet Hannes Baehr, hast Du wieder mit dem über unsere Finanzen geredet?“, giftete ihre Schwester Gertrud zurück, die seit Kindertagen in der Familie nur Trudy genannt wurde.
„Der weiß doch sicher ohnehin Bescheid, schließlich ist er schon seit Jahr und Tag unser Steuerberater. Dem kannst Du schon lange nichts mehr vormachen.“
„Er hat sich doch längst aus der Firma zurückgezogen, soweit ich weiß ist sein Sohn jetzt am Ruder.“
„Stimmt, aber um einige alte Mandanten kümmert er sich immer noch persönlich. Und um uns auch, das weißt Du doch.“
„Du meinst, er kümmert sich um Dich, liebe Hilda, und das ist etwas ganz anderes!“, erinnerte Trudy ihre Schwester. Irritiert sah Hilda sie an.
„Das Endergebnis ist jedenfalls das gleiche! Wir müssen jetzt endlich raus aus der Finanzmisere – wie auch immer und ich denke, der Vorschlag von Hannes ist gar nicht so schlecht, hör zu!“
Dann erläuterte sie Trudy, was ihr alter Freund ihnen geraten hatte.
Diese Unterhaltung hatte vor einigen Monaten in der großen, alten Stadtvilla, mit dem schönen Namen „Sanssouci“, die in der kleinen Kurstadt Bad Steenhusen stand, stattgefunden. Den Namen hatten die Eltern der beiden Schwestern noch gemeinsam für ihr neu erbautes Heim ausgesucht. Er sollte damals symbolisch dafür sein, welches Leben sie sich darin wünschten. Etliche Jahre hatte die Familie dort auch ohne Sorgen gelebt, bis Frau Ehlers krank geworden und schließlich gestorben war. Herr Ehlers hatte seine Frau über alles geliebt und nie wieder geheiratet. Er steckte seit dem Tod seiner Ehefrau seine ganze Energie in die Wäschefabrik, die der Familie gehörte. Nach seinem Tod hatten beide Töchter ihr Elternhaus zu gleichen Teilen geerbt, so wie auch das seinerzeit erarbeitete Vermögen ihrer Eltern. Es war eine nicht unbeträchtliche Summe gewesen, wobei die Betonung auf gewesen zu legen ist, denn wenn nichts mehr hinzu kommt, dann ist auch das größte Vermögen irgendwann geschmolzen. Es wurde allmählich Zeit, die Notbremse zu ziehen, hatte Dr. Hannes Baehr Hilda in einer stillen Stunde erklärt. Er verehrte sie schon lange, das hatte ihre Schwester Trudy scharfsichtig erkannt, leider ohne bei Hilda auf nennenswerte Gegenliebe zu stoßen. Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass er sich durchaus verantwortlich fühlte für das Schicksal der Schwestern.
Beide Frauen hatten früher, als Töchter aus gutem Hause, nie wirklich gearbeitet. Zwar waren sie zeitweise im väterlichen Betrieb beschäftigt gewesen, aber einen beruflichen Abschluss besaßen beide nicht. Hilda konnte gut mit Zahlen umgehen und hatte somit etwas Buchhaltung gelernt, während Trudy, die repräsentativen Aufgaben mehr zusagten. Sie hatte ihren Vater, nach dem Tod ihrer Mutter, bei der Führung des Haushaltes, zu dem auch gelegentliche Geschäftsessen gehörten, unterstützt. Keiner hatte je damit gerechnet, dass beide Frauen unverheiratet blieben, und es somit keinen fähigen Nachfolger für die Wäschefabrik geben würde. Dabei hatte es den durchaus attraktiven Töchtern von Herrn Ehlers keineswegs an Verehrern gemangelt, im Gegenteil! Aber beide zogen es vor, ihr relativ unbeschwertes Leben als Töchter aus gutem Hause fortzuführen, anstatt einen eigenen Hausstand zu gründen.
Einmal war Hilda allerdings nahe daran gewesen, einen ihrer Verehrer zu erhören. Leider musste sie zu ihrer großen Enttäuschung entdecken, dass er außer ihr noch andere Damen glücklich zu machen imstande war. Auch seine tätige Reue konnte ihren Entschluss, ihn in die Wüste zu schicken, nicht mehr rückgängig machen.
