Das Wachsfigurenkabinett - Hans Heidsieck - E-Book

Das Wachsfigurenkabinett E-Book

Hans Heidsieck

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Beschreibung

Der Ingenieur und Erfinder Frederic Hutchison wird von einer Gangsterbande in erpresserischer Absicht aus seiner Villa entführt. Trotz seiner verzweifelten Lage weigert er sich jedoch, seine Unterschrift unter den Scheck zu setzen, den die Verbrecher seiner Frau abgezwungen haben. Es scheint, als müsse man ihn freilassen, da haben die Kriminalpolizei und Hutchisons Sekretär die ersten Spuren des Verschwundenen ermittelt. Doch da entführen die Gangster auch Gaby, Frederics Frau, um das brutale Erpressungsmanöver fortzusetzen. Nur an eines haben sie dabei nicht gedacht: das Wachsfigurenkabinett ...-

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Hans Heidsieck

Das Wachsfigurenkabinett

Kriminalroman

Saga

Das Wachsfigurenkabinett

German

© 1939 Hans Heidsieck

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508497

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Personen des Romans:

Frederic HutchisonIngenieurMrs. Gaby Hutchisonseine FrauRudolf HaaseHutchisons Bevollmächtigter und GeneralsekretärKommissar Wells Mr. GreenbrookZeitungsmagnatRitaseine FrauFedor Ivanowicz Illinow Oliver RockTierpräparatorKathleenseine FrauGreta HerwardZofe bei GreenbrooksAnthony HarrapPrivatdetektivRobert LunnMechaniker

und andere

Die Handlung spielt in Chikago. Zeit: Gegenwart

Es knackte zwei-, dreimal am Gartentor. Dann gab das Schloß nach, und zwei Männer schlichen geduckt dem Hause zu, das hinter dichtem Buschwerk versteckt lag.

Von der Straße aus war die Villa des Millionärs Frederic Hutchison selbst am Tage nicht zu erblicken. Hutchison liebte die Abgeschlossenheit. Er wollte möglichst wenig von anderen Menschen behelligt werden; deshalb stand auch sein Name draußen nicht angeschrieben. Lediglich seine Initialen waren auf einer kleinen Bronzeplatte zu lesen: ‚F. H.‘ — weiter nichts.

Hutchison hatte auf dem Gebiete des Tauchbootwesens mehrere umwälzende Erfindungen gemacht und war dadurch zu großem Wohlstande gelangt. Sein Vermögen, das sich von Jahr zu Jahr vergrößerte, wurde zur Zeit auf sechs Millionen geschätzt.

Trotzdem lebte der Mann sehr bescheiden und völlig zurückgezogen. Er führte nicht, wie die meisten Millionäre, ein großes Haus mit unzähligen Angestellten; eine Villa mit sechs Räumen genügte ihm. Mrs. Hutchison, aus kleinen Verhältnissen kommend, leitete noch heute, wie in früheren Zeiten, den Haushalt mit einer Köchin und einem Zimmermädchen, und für die Bedienung Hutchisons war nur der alte John da, eine treue Seele, die ihrem Herrn jedes Wunsch an den Augen ablas.

In den ‚Werkstätten Fr. Hutchison‘, die in der Stadt lagen, hatte der Erfinder allerdings zahlreiche Angestellte, ohne die er zu seinem Bedauern nicht mehr auskommen konnte. Die Leitung dieses Betriebes lag in den Händen des Generalsekretärs und Bevollmächtigten Mr. Haase, eines Deutschen, den Hutchison auf einer Auslandsreise kennengelernt und kurzerhand für sich verpflichtet hatte, als er dessen große technische und kaufmännische Fähigkeiten erkannte.

Augenblicklich hauste Hutchison mit dem alten Diener in der Villa allein. Seine Frau war der heißen Jahreszeit wegen nach Miami gefahren. Sie hatte zu ihrer Bedienung das Hausmädchen mitgenommen, das auch gleichzeitig ihre Zofe war. Die Köchin, die plötzlich erkrankt war, lag mit einer Angina in einem Chikagoer Krankenhaus.

Die beiden Männer, die sich der Villa näherten, wußten genau über diese Verhältnisse Bescheid.

*

Der alte John Murrey, der im Erdgeschoß eine Kammer bewohnte, schreckte aus dem Schlaf empor. Lux hatte angeschlagen. Jetzt bellte er wieder laut und wütend auf, wollte sich nicht mehr beruhigen. Dröhnend schallte es durch das Haus.

John sprang aus dem Bett, streifte sich eine Hose über und griff nach dem alten Trommelrevolver, der in seinem Nachttischfach lag. Hastig, mit zitternden Händen, riß er die Tür auf und stürzte in die Halle, wo er das Licht einschaltete.

Vor dem Eingang zum Gartensalon sprang Lux laut kläffend das Schloß an. John erstarrte, als er bemerkte, wie jetzt jene Tür einen Spalt weit geöffnet wurde, wie eine Hand sich hindurchschob, die ebenfalls einen Revolver hielt, — und als nun zwei Schüsse krachten, von denen der zweite den armen Hund tödlich traf. Einen Augenblick lang wälzte er sich noch röchelnd am Boden. Dann wurde es still, so unheimlich still, daß es auf John wie ein Alpdruck lag. Der alte Diener stand immer noch wie gelähmt da. Es dauerte zwei Sekunden zu lange, bis ihm bewußt wurde, was hier geschah.

