Sunny und die Straßen von Hollywood - Nick Living - E-Book

Sunny und die Straßen von Hollywood E-Book

Nick Living

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Beschreibung

Wer sich vielleicht fragen mag, ob der kleine Sunny aus Hollywood jemals erwachsen wird und was ihm dabei behilflich ist, bekommt in diesem Teil der Sunny-Serie möglicherweise eine Antwort. Fest steht nur eines: Spannend bleibt es, wie immer! Was es jedoch mit den großen Wassermelonen und dem verrückten Zauberer Heckmeck auf sich hat, wie tief die Erinnerung an die riesige Stadt Phoenix geht und worauf die Geister-Kinder im Kinderheim am Lilian-Way wohl noch warten mögen – Ihr erfahrt es, wenn Ihr dieses Buch lest. Von einer geheimnisvollen dunklen Macht bis zum Ende der Welt ist wirklich alles drin! Plötzlich sind da unfassbare schwarze Löcher und die „Cassinische Teilung“ des riesigen Planeten Saturn im Spiel! Dass er dann auch noch im Gefängnis landet, scheint wohl eher ein Versehen, oder? Sunny und Hollywood sind eben eine gelungene und abenteuerliche Mischung aus unglaublichen Begebenheiten, aus Zusammengehörigkeit und Courage. Und in den Straßen von Hollywood findet sich wirklich alles, auch Sunnys famose Erkenntnisse …

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Seitenzahl: 370

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Inhaltsverzeichnis

Sunny im Knast oder Die silberne Taschenuhr

Das Kinderheim am Lilian Way: Die alte Gruft

Die Wassermelone

Der rote Roller

Der Präsident

Im Magic Castle

Das Geheimnis vom Arizona Krater

Der Geisterjäger

Das Kinderheim am Lilian Way: Der Brand

Das Kinderheim am Lilian Way: Der seltsame Hausmeister

Die Falle

Die rätselhafte Spielkarte

Das Lächeln der Mona Lisa

Sunny und John

Das unheimliche Brummen

Das Radrennen

Ein Haus der Liebe

Der Sonnenwind

Das Grauen in der North-Gower-Street

In Phoenix

Der Superturm von Hollywood

Der Flug ins Licht

Der Dampfer auf dem Hollywoodboulevard

Die Nacht vor Weihnachten

Der Todes-Bus

Das Ostergeschenk

Das verrückte Schachspiel

Die dunkle Macht: 1.

Die dunkle Macht: 2.

Hollywoods unglaubliches Karussell

Das Gedicht

Der Springbrunnen der Träume

Der alte Esel

Der Schatz

California im Blick

Der beste Sommer

Strubbel

Der Lügner

Der Fallschirmsprung

Das Ende der Welt: Gammastrahlen

Das Ende der Welt: Das schwarze Loch

Das Kinderheim am Lilian-Way: Der Überfall

Erinnerung an Phoenix

Der Zauberer Heckmeck: Die Feuersbrunst

Der Zauberer Heckmeck: Das Weihnachtslied der Träume

Sunny und die Straßen von Hollywood

Hollywood im Blut!

Sunny im Knast oder Die silberne Taschenuhr

Der Richter zog ein wirklich grimmiges Gesicht, als er das grausige Urteil verkündete. Und ausgerechnet der kleine Sunny aus Hollywood musste nun in den Knast! Dabei fing doch alle so gut an: Die Reise nach San Jose und die Tatsache, dass er sich eine silberne Taschenuhr vor seiner Mami wünschte. Dass dann aber alles völlig anders kam, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen niemals vorstellen können. Und das schlimmste an allem war, dass ihn überhaupt keine Schuld trug. Nur wusste das der Richter noch nicht. Wie um alles in der Welt sollte nun der kleine mutige Junge seine Unschuld beweisen?

Als sich die schwere Metalltür krachend hinter ihm schloss, fuhr es ihm durch Mark und Bein, und da saß er nun, in jenem vermaledeiten Raum, nicht größer als eine Ölsardinenbüchse und weinte. Mehr als ein kleiner wackeliger Schemel, auf den er sich setzte, ein schmales hölzernes Klappbett an der Wand und ein noch kleinerer Tisch, auf dem nicht einmal sein Laptop passen würde, den er ohnehin hier gar nicht haben durfte, passte nicht in dieses düstere Verließ. Traurig starrte er zu dem winzigen vergitterten Fenster, welches sich unwirklich unter die Decke des Raumes quetschte und dachte an seine arme Mami, seinen lieben Papa und an seine Lehrerin Mrs. Simms, die immer so stolz auf ihn gewesen war. Alles zerfloss vor seinem inneren Auge wie Himbeereis in der Sonne und er würde wohl seinen geliebten Hollywoodboulevard, seine vielen schönen Hollywoodsterne dort niemals wieder zu Gesicht bekommen. Allerdings fielen ihm auch die vielsagenden Worte seiner Großmutter wieder ein, die stets beteuert hatte, dass man niemals aufgeben durfte, egal, wie schlimm es auch kommen mochte. Auch die Mami und natürlich sein Papa waren dieser Ansicht, doch hier drin, jenseits von Gut und Böse, am Rande aller schönen Träume, wo man sich verloren und ausgeliefert fühlte, erschienen diese Worte beinahe wie Hohn. Dennoch spürte er ganz tief in sich drin, dass es noch Gerechtigkeit geben musste und er den Richter vielleicht doch noch von seiner Unschuld überzeugen könnte. Immerhin hatte ja ein anderer all die vielen Golduhren gestohlen und nicht er. Doch als man ihn bewusstlos am Boden des Juwelierladens fand, in seiner Hosentasche ein Dutzend goldener Ringe entdeckte, schien der Schuldige schnell gefunden. Nicht einmal der alte Juwelier, der ebenfalls niedergeschlagen wurde und später neben Sunny aufwachte, konnte sich vorstellen, dass dieser kleine nette Junge ein Millionendieb sein sollte. Wie aber sollte Sunny seine Unschuld beteuern, wenn er doch eingekerkert war? Als es dunkel vor dem Gitterfenster wurde, klapperte es und jemand schob ihm einen Teller mit Brot und Käse durch einen in Mannshöhe angebrachten Türschlitz hindurch. Das musste wohl das Abendessen sein, doch Sunny hatte weder Appetit noch Lust, überhaupt noch einmal irgendetwas zu sich zu nehmen. Er wollte nur raus aus diesem üblen Loch und ihm war einfach nur schlecht. Niedergeschlagen klappte er das Bett von der Wand und legte sich vorsichtig darauf. Es war hart und gar nicht so gemütlich und warm wie sein eigenes daheim bei seiner Mami. Außerdem konnte er, wenn er durch die vergitterten Scheiben schaute, den Nachthimmel gar nicht richtig erkennen sondern nur einen Wachturm, von dem permanent grelles Scheinwerferlicht die Leute daran hinderte, einzuschlafen.