Diese Entscheidung hatte sie nie bereut! Blieb noch Trudy als Hoffnungsträgerin ihres Vaters, aber auch dieser Wunsch zerschlug sich rasch, denn Trudy liebte von jeher die Tiere mehr als ihre Mitmenschen. Zu Lebzeiten ihres Vaters hatten immer einige große Jagdhunde zur Familie gehört, um die Trudy sich stets mit Hingabe und sehr liebevoll gekümmert hatte. Inzwischen waren die beiden Schwestern allerdings froh, dass eine kleinere, französische Bulldogge ihre Wohngemeinschaft ergänzte. „Madame Maja“ hatten sie die genannt, in Anspielung auf ihre französische Herkunft. Meistens wurde dieses heiß geliebte Familienmitglied allerdings, der Einfachheit halber, nur kurz Maja gerufen. Maja war sehr lieb und anspruchslos. Ein kurzer Spaziergang durch den Kurpark genügte ihr als Auslauf und notfalls, wenn das Wetter gar zu schlecht war, begnügte sie sich sogar mit einem kurzen Aufenthalt in dem weitläufigen heimischen Garten der Villa, um dort ihr Geschäft zu verrichten.
Herr Ehlers hätte zwar sehr gern einen Schwiegersohn zu seiner Unterstützung, und vor allem als Nachfolger in der Firma gehabt, aber er liebte seine beiden Töchter sehr, und akzeptierte natürlich deren Entscheidung ihr Leben ohne eigene Familien zu verbringen. Kurz vor seinem Tod gelang es ihm noch seine Firma einigermaßen gewinnbringend zu verkaufen. Das Vermögen wurde auch gut angelegt, aber trotzdem würde es nicht mehr ewig reichen, das stand inzwischen fest!
Der Entschluss dem Vorschlag des langjährigen Freundes der Familie, Dr. Hannes Baehrs, zu folgen und einige der leeren Zimmer nun für Pensionsgäste einzurichten, war besonders Trudy nicht leicht gefallen. Sie hasste es, mit fremden Leuten, quasi Tür an Tür, zusammen leben zu müssen! Es reichte ihr vollkommen, dass einmal pro Woche eine Putzhilfe in die Villa kam. Gekocht hatte sie schon immer gern, und so war es kein Problem gewesen, mit Hildas Hilfe ihren kleinen Haushalt zu bewältigen. Die meisten Zimmer des Hauses wurden seit dem Tod ihrer Eltern ja ohnehin nicht mehr genutzt, da bot sich die von Hannes Baehr vorgeschlagene Lösung geradezu an. Wenn sie das Haus allerdings tatsächlich in eine Pension umwandeln wollten, dann würde vieles anders werden, und dann müsste Trudy sich auch mit der ständigen Anwesenheit fremder Leute anfreunden. Bei diesem Gedanken wurde ihr das Herz recht schwer, aber sie sah die Notwendigkeit dieser Maßnahme ein. So hatte sie schließlich zu Hildas Überraschung und grenzenloser Erleichterung eingewilligt. Der Name, den ihre Eltern damals für ihre Villa gewählt hatten, stand noch immer in goldfarbenen Lettern über dem großen Eingangsportal, und das sollte auch so bleiben.
„Ich finde diesen klangvollen Namen auch für ein Gästehaus sehr passend, den solltet Ihr unbedingt beibehalten“, hatte Hannes Baehr ihnen erklärt, und so war auch das Namensproblem für die neue Pension schnell gelöst. Blieb nur noch zu wünschen übrig, dass es wirklich demnächst für alle Bewohner des Hauses ein Ort ohne Sorgen sein würde.
