Gangster, Tod und Teufel - Hans Heidsieck - E-Book

Gangster, Tod und Teufel E-Book

Hans Heidsieck

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Beschreibung

Der Wächter nicht tot, aber bewusstlos im Vorgarten, der Tresor leer geräumt, keine Fingerabdrücke. Die Pariser Polizei rätselt über die Bedeutung des großen M an der Tapetenwand. Zur gleichen Zeit wird in New York in die Villa des Millionärs John Parker eingebrochen. Am nächsten Morgen findet man den Millionär samt Ehefrau und Dienerschaft bewusstlos im Haus liegen. Von den Tätern fehlt jede Spur. Lediglich auf einem Marmortisch in der Halle ist ein großes M aufgemalt. Auf einer Abendgesellschaft in London beim Herzog von Hampshire geht plötzlich das Licht aus. Die Polizei findet die Gäste und Kellner bewusstlos vor, es fehlen teurer Schmuck und Uhren. Von einem Mahagonitisch im Salon ist die Decke zurückgezogen. Auf dem Tisch prangt ein leuchtendes, weißes M. Schnell finden sich die besten Kommissare aus New York, Holl, aus London, Lester, und aus Paris, Lebrun zusammen. In der Aktion Paris gelingt es besonders Holl, sich "under cover" in die ehrenwerte Gesellschaft einzuschleusen. Aber erst in der Aktion London kommt es zu ersten Erfolgen, um die Verbindungen der international agierenden Verbrecherbande aufzuspüren. Der endgültig vernichtende Schlag gegen die Hintermänner gelingt in der Aktion New York. In einem Bergwerk eingeschlossen hat Holl endlich die Mitgliederliste in den Händen. Ein typisch actionreicher Harry-Hoff-Krimi.-

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Hans Heidsieck

Gangster, Tod und Teufel

Kriminal-Roman

Saga

Gangster, Tod und Teufel

German

© 1958 Hans Heidsieck

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508688

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I. Aktion Paris

Was die Polizei vorfand, war eine durchstemmte Wand, ein kunstgerecht aufgeschweißter Tresor und — in diesem — eine gähnende Leere.

Den Wächter der Bank sah man bewußtlos im Vorgarten liegen. Alle Bemühungen, ihn wieder zu sich zu bringen, blieben zunächst erfolglos. Er wurde in die Halle getragen, wo der Gerichtsarzt sich seiner annahm.

Inzwischen untersuchten die Beamten alles genau. Die Verbrecher waren durch eine Wand aus der nebenliegenden Parterrewohnung gekommen. Man ging durch das entstandene Loch hinein. Die Wohnung war leer. Nur einige altmodische Möbel standen verlassen herum.

Der Hausverwalter wurde herangezogen. Ein junges Ehepaar, sagte er, hatte die Wohnung vor vierzehn Tagen gemietet, und zwar teilmöbliert. Der Name ‚Robin‘ stand noch an der Tür.

In dem Tresor der Bankfiliale hatte sich ausnahmsweise viel Geld befunden: zehn Millionen Francs, die für eine bestimmte Transaktion bereitgestellt waren. Robins — oder wie sie in Wirklichkeit heißen mochten — mußten darum gewußt haben.

Der Einbruch, beziehungsweise der Durchbruch, erregte das größte Aufsehen. Fast alle Pariser Blätter berichteten auf der ersten Seite davon.

„Fingerabdrücke?“ fragte der leitende Kommissar Lebrun.

Nein — es wurden keine gefunden. Aber ein mit Kreide geschriebenes M war, herausfordernd groß, an die Tapete gemalt.

*

Während dies in Paris geschah, hatte sich folgendes in New York ereignet: Zwei maskierte Räuber statteten nachts der Villa des Millionärs John Parker einen Besuch ab.

Ein alter Diener, durch ein verdächtiges Geräusch erwacht, trat ihnen in der Halle dürftig bekleidet entgegen. Er wollte Alarm schlagen —, aber da traf ihn bereits ein spitzer Strahl aus einem länglichen Instrument, das einer der beiden Banditen auf ihn gerichtet hielt. Der Mann sackte wie ein Klotz zu Boden, wo er bewußtlos liegen blieb.

Drei Minuten später fuhr Parker selbst aus dem Schlaf empor und starrte verwirrt in eine Blendlaterne. Er sah einen Colt auf seine Brust gerichtet, und eine Stimme zischte: „Keinen Laut, Mister Parker — oder Sie sind des Todes. Stehen Sie auf, schreiben Sie einen Scheck über zehntausend Dollar aus — und die Angelegenheit ist für Sie ebenso wie für uns erledigt. Wenn Sie sich weigern, knallts, und dann können Sie sich künftig die Radieschen von unten betrachten.“

Sechs Minuten später hielten die Halunken den Scheck in der Hand. Zehn Minuten darauf hatten sie das Haus schon wieder verlassen.