Plötzlich jedoch fuhr ein starker Luftzug durch die Zelle und Sunnys Papa kam mit seiner Silberwolke durch die Gitterstäbe gesaust. Ach, wie war die Wiedersehensfreude groß, als sich die beiden sahen. Sunny erzählte dem Papa alles, was sich ereignet hatte, und der Papa glaubte ihm, wusste vermutlich sogar, wer die wirklichen Gauner waren.

Und so sagte er schließlich leise: „Komm wir fliegen nach San Jose. Ich glaube, die Polizisten haben etwas überaus Wichtiges übersehen.“ Sunny ließ sich das nicht zweimal sagen, kletterte schnurstracks in die Silberwolke und schon flogen sie durch das Gitterfenster nach draußen – und schließlich auf und davon.

Lange waren sie nicht unterwegs, weil die Silberwolke so schnell dahinraste. Irgendwann breitete sich die riesige Stadt San Jose unter ihnen aus. Die Lichter dieser schönen Stadt funkelten in allen Farben und Sunny staunte, denn diesmal sah er seine wieder erlangte Freiheit mit ganz anderen Augen als sonst. Nichts war mehr selbstverständlich und alles musste unbedingt genossen werden. Langsam senkte sich die silberne Wolke dem Gebäude des Juweliers entgegen und landete schließlich auf dem Dach des Hauses. Vorsichtig kletterten die beiden aus der Wolke und stiegen durch ein großes, offen stehendes Fenster schnell in das Innere des Hauses hinein. Der Laden befand sich genau darunter und die beiden Eindringlinge schauten sich neugierig um. Der Papa leuchtete mit seiner kleinen Taschenlampe und suchte den Fußboden nach etwas ab, dass er zunächst nicht benennen wollte. Als er es gefunden hatte, hob er es auf und rief: „Da ist es ja, schau!“ Sunny war total verdutzt, denn sein Papa hielt einen winzigen Knopf in der Hand. „Und, was soll das sein?“, erkundigte sich Sunny augenrollend. Der Papa grinste frech und meinte dann erleichtert, dass dies eine Minikamera sei, welche die Polizei nicht finden konnte, weil sie von der Wand gefallen sei, als die Gangster flüchteten. Auch der Juwelier hatte dieses unscheinbare Ding in der Aufregung des Überfalls wohl vergessen. Neugierig betrachtete sich Sunny die Kamera und konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass ausgerechnet dieser kleine, kaum sichtbare Gegenstand seine Freiheit zurückbringen sollte. Schnell begaben sich die beiden in die Silberwolke zurück, wo der Papa die Minikamera an einen Computer anschloss. Und tatsächlich, da waren die Beweise: Man sah die beiden Ganoven, die vermummt in den Laden einbrachen, den Juwelier niederschlugen und schließlich auch Sunny außer Gefecht setzten. Dann räumten sie in aller Seelenruhe den Laden aus. Einer der Ganoven steckte dem kleinen Jungen dann die goldenen Ringe in die Hosentasche und schließlich verschwanden sie so schnell wie sie gekommen waren.

Sunny hatte es die Sprache verschlagen. Sie mussten so schnell sie nur konnten zur Polizei, um dieses überaus wichtige Beweisstück zu ihnen zu bringen. Doch da fiel dem Papa auf, dass er seine Taschenlampe im Laden vergessen hatte. Er wollte noch einmal zurück, um die Lampe zu holen, denn es durfte schließlich niemand erfahren, dass sie heimlich noch einmal im Laden waren.

Schnell stieg er aus der Silberwolke und kletterte noch einmal durch das Fenster in den Laden. Als er auch nach einer halben Stunde nicht mehr zurückehrte, wollte Sunny nach ihm sehen. Ganz vorsichtig stieg er durch das Fenster, durch welches eben noch sein Papa geklettert war, und erreichte schnell die Räumlichkeiten des Schmuckladens. Auf leisen Sohlen schlich er um die Ecken und erschrak fürchterlich. Denn vor ihm lag sein bewusstloser Papa, und an einem großen wuchtigen Tresor, in welchem vermutlich die Wertgegenstände gelagert waren, machten sich zwei Ganoven zu schaffen. Jetzt erkannte er die beiden Gauner: Es waren die gleichen Diebe, die auch ihn überwältigt hatten; er erkannte sie an den gemusterten Stoffmasken und ihren rotgrünen Turnschuhen, die er schon damals so unmöglich fand. Jetzt war guter Rate teuer, denn er durfte unter keinen Umständen entdeckt werden. Immerhin war er ja bereits im Knast und nur mit seinem Papa kurz und heimlich draußen, um Beweise zu suchen. Auch könnte es sein, dass die Gauner ihr bösartiges Spielchen noch einmal mit ihm abzogen, das wäre einfach viel zu gefährlich. Allerdings musste er so schnell es ging seinen Papa aus seiner furchtbaren Lage befreien. Nur, wie sollte er das tun?

Glück für ihn war, dass ihn die beiden Gauner noch nicht entdeckt hatten. Und so sann er nach einer List. Bei Mrs. Simms im Unterricht hatte er mal Stimmen imitieren müssen. Und weil er sich so manche Stimme gemerkt hatte, begann er, ein Käuzchen zu imitieren. Kaum hatte er die merkwürdigen, ziemlich gruseligen Laute von sich gegeben, da erstarrten die beiden Gauner. Offenbar war ihnen der Schreck in die Glieder gefahren und sie rührten sich nicht mehr. Einer der beiden gab dem anderen merkwürdige Handzeichen, welche möglicherweise so viel bedeuteten, dass sie sich schnellstens aus dem Staube machen sollten. Aber da ahmte Sunny auch schon das nächste Geräusch nach: Es waren markante Sprüche, welche Polizisten riefen, wenn sie Gauner stellten. Zuvor hatte er die Nummer der Polizei gewählt und sich schnell hinter einem Mauervorsprung verschanzt. Die erschreckend echt wirkenden Polizeirufe versetzten die Gauner in Angst und Schrecken. Panisch stürzten sie zum Ausgang, doch da blinkte ihnen bereits das blaue Licht der Polizeiwagen entgegen. Hastig und zu allem entschlossen wollten sie aus dem Fenster fliehen, durch welches schon Sunny und sein Papa eingestiegen waren. Aber da stand ihnen eine lebensechte Puppe im Weg, die über und über mit Goldkettchen behangen war. Weil die beiden so panisch waren, stolperten sie, fielen schließlich und stießen dabei hart gegen die Puppe, die sogleich polternd umstürzte. Dabei rutschten all die vielen Ketten und Ringe von ihr herab, genau auf die nun unter ihr befindlichen Gauner. Die wollten aufspringen und fliehen, aber dazu war es bereits zu spät. Die Polizei war einfach schneller und stellte die beiden Unglücksraben sozusagen auf frischer Tat. Als die Beamten Sunny hinter seinem Mauervorsprung vorfanden, konnten sie es einfach nicht glauben. Dessen Papa, der sich aufgrund des Krawalls wieder erholt hatte, konnten sie nicht sehen, da er nur für Sunny sichtbar war, wie auch die Silberwolke, die noch immer lautlos über dem Dach des Hauses schwebte.

