Nullgasse - Nick Living - E-Book

Nullgasse E-Book

Nick Living

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Beschreibung

Unklarheiten und gespenstische Vorgänge, nicht nur am Theater, wo es die Nullgasse gibt, sind in diesem Buch zu entdecken. Was es mit alledem auf sich hat, welche Geheimnisse sich hinter der Singularität verbergen und welches Virus denken kann, könnte hier herauszubekommen sein. Wie ein roter Faden ziehen sich unerklärliche Vorgänge und unglaubliche Erlebnisse der Protagonisten durch die Geschichten. Allerdings sind es keine Prinzen oder diverse Helden, die sich wacker und todesmutig durch sämtliche Abenteuer schlagen. Es sind ganz normale Menschen in ganz normalen und alltäglichen Situationen, die zufällig in Lebenswendungen geraten, welche sie dann irgendwie meistern müssen. Und genau das ist es, was der Wirklichkeit am nächsten zu kommen scheint: Die Wirklichkeit selbst! Liegen nicht auch im wahren Leben das Grauen und das ganz normale Leben dicht zusammen?

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Seitenzahl: 212

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Inhalt

Am Tor

Kreditvertrag mit dem Teufel

Wachkoma

Der Untermieter

Der Untote

Engel Gabriel

Der Indianer

Der Geisterzug

Totenschiff

Kugelblitze

Alte Fotos

Das Gesicht

Die alte Brigade

Die geschenkte Stunde

Taxifahrt

Der Ring der Mutter

Valerie

Die Frau auf dem Felsen

Das denkende Virus

Der große Traum

Das hölzerne Kreuz

Gerettet

Die Begegnung

Nullgasse

Großmutters Bild

Der alte Teppich

Die Sternschnuppe

Das Protokoll

Die Pension von Glenns-Point

Unfall

Die Singularität

Min – Min Lichter

Das Grauen

Teufelsort

Am Tor

Als der Sohn bei einem schweren Autounfall starb, kam der Tod über die Familie. Es war ein Ende, welches sie nie verkrafteten. Den Sohn verlieren, den sie so geliebt hatten. So glücklich lebten sie einst in dem kleinen Haus in Beverlys-Beach.

Doch die Nachricht war wie ein Bote des Teufels, der nichts anderes vorhatte, als ihnen die Seele zu rauben. Sie fanden sich nicht mehr wieder. Und doch hängten sie überall im Haus seine Bilder auf, die Bilder von Jim. Maryl war seine Mutter und hatte immer geglaubt, dass eines Tages auch für ihn das große Glück käme. Eine Frau … Kinder … Karriere. Doch dann sein Tod, sein tragischer Tod. Warum wurde er so entsetzlich aus seinem so jungen Leben gerissen? Warum? Sie bekam nie eine Antwort. Und das Glück, das Leben? Ihr Leben? Nachdem sie so schwer krank wurde, konnte sie nicht mehr daran glauben. Vielleicht war es ja diese Sinnlosigkeit, die Gott für sie bereit hielt? Sie wusste es nicht und glaubte kaum noch an ihn. Zusammen mit Kent führte sie eine gute Ehe und doch gab es so oft Streit. Streit ums Geld und um so manches. Jetzt standen sie an Jims Grab und alles war so anders, so weit von ihnen entfernt. Die Freude wich endloser Trauer und die Hoffnung versiegte in einem Meer von Tränen. Des Lebens Ende, ja, das spürten beide. So konnten und so wollten sie nicht mehr weiterleben. Gemeinsam wollten sie in den Tod gehen, hier an Jims Grab. Es würde nicht lange dauern, bis sie bei ihm wären. Maryl hatte sich mehrere Packungen Schlaftabletten organisiert und Kent hielt krampfhaft ein Foto von Jim in seiner zitternden Hand. Es sollte so sein. Kent stellte das Bild auf den weißen Marmorstein und zündete eine Kerze an. Sie sangen ein letztes Lied, es war Jims Lieblingssong.

Dann drückte Maryl sämtliche Tabletten in ein mitgebrachtes Glas. Mit einem Schluck Whisky aus Kents kleinem Flachmann verrührte sie den Sud. Sollte alles nun zu Ende sein? Es begann zu regnen und zischend verlosch die Kerze. Bald schon würde auch ihr Leben verlöschen. All die Erinnerungen und die vielen Tränen, sie nahmen sie mit zu Jim. Und sie hörten auf zu singen. Plötzlich hörten die beiden, wie jemand Jims Lieblingssong weiter sang. Zunächst glaubten sie, ein Fremder würde singen. Doch als sie keine andere Person entdecken konnten, verstanden sie die Welt nicht mehr.