Bevor diese grandiose Idee umgesetzt werden konnte, mussten allerdings noch einige Umbaumaßnahmen getätigt werden, und das nahm mehrere Monate in Anspruch. Die geplanten Gästezimmer sollten neu tapeziert, entsprechend eingerichtet und jedes mit einem eigenen, kleinen Bad ausgestattet werden. Hannes Baehr stand ihnen, wie immer, mit Rat und Tat zur Seite. Er schrieb im Auftrag der Schwestern mehrere große Handwerksfirmen an, holte Angebote ein, verglich sie miteinander und verhandelte auch über deren Preise. Er unterstützte die beiden Damen in jeglicher Art und Weise so gut er nur konnte. In der Villa wurden Tapetenbücher gewälzt, und Hilda und Trudy schauten sich gemeinsam in den Möbelhäusern der Region um. Da beide Schwestern von jeher den zart verspielten, englischen Landhausstil bevorzugten, wurden auch die Gästezimmer entsprechend eingerichtet. Alle Räume waren bewusst unterschiedlich möbliert und sehr hell und gemütlich geworden. Trudy und Hilda waren letztlich sehr stolz auf ihr gemeinsames Werk! Auch Hannes Baehr äußerte sich recht zufrieden über das Ergebnis, zumal es ihm und den Schwestern gelungen war, im Rahmen des dafür festgesetzten Budgets zu bleiben. Das war gar nicht so einfach gewesen.
Natürlich brauchten die beiden frisch gebackenen Pensionsinhaberinnen nun weitere Unterstützung, um die Zimmer in Ordnung zu halten und die zu erwartenden zahlenden Gäste entsprechend zu versorgen. Mittels einer Anzeige kam schließlich Julia Katz, eine sympathische, junge Dame ins Haus. Schon bei dem Vorstellungsgespräch machte sie deutlich, dass sie auch zum ersten Mal eine solche Stelle antrat, es sich aber durchaus auch zutraute jederzeit mit allen auftretenden Problemen fertig zu werden. Außerdem blieben ihre Gehaltsvorstellungen im Rahmen. Zusätzlich bekam sie im Haus Kost und Logis, auch darauf hatte man sich zur Zufriedenheit beider Parteien schnell geeinigt. Julia machte einen tatkräftigen Eindruck auf Hilda und Trudy. Außerdem schien sie absolut gewillt zu sein, sich mit ganzer Kraft ihrer neuen Aufgabe zu widmen. Also durfte Julia sich eines der Gästezimmer aussuchen und richtete sich noch am gleichen Tag darin ein. Allerdings kam sie nicht allein, sie brachte ihre grau getigerte Katze Lilli mit, und zum Glück blieben die befürchteten Komplikationen mit der Bullydame Maja aus. Im Gegenteil, die beiden Tiere verstanden sich von Anfang an prächtig miteinander. Die, durch ihr ruhiges Leben im Hause Ehlers, mit der Zeit etwas behäbig gewordene Maja wurde von der quirligen, verspielten Lilli immer wieder motiviert. So sah man die beiden Tiere öfter gemeinsam in Haus und Garten herumtollen, und gelegentlich teilten sie sich sogar Majas Körbchen.
„Ich denke, mit Julia Katz haben wir einen guten Griff getan“, vertraute Hilda ihrem Freund und Vertrauten Hannes Baehr wenig später an.
„Wie schön für Euch, meine Liebe, aber ich wusste ja, auf Deine Menschenkenntnis war schon immer Verlass!“, antwortete Hannes Baehr galant, und seine Hilda lächelte geschmeichelt.
„So, jetzt fehlen nur noch die zahlenden Gäste“, bemerkte Trudy erschöpft, als sie sich, wenige Tage nach Julia`s und Lilli`s Ankunft, mit Hilda und Julia zu einer Tasse Tee im großen Salon einfand. Dieser Raum war unverändert geblieben und sollte demnächst als Speisezimmer dienen. Darin stand ein langer Tisch, an dem ausgezogen, ein Dutzend Personen Platz fanden. Schwere, dunkle Ledersessel und weitere, im englischen Stil gehaltene Möbel, die in mehreren Gruppen angeordnet waren, befanden sich ebenfalls in dem Raum. Die dunklen, auch heute noch eleganten Sessel waren sehr bequem. An der Stirnwand befand sich eine große, alte Vitrine mit Kristallgläsern, die seinerzeit überwiegend der Hausherr mit seinen Gästen benutzt hatte. Die sollten demnächst wieder zum Einsatz kommen, ebenso wie das immer noch hübsche, alte Porzellan, auf das Frau Ehlers zu Lebzeiten so stolz gewesen war. Welch ein Glück, dass man damals alles gleich in so großer Zahl angeschafft hatte! Die geblümten Vorhänge vor den breiten Terrassentüren, der schwere umfangreiche Bücherschrank, und nicht zuletzt der große, mit Bruchsteinen gemauerte, Kamin machten den Raum zusätzlich gemütlich.