Die Tür wurde nun vollends aufgezogen. In ihrem Rahmen erschien ein Mann, dessen Gesicht von den Augen abwärts mit einem schwarzen Tuch verdeckt war. Er hielt seinen Revolver auf den entsetzten Diener gerichtet und rief: „Hände hoch!“

John, der zuerst überhaupt nicht hatte denken können, dachte nun falsch. Er glaubte wohl, daß es möglich sei, dem anderen noch zuvorzukommen, jedenfalls hob er jetzt ebenfalls blitzschnell die Hand und drückte ab. Aber es knackte bloß. Mit Bestürzung erkannte er, daß seine Waffe gar nicht geladen war. Diese Bestürzung war das letzte, was er empfand, denn schon krachten wieder zwei Schüsse, woraufhin John Murrey rücklings zu Boden sank.

Hinter dem Mörder tauchte eine zweite Gestalt auf.

*

Die beiden Männer standen und lauschten. Oben ging eine Tür. Natürlich war Hutchison von dem Lärm wach geworden. Er würde gleich herunterkommen, um nachzuschauen, was unten geschehen war.

Nein. Man hörte ihn sprechen. „Hallo!“ rief er. „Hallo!“ Wahrscheinlich wollte er telephonieren, die Polizei anrufen. Die Männer lachten grimmig in sich hinein. Hutchison würde keine Antwort erhalten. Die Fernsprechleitung war durchgeschnitten.

Sie duckten sich hinter zwei hohe Sessel, die in der Nähe der Treppe standen, um abzuwarten, bis ihr Opfer herunterkam.

*

Hutchison gab den Versuch, zu telephonieren, auf, als er einsah, daß die Leitung zerstört sein mußte. Vorsichtig öffnete er die Schlafzimmertür, seinen Revolver schußbereit haltend. „John!“ rief er ins Treppenhaus. „John! John!“

Niemand antwortete ihm. Es blieb beängstigend still im Hause. In der Halle brannte Licht. Er schaltete nun auch hier oben die Beleuchtung ein.

Kaltblütig überlegte er, was zu machen sei. Deutlich hatte er von unten her mehrere Schüsse vernommen. Lux war verstummt. Der Diener antwortete nicht. Eine furchtbare Ahnung stieg in Hutchison auf. Sollte man wirklich den Hund und Murrey erschossen haben?

Warum regte sich nichts mehr im Hause? Waren die Verbrecher geflohen?

Er tat wohl am besten, in sein Zimmer zurückzukehren, um durch das Fenster um Hilfe zu rufen und einige Alarmschüsse abzugeben. Würde man ihn aber hören? Die Villa lag weit von jedem anderen Hause entfernt. Auch widerstrebte es ihm, wie ein hysterisches Weib nach Hilfe zu schreien, ohne vorher versucht zu haben, selbst mit seinen Gegnernfertig zu werden. Hutchison war ein Mann, der keine Gefahr scheute. Nein — um Hilfe rufen würde er nicht.

Wieder lauschte er. Alles blieb still. Niemand kam die Treppe herauf. Sicherlich machten sich die Verbrecher jetzt in seinem Arbeitszimmer zu schaffen, sofern sie sich überhaupt noch im Hause befanden.

Der Ingenieur begann, sich dicht an der Wand haltend, langsam die Treppe hinunterzugehen.

*

Der folgende Morgen brach nicht nur über Chikago, sondern auch über Miami strahlend an.

Mrs. Hutchison hatte ihr Frühstück beendet. Es war sieben Uhr. Sie pflegte stets pünktlich nach dem Strand aufzubrechen. Fanny, die Zofe, hielt schon die Tasche mit den Sachen bereit: Bade-Anzug und Mantel, ein Sonnenschirm, Hautcrème, Brille, Strandschuhe, ein Buch — alles, was man benötigte, um sich’s am Wasser bequem zu machen.

Ein Boy teilte eben die Frühpost aus und zwinkerte dabei der hübschen Fanny zu, die diese Huldigung mit einem schwachen Lächeln quittierte.

Mrs. Hutchison nahm die ihr bestimmte Karte entgegen. Es war der übliche Morgengruß ihres Gatten, der keinen Tag ausblieb. ‚Hier alles in bester Ordnung. Komme sehr gut zurecht. Neues Patent heute angemeldet. Haase ist begeistert davon. — Wünsche Dir weiter die beste Erholung, my darling! Dein Frederic!‘

Davon, daß er bald nachkommen würde, schrieb er diesmal kein Wort. Er hatte es ihr doch versprochen. Aber natürlich — die Arbeit! Er konnte sich nun einmal nicht so rasch losreißen. Immer war noch etwas ganz Dringendes zu erledigen. Er war zu gewissenhaft. Die Konstruktion einer neuen Rettungskammer für Unterseeboote sollte unbedingt vollendet werden, bevor er sich eine Erholung gönnte. Während seiner Abwesenheit konnte die Herstellung dann beginnen.

Nach den letzten entsetzlichen Unglücksfällen, von denen die amerikanische und die britische Marine betroffen wurden und denen mehr als hundert blühende Menschenleben zum Opfer gefallen waren, ließ es Hutchison keine Ruhe mehr, ein wirklich brauchbares und sicheres Rettungsgerät für gesunkene Unterseeboote zu schaffen.

