Und erlöse uns von dem Coolen - Holger Niederhausen - E-Book

Und erlöse uns von dem Coolen E-Book

Holger Niederhausen

0,0

Beschreibung

Das 'Coole' ist heute ein subtiler Zwang. Das Gegenwort 'uncool' besagt eigentlich alles. Aber mit diesem Zwang, der sich so positiv tarnt, geht etwas Unendliches verloren. Auch wenn die Seele es zunächst nicht merkt - es geht um Unterwerfung. Aber wer soll unterworfen werden? Und wer ist die unterwerfende Macht? Dieses Buch taucht ein in einen grandiosen, völlig unerkannten Kampf. Es ist der wahre Kampf unserer Zeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 175

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Menschenwesen hat eine tiefe Sehnsucht nach dem Schönen, Wahren und Guten. Diese kann von vielem anderen verschüttet worden sein, aber sie ist da. Und seine andere Sehnsucht ist, auch die eigene Seele zu einer Trägerin dessen zu entwickeln, wonach sich das Menschenwesen so sehnt.

Diese zweifache Sehnsucht wollen meine Bücher berühren, wieder bewusst machen, und dazu beitragen, dass sie stark und lebendig werden kann. Was die Seele empfindet und wirklich erstrebt, das ist ihr Wesen. Der Mensch kann ihr Wesen in etwas unendlich Schönes verwandeln, wenn er beginnt, seiner tiefsten Sehnsucht wahrhaftig zu folgen...

,Cool!’

Es gibt wohl wenige Worte, die mit so viel Wohlgefühl einhergehen. Man kann es so nebenbei sagen, cool, aber auch absolut begeistert. Und es bedeutet nichts anderes als ,klasse’, ,großartig’, ,toll’ – und dann außerdem vielleicht noch dieses gewisse Etwas, was eben ,cool’ ausmacht.

,Cool’ ist auch lässig, ist locker, ist das Gegenteil der Erwachsenen. Erwachsene sind nicht cool. Jugendliche sind cool – oder wollen es sein. Actionhelden sind cool. Sportler. Stars. Und wer noch? Was ist cool?

Es ist eine Sache, ein Wort einfach genauso wie ,toll’ zu benutzen. Eine ganz andere Sache ist es, ,cool’ sein zu wollen oder das ,Coole’ bei Anderen zu mögen. Was ist dieses ,cool’? Warum will man so sein oder warum mag man das? Und was passiert dann? Was passiert dann mit einem – oder auch noch darüber hinaus...

Dieses Büchlein möchte die unglaublichen Konsequenzen erlebbar machen, die in der Existenz dieses einen kleinen Wortes liegen. Dabei geht es um weit mehr als nur eine theoretische Betrachtung oder Abhandlung. Es ist der vielleicht größte Kampf, den diese Welt zu bestehen hat.

Mögen die Spiele beginnen...

Es ist kein Zufall, dass Bücher und Filme wie die ,Tribute von Panem’ einen solchen Erfolg haben. Sie sind schon von der Story her unglaublich spannend. Sie überschreiten eine Grenze, die eigentlich schon gar keine Grenze mehr ist, weil sie inzwischen immer mehr, ja ständig, überschritten wird.

Welche Grenze ist das? Nun, das sollte man deutlich spüren, sehr deutlich sogar. Es ist die Grenze, jemanden zu töten. Wir leben in einer Welt, in der diese Grenze systematisch nach hinten verschoben wird – nach hinten, in Richtung Unempfindlichkeit...

Aber werden nicht ständig Menschen umgebracht, in Filmen und auch in der Realität? Ja, das stimmt – und es ist furchtbar genug. Denn schon hier wird der Mensch, wirst du daran gewöhnt, dass es dir nichts mehr ausmacht. Dass es einfach nur ein Genuss ist, in einen Film zu gehen, in dem der Held andere Menschen (natürlich die Bösen) tötet, um sein Leben und das Anderer zu retten. Dass es also ein Genuss ist, Kämpfe zu sehen, in denen Menschen sterben. In denen sie sich bis auf den Tod bekämpfen, sich wirklich umbringen wollen – und dies auch tun.

