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Fressen Wölfe auch Melonen? Richtet der Fuchs seinen Tagesablauf nach dem Menschen aus? Warum gab es in Spanien früher zwei Luchsarten? Und wie wirken sich Müllkippen auf die Wanderungen von Braunbären aus? Die Wissenschaft bringt dank modernster Forschungsmethoden oft Überraschendes ans Licht. Das gilt nicht nur für exotische Arten, sondern auch für altbekannte Raubtiere, die in Mitteleuropas Wäldern und Fluren unterwegs sind - für Wolf, Fuchs, Bär und andere Bekannte aus Grimms Märchen und Brehms Tierleben. Eine spannende Exkursion in die aktuelle zoologische Forschung. - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos.
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Inhaltsverzeichnis
Reineke & Isegrim
Kai Althoetmar
Wolf, Luchs, Marder und Fuchs. Neues aus der Forschung
Impressum:
Titel des Buches: „Reineke & Isegrim. Wolf, Luchs, Marder und Fuchs. Neues aus der Forschung“.
Erscheinungsjahr: 2018.
Inhaltlich Verantwortlich:
Verlag Nature Press
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfoto: Pardelluchs. Foto: Programa de conservación ex-situ del lince ibérico, Antonio Rivas.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
Von Wölfen und Bären
Fressen Wölfe auch Melonen? Richtet der Fuchs seinen Tagesablauf nach dem Menschen aus? Warum gab es in Spanien früher zwei Luchsarten? Rottet die Fallenjagd Stein- und Baummarder aus? Und wie wirken sich Müllkippen auf die Wanderungen von Braunbären aus? Die Wissenschaft bringt dank modernster Forschungsmethoden oft Überraschendes ans Licht. Das gilt nicht nur für exotische Arten, sondern auch für altbekannte Raubtiere, die in Mitteleuropas Wäldern und Fluren unterwegs sind - für Wolf, Fuchs, Bär und andere Bekannte aus Grimms Märchen und Brehms Tierleben. Das zeigen neuere Forschungsergebnisse zahlreicher internationaler Zoologenteams.
Die in diesem Band vorgestellten Forschungsstudien haben Wissenschaftlerteams im renommierten Journal of Zoology der Zoologischen Gesellschaft London sowie in dessen Schwestermagazin Integrative Zoology veröffentlicht. Der Autor hat - als einziger deutschsprachiger Wissenschaftsjournalist - über diese Forschungs-arbeiten in deutschen, österreichischen und Schweizer Medien berichtet. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung dieser Feld-forschungsgeschichten, die die komplexen und akademischen englischsprachigen Fachchinesisch-Texte der Biologen in eine auch für Laien verständliche Form und Sprache überträgt und daraus „erzählte Zoologie“ gestaltet. Hintergrundinformationen zu den behandelten Tierarten und Auszüge aus Interviews mit den Forschern ergänzen die Texte, die den Leser auf eine verblüffende Rundreise durch die zoologische Wissenschaft mitnehmen.
Ein halber Freispruch für Isegrim
Iran: Wölfe fressen vor allem verendetes Nutzvieh und Pflanzliches.
Dem Fabeldichter Äsop galt er noch als kluges Tier, Hirten in aller Welt ist er nur ein Greuel: Der Wolf ist als Viehdieb ersten Ranges verschrien. Während Meister Isegrim in Mitteleuropa verlorenes Terrain zurückerobert und strikt geschützt wird, lassen Schäfer und Ziegenhirten anderswo die Waffen sprechen. Im Iran ist der Glaube an den bösen Wolf so fest verankert, daß Forscher der Iranian Cheetah Society (ICS) dem Konflikt zwischen Wolf und Mensch tiefer auf den Grund gingen, um die Mär von den Fakten zu trennen.