Sunny druckste ein wenig herum, holte dann aber die Minikamera hervor und übergab sie den Beamten. Die schauten sich im Computer ihres Fahrzeugs sofort die Aufzeichnungen an und staunten. Sonderbarerweise war da auch der neueste Überfall aufgezeichnet, der eben stattgefunden hatte. Sunny wunderte sich zwar darüber, denn die Kamera befand sich während des Überfalls ja längst in seiner Hosentasche, doch als er seinen Papa wohlbehalten neben den Beamten erblickte, sah, wie er seinem kleinen Sohn aufmunternd zuzwinkerte, grinste er schließlich frech. Ins Gefängnis musste er nicht mehr zurück, denn die Sachlage war sonnenklar: Sunny war entlastet! Außerdem wollte man solch einen kleinen mutigen Jungen nicht nochmals derartigen Unpässlichkeiten aussetzen, immerhin handelte es sich bei den beiden Gaunern um zwei lang gesuchte Diebe, die in ganz San Jose ihr Unwesen getrieben hatten und sogar schon die Polizei empfindlich bestohlen hatten. Sunny hatte sie gestellt und die Beweise auf den Tisch gelegt. Dafür zeigten sich die Beamten sehr dankbar. Sofort wurde ihm die Strafe erlassen und er erhielt eine Entschädigung, in Höhe von dreitausend Dollar. Sunny konnte es nicht glauben, und weil der Juwelier so erleichtert war, dass ausgerechnet jener kleine Junge die Diebe gestellt hatte, der schon einmal in seinem Laden war, um sich nach einer silbernen Taschenuhr zu erkundigen, schenkte er ihm kurzerhand jene silbern blitzende Taschenuhr, die er damals nicht kaufen konnte. Sunny konnte es nicht glauben, es war genau solch eine Uhr, die er sich stets gewünscht hatte. Nun fühlte er sich wunderbar und alle waren wieder stolz auf ihn. Als er daheim bei seiner Mami eintraf, fiel die ihm weinend um den Hals. Natürlich hatte sie längst von seinem Verschwinden aus dem Gefängnis erfahren und sich die schlimmsten Sorgen gemacht. Als sie ihn endlich wieder in ihre Arme schließen konnte und obendrein auch noch erfuhr, dass sich alles zum Guten gewendet hatte, Sunny obendrein die richtigen Gauner stellen konnte, wollte sie ihm das schenken, was er schon so lange wollte, eine silberne Taschenuhr. Natürlich verheimlichte Sunny, dass er von dem Juwelier bereits eine solche erhalten hatte und nahm das Geschenk seiner Mami dankend an sich. Immerhin war er überglücklich, dass er wieder Zuhause sein konnte und schätzte seine Freiheit mehr als früher. Besonders Mrs. Simms wollte ihr Misstrauen, welches sie nicht verbergen konnte, als er eingesperrt wurde, so schnell als möglich wieder ausmerzen. So schenkte sie ihm etwas, von dem sie wusste, dass er es sich immer gewünscht hatte, eine blinkende silberne Taschenuhr. Sunny, der nicht glauben konnte, was er da vor sich sah, rang sich ein verlegenes Lächeln ab und dankte seiner Lehrerin für dieses wundervolle Geschenk. Natürlich verschwieg er ihr, dass er bereits schon zwei dieser silbernen Taschenuhren besaß und nun keine mehr brauchte.

Als er schließlich abends in seinem Bettchen lag und all die vielen unglaublichen Erlebnisse an ihm vorüberzogen, flog die Gardine seines Zimmerfensters gespenstisch ein kleines Stück zur Seite und sein Papa stand im Zimmer. Liebevoll und behutsam gab er seinem kleinen Sohn ein Küsschen auf die Stirn und flüsterte: „Es ist alles gut, mein Sohn, Doch nun schlafe ein, damit du morgen wieder in die Schule gehen kannst.“ Sunny war erleichtert, dass es seinem Papa gut ging und schlief sofort ein. Sicherlich träumte er von dem Flug mit der märchenhaften Silberwolke, vielleicht auch von der gruseligen düsteren Kerkerzelle, in welcher er für wenige Minuten eingesperrt war, vielleicht aber auch von den bösen Gaunern, die er und sein Papa auf frischer Tat stellen konnten. Auf jeden Fall aber sah er die silbern glitzernden Taschenuhren, und als er am nächsten Morgen wach wurde, könnt ihr euch nicht vorstellen, was da auf seinem Nachtschränkchen lag. Es war ein kleines Päckchen mit der Aufschrift: Für meinen kleinen Sohn. Ja, es war ein ganz wundervolles und wertvolles Geschenk seines Papas, und es war eine blitzende, funkelnde silberne Taschenuhr…

Manchmal ist so vieles schwer

Und dann sind die Träume leer

Lasst die Kinder heimwärts ziehn

Dorthin, wo die Blumen blühn

Holt das Glück, den Frieden her

Das Kinderheim am Lilian Way

Die alte Gruft

Es regnete in Strömen und der kleine Sunny aus Hollywood war gerade aus der Schule gekommen. Allerdings wollte er noch nicht nach Hause gehen, er wollte etwas erleben. Der Regen störte ihn sehr, und weil es einfach nicht aufhören wollte, radelte er ins Kinderheim am Lilian Way. Vielleicht freuten sich ja die Kinder und auch Mrs. Clark, die Leiterin des Heims, wenn er mal vorbei schaute. Außerdem musste er auf diese Weise weder sofort nach Hause noch draußen durch den ewig scheinenden Regen laufen.