Das ist das Erste: dass man sich einmal bewusst machen könnte, wie es möglich werden konnte, dass man einen Genuss und eine Unterhaltung daran hat, Filme zu schauen, in denen Tötungen vorkommen – und in denen diese Tötungen sogar der Haupteffekt sind, weil die Lebensbedrohung und das Töten nun einmal die stärksten Effekte sind, die es gibt. Wie ist es möglich, dass dies ein Genuss wird, eine wohlige, starke Unterhaltung...

Das ist das Erste – dass dies inzwischen sowieso normal ist. In unzähligen Filmen, in ganzen Genres von Filmen: Action, Science Fiction, Krimi, Horror...

Aber es ist etwas anderes, ob man einen Actionfilm sieht, wo man weiß, der Held muss sich gegen die Bösewichter wehren, und es wird, weil es ein solcher Actionfilm ist, zwangsläufig Tote geben – oder ob es ein Film wie ,Tribute von Panem’ ist. Was ist denn hier der Unterschied...?

Der Unterschied ist, dass es nicht nur um das Töten geht, dass also dieses Töten in Kauf genommen wird und dass die ,Showdowns’ die Höhepunkte des Films sind – sondern dass es in ,Tribute von Panem’ nur um das Töten geht. Der Unterschied ist, dass die ganze Story nur einen Inhalt hat: Das Töten als Spiel, als Unterhaltung. Hier ist es wirklich so weit gekommen, dass im Film, in der Realität des Films, das Töten als Unterhaltung in Szene gesetzt wird. Es geht um neuartige Gladiatorenkämpfe – Kämpfe junger und sehr junger Menschen, die gezwungen werden, solange zu ,spielen’, bis nur noch Einer übrigbleibt.

Hier geht es nicht mehr darum, dass man sich nur tötet, weil man sich hasst oder weil einzelne Menschen ,aus dem Weg geräumt’ werden sollen oder weil eben Held und Schurke aufeinanderprallen – sondern hier ist der Auftrag, jeden zu töten, der einem in den Weg kommt, weil man sonst von jedem anderen auch getötet werden würde. Diesen Unterschied muss man empfinden, wirklich tief empfinden. Denn er beseitigt auch noch die letzten Grenzen. Es geht nicht mehr um die Schurken – es geht um jeden. Der Mensch wird gezwungen, eine Tötungsmaschine zu werden. Niemandem mehr zu vertrauen. Jeden umzubringen. Das sind die Tribute von Panem...

Das heißt nicht, dass man einen solchen Film nicht mehr genießen darf. Ein Buch, das einem dies ausreden wollte, würde man ja wohl sehr schnell aus der Hand legen, nicht wahr? Aber es heißt, sich dessen einmal bewusst zu werden.

Denn dies alles geht noch viel weiter. Wir sind selbst mitten in einem aufregenden Kampf um Leben und Tod. Aber alles der Reihe nach...

*

Wer setzt eigentlich die ,Standards’? Standards sind Richtlinien, nach denen sich alle richten – deswegen gerade heißen sie Richtlinien: Menschen sollen sich danach richten – und sie tun es. Zum Beispiel in der Mode. Etwas ist auf einmal ,Mode’ und ,modern’ – und alle richten sich danach, wollen es haben, auch haben...

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt: dieses ,auch’. ,Ich will das auch haben...’

Warum ist das so? Warum gibt es so etwas wie Massenphänomene? Unglaubliche Wogen von Massenbewegungen, wo jeder Einzelne etwas haben will, was auch alle anderen haben wollen? Den neuesten Harry-Potter-Roman? Das neueste iPhone? ,Die Tribute von Panem’ gucken, den neuesten Dies, das neueste Das... Woher kommt das?

Es ist eine Sogwirkung. Man kann sich dem Sog eines solchen Massen-Hypes kaum entziehen. Denn was würde es bedeuten, wenn man es täte? Alle anderen würden den Film trotzdem gucken, den Roman trotzdem lesen, das neueste iPhone trotzdem kaufen und besitzen. Alle anderen hätten es – und nur man selbst nicht. Man selbst wäre ausgestoßen. Man wäre buchstäblich ,out’, außen vor, würde nicht dazugehören, wäre ein Dummchen, ein armer Kerl, bemitleidenswert, weil er dieses Eine, dem der ganze Hype gilt, nicht kennt, nicht hat, nichts davon weiß... Man würde sich vorkommen wie ein Aussätziger, ein Obdachloser, ausgespien und zurückgelassen von der Masse, die ohne einen weiterzieht, die ohne einen ein schönes Leben hat...