Mrs. Hutchison bebte allerdings schon wieder darum. Denn ihr Gatte war stets der erste, der das neue Gerät dann auch ausprobierte; er war durch nichts davon abzuhalten. Wie leicht konnte er dabei seinen Tod finden! Er achtete keiner Gefahr.

Wenn er nur kommen wollte! Auch ihm tat eine Ausspannung dringend not. Sie wollte ihm heute noch einen langen Brief schreiben und ihm Vorstellungen machen, ja, sie wollte ihm drohen, daß sie sonst ihre Erholungszeit abbrechen würde. Vielleicht wirkte das!

Nachdenklich schritt sie dem Strande zu. Ihr Korb befand sich an einer einsamen Stelle, ganz abgelegen. Mrs. Hutchison liebte den Trubel ebenso wenig wie ihr Mann. Auch ihr Leben war ganz und gar auf Einfachheit abgestellt. Ihretwegen hätte Hutchison nicht Millionär zu sein brauchen. Sie wäre in ganz bescheidenen Verhältnissen ebenso zufrieden gewesen. Das Glück lag für sie nicht im äußeren, sondern im inneren Reichtum, und an diesem mangelte es ihr nicht. Sie hatte nicht nur für Kunst und Literatur etwas übrig, — sie interessierte sich sogar für technische Dinge, was man sonst bei einer Frau selten fand. Andächtig hörte sie jedesmal ihrem Gatten zu, wenn dieser ihr neue Pläne entwickelte.

Das bitterste Leid des Lebens war an Hutchisons aber auch nicht vorübergegangen, ja, es hatte sie zweimal sehr hart getroffen. Ein Töchterchen starb ihnen kurz nach der Geburt, und ein Sohn, bereits sechzehn Jahre alt, war einem Motorradunfall zum Opfer gefallen. Nun standen sie wieder ganz allein, nahmen sich jedoch eines Kreises von Neffen und Nichten um so inniger an.

Mrs. Hutchison war eine leidenschaftliche Schwimmerin. Sie kraulte weit in die See, bis zu einer Boje hinaus, und kehrte gestärkt und erfrischt zurück.

Als sie sich gerade in ihren Bademantel gewickelt hatte und vor dem Korb auf und ab schritt, trat ein Herr auf sie zu, grüßte höflich und stellte sich vor: „Fedor Ivanowicz Illinow!“

*

Fanny war für den Vormittag von ihrer Herrin entlassen worden. Sie hatte am Strande eine sehr nette Bekanntschaft gemacht. Der Herr war Pilot einer Fluggesellschaft in New Orleans, wie er behauptete, und befand sich zur Zeit zur Erholung hier. Seine ruhige Art zu reden und sein geschliffenes Wesen hatten auf Fanny einen denkbar günstigen Eindruck gemacht. Er verabredete sich täglich mit ihr, sie schwammen zusammen, er ging mit ihr tanzen und unterhielt sie jedesmal auf eine nette, zuvorkommende Weise. Fanny fühlte sich ganz und gar als Dame behandelt, was ihr sehr gut gefiel. Sie hatte es überhaupt — fand sie — im Leben recht gut getroffen. Eine bessere Herrschaft als Hutchisons konnte sie sich gar nicht denken. Niemals wurde sie über Gebühr in Anspruch genommen, sie erhielt einen guten Lohn und verfügte über ausreichend viel freie Zeit. Um ihr Privatleben kümmerte sich Mrs. Hutchison überhaupt nicht.

Charles, ihr neuer Freund, nahm lebhaften Anteil an allem, nicht nur was sie selber, sondern auch was ihre Herrschaft betraf. Von dem bekannten Ingenieur Hutchison hatte er natürlich auch schon gehört. Was trieb der denn so den ganzen Tag? Machte er tatsächlich immer neue Erfindungen? Fabelhaft! Wie? Ja — natürlich, klotzige Gelder hatte der schon verdient. Was fing der nur mit dem großen Vermögen an? Komisch, nicht wahr —? Der eine rackerte sich sein Leben lang ab und kam nie auf einen grünen Zweig, — und so einem fiel das Glück geradezu in den Schoß. Wie, bitte? Er arbeitete ja auch viel? Na ja, natürlich. So war das nicht gemeint. Er war wohl ein netter Mensch, was? Sehr still? Ja ja, das kann man sich denken. Große Erfinder sind oft stille Menschen ...

Fanny schritt stolz an der Seite ihres Fliegers daher. Einen netteren, hübscheren Menschen hatte sie noch niemals kennengelernt.

Heute schien er ihr allerdings etwas nervös zu sein. Sie trafen sich am Pavillon. Fesch wirkte er in seinem blendendweißen Strandanzug.

„Wollen wir schwimmen?“ fragte Fanny und sah ihn bewundernd von der Seite an. Er schien über sie hinwegzublicken. „Nein, jetzt nicht“, erwiderte er, „ich — ich erwarte eine wichtige Nachricht. Vielleicht muß ich heute noch fort. Ja, Leider. Ein Kollege ist krank geworden. Für den muß ich wohl einspringen. — Kommen Sie, setzen wir uns drüben in das Kaffee. Ich habe gesagt, daß ich dort zu erreichen bin.“ Er blickte rasch auf die Uhr. Sein Arm zitterte etwas. Was hatte er nur? Ging ihm die Erkrankung seines Kollegen so nahe? Oder zitterte er darum, daß er nun von ihr fort mußte?