Die ICS-Wissenschaftler, die sonst eher auf Persiens Geparde spezialisiert sind, untersuchten im Qamishlu-Wildreservat im Zentral-iran zwei Jahre lang, wovon sich der Wolf genau ernährt. In dem 800 Quadratkilometer weiten trockenen Hochland ist der Tisch für Irans Wolfsunterart Canis lupus pallipes von Natur aus gut gedeckt. Mufflons, Kropfgazellen und auch Wildziegen gibt es in der von Bergen durchfurchten Steppenlandschaft reichlich. Dazu gesellen sich ihre domestizierten Artgenossen - Herden von Schafen und Ziegen, die im Winter in das Wildreservat zum Grasen getrieben werden und seit jeher das Interesse des Wolfs wecken.
Das Team um Fatemeh Hosseini-Zavarei sammelte Hunderte Kotproben, analysierte Haarreste unter dem Mikroskop, interviewte Hirten und hielt selbst Ausschau nach Wölfen und Wolfsrissen. Im Journal of Zoology (Band 290, S. 127) veröffentlichten sie ihre Erkenntnisse. Der Befund übertraf vordergründig alle Klischees. „Obwohl es reichlich wilde Huftiere gibt, ernährt sich der Wolf in viel höherem Maße von Nutzvieh als erwartet“, schreiben Hosseini-Zavarei und Kollegen. 47 Prozent der fleischlichen Biomasse, die der Wolf zu sich nahm, lieferten Schaf und Ziege aus den Herden der Hirten. 27 Prozent entfielen auf Gazellen, 16 Prozent auf Wildschafe, der Rest auf Wildziegen, Vögel und Nager.
Demnach hätten Wolfsangriffe, vor allem solche auf Schafherden, eine regelrechte Plage sein müssen. Befragungen der Hirten zeichneten aber kein so dramatisches Bild. Nicht ein Prozent einer Herde ging jährlich durch Wolfsattacken verloren. Auch war die Zahl der bei einer Attacke getöteten Schafe oder Ziegen mit 1,7 viel geringer, als es zum Beispiel aus Italien oder Polen bekannt ist - weil im Iran immer Hirten und Hütehunde zur Stelle sind. Außerdem bestehen die Wolfsrudel in der Provinz Isfahan wegen des dürren Klimas im Schnitt nur aus zwei erwachsenen Tieren - weltweit sind die dortigen Rudel der Größe nach damit Schlußlicht.
Wie aber kam das viele Schaffleisch in den Wolfsmagen? Die Geparden-Forscher lösten das Rätsel. Die Wölfe von Qamishlu fressen vor allem Aas: Schafe und Ziegen, die durch Krankheit oder Schwäche auf den Weideflächen zuvor verendet waren. Hinzu kam Vieh, das beim Weidegang versehentlich zurückblieb und abends nicht in Koppel oder Stall zurückkehrte - ein Festmahl für Wölfe und Hyänen.
Wolf. Foto: Malene Thyssen, CC BY-SA 3.0.
Der Schaden durch Wolfsattacken betrug für einen Herdenbesitzer in zwei Wintern zusammen 472 US-Dollar, bilanzieren die Forscher. Der Verlust durch verendete und in der Wildnis zurückgelassene Tiere summierte sich pro Herde auf durchschnittlich 2.810 Dollar - fast sechs mal so viel. Den 89 ermittelten Wolfsattacken auf Herden standen 196 Abgänge durch Krankheit oder Schwäche und 55 Verluste durch versehentliches Zurücklassen gegenüber.
Die Feldstudie lieferte den Forschern noch mehr Überraschungen: Unter den wilden Huftieren rissen die Wölfe weit überproportional Widder und Böcke. In den Wintermonaten sind die männlichen Mufflons und Gazellen durch die Brunft geschwächt. Ständig müssen sie ihr Revier und ihre Harems verteidigen - das erschöpft sie derart, daß sie leichte Beute für Wölfe werden.
Ein weiterer Befund: Irans Wölfe sind keine Verächter vegetarischer Kost. 60 Prozent der gefressenen Biomasse war kein Fleisch. Im Kot fanden sich auffallend oft Fragmente von Trauben und Melonen. Selbst Abfälle wie Papier und Bindfäden schmeckten den opportunistischen Jägern. Nicht nur Schaf- und Ziegenherden, auch Müllkippen und Obstplantagen locken Isegrim an, stellten die Wissenschaftler fest.
