DAS MORDKARUSSELL - F. R. Lockridge - E-Book

DAS MORDKARUSSELL E-Book

F. R. Lockridge

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Beschreibung

Niemand da bei den Weavers, denkt die Grundstücksmaklerin Leslie Brennan. Schließlich öffnet sie selbst die Haustür.

Eigentlich müsste Leslie jetzt die Polizei rufen, denn hinter der Tür liegt Annette Weaver - ermordet.

Aber Leslie hört einen Sportwagen hinter dem Haus - den Wagen ihres Mannes Jim...

 

Der Roman Das Mordkarussell von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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F. R. LOCKRIDGE

 

 

Das Mordkarussell

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DAS MORDKARUSSELL 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Niemand da bei den Weavers, denkt die Grundstücksmaklerin Leslie Brennan. Schließlich öffnet sie selbst die Haustür.

Eigentlich müsste Leslie jetzt die Polizei rufen, denn hinter der Tür liegt Annette Weaver - ermordet.

Aber Leslie hört einen Sportwagen hinter dem Haus - den Wagen ihres Mannes Jim...

 

Der Roman Das Mordkarussell von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME. 

  DAS MORDKARUSSELL

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Leslie Brennan lenkte ihren Wagen von der Asphaltchaussee auf die schmale Straße, den Fahrweg, der zu Drakes großem Haus auf der Anhöhe und dem kleineren Haus führte, das Annette Weaver gehörte. Sie fuhr im Schneckentempo. Obwohl die Stimme Mr. J. K. Knights am Telefon sehr zuversichtlich geklungen hatte, glaubte sie nicht so recht daran, dass er die Abzweigung finden würde. Am besten, sie wartete hier und benutzte ihren Wagen als Wegweiser. Oder sie stieg aus und stellte sich selbst als Hinweisschild neben dem abzweigenden Fahrweg auf.

Am Telefon war Knight zuversichtlich gewesen und hatte seine Entschlossenheit unterstrichen, pünktlich an Ort und Stelle zu sein. Fahren Sie nur vor, hatte er mit der sonoren Stimme eines allen Situationen gewachsenen Mannes gesagt. Wir treffen uns dann am Haus. Keine Sorgen.

Wahrscheinlich, dachte Leslie Brennan, ist seine Zuversicht nicht gerechtfertigt. Er kommt aus der Stadt, und wenn er Van Brunt findet, kann er von Glück sagen. Findet er eine nicht nummerierte Asphaltchaussee, dann ist das schon außergewöhnlich. Von der 11 F abbiegen, hatte Leslie ihm geraten, und dann... 

»Keine Sorgen«, sagte Knight noch einmal. »Ich kenne die Gegend wie meine Hosentasche.«

Nur wenige Fremde kannten die Stadt Van Brunt wie ihre Hosentasche. Schmale Straßen zweigten von anderen schmalen Straßen ab, und im späten September waren die Straßenschilder hinter Ranken verborgen und nicht immer deutlich zu lesen. Mr. und Mrs. Knight konnten in Poughkeepsie landen oder sich in Peekskill verfahren. Dass sie auf der rechten Seite den vierten Fahrweg, der von einer namenlosen Asphaltchaussee abzweigte, finden würden, hielt Leslie Brennan, ihres Zeichens Grundstücksmaklerin, kaum für möglich.

Sie blickte auf das Zifferblatt ihrer Uhr. Es war sieben Uhr und ein trüber Septemberabend. Um sieben Uhr, hatte die selbstbewusste Stimme gesagt; nicht »ungefähr« um sieben. Wenn J. K. Knight - wer es auch sein mochte - um sieben, sagte, dann hörte sich »sieben« pünktlich und unwiderruflich an. Vielleicht hatten die Knights schon Annette Weavers Haus erreicht und warteten dort voller Ungeduld...