„Machen Sie sich nur keine Sorgen, heute Morgen hat bereits jemand angerufen. Ein Herr, er will schon übermorgen anreisen“, verkündete Julia stolz.
„Na bitte, das ist doch schon ein Anfang“, freute sich Hilda.
„Alles braucht seine Zeit, schließlich sind Sie ganz neu im Geschäft, das muss sich doch erst herumsprechen“, meinte Julia.
„Vielleicht sollten wir auch in einigen größeren Zeitungen zusätzlich Anzeigen schalten?“, überlegte Trudy.
„Schon geschehen, außerdem hat Hannes dafür gesorgt, dass wir in dem Stadtmagazin einen Artikel bekommen werden, in der nächsten Ausgabe wird er erscheinen. Dazu wird ein Mitarbeiter aus der Redaktion der örtlichen Tageszeitung hierher kommen“, informierte Hilda die beiden anderen Damen.
„Oh, da muss ich mich ja chic machen, wann kommt er denn?“, wollte Trudy wissen. Gewöhnlich legte sie keinen allzu großen Wert auf ihr Äußeres, aber wenn man in der Öffentlichkeit stand, war das etwas anderes, fand sie. Außerdem hofften die Schwestern ja auch darauf, dass möglichst viele Leute diese Ankündigung lesen würden, da wollte sie auf jeden Fall gut aussehen.
„Das weiß ich noch nicht, aber wir werden rechtzeitig Bescheid bekommen, das hat mir Hannes versprochen“, antwortete Hilda. „Außerdem wird ein Freund von ihm demnächst in der Herzklinik operiert, dann wird dessen Frau auch für einige Tage bei uns übernachten. Es wird sich mit der Zeit schon herumsprechen, dass man bei uns gut aufgehoben ist“, setzte sie noch hinzu. Damit war das Thema vorerst erledigt, und die Damen genossen ihren Tee, bevor sie sich wieder ihren jeweiligen Aufgaben im Haus widmeten. Es gab ja noch einiges zu tun, bevor die ersten Gäste ankamen.
„Ich bin schon total aufgeregt, heute soll der Herr Mertens kommen“, mit diesen Worten betrat Hilda den Raum.
„Ach was, wir sind doch gut vorbereitet“, widersprach ihr Trudy. „Er wird sich schon bei uns wohl fühlen.“
Kurz darauf kam Herr Mertens mit zwei großen Koffern durch die Tür spaziert. Das
ließ auf einen länger geplanten Aufenthalt schließen, schoss es Hilda durch den Kopf, als sie ihn begrüßte und ihn bat näher zu treten, um das Anmeldeformular auszufüllen
„Wie lange wollen sie voraussichtlich bleiben?“, erkundigte sie sich.
„Das weiß ich noch nicht genau, aber eine Woche oder länger sicherlich“, lautete die Antwort. In dem Moment tauchte Julia auf, um ihrem ersten Gast sein Zimmer zu zeigen. Danach half sie Herrn Mertens selbstverständlich auch die schweren Koffer auf sein Zimmer zu bringen.
„Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen. Frühstück gibt es ab 8.00 Uhr, und das Abendessen wird um 19.00 Uhr serviert. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns“, mit diesen Worten verabschiedete sie sich und ging.
„Bestimmt!“, rief Herr Mertens ihr nach. Er erwies sich in der Folge als ein sehr angenehmer Gast, weil er immer sehr freundlich, höflich, bescheiden und ruhig war.
Etwas anderes war es mit der Frau des Freundes von Dr. Baehr. Diese Dame war zwar nicht unfreundlich, allerdings merkte man ihr die große Sorge um ihren Mann sehr deutlich an. Das war natürlich verständlich, nur leider konnte ihr dabei niemand wirklich beistehen. Sie wirkte überaus nervös, ständig überfordert und hatte aufgrund dessen leider nur selten Appetit. Was vor allem Trudy, die sich auf ihre Kochkünste gelegentlich doch etwas einbildete, gar nicht gefiel.
