Zwei ungleiche Brüder im Fadenkreuz des Schicksals - Walter W. Braun - E-Book

Zwei ungleiche Brüder im Fadenkreuz des Schicksals E-Book

Walter W. Braun

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Beschreibung

Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Kain und Abel aus der Bibel. Es war der Neid, der Kain zum Mord an seinem Bruder trieb. Diese Geschichte führt ins Kinzigtal, wo ein erfolgreicher Geschäftsmann mit 65 die Leitung seines Unternehmens an seinen jüngeren, aber begabteren Sohn übergab. Der Erstgeborene fühlte sich übergangen und wollte sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden. In den Bergen ersann er einen teuflischen Plan wie er seinen Bruder elegant aus dem Weg räumen könnte um sich so an den ihm zustehenden Platz zu bringen. Sorgfältig hatte er alles vorbereitet und sah sich schon kurz vor dem Ziel, da nahm das Schicksal eine unerwartete Wende.

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Seitenzahl: 159

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Eine schwere Entscheidung

Kapitel 2 Wo die Wurzeln sind

Kapitel 3 Der Stammhalter wird geboren

Kapitel 4 Geburt des zweiten Sohnes

Kapitel 5 Feriendomizil in Cannes

Kapitel 6 In der Kinderzeit

Kapitel 7 Kurt, der Überflieger

Kapitel 8 Unterschiedliche Interessen in der Freizeit

Kapitel 9 Großer Bahnhof zum Geburtstag

Kapitel 10 Urlaub in Cannes

Kapitel 11 Ein harmonisches Gala-Diner

Kapitel 12 Der Eklat

Kapitel 13 Eine unheilvolle Idee reift

Kapitel 14 Der formelle Teil

Kapitel 15 Quo vadis

Kapitel 16 Kurt verliebt sich

Kapitel 17 Dunkle Wolken ziehen auf

Kapitel 18 Ein Wolf im Schafspelz

Kapitel 19 Gemeinsam in die Berge

Kapitel 20 Das Verhängnis naht

Vorwort

Wer kennt sie nicht, die Geschichte aus der Bibel im Buch Genesis, wo im 1. Kapitel von Kain und Abel, den Söhnen Adams und Evas berichtet wird.

Kain neidete seinem Bruder den Segen Gottes, der Abels Opfer gnädig annahm und seines nicht. Begründet wird dies in Kains Herzenseinstellung zu Gott. Abel opferte aus Dankbarkeit nur das Beste vom Besten und Kain aus Gewohnheit und vom Überfluss.

Hinterhältig erschlug Kain seinen Bruder und damit kamen zum Neid auch noch Mord und Totschlag in die Welt. Neid ist eines der Hauptübel der Menschheit. Aus Hass und Neid entstanden und entstehen immer wieder Streitigkeiten. Ihr folgen Elend, Leid, Flucht, Vertreibung und Tod.

In dem erwähnten Bericht, zog Kain in ein anderes Land – das heißt in eine andere Region, die vermutlich nicht sehr weit vom Ursprung entfernt gewesen sein wird – und baute „jenseits von Eden“ für sich und seine Sippe eine Stadt, der er den Namen Nod gab.

Es ist denkbar und nachvollziehbar, dass er sich vor der Sippe Abels fürchten musste, die den Tod ihres Stammesführers nicht ungestraft hinnehmen, sondern rächen wollte.

Man erinnere sich auch an Jakob und Esau, die als Zwillinge geboren wurden. Esau war der Erstgeborene und ihm stand, nach damaliger Sitte, das alleinige Erbe zu.

Jakob verstand es, mit List und dank der Hilfe seiner Mutter Rebekka, den Vater Isaak zu täuschen und für sich das Erstgeburtsrecht und somit den ihm wichtigen väterlichen Segen zu erschleichen. Danach musste er vor der Rache seines Bruders Esau fliehen und zog zu seinem Onkel Laban. Erst 14 Jahre später kehrte er als reicher Mann in seine Heimat zurück und versöhnte sich mit seinem Bruder. Der Lieblingssohn seiner 12 Kinder war Josef, den seine Brüder wegen seiner besonderen Fähigkeiten hassten, erst töten wollten, dann schließlich als Sklave nach Ägypten verkauften. Dank seiner Gaben und Fähigkeiten stieg er dort am Königshof zum zweiten Mann auf. In dieser hohen Position rächte er sich später nicht an seinen Brüdern, sondern half ihnen, nachdem eine Hungersnot in Israel ausgebrochen war und sie auf der Suche nach Hilfe und Vorräte nach Ägypten gezogen waren.