Leslie steuerte ihren kleinen Wagen den schmalen, gewundenen und ausgefahrenen Weg zum Haus hinauf, das sie - wie die meisten Einwohner von Van Brunt - als Annettes Haus bezeichnete, obwohl es sich bei Annette um Mrs. Weaver handelte. Wahrscheinlich liegt das daran, dachte Leslie, weil der Name Annette sozusagen eine unveränderliche Größe ist. Familiennamen hingegen waren veränderlich. In besonderen Fällen, dachte sie, die abgeblendeten Scheinwerfer auf Fernlicht schaltend. Sie fuhr sehr langsam und hupte ausgiebig an den unübersichtlichen Kurven. Wenn jemand ein Haus besichtigen wollte, dann war das schon eine ausgefallene Uhrzeit. Denn gerade dieses Haus war, stärker als die meisten anderen Häuser, von der Umgebung abhängig. Da waren die Rasenfläche rundherum und über die Baumgipfel hinweg der Blick auf den Hudson River. Annettes Haus und die kultivierten sechs Morgen Land waren etwas, das man sich im Tageslicht ansehen musste, wenn die Sonne den Rasen zur Geltung brachte. So wie Leslie es während jenes nachmittäglichen Picknicks am vierten Juli in Erinnerung hatte. Da kamen alle - einschließlich Mrs. Drake. Und Mr. und Mrs. Knight hätten auch an diesem Picknick teilnehmen sollen. Hier kauften die Leute kein Haus und zogen ein; hier zogen sie vielmehr in eine Gemeinde. Eine Gemeinde kann auf Stadtleute befremdend wirken. Und auch mir, dachte Leslie, ist sie nach über zwei Jahren noch immer nicht ganz geheuer. Eine Gemeinde mit Grundsätzen, aber die damit verbundenen Regeln sind unklar und kompliziert. Werden die Knights, wer immer diese Leute sein mögen, die Regeln lernen? Und werde ich sie noch lernen?

Sie hatte die Gabelung im Fahrweg erreicht, bog rechts ab und fuhr in Richtung des Hauses von Mrs. Drake. Kamen die Knights bis hierher, würden sie mit Sicherheit rechts abbiegen. Sie würden unerwartet in dem alten stolzen Haus eintreffen, das von Mrs. Drake bewohnt wurde und schon von ihren Vorfahren bewohnt worden war. Ihre Nachkommen teilten es mit ihr, aber es war Mrs. Drakes Haus, nicht etwa das Haus der Drakes, sondern eben Mrs. Drakes Haus. Zwei Söhne und eine Schwiegertochter lebten mit Mrs. Drake in ihrem Haus. Und Annette hatte auch einmal dort gelebt, wenn auch nur kurze Zeit, und Drake geheißen, bevor sie dann für ungefähr ein Jahr Mrs. Brennan hieß, um anschließend Mrs. Weaver zu werden. Das ist sie vorläufig, dachte Leslie. Benimm dich, Leslie, dachte sie im nächsten Augenblick. Bei dem Picknick waren wir unter den wachsamen Blicken von Mrs. Drake ja alle so sittsam...

Was war das doch für eine trübe Party, dachte sie. So trübe wie dieser Abend. Sie schaltete die Scheibenwischer ein und verwandelte die Tröpfchen des Nieselregens auf dem Glas in eine verwaschene Fläche. Vielleicht kommen die Knights überhaupt nicht, dachte Leslie; vielleicht versuchen sie, mich zu Hause anzurufen. Da kann ich genauso gut nach Hause fahren... Jim wird schon da sein, meinen Zettel gefunden haben, sich einen Drink mixen und ein wenig enttäuscht sein, weil ich nicht zu Hause bin. Er wird diskret durchblicken lassen, dass es Unsinn ist, im Regen herumzutraben in dem Bemühen, Häuser an den Mann zu bringen. Nicht dass er damit unrecht hat.

Es ist irgendwie lähmend, im Regen eine schmale Straße entlangzufahren. Die Augen bleiben zwar wach, aber die Gedanken irren ziellos herum. Ich denke wohl nur an das Picknick, weil ich bedaure, dass die Knights - wer sie auch sein mögen - in der Dämmerung nur den leeren Rasen sehen und nicht den in der Nachmittagssonne glitzernden Fluss.

Es war keine besondere Party, außerdem war Jim nicht dabei, weil er im Club Golf spielte. Wenn ich nicht gegen fünf Uhr da bin, fährst du allein hin, hatte Jim an jenem Morgen des vierten Juli gesagt. Oder willst du in den Club zum Lunch kommen? 