„Stell dich nicht so an“, wurde sie von Hilda kurz abgeschmettert, als sie sich bei ihrer Schwester darüber beklagte. Lediglich bei Julia fand Trudy ein wenig Verständnis für ihre verletzte Eitelkeit, aber sogar die meinte, dass es wirklich Wichtigeres zu bedenken gäbe. Schließlich hatte sich auch Frau Rehberg nicht über die Verpflegung beklagt, sie wusste lediglich momentan Trudy`s Bemühungen nicht recht zu schätzen, das war etwas ganz anderes. Diese Auskunft besänftigte Trudy endlich. An solche Reaktionen ihrer Gäste würde sie sich in der Zukunft wohl gewöhnen müssen. Außerdem blieb diese ältere Dame ja voraussichtlich nur einige Tage bei ihnen, mit dieser Annahme tröstete Trudy sich schließlich selbst.
Am folgenden Tag läutete das Telefon und ein Herr der örtlichen Presse meldete sich. Er stellte sich als Piet Stein vor und wollte gern den versprochenen Artikel für das Stadtmagazin schreiben. Auch in einer der nächsten Ausgaben der Tageszeitung würde der Bericht erscheinen. Es wäre schön, wenn vielleicht auch einer der Pensionsgäste für ein Foto zur Verfügung stehen könnte, meinte er. Es wurde verabredet, dass er gleich am Nachmittag vorbeikommen sollte. Auf Anfrage stellte sich der freundliche Herr Mertens gern als Fotomodell zur Verfügung. Somit war schnell alles geklärt, und der Pressevertreter konnte anrücken.
Von Maja stürmisch begrüßt, stand Piet Stein pünktlich zur verabredeten Zeit vor der Haustür. Aber Lilli, die zunächst etwas zurückhaltender war, beäugte ihn lieber erst einmal aus sicherer Entfernung. Piet Stein erwies sich jedoch als großer Tierfreund und tätschelte die kleine Bullydame liebevoll, so traute sich auch Lilli langsam näher zu kommen. Auf sein Läuten an der Haustür war Julia Katz erschienen, um ihm zu öffnen. Sie begrüßte ihn herzlich und bat ihn näher zu treten. Donnerwetter, ist die aber hübsch, schoss es Piet durch den Kopf. Zudem war sie zwar sehr dezent, aber geschmackvoll gekleidet. Die enge Jeans und die hübsche weiße Rüschenbluse standen ihr ausgezeichnet, denn beides brachte ihre körperlichen Vorzüge sehr unauffällig zur Geltung, wie Piet fand. Er war ein großer Frauenliebhaber, ein Umstand, der ihn in der Vergangenheit leider schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte. Das letzte Mal hatte er deshalb sogar einen guten Job bei einer großen Hamburger Zeitung verloren. So hatte er mit der Frau des Chefredakteurs eine kleine Affäre begonnen, allerdings in Unkenntnis ihrer Position, da sie sich in einer Bar kennengelernt hatten. Als sein Vorgesetzter dahinter kam, hatte er ihm diese dumme Geschichte dermaßen übel genommen, dass seither an eine längere Zusammenarbeit unter keinen Umständen mehr zu denken gewesen war. Daraufhin hatte Piet sich anderweitig beworben und war schließlich hier in der Provinz gelandet. Das war ihm allerdings ganz recht so. Er fand das kleine Städtchen Bad Steenhusen ganz reizend und hatte sich gefreut, als er die Stelle bei der hiesigen Tageszeitung bekam. Eine Wohnung wollte er zunächst nicht mieten, weil er als Junggeselle keine Lust hatte sich um die damit verbundenen Verpflichtungen zu kümmern. Vorerst war er in einer der zahlreichen kleinen Pensionen untergekommen, aber so richtig wohl fühlte er sich dort auf die Dauer nicht. Das Haus lag am Stadtrand, war durchaus preiswert und sauber, und das Ehepaar, dem die Pension gehörte, war auch nett, aber ohne Auto war man dort gänzlich verloren. Das war in Hamburg ganz anders gewesen. Da musste er nur aus dem Haus auf die Straße treten, und schon pulsierte das Leben um ihn herum. Natürlich konnte er das in dieser kleinen Stadt nicht erwarten, aber etwas zentraler wollte er doch gern wohnen. Dieses neu aufgemachte Haus würde er sich erst einmal genauer ansehen, vielleicht kam ein Aufenthalt dort auch für ihn privat infrage. Höchstwahrscheinlich hatten die beiden Damen, die diese Pension neu eröffnet hatten, auch Interesse an Dauermietern, so nahm er jedenfalls an, aber das würde sich ja schnell herausstellen.