Das heißt, man muss mitmachen. So fühlt es sich jedenfalls an. Wenn nicht, hat man mit Spott zu rechnen und mit diesem starken Gefühl der Entbehrung, der sinnlosen Entbehrung, während alle anderen das haben, was man nicht hat, das kennen, was man nicht kennt.

Das ist sozialer Druck – so wirkt er. Man könnte auch sagen Kollektivzwang. Was die ganze Gruppe hat, muss auch der Einzelne haben. Die Tatsache, dass man es als Einzelner nicht hat, ist schon schlimm genug. Wenn nun auch noch die Gruppe anfängt, weiteren Druck auf einen auszuüben, zum Beispiel, weil sie einen belächelt oder verspottet, weil man es eben nicht hat, dann wird es unerträglich. Es wird sozusagen zum Mobbing...

Aber wie gesagt, dies ist gar nicht nötig – man fühlt sich ja schon so, ohne alles weitere, ausgestoßen. Man kann nicht mitreden. Die anderen reden aber darüber. Man gehört also nicht dazu. Ob die anderen einen dies darüber hinaus noch spüren lassen oder nicht. Man fühlt sich so – und kann nichts tun. Und in einem regt sich die unendliche Sehnsucht, dasselbe auch zu haben und zu kennen – und man ruht nicht eher, als bis man es auch hat und kennt und wieder dazugehört.

Wer setzt die Standards? Diese Frage ist für den Einzelnen zunächst unwesentlich. Tatsache ist, dass sie gesetzt werden – und dass man nur noch zusehen kann, wie sie erfüllt werden, wie sie ihre Wirkung ausüben, ihre Sogwirkung... Alle werden von den Standards angesaugt, weil es immer schon vorher bereits viele sind. Ein Hype entsteht. Aber man bemerkt ihn erst, wenn er schon entstanden ist. Es ist eine Woge, bei der alle mitmachen, und würden nicht alle mitmachen, wäre es gar keine Woge. Aber wie kommt es, dass alle mitmachen?

Meistens ist es die Neugier. Es reichen einige Wenige, die aber zu denjenigen gehören, die Standards setzen. Die heimlichen Anführer der Klasse zum Beispiel. Die, die man auch sonst immer cool findet. Wenn sie sich für etwas interessieren und von etwas erzählen und etwas haben – dann interessiert man sich auch dafür. Und wenn drei, vier Freunde von etwas erzählen, dann ist die Sache gelaufen, dann will man es definitiv auch kennen – und so macht es die Runde. Es breitet sich gleichsam in Wellenbewegungen aus. Ein Stein, der in einen See geworfen wurde, kann gar nicht anders, als nach und nach den ganzen See in einer sich ausbreitenden Welle in Bewegung zu setzen.

Dieses Bild von der Welle, die durch einen einzelnen Stein in Bewegung gesetzt wurde, trifft es wirklich sehr gut. Jeder wird dann in Bewegung gesetzt, wenn die ihm nahen Menschen ebenfalls in Bewegung gesetzt wurden. Vielleicht interessiert mich der heimliche Anführer der Klasse gar nicht, aber spätestens wenn mein Freund oder meine Freundin das Buch, den Film, die Sache ebenfalls ,cool’ findet, bin auch ich angespitzt und fange an, mich von der Sogwirkung erfassen zu lassen, mich ihr nicht mehr entziehen zu können.

Und wenn die vom Stein erzeugte Welle am Ende nur ganz schwach ist, bedeutet das, dass selbst die Letzten, die sich für das Buch, den Film gar nicht mehr wirklich interessieren, zumindest noch mitkriegen, dass es ihn gibt und wovon er ungefähr handelt – selbst sie können sich dem Ganzen nicht völlig entziehen, es schwappt sogar bis zu ihnen noch...

Aber nun ist jeder, der sich für diese eine Sache so interessiert, dass er der Meinung ist, dass man sie gelesen, gesehen haben muss, dass man sie kennen muss, ein neuer Stein, ein neuer Wellenauslöser. Auch er bringt seine Umgebung dazu, das Gleiche zu denken, zu fühlen, zu wollen: Man muss das kennen... Ich muss es kennen, du musst es kennen, jeder muss es kennen. Sogwirkung, Massenwirkung, unentrinnbar...