Sie hatte keine Lust dazu verspürt. Lunch im Club war ein Drink auf der Terrasse. Jim und die anderen an dem Viererspiel beteiligten Personen schwitzten von den ersten neun Golflöchern und warteten schon ungeduldig darauf, sich an den nächsten neun Löchern zu versuchen. Dann leistete sie einer anderen Frau, fast immer Florence Drake, an einem anderen Tisch Gesellschaft und hörte sich dann auf der Nachhausefahrt - vier Meilen auf belebten Straßen - die genaue Schilderung der eben gespielten Runde an.

Sie hatte die Wohnung, zögernd und allein, um halb sechs verlassen. Sie war die zwei Meilen zur Abzweigung der Asphaltchaussee gefahren und dann den schmalen zerfurchten Fahrweg hinauf, auf dem ihr Wagen sich zurzeit befand. Aber damals hatte die Sonne hoch am Himmel gestanden, als sie sich - so wie jetzt - Annettes Haus näherte. Es waren auch Stimmen zu hören gewesen, lebhafte Stimmen, und über allem dudelte ein Akkordeon. Bobby Duggle, hatte Leslie angenommen. Er spielte immer auf Parties, auf wirklich großen Parties. Aber die Akkordeonmusik hörte sich nicht nach Bobby an, sie klang ein wenig härter. Natürlich, hatte Leslie Brennan an jenem hellen Nachmittag vor fast drei Monaten gedacht, als sie auf das Haus zuging, kommt die Musik aus einem Lautsprecher. Und dann hatte sie auch gedacht: Annette gibt eine Party, wie man sie in Van Brunt nicht gewohnt ist.

Hier ungefähr stoppte ich kurz, dachte Leslie, während sie jetzt mit ihrem kleinen Wagen durch den Nieselregen fuhr. Und hier bog ich von der Straße ab und parkte hinter dem Rolls Royce von Mrs. Drake, an dessen Steuer Plimpton saß. Von jener Stelle aus ging ich dann zur Party.

Sie fuhr weiter auf das Haus zu und war stärker denn je davon überzeugt, dass Mr. Knight und wahrscheinlich auch Mrs. Knight - denn voraussichtliche Kunden kamen normalerweise zu zweit - es niemals finden würden. Fanden sie das Haus, so waren es die ersten Interessenten, denen Leslie es zeigen würde. Andere Interessenten, wenn es andere gegeben hätte, würden sich an die großen Firmen gewandt haben, an Brock & Brock, Immobilien, Putnapi und so weiter. Annette Weaver hatte das Haus durch die Maklervereinigung, anbieten lassen, und die Grundstücksmaklerin Leslie Brennan hatte davon erfahren. Wahrscheinlich hatte Mrs. J. K. Knight das Inserat gelesen. Oder Knight kannte sie und war jemand, den sie schon einmal kennengelernt und vergessen hatte. Namen behalte ich nicht gut, dachte Leslie, und an einen J. K. Knight kann ich mich nicht erinnern. Doch als ich am Telefon seine Stimme hörte, kam sie mir irgendwie bekannt vor. Aber nur so lange, bis er mir seinen Namen nannte, und diesen Namen kannte ich nicht. Oder ich hatte ihn schon vergessen. Immerhin schien ihm meine Stimme bekannt vorzukommen. Er stellte keine diesbezüglichen Fragen, weil er nicht wusste, dass sie nur ein Ein-Personen-Büro hatte. Andererseits schien er sofort gewusst zu haben, mit wem er sich unterhielt.

Unsinn!, dachte Leslie. Allein in einem Wagen, auf dessen Dach der Regen trommelt, fällt einem alles Mögliche ein. Es hat eine hypnotische Wirkung, der Verstand ist nicht mehr für alles verantwortlich. 

Doch auf der Auffahrt vor dem Haus der Weavers wartete kein Wagen, obwohl es jetzt nach sieben Uhr war. Außerdem nieselte es nicht mehr, sondern es regnete. Leslie schaltete den Motor aus, das Parklicht an und wartete.

Hinter dem Glas der Vordertür brannte Licht - eine einfache Lampe. Die Weavers hatten vermutlich das Licht brennen lassen, weil sie zum Essen gefahren waren. Das war außerhalb der Stadt ein Brauch, mit dem man Einbrecher zu täuschen gedachte. Annette und Ralph Weaver waren nicht zu Hause; zumindest nahmen sie den Telefonhörer nicht ab, wenn es klingelte.