Den Millionär fand man am nächsten Mittag noch nebst seiner Gattin, dem Diener und zwei weiteren Bedienten bewußtlos im Hause liegen. Erst gegen Abend brachte man sie wieder zu sich.

Der Scheck aber war bereits kurz nach Eröffnung der Bank eingelöst worden.

Von den Tätern fehlte jede Spur. Lediglich auf einem Marmortisch in der Halle war ein großes M aufgemalt.

*

London. Große Gesellschaft beim Herzog von Hampshire. Die Herren erschienen im Frack —, die Damen in großer Abendtoilette mit reichem Schmuck. Viele prominente Persönlichkeiten nehmen an dieser Gesellschaft teil.

Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt; es wird getanzt, viel gelacht und getrunken.

Da — plötzlich! — sind alle Räume auf einmal in Dunkel gehüllt. Die Musik bricht ab; einige Sekunden lang herrscht betretene Stille. Dann gellen Schreie auf; ein zischendes Geräusch ist zu vernehmen. Die Schreie verstummen — es ist auf einmal wieder ganz umheimlich still. Um so deutlicher vernimmt man einige tappende Schritte. Der Schein einer Taschenlampe geistert auf eine Tür zu — — drei, vier, fünf Gestalten huschen durch diese Tür und verschwinden.

Diener kommen aus anderen Räumen mit Kerzenleuchtern herbeigestürzt. Auf einmal flammt auch das elektrische Licht wieder auf.

Überall liegen regungslose Gestalten am Boden. Auch die Diener, die herbeigeeilt waren, sacken auf einmal lautlos in sich zusammen.

Fünf Stunden später erst kommen einige von den Gästen wieder zum Bewußtsein zurück. Die Fenster sind alle weit aufgerissen. Ärzte sind da, Kriminalbeamte.

Es fehlen acht Perlenketten, vierzehn goldene Uhren, zahllose Ringe, Anhänger, Armreifen, Nadeln. Der Gesamtwert wird zunächst oberflächlich auf fünfzigtausend Pfund geschätzt.

Von einem Mahagonitisch im Salon ist die Decke zurückgezogen. Auf dem Tisch prangt ein leuchtendes, weißes M.

*

Ein junges Paar sitzt in dem großen Atlantik-Clipper, der von Paris nach New York fliegt. Die hübsche Stewardeß setzt den Fluggästen eben das Frühstück vor: Je zwei Eier im Glase, Toast, Butter, Aufschnitt — dazu noch ein Kännchen Tee oder Kaffee nach Wunsch.

Aus einem Lautsprecher erschallen die neuesten Nachrichten. Sensation über Sensation: Bankeinbruch in Paris. Dreiste nächtliche Erpressung eines Millionärs in New York. Eine betäubte und ausgeraubte Gesellschaft in London. Über allem das geheimnisvolle, mit Kreide geschriebene M.

Der junge Mann stieß seine Begleiterin unter dem Tisch leise an. Sie lächelte ihm verständnisvoll zu. Er griff unwillkürlich nach seiner Brieftasche, in der er zwei falsche Pässe verwahrt hielt. Seine Erscheinung ist in keiner Weise auffällig — ebenso wenig die seiner Frau.

Ein kleiner Lederkoffer mit doppeltem Boden steht neben ihnen. Den wollten sie nicht aus der Hand geben. Was sich in dem Geheimfach befand, hatte noch kurz zuvor in einem Pariser Tresor gelegen.

Die beiden unterhielten sich angeregt mit den anderen Passagieren. Dabei stellte es sich heraus, daß sie der englischen Sprache ebenso gut wie der französischen und auch der deutschen mächtig waren. Wie der junge Mann einmal einfließen ließ, war er in diplomatischen Diensten tätig.

Nachdem in New York die Zoll-Formalitäten erledigt waren, bestiegen sie einen eleganten Wagen, der sie nach dem südlichen Manhatten zu einem großen Geschäftspalast brachte. In diesem Hochhaus befanden sich unzählige Firmen.

Mit dem Schnellaufzug ging es zum 25. Stockwerk hinauf. An der messingbeschlagenen Tür liest man die Worte: ‚Internationale Handelsgesellschaft AG., New York‘.

In einem elegant eingerichteten Zimmer tritt ihnen ein großer und schlanker Herr in den mittleren Jahren entgegen. „Ach — Charles!“ ruft er freudig; er streckt nach den beiden die Hände aus — „und auch du, Mary! Ihr seid also glücklich herübergekommen. Hat auch kein Mensch eine Ahnung —?“

„Nein“, erwiderte Charly, „kein Mensch hat eine Ahnung!“

„Wißt ihr schon —? Hier in New York — und in London — —“

Charly nickte, und Mary erwiderte lächelnd: „Wir haben es durch den Rundfunk im Flugzeug gehört. Auch da scheint alles geklappt zu haben.“

Der Schlanke klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. „Na — und die Beute?“

Charles, hier Charly genannt, öffnete seinen Koffer — in ihm das Geheimfach, und händigte dem anderen die französischen Banknoten aus. Der Schlanke zählte schmunzelnd die Summe nach ...