Aber der Sänger war nicht weit von Ihnen entfernt, er stand hinter dem weißen Grabstein, und es war Jim! Maryl wusste nicht mehr, was sie sagen sollte und Kent starrte ebenfalls schweigend auf die unerklärliche Erscheinung. Wer erlaubte sich einen derart bösartigen Streich mit ihnen? Aber es war keiner auf dem kleinen Friedhof außer ihnen. Und Jim! Der sang und lächelte seine Eltern an. Dann sprach er und es hörte sich an wie eine Stimme, die von weit, von sehr weit her kam. „Ihr dürft nicht traurig sein.“, sagte er, „Ihr müsst nur einfach leben. Nur dann kann ich dorthin gehen, wo alles neu beginnt. Ihr werdet es nicht glauben, aber es ist etwas Wunderbares. Alles hat seinen Sinn und ich habe es gesehen. Lebt einfach weiter Euer Leben und wisst, dass ich nicht gestorben bin.

Mein ICH, und alles, was ich jemals war, all das ist nicht verloren. Und es ist so unfassbar. Ich habe es jetzt verstanden. Alles Ende der Welt, das Vergängliche, es ist gar nicht vergänglich. Es beginnt stets von neuem und es ist einfach unglaublich. Wir werden zusammen sein. Irgendwann. Und dann werdet Ihr sehen, dass etwas, dass einmal zusammen war, niemals mehr getrennt werden kann. Denn ewig ist das Sein. Nur die Materie ist endlich. Die Seele nicht. Ich muss jetzt gehen. Ich darf nicht länger hier bleiben.

Aber, wir werden uns wieder sehen, schon bald, denn Zeit gibt’s hier nicht.“ Die Erscheinung verschwand und ein heller Lichtstrahl zog in den wolkenverhangenen Himmel, bis er endgültig verschwand. Die beiden standen vor Jims Grabstein und starrten noch immer auf Jims Bild. Es lächelte und schien zu sagen: Seid nicht traurig. Und da wurde den beiden klar, dass sie weiter leben müssen. Nur wenn sie leben, wird auch Jim nicht vergessen sein. Was ist schon der Tod? Und was sind materielle Güter? Alles ist vergänglich, auch wir, doch unsere Seele, alles, was uns jemals ausmachte, all das wird bleiben, ewig bleiben. Auch wenn wir dieses Wort „Ewigkeit“ noch nicht verstehen können, ist es doch in uns. Es ist uns gegeben. Und es hält und zusammen. Doch was meinte Jim damit - er durfte nicht länger bleiben - von wem wurde ihm das erlaubt? Und wie war das mit dem „Wunderbaren“?

Alles wird immer wieder ganz neu entstehen, wirklich? Und plötzlich wussten sie, dass Jims irdischer Tod gar kein richtiges Sterben war. Jim war nicht mehr da, als Mensch. Doch er war da, immer und überall. Seine Seele begleitete seine Eltern, wohin sie auch gingen. Nie waren sie allein, keine Sekunde! Jetzt begriffen sie es. Und an diesem Tor der Zeit, diesem Tor zur Unendlichkeit wollten sie warten. Warten, bis auch sie eines Tages hindurch gelassen würden. Und sie freuten sich. Und sie fürchteten sich nicht mehr. Denn sie wussten genau, dass es ein Wiedersehen geben wird. Ein Wiedersehen in anderen Dimensionen. Was für ein Wunder tat sich da auf diesem Friedhof, an Jims Grab. Geschehen nicht täglich solche Wunder? Wir müssen an die Unendlichkeit glauben, dann verstehen wir auch den Tod. Er ist kein Abschied, er ist ein Übergang in eine andere Dimension. Und wir leben weiter, in den Herzen, in den Seelen der anderen, die uns immer liebten. Denn das ist es, was uns zusammenfügt, was uns zusammenhält und nie wieder trennt:

Die Liebe und die Hoffnung!

Kreditvertrag mit dem Teufel

Man sagt, es gibt Menschen, die sind so böse, dass sie mit dem Teufel verwandt sind. Ich glaubte solche Geschichten nicht, aber eines Tages lief mir ein seltsamer alter Mann über den Weg, der meine bisherigen Ansichten regelrecht verbrennen sollte.