„Sind Sie eine der beiden Inhaberinnen?“, erkundigte er sich bei Julia. Ehe sie zu einer Antwort ansetzten konnte, trat schon Hilda zu ihnen, stellte sich vor und rief auch Trudy dazu.
„Frau Katz ist unsere Angestellte, die Pension gehört meiner Schwester und mir“, informierte sie ihn. Alles klar dachte Piet, und amüsierte sich im Stillen darüber wie schnell Hilda die Besitzverhältnisse deutlich klar gestellt hatte. Das schien ihr sehr wichtig zu sein. Julia trat sofort bescheiden in den Hintergrund und wurde damit beauftragt, im Salon Tee und Kaffee für den Gast bereit zu stellen.
„Wollen wir zunächst einmal mit einer Führung durch das Haus beginnen?“, fragte Trudy ihren Gast. „Sie müssen wissen, für uns ist das alles völliges Neuland, aber das sollten Sie wohl besser nicht in ihrem Artikel erwähnen, Herr Stein“, bat sie ihn schüchtern.
„Natürlich nicht, außerdem werde ich Ihnen meinen Artikel zunächst erst einmal zur Begutachtung vorlegen. Wir können ihn danach immer noch korrigieren oder etwas hinzufügen, das ist überhaupt kein Problem, gnädige Frau. Machen Sie sich bitte keine Sorgen!“ Durch diese Worte beruhigt, taute Trudy langsam mehr und mehr auf. Der Herr von der Zeitung war ihr sehr sympathisch. Einige Zimmer wurden ihm gezeigt, und schließlich klopfte Hilda auch an die Zimmertür von Herrn Mertens. Sofort ertönte von drinnen seine fröhliche Stimme, die sie bat einzutreten.
„Wie lange wohnen Sie denn schon hier?“, erkundigte sich Piet Stein.
„Ach, erst seit einigen Tagen, aber ich fühle mich hier sehr wohl. Die Damen verwöhnen mich nach Kräften“, gab Herr Mertens Auskunft. Dann erklärte er, dass er sogar erwäge, sich dauerhaft hier nieder zu lassen. Seit dem frühen Tod seiner Frau fühlte er sich oft ziemlich einsam, und daher war er hergekommen, um zunächst etwas Abstand zu gewinnen. Allerdings durchaus mit dem Hintergedanken, sein Haus zunächst zu vermieten und später eventuell ganz zu verkaufen. Darüber wollte er sich während seines Aufenthaltes hier klar werden.
„Wenn man allein ist, dann braucht man einfach nicht mehr so viel Platz“, erzählte er treuherzig. Auch für ein Foto stehe er jederzeit gern zur Verfügung, das beteuerte er noch einmal, und wurde dafür gleich von Piet Stein beim Wort genommen.
Etwa eine halbe Stunde später traf man sich wieder im großen Salon, in dem von Julia die Kaffeetafel vorbereitet worden war. Es gab außer Gebäck auch einige herzhafte Schnittchen, die ebenfalls sehr appetitlich aussahen.