Zwischen London, Paris und New York zuckten Funksprüche hin und her. Auch vom Sprechfunk wurde reger Gebrauch gemacht.

In New York wurde Kommissar Holl verlangt. Kommissar Lester von Scotland Yard meldete sich. „Holl!“ sagte Lester, „Sie haben damals, als wir das erstemal telefonierten, doch recht behalten: Die M-Bande ist international. Nun hat sie in drei Fällen gleichzeitig zugeschlagen. Ich glaube, am besten würde die Angelegenheit wohl zentral bearbeitet werden.“

„Ganz meine Meinung“, erwiderte Holl, „aber wie stellen Sie sich das vor, mein Lieber? — Haben Sie übrigens schon etwas ermitteln können?“

„Nein, leider nicht. Keine Fingerabdrücke — und auch sonst keine Spuren. Die Leute arbeiten mit einem ganz neuen Gas, das auf der Stelle betäubend wirkt.“

„Ach nein!“ rief Holl spöttisch, „das haben Sie also auch schon gemerkt? — Zentrale Bearbeitung, ja. Aber wer soll kompetent sein? So leicht wird sich keiner dem anderen unterordnen.“

„Im Interesse der Sache“, erwiderte Lester, „muß jeder persönliche Ehrgeiz zurückgestellt werden. Ich habe schon mit Lebrun in Paris gesprochen. Da aller Wahrscheinlichkeit nach das Haupt der Bande ein Amerikaner ist, und da gerade sie in der Bandenbekämpfung besonders erfahren sind, wären wir beide einverstanden, wenn alle Fäden bei Ihnen zusammenliefen.“

„Ich weiß diese Ehre zu schätzen“, erwiderte Holl, „wieso aber kommen Sie darauf, daß es sich um eine hiesige Bande handelt?“

„Weil die Methoden ganz amerikanisch sind, Holl. — Sind wir uns also einig — Sie übernehmen die Führung?“

„Müßte das nicht erst zwischen den einzelnen Ministerien vereinbart werden?“

„Das hiesige Ministerium sagte, daß dies unsere eigene Angelegenheit wäre. Einen ähnlichen Bescheid erhielt auch Lebrun.“

„Also gut. Abgemacht!“ sagte Holl, „morgen fliege ich nach Paris: kommen Sie bitte auch hin — bringen Sie alles an Material mit, was Sie schon haben — und dann werden wir über die Maßnahmen sprechen, die hier zu treffen sind.“

Der schlanke Herr von der Handelsgesellschaft, der sich Daniel Anderson nannte, war mit Charles und Mary zum Essen gegangen. Als sie in das Büro zurückkehrten, trat dem Schlanken ein kleiner, verwachsener Mann entgegen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Daniel hieb mit der Faust auf den Tisch. „Alle Wetter! — Übrigens kannst du vor diesen beiden ruhig laut sprechen, Beppo!“ Er wandte sich Charles zu: „Weißt du, was Beppo eben gehört hat? Bitte!“

Er reichte dem anderen ein Blatt über den Tisch, das er gerade von dem Kleinen erhalten hatte.

Charles las: „Ja!“ rief er, „die schließen sich also auch zusammen — und Holl übernimmt die Führung.“

„Ich will sofort mit dem Chef sprechen“, sagte Daniel, „was dagegen zu tun ist.“ Mit diesen Worten und einem rasch hingeworfenen „Wartet mal einen Augenblick!“ verließ er das Zimmer.

„Ihr habt gut gearbeitet in Paris!“ sagte Beppo und blinzelte mit den kleinen, von tausend Falten umsäumten Augen.

„Das will ich meinen!“ erwiderte Charles heiter, „wenn schon — denn schon!“

„Zehn Millionen — kein Pappenstiel — Und hier vermutet man euch bestimmt noch nicht. Die werden sich in Paris nach euch dämlich suchen.“

Daniel kam zurück. Er gab Charles einen Wink: „Komm mal mit — wir müssen uns unter vier Augen sprechen. — Und du, Beppo, gehst wieder in deine Funkkammer zurück und horchst weiter. Die Herren Kommissare werden sich vielleicht noch manches zu sagen haben. — Und sage den anderen, die die Polizeileitung abhören, daß sie besonders gut aufpassen müssen.“

Nach diesen Worten zerrte Daniel Charles in einen anderen Raum, dessen Türen schalldicht gepolstert waren. Die Folge dieses Gespräches war, daß sich Charles am gleichen Abend noch in eine Hafenkneipe begab, wo er mit Sicherheit den Bomben-Harry antreffen würde.