Leslie hatte bei den Weavers angerufen, nachdem Mr. Knight mit ihr gesprochen hatte. Sie hörte das Zeichen und hatte es ein dutzendmal klingeln lassen. In dieser Zeitspanne hätte jeder antworten können, der sich im Haus aufhielt. Die Putzfrau war natürlich längst gegangen. Annette hielt sich, wie die meisten Familien in Van Brunt - ausgenommen die Drakes, die Van Houtons und die großen Familien - eine Putzfrau. Wurde eine Party gefeiert, bediente Ray Parson die Gäste. Was das leibliche Wohl betraf, vertraute man dem Old-Stone-Restaurant, und Belle Billings war, wenn sie abkömmlich war, zum Servieren da.

So war also an diesem regnerischen Abend im späten September bei den Weavers niemand zu Hause. Das machte nichts, denn Leslie besaß den Schlüssel zu dem Kästchen, in dem der Haustürschlüssel eingeschlossen war. Wenn die Knights kamen, konnte sie ihnen das Haus von innen zeigen und sagen: Drei Schlafzimmer, drei Bäder und ein hübsches Wohnzimmer - finden Sie nicht? Oh, ja, das Haus ist alt, wurde aber vor drei Jahren vollständig renoviert. Ja, sechzigtausend, dachten die Weavers. Sie möchten gern an die Küste, müssen Sie wissen. Soviel mir bekannt ist, hat Mr. Weaver sein Hauptbüro bereits verlegt. Ich wollte, Sie könnten jetzt das ganze Grundstück sehen. Es ist wirklich sehr... 

Niemand zu Hause bei den Weavers. Keine Knights, die das Haus der Weavers zu besichtigen gedachten. Ein kleiner Wagen im Regen mit einer schlanken Frau darin, die fünfundzwanzig war, leicht fröstelte und nach Hause zu ihrem Mann fahren wollte, der es nicht gern hatte, wenn er, aus der Stadt kommend, in ein leeres Haus zurückkehrte. Er hatte es auch nicht gern, dass seine Frau ihre Freizeit damit verbrachte, anderer Leute Häuser Leuten zu zeigen, die Häuser kaufen wollten oder mit diesem Gedanken spielten.

Zwanzig nach sieben war Leslie ziemlich sicher, dass Mr. Knight, der so souverän von sieben Uhr gesprochen hatte, den Weg wahrscheinlich doch nicht finden würde. Oder er hatte in diesem Wetter das ganze Projekt aufgegeben. Sie wartete noch zehn Minuten, stieg aus und zog ihren Regenmantel enger um sich.

Es war möglich, dass die Knights es sich einfach anders überlegt hatten; möglich, dass sie während der Stunde, die Leslie von zu Hause weg war, versucht hatten, es ihr telefonisch mitzuteilen. Und es war auch möglich, dass Jim den Hörer abgenommen hatte.

Sie drückte auf den Klingelknopf. Es blieb alles still. Sie nahm den Schlüssel aus ihrer Handtasche und öffnete das Kästchen, das die Maklervereinigung an allen zum Verkauf stehenden Häusern anbrachte. Der Haustürschlüssel der Weavers hing am gewohnten Platz. Sie öffnete die Vordertür und trat in den Lichtschein der Flurlampe.

Annette Weaver lag gleich hinter der Tür. Sie lag auf dem Rücken, hatte ein Loch im Hals, und alles um sie herum war voller Blut.

Leslie Brennan musste gegen eine jäh aufsteigende Übelkeit ankämpfen und hielt eine Hand vor den Mund. Sie musste zum Telefon, um jemandem mitzuteilen, dass Annette Weaver, Annette LeBaron, die einmal so hübsch gewesen war, verblutet auf dem Boden lag.

Und dann hörte sie in einiger Entfernung das Geräusch eines Wagens. Der Wagen musste hinter dem Haus stehen. Sicher war die Hintertür offen und...

