Sturm über den Stämmen - Uwe Goeritz - E-Book

Sturm über den Stämmen E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

Irgendwo im Herzen Europas. Es ist das Jahr 376. Dies ist die Geschichte zweier Freundinnen, die durch die Wirren der Zeit, die wir heute fälschlicherweise als Völkerwanderung bezeichnen, an völlig neue Orte geraten. Auf der Flucht vor Hunger und Gewalt machen sie sich auf den Weg, der sie für immer trennen wird. Zwei starke Frauen, die, jede für sich, einen neuen, sicheren Platz im Leben suchen. Getrieben durch die Angst vor den Reiterhorden aus Zentralasien, so wie zehntausende andere Menschen auch, versuchten sie zu überleben. Woher die Reiter kamen und aus welchem Grund sie nach Westen zogen, ist heute vollkommen unbekannt. Sie hinterließen keine Aufzeichnungen, nur die Sagen aus dieser Zeit und die Furcht vor allem Fremden blieben im Gedächtnis der Menschen zurück. Der Ruf "Die Hunnen kommen!" wurde für viele hundert Jahre zum Schreckensruf in Europa. Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) "Die Sklavin des Sarazenen" ISBN: 978-3-7448-5151-0 (26.07.2017) "Die Tochter aus dem Wald" ISBN: 978-3-7448-9330-5 (28.09.2017) "Anna und der Kurfürst" ISBN: 978-3-7448-8200-2 (20.11.2017) "Westwärts auf Drachenbooten" ISBN: 978-3-7460-7871-7 (26.02.2018) "Nur ein Hexenleben..." ISBN: 978-3-7460-7399-6 (24.04.2018) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 157

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Sturm über den Stämmen

Ein kleines Dorf

Flucht

Für immer gefangen?

Gedanken der Angst

Ein Mann, ein Pferd

Versteck im Wald

Ein langer Zug

Widerstand oder Flucht

Erntemond

Unterwerfung oder Liebe?

Ein kühner Plan

Nur knapp entkommen

Gerettet?

Ein neues Leben

Wege über das Land

Alles nur Zauberei?

Winterzeit

Verrat und Verräter

Noch eine Flucht

Ein langer Weg

Im Moor gefangen

Das Vermächtnis

Die sichere Bleibe

Ein schweres Erbe

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Sturm über den Stämmen

I rgendwo im Herzen Europas. Es ist das Jahr 376. Dies ist die Geschichte zweier Freundinnen, die durch die Wirren der Zeit, die wir heute fälschlicherweise als Völkerwanderung bezeichnen, an völlig neue Orte geraten. Auf der Flucht vor Hunger und Gewalt machen sie sich auf den Weg, der sie für immer trennen wird. Zwei starke Frauen, die, jede für sich, einen neuen, sicheren Platz im Leben suchen.

Getrieben durch die Angst vor den Reiterhorden aus Zentralasien, so wie zehntausende andere Menschen auch, versuchten sie zu überleben. Woher die Reiter kamen und aus welchem Grund sie nach Westen zogen, ist heute vollkommen unbekannt. Sie hinterließen keine Aufzeichnungen, nur die Sagen aus dieser Zeit und die Furcht vor allem Fremden blieben im Gedächtnis der Menschen zurück. Der Ruf „Die Hunnen kommen!“ wurde für viele hundert Jahre zum Schreckensruf in Europa.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Ein kleines Dorf

D er erste Streifen in Rot war am Horizont gerade zu sehen. Noch war alles ruhig in dem kleinen Dorf, doch die ersten Tiere begannen sich zu räkeln und würden sich sicher gleich bemerkbar machen. Nicht weit entfernt floss ein breiter Strom durch das Land, den man später einmal Donau nennen wird. Die ehemals dichten Wälder waren schon vor Generationen den großen Feldern gewichen und der fruchtbare Boden hätte seine Stämme gut ernähren können, aber Unwetter und strenge Winter zerstörten oft weit vor der Ernte das Getreide. Der Hunger war ein alltäglicher Gast in dieser Gegend. Verstreut in einer Ebene liegen viele kleinere und größere Dörfer. In einem davon beginnt diese Geschichte. Das Dorf liegt an einem Waldausläufer. Von den Häusern aus ist der Fluss nicht zu sehen, nur manchmal zu hören.