Auch seine Unterhaltung war einsilbig. Man redete über gleichgültige Dinge. Obwohl es dochnähergelegen hätte, daß er jetzt von dem Abschied sprach.

Er rührte mit dem Strohhalm in seinem Eis herum. „Es ist sehr heiß!“ sagte er. „So feuchtwarm, nicht wahr? Es kann ein Gewitter geben.“

Nach einer Weile wurde er ans Telephon gerufen. Er blieb lange fort. Als er zurückkam, sagte er, daß er reisen müsse, wenn möglich, schon mit dem nächsten Zuge.

„Ich bringe Sie an die Bahn!“ erklärte Fanny bestürzt. Er wehrte ab. „Nein, nein, das geht nicht!“ erwiderte er und erhob sich. „Ich muß zu sehr eilen und muß auch erst noch in mein Hotel. Bleiben Sie ruhig hier sitzen. Es wird nur für einige Tage sein. Dann komme ich wieder. Leben Sie wohl, Fanny! Ich werde schreiben!“

Sein ganzes Verhalten stand völlig im Gegensatz zu seiner sonstigen Art. Fanny verspürte eine Ernüchterung. Auch sie war aufgestanden. Er warf dem Kellner ein Geldstück zu und griff hastig nach ihrer Hand.

In der Nähe lief ein Zeitungsverkäufer vorüber, doch verstand man nicht, was er rief.

Charles eilte hastig davon und ließ Fanny einfach stehen. „Bitte entschuldigen Sie! Good bye!“

Sie wollte ihm nacheilen. Aber sie stand wie gelähmt.

*

Mrs. Hutchison blickte den Fremden von oben bis unten an. „Sie wünschen, Sir?“

„Ich habe mit Ihnen zu reden, Madam. Vertraulich. Hier sind wir ja ungestört.“

Mrs. Hutchison setzte sich in den Strandkorb. Ein eigentümlich unheimliches Gefühl kroch ihr den Rücken hinab. Wer war dieser Mann? Was wollte er? Fedor Ivanowicz Illinow? Sie hatte den Namen noch niemals gehört.

Er hielt ihr ein goldenes Etui entgegen. „Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?“

„Nein, danke!“ erwiderte sie mit matter Stimme.

„Sie gestatten wohl, daß ich rauche?“

Sie nickte. „Gewiß.“

Illinow war gut angezogen und wußte sich durchaus zu benehmen. Dies beruhigte sie einigermaßen. Trotzdem war sie äußerst gespannt, was nun kommen werde.

„Sie werden heute in der Mittagszeitung eine erschütternde Nachricht finden“, setzte er wieder an, und sie dachte daraufhin irgendwie gleich, daß er ein Journalist sei, der sie hier überrumpeln wollte. Ärgerlich zog sie die Stirn in Falten. „Es handelt sich um Ihren Gatten.“

„Was — um Frederic? Ist ihm etwas zugestoßen?“ fragte sie atemlos.

Um den Mund des Herrn glitt ein nervöses Lächeln. „Wie man’s nimmt, Madam. Sein Schicksal ist jetzt in Ihre Hände gelegt.“

Mrs. Hutchison bebte. „Ich verstehe Sie nicht! Sprechen Sie deutlicher!“

Illinow streifte gelassen seine Zigarette ab. „Zunächst muß ich Sie dringend warnen, irgend jemandem gegenüber etwas von dieser Unterhaltung verlauten zu lassen. Beachten Sie diese Warnung nicht, dann ist Ihr Gatte verloren.“

Mrs. Hutchison sprang empor. Ihre Augen beschatteten sich. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. So starrte sie den Mann an. „Wie habe ich das zu verstehen?“ stammelte sie.

„Sie brauchen Ihren Gatten nur auszulösen. Er ist mein Gefangener!“

Illinow stand hochaufgerichtet und drohend da. Alle Freundlichkeit war aus seinen Zügen gewichen.

Mrs. Hutchison wollte einen Schrei ausstoßen, doch Illinow hielt ihr eine Hand vor den Mund. „Sie müssen sich ruhig verhalten. Auflehnung nützt Ihnen nichts. Lassen Sie uns lieber über das Lösegeld sprechen.“

Er schwieg. Das Meer rauschte, es trieb kleine Wellen an den Strand. Niemand war in der Nähe. Die Frau mußte einsehen, daß sie im Augenblick hilflos war.