*

Für den Besuch der Hafenkneipe hatte sich Charles besonders zurechtgemacht. Er trug einen offenen Kragen, ein kariertes Hemd und eine Schiebermütze. In dieser Aufmachung war er in dem Lokal bekannt, in welchem er den Verbindungsmann mit der krassesten Unterwelt New Yorks darstellte.

Das Orchestrion heulte, Matrosen gröhlten, Weiber kreischten, Gläser klirrten — und durch den dicken, sich langsam über die Holztische hinziehenden Rauch waren die Gestalten der Gäste kaum zu erkennen.

„Hallo, Bomben-Harry! “ Charles zupfte einen robusten Kerl mit Knüpftuch und einer platten Boxernase am Rock, „habe vom Chef einen ehrenvollen Auftrag für dich!“

„Schön. Und was kann ich tun?“

„Kommissar Holl muß beseitigt werden.“

„Schon wieder mal?“

„Wieso schon wieder mal?“

Es war doch schon einmal so eine Geschichte — die aber daneben ging. — Na ja, auf mich könnt ihr euch schon verlassen.“

„Gut. Du machst also eine Höllenmaschine zurecht. Holl fliegt nach Paris.“

„Verstehe schon — und da soll ich — —“

Nähere Angaben über den Abflug der Maschine gebe ich dir noch durch. Wir verlangen saubere Arbeit von dir, Harry!“

„Zum Teufel — darauf könnt ihr euch doch verlassen. Aber wie soll — —?“

„Das ist deine Sache. Wir reden Spezialisten prinzipiell niemals hinein.“

„Das bitte ich mir auch aus.“ Harry starrte einen Augenblick sinnend vor sich auf den Boden. Dann rief er freudig: „Ich hab’s! Wird gemacht!, Charly! — Und das Honorar?“

„Dreitausend!“

„Einverstanden. — Was macht Mary?“

„Wir halten wie Pech und Schwefel zusammen.“

„Also eine glückliche Ehe?“

„Kann man wohl sagen. Sie hilft mir, wo sie nur kann. Auch wieder in Paris.“

„Fabelhaft habt ihr das Ding gedreht — mit der durchbrochenen Wand. Na ja — alles Fachleute. Dafür werden wir ja auch ausgebildet.“

„Und was macht dein Junge, der John, Harry?“

„Der ist im Genfer Internat. Wird sich hoffentlich später einmal seines Vaters würdig erweisen.“

Beide lachten. Dann tranken sie noch eine Flasche Wein zusammen und trennten sich.

*

Es war ziemlich spät, als Kommissar Holl an diesem Abend nach Hause kam. Seine Frau Bessie, die ehemalige Tänzerin, begrüßte ihn, wie gewöhnlich, mit einem herzhaften Kuß. Weniger liebevoll wurde er von anderer Seite empfangen, als ihm ein kräftiges ‚Hands up‘ (Hände hoch!) engegenschallte. Trotzdem lächelte der Kommissar nur dazu — denn der ihn auf diese Weise anbrüllende war sein Papagei ‚Robinson‘, den er einmal in einer Gangstervilla beschlagnahmt hatte und später von seiner Vorgesetzten Behörde als Preis für eine besonders glänzend gelöste Aufgabe erhielt.

Holl trat an den Käfig und kraulte dem Tier den Kopf: „Aber Robinson — das darfst du doch zu deinem Herrchen nicht sagen!“

„Soll dich der Teufel holen!“ erwiderte Robinson mit gesträubtem Gefieder. Holl lachte. Dann setzte er sich mit Bessie zum Essen nieder. Mit besorgter Miene sagte die Frau: „Ferry — hier in New York ist ja schon wieder der Teufel los!“

„Ach“, sagte Ferry, „du meinst den Fall Parker?“

„Ja.“

„Nicht allein das, Bessie. Hast du nicht auch schon von den beiden Fällen in Paris und London gehört?“

„Ja — das ist furchtbar!“

„Und alles die M-Bande! Denke dir, Liebling — man hat mich bereits von Paris und von London aus zum Leiter der Forschungsarbeit bestimmt.“

„Oh Gott!“ sagte Bessie, „nun schwebst du also schon wieder mal in der größten Gefahr!“

„Pah — Gefahr!“ erwiderte Holl geringschätzig, „du weißt doch, daß es dieses Wort für mich überhaupt nicht gibt. — Morgen fliege ich nach Paris.“

„Ach Ferry — und ich muß wieder zittern um dich!“

„Rede doch keinen Unsinn, Liebling! In diesem Fall bin ich ja nicht allein hinter den Gangstem her. Der berühmte Kommissar Lester von Scotland Yard — und Lebrun aus Paris sind auch noch dabei. Mir übertrugen sie die Leitung der internationalen Fahndungsaktion. Und das will etwas heißen!“

„Hast du im Falle Parker schon etwas feststellen können, Ferry?“

„Ja — die chemische Zusammensetzung des Betäubungsmittels, mit dem die Verbrecher gearbeitet haben. Sonst leider weiter noch nichts.“

*

Die große Maschine, die nach Paris abfliegen sollte, und in der auch Kommissar Holl einen Platz belegt hatte, stand startbereit. Kurz vor dem Abflug wurde einem Passagier ein Telegramm gebracht, woraufhin dieser an den Flugkapitän herantrat und sagte, daß er leider nicht mitfliegen könne. Mit hastigen Schritten entfernte er sich von der Maschine.