Die Bewohner sind weder reich noch arm. Was sie erwirtschaften, das reicht gerade so zum Leben. Es genügt zum Überleben, nachdem sie die Abgaben an ihre Herren übergeben haben. Die Sonnenstrahlen fallen auf die weißen Fassaden der strohgedeckten Häuser. Eine Straße, mehr ein breiter Weg, zieht sich von Dorf zu Dorf, durch die ganze Ebene. Sie folgt dem Fluss von West nach Ost.

Die kleine Siedlung besteht aus ein paar Häuser aus Lehm, die rechts und links der Straße errichtet wurden. Direkt vor dem Loch in der Wand, das man nur ungefähr mit Fenster beschreiben konnte, eines dieser Häuser, begann der Hahn zu krähen. Eine junge Frau taucht aus dem Strohsack auf, auf dem sie geschlafen hatte, und hätte das Tier gern zu einer schmackhaften Suppe gemacht. Von der Küche aus rief die Mutter „Gerda!“ und die Frau stand auf. Vor ein paar Tagen war sie achtzehn Jahre alt geworden und der Vater lief schon seit Wochen durch das Dorf und suchte einen Mann für sie.

Gerda rieb sich den Schlaf aus den Augen. Durch das Fenster konnte sie sehen, wie der Vater wieder einmal auf dem Feld stand, er ließ die großen, goldenen Ähren durch die Finger gleiten und schätzte vermutlich gerade ein, wie viel er hier ernten konnte und wie hoch damit seine Abgaben sein würden. Prüfend ging sein Blick zu den kleinen Wolken. Würden sie dieses Jahr Glück haben und die Ernte trocken in die Scheune bekommen? Er drehte sich um und kam zum Haus zurück, vor dem er zum Stall abschwenkte, der sich direkt an das Haus anschloss. Gerda verließ den Raum, in dem sie mit ihren Eltern schlief und ging in den angrenzenden Raum, der Küche und Wohnraum zugleich war. Nur zwei Räume hatte ihre Hütte, so wie die meisten hier.

Noch im Unterkleid, dass sie Nachts trug, half sie der Mutter in der Küche, dann kämmte sie ihr Haar, zog das Unterkleid aus und das Kleid an, nachdem sie sich in der Küche im Eimer gewaschen hatte. Jetzt im Sommer trug sie nur das luftige Kleid. Das Unterkleid darunter zu ziehen, das machte sie nur in den kalten Jahreszeiten. Zusammen mit der Mutter lief sie in den Stall, dabei bedachte sie den Hahn mit ein paar deftigen Schimpfwörtern, die das Tier aber mit Stolz erhobenen Kopf ertrug.

Im Stall war der Vater nun schon mit dem Ausmisten beschäftigt. Die beiden Frauen begannen mit dem Melken der vier Kühe. Wieder begann der Vater zu erzählen, wem er in die engere Wahl als Ehemann für Gerda genommen hatte. Die Tochter verdrehte die Augen, sagte aber nichts. Was hätte sie auch sagen können? Den Vater anbetteln, es sich doch noch mal anders zu überlegen? Schließlich war sie das einzige Kind und wenn sie weg war, wer würde dann den Hof führen? Vielleicht würde der Vater noch selbst zur Einsicht kommen.

Schließlich waren die Eimer voll und die Euter leer. Diese Arbeit war erst mal erledigt. Schon ging es im Schweinestall weiter, aber der war alleine Gerdas Revier. Sie strich den Schweinen über den Kopf, machte den Trog voll und holte frisches Wasser vom Brunnen. Dort traf sie Claudia, die Tochter des Nachbarn, die dieser noch in der nächsten Woche mit dem Dorfschmied verheiraten wollte. Trotz des Durstes der Tiere blieb ein wenig Zeit für einen Plausch unter Frauen. Obwohl sie sich erst am Tag zuvor abends hier verabschiedet hatten, gab es doch schon wieder so viel zu erzählen. Schließlich bereitete Claudia ihre Hochzeit vor und auch Gerda sollte einen kleinen Anteil an den Vorbereitungen treffen. Wieder war es Gerdas Mutter, die die Tochter lautstark an ihre Pflichten erinnern musste.

Sie schleppte den schweren Eimer zurück zum Stall und füllte den Wassernapf der Tiere. Gerda stützte sich auf das Gatter und schaute den Tieren zu. Später würde sie die Schweine in den kleinen Wald hinter dem Dorf führen, damit sie dort noch etwas zusätzliches Futter finden konnten. Die Frau griff zu der Mistgabel, die an der Seite stand, und stieg in das Gatter hinein. Mit ein paar schnellen Bewegungen kratzte sie den Mist auf einen Haufen, den sie dann zum Rand schob. Von dort war es nur ein kleiner Weg zu dem Haufen, der am anderen Ende des Hauses aufgeschichtet war.