Die Geschichte könnte noch viele weitere solcher Beispiele an brüderlicher Eifersüchteleien, getragen von Neid und Habgier nennen. Das wird auch solange bleiben, wie Menschen auf diesem Planeten existieren. Die negativen Grundlagen dafür sind wohl schon in den Genen angelegt oder es bestätigt, wie es die Kirche formuliert: „Der Mensch ist zur Sünde geneigt.“

Unfair

Das Leben ist sehr oft nicht fair,

Manchen begünstigt es allzu sehr,

Weil sich natürlich oft die Reichen,

Den Wohlstand nur erschleichen.

Wohlhabenheit beruhigt ungemein,

Aber Millionen müssen es nicht sein,

Gedenk der Armen dieser Welt,

Denn es zählt nicht nur das Geld.

Mensch sei gütig denke Weise,

Bald gehst du auf die große Reise,

Was nützet‘ dir das ganze Raffen,

Das letzte Hemd hat keine Taschen.

Rei©Men

1Eine schwere Entscheidung

Versonnen und nachdenklich blickte Reinhold Frank vom Aussichtsturm auf dem Urenkopf in die Runde und ins weite Tal hinaus. Unter ihm lag sein Heimatstädtchen Haslach im Kinzigtal, da wo seine Wurzeln sind und seit undenklichen Zeiten auch die seiner Vorfahren. Mit innerer Freude sah er das silberglänzende Band der Kinzig, das sich als gemächlicher Fluss gegen Westen hinschlängelte. Die Silhouette von Steinach schimmerte im Dunst der abendlichen Sonne. Es ist der Nachbarort, die Heimat seiner Frau, die da geboren wurde und aufgewachsen ist.

Wenn er sich umsah, fiel sein Blick nach links im Seitental noch auf die verstreut liegenden Häuser in Mühlenbach und im anderen Tal auf das liebliche Hofstetten, dessen traditionelle Bauernhöfe und Häuser sich sanft an die Hänge schmiegen. Dort ist auch das Gasthaus „Schneeballen“, wo Heinrich Hansjakob so gerne verweilte und am Waldrand steht seine Kapelle, die er noch zu seinen Lebzeiten als Grab für sich hatte bauen lassen.

Heinrich Hansjakob war der bekannteste Haslacher Bürger und lebte Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Er war Badischer Abgeordneter und als Pfarrer nannte man ihn den „Rebell im Priesterrock“. Der zwei Meter große Mann war in der damaligen Zeit ein Hüne, und er opponierte wortgewaltig gegen Staat und Kirche, was ihm viel Misshelligkeiten einbrachte. Mit rund 70 veröffentlichten Büchern und hohen Auflagen gilt er – auch nach heutigen Maßstäben – als Bestsellerautor und war entsprechend beim einfachen Volk sehr geachtet.

„In Kürze kommt mein 65. Geburtstag“, sinnierte Reinhold nachdenklich weiter, „den ich im Kreise meiner Familie und mit meinen Freunden und guten Geschäftspartnern gebührend feiern möchte. Damit ist die Zeit gekommen, wo ich mir vorgenommen habe, mich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen und die Leitung meines Unternehmens, in die Hände meiner beiden Söhne zu übergeben.“

Bei diesem Gedanken durchzogen tiefgehende Sorgen sein Gemüt. Er ängstigte sich vor dem, was kommen würde, aber doch sein musste; dessen war er sich ganz sicher. Nur, er wusste noch nicht, wie er seine Entscheidung, zu der er sich inzwischen nach vielen schlaflosen Nächten durchgerungen hatte, am besten umsetzen sollte. Noch mehr Sorgen bereitete ihm die Frage, wie es seine Söhne aufnehmen würden?“

„Wenn ich vom letzten Drittel meines Lebens“ – so beliebte er immer scherzhaft zu sagen – „noch etwas haben will, habe ich keine andere Wahl und muss die Sache zu Ende bringen.“ Ihm war nun wichtig, seinen Plan schnell verwirklicht zu haben, und danach beabsichtigte er mit seiner Frau den Lebensabend größtenteils des Jahres in Ruhe im milden Klima des Südens zu verbringen.