*

Wer setzt die Standards? Man weiß es nicht – man spürt fast immer erst die Tatsache, dass sie gesetzt sind und existieren, dass sie ihre Wirkung entfalten, der man sich gar nicht mehr entziehen kann. Die Standards werden gesetzt – und man selbst läuft hinterher, immer wieder...

Eigentlich könnte man an dieser Stelle bereits einmal innehalten und sich verwundert fragen: Will ich das eigentlich? Will ich fortwährend neuen Dingen hinterherlaufen, die Andere gesetzt haben? Aber für diese Frage ist es vielleicht noch zu früh. Zu sehr ist man noch im Hamsterrad der eigenen Gefühle gefangen.

Was für ein Hamsterrad? ,Hamsterrad’ sagt man zu etwas, was unentrinnbar ist und immer weitergeht, ohne Pause. Es gibt für Hamster Laufräder, die sich immer weiterdrehen. Der Hamster steigt hinein, und seine Pfoten drücken das Rad hinunter, und so muss er anfangen, zu laufen, was das Rad immer weiterdreht, auch immer schneller. Und der Hamster rennt und rennt...

Im Käfig ist das etwas Gutes, denn so hat er wenigstens etwas (scheinbaren) Auslauf, zumindest Bewegung. Als Bild aber ist es schrecklich. Denn es bedeutet, reines Opfer zu sein – Opfer von Bedingungen, die ganz außerhalb von einem liegen, einen aber vollkommen bestimmen, das ganze eigene Handeln. Ist es dann noch das eigene...?

Nun – die subtile, sehr fein wirkende Bedingung dafür, ob man etwas als ,eigen’ betrachtet, ist zunächst ja, ob man es ,will’. Das, was man selbst will, will man ja nun einmal. Also will man es und wird es nicht als fremd empfinden. Selbst wenn es fremdbestimmt war, von außen irgendwie vorgegeben oder angeregt ... wird es spätestens dann, wenn ich es selbst will, zu etwas, wozu mich niemand zwingen muss, im Gegenteil.

Aber man kann sich einmal sozusagen als Extremvorstellung fragen, was man alles mitmachen würde, bevor man es als absurd empfinden würde.

Tom Sawyer hat es geschafft, die lästige Aufgabe des Zaunstreichens so darzustellen, dass es etwas sei, was Spaß mache, und schließlich gaben die anderen Kinder ihm sogar Geld oder was auch immer, um ein wenig den Zaun streichen zu dürfen.

So kann einem auch der moderne Gruppendruck und Kollektivzwang manchmal vorkommen. Es könnte sozusagen sogar der größte Schund auf den Markt kommen – man müsste es nur schaffen, dass genügend viele Leute darin etwas ,Cooles’ sehen, was man haben sollte. Sobald der Hype gesetzt ist, folgt die übrige Masse von ganz alleine nach... Es geht, mit anderen Worten, gar nicht darum, ob etwas schön oder sinnvoll ist – es geht am Ende nur noch um die Sogwirkung.

Ein anderes Bild sind die Lemminge. Sie sind mit den Hamstern nahe verwandt und gehören zu den Wühlmäusen. Den Lemmingen sagt man nach, dass sie sich bei einer Überbevölkerung in Scharen ins Meer zu stürzen. Daraus hat sich die Redewendung ,wie die Lemminge’ entwickelt. Entscheidend ist dabei nicht der (angebliche) Selbstmord, sondern das Gruppenverhalten. Es ist sozusagen eine extreme Form von Herdentrieb. Und der Selbstmord ist gleichsam nur das Extrem der Sinnlosigkeit: ein Hinterherrennen hinter den Anderen, obwohl es jedem Sinn sogar widerspricht.

Aber ist dies nicht unsere Realität? Nehmen wir an, ein Film erzeugt einen ungeheuren Hype. Sobald dies der Fall ist, können Marketingexperten alles Mögliche herstellen, was mit diesem Film zu tun hat – den allergrößten, billigen Schund, Plastikfiguren, Aufkleber, Geschirr mit entsprechendem Aufdruck etc. etc., und es würde alles massenhaft gekauft werden, weil es alles mit dem Hype zu tun hat. Und die Hersteller verdienen Millionen. Sie brauchen nur ein bisschen Plastik, die Verbindung zu dem Hype – und kassieren. Und alle laufen dem Schund freiwillig hinterher, weil in ihrem Kopf eine Art Gehirnwäsche stattfand...