In meinem Wohngebiet lebten viele arme Leute. Sie hatten keine Arbeit und keine Aussicht, dass es jemals besser werden könnte. Alkohol und Hoffnungslosigkeit kennzeichnete die Gegend. Auch eine Kirche gab es dort nicht. Wozu auch? Die Leute hatten kein Geld und wussten nicht, woran sie noch glauben sollten. Es schien nur zu verständlich, dass sie sich von Gott verlassen fühlten. Da kam es wie gerufen, wenn sich jemand der Probleme all dieser Leute annahm. Viele unseriöse Geschäftemacher erschienen wie aus dem Nichts und betrogen die ohnehin schon bedürftigen Menschen um ihr letztes bisschen Hab und Gut. Sie verschwanden so schnell wie sie aufgetaucht waren und keiner konnte ihnen etwas nachweisen. Und wer hatte auch schon das Geld, um sich einen teuren Anwalt leisten zu können, um gegen diese Gauner und Betrüger vorzugehen. All das wussten die Gauner sehr genau. Eines Tages kam wieder so ein seltsamer Mann. Er war schon etwas älter und da er ein gutmütiges Gesicht in der Öffentlichkeit aufsetzte und den Menschen sympathisch gegenübertrat, schöpften sie schnell Vertrauen. Doch der Alte hatte zwei Gesichter. Das andere, furchtbare und grausame Gesicht sah keiner. Auch ich hatte damals nicht genug Geld, um mein Leben finanzieren zu können. Gerade hatte ich meinen Job verloren und keiner wollte mich mehr einstellen. Doch die bestehenden Kredite und die monatlichen Zahlungen an den Vermieter und an die Telefongesellschaft mussten weiter gezahlt werden. Ich wusste nur nicht, wovon!

So ging ich in die Kneipe, um von den Problemen ein wenig Abstand zu bekommen. Plötzlich ging die Tür auf und der alte Mann kam herein. Er schien mir anzusehen, dass es mir nicht sehr gut ging. Sofort setzte er sich an meinen Tisch und bestellte eine Runde nach der anderen. Wir kamen ins Gespräch und ohne dass ich es merkte, horchte mich der Alte Stück für Stück aus. Irgendwann hatte ich so viel getrunken, dass ich gar nichts mehr wusste.

Mein Kopf fiel auf die Tischplatte und ich war sternhagelvoll! Der Alte, der nur das vorhatte, schob mir einen Kreditvertrag unter die Nase, den ich willenlos und nicht mehr Herr meiner Sinne unterschrieb. Es war ein Kreditvertrag über Fünftausend Dollar. Irgendjemand musste mich nach Hause gebracht haben, jedenfalls wachte ich am nächsten Morgen in meinem Bett auf. Mir ging es wirklich gar nicht gut, alles tat mir weh und schwindlig war mir auch. Kaum kam ich aus den Federn. Auf dem Tisch lag etwas, irgendein Dokument. Ich konnte mich nicht erinnern, wie es dorthin gekommen war. Gähnend zog ich es vom Tisch und las, was drauf stand. Als ich sah, dass ich einen Kreditvertrag über Fünftausend Dollar unterzeichnet hatte, wurde ich schlagartig wach. Ich brauchte nicht einmal einen starken Kaffee. Nur auf meine morgendliche Dusche wollte ich auch an diesem Tage auf keinen Fall verzichten.