Es dauerte nicht lange, bis er das Heim erreicht hatte. Mrs. Clark freute sich wirklich riesig, und auch die anderen Kinder waren sehr froh, Sunny zu sehen. Allerdings erschien es Sunny, dass Mrs. Clark irgendetwas belastete. Im schien, als wenn ein Geheimnis auf ihrer Seele lag und er fragte sie natürlich danach. Mrs. Clark liefen sofort die Tränen übers Gesicht und dann erzählte sie ihre fast schon unglaubliche Geschichte: „Also ich rede ja nicht gern über Probleme, doch diesmal sollte ich es tun. Seit einigen Tagen leben fremde Kinder hinter dem Heim. Das allein wäre ja schon etwas Besonderes, wenn da nicht jene alte Gruft wäre. Sie war vermutlich seit vielen Jahren unbemerkt geblieben, und die fremden Kinder haben sie wohl für sich entdeckt. Es ist ein alter verfallener Bau, der mir noch nie zuvor aufgefallen war. Die fremden Kinder meinten, dass sie dort bleiben wollten, und als ich nach ihren Eltern fragte, meinten sie, dass sie keine mehr hätten. Ich weiß mir einfach keinen Rat mehr, möchte ihnen so gern helfen, aber abends, wenn ich nach ihnen sehen will, sind sie fort.“ Sunny bemerkte, wie Mrs. Clark weinte und sogar zu zittern begann, sobald sie von der merkwürdigen Gruft zu erzählen begann. Sollte das alles wirklich wahr sein? Er konnte es sich beinahe nicht vorstellen, doch er wollte sich selbst davon überzeugen und bat Mrs. Clark, mit ihm zu den Kindern und dieser seltsamen alten Gruft zu gehen. Mrs. Clark wurde ganz blass und zog ein merkwürdiges Gesicht, doch dann beauftragte sie einen kleinen Jungen, sich um die anderen Kinder im Heim zu kümmern und sofort Bescheid zu geben, wenn etwas Dringendes sei. Dann zogen sie los. Es war nicht weit, sie mussten nur durch den Garten des Heims gehen und schon waren sie da. Es war wirklich ein sehr verfallenes, kleines Haus, welches da zwischen den Bäumen stand. Es war dunkelgrau und der Putz blätterte von seinen Wänden. Offenbar hatte sich wahrhaftig schon lange keiner mehr um dieses Gebäude gekümmert. „Wir sind da“, zischte Mrs. Clark, „Hier drin leben die Gast-Kinder und sie werden vermutlich nicht hier sein.“ Die beiden traten ein und Sunny spürte, wie die Angst in ihm hochkriechen wollte. Er wehrte sich dagegen, doch sie war einfach da, denn irgendwie hatte er ein mehr als ungutes Gefühl beim Anblick der alten maroden und wurmstichigen Möbel, die sich in den zugigen winzigen Räumen befanden. Plötzlich raschelte es, als wenn eine Sturmbö durch die Zimmer fegte, und die Gast-Kinder, vor denen sich Mrs. Clark augenscheinlich zu fürchten schien, kehrten zurück. Es waren fünf Jungen, die hohlwangig und mit weißen Gesichtern das Zimmer betraten. Langsamen Schrittes liefen sie durch die Räume und sprachen kein einziges Wort. Und auch Sunny wurde es beim Anblick dieser merkwürdigen Gestalten ziemlich flau. Er warf Mrs. Clark einen vielsagenden Blick zu und dann sprach er die Kinder an: „Hallo, wie geht’s?“ Die Jungen schauten kurz auf und verzogen doch ihre düster wirkenden Gesichter zu keiner Sekunde. Dann aber sprach einer der Jungen, und seine Stimme hörte sich fremd und monoton an: „Wieso fragst du? Wir müssen bald wieder gehen. Doch frag uns nicht mehr.“ Als er das gesagt hatte, drehte er sich weg und lief zu den anderen im Nebenzimmer. Sunny warf einen verstohlenen Blick in diesen Raum und erschrak. Alle fünf Jungen saßen auf alten wackeligen Holzstühlen und starrten durch die zerschlagenen Fensterscheiben hinaus zu den Bäumen. Dabei rührten sie sich nicht und sprachen kein einziges Wort. Sunny wurde klar, das hier wirklich etwas nicht stimmte und er wusste im Moment auch nicht, wie er hinter dieses offensichtliche Geheimnis kommen könnte. Er wusste nur, dass es gefährlich sein konnte, wenn die Kinder des Heims noch länger hier blieben. Vielleicht sollte man sie an einen anderen Ort bringen, nur wohin?

Zusammen mit Mrs. Clark verließ er das alte Gemäuer und lief zum Heim zurück. Von dort schaute er immer wieder durch die Bäume zu dem alten Hause und glaubte, rote Lichter durchs Geäst blitzen zu sehen. Fest stand nur eines: Es musste etwas geschehen, und zwar schnell!