Wenige Minuten später erhob diese sich in die Luft. Niemand hatte darauf geachtet, daß ein von dem zurückgetretenen Passagier bereits abgegebener Koffer im Flugzeug blieb.

Mit brausenden Motoren erhob die Maschine sich in die Luft ...

*

Kommissar Lester hatte jeden der Gäste, die sich bei dem Herzog von Hampshire befanden, genau befragt. Alle gaben die gleiche Auskunft: Das Licht erlosch — dann griff jemand an ihren Hals, an ihre Arme oder auch in den Rock — — und fast gleichzeitig waren sie bewußtlos geworden.

Man hatte im Keller die Hauptsicherung ausgeschraubt.

Das aber war auch alles, was man feststellen konnte. Es gab keine Spur, keine Fingerabdrücke. Die Verbrecher mußten mit Gummihandschuhen gearbeitet haben.

Der Kommissar fragte, ob unter den Gästen auch solche gewesen seien, die man nicht genau kannte. „Nein!“ sagte der Herzog, „sie waren alle ehrenwerte Personen, die mir seit langem bekannt sind.“

Kein Hinweis, kein Anhaltspunkt konnte gefunden werden. Kommissar Lester war wütend. Er verzieh es den Gangstern nicht, daß sie ihm diesen Streich gespielt hatten. Wo sollte er forschen — wo weiter einhaken? Auch von den Bedienten des Herzogs konnte ihm keiner einen Fingerzeig geben. Das war zum Verzweifeln.

*

Kommissar Lester telefonierte mit Lebrun in Paris. „Ich habe Holl gesprochen“, erklärte er, „der Kollege wird morgen nach Paris fliegen, um sich mit uns über die zu ergreifenden Maßnahmen zu besprechen. Ich bot ihm die Führung an. Er erklärte sich einverstanden.“

„Sehr gut“, sagte Lebrun, „wir dürfen uns hier nicht verleiten lassen, durch kleinlichen Egoismus das große Ziel zu gefährden. Haben Sie inzwischen Spuren gefunden, Lester?“

„Leider nicht. — Und Sie?“

„Ich weiß lediglich, daß sich die Täter Robin nannten — wie sie aber bestimmt nicht heißen. Wahrscheinlich sind sie längst über alle Berge.“

„Das ist wohl anzunehmen. Wir haben es hier ja mit einer äußerst raffinierten Bande zu tun. Haben Sie übrigens schon von dem neuesten Fall in Rom gehört?“

„Ja. Eben kam hier die Nachricht durch. Einbruch in die staatliche Münzensammlung — sämtliche Goldstücke geraubt.“

„Unglaublich!“ erklärte Lester, „mit welcher Geschicklichkeit diese Bande ihre Aufgaben löst. Auch in Rom fand man wieder das mysteriöse M.“

„Ja, ja, Lester — wenn wir der Bande nicht schleunigst Herr werden, können wir einpacken — und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Diktatur der Gangster anzuerkennen.“

Lebrun hörte Lester lachen. „So weit darf es natürlich nicht kommen. Und deshalb müssen wir alles tun, um diese Halunken zur Strecke zu bringen.“

„Es wird nicht so leicht sein“, meinte Lebrun, „zumal es sich offenbar um eine internationale Riesenorganisation handelt. Die Leute sind glänzend für ihre Aufgaben vorbereitet — und auch kleine Geschäfte werden von ihnen besorgt.“

„Kleine Geschäfte? Wie meinen Sie das?“ fragte Lester interessiert.

„Hier hat sogar ein Taschenkrebs seinem Opfer ein M in die geleerte Tasche hineinpraktiziert.“

„Alle Wetter!“ — —

*

Wenn auch sonst niemand darauf geachtet hatte — dem Kommissar Holl war es doch aufgefallen, mit welch verlegener Miene sich der Mann, dem man das Telegramm überbrachte, von dem Flugzeug zurückzog. Auch hatte ihn ein Blick dieses Menschen getroffen, der auf den Kommissar einen spöttisch-triumphierenden Eindruck machte. Wenn man nicht gleich hätte abfliegen müssen, würde Holl dem Fremden gefolgt sein. So aber war er gezwungen, auf seinem bereits eingenommenen Platz zu verharren und mit den anderen Passagieren zusammen die Reise anzutreten.

In seinem Kopf aber arbeiteten die Gedanken. Warum hatte der andere ihn nur so merkwürdig angesehen und — ja zum Teufel! — war der nicht auch mit einem Koffer gekommen? Er blieb ohne Koffer zurück. Das Gepäckstück mußte sich also hier in der Maschine befinden.