,Gehirnwäsche’ ist auch so ein Wort. In Diktaturen oder im Bereich der Geheimdienste hat man versucht, politische Gegner so zu foltern – auch durch Isolation, durch Schlafentzug, durch endlose Verhöre und so weiter –, dass sie ihre Individualität immer mehr verloren und letztlich gleichsam willenlos überhaupt nicht mehr wussten, was man mit ihnen machte, was man ihnen an neuen Gedanken einpflanzte. Wenn der Mensch so weit gebracht werden kann, dass er eigentlich nur noch überleben will – oder vielleicht nicht einmal mehr das –, dann kann man mit ihm alles machen, weil sein Wille gebrochen wurde. Das ist die Grundlage der ,Gehirnwäsche’. Es geht eigentlich darum, dass der Mensch in bestimmten Situationen nicht mehr eigenständig denken kann – und dass man genau diesen Zustand zu erreichen versucht, um dann mit fremden Gedanken diesen Menschen völlig umzuerziehen, im Grunde zu einem komplett anderen Menschen zu machen.

Was sich hier durch physische und auch psychische Gewalt zu etwas absolut Furchtbarem verbindet, geschieht aber in ,sanfterer’ und sehr viel subtilerer Form im Grunde ständig. Denn im Grunde wird fortwährend in das eigene Denken eingedrungen und versucht, den Menschen bestimmte Gedanken nahezulegen. Jeder Hype ist ein machtvoller Versuch, die Gedanken der Menschen zu bestimmen – und dieser Versuch ist erfolgreich. Jeder erfolgreiche Hype ist eine erfolgreiche Gehirnwäsche unzähliger Menschen. Was ihnen vorher noch gleichgültig war, gewinnt für sie gleichsam über Nacht oder sogar von einer Minute zur anderen Bedeutung – so viel Bedeutung, dass sie freiwillig viel Geld dafür ausgeben. So viel Bedeutung, dass sie fast nicht mehr leben wollen, bis sie wieder dazugehören, weil auch sie es jetzt haben... Wenn das keine Gehirnwäsche ist?

Noch ein anderes Bild ist der Rattenfänger von Hameln. In dieser Geschichte entführt ein Mann mit einer irgendwie magischen Flöte sämtliche Kinder, die ihm gleichsam willenlos zu folgen beginnen. In diesem Zusammenhang nennt man einen ,Rattenfänger’ dann jemanden, der mit üblen Methoden Anhänger für üble oder sinnlose Ziele und Zwecke an sich bindet. Im Grunde sind auch alle Schundverkäufer, die auf dem Rücken eines Hypes viel Geld machen, solche Rattenfänger. Und wir, die diesem Hype erliegen, sind die Ratten, die wie die Lemminge blind den vorgegebenen Standards hinterherlaufen...

*

Entscheidend aber für einen selbst bleibt zunächst doch der eigene Wille. Denn wenn ich mich einem Hype hingebe, interessiert mich nicht, ob das nicht vielleicht ein ziemlich großer Blödsinn ist – sondern ich finde es in dem Moment toll beziehungsweise unglaublich wichtig, diesen Film zu sehen, dieses Buch zu lesen, dieses Ding zu kaufen, weil es alle tun. Ich will dazugehören, und ich finde etwas schon deshalb toll, weil es alle anderen toll finden. Das Empfinden der Anderen prägt mein eigenes Empfinden, macht mich nicht mehr unabhängig. Mein eigenes Urteil wird eigentlich von vornherein überlagert von dem Urteil der anderen. Ich habe gar keine Chance mehr, mich zu fragen, ob mich dies überhaupt interessieren würde. Es interessiert mich bereits, weil ich – mehr noch – völlig überzeugt bin, es lesen, sehen, haben zu müssen.

Es ist natürlich nicht so, dass ein grottenschlechter Film einen Hype auslösen würde. Irgendetwas muss an dem Film, an dem Buch ja dran sein, dass Menschen ihm hinterherlaufen. Wenn man dies benennen wollte, würde man vielleicht zu solchen Begriffen kommen wie ,spannend’, ,gut gemacht’, ,packend’.

Aber das reicht nicht aus. Denn es gibt unendlich viele Bücher und Filme, auf die dies zutreffen könnte – und doch machen nur einige Wenige einen Hype durch und verdrängen damit sozusagen gleichzeitig alle anderen, die auch in diese Lage hätten kommen können. Wenn ,Harry Potter’ ,hypet’, kann nicht gleichzeitig Roman XY einen Hype haben – und wird es auch nie, weil in alle Ewigkeit ,Harry Potter’ das Rennen gemacht hat.