Als die Heimkinder zum Essen gingen, hatte Sunny endlich eine Idee. Vielleicht sollte er ja um Mitternacht noch einmal kommen, dann, wenn alle schliefen? Vielleicht konnte er ja auf diese Weise etwas mehr herausbekommen? Mrs. Clark fand diese Idee nicht sehr gut, meinte, dass es gefährlich werden könnte, weil ja niemand wusste, was es mit den fremden Kindern auf sich hatte. Aber da kam der kleine Candy angesaust, der Sunny schon kannte und fand diese Idee gut. Die beiden Jungen unterhielten sich lange, und nachdem sich Mrs. Clark ebenfalls in den Speiseraum verabschiedet hatte, verabredeten sie sich für die folgende Nacht. Natürlich musste das auch geheim bleiben und Candy konnte es kaum erwarten, war froh, dass endlich mal was Aufregendes geschah. Wenig später kehrte Mrs. Clark zurück und brachte Sunny mit dem Auto nach Hause. Seiner Mami erzählte er nichts, meinte nur, dass es schön im Kinderheim war und Mrs. Simms kaum Schulaufgaben aufgegeben hatte. Die Mami aber spürte, dass ihr kleiner Sohn irgendein Geheimnis mit sich herumtrug. Irgendwann erzählte es Sunny dann doch, verschwieg aber, dass er nachts noch einmal dorthin radeln wollte. Es wäre nicht gut, wenn die Mami von diesem Vorhaben wusste, weil sie sich dann nur unnötig sorgen würde. Der Abend verging schnell und als die Nacht ihre dunklen geheimnisvollen Schleier über die Hollywood Hills legte, stand Sunny fertig angezogen vor seinem Fenster und wollte gerade herausklettern, da erschien doch tatsächlich die Silberwolke seines Papas. Ganz langsam und sanft glitt sie übers Haus, um sich sogleich still und leise vor Sunnys Fenster zu postieren. Natürlich war die Wiedersehensfreude riesengroß und Sunny hatte ja so viel zu erzählen. Aber dann berichtete er von seinem nächtlichen Vorhaben und der Papa flüsterte nur: „Komm steig ein, wir fliegen hin!“ Schnell kletterte Sunny in die silberne Wolke und dann gab der Papa der Wolke die Sporen. Wie ein Pfeil düste die Silberwolke über das mitternächtlich glitzernde Hollywood, bis hin zum Kinderheim am Lilian Way. Das Gebäude lag im Dunkeln und so wurden sie auch nicht bemerkt. Nur hinterm Gebäude, auf der großen Wiese stand der kleine Candy und wartete sehnsüchtig auf seine Gäste. Lautlos landete die Silberwolke auf der Wiese und Candy staunte nicht schlecht, als er Sunny und dessen Papa aus der Wolke klettern sah. Ein solches Wunder hatte er wirklich noch niemals gesehen, und als sie sich miteinander bekanntgemacht hatten, liefen sie auch schon los. Ganz leise pirschten sie sich durchs Gestrüpp unter den Bäumen bis zur alten Gruft. Es war wirklich stockdunkel und es schien, als wenn die Gast-Kinder längst schliefen. Sunny jedoch war misstrauisch und das schien auch richtig so. Denn plötzlich bemerkte er wieder diese roten Lichtpunkte, die gespenstisch aus den zerbrochenen Scheiben blitzten. Schnell versteckten sich die drei hinter einem dicken Baum, und dann erkannten sie, woher die roten Lichter kamen. Sie waren nämlich gar keine Blitze, sondern die Augen der Gast-Kinder! Die drei Beobachter waren wie vom Schlag gerührt, denn die Gast-Kinder saßen genauso schweigend und starr wie am Nachmittag in jenem Raum mit den zerbrochenen Scheiben. Eine leise Vermutung kam in Sunny auf: Was, wenn diese Kinder gar nicht mehr am Leben waren und nur ihr Geist hier herumspukte? Der Papa nickte vielsagend mit seinem Kopf und Candy bestärkte Sunny noch in dessen Meinung. Aber dann meinte der Papa, dass er allein zu den Kindern gehen würde, um mit ihnen zu sprechen. Immerhin konnten sie ihm nichts anhaben, weil er ja auch aus dem Jenseits kam und da funktionierte der irdische Zauber nicht. Die beiden Jungen waren einverstanden und versprachen, so lange hinter ihrem Baum zu warten. Der Papa verschwand und den beiden wurde es ein wenig flau, denn sie wussten nun nicht mehr, was sie tun sollten, wenn der Papa wider Erwarten nicht mehr zurückkehrte. „Wir müssen nur einfach hier bleiben und abwarten.“, zischte Sunny und Candy sagte mit leicht fröstelnder Stimme, dass schon nichts Schlimmes geschehen würde. Unterdessen gelangte der Papa unbeschadet in das alte Gemäuer und stand schließlich den Kindern, die noch immer auf den hölzernen Stühlen saßen, gegenüber. Eine Weile schwieg er und dann sagte er: „Ich glaube, ich weiß, woher ihr gekommen seid. Warum geht ihr nicht wieder zurück? Kann ich euch helfen?“ Zunächst gab es keinerlei Reaktion, aber dann schienen sie zu spüren, dass der Papa nicht solch ein realer Mensch war wie die anderen, sondern ein Geist wie sie. Einer der Jungen drehte sich um und sein stechend roter Blick wurde etwas trüber als er leise sprach: „Wir können nicht gehen. Wir müssen warten, bis Lilia gefunden ist. Sie muss hier sein und wir müssen sie mitnehmen. Eher dürfen wir nicht fort.“ Als er das sagte, liefen ihm dicke Tränen übers Gesicht. Der Papa meinte: „Ach so, dann müssen wir Lilia suchen. Ihr wisst nicht, wo sie sein kann?“ Der Junge, der eben noch gesprochen hatte, blickte betroffen zu Boden und sagte dann mit zitternder Stimme: „Wir sind damals alle hier umgekommen. Nur unsere Geister kommen noch hierher zurück. Dies war einst unser Heim, und es wurde angesteckt. Lilia wollte uns helfen und kam ebenfalls in den Flammen um. Es war Brandstiftung und sie muss hier irgendwo sein.“ Der Papa war entsetzt, denn solch eine Antwort hatte er nicht erwartet. Mir beruhigenden Worten versprach er, dass er zusammen mit Sunny und Candy nach Lilia suchen wollte. Der fremde Junge war einverstanden, woraufhin der Papa das alte Haus wieder verließ.

Sunny und Candy waren erleichtert, dass der Papa unbeschadet zurückkehrte und zeigten sich doch bestürzt, als sie die wahre Geschichte hörten. Natürlich mussten sie sofort mit der Suche beginnen, nur wussten sie nicht, wo sie beginnen sollten. Da erinnerte sich Candy, dass Mrs. Clark immer wieder von einer furchtbar traurigen Stimme gesprochen hatte. Diese Stimme hatte immerfort ein Liedchen gesungen, und er erinnerte sich genau an die sonderbaren Worte:

Ach ich bin gefangen hier

Wer kommt schnell hierher zu mir

Hier am Wasser ist´s so kalt

Wärmer ist es nur im Wald

Ach, es ist so einsam hier

Niemand im Heim konnte sich erklären, woher diese rätselhafte Stimme kam, aber nun schien das Rätsel wenigstens teilweise gelöst. Es musste Lilias Stimme gewesen sein, die so traurig sang. Und auf einmal bestand auch keinerlei Zweifel, wo Lilia zu finden war. Irgendwo musste es ein Gewässer geben und Candy wusste sofort, um welches es sich da handelte. Hinter dem Heim befand sich ein winziger Löschteich. Eigentlich durfte niemand dorthin, er war sogar abgesperrt, deswegen hatte er auch nicht daran gedacht. Aber nun, wo die Herkunft der Stimme klar zu sein schien, konnte es ganz sicher nur noch dieser Löschteich sein. Die Drei brachen auf, um diesen Teich zu suchen. Schon nach wenigen Minuten hatten sie ihn erreicht, doch der Drahtzaun war einfach zu hoch, um hinter ihn zu gelangen. Da rief der Papa seine silberne Wolke und die Drei stiegen ein, um über den Zaun hinwegzufliegen. Es gelang und kurz darauf standen sie am Ufer des kleinen Teichs. Aber weder eine Stimme noch irgendein Liedchen war zu hören, nichts, nur Vogelgezwitscher und das leise Rauschen der Bäume fächelten über das still ruhende Wasser.