Den Forschern liefert die Studie gute Gründe für einen stärkeren Schutz des Wolfs im Iran. Für Asiens Wölfe gibt es bis auf Indien bislang kein Wolfsmanagement. Illegale Abschüsse, aber auch Kollisionen mit Autos setzen die Bestände unter Druck. Entschädigungen für Viehhalter seien auch im Iran an der Zeit, meinen die Autoren der Studie. Denn 85 Prozent der befragten Hirten stuften ihre Einstellung zum Wolf als „negativ“ ein. Handlungsbedarf sehen die Autoren auch an anderer Stelle: Es wäre hilfreich, wenn die Schäfer wie schon der biblische „gute Hirte“ abends kein Vieh in der Wildnis zurückließen. Zu diesem Thema hatten die Hirten nur höchst ungern Auskunft gegeben.
Zwei Feinde fürs Leben
USA: In den Rocky Mountains engen Wölfe den Lebensraum der Pumas ein.
Als 1995 in den USA im Yellowstone-Nationalpark nach 60 Jahren wieder Wölfe angesiedelt wurden, galt das als großer Artenschutzerfolg. Die Rudel dezimierten flugs die Wapitihirsch-Population, den dortigen Erzfeind allen Baumaufwuchses, und hielten den Grislys damit Konkurrenz bei der Beerenernte vom Leib. Zudem lockten sie indirekt Biber in den Park, denn die fanden jetzt junge Bäume als Nahrung und für ihre Bauten - während zuvor kaum ein junger Trieb dem Verbiß der Wapitis entgangen war. Nur einer wurde in der Ökobilanz vergessen: der Puma. US-Wissenschaftler haben mit einer Langzeitstudie nachgewiesen, daß den einzelgängerischen Großkatzen in der Region die Reviere ausgehen, weil sie die Wolfsrudel meiden (Journal of Zoology, Band 294, S.59).
Denn Wölfe sind vor allem für junge Berglöwen eine tödliche Gefahr. Wo Wölfe neu angesiedelt werden, ziehen sich Pumas konsequent zurück. Das fanden Forscher der auf den Schutz von Großkatzen spezialisierten New Yorker Organisation Panthera sowie zweier Naturschutzbehörden im US-Bundesstaat Wyoming heraus. Das Team um die Panthera-Biologen Patrick Lendrum und Mark Elbroch hatte über zehn Jahre hinweg in den Rocky Mountains Pumas mit Radio- und GPS-Halsbändern ausgestattet, Ortungsdaten gesammelt und ihre Aufenthaltsorte analysiert. Die Katzen waren zuvor unter Mithilfe von Suchhunden aufgespürt und mit Narkosegewehr betäubt worden. Von 28 Pumas wurden die Streifgebiete im Grand-Teton-Nationalpark im Süden des Yellowstone-Naturraums ausgewertet. Die Reviere der Wölfe waren den Biologen bekannt. Die Forscher wollten herausfinden, ob den Berglöwen der Schutz vor Wolf und Mensch wichtiger ist als ein gutes Futterangebot. Den Menschen fürchten Pumas von Natur aus, zudem werden sie in Wyoming außerhalb der Parkgrenzen gejagt.
„Überall wählten Pumas Streifgebiete mit nur einem Sicherheitsmerkmal: Distanz zu Wölfen", heißt es in der Studie. Die Raubkatzen wählten als Revier stets die Areale mit dem besten Nahrungsangebot, es sei denn, Wölfe waren in der Nähe. Die Forscher erstaunte, daß die Pumas nicht die Nähe zu Straßen und damit zu menschlicher Nähe scheuten. Wie sich zeigte, stehen die Großkatzen vor einem Dilemma. Die Straßen im Park folgen Gewässern, an denen sich wiederum Wild sammelt - die Beute der Pumas.