Das ist natürlich etwas absolut gesagt, aber man kann vielleicht ein Gefühl dafür bekommen, dass es gleichzeitige Hypes nicht gibt und dass ein einmal gesetzter Hype unendlich vieles andere unmöglich macht, weil er die Aufmerksamkeit an sich bindet.

Wenn zwei Löwen in einem Rudel um ein Stück Beute kämpfen und noch unentschieden ist, wer gewinnt, ist alles möglich. Ist der Kampf aber einmal entschieden, dann ist nicht nur dieser eine Kampf entschieden – sondern der Sieger ist zugleich Rudelführer, und der Unterlegene ist nicht nur diesmal unterlegen, sondern von nun an unbedeutend. Es ist sogar möglich, dass er in der Rangordnung weit nach unten fällt.

Zwei Filme oder Bücher können wirklich gleich gut sein, und doch findet sich das eine Mal ein Millionenpublikum und das andere Mal nur ein ziemlich kleines. Es hängt ganz davon aber, wer ,das Rennen macht’. Und dieser ,Sieg’ bedeutet nicht unbedingt eine höhere Qualität. Es bedeutet einfach nur den Sieg an sich.

Der siegreiche Film kann sogar viel, viel schlechter sein als der andere. Letztlich sehen wir, wie für einen Hype nur gewisse Elemente ,stimmen’ müssen, vor allem ,Spannung’. Es gibt Buch- und Filmautoren, die nach diesem Strickmuster ein Werk nach dem anderen produzieren, und die Masse läuft ihnen hinterher wie die Lemminge. Dabei sind die Bücher oder Filme vielleicht wirklich grottenschlecht. Das Einzige, was stimmt, sind die Spannung und die millionenteuren Spezialeffekte. Aber mehr will man auch gar nicht mehr sehen. Der Hype kommt also trotzdem...

Das Einzige, was heute noch ,stimmen’ muss, sind also wenige entscheidende Zutaten – und dann das Marketing, also Millionen Dollar teure Werbung. Dann strömt auch das Publikum – und alle Kosten kommen um ein Vielfaches wieder herein.

Im Grunde geht es um die Abspeisung der Menschen mit Spezialeffekten. Und es braucht nicht einmal eine Gehirnwäsche, denn die Menschen sind inzwischen so gut ,erzogen’, dass sie alledem schon von ganz alleine hinterherrennen...

*

Warum ist dies, speziell für Jungen, so anziehend? Warum läuft man den Spezialeffekten und Kämpfen, den Superhelden und krassen Actionfilmen derart hinterher? Wer setzt hier die Standards? Warum ist das so ,angesagt’? Welche Gehirnwäsche findet hier statt? Oder ist es gar keine?

Hier kommen wir dem Begriff des ,Coolen’ wieder näher. Denn in all diesen Filmen gibt es gleich eine zweifache ,Coolheit’ – zum einen die ganzen Spezialeffekte, das, was passiert und was die Helden und Superhelden können, was sie ,drauf haben’. Und zum anderen, dass sie dann noch eben wirklich cool sind.

Mit anderen Worten: Man begeistert sich an der Unterhaltung, wenn die Autos fliegen, die Scheiben splittern, die Geschosse pfeifen und so weiter und so fort. Und man möchte dies alles auch können – sich schießend durch ein Gemetzel bewegen, mitten im Salto das Ziel treffen können, auf Flugzeugen herumturnen (außen!) und so weiter, quasi unverwundbar sein. Und man möchte so cool sein. Wenn Andere sich schon bei einem kleinen Fehler in einem Referat fast in die Hose machen, möchte man selbst mit coolster Mine und völlig ohne Herzklopfen mal eben die Welt retten. Das wär’ was...!

Das beschreibt ziemlich genau das Wesen von Coolness, zumindest im Actionbereich, aber auch ganz generell. Coolness bedeutet, nicht mit der Wimper zu zucken, wenn Andere sich in die Hosen machen ... oder zumindest Gefühlsregungen zeigen. Wo Andere einen trockenen Mund und ein etwas flaues Gefühl im Bauch bekommen, sagen können: ,Hä? Das mach ich doch ständig...’