Auf einmal jedoch, und wie von Geisterhand berührt, begann sich die Oberfläche des Gewässers zu kräuseln. Erst ganz leicht, doch dann ziemlich heftig wallten die Wogen und dann schwebte eine märchenhafte Gestalt, die vollkommen transparent war, lautlos über der Wasseroberfläche. Plötzlich ertönte der lang ersehnte, lieblich leise Singsang:

Ach ich bin gefangen hier

Wer kommt schnell hierher zu mir

Hier am Wasser ist´s so kalt

Wärmer ist es nur im Wald

Ach, es ist so einsam hier

Nun wussten die drei Beobachter, dass sie richtig waren. Dieses feenähnliche Wesen da vor ihnen musste Lilia sein. Ihre Seele kam aus irgendeinem Grunde nicht von diesem merkwürdigen Teiche weg. Wie konnten sie sie nur befreien? Sollte vielleicht irgendein Zauberspruch nötig sein oder vielleicht eine unbekannte Weissagung… Sunny glaubte das alles nicht und hatte eine Idee. Wie wäre es, wenn wir zu Lilia sprechen, wenn wir ihr sagen, dass die anderen Heimkinder gar nicht weit von ihr entfernt im Kinderheim auf sie warteten? Die beiden anderen waren einverstanden und schon begann Sunny laut zu rufen: „Lilia, wir wissen, dass du es bist. Aber du kannst nicht hier bleiben, so allein und so einsam. Die anderen warten auf dich, sie sind gar nicht weit, im Kinderheim! Komm doch einfach mit!“ Eine Weile war es ganz still und die Gestalt über der Wasseroberfläche schien sich nicht mehr zu rühren. Würde sie womöglich gleich gänzlich verschwinden? Nein, sie schaute zu den drei Besuchern und flog schließlich zu ihnen. Erleichtert nahmen sie zur Kenntnis, dass es tatsächlich Lilia war, die da über dem Teich gesungen hatte. Sie hatte so lange auf diese Nachricht gewartet, dass sie schon glaubte, die anderen hätten sie vergessen. Sie wollte nicht in der Einsamkeit zurückbleiben und irgendwann einfach so vergehen. Sie wollte mit den anderen dorthin gehen, wo sie niemals mehr allein sein mussten, wo vielleicht alles schöner war und einfacher. Sunny, Candy und dessen Papa hörten Lilia interessiert zu und waren sehr betroffen, aber dann drängten sie zur Eile. Sie mussten schnellstens zum Kinderheim zurück, denn die Geister-Kinder würden wohl schon bald aufbrechen und ihre lange Reise ins Jenseits beginnen. Als sie bei der alten Gruft eintrafen, wurde Lilia herzlich von den anderen Kindern begrüßt. Weinend fielen sie sich in die Arme und es war, als wenn ein tonnenschwerer Stein von allen Herzen gefallen sei. Die Tränen der Kinder bewirkten, dass Lilia gar nicht mehr so transparent war wie eben noch. Sie war ein leibhaftiger Mensch geworden und sang noch einmal leise dieses wundersame und doch so traurige Lied:

Ach ich danke Euch dafür

Habt gebracht das Glück zu mir

Dort am Wasser war´s so kalt

Wärmer ist´s im fernen Wald

Und es ist nicht einsam mehr

Kaum hatte sie die letzten Worte gesungen, verschwanden alle Kinder und auch Lilia war nicht mehr zu hören.

Und plötzlich verschwand auch die alte Gruft, sie löste sich einfach in Luft auf und welch ein Wunder: Wo eben noch die Ruine der Gruft gestanden hatte, blühten jetzt die wunderschönsten Blumen und verbreiteten einen angenehm lieblichen Duft. „Sicher sind sie nun fort.“, flüsterte der Papa, „Vielleicht kann ich sie sehen, wenn ich mit der Silberwolke im Jenseits bin? Dann grüße ich sie von Euch.“ Sunny und Candy nickten und wischten sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ja, das wäre wirklich schön“, meinte Candy, und dann sagte der Papa noch, dass er und Sunny nun in ihre Bettchen müssten, weil sie ja längst müde seien und schlafen sollten, und die Drei trennten sich.

Der Papa brachte seinen kleinen Sohn nach Hause in sein Bettchen und Candy ging ganz schnell zurück ins Heim, wo er schon sehnsüchtig von Mrs. Clark empfangen wurde. Als der Papa wenig später mit seiner silbernen Wolke zwischen den kleinen Wölkchen davonflog, schlief Sunny bereits und träumte von den Kindern und von Lilia, die er in jener wundersamen Nacht kennengelernt hatte. Und er war so froh, dass er helfen konnte, und aus der Ferne vernahm er ein leises Singen, von welchem er sich nicht sicher war, ob es Lilia, die Kinder oder vielleicht doch sein Papa war:

Schlafe nun, schlaf tief und fest

Morgen gibt’s ein großes Fest

Denn im Heim bist du ein Held

Liebster Junge von der Welt

Hast die Kinder heimgebracht

Dorthin, wo die Sonn stets lacht

Kleiner Sunny, schlaf nun gut

Du hast wirklich sehr viel Mut

Die Wassermelone

Der kleine Sunny aus Hollywood spazierte an jenem wunderschönen Sonntagnachmittag die Wilcox-Ave herauf und wieder herunter und wusste gar nicht so recht, was er mit sich anfangen mochte. Und wer diese breite endlos lange Straße kennt, mag sich vielleicht vorstellen, wie lange der aufgeweckte Junge so unterwegs gewesen sein musste. Ihm war furchtbar langweilig und es stand felsenfest, dass etwas total Verrücktes her musste! Nur, was konnte schon so verrückt sein, dass er es auch für >Verrückt< hielt?

Da entdeckte er etwas sehr Merkwürdiges: Hinter einem Metallzaun, auf einer ziemlich großen grünen Wiese lagen Dutzende riesige grüne Bälle! Was konnte das nur sein? Sunny sprang hoch und wollte mehr sehen, schließlich kletterte auf den Zaun und schaute zu den Bällen hinunter. Diese sonderbaren Dinger lagen einfach so auf der Wiese herum und niemand schien sich für sie zu interessieren. Irgendwie aber hatte er diese Bälle schon einmal gesehen, nur, dass man sie essen konnte. Aber hier auf der Wiese? Weil niemand zu sehen war, kletterte er flugs über den Zaun und sprang auf die Wiese. Schnell lief er zu den grünen Bällen, und tatsächlich, er hatte sich nicht geirrt, es waren Wassermelonen. Noch nie hatte er sie einfach so auf einer Wiese liegen sehen, und er hatte sie wohl auch noch nie beim Wachsen beobachten können, denn dann wüsste er, dass die Melonen am Boden liegend wuchsen. Staunend betrachtete er sich die großen grünen Melonen und hatte plötzlich eine verwegene Idee. Er wollte sich eine der Melonen einfach mitnehmen und seiner Lehrerin Mrs. Simms zeigen. Die wäre ganz sicher hocherfreut, wenn ihr bester Schüler mit einem solchen Ball erscheinen würde. Dann könnte sie sich einfach das Frühstück sparen und würde mit ihm Melone essen. Und so ganz nebenbei könnte sie ihm und der gesamten klasse erklären, wie eine solche Wassermelone beschaffen war, wo sie wuchs und wie groß sie werden konnte. Ja, das wäre schon ganz toll. Allerdings gab es eine echte Schwierigkeit: Wie sollte er eine solch riesige Frucht nur ungesehen von hier wegtransportieren? Da fiel ihm ein, dass er d sein Vorhaben einfach nachts durchführen könnte. Da war es schließlich dunkel und es konnte auch keiner beobachten, wohin er mit der Melone verschwand. Und so lief er schnurstracks zu seinem Fahrrad, welches er in einer schmalen Seitenstraße versteckt hatte und radelte so schnell es ging nach Hause. Daheim erkundigte er sich scheinheilig bei seiner Mami, was man mit einer Wassermelone so alles anstellen konnte, ohne sie gleich aufzuessen. Die Mami musste lachen, aber sie wusste auch keine andere Verwendung, als sie zu verzehren. Am besten schmeckte sie, wenn man sie an einem richtig heißen Tage aufaß, denn das wirkte erfrischend und schmeckte einfach wunderbar. Sunny verzog sein Gesicht. Eigentlich hatte er ja etwas mehr Aufklärung erwartet, doch insgeheim dachte er immerzu nur an sein nächtliches Vorhaben und fieberte schon dem Abend entgegen. Rasch verging die Zeit und als er endlich in sein Bettchen verschwinden konnte, tat er so, als wenn er hundemüde sei und auch gleich einschlafen wollte. Die Mami nahm ihm dieses Flunkern nicht ab und hatte ein ganz seltsames Gefühl. Sunny wusste das genau und blieb lange einfach so liegen, denn immer wieder kam die Mami, um nach ihrem, ein ganz klein wenig verschlagenen Sohn, zu sehen. Als aber auch nach drei Stunden alles normal schien, kam sie nicht mehr. Sie glaubte allen Ernstes, dass Sunny tief und fest schlief und ganz bestimmt keine Dummheiten machte.