Unwillkürlich sah er im Geiste seine Söhne vor sich. So stolz er auch auf beide war, wusste er wohl, wie unterschiedlich sie in ihrem Charakter und Wesen tatsächlich sind. Sein Ältester Heinz, ein lieber Sohn ohne Allüren, war im Grunde genommen bisher immer pflegeleicht gewesen. „Selbst in der Pubertät flippte er nie aus und machte uns nie die üblichen Sperenzchen. Dazu war er seit den Kindertagen handwerklich äußerst geschickt, ein Pragmatiker und guter Techniker, aber leider auch ein Bruder Leichtfuß.“ Sein ältester Sohn nahm im Leben alles locker und leicht, dabei ging er lieber schon mal einen Schritt zu weit. Nicht selten schoss er gewollt oder ungewollt ein wenig über das Ziel hinaus und riskierte dabei Kopf und Kragen. Dagegen arbeitete er als Techniker sehr präzise und zeigte dabei ein außerordentliches Talent.

Noch viel lieber würde er aber wohl als Profi-Bergführer arbeiten und tagtäglich irgendwo in den Alpen oder lieber noch in Nepal oder Patagonien unterwegs sein. Der Beruf und sein Platz im Unternehmen dienten ihm bisher immer nur als Mittel zum Zweck, so empfand er es jedenfalls als Vater und Unternehmer.

Viele Stunden in seiner Freizeit verbrachte der Sohn mit Sport, joggte oder man sah ihn mit dem Bike durch die Gegend streifen. Wie oft hatte er sich freitags nach Feierabend, ohne viele Worte zu machen, einfach in sein Auto gesetzt und war noch in den Abendstunden in die Berge gefahren. Spät am Sonntagabend kam er endlich zurück – manchmal auch erst am Montagmorgen und ging dann direkt gleich in den Betrieb.

Außer vielen Freundschaften mit wechselnden Liaisons interessierte er sich kaum für das weibliche Geschlecht und bisher ging er auch jeder festen Bindung aus dem Weg. Kam es doch einmal zu einer längeren Bekanntschaft, ging die Initiative mehr von den jungen Frauen aus, denn er war groß, sportlich und durchaus attraktiv. Mal kam die eine, mal die andere mit ihm nach Hause, aber der Frage: „Ob es nicht bald an der Zeit wäre, eine dauerhafte Beziehung einzugehen?“, ging er konsequent aus dem Wege oder gab ausweichende Antworten.

„Sicher, die heutige Generation hat es nicht mehr so eilig mit dem Heiraten und will sich lieber erst austoben oder noch besser, auf Dauer ungebunden bleiben, sind aber die Dreißig überschritten, sollte man schon wissen, wo es lang gehen wird“, so redete ihm seine Mutter öfters mahnend einmal ins Gewissen.

Sein zweiter Sohn Kurt dagegen ist ganz anders gestrickt. Von Natur her ist er ein typischer Kopfmensch; sehr intelligent, mit einem fotografischen Gedächtnis und schneller Auffassungsgabe. Sein Abitur schloss er in Hausach als Jahrgangsbester ab und bekam dafür vom Bürgermeister eine Medaille und einen Preis der Industrie überreicht. Sein Studium im Maschinenbau an der RWTH Aachen bewältigte er mit Bravour und ohne Verzögerung, und am Computer zeigt er sich als wahres Genie.

Schon als Gymnasiast hielt er sich mehr in der EDV-Abteilung als auf Partys oder bei Freunden auf, und er bastelte da schon gerne an Programmen und diskutierte währenddessen endlos und klug mit den IT-Fachleuten. Nicht selten wies er ihnen sogar die richtigen Wege und führte sie auf die Spur von Neuentwicklungen; zeigte ihnen wo es in der Zukunft hingehen wird.