Der Klang des Motors, überstürzt gestartet, verriet einen Sportwagen. Das Geräusch erschreckte Leslie Brennan. Sie machte kehrt, rannte aus dem Haus und zu ihrem eigenen Wagen. Sie fuhr an, viel zu schnell und den schmalen Weg entlang, der von jenem Haus wegführte, das einmal Annette Weavers Haus gewesen war. Wo der Fahrweg zum Haus der Weavers von Drakes Auffahrt abzweigte, konnte sie den Sportwagen unter Umständen einholen und sich das Nummernschild ansehen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Captain M. L. Heimrich von der Kriminalabteilung des Staates New York saß auf seiner Terrasse und blickte in Richtung des Hudson River. Aber er sah nicht den Fluss; er sah das welke Gras auf einer Böschung, braunes Gras, das eigentlich hätte grün sein müssen und schon verdorrt war. Der Regen der letzten Nacht hatte nicht viel geholfen, die Sonne trocknete schon wieder alles aus. Sonnig und für die Jahreszeit zu warm, hieß es im Wetterbericht nach den Neun-Uhr-Nachrichten.

Heimrich hatte sich beim Ankleiden die Nachrichten angehört. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise saß er schon vor neun Uhr an seinem Schreibtisch im Polizeibüro, nahm Papiere aus dem Eingangskorb, las sie durch, unterschrieb mit seinem Namen und warf sie in den Ausgangskorb. Doch selbst ein Polizeibeamter musste manchmal schlafen, und es war fast vier Uhr morgens gewesen, als Heimrich den steilen Hang zu seinem Haus hinaufgefahren war. Er hatte sich alle Mühe gegeben, so leise wie möglich einzutreten, doch Susan war aufgewacht, hatte ihn angesehen und mit schläfriger Stimme gefragt: Hast du der Gerechtigkeit Genüge getan, Liebling? 

Kann man sagen, murmelte er.

Sie drehte sich im Bett um und beobachtete ihn. Doch als er aus dem Badezimmer kam, war sie schon wieder eingeschlafen. Nach einiger Zeit, als die Ereignisse der Nacht in ihm abgeklungen waren, schlief Heimrich ebenfalls. Er schlief lange, wachte auf, hörte Susan in der Küche herumrumoren und ließ sich noch etwas Zeit.

Auf der Terrasse, sagte Susan, als sie ihn hörte.

Er ging auf die Terrasse, setzte sich in die Morgensonne und blickte auf den Hudson. Er hörte das übliche Knarren der Tür und drehte sich um. »Mach, dass du verschwindest, Colonel!«, sagte Susan. Auch diese Aufforderung war Heimrich gewohnt, aber er fand diese Szene noch immer komisch.

Eine deutsche Dogge von ungewöhnlicher Größe blockierte den halben Türrahmen und blickte über die Schulter zurück. Susan stand hinter dem Hund und drückte mit ihrem Knie gegen ihn, was ihn offenbar wunderte.

»Geh mir aus dem Weg, du großer Affe!«, sagte Susan Heimrich und rief dann: »Merton!«

Merton Heimrich stand auf. Er war, wie Colonel, beachtlich groß von Gestalt. Er ging mit raschen Schritten auf die Tür zu. Colonel erkannte ihn und wusste nicht, dass er damit wieder einmal auf den alten Trick hereingefallen war. Er sprang auf Heimrich los, um ihn stürmisch zu begrüßen. Wem Colonel seine Sympathie bekundete, den warf er oftmals von den Beinen. So trat Heimrich zur Seite, als Colonel herandonnerte. Er stoppte und blickte Heimrich mit dem melancholischen Blick eines enttäuschten Hundes an. Dann legte er sich plötzlich nieder und streckte einige beachtliche Zentimeter rote Zunge heraus.

Susan trug eine Hose, einen leichten Pullover und bewegte sich, das Tablett in den Händen, mit einer Flinkheit, die Merton Heimrich selbst nach mehrjähriger Betrachtung noch immer entzückte und seltsamerweise in Verlegenheit brachte. Ich bin ein Flusspferd, dachte er dann immer wieder; sie hätte schon einen anderen Mann verdient.

Sie stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch, goss Kaffee in zwei Tassen und fügte in eine Tasse Sahne hinzu. Den weißen Kaffee brachte sie Heimrich, der wieder im Sessel Platz genommen hatte. »Viereinhalb Stunden«, sagte sie vorwurfsvoll. »Im äußersten Fall.«

»Polizistenlos«, entgegnete er. »Aber du wolltest ja keinen anderen heiraten...«

Sie küsste ihn, holte ihre eigene Tasse und setzte sich in den Sessel auf der anderen Seite des Tisches. Colonel kam schwerfällig angetrabt.