Illinow beobachtete sie und fühlte deutlich ihre Hilflosigkeit. Sie schien völlig niedergeschmettert zu sein. Dann aber rief sie: „Das ist ja nicht wahr!“

Er warf den Rest seiner Zigarette in den Sand. Ruhig sagte er: „Doch — es ist wahr. Sie werden es heute noch in der Zeitung lesen. Ich wollte Sie nur darauf vorbereiten und gleich die Verhandlungen aufnehmen, bevor sich die Polizei einmischt. Wieviel Geld haben Sie hier zur Verfügung?“

„Ich — ich habe nur ein paar tausend Dollar mit.“

„Das genügt uns natürlich nicht. Ihr Gatte ist Millionär. Man kann ihn schon kräftig zur Ader lassen, ohne daß er gleich daran verbluten wird. Sein Vermögen wird auf sechs Millionen geschätzt. Zehn Prozent davon, also sechshunderttausend Dollar, verlangen wir, wenn er wieder freikommen soll.“

Mrs. Hutchison stützte sich auf den kleinen Klapptisch, der an der Seite des Strandkorbes angebracht war. Illinow sah: sie war einer Ohnmacht nahe. Er stützte sie, drückte sie sanft auf den Sitz zurück. Dann herrschte er sie plötzlich an. „Machen Sie kein Theater! Ja — oder nein!“

Die Frau fuhr zusammen. Sie bebte am ganzen Körper. Weit riß sie die Augen auf. Was geschah hier? War das nun Wirklichkeit — oder ein toller Spuk?

Zwei junge Leute liefen im Laufschritt am Strande ganz dicht vorüber. Sie wollte schreien. Aber Illinow hielt ihr rücksichtslos wieder den Mund zu. „Wenn Sie schreien, töten Sie Ihren Gatten!“ herrschte er sie an. Sie taumelte gegen die Rückwand des Korbes. Jetzt war sie krebsrot im Gesicht. „Ich — oh — haben Sie doch Erbarmen!“ stammelte sie. „Was — was soll ich denn tun?“

„Das wollen wir eben in Ruhe besprechen“, erwiderte er und blickte den jungen Leuten nach, die in der Ferne verschwanden. „Zunächst warne ich Sie, irgend etwas gegen mich zu unternehmen. Wenn mir nur das geringste passiert, wird Ihr Gatte erschossen. Sie allein haben, wie ich schon sagte, sein Leben jetzt in der Hand.“

„Und — Sie fordern sechshunderttausend Dollar von mir?“

„Jawohl. Nicht mehr — und nicht weniger.“

„Mittagsblatt! Mittagsblatt! Mittagsblatt!“ ließ sich entfernt eine Stimme vernehmen.

„Ah!“ sagte Illinow. „Da kommt ja die Zeitung. Bleiben Sie hier. Warten Sie, bis ich wiederkomme. Sie rühren sich nicht aus dem Korb!“

Mrs. Hutchison blieb wie erstarrt sitzen.

*

Illinow kehrte mit einer Zeitung zurück. „Hallo — da bin ich schon! Nun können Sie sich überzeugen, Madam!“ Er schwenkte das Blatt in der Hand, und dann reichte er’s ihr. Mit zitternden Händen griff sie danach. Die fett gedruckte Überschrift lautete:

„Toller Banditenstreich! Frederic Hutchison von Erpressern aus seiner Villa entführt! Hund und Diener erschossen.“

Mrs. Hutchison flimmerte es vor den Augen. Illinow blickte sie höhnisch an. „Glauben Sie nun —?“

„Diener erschossen — Diener erschossen!“ murmelte die gequälte Frau. Oh — der gute alte treue John! Erschossen! Furchtbar! Nun wußte sie auch, daß es ernst war. Sie versuchte den Artikel zu lesen, aber die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen. Sie begann zu schluchzen.

Illinow steckte sich gelassen eine neue Zigarette an. Tränen rührten ihn nicht. Ihn rührte nichts mehr. Er war grausam und hart wie Stahl.

„Hören Sie auf zu weinen!“ herrschte er die Frau an. „Damit retten Sie nichts! Wenn Sie nicht lesen können, werde ich Ihnen vorlesen, was in der Zeitung steht.“ Er nahm das Blatt und las den Artikel vor. Aber sie hörte nur halb, was er sagte. Die grausige Wahrheit hatte sie zu sehr getroffen. Sie fühlte ein schmerzhaftes Stechen im Kopf.

Anschließend entwickelte er folgenden Plan: „Sie werden heute noch nach Chikago fliegen, um dort das Geld flüssig zu machen. Von meiner Bekanntschaft und unserer Unterredung werden Sie kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Was sonst geschieht, wissen Sie ja. Ich rufe Sie morgen abend in Ihrer Villa an. Wo ich das Geld in Empfang nehmen werde, teile ich Ihnen dann mit.“

„Aber ich — ich habe ja gar kein Verfügungsrecht über die Gelder meines Mannes!“ stotterte Mrs. Hutchison, und er sah ihr an, daß sie die Wahrheit sprach.

Nachdenklich erwiderte er: „Es ist gut, daß Sie mir das jetzt gleich sagen. Können Sie an sein Scheckbuch heran?“

„Er hat es eingeschlossen.“

„Sie wissen, wo?“

„Ja — das weiß ich.“

„Dann lassen Sie das Fach öffnen oder brechen es selber auf.“

„Ja.“

„Sie nehmen drei Blankoschecks und bringen sie mit, wenn wir uns treffen. Im übrigen bleibt es bei der Verabredung.“

„Ich soll also —?“

„Sie sollen sofort nach Chikago fliegen und erwarten morgen abend in Ihrer Villa meinen Anruf.“ Plötzlich besann er sich. „Nein — halt, das müssen wir anders machen. Ihr Telephon wird von der Polizei überwacht sein. Gehen Sie ins Bristol. Dort werde ich Sie um acht Uhr an den Apparat rufen lassen.“