Als ich mich ein wenig frischer fühlte, zog ich mich an und ging sofort zu dem Alten. Der hatte ein Büro gleich um die Ecke eröffnet. An seinem goldenen Schild las ich: „Kreditvermittlung“. Ich konnte es nicht glauben, dass ich einem miesen Kredithai aufgesessen war. Immer schimpfte ich auf die anderen, die so dumm waren, sich über den Tisch ziehen zu lassen. Und nun hatte es mich selbst erwischt! Satt und grinsend thronte der Alte wie ein Fürst hinter seinem Eichenholzschreibtisch und paffte an einer Zigarre. Sein blütenweißes Hemd ließ die Leute glauben, dass er es ehrlich mit ihnen meinte. Doch ich wusste, dass er in Wahrheit ein bösartiger, hinterhältiger Schurke war. Seine Luxuskarosse, die er vor seinem Büro auf der Straße parkte, zeugte wohl davon. Ich stellte ihn zur Rede, fragte, was dieser Kreditvertrag zu bedeuten hätte. Doch er grinste nur und meinte dann eiskalt: „Den haben Sie doch unterschrieben und nicht ich. Sie müssen in drei Monaten das Geld an mich zurückzahlen, und zwar mit Zins und Zinseszins! Tun Sie das nicht, werde ich Ihnen den Stuhl unter Ihrem Hintern wegpfänden lassen!“ Dabei lachte er laut und blies mir den beißenden Zigarrenrauch in die Augen. Ich konnte gar nichts mehr sehen und stotterte nur noch herum. Ich unterbreitete ihm den Vorschlag, die Raten so klein wie möglich zu halten oder vielleicht den Vertrag wieder zurück zu nehmen. Doch der Alte wollte mich nicht länger anhören. Er warf mich einfach aus seinem Büro. Da ich einen heftigen Kater hatte, gehorchte ich und ließ mich von ihm einschüchtern. Ich ging nach Hause, legte mich verzweifelt aufs Sofa und schlief irgendwann total erschöpft ein. Gegen Mitternacht wurde ich wieder wach. Sofort fiel mir alles wieder ein. Dieser Betrüger, der Kreditvertrag, meine Schulden bei ihm, so konnte ich das nicht stehen lassen. Ich musste zu ihm gehen, um den Vertrag rückgängig zu machen. Doch mir war klar, dass er mir das Original des Vertrages niemals aushändigen würde. So beschloss ich, mir den Vertrag auf andere Weise zurück zu holen. Ich wollte in sein Büro einbrechen, um nach dem Dokument zu suchen. Auch wenn ich wusste, dass ich etwas Verbotenes vorhatte, musste ich es tun. Immerhin hatte der Alte ja auch etwas Verbotenes getan: Er hatte sich in meinem hilflosen Zustand meine Unterschrift erschlichen! Obwohl mir nicht wohl war bei diesem Gedanken, zog ich mich dennoch an und lief zu seinem Büro an der Ecke. Vor dem Gebäude befand sich keine Straßenlaterne und so konnte ich an den Türen des Büroeingangs testen, ob sie offen standen. Leider hatte ich kein Glück. Mein Blick fiel auf ein Kellerfenster. Es stand offen, sollte ich dort einsteigen? Ich tat es und es war groß genug, sodass ich hindurchpasste. Auch die Kellertür, die ins Treppenhaus führte, stand offen. Vorsichtig und leise schlich ich die Treppen hinauf, bis ich vor seinem Büro stand. Als ich klinkte, staunte ich nicht schlecht, denn auch diese Tür war nicht verschlossen.

War der Alte etwa noch da? Ich zögerte, doch dann fasste ich mir ein Herz und trat auf leisen Sohlen in den dahinter befindlichen Raum. Was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es war das Büro, in welchem ich selbst gewesen bin. Überall standen Kerzen und verbreiteten ein gespenstisches Licht.

Doch das Merkwürdigste war, das mitten im Zimmer der Alte stand. Regungslos verharrte er zwischen zwei steinernen mannshohen Vögeln mit roten Augen. Plötzlich fegte ein starker Wind durch den Raum und blies einige Kerzen aus. Der Alte erhob sich in die Luft und verwandelte sich in ein schwarzes Wesen mit breiten Flügeln, zwei spitzen Hörnern und stechend roten Augen. Er flog auf das Fenster zu und löste sich dabei plötzlich in Luft auf.

Auch die steinernen Vögel erhoben sich und folgten ihm ins Nichts. Ein Geruch von Schwefel und verbranntem Holz zog in meine Nase. Ängstlich starrte ich in den leeren Raum. War das eine Halluzination oder hatte ich das eben alles wirklich erlebt? Der Schreck war mir derartig in meine Gliedmaßen gefahren, dass ich mich kaum fortbewegen konnte. Als ich schließlich vor dem Schreibtisch stand, entdeckte ich ein kleines Feuerzeug. Ich zündete damit die Kerzen wieder an und entdeckte dutzende Verträge auf dem Tisch. Sie lagen wüst auf der Tischplatte herum. Darunter fand ich auch meinen Vertrag. Ich zog ihn unter einem Stapel von Dokumenten hervor und nahm ihn an mich. Im gleichen Augenblick erhob sich ein furchtbares Getöse. Schlagartig wurde mir klar: Der Alte kehrte zurück! Aus der Ferne sah ich bereits die roten Augen, die schnell näher kamen.