Holl sprang auf. Man flog bereits über die offene See dahin. Ruhig und gleichmäßig brummend, verfolgte der riesige Vogel seine vorgeschriebene Bahn.

Der Kommissar wandte sich an den Flugkapitän. „Hören Sie“, sagte er, „ich vermute einen Anschlag auf ihre Maschine — und zwar meinetwegen. Der Herr, der im letzten Augenblick noch zurückblieb, hat seinen Koffer nicht wieder mitgenommen. Der muß sich also hier im Gepäckraum befinden.“

Der Kapitän schaute den berühmten Gast nicht eben sehr geistvoll an. Holl sah, wie die Züge des Fliegers einen Schein blasser wurden. „Glauben Sie wirklich, Herr Kommissar?“ stotterte er.

„Ja“, erwiderte Holl, „überlassen Sie es nur mir, den Gepäckraum zu untersuchen. Wenn, wie ich vermute, tatsächlich eine Höllenmaschine in dem betreffenden Koffer ist, werde ich ja wohl ein entsprechendes Ticken vernehmen. Im übrigen glaube ich kaum, daß die Explosion jetzt schon erfolgen wird.“

Der Kapitän erblaßte noch mehr. Höllenmaschine! Um Gottes willen! Aber wenn Holl das vermutete, mußte schon etwas dran sein. „Ja, ja!“ sagte der Flieger hastig, „gehen Sie nur, sehen Sie genau nach — und beeilen Sie sich!“

Holl nickte ihm lächelnd zu und ging. Natürlich ist es kein angenehmes Gefühl zu wissen, daß man jeden Augenblick stückweise in die Luft fliegen kann. Der Kommissar aber hatte schon oft genug in ähnlichen Situationen gestanden, als daß er sich seinerseits noch besonders aufgeregt hätte.

Eines nach dem anderen nahm er sich die Gepäckstücke vor, legte sein Ohr an die Wandungen und lauschte. Da — wirklich! — aus einem mittelgroßen Stück, so wie es der Fremde in seiner Hand gehalten hatte, konnte Holl deutlich ein regelmäßiges Ticken vernehmen.

Er überlegte. Den Koffer öffnen und nachsehen. Hm. das dürfte wohl doch zu gefährlich sein.

Wenn er sich aber irrte — und es handelte sich nur um eine harmlose Uhr, die in dem Koffer weiterlief?

Holl trat, den Koffer hochhebend, in die Kabine und fragte mit lauter Stimme, ob jemandem von den anderen Passagieren dieser Koffer gehöre.

Nein!

Im nächsten Augenblick schleuderte der Kommissar den Koffer durch ein geöffnetes Fenster in die Tiefe hinunter. Das Gepäckstück hatte noch nicht den Wasserspiegel erreicht, als man es auseinanderbersten und unter Entwicklung einer gewaltigen schwarzen Rauchwolke sich in Atome auflösen sah.

Verschiedene Passagiere starrten entsetzt hinunter.

Holl gab eine kurze Erklärung ab. „Gerade noch in der letzten Minute!“ bemerkte er. „Wäre der Koffer hier explodiert, dann würden wir alle da unten gelandet sein!“

Die Leute schüttelten sich nachträglich noch bei dem Gedanken, welcher entsetzlichen Katastrophe sie eben, dank der Aufmerksamkeit und Umsicht des berühmten Kommissars, entgangen waren.

Holl lehnte ihre tausendfältigen Lobsprüche und Danksagungen bescheiden lächelnd ab.

*

Der Architekt Pierre Meunier, der in der Avenue Viktor Hugo zu Paris eine elegante Villa bewohnte, schien nicht allzu beschäftigt zu sein. Jedenfalls sah man nur selten jemanden zu ihm kommen. Trotzdem führte er mit seiner Frau ein kostspieliges und luxuriöses Leben.

Eben hatte er auf geheimer Welle Sprechverbindung mit New York hergestellt. Charles meldete sich: „Höre, Pierre“, sagte Charles, „du mußt ganz besondere Maßnahmen treffen. Darüber, daß Kommissar Holl mit Lebrun und Lester in Paris eine Konferenz abhalten will, dürftest du bereits unterrichtet sein.“

„Allerdings“, erwiderte Meunier, „aber ich denke, Holl sollte — —? Er ist tatsächlich hier eingetroffen.“

„Ja, ja“, sagte Charles nervös, „eine schöne, Schweinerei! Die Sache hat irgendwie nicht geklappt, weiß der Teufel. Holl scheint gegen Attentate tatsächlich immun zu sein. Dabei hatte Harry mir hoch und heilig versichert — na ja, das ist nun nicht mehr zu ändern. Es liegt jetzt an dir, die drei Kommissare möglichst gleich alle zusammen dort in die Luft gehen zu lassen. Jedenfalls hat es der Chef befohlen — und Handlanger stehen dir ja genug zur Verfügung, die das ausführen können. Dieses verfluchte Dreigestirn muß auf alle Fälle beseitigt werden, sonst haben wir keine ruhigen Tage mehr. Wie du das machst, das ist deine Sache.“