„Im Bristol?“

„Ja. Sind Sie nicht dort, so ist es Ihr eigener Schaden. Wenn Sie die Polizei darauf aufmerksam machen, ist Ihr Gatte verloren.“

Mrs. Hutchison machte einen völlig gebrochenen Eindruck. „Ich werde alles tun, was Sie sagen.“

„Natürlich wird die Polizei Sie vernehmen. Dann haben Sie keine Ahnung, wer Ihren Gatten entführt haben könnte. Sie wissen von nichts. Niemand hat sich hier an Sie herangemacht. Denken Sie immer daran, was auf dem Spiele steht. — Wo befindet sich Ihre Zofe?“

„Ich habe ihr frei gegeben.“

„Das Mädchen lassen Sie hier zurück. Einen Vorwand dafür werden Sie finden. In zwei bis drei Tagen kann alles erledigt sein, und Sie sind in der Lage, die unterbrochene Erholung hier fortzusetzen.“

„Ich weiß nicht, ob ich in diesem Zustand allein reisen kann.“

„Sie werden es können. Ich gehe jetzt. Beherzigen Sie, was ich gesagt habe. Leben Sie wohl, Madam!“

Er entfernte sich raschen Schrittes und verschwand in der Ferne unter anderen Menschen.

*

Bald darauf kehrte Fanny zurück, völlig aufgelöst und mit verweinten Augen. „Madam — Madam! Etwas Schreckliches ist geschehen!“

Mrs. Hutchison deutete auf die Zeitung. „Ich weiß schon. Ja — es ist furchtbar! Packen Sie die Sachen zusammen, ich will sofort nach Chikago zurück. Sie werden hier bleiben, Fanny!“

Fanny stutzte. „Aber Madam — ich — Sie brauchen mich doch!?“

Mrs. Hutchison wehrte ab. „Nein, ich brauche niemanden, das heißt — die Polizei wird mir helfen. Sie bleiben hier. Ich will nicht, daß — daß Sie in diese Dinge verwickelt werden. Haben Sie hier noch keinen netten Anschluß gefunden?“

Fanny wurde verlegen. „Oh — doch!“ kam es verhalten heraus. „Aber —“

„Was: aber?“

„Der Herr hat plötzlich abreisen müssen.“

„So so. Das ist ja schade. Nun, Sie werden neue Bekanntschaften machen. Es ist doch ganz schön hier, nicht wahr?“

„Oh ja!“

„Warum weinen Sie denn?“

„Oh — es ist alles so schrecklich — mit dem gnädigen Herrn —“

„Ja. Er ist Erpressern in die Hände gefallen. Aber das läßt sich schon wieder gutmachen — mit Geld.“

„Und John! John ist tot, Madam! Und Lux auch — erschossen.“

„Die Täter werden die gerechte Strafe erhalten!“ erwiderte Mrs. Hutchison ernst. „Packen Sie jetzt zusammen. Ich gehe voraus.“

*

In der Pension Meeresblick, in der Mrs. Hutchison wohnte, befand sich alles in der höchsten Erregung. Der Geschäftsführer kam auf sie zugestürzt. „Madam — oh — ich sehe — Sie wissen bereits —?“ Er sah es an ihrem bestürzten Gesicht. Auch hielt sie ja das Mittagsblatt in der Hand. „Ein Herr wartet auf Sie — von der Polizei!“ fügte er leise hinzu.

„So. Wo wartet der Herr?“

„In Ihrem Salon, Madam.“

„Gut. Ich gehe hinauf.“

Der Kommissar erhob sich, begrüßte sie teilnahmsvoll und richtete dann einige Fragen an sie. Mrs. Hutchison ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. Wie? Ob sie verdächtige Leute in ihrer Umgebung bemerkt habe? Nein. Sie lebe hier ganz für sich abgeschlossen. Aber nun wolle sie schleunigst nach Chikago zurück.

„Es hat Sie auch niemand angerufen?“ fragte der Kommissar.

„Nein“, antwortete sie, diesmal mit gutem Gewissen.

„Sie müssen schon dulden“, bemerkte der Kommissar, „daß Sie von jetzt ab fortwährend überwacht werden. Auch nach Chikago wird Sie ein Beamter begleiten.“

„Das wird wohl nicht nötig sein“, erwiderte Mrs. Hutchison.

„Ah! Warum nicht?“

„Weil ich per Flugzeug reise.“

Der Kommissar spielte mit seinem silbernen Drehbleistift. „So so. Das ist allerdings etwas anderes. Dann wird man Sie nur zum Flugplatz geleiten, und in Chikago wird man Sie abholen.“

Fanny trat ein.

„Das ist Ihre Zofe?“

„Ja.“

Der Kommissar wandte sich an das Mädchen. „Haben Sie verdächtige Personen in der Umgebung Ihrer Herrschaft bemerkt?“

„Nein!“ erwiderte Fanny fest.

„Auch an Sie hat sich niemand herangemacht?“

„N — nein!“ kam es jetzt zögernd heraus.