Schnellstens verließ ich das Büro. Ich lief bis zum Keller hinunter und kletterte aus dem Fenster. So schnell ich konnte rannte ich zu mir nach Hause. Dort schloss ich mich ein. Den Originalvertrag und auch meine Kopie verbrannte ich in meinem Küchenherd, der noch mit Kohle befeuert wurde. Ich glaubte, dass damit alles beendet sei. Doch ich hatte vergessen, um wen es sich bei dem Alten handelte. Ich kroch gerade in mein Bett zurück, da polterte und krachte es an den Fenstern meiner Wohnung. Als ich nach der Ursache für den Krawall schaute, erschrak ich fürchterlich! Vor dem Schlafzimmerfenster tanzten die steinernen Vögel mit den roten Augen auf und nieder. Und vorm Wohnzimmerfenster schwebte der Leibhaftige mit seinen beiden Hörnern auf dem Kopf und starrte bedrohlich in den Raum. Sein stechend roter Blick durchschnitt beinahe meine Fensterscheiben. Doch er kam nicht hindurch. Irgendetwas schien ihn abzuhalten. Ich wusste nicht, was es sein konnte und mein Blick flog durchs Zimmer. Plötzlich wusste ich, warum der Teufel nicht herein kam. Am Fenster stand ein kleines Kruzifix und in meinem Bücherregal bewahrte ich eine Bibel auf. Sie leuchtete hell auf und schließlich zog der Teufel von dannen. Seit diesem furchtbaren Erlebnis trug ich ein kleines silbernes Kreuz an einer Kette um den Hals. Den Kreditvertrag musste ich nie zurückzahlen. Auch das Büro des Kredithaies wurde geschlossen. Es hieß, er sei bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen. Seine Leiche jedoch konnte nie gefunden werden.

Ich wusste es besser. Er war wohl von einer Feuerwalze in die Hölle verfrachtet worden. Doch das aller komischste war, dass seitdem nur noch sehr selten teuflische Betrüger die Gegend heimsuchten. An ihrer Stelle kamen Investoren, die ihrerseits viele Arbeitsstellen schafften. Und ich ahnte auch warum: Man hatte begonnen, in unserem Ort endlich eine Kirche zu bauen …

Wachkoma

Simon litt seit einigen Jahren an Schizophrenie. Immer wieder glaubte er, Stimmen zu hören, die ihm Anweisungen gaben. Die Krankheit wurde immer schlimmer und schließlich kam es soweit, dass er in ein Krankenhaus eingewiesen werden musste. Doch er hatte wenig Geld und der Aufenthalt im Krankenhaus war sehr teuer. Leisten konnte er sich das eigentlich gar nicht, denn er hatte seit einiger Zeit keine Arbeit mehr. Außerdem wurde ihm ein bestehender Kredit von seiner Bank gekündigt, weil er die Raten nicht mehr begleichen konnte.

Er wusste nicht mehr, was er tun sollte. Die Probleme wirkten sich auch auf die Krankheit aus. Er musste stärkere Medikamente einnehmen und die Probleme standen ihm bis zum Hals. Eines Tages fiel er ins Koma. Es kam überraschend und da er keine Angehörigen mehr hatte, konnte keiner informiert werden, der ihm die allernötigsten Dinge zu Hause erledigte. Und so konnte er nicht einmal mehr die Miete für seine Wohnung zahlen und erhielt Mahnungen von seinem Vermieter. Doch Simon lag tagein und tagaus regungslos in seinem Krankenbett.

Die Ärzte waren ratlos, denn solch ein komatöser Zustand konnte sich sehr lange hinziehen. Es gab Patienten, die jahrelang im Wachkoma lagen. Was die Ärzte jedoch nicht wussten: Simon spürte alles, was um ihn herum geschah. Er wusste nicht wieso, aber er sah sich inmitten einer riesigen grünen Wiese. Nichts war sonst zu sehen, nur der blaue Himmel wölbte sich über einer scheinbar ruhigen und sonnigen Landschaft. Ihm schien, als sei die Zeit angehalten worden. Es gab weder Dinge, die ihm Sorgen bereiteten, noch gab es Dinge, die ihn interessierten. Alles stand still. So leicht hatte er sich nie gefühlt. Auch die Erinnerung an sein Zuhause, an seine Krankheit und an sein früheres Leben. Alles schien ausgelöscht. In der Ferne sah er ein Licht. Nein, es war nicht die Sonne. Vielmehr war es ein gleißend helles, aber nicht unheilvolles Licht. Es war nur einfach da und lud ihn ein, zu ihm zu gehen. Mehr und mehr spürte er einen Drang, dorthin zu gehen.