„Du bist gut, Charles!“ entgegnete Meunier ärgerlich, „das ist meine Sache! — Na ja. Werde sehen, was sich machen läßt.“

„Ist Markmann aus Berlin schon bei dir gewesen?“

„Nein. Doch ich erwarte ihn stündlich. — Bastini aus Rom ist gestern hier eingetroffen. Ich habe ihn bei Gaston untergebracht. Die Goldmünzen hat er schon abgeliefert.“

„Sehr schön. Also schau mal zu, wie du die Sache drehst. Lebe wohl, Pierre!“

*

Um zehn Uhr meldete sich Kommissar Holl bei der Sureté. Er wurde sofort zu Lebrun geführt. Der Franzose streckte ihm freudig die Hand entgegen: „Schön, daß Sie schon da sind, Holl!“ sagte er, „ist der Flug gut verlaufen?“

Holl lächelte: „Wie man’s nimmt. Ohne einen kleinen Zwischenfall ging es jedenfalls nicht ab. Er berichtete kurz von dem Attentat, als wäre das nur eine ganz harmlose Sache gewesen.

„Donnerwetter ja!“ brummte Lebrun, „dann wußte also die Bande schon wieder genau Bescheid!“

„Leider“, erwiderte Holl, „wissen die manchmal rascher und besser Bescheid, als wir selbst. Sie müssen ein vorzügliches Nachrichtennetz und glänzende Spitzel haben; ich vermute sogar, in unseren eigenen Reihen. — Doch wo ist Lester?“

„Er muß gleich kommen. Vor einer Stunde rief er mich aus Le Bourget an.“

„Am besten“, erklärte Holl, „werden wir unsere Besprechungen hier in Ihren Räumen abhalten. Ich bin überzeugt, daß die M-Bande auch davon schon weiß.“

„Ja — das ist anzunehmen“, erwiderte Lebrun mit gefurchter Stirn, während er dem Kollegen eine Zigarette anbot, „und es würde für sie ein gefundenes Fressen sein, wenn sie uns gleich alle drei miteinander in ein besseres Jenseits befördern könnten. — Sind Sie direkt zu mir gekommen, Holl, oder sind Sie schon irgendwo abgestiegen?“

„Nein. Ich kam direkt vom Flugplatz aus her.“

„Warum hatten Sie mir Ihre Ankunft nicht mitgeteilt? Ich hätte Sie selbstverständlich von Le Bourget abholen lassen.“

„Ich hielt es für besser“, entgegnete Holl, „Ihnen keine Nachricht zu geben, da ja doch alles von den Halunken irgendwie mitgehört oder sonst auf eine geheimnisvolle Weise ausspioniert wird.“

„Und hier hatten Sie keine Schwierigkeiten?“

„Durchaus nicht. Ich nahm mir ein Taxi und fuhr hierher.“

„Selbstverständlich sind Sie mein Gast, solange Sie in Paris weilen. — Ah! Da kommt Lester!“

Der Engländer trat in den Raum und begrüßte die beiden Kollegen mit gemessener Herzlichkeit. Nachdem Lebrun seinen Gästen eine Erfrischung hatte reichen lassen, setzte man sich sogleich zu einer ersten Besprechung zusammen.

*

‚Chat noir‘ (‚Schwarze Katze‘) hieß das Verbrecherlokal, wo Pierre sich in einer Verkleidung einfand. Der sonst vornehm aussehende Architekt glich einem Apachen. Selbst wer ihn gut kannte, würde ihn in der Aufmachung niemals vermutet haben.

Ein schlank gewachsenes, glutäugiges Mädchen, herausfordernd lächelnd die prachtvollen Zähne zeigend, setzte sich unaufgefordert zu ihm an den Tisch. „Nun, Chéri — sieht man dich auch mal wieder? Bestimmt hast du einen Auftrag für Jaques!?“

Pierre faßte sie unter’s Kinn. „Erraten Jeanette — und da er dein Liebster ist, wirst du mir wohl sagen können, wo ich ihn finde.“

„Wenn du mir einen Schnaps spendierst!“ sagte Jeanette grinsend und schlug die schlanken Beine aufreizend übereinander.