Schon während des Studiums gab er praktische Tipps zu Rationalisierungen in der Fertigung und verschaffte sich gleichzeitig Respekt durch sein fundiertes Wissen in der Metallurgie. Unterschwellig sehen seither alle Verantwortlichen in ihm schon den zukünftigen Chef des Unternehmens. Dessen ist er sich vermutlich auch durchaus bewusst und setzte sich durch, ohne Druck auf Einzelne ausüben zu müssen. Sein Führungsstil ist natürliche Autorität, gepaart mit Sachverstand und Laisser-faire, wenn dies nicht den Interessen am Arbeitsplatz entgegensteht. Da fühlte sich niemand gegängelt, sondern er gab allen das Gefühl, respektiert und unter seinesgleichen gefragt zu sein.

Sportlich dagegen hatte er bisher wenig im Sinn. Man kann zwar nicht sagen, dass er unsportlich wäre, und auch die Noten im Gymnasium hielten sich in den von ihm gewählten Sportarten durchaus im Rahmen. Lieber spielte er jedoch Schach und da war ihm kaum ein Gegner gewachsen. Mehr widmete er sich seinem anderen Hobby, der Fotografie, und in den letzten Jahren floss viel von seinem Taschengeld in die hochwertige Ausrüstung. Zudem bekam er bei Neuanschaffungen von den Großeltern manche Scheine zugesteckt, die er nie ablehnte, sondern zweckgemäß einsetzte.

Wenn Reinhold über seine beiden Söhne nachdachte, war ihm schon früh klar geworden – und sein Bauchgefühl bestätigte das –, dass sein Zweiter das Unternehmen einmal übernehmen und führen sollte. In ihm sah er in dieser schnelllebigen Zeit mit seinen globalen Herausforderungen auf dem Weltmarkt die geeignetere Führungskraft für sein Unternehmen: „Entschlossen, entscheidungsfreudig, durchsetzungsfähig und mit blitzschneller Auffassungsgabe.“ Das wird in den kommenden Jahrzehnten notwendiger denn je sein, da war sich Reinhold sicher – und noch wichtiger ist das Quäntchen Glück, immer die Nase vorne zu haben.

„Was wird dann aber mit seinem älteren Sohn werden? Wie wird er reagieren; wird er die Entscheidung akzeptieren und mittragen?“ Das bereitete Reinhold Frank die größte Sorge. „Jetzt ist es aber an der Zeit die Sache zu Ende bringen und Nägel mit Köpfen machen“, rekapitulierte er in Gedanken versunken.

Fast erschrocken stellte er fest, wie spät es schon geworden war. Längst war die Sonne über der Sommerhalde verschwunden und mit einer fantastisch rötlichen Färbung des Himmels hinter dem Horizont untergegangen. Schon wurde es merklich kühler. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er nicht einmal eine Jacke mit sich führte. Die Sonne war mittags, als er losging, viel zu warm gewesen um daran zu denken. „Da hilft jetzt nur, ich muss einen Zahn zulegen und schneller laufen, dann wird mir schon warm werden“, überlegte er und machte sich alsbald zügig auf den Weg.

Schnellen und weiten Schrittes eilte er abwärts dem Städtchen entgegen, lief zügig, doch ohne Eile durch die Eisenbahnstraße, grüßte bekannte Gesichter und Personen, wenn sie ihm begegneten, und wechselte mit dem einem Bekannten oder anderen auch noch kurz ein paar nette Worte. Schon hatte er die Kinzigbrücke erreicht, wo er den Fluss überquerte, um dann in Richtung des Ortsteils Schnellingen weiterzumarschieren.