Endlich war sie fertig, zumindest vorerst, und ging zurück in das Haus. Sie wusch sich schnell in einem Eimer die Hände und setzte sich an den Tisch. Nun, da die Tiere versorgt waren, konnten auch die Menschen essen. Es gab eine Suppe, in die der Hahn prima hinein gepasst hätte, wie die Frau fand. Wieder fing der Vater an, alle unverheirateten Männer des Dorfes aufzuzählen. Als er auch den Schmied mit nannte, sagte Gerda „Der ist schon an Claudia vergeben.“ aber der Vater winkte ab „Noch nicht!“ sagte er bestimmt und sein Eifer machte ihr irgendwie Angst. Einige von den aufgezählten Männern waren schon fast sechzig Jahre alt und wenn Gerda nicht aufpasste, so war sie schneller verheiratet, als sie gedacht hatte.

Aber wie gesagt, sie hatte als Tochter sowieso keinen Einfluss darauf, wen sie heiraten würde und wann. Die Väter und Männer regelten das unter sich und so manche Frau war nur aus Geschäftsgründen an irgendjemanden verheiratet worden. Da hatte es Claudia mit ihrem Schmied schon gut getroffen.

Gerda stützte den Kopf in die Hände und hörte nur noch halb hin, was der Vater ihr erzählte. Sie sah die Mutter an, die dem Vater aufmerksam zuhörte und auch ein paar Einsprüche geltend machte. Erst als verheiratete Frau würde Gerda ein paar Rechte haben und war dann ihrem Manne fast gleichgestellt. Vielleicht wäre eine Hochzeit ja dann doch nicht so schlecht. Schließlich stand sie auf und nahm die Gerte mit, die in einer Ecke des Zimmers gestanden hatte. Langsam ging sie, in Gedanken versunken, zum Gatter der Schweine hinüber. Sie streichelte die Rüssel der Tiere und öffnete dann die Tür an der Seite. Langsam gingen die drei Tiere in Richtung Wald. Gerda folgte einfach. Wohin es ging, das bestimmten die Tiere selbst und solange sie alle in dieselbe Richtung, und nicht zum Feld hinüber, gingen, war es der Frau egal.

2. Kapitel

Flucht

G erda saß am Waldrand in der Nähe ihres Dorfes. Es war ein schöner Sommertag und sie hatte aufzupassen, dass die drei Schweine nicht in das Kornfeld hinüber liefen. Mitten in der größten Hitze hatten sich die Tiere zu ihr gelegt, und so konnte sie auch ausruhen. Über dem Feld sah sie die Hitze in flirrenden Streifen. Ein einzelner Vogel kreiste in der Luft. Gerda legte die Hand über die Augen und versuchte so durch den dadurch entstandenen Schatten zu sehen, was für ein Tier es war. Vermutlich ein Bussard auf der Suche nach einer Mahlzeit. Die Wärme tat so gut, dass sie anfing zu dösen. Im Halbschlaf, mit wegen der Sonne zusammengekniffenen Augen, blickte sie über das ruhig daliegende Dorf. Die Blätter des Baumes über ihr warfen von Zeit zu Zeit ihre Schatten auf die Frau.

Mitten hinein in dieses Idyll hörte Gerda in einiger Entfernung Pferdehufe. Im Osten zeigte sich eine kleine Staubwolke, die immer näher kam und größer wurde. Es waren vermutlich sehr viele Tiere und so stand sie langsam auf, um zu sehen, wer da durch das Dorf reiten würde. Jenseits des Feldes konnte sie einige dunkel gekleidete Männer auf kleinen schnellen Pferden sehen. Noch bevor die Frau etwas sagen oder schreien konnte, hatten die vordersten Reiter das Dorf schon erreicht. Die ersten Pfeile flogen durch die Luft und Gerda sah, wie der Schmied vor seinem Haus, das ihr am nächsten lag, tödlich getroffen nach hinten umfiel. Sie hörte Schreie und Rufe aus dem Dorf.