„Sie haben hier keine Bekanntschaft geschlossen?“

Fanny errötete. „Oh doch — ich hatte einen sehr netten Herren kennengelernt.“

„Wo?“

„Auf der Strandpromenade.“

„Wie heißt er?“

„Ich kann Ihnen nur seinen Vornamen nennen, Herr Kommissar. Er nannte sich Charles.“

„So. Charles. Seinen Familiennamen wissen Sie nicht?“

„Nein.“

„Aber Sie können mir sagen, wo er wohnt?“

„Leider auch nicht. In irgendeinem Hotel. Aber er ist gar nicht mehr hier.“

Der Kommissar horchte auf. „Nicht mehr hier? Wo ist er denn?“

„Er ist plötzlich fortgefahren. Nach New Orleans.“

„Ah! Nach New Orleans. Das wissen Sie wenigstens.“

„Ja. Dort ist er Pilot bei einer Fluggesellschaft.“

Der Kommissar machte sich eine Notiz. „Bitte beschreiben Sie mir den Mann einmal ganz genau.“

„Er — er war sehr hübsch, Herr Kommissar.“

Der Kommissar lächelte. „Hübsch! So! Na ja — das ist aber keine Beschreibung. War er groß oder klein? Haarfarbe, Augenfarbe — so meine ich das.“

„Er war stattlich. Jawohl. Sehr stattlich.“

„Groß also!?“

„Ja. Sein Haar war blond, und die Augen blau.“

„Hatte er ein breites oder schmales Gesicht? Äußern Sie sich bitte etwas eingehender.“

„Sein Gesicht war schmal, er war überhaupt recht schlank.“

„Wie ging er gekleidet?“

„Er trug einen weißen Strandanzug und weiße Schuhe.“

Der Kommissar ließ sich die Beschreibung noch in einigen Punkten ergänzen. Dann verabschiedete er sich. Vorher sagte er aber noch zu Mrs. Hutchison: „Warten Sie bitte, Madam, bis mein Beamter kommt. In spätestens zwanzig Minuten dürfte er hier sein. Bis dahin haben Sie gewiß auch noch mit Packen zu tun.“

Mrs. Hutchison nickte ihm abwesend zu.

*

Die Vorgänge in der Villa Hutchisons in Chikago waren am frühen Morgen dadurch entdeckt worden, daß der Gärtner den Herrn zu sprechen wünschte. Der Mann hatte mehrmals geläutet, ohne daß ihm geöffnet wurde, — und das kam ihm gleich recht sonderbar vor.

Durch den Gartensalon, dessen Tür merkwürdigerweise offen stand, konnte er ohne weiteres in das Haus gelangen. Entsetzt prallte er vor der Leiche des alten Dieners zurück. Auch Lux lag tot da; er hatte alle viere von sich gestreckt.

Der Gärtner eilte zum Telephon, um die Polizei anzurufen. Niemand meldete sich. In der Leitung blieb es ganz still. Nicht einmal ein summender Ton war zu vernehmen. Der Apparat mußte gestört sein.

Der Gärtner rief nach dem Herrn: „Mister Hutchison! Mister Hutchison!“ Es war sinnlos. Er rief mehr aus Angst; um seine eigene Stimme zu hören. Es wurde ihm unheimlich in dem Hause. Wie ein Flüchtender rannte er hinaus, um von woanders her die Polizei anzurufen.

„Einen Augenblick, bitte — ich verbinde Sie mit der Mordkommission!“

Der Gärtner teilte seine grausige Entdeckung mit. In unglaublich kurzer Zeit war die Mordkommission da, an ihrer Spitze Kommissar Wells. Die ersten Erhebungen wurden angestellt. Der Gärtner konnte nicht viel erzählen. Er hatte eben alles nur so vorgefunden. Ob er den Toten berührt habe?

„Nein!“

Man durchsuchte das Haus. Der Kommissar fragte den Gärtner: „Wie haben Sie das Telephon vorgefunden?“

Der Mann besann sich. Dann erwiderte er: „Der Hörer lag neben dem Apparat.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Also hat man die Polizei anrufen wollen. Wahrscheinlich Hutchison selbst; denn der Diener wurde unten gleich überrascht und erschossen. Ich nehme an, daß der Ingenieur entführt worden ist.“ Dies sagte Wells zu den anderen Herren, die ihn umstanden. Das weitere Untersuchungsergebnis bestätigte seine Meinung.

Inzwischen traf ein Störungstrupp von der Post ein, um die Leitung zu prüfen und instandzusetzen. Die Post war durch Hutchisons Firma darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich in der Villa niemand mehr meldete.

Murrey und der Hund waren mit einer Siebenkommafünf-Millimeter-Pistole erschossen worden. Am Schreibtisch Hutchisons fand man Fingerabdrücke. Alles wurde genau registriert.

Im Garten war eine Schleifspur zu finden.

Ein Wächter wurde vernommen. Er hatte von weitem ein Auto bei der Villa abfahren gesehen. Nähere Angaben konnte er auch nicht machen. Es war gegen drei Uhr gewesen. Er hatte geglaubt, Mr. Hutchison habe noch späten Besuch gehabt, der um diese Zeit fortfuhr.

Die Anhaltspunkte waren gering. Immerhin hatte man im Garten drei verhältnismäßig frische Fußspuren entdeckt, von denen eine die Hutchisons war.

Die Bewohner der umliegenden Villen wurden von Kommissar Wells selber ausgefragt. Ein Chauffeur wollte im Halbschlaf entfernte Schüsse vernommen haben, glaubte aber, es sei doch wohl eine Täuschung gewesen. Die Zeit vermochte er nicht zu nennen.

