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"Tiger! Tiger!" führt in Indiens Kardamomberge in den Periyar-Nationalpark, eines der bedeutendsten Tigerschutzgebiete in ganz Asien, gelegen im Süden Keralas. Zu Fuß geht es mit Wildhütern, die zuvor Wilderer waren, auf den Periyar Tiger Trail. Unterwegs mit Fährtenleser und Trägern vom Volk der Adivasi durchstreift der Autor - mit Zelt und Kochtöpfen - vier Tage lang die Seenlandschaft und ihr Hinterland auf der Suche nach Wilderern und Shir Khan, dem "König des Dschungels" - und begegnet vielen weiteren Bekannten aus dem berühmten "Dschungelbuch". Eine so fesselnde wie anrührende Reise in das wahre Herz Indiens und in die Zeit Rudyard Kiplings. Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos.
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Inhaltsverzeichnis
Tiger! Tiger!
Kai Althoetmar
Zu Fuß auf Dschungelbuchtour in Südindien
Impressum:
Titel des Buches: „Tiger! Tiger! Zu Fuß auf Dschungelbuchtour in Südindien“.
Erscheinungsjahr: 2018.
Inhaltlich Verantwortlich:
Edition Kultour
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfoto: Wildhüter auf dem Periyar Tiger Trail. Foto: Thierry Leclerc, CC BY-ND 2.0.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
Die Recherchen zu diesem Text erfolgten ohne Zuwendungen oder Vergünstigungen Dritter.
Im alten Indien pflegten die Maharadschas und kolonialen Großwildjäger auf dem Rücken eines Elefanten auf Tigerjagd zu gehen. Heute ist der Elefant ein Land Rover, Jeep oder indischer Tata, der in den Reservaten von Kanha, Ranthambore oder Corbett zur Tigerpirsch vorrückt, die Schüsse sind Schnappschüsse und machen nur klick und klack.
In einem abgelegenen Winkel Südindiens, im Periyar Tiger Reserve in den Kardamombergen der Westghats im Osten des Bundesstaates Kerala, gibt es noch zwei weitere Varianten. Erstens: Man fährt mit einem Ausflugsdampfer für eine Handvoll Rupien gemütlich mit einer Limo in der Hand über den Periyarsee und hält von Bord nach wildem Getier Ausschau. Dieses Unternehmen betört vor allem Indiens Honeymooner, und so sind die Schiffe voll mit jungen, fröhlichen indischen Paaren. Wer die zweistündige Törn ein paarmal macht, sieht garantiert wilde Elefanten, mit etwas Glück auch Büffel und Asiatische Wildhunde und bei der zweitausendsten Rundfahrt eventuell den Schatten eines Tigerschwanzes. Variante eins verheißt Bequemlichkeit und Sicherheit. Nur trügt der Schein wie so oft. Im September 2009 bekam ein nagelneues Ausflugsboot Schlagseite und versank, als sich am Ufer eine Elefantenherde zeigte und viele Passagiere zum Public Viewing just in dem Moment auf eine Bootsseite stürzten, als der Kahn eine tigerzahnscharfe Kurve fuhr. 45 Tote wurden gezählt, bis auf zwei alles Inder, die meisten Frauen und Kinder. Etwa zwanzig Passagiere überlebten den Ausflug.
Von einer weiteren Variante, dem Tiger auf die Spur zu kommen, hatten wir zufällig nach einer trockenen Fußes überstandenen Bootsfahrt erfahren: der „Periyar Tiger Trail“, der nahe der Ortschaft Thekkady im Periyar Wildlife Sanctuary startet. „Trail“ heißt hier Fußmarsch durch Dschungel und Grasland, organisiert von Keralas Forstverwaltung. Der Ausflug dauert zwei, drei oder, wenn keine anderen Interessenten da sind, auch ausnahmsweise vier Tage. Außer mir und Kerstin, die sonst eher auf Shiva-Tempel und Buddha-Statuen abonniert ist, gibt es keine Interessenten.
Schon am nächsten Vormittag ist Aufbruch. Vier Stunden sollen es zum ersten Rastlager sein. Wir passieren den Periyarsee, den Stausee, aus dem ertrunkene Bäume surrealistisch ihre Stämme hockrecken.
Aufkommendes Unwetter auf dem Periyarsee. Foto: James Southorn, CC BY 2.0.