„Was jetzt?“ dachte die Frau und drehte sich zum Wald um. „Nur weg hier!“ war ihr nächster Gedanke und so schnell sie konnte lief sie ein paar hundert Schritte in das Gehölz hinein. Dort versteckte sie sich im Unterholz. Das kleine Wäldchen konnte sie nicht wirklich verstecken. Wenn die Reiter sie gesucht hätten, so wäre es sicher ein Leichtes für die Männer gewesen. Nicht einmal tausend Schritte im Durchmesser war dieses kleine Waldstück. In der Mitte befand sich eine flache Senke, in der Gerda schon als Kind gespielt hatte. Vollkommen in das Unterholz dieser Senke vergraben, lag sie da und regte sich nicht. Nicht einmal laut zu atmen wagte sie. So wartete sie eine ganze Weile, bis sie dachte, dass die Fremden sicher weg sein würden. Langsam und gebückt schlich sie zur Waldkante zurück. Still und friedlich lag das Dorf da und wenn dort auf dem Weg nicht der Schmied gelegen hätte, so hätte nichts im Dorf von dem Überfall erzählt.

Vorsichtig näherte sie sich den ersten Häusern. Es war alles still. Viel zu still. Kein Tier oder Mensch war zu hören. Gerade bog sie um die erste Hausecke und konnte den Weg entlang schauen, als eines der drei Schweine an ihr vorbei rannte. Gerda erschrak so sehr, dass sie zur Erleichterung lachen musste, auch wenn ihr gerade eigentlich nicht zum Lachen war. Die ganze Fläche vor den Häusern war leer. Nur ein einzelner Holzeimer lag mitten auf dem Weg.

Nichts und niemand waren zu sehen. Gerda lief zu ihrem Elternhaus und fand die Tür weit offen vor. „Hallo? Mutter!“ rief sie, doch sie erhielt keine Antwort. Sie ging in die Küche und fand dort ihre Mutter tot und geschändet vor, auch der Vater lebte nicht mehr. Ihn fand sie im Stall. Die Tiere aus dem Dorf waren alle weg, bis auf die drei Schweine, die mit Gerda im Wald gewesen waren. „Nur weg hier!“ war ihr einziger Gedanke. Sie wollte noch nicht mal die anderen Häuser durchsuchen. Sie lief zurück in die Küche und verweilte nur kurz neben der toten Mutter. Sie suchte schnell ein paar Dinge zusammen und stopfte sie in einen Beutel. Mit diesem in der Hand trat sie auf den Weg und überlegte, in welche Richtung sie gehen sollte. Die fremden Reiter waren von Osten gekommen, aber wohin waren sie weiter geritten? Nach Westen oder wieder zurück? Sie sah sich um, konnte aber keine Staubfahne mehr sehen.

Wieder hörte sie die Pferde in der Ferne und lief in die andere Richtung los. Sie lief immer schneller und doch schienen die Hufgeräusche unaufhörlich näher zu kommen. Gerda warf den Beutel weg, raffte ihr Kleid hoch und rannte so schnell, wie es nur ging. Nur fort hier! Zu beiden Seiten war das Feld, dass ihr keinen Schutz geben konnte, der kleine Wald lag schon viel zu weit hinter ihr und auch da hätte sie keinen Schutz für längere Zeit gehabt. Immer mehr trieb das Geräusch sie voran und sie wagte nicht, sich umzudrehen. Schließlich stolperte sie, fiel hin und schaut im Liegen zurück. Ein paar Dutzend der kleinen Pferde, mit den Reitern darauf, waren hinter ihr. Gerade waren sie am Dorf vorbei und schienen sie zu verfolgen. Hatten sie die Frau im Dorf beobachtet?

So schnell es ging stand sie auf und rannte weiter, doch einen Wettlauf mit einem Pferd konnte sie nicht gewinnen. Schon bald hatten die Männer sie eingeholt und Gerda hob schützend ihre Arme, um die erwarteten Schläge abzuwehren. Aber konnte man Schwerthiebe mit den Händen abfangen? Sie schaute durch die gespreizten Finger hindurch zu dem Mann auf dem Pferd. Das Tier streifte sie und Gerda schwankte. Der Mann griff nach ihr und riss sie an den erhobenen Armen in die Höhe. Er warf sie vor sich auf sein Pferd, so dass ihre Arme auf der Einen und die Beine auf der anderen Seite herunter hingen. Nun ging es im Galopp weiter. Die Frau drehte den Kopf und sah den Mann an. Er hatte einen schwarzen Bart und schwarze Haare, die er zu einem langen Zopf geflochten hatte, diesen hatte er nach vorn über seine Schulter gezogen. Die dunkle Haut seines Gesichts hatte die Farbe von Lehm und er hatte ganz schmale Augen, die den Weg und sie zugleich immer im Blick hatten. Etwas Geheimnisvolles strahlten diese Augen aus.