»Er wird den Tisch umkippen«, sagte Susan, »und uns wahrscheinlich auch noch.«

»Platz!«, befahl Heimrich Colonel, der ihn mit seinen braunen Augen traurig und ohne Verständnis ansah. Heimrich wiederholte den Befehl mit lauterer Stimme. Colonel machte kehrt, schlenderte fünf Meter zurück, legte sich hin und zeigte ihnen den Rücken. Dann legte er seinen gewaltigen Kopf auf seine gewaltigen Pfoten.

»Eine böse Nacht gestern?«, fragte Susan.

»Er Junge hat ein Mädchen verletzt«, sagte Heimrich. »Sehr böse. Er war betrunken, sie vermutlich auch. Er wollte zunächst weglaufen, kam dann aber zu uns und heulte. Seine Eltern kamen aus Fairfield County. Es verging viel Zeit. Der Junge erinnerte mich an unseren Michael, obwohl er Jahre älter ist. An deinen Michael.«

»Unsern Michael«, sagte Susan. »Du hast auch einen Sohn mitgeheiratet, erinnerst du dich? Die Eier werden kalt.« Sie ging rasch zu dem Tisch, auf dem das Tablett stand. Sie ging immer rasch. Und ich tappe wie Colonel, dachte Heimrich, eines Tages wird es ihr auffallen. Sie brachte die weichgekochten Eier und goss aus einer silbernen Kanne Kaffee in seine Tasse nach.

Nach dem Frühstück zündete er sich eine Zigarette an und trank noch eine Tasse Kaffee. Da klingelte im Haus das Telefon. »Ich gehe schon«, sagte er.

Susan blickte hinter ihm her. Er schreitet so leicht dahin, dachte sie, und dabei bildet er sich ein, ein Flusspferd zu sein.

Sie füllte ihre Tasse nach, hörte die Tür knarren und sah den großen Mann zum Terrassentisch zurückkehren. Das Mädchen ist bestimmt tot, dachte sie, als sie sein Gesicht sah und feststellte, dass seine blauen Augen ein wenig schmaler geworden waren.

Doch er sagte: »Erzähltest du mir gestern nicht etwas über eine Party bei Annette Weaver?«

»Ja«, erwiderte Susan. »Ich hörte so was...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

»Annette Weaver wird keine Party mehr veranstalten«, sagte Heimrich und schilderte Susan den Grund.

 

Der Polizeiarzt kniete neben dem Leichnam. Als Heimrich eintrat, schloss er seine schwarze Tasche und richtete sich auf. »Zwölf Stunden«, sagte er. »Vielleicht ein paar Stunden länger.« Es war kurz vor zehn Uhr morgens. »Wirbelsäule verletzt, Halsschlagader getroffen. Sie ist verblutet.« Er blickte auf die Leiche herab. »Muss sehr hübsch gewesen sein«, murmelte er.

Das Rot des Lippenstifts wirkte in dem grauen Gesicht auffallend grell. Das blonde Haar war blutverklebt. Harriet Larkin musste keinen schlechten Schreck bekommen haben, als sie an jenem Morgen gegen neun Uhr zur Arbeit erschien.

Heimrich ging ins Wohnzimmer und begrüßte Sergeant Charlie Forniss und Corporal Raymond Crowley.

Forniss war groß, drei bis vier Zentimeter größer als Heimrich und drei, vier Kilo schwerer. Er trug einen dunkelgrauen Anzug. Crowley war wesentlich jünger, wog weniger und trug einen Tweedanzug. Harriet Larkin, die für viele Leute putzte - einschließlich einmal in der Woche bei den Heimrichs -, saß auf dem Sofa und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Jetzt ließ sie die Hände sinken und sagte: »Oh, Captain...« Ihr Gesicht hatte nicht mehr Farbe als das Gesicht der auf dem Boden liegenden toten Frau nebenan. Und Harriet Larkins rundliches Gesicht hatte normalerweise immer sehr viel Farbe. Gewöhnlich war es auch ein heiteres Gesicht.

»Ich trat, wie immer, durch die Hintertür ein«, sagte sie. »Nur dass die Hintertür diesmal offen war. Ich wollte im Wohnzimmer anfangen und...« Sie sprach nicht mehr weiter und bedeckte wieder ihr Gesicht mit den Händen. Sie begann langsam den Kopf zu schütteln. Dann nahm sie die Hände vom Gesicht und blickte auf ihre Schuhe. Auch Heimrich betrachtete ihre Schuhe. Er sah das trockene Blut daran.