„Oh je, wenn ich bei jedem Termin so bewirtet werde, dann platze ich bald aus allen Nähten“, befürchtete Piet, langte aber dennoch kräftig zu. Was er gesehen hatte, gefiel ihm ausgesprochen gut. Die frisch renovierten Zimmer waren sehr liebevoll eingerichtet, die dazugehörigen Bäder waren zwar nicht groß, aber zweckmäßig, und die Küche schien auch gut zu sein, jedenfalls nach seinem ersten Eindruck. Aber vor allem gefiel ihm Julia Katz immer besser. Sie sah wirklich toll aus, fand er. Ob sie wohl in festen Händen war? Nicht groß und eher eine zierliche Figur, kurze, dunkle Haare, dazu die blauesten Augen, die er je gesehen hatte. Wie ein tiefer Bergsee, darin könnte ich glatt versinken, dachte er sehnsüchtig. Aber im nächsten Moment rief er sich wieder zur Ordnung, denn gerade aus diesem Grund hatte er doch in Hamburg so massive Probleme bekommen; er sollte sich besser erst einmal zurückhalten, bevor er Näheres über sie wusste. Das war sicher vernünftiger, aber wann hatte er jemals zuerst auf seinen Verstand gehört? Er war von jeher eher ein „Bauchmensch“, wie er sich gern selbst bezeichnete. Die meisten Frauen fanden das sogar sehr anziehend, also sah er auch keinen Grund daran etwas zu ändern.
„Möchten Sie noch eine Tasse Tee?“, diese Worte Julia`s rissen ihn aus seinem Tagtraum und brachten ihn rasch wieder in die Wirklichkeit zurück.
„Nein, vielen Dank! Außerdem habe ich auch erst einmal alle Informationen, die ich für den Artikel brauche. Vielleicht darf ich noch einmal vorbei kommen, um Ihnen den Text zur Begutachtung vorzulegen? Oder soll ich Ihnen den Bericht per Email senden?“, erkundigte sich Piet Stein bei den Inhaberinnen der Pension höflich. Darauf folgte zunächst einmal ein etwas betretenes Schweigen. Habe ich etwas Falsches gesagt, fragte sich Piet, obwohl er sich durchaus keiner Schuld bewusst war. Zögernd ergriff schließlich Hilda das Wort und antwortete: „Wir sind leider noch nicht soweit, meine Schwester und ich. Natürlich ist uns völlig klar, dass wir auf die Dauer um so einen Computer nicht herumkommen, aber wir beide müssen erst einmal bei der Volkshochschule einen Kurs belegen, damit wir überhaupt mit so einem Ding umzugehen lernen“, vertraute sie ihm verschämt an. Trudy nickte nur dazu.
„Oh, das ist wirklich ungewöhnlich, und sie sollten dieses Manko so schnell wie möglich beheben. Es wird ja demnächst sicher auch per Email jemand bei Ihnen ein Zimmer buchen wollen“, gab Piet den beiden älteren Damen zu bedenken.
„Das ist es ja, das wissen wir selbst, aber wir tun uns doch etwas schwer mit dieser neuen Technik“, meinte auch Trudy. Fragend sah Piet Stein nun Julia an.
„Vielleicht könnten Sie aushelfen, bis die beiden Damen soweit sind?“
„Meine Aufgaben hier im Haus sind ganz andere“, bekam er kurz und bündig zur Antwort und damit war das Thema zunächst einmal beendet.
„Gut, dann komme ich übermorgen am Vormittag wieder, Sie werfen einen Blick auf meinen Artikel, und danach sehen wir weiter“, schlug Piet Stein schließlich vor und verabschiedete sich von den drei Damen.
Später, als Trudy und Hilda wieder allein waren, wagte Trudy noch einmal einen vorsichtigen Vorstoß und fragte ihre Schwester: „Er hat recht Hilda, wir beide brauchen sicher länger bis wir uns mit so einem Computer auskennen, vielleicht sollten wir doch erwägen, Julia das erst mal machen zu lassen, was meinst Du?“ Etwas brummig bekam sie zur Antwort: „Na ja, vielleicht ist das so, aber dann hat sie doch auch Einblick in alle unsere Finanzen, und willst Du das bei einer so jungen Frau, die wir erst so kurz kennen, wirklich riskieren?“ Daraufhin wusste auch Trudy keine rechte Antwort. Nach einer Weile des Nachdenkens allerdings meinte sie dennoch zögernd: „Wir sollten sie erst einmal fragen, ob sie denn überhaupt bereit dazu wäre, auch noch einen Teil der Büroarbeiten für uns zu erledigen. Soll ich das übernehmen und mich bei ihr danach erkundigen, was meinst Du?“ Ein kurzes „Hm“ ihrer Schwester genügte ihr als Zustimmung. So ging sie zu Julia, um das mit ihr zu klären. Etwas erstaunt, aber durchaus bereit sich auch um diese zusätzlichen Aufgaben zu kümmern, versprach Julia sofort ihre Hilfe.