Er hatte ihre Hüfte gepackt und hielt sie so mit einer Hand auf dem Pferd fest, während er das Tier mit der anderen führte. Seine Hand krallte sich durch das Kleid in ihre Haut, aber sie war so erschrocken, dass sie zu keiner Regung fähig war. Das Pferd war nicht wirklich sehr groß und sie schaute auf den Boden des Weges, der unter ihr dahin sauste. Fast hätte sie mit den Händen den Boden berühren können. Immer weiter folgten sie dem Weg durch das Feld. Sie ritten eine ganze Weile, bis sie an ein Lager mit hunderten von Zelten kamen. Vor einen davon ließ der Mann Gerda vom Pferd gleiten und ein anderer Mann, der ähnlich angezogen war, aber keinen Bart trug, brachte sie in das Zelt, wo er sie mit einem Strick an einen Zeltpfahl band. So setzte sie sich und wartete, was wohl geschehen würde. „Was haben sie mit mir vor?“ dachte sie.

Zumindest lebte sie noch. Jetzt erst rannen die ersten Tränen über ihr Gesicht. Wieder musste sie an die Mutter und den Vater denken, die jetzt erschlagen in dem Dorf lagen. Zuvor, auf der Flucht, hatte sie daran nicht denken können.

3. Kapitel

Für immer gefangen?

I mmer noch saß die Frau in dem kleinen Zelt. Sie hatte sich an den Pfahl in der Mitte gelehnt, an den sie auch mit den Händen gefesselt war. Nur hier, direkt in der Mitte, konnte sie sitzen, für einen Schritt weiter hätte das Seil nicht gereicht. Es war genau so lang, dass sie sitzen konnte, ohne die Arme über dem Kopf halten zu müssen. Von draußen waren verschiedene Stimmen zu hören, von denen sie aber kein Wort verstand. Eine fremde, dunkel klingende, Sprache war es, die durch die Zeltwand an ihr Ohr drang.

Die Wache holte sie nach einer ganzen Weile der Angst und brachte Gerda über einen großen Platz, an dessen Seiten kleinere Zelte standen, zu dem größten Zelt hinüber. Der Mann ging sehr ruppig mit ihr um. Mehr als einmal stieß er ihr mit der Hand in den Rücken. Der Wachposten zeigte auf ihre Füße und sie verstand nicht, was er ihr damit sagen wollte. Dann tippte er mit der Spitze seines Schwertes auf ihre Schuhe und sie verstand. Gerda sollte vor dem Zelt ihre Schuhe ausziehen und stellte diese dann neben den Posten. Der Mann, der sie begleitet hatte, schlug die Plane am Eingang zurück, löste ihre Fesseln an den Händen und gab der Frau einen Stoß in den Rücken, so dass sie in das Zelt taumelte. Hinter ihr schloss sich der Vorhang wieder. In der Mitte blieb sie stehen und schaute sich um. Es war dämmrig, nur von oben fiel ein Sonnenstrahl herein, der genau über ihr war. Mitten darin stand sie und somit war die Umgebung nur noch dunkler für ihre Augen. Es gab hier keinen Pfahl in der Mitte, so wie es in dem anderen Zelt gewesen war. Eine nicht sichtbare Konstruktion hielt das Zelt aufrecht.

Sie stand auf einer Art von Decke, die anscheinend den ganzen Innenraum ausfüllte. Der Raum war sicher zehn Schritte im Durchmesser. Das Zelt war fast leer, nur direkt vor ihr saß, auf einer Art von Sessel, der Mann, der sie gefangengenommen hatte. Sie hatte ihn sofort an dem auffälligen Bart wieder erkannt. Der Mann saß eine Weile ruhig da, schaute sie an und sagte nichts, dann stand er auf und kam auf die Frau zu. Er war genauso groß wie sie und ging nun, mit einem federnden Gang, langsam um sie herum. Das machte er ein paar Mal, bis er vor ihr stehen blieb. Ganz dicht war er an sie heran getreten, so dass sie seinen Atem spüren konnte. Für ein paar Augenblicke standen sie so, Auge in Auge.