Kurz blickte er noch einmal zurück und hoch zum Urenkopf, dem Scheitelpunkt des Kinzigtals, dem Mühlenbacher- und Hofstetter Tal, von wo er soeben hergekommen war. Der die Bäume hoch überragende Aussichtsturm gab ihm eine gute Orientierung. Überrascht wurde ihm dabei bewusst, welche weiten Strecken und große Entfernungen man doch in relativ kurzer Zeit zu Fuß zurückzulegen vermag. Ja, unsere Altvorderen haben alles zu Fuß laufen müssen und kamen so auch in die Täler und über die Höhen. Gerade der erwähnte Haslacher Heinrich Hansjakob ist dafür ein beredtes Beispiel, denn er war weitgehend zu Fuß durch die Landschaften des Kinzigtals und dessen Dörfer und Weiler gelaufen, die er in seinen Büchern beschrieben hatte, und nur wenige Wege und Straßen ist er auf einem Pferdegespann oder in einer Kutsche mitgefahren, ging es Reinhold durch den Kopf, als er dann festen Schrittes durch die Haustüre in sein Heim schritt.

Seine Frau erwartete ihn schon ungeduldig: „Du kommst heute aber spät zum Abendessen“ sagte sie lächelnd und gab ihm einen Kuss. „Ich habe mich ein wenig verbummelt, doch es wartet ja nichts Besonderes mehr auf mich. Dafür war heute der Tag so schön und der Abend kann noch lange andauern“, gab Reinhold lässig zurück.

Der Urenkopfturm oberhalb von Haslach im Kinzigtal

2Wo die Wurzeln sind

Schon sein Großvater Arnold gründete in Haslach eine Schmiede und wurde als Handwerksmeister zum angesehenen Hufschmied im Ort. Täglich beschlug er drei oder vier Pferde, die man damals noch überall bei der alltäglichen Arbeit einsetzte und antraf, sei es, dass sie die Kutschen zogen oder den Bauern auf den Feldern den Pflug.

Alle kamen sie zu ihm in die Schmiede, wenn ein Pferd neue Eisen brauchte, die Bauern, die Kutscher, jeder Besitzer eines Reitpferdes. Für den Pflug waren außerdem regelmäßig neue Pflugscharen nötig oder die abgenützten mussten gedengelt werden, das heißt, sie wurden in der Esse glühend erhitzt und dann auf dem Amboss mit gezielten kräftigen Hammerschlägen neu geschärft. Und wenn es da nichts zu tun gab, dann fertigte der vielseitige Handwerker für die Feldarbeit allerlei Gerätschaften, wie Gabeln für Mistharken, Hacken und Spaten auf Vorrat. Diese verkaufte er nebenbei, oder er stellte für die Kundschaft eiserne Hoftore und reich verzierte schmiedeeiserne Gitter her.

Gerne erinnerte sich Reinhold daran, wie er immer wieder beim Opa Arnold an seiner Seite an der Esse stand und ins lodernde Feuer blickte. War das ein Spaß, wenn der Blasebalg satt hineinblies, das Feuer zischte und aufsprühte, während das Eisen sich darin rotglühend zu verfärben begann. Mit kräftigen Armen und schweren Hammerschlägen bearbeitete sein Opa anschließend das Eisen, formte es zum Werkzeug, wie wenn es weich wie Teig wäre. Dazu brauchte er weder eine Zeichnung noch eine Schablone. Sämtliche Details hatte er im Kopf gespeichert und jeder Schlag saß präzise, exakt und millimetergenau an der richtigen Stelle. Ein Philosoph hätte betont wie hier der Meister die vier Elemente beherrschte: Feuer, Eisen (Erde), Wasser und Luft.

Sein Vater Fritz lernte dagegen einst das Mechaniker-Handwerk in einer Hausacher Gesenkschmiede und erwies sich nebenbei schon in jungen Jahren als einfallsreicher, findiger Tüftler. Immer wieder kamen ihm neue Ideen, die er versuchte in der Praxis umzusetzen.

Schon mit 24 Jahren hatte er die Meisterprüfung abgelegt und bereits zwei 2 Jahre später wagte er den Schritt in die Selbständigkeit. Er gründete ein Geschäft, das er in Haslach in einer Garage, neben der Schmiede seines Vaters betrieb.