»Sie musste durch die Blutlache gehen, um uns anzurufen«, erklärte Forniss.

Forniss, der Heimrich vertreten hatte, hatte den Anruf um neun Uhr vierzehn entgegengenommen.

Im Flur zuckten Blitzlichter auf. Cliff Aarons nahm zum letzten Mal ein Gesicht und einen Körper auf, die über so viele Jahre so viele Male fotografiert worden waren - ein Gesicht und eine Figur, wie geschaffen für die Kamera.

»Die Hintertür war offen«, sagte Heimrich. Er sah Harriet Larkin an, die mit dem Kopf nickte.

»Sie schloss die Tür, als sie kam«, sagte Forniss und deutete mit einer Kopfbewegung auf Harriet, um zu zeigen, wer die Tür geschlossen hatte. »Jedenfalls nimmt sie es an. Der Täter könnte durch diese Tür gekommen sein.«

Heimrich wartete.

»Ein Schlüssel steckte in der Vordertür«, sagte Forniss. »Von außen. Sieht aus, als hätten die Weavers das Haus zum Verkauf angeboten.«

»Das habe ich gehört«, entgegnete Heimrich und wartete wieder. Forniss war schon eine Viertelstunde hier und hatte die Zeit genutzt.

»An der Tür ist eines jener Schlüsselkästchen angebracht, wie sie die Maklerbüros zu stellen pflegen. Natürlich kann man diese Dinger mühelos mit einem simplen Schraubenzieher öffnen. Allerdings wurde in diesem Fall ein normaler Schlüssel benutzt.«

»Selbstverständlich haben die Besitzer einen Schlüssel«, sagte Heimrich. »Einen Schlüssel zu diesem Kästchen. Das ist praktisch, wenn man den Hausschlüssel vergessen hat.«

»So ist es«, bestätigte Forniss.

»Erschossen, sagt der Arzt.«

»Ja. Eine Kugel durch den Hals. Das Geschoss steckt sicher im Fußboden. Kaliber zweiunddreißig, nehme ich an. Entfernung: ungefähr neunzig bis hundertzwanzig Zentimeter. Sie kann noch ein paar Schritte gemacht haben, sagt der Arzt. Wahrscheinlich nicht, würde ich sagen. Blut ist nur da vorhanden, wo sie liegt, soviel Ray und ich sehen können. Sonst wäre es verspritzt.«

Cliff stand im Türrahmen zwischen dem Flur und dem Wohnzimmer. Seine Kamera baumelte an dem um seinen Hals hängenden Lederriemen.

»Alles im Kasten«, sagte Cliff Aarons. »Leo ist auch gleich fertig.«

Leo Phillips skizzierte auf einem Block die Lage des Leichnams. »Muss blendend ausgesehen haben, bevor sie so zugerichtet wurde«, sagte Aarons.

»Ja, das ist wahr, Cliff«, sagte Heimrich. »Verrät Ihnen der Name Annette LeBaron etwas?«

»Donnerwetter!«

»Ja, das ist die normale Reaktion«, stellte Heimrich fest. »Vor ungefähr zehn Jahren war das sogar eine weltweite Reaktion.«

»Ich will verdammt sein«, murmelte Cliff Aarons. »Annette LeBaron! Ich will verdammt sein...«

In der Nähe war eine Sirene zu hören. Der Ambulanzwagen kam, um die sterblichen Überreste der Frau fortzufahren, die einmal schön und berühmt gewesen war. Ein gefundenes Fressen für die Reporter. Gott, würden die hinter der Story her sein, sobald sie etwas gehört hatten...

 

Annette LeBaron erschossen aufgefunden – 

Polizei schließt Selbstmord aus.

 

Und so weiter. Den Rest hätte Heimrich beisteuern können, ohne dabei auf das Archiv der Zeitungen angewiesen zu sein. In Gemeinden wie Van Brunt kannte man seine Nachbarn, besonders dann, wenn es sich um berühmte Nachbarn handelte. Und noch besser, wenn man Polizeibeamter war. Nicht dass Annette Weaver oder LeBaron bis zu diesem Zeitpunkt auch nur irgendetwas mit der Polizei zu tun gehabt hatte.