Sunny hingegen hatte all das bedacht, und als es endlich Mitternacht war, krabbelte er aus dem Fenster seines Zimmers, sprang wie immer auf die Wiese davor und radelte so schnell er konnte in die Stadt. Schnell hatte er sein Ziel in der Wilcox-Ave erreicht, und im Schutz der Dunkelheit und im düsteren Licht seiner kleinen Taschenlampe ließ sich schnell ein geeignetes Exemplar finden. Als er die Melone in das eigens für diesen Zweck mitgebrachte Körbchen verfrachtete, erschrak er plötzlich. Waren da nicht Stimmen? Ein wenig ängstlich und irgendwie ertappt schaute er sich um. Aber da war niemand. Obwohl es ziemlich dunkel war, konnte er im Licht der Laternen an der nicht weit entfernten Straße keine Menschenseele entdecken. Woher kamen dann diese sonderbaren Stimmen? Hatte er sich doch nur geirrt, vielleicht verhört, weil er so aufgeregt war? Es musste so sein und schon widmete er sich wieder seiner Wassermelone. Gerade wollte er auf sein Fahrrad steigen und davonbrausen, da kamen sie wieder. Ganz leise, als wenn Mäuse piepsten, schien da jemand zu sprechen. Wieder suchte Sunny die Gegend mit seinen Blicken ab. Aber es war wirklich niemand zu sehen und er zweifelte bereits an seinem Verstand. Auf einmal vernahm er die vermeintliche Stimme ganz deutlich, sie musste sehr nahe sein und sprach in einem fort: „Hallo, hier bin ich, hier unten! Na guck doch mal runter, los!“

Sunny rieb sich die Augen und leuchtete mit seiner Taschenlampe die Wiese unter sich aus. Und es war wirklich kaum zu glauben und er musste sogar grinsen, denn das, was da vor ihm war und zu ihm sprach, war eine winzige Ameise. Sie saß auf dem Reifen seines Fahrrades und verrenkte sich nach allen Seiten, nur, um von Sunny bemerkt zu werden. Sunny hielt seine Hand vor sie hin, und schon sprang sie auf seinen Zeigefinger und schaute ihn mit großen Augen an. „Das wird ja Zeit, dass du mich siehst!“, meckerte sie und schüttelte ihr winzig kleines Köpfchen. Sunny schmunzelte, denn er konnte es noch immer nicht glauben, dass da eine Ameise zu ihm sprach. Aber er fand es irgendwie gut und so erzählte er der Ameise, die sich übrigens Emily nannte, von seinem heimlichen Vorhaben. Emily wunderte sich sehr, denn eigentlich sollte die Melone noch eine Weile hier auf der Wiese liegen, weil sie noch reifen musste. Aber dann fand die kleine Ameise es doch spannender, wie Sunnys Lehrerin auf diese Melone reagierte. Außerdem wollte sie mit Sunny mitfahren, denn sie fühlte sich recht einsam hier auf der großen Wiese. Irgendwie hatte sie den Anschluss an die anderen Ameisen verloren, war wohl zu spät gekommen, als der Haufen umgesiedelt wurde und so musste sie notgedrungen bleiben.

Und dann sagte sie noch: „Ach weißt du, weil sie so schön sind, nehme doch einfach zwei Melonen mit, irgendein Gefühl sagt mir, dass du sie noch gebrauchen kannst.“ Sunny wunderte sich zwar, dass Emily auf einmal so angetan von seinem Vorhaben war, tat dann aber genauso, wie sie ihm geraten hatte. Er packte noch eine Melone in sein Körbchen und schon ging die Reise los. Emily setzte sich während der Fahrt einfach auf Sunnys Basecap und wollte die Lage sondieren. Doch bis auf die Tatsache, dass es ziemlich mühselig für Sunny war, mit den beiden Melonen im Körbchen in die Hollywood Hills zu fahren, wo er ja zu Hause war, ging alles glatt. Niemand hatte sie gesehen, keiner hatte sie beobachtet und auch die Mami hatte glücklicherweise nichts bemerkt.

Ganz leise bugsierte Sunny die Melonen in sein Zimmer und half schließlich auch Emily, zu seinem Bettchen zu gelangen. Schließlich legte er sich hinein und unterhielt sich noch eine kleine Weile mit seiner neuen Freundin. Emily aber war auch sehr müde und schlief als erste ein. Sie legte sich einfach auf Sunnys Nachtschränkchen und träumte wohl von riesigen saftig grünen Wassermelonen.

Am nächsten Morgen musste Sunny wieder in die Schule und dazu wollte er die Melonen mitnehmen, um sie seiner Lehrerin Mrs. Simms zu zeigen. Die kleine Ameise Emily aber hatte arge Bedenken. Immerhin war es doch recht ungewöhnlich, wenn ein kleiner Junge mit gleich zwei Wassermelonen in die Schule fuhr. Deswegen schlug sie vor, die Melonen einzuwickeln und auf diese Weise zu transportieren. Natürlich war Sunny einverstanden, wollte er doch zu allerletzt als Melonendieb vom Police-Officer verhaftet werden.

Nach dem Frühstück packte er die eingewickelten Melonen in das Körbchen und behauptete, dass er alte Kleider in die Schule transportieren wollte, weil er den armen Kindern helfen wollte. Die Mami glaubte ihm kein Wort, wollte aber nicht wissen, was sich wirklich zwischen den alten Hemden befand.