Anfangs nahm er jeden Auftrag an, der ihm zugetragen wurde und nichts war ihm zu gering. Wenn es sein musste, reparierte er auch Motor- und Fahrräder. Mehr Freude bereitete ihm aber, an der Drehbank zu stehen, die er günstig gebraucht gekauft hatte. Eifrig drehte er an den Rädern und behielt das Werkstück fest im Blick. Vor ihm drehte sich das in die Backen eingespannte Metallstück und wurde so lange bearbeitet, bis es die endgültige Form hatte, die sein Plan vorgab. Zwischendurch musste er sorgfältig mit einem Pinsel die messerscharfen Späne entfernen und gab immer wieder Schneidöl auf das Drehteil, das zischend verdampfte und rauchend sich unangenehm im kleinen Raum ausbreitete. Das waren eingespielte Abläufe, wie sie ein routinierter Tüftler draufhaben musste. Unermüdlich drehte sich im Nebenraum der Motor, der die alte, aber noch präzise arbeitende Drehbank über einen leicht flatternden und knatternden Transmissionsriemen antrieb. In gewissen Abständen nahm er einen Harzklumpen und behandelte damit den Riemen, damit dieser griffig blieb und nicht durchrutschte. Zudem sollte das Leder damit elastisch genug bleiben und der Riemen nicht brach.

Mitte der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelte sich im Kinzigtal eine solide Industrie. Überall entstanden kleinere Betriebe, die Vorrichtungen für die Produktion benötigten, und selbst bei der Deutschen Reichsbahn fiel hin und wieder ein kleiner Auftrag für ihn ab. Längst war die Garage zu klein geworden und er hatte die Werkstatt mit einem Anbau an der Schmiede vergrößert. Zuletzt hatte sein Vater die Schmiede aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreiben können und ist dann leider auch bald darauf viel zu früh verstorben.

Wurzeln

Als alles verging, zerrann,

das große Unheil begann,

wollt‘ zu den Wurzeln gelangen,

das Schicksal hielt mich gefangen.

Mein Wille ist wieder gestählt,

viele neue Ziele sind gewählt,

nur nicht den Mut aufgeben,

weiter gehen muss das Leben.

Zurück kam neues Glück,

in mein altes Leben,

die Freiheit des Handelns,

werd‘ ich nie mehr aufgeben.

Rei©Men

Seither stand die Schmiede still, blieb aber im Ursprung erhalten und wurde später in den größeren Werkstattraum integriert. Hin und wieder feuerte Reinhold die Esse wieder an und nahm sie in Gebrauch. Mehr aus Nostalgie oder als Hobby fertigte er für Haslacher Bürger oder Kunden aus der Umgebung mal ein schmiedeeisernes Geländer, manchmal ein Gartentor oder er formte ihnen ein spezielles Werkstück. Ein schönes Stück als Geschenk bei besonderen Anlässen kam für gute Freunde und Bekannte auf diese Weise auch gelegentlich zustande.

Während er stundenlang an der Drehbank stand, und selbst, wenn er Muße in seiner spärlichen Freizeit hatte, spukte ihm seit längerer Zeit eine Idee im Kopf herum. In vielen Haushalten, und speziell in den Bauernhäusern, stellten die Hausfrauen noch selber aufwendig eigene Nudeln her, die bei keinem Festessen auf dem Tisch fehlen durften. Und nur die Selbstgefertigten waren gut genug, oder genauer betrachtet, hatten auch nur wenige normale Privathaushalte das Geld, Marken-Nudeln, wie die von Birkel, im Geschäft zu kaufen. Da kamen stattdessen dann zu besonders feierlichen Anlässen eben selbstgefertigte Nudeln auf den Tisch, sonst tagaus, tagein nur Kartoffeln vom eigenen oder gepachteten Acker.

Auf selbstgemachte Nudeln war jede Hausfrau besonders stolz, das war sozusagen ihre Visitenkarte. Dafür bereitete sie den Teig, gab mehrere Eier hinein, damit er schön gelb wurde, walzte lange mit dem Nudelholz, streute zwischendurch Mehl drunter und drüber, damit der Teig nicht klebte und riss. Mehrere Eier waren ein Luxus. Da handelte sie nicht wie die Schwaben, von denen es hieß: „Sie verwenden beim Backen ein ganzes halbes Ei!“

Die Teigherstellung war genau betrachtet eine zeitaufwendige Prozedur und kostete viel Kraft. War der Teig dann gut geknetet und gewalzt und hatte endlich die richtige Konsistenz, musste er ruhen und wurde dafür auf einem Tuch ausgebreitet.