»Ich sollte schon bei Mrs. Bronson sein«, sagte Harriet Larkin und nahm die Hände von ihren Augen.

Heimrich blickte Forniss an.

Forniss sagte: »Sie hat uns alles erzählt. Oder wollen Sie ihr noch ein paar Fragen stellen?«

Heimrich erkundigte sich selten noch einmal bei Leuten, die Sergeant Charles Forniss schon ausgefragt hatte. »Gehen Sie nur, Mrs. Larkin«, sagte er. »Sollten wir noch weitere Fragen haben, werden wir von uns hören lassen. Vielen Dank, Mrs. Larkin.«

»Sie wurde ermordet, nicht wahr? Jemand hat sie umgebracht und...«

»So sieht es aus«, unterbrach sie Heimrich.

Auf der schmalen Auffahrt vor dem Haus der Weavers stand eine Menge Wagen herum. Harriet Larkins Chevrolet stand wahrscheinlich eingekeilt zwischen Polizeifahrzeugen. Jetzt war auch noch der Ambulanzwagen hinzugekommen. »Gehen Sie dort hinaus«, sagte Heimrich und deutete auf die Tür zum Esszimmer. So brauchte sie nicht durch den Flur zu gehen, wo noch das Blut zu sehen war.

Harriet Larkin, die jetzt viel besser aussah, ging voraus, und Ray Crowley folgte ihr. Er muss die Wagen zur Seite dirigieren, dachte Heimrich. Nicht so viele Wagen wie damals am vierten Juli bei Annette Weavers Picknick. Leider hatte er sich, aus dienstlichen Gründen, früher verabschieden müssen. Er hatte zehn Minuten gebraucht, um seinen Wagen auf die Straße zu lenken. Dann war er nach Putnam County und dabei eine Strecke über Westchester gefahren, um sich eine Leiche anzusehen, die um diese Zeit schon sehr lange im Unterholz gelegen hatte. An jenem Tag hatte jemand seinen Wagen auf einen ungünstigen Platz gestellt und den Schlüssel abgezogen. Ein verteufeltes Ärgernis, das auf schlechte Manieren schließen ließ.

Nicht auf die schlechtesten Manieren, denn diese hatte Annette. Eine Gastgeberin sagt ihren Gästen nicht, was sie wirklich von ihnen hält, und erst recht nicht über eine Lautsprecheranlage. Selbst dann nicht, wenn man berücksichtigte, dass sie schon ziemlich viel getrunken und Van Brunt, einschließlich der darin wohnenden Leute, vollauf satt hatte. Schade, dass ich früher weg musste, dachte Heimrich: es wäre jetzt interessant gewesen, zu wissen, wen sie am meisten geärgert hatte. Aber das musste nicht unbedingt etwas mit ihrer Ermordung zu tun haben.

»Wo ist ihr Mann?«, fragte er Forniss.

»Sie versuchen, ihn zu erreichen«, sagte Forniss. »Ich weiß nicht, ob sie schon Verbindung bekommen haben. Ich könnte ja...«

»Lassen Sie nur«, sagte Heimrich. »Liegt der Schlüssel zu diesem Schlüsselkasten darin?«

»Nein«, antwortete Forniss. »Das ist auch ein Punkt. Vielleicht ist der Schlüssel in Mrs. Weavers Handtasche oder sonst irgendwo. Möglich, dass wir ihn auftreiben. Einstweilen...«

»Das ist ein Job für Ray, Charlie.«

»Die Maklervereinigung oder wie sie sich nennen - wird eine Liste haben.«

Heimrich sagte: »Ja«, und ging durch den Flur zur Vordertür. Er drehte sich noch einmal nach den beiden Leuten um, die alles mit Fingerabdruckpulver einstäubten, was in Reichweite war.

Heimrich ging hinaus.

Das von der Maklervereinigung beigesteuerte Schlüsselkästchen war aus Metall, rechteckig und ließ sich, wie Forniss gesagt hatte, mühelos öffnen. Es war noch nicht auf Fingerabdrücke untersucht worden, und Heimrich musste noch einige Zeit warten. Dann öffnete er die kleine Metalltür. In dem Kästchen war nur der für einen Schlüssel bestimmte Haken. Er schloss das Kästchen wieder. Die Tür hatte kein Schnappschloss. Wollte man abschließen, so brauchte man dazu einen Schlüssel.