Doch er konnte es nicht, lag wie gelähmt auf dieser endlosen Wiese und dachte an nichts. Das Licht strahlte eine gewisse Ruhe, aber auch eine merkwürdige Unruhe aus. Beides zugleich. Er wusste nichts damit anzufangen. Ewig musste er bereits auf dieser Wiese am Rande aller Zeit gelegen haben. Da sah er, wie sich dieses Licht ganz langsam von ihm entfernte. Es wurde kleiner und kleiner, ganz langsam nur, aber es schrumpfte. Schließlich war es verschwunden. Plötzlich vernahm er eine Stimme. Sie wurde lauter, doch sie störte ihn nicht. Sie hatte einen angenehmen Klang. Doch er sah keine Person, die zu ihm sprach. Er hörte nur diese Stimme. Leise erzählte sie ihm von einem Garten. Überall in diesem wunderschönen Garten erblühten die schönsten Blumen. Rosen in allen Sorten standen da: rote, gelbe, weiße. Er spürte sogar den betörenden Duft dieser Blumen. Die Stimme sprach von einer weißen Rose. Es sollte die größte und schönste sein. Die sollte er pflücken und unter ihr sollte er graben. Dann würde er das finden, was ihm fehlte. Immer wieder sprach diese Stimme von dieser einen weißen Rose. Doch welche sollte es seinin diesem Garten wuchsen so viele weiße Rosen. Aber er erhielt keinerlei Hinweise mehr. Irgendwann verstummte die Stimme und er entfernte sich immer weiter von diesem Garten. Auch die Wiese entschwand am Horizont und es war ihm, als würde es dunkler werden. War es Nacht geworden? Die Stille wurde durch lautes Stimmengewirr unterbrochen.

Unruhe kehrte ein und Simon war gar nicht mehr so behaglich wie eben noch zumute. Irgendetwas spürte er an sich, was war das nur, was ging hier vor? Dann schlug er seine Augen auf! „Der Patient ist soeben aus dem Koma erwacht!“, hörte er jemand rufen. Das nun einsetzende Treiben versetzte ihn in Angst. Er schwitzte und atmete schnell, viel zu schnell. Er spürte, wie sein Herz immer heftiger zu schlagen begann. War das ein Herzinfarkt? Ja, er bekam wohl einen Herzinfarkt - warum half ihm keiner? Als er endlich wach wurde, stand ein Mann in einem weißen Kittel und einem sehr besorgten Gesicht vor ihm und schaute ihn an. Dann sprach er zu ihm: „Wie fühlen Sie sich … können Sie mich hören … Hallo!“ Natürlich hörte er ihn und er fühlte sich auch gut. Nur sprechen konnte er noch nicht so richtig. Es fiel ihm sehr schwer, zusammenhängende Sätze zu formulieren. Und die Erinnerung, wo war die nur geblieben. Er versuchte krampfhaft, sich seine letzten Gedanken und Erinnerungen ins Hirn zu rufen. Da fiel ihm die grüne Wiese ein, diese märchenhafte Stille und dieses Licht, es war so weit von ihm entfernt. Und was war das überhaupt, dieses merkwürdige Licht? Schließlich fiel ihm die Stimme ein, die zu ihm gesprochen hatte. Was sagte sie doch gleich … eine weiße Rose … er sollte sie pflücken … darunter graben … warum? Wieder fielen ihm die Augen zu. Es war wohl noch zu anstrengend für ihn. Doch er war zäh und gab nicht auf! Am darauf folgenden Tag erwachte Simon endlich aus seinem langen Schlaf. Das Koma hatte er überlebt. Nun kam es darauf an, wie es ihm ging. Behielt er Schäden im Gehirn zurück? Nein, Simon fühlte sich sehr gut. Er sprach wieder und begann selbständig zu essen und zur Toilette zu gehen. Die Wochen vergingen und Simon wurde wieder hergestellt. Doch auch die Stimmen kehrten zurück. Warum musste sich sein Gehirn ausgerechnet an diese dumme Krankheit erinnern? Die Ärzte gaben ihm doch die besten Prognosen. Immer wieder sprachen die Stimmen von der weißen Rose, die er pflücken sollte. Und so musste er auch weiterhin seine Medikamente gegen die Schizophrenie nehmen. Nach sechs Wochen konnte er entlassen werden, musste sich aber weiterhin bei seinem Hausarzt melden. Eines Tages nahm er sich vor, nach der rätselhaften weißen Rose zu suchen. Doch wo fand er weiße Rosen? In der Kleingartenanlage? Dort hatte er nie weiße Rosen gesehen.