Reiher staksen am Ufer. Im Wald huschen schwarze Nilgiri-Languren durchs Geäst, ein Sambar-Hirsch, Leibgericht des Bengaltigers, kreuzt den Weg. Fünf Mann begleiten uns, vier davon sind Träger, Köche und Fährtenleser. Und Bodyguards. Denn im Wald warten neben Elefanten und Dschungelrindern auf jeden Besucher auch Leoparden, Lippenbären, Asiatische Wildhunde, Königskobras und Pythons. Und Shir Khan, der König des Dschungels. Rudyard Kiplings ganze Dschungelbuchbesetzung leistet ihm in Periyar Gesellschaft: 62 Säugetierarten, viele endemisch oder gefährdet, 315 Vogelarten, 45 Reptilien-, 27 Amphibien-, 38 Fisch- und allein 112 Schmetterlingarten.
Kormoran am Periyarsee. Foto: Lip Kee, CC BY-SA 2.0.
Tanghan, der Fünfte im Bunde, ist unser Anführer. Der 31jährige hat Politik studiert und vor zwei Wochen geheiratet. Im Dschungel zählt die Politik nicht. Hier gilt nur fressen und gefressen werden. Tanghans khakifarbene, knitterfreie Forstmannsuniform mit Koppel und Schulterabzeichen strahlt militärischen Zack aus, eine Aura von Ernst und Disziplin, die es im Dschungel zu wahren gilt, damit den westlichen Rucksacktouristen kein Malheur widerfährt. Er ist unser Leibwächter. Er wird fast jeden Moment sein Jagdgewehr am Mann haben, ein chinesisches Modell, Jahrgang 1975, zwölf Schuß, das reicht zur Not, um eine ganze Büffel- oder Elefanten-Stampede zu bewältigen.
Tanghan ist ein sehr bedächtiger Typ, aufmerksam, umsichtig, ein stets freundlicher, aber ernster Charakter mit Understatement. Er erzählt mir von den indischen Tragödien, von der Ermordung Gandhis, er meint die Indira Gandhis 1984, vom Giftgasunglück in Bhopal und anderen Katastrophen. Wie sich denn die deutsche Einheit so mache, will er wissen. Ich gebe eine abfällige Einschätzung, damit Indien im bilateralen Katastrophenvergleich nicht zu schlecht abschneidet, und frage: Wie steht es um die Wiedervereinigung von Indien und Pakistan? Der Forstmann winkt ab. „Zu viele Fanatiker.“
Im Urwald kommt uns ein Troß Tiger-Touristen entgegen. Sie hatten das Rendezvous für eine Nacht mit dem König des Dschungels gebucht. Jetzt sind sie gefrustet. Shir Khan ist nicht erschienen. Nicht mal Elefanten haben sich blicken lassen. Nichts als pugmarks, Tatzenabdrücke von einem Tigerweibchen und ihren Jungen. Eine Wildschweinrotte rennt vor uns durch eine Furt, der Keiler voran. Schon nach einer Stunde machen die vier Träger Feuer. It's tea time. Die Briten haben hier mit ihrem way of life gründlich gewirkt. Zur Einstimmung werden „Tiger“-Kekse gereicht. Was die Feldküche noch zu bieten hat, steckt in den Kochtöpfen, die die Träger auf dem Kopf balancieren: Bohnen, Linsen, Kürbis, Kohl, Möhren, Reis, Obst.
Die Jagd in Periyar ist strikt verboten, Wilderei wird hart geahndet. Tanghan und seine Männer sind auch deshalb mit uns unterwegs, um nach Spuren von Wilderern Ausschau zu halten. Allein in den ersten fünf Jahren des Projekts „Tiger Trail“ wurden mehr als 85 Wilddiebe gefaßt, darunter vier Elfenbeinjäger.
Auch unsere vier Träger waren früher Schmuggler und Wilderer, wie Generationen vor ihnen. Früher haben sie Tiere gejagt, Bäume gefällt, Teak, Sandelholz, Rosenholz, und Zimtbäume entrindet. Sie sind die Ureinwohner, Peryiar ist ihr Wohnzimmer. Ihre Profession ist die Natur, sie kennen jede Pflanze, jedes Tier, jeden Trampelpfad, jeden Ameisenhaufen. Sie haben sonst nichts gelernt. Die Dschungelausflüge machen ihnen sichtlich Spaß. Das Englisch der meisten Träger beschränkt sich auf wiederkehrende Versatzstücke wie „good morning“, „tea, yes?“ und „tiger dangerous“.