Wells überließ die weiteren Ermittlungen seinen Kollegen und begab sich zum Polizeipräsidium zurück, um dort einige eilige Maßnahmen zu treffen. Vor allem rief er sogleich in Miami an und verständigte die dortige Kriminalpolizei. Er bat seinen Kollegen, sich unverzüglich mit Mrs. Hutchison in Verbindung zu setzen und sie überwachen zu lassen.

Wells zweifelte nicht daran, daß eine Erpressung beabsichtigt war. Die Erschießung des Dieners war offensichtlich nur auf einen unglückseligen Zufall zurückzuführen. Vielleicht hatte der alte Mann, in dessen erkalteter Hand man noch einen Revolver fand, sich zu wehren versucht, — woraufhin die Verbrecher kurzen Prozeß mit ihm machten.

*

Die Nachricht von der Entführung Hutchisons und der Erschießung des Dieners Murrey verbreitete sich mit Windeseile. Mr. Haase wurde durch Wells verständigt.

„Mein Gott!“ rief Haase. „Ich dachte mir schon, daß etwas passiert sei, als ich heute morgen auf mehrfachen telephonischen Anruf keine Antwort bekam.“

„Ja ja — die Leitung war durchgeschnitten. — Darf ich Sie gleich einmal aufsuchen, Mr. Haase?“

„Bitte, kommen Sie nur.“

Haase lief aufgeregt in seinem Büro hin und her. Hutchison entführt! Das war doch ein toller Streich! Rigorose Burschen mußten das gewesen sein! Den guten alten John, der ihnen in den Weg trat, hatten sie kurzerhand niedergeschossen. Auch Lux, ein selten schönes und wachsames Tier, hatte dran glauben müssen. Haase war darüber empört. Er beschloß, der Polizei mit allen Kräften zu helfen. In frühester Jugend hatte er selbst einmal die Absicht gehabt, Detektiv zu werden. Seine technische Begabung hatte ihn dann jedoch auf andere Bahnen geführt. Immerhin war sein Interesse für kriminalistische Dinge wach geblieben. Hier fand er plötzlich ein Betätigungsfeld.

Als Wells bei ihm erschien, hatte Haase schon über alles eingehend nachgedacht. Er beantwortete die Fragen des Kommissars mit einer wohltuenden Ruhe und Sachlichkeit. Von Droh- oder Erpresserbriefen, die Mr. Hutchison in letzter Zeit erhalten haben könnte, war ihm nichts bekannt. Nein, auch irgendeine Erregtheit im Wesen seines Chefs war ihm nicht aufgefallen. Hutchison zeigte sich immer gleichmäßig gelassen. Wichtige Pläne pflegte er nicht in seiner Villa aufzubewahren, um derartige Dinge konnte es sich kaum gehandelt haben. „Übrigens bin ich gestern noch bei ihm in der Villa gewesen, Herr Kommissar. Es war durchaus alles wie sonst.“

„Wahrscheinlich haben die Verbrecher gewußt, daß er sich mit dem alten Diener allein zu Hause befand“, meinte Wells und strich sich über den kurzen englischen Bart.

„Das nehme ich auch an“, erwiderte Haase, „sie mußten dies also ausgekundschaftet haben. Vielleicht wäre hier ein Anhaltspunkt zu gewinnen. Ich werde die Nachforschungen im Betriebe selbst übernehmen.“

„Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, Sir. Besteht eine Kontrolle über die Besucher, die Mr. Hutchison hier empfängt?“

„Ja. Ich werde das Buch gleich kommen lassen.“ Haase gab telephonisch einen entsprechenden Auftrag durch. Wells fragte: „Pflegte er auch private Besuche hier zu empfangen?“

„Sehr selten“, erwiderte der Generalsekretär.

„Darf ich Sie bitten, mich in sein Arbeitszimmer zu führen? Ich möchte die Korrespondenz einmal durchsehen. Sie werden wohl nichts dagegen haben?“

„Durchaus nicht, Sir. Kommen Sie nur!“

Wells nahm alles gewissenhaft in Augenschein. Er blätterte den Kalender durch, auf dem sich Notizen befanden. Verschiedene Verabredungen waren darauf notiert. Wells fragte nach jedem einzelnen Namen. Ein gewisser Rock tauchte auf, von dem Haase nichts wußte. ‚Rock vier Uhr Bristol‘ — stand auf dem Zettel notiert. Das war vor drei Tagen gewesen.

„Sie kennen diesen Rock nicht? Wissen auch nicht, wer er sein könnte?“

„Nein.“

„Hm.“ Wells begann weiter nachzuschauen. Das Buch, in dem die Besucher verzeichnet waren, wurde inzwischen gebracht. In ihm war der Name Rock nicht zu finden.

Wells blätterte die Korrespondenz durch. Es handelte sich nur um geschäftliche Schreiben.

Der Kommissar ging zur Vernehmung einiger Mitarbeiter Hutchisons über. Aus ihren Aussagen war jedoch nichts zu entnehmen. Keiner wußte etwas von einem gewissen Rock.

*

Hutchison erwachte aus einem Schrecktraum. Er hatte nur wenig und schlecht geschlafen und mußte sich erst besinnen, wo er überhaupt war. Aufstöhnend faßte er sich an den Kopf. Ach ja! Der Überfall! Furchtbar!