So radelte Sunny los und mit ihm kam auch Emily, die von Sunnys Mami noch gar nicht bemerkt worden war. Emily fand das alles reichlich lustig und war froh, dass endlich mal was aufregendes passierte.

In der Schule wurde Sunny ziemlich belächelt, weil er zwei Wassermelonen anschleppte. Doch der ließ sich gar nicht stören und verfrachtete die beiden riesigen grünen Kugeln auf einen Schrank neben dem Lehrerpult.

Als die Stunde begann, postierte sich auch Emily auf dem Schrank und beobachtete streng das Klassenzimmer, gab Acht, dass mit den Melonen auch ja nichts geschah. Mrs. Simms wunderte sich wirklich sehr, dass Sunny ausgerechnet Wassermelonen mitgebracht hatte, fand den Vorschlag, über die Melonen zu sprechen, dann aber doch recht gut und wollte am Ende der Schulstunde dieses Thema aufgreifen.

Die Stunde selbst aber war grottenlangweilig und Emily gähnte so laut, dass sich die Schüler umdrehten, weil sie nicht wussten, wer so laut gegähnt hatte.

Sunny wusste genau, wer es war und musste grinsen. Dieses aber verging ihm schon recht bald, denn urplötzlich wurde die Tür aufgerissen und zwei vermummte Männer stürmten herein!

Die Schüler erschraken derart, dass sie erstarrten vor lauter Schreck. Die beiden Gauner aber rissen ihre Revolver nach oben und schossen mehrmals in die Luft. „Los, Geld und Uhren raus, aber flott!“, rief einer der Ganoven und die Schüler taten, was die Diebe wollten. Nur Mrs. Simms sträubte sich noch, wurde aber wenig später von dem anderen Gauner mit dessen vorgehaltenem Revolver schnell wieder in Schach gehalten.

Mrs. Simms hatte weniger Angst um sich selbst als um ihre Schüler. Sie wusste einfach nicht was sie tun sollte, was ein anderes Geschöpf, gar nicht weit von ihr entfernt, umso genauer zu wissen schien. Es war Emily, die natürlich ebenfalls zu Tode erschrocken war, als die beiden bewaffneten Gauner in die Klasse stürmten. Waren es nun Amokläufer oder Spinner, die die Leute beraubten, egal! Emily wusste, dass sie etwas tun musste und erholte sich schnell von ihrem vermeintlichen Schock. Aber was sollte sie tun, sie war doch viel zu klein, um den Kriminellen Angst einzujagen? Da entdeckte sie einen großen roten Luftballon, der gleich neben den Melonen auf dem Schrank herumlag. Er musste wohl auf dem Schrank in Vergessenheit geraten sein, und Emily hatte eine grandiose Idee. Mit einem Satz sprang sie auf den Luftballon zu und bis mit ihren scharfen Kauwerkzeugen in ihn hinein. Laut krachend zerplatzte er und die beiden Ganoven erschraken fürchterlich! Sie drehten sich um sich selbst, glaubten, irgendwer habe geschossen, konnten allerdings niemanden mit einer Waffe sehen und vermochten vor lauter Schreck gar nicht mehr zu schießen. In diesem Augenblick jedoch, und durch die Wucht des zerplatzenden Ballons, wurden nun die beiden Melonen ein wenig bewegt. Und weil sie am äußersten Rand des Schrankes lagen, kullerten sie einfach hinunter. Davor aber hatte sich dummerweise einer der Gauner postiert. Die Melone fiel und fiel und fiel dem total überfahrenen Ganoven mitten auf den Kopf. Laut knirschend zerbrach sie, und weil sie nicht ganz von ihrem Opfer abfiel, versperrte sie ihm die Sicht. Nervös ballerte der übertölpelte Gauner in die Luft, wobei ihm einerseits der Revolver aus der Hand rutschte und andererseits die zweite Melone von dem unfreiwillig abgefeuerten Schuss getroffen wurde. Sie zögerte nicht lange und kullerte munter hinter ihrer Schwester-Melone, die bereits ihr glorreiches Werk erfüllt hatte, hinterher. Der andere Gauner wollte schon schießen, da bekam auch er die geballte Härte der zweiten Melone ab und sank unter der unerwarteten Wucht kraftlos zu Boden. Jetzt war es ein Kinderspiel, die beiden verunglückten Ganoven zu überwältigen. Mrs. Simms enterte einen der Gauner mit ihrem Klassenbuch, der, kaum hatte er sein Bewusstsein zurück erlangt, unter der gnadenlosen Wucht des schicksalsträchtigen Buches zusammenbrach und von der jubelnden Lehrerin ans Lehrerpult gefesselt wurde. Sunny hatte unterdessen die Polizei angerufen, aber da erwachte der zweite Gauner auch schon aus seiner kurzzeitigen Lethargie. Allerdings konnte auch er sich nicht sonderlich lange an seiner gerade wieder neu erlangten Freiheit erfreuen. Denn die umsichtige Ameise Emily besann sich erneut auf ihre Kauwerkzeuge, biss dem Ganoven mehrmals kräftig in den Allerwertesten und die Schüler mussten ihn schließlich nur noch mit reichlich Strick und Riemen ihrer Rucksäcke an die Tische binden, dann herrschte endlich Ruhe.

Die rasch eintreffenden Polizeibeamten nahmen die beiden Gauner fest und einer der Polizisten sagte noch: „Also, wie habt ihr das nur angestellt. Wir suchen die beiden Gauner schon seit Wochen, aber immer konnten sie entkommen. Danke, dass ihr sie erwischt habt!“ Stolz schauten die mutigen Schüler zu den Beamten, dann zu ihrer Lehrerin und waren doch froh, dass alles so glimpflich abgegangen war. Sie schienen noch einmal mit dem Schrecken davongekommen zu sein und Sunny war heilfroh, zwei Melonen mitgenommen zu haben und nicht nur eine. Emily rieb sich zufrieden ihre Kauwerkzeuge und fühlte sich großartig, denn nun war ihr nicht mehr langweilig und sie hatte auch ganz neue Freunde gefunden, mit denen es ganz sicher niemals wieder langweilig sein würde.

Eines Tages allerdings meinte sie, dass sie nun wieder fort müsste. Ihre Verwandten seien plötzlich in die Stadt gekommen, um sie zu holen. Traurig verabschiedete sie sich von ihren neuen, mittlerweile liebgewonnenen Freunden und Sunny wünschte Emily ganz viel Glück. Wer sich allerdings weniger freute, war seine Lehrerin Mrs. Simms! Denn Emilys Verwandte, die allerdings nur zwei Tage blieben, hatten sich genau dort niedergelassen, wo es Mrs. Simms am wenigsten erwartet hatte: Auf ihrer Sonnen-Terrasse mit einem riesigen Ameisenhaufen…

DerroteRoller

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