Als er auf dem Weg zu seinem Hausarzt war, entdeckte er sie schließlich. Vorm Haus des Arztes standen etliche Rosen, rote und eine einzige weiße Rose. Sollte er allen ernstes diese wunderschöne Blume pflücken? Er schaute sich um: Er schien allein zu sein! Schnell sprang er in das kleine Grundstück und pflückte die Rose. Dann verschwand er schnellstens im Haus und schenkte die Rose der gut aussehenden blonden Schwester in der Anmeldung. Die freute sich natürlich sehr über dieses unvermutete Geschenk und stellte sie sofort in eine passende Vase. Als er später das Haus wieder verließ, sprang er erneut in das kleine Grundstück und begann zu graben. Plötzlich stieß er auf einen harten Widerstand. Irgendetwas war da, das spürte er deutlich.

Nur was? Sollte er es ausgraben? Die Stimme in seinem Kopf meldete sich wieder und trieb ihn an, doch weiter zu graben. Und er tat es. Außerdem hatte er Glück, dass die ganze Zeit über keiner aus dem Haus kam oder hinein wollte. Schließlich hatte er es ausgegraben. Es war eine kleine Metallkiste. Sie war schon verrostet und ließ sich nicht öffnen. Schnell schüttete Simon das Loch zu und lief nach Hause. Dort versuchte er, mit einem Stemmeisen die Kiste zu öffnen. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm. Der Deckel sprang auf und vor ihm lagen mehrere kleine Goldbarren und ein schmutziger Briefumschlag. Simon konnte es nicht fassen!

Er hatte mir allem gerechnet, aber nicht mit solch einem wertvollen Fund. Und er wusste, dass er das Gold nicht behalten konnte. Sein Gewissen ließ es nicht zu. Gleich morgen wollte er den Fund zur Polizei bringen. Doch vorher wollte er in den Briefumschlag schauen, ganz vorsichtig öffnete er ihn. In seinem Inneren steckte ein Brief. Simon zog ihn heraus und las: „Mein lieber Sohn, vielleicht hast Du die Kiste gefunden. Das würde mich sehr freuen. Ich kann Dir leider nicht persönlich meinen Schatz übergeben. Aber dafür vergrabe ich ihn hier vor unserem Hause. Führe die Praxis weiter, die ich so mühevoll aufgebaut hatte. Und solltest Du sie nicht mehr weiterführen können, überschreibe sie meinem Enkel, Deinem Sohn Simon. Dein Dich liebender Vater Emil.“ Simon wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Natürlich erinnerte er sich an seinen Großvater, der Emil hieß. Aber sollte ausgerechnet er … und was war mit dem Haus? Er konnte es sich einfach nicht erklären. Und es stand fest, er musste gleich am nächsten Tag zur Polizei, um sich Gewissheit zu verschaffen. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem ominösen Emil tatsächlich um seinen Großvater handelte. Der war allerdings im zweiten Weltkrieg umgekommen. Er und seine Frau lebten damals in dem Haus, welches nun Simons Hausarzt gehörte. Das Gold hatte Emil geerbt und noch vor dem Krieg vor seinem Haus vergraben. Im Krieg wurde das Haus total zerstört und stand danach viele Jahre leer. Es gab keine Unterlagen mehr und Bernd, Emils Sohn lebte in den Niederlanden. Irgendwann kam dieser zurück und heiratete Sarah. Die beiden bekamen einen Sohn: Simon. Überglücklich nahm er den Schatz als sein Eigentum in Empfang. Er verkaufte einige Goldbarren und konnte sich davon ein neues Haus kaufen und alle seine Schulden bezahlen. Welches Geheimnis sich allerdings um die seltsamen Stimmen rankte, die Simon aufforderten, unter einer weißen Rose zu graben, konnte nie geklärt werden. Die Stimmen meldeten sich nach dem Fund des Schatzes nie wieder …

Der Untermieter

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