„Aber bitte erkundigen Sie sich vorher bei Herrn Dr. Baehr wie viel man da investieren muss, und wie man so ein System am besten einrichtet“, schärfte Trudy Julia ein.
„Natürlich, ganz wie Sie meinen. Am besten wird es sein, Sie bitten ihn her, und dann besprechen wir das alle zusammen. Sie können sich wirklich auf mich verlassen! Ich bin zwar erst kurz bei Ihnen, aber Lilli und ich fühlen uns sehr wohl hier, und ich betrachte auch diese Aufgabe in ihrem Haus als Herausforderung. Machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen wir schon hin – gemeinsam!“
Mit dieser Auskunft von Julia war Trudy sehr zufrieden und sie hoffte, Hilda würde das auch einsehen und möglichst bald ihren alten Freund anrufen.
So kann es einfach nicht mehr weiter gehen, dachte Bettina. So lange Zeit hatte sie gehofft, Andreas könnte sich ändern und ihre Ehe würde endlich wieder besser werden. Schließlich hatten sie damals aus Liebe geheiratet, Andreas und sie. Einige Zeit war es ja auch gut gegangen, solange bis Andreas seinen Job verloren hatte, und damit der Abstieg begann. Aber sie konnte doch nichts dafür, dass seine Firma pleiteging. Hätte er nur nicht angefangen zu trinken, vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Aber immer, wenn er betrunken nach Hause kam, dann hatte er sie allein für die Situation verantwortlich gemacht und schließlich sogar geschlagen, und das in der letzten Zeit immer häufiger. Anfangs hatte sie ja noch gedacht, das sei nur ein Ausrutscher gewesen und ihm verziehen, aber es gab immer mehr von diesen Ausrutschern. Wie oft hatte sie ihrer Nachbarin erklären müssen wie ungeschickt sie doch geworden war. Mal hatte sie sich am Schrank gestoßen, mal war sie die Treppe heruntergefallen, und immer hatte sie überall blaue Flecken. Die Frau von gegenüber hatte manches Mal sicher geahnt was hier vorging, aber sich ihr anvertrauen, das wollte Bettina doch nicht, dazu schämte sie sich zu sehr. Auch ihren Vorschlag sich zu trennen, hatte Andreas gar nicht gut aufgenommen, im Gegenteil; er hatte sie derart verprügelt, dass sie danach drei Tage lang das Haus nicht verlassen konnte; jetzt reichte es! Wenn sie hier bliebe, dann würde er sie früher oder später umbringen, also musste sie fort, aber wohin? Alle ihre früheren Freunde hatte er vergrault, und nun hatten sie so gut wie keinerlei Kontakte mehr. Lediglich ihre älteste Freundin Ute hatte sich nicht so schnell abschütteln lassen und rief ab und zu noch bei ihr an. Vielleicht sollte sie selbst jetzt endlich selbst einmal versuchen dort anzurufen, sicher würde Ute sich über ein Lebenszeichen von ihr freuen, dachte Bettina und griff zum Telefon, ehe sie es sich noch einmal überlegen konnte. Bereits nach dem zweiten Läuten hörte sie die vertraute Stimme ihrer Freundin, die sich wie immer kurz und bündig meldete.
„Berger, guten Tag!“
„Hallo Ute, wie schön, dass Du zuhause bist, hier ist Bettina! Hast Du Zeit?“
„Bettina, mit Deinem Anruf hatte ich schon fast nicht mehr gerechnet, Du hast ja ewig nichts von Dir hören lassen. Ist alles in Ordnung bei Euch?“ Daraufhin war nur Schluchzen am anderen Ende der Leitung zu hören.
„Bettina, soll ich kommen, was ist los?“ Wieder hörte sie nur dieses herzzerreißende Wimmern am anderen Ende der Leitung, und Ute beschloss nicht länger zu zögern.
„Ich lege jetzt auf und komme sofort bei Dir vorbei, bis gleich!“