„Nur einen Schnaps?“ erwiderte Pierre mit einer komischen Geste, „seit wann so bescheiden, Jeanette? Was du willst, sollst du haben; aber nun rede schon!“

„Spätestens in einer Viertelstunde kommt Jaques hierher.“

„Ausgezeichnet. Und Jules — sein Bruder?“

„Der vielleicht auch. Was hast du für sie?“

„Ach — nur eine Kleinigkeit. Aber das brauchst du nicht gleich zu wissen.“

„Soll wieder jemand umgelegt werden?“

„Du bist verdammt hübsch, Jeanette!“

„Ich frage dich, ob jemand umgelegt werden soll?“

Pierre hob das Glas, das der bedienende Neger eben vor ihn hingestellt hatte, trank einen Schluck und sagte: „Vielleicht.“

Jeanette zündete sich eine Zigarette an, die sie in eine lange silberne Spitze geschoben hatte. „Jaques wird dich zufrieden stellen“, versicherte sie, „vorausgesetzt, daß es sich für ihn lohnt.“

„Daran wirst du doch wohl nicht zweifeln! Oder hat M sich schon einmal lumpen lassen?“

Die Tür wurde aufgestoßen und Jaques trat herein. Während Jeanette weggeschickt wurde, hatte Pierre im Flüsterton eine lange Besprechung mit ihm. Sie endete damit, daß Jaques eine bestimmte Abmachung mit kräftigem Handschlag besiegelte.

*

„Einen Augenblick!“ sagte Holl, als man sich gerade zur Besprechung hingesetzt hatte — und er erhob sich wieder — „haben Sie einen Schraubenzieher zur Hand, Lebrun?“

Die beiden anderen starrten ihn höchst verwundert an. „Ja — wieso?“

„Ich möchte, bevor wir beginnen, Ihren Telefonapparat untersuchen. Es kommen bisweilen die seltsamsten Dinge vor.“

Lebrun kramte das gewünschte Werkzeug aus einem Kasten. „Hier, bitte, Holl — aber — ich verstehe nicht recht —“

Schon begann Holl den Apparat auseinanderzuschrauben. Kaum war die äußere Hülle entfernt, als er die beiden anderen lebhaft zu sich heranwinkte. „Ha! Da haben wir’s schon! Hier — überzeugen Sie sich: ein winziges, aber höchst empfindliches Mikrofon, das absolut nicht zu dieser Apparatur gehört.“

„Wie bitte?“ stotterte Lebrun, „ein Mikrofon?“

„Jawohl — mit Hilfe dessen alles, was hier in diesem Zimmer gesprochen wird, wunderbar irgendwo mitgehört werden kann. — Lassen Sie bitte sofort Ihren Elektriker kommen, Lebrun!“

Der Franzose war außer sich. „Donnerwetter ja!“ stammelte er, „aber wie ist das nur möglich? Und wie sind Sie darauf gekommen, Holl?“

„Weil ich das gleiche bei mir in New York auch schon einmal erlebt habe“, erwiderte Holl ruhig; „das Mikrofon, das ich jetzt hier herauslöse, ist übrigens, wie ich sehe, genau das gleiche Fabrikat.“

Jetzt beugte sich auch Lester näher vor. „Vielleicht irren Sie sich aber auch, Kollege Holl“, meinte er, „und diese kleine Dose gehört da hinein.“

„Wenn sie hineingehörte, könnte man jetzt nach ihrer Entfernung natürlich nicht mehr telefonieren“, entgegnete Holl, „aber Sie werden sich überzeugen — bitte!“

Lebrun wählte eine bestimmte Nummer. Sofort meldete sich die angerufene Stelle. „Schicken Sie mir den Elektriker!“ sagte Lebrun.

Lester war sprachlos. Lebrun lief aufgeregt hin und her. „Teufel ja“, brummte er, „wie sollte man auch auf diesen Gedanken kommen!“

Holl lächelte und wog das ausgebaute Mikrofon spielerisch in der Hand. „Ja, ja“, erwiderte er, „heutzutage muß man auf alles gefaßt sein.“

Der Elektriker kam und bestätigte Holls Verdacht. Holl sagte: „Natürlich muß Ihre Leitung auch noch irgendwo anders angezapft sein, Lebrun. Der Elektriker wird das jetzt untersuchen, während wir uns nun unbesorgt unserer Besprechung hingeben können.“

Es war nicht zu verkennen, daß die beiden Kollegen Holl mit ganz besonderer Achtung betrachteten.

*

Pierre saß in seinem Geheimbüro, das nur durch eine Tapetentür zu erreichen war. Vor ihm auf einem langen Tisch standen verschiedene Apparate, darunter auch ein Kurzwellensender. In diesem Raum liefen alle Fäden zusammen, die er straff in der Hand hielt. Hier kombinierte und disponierte er — von hier aus gab er all seine Weisungen, und hier erfuhr er auch alles, was draußen vor sich ging.

Die Unterwelt war durch Harry mobilgemacht, der nun seinerseits alle Vorbereitungen traf, um das vom Chef befohlene Ziel zu erreichen.

Eben meldete sich eine rauhe Stimme: „Hallo, Pierre! Ich kann dich mit Lebrun nicht mehr verbinden.“

„Was heißt das?“ fragte Pierre betroffen.

„Du kannst ihn nicht mehr belauschen. Das Mikrofon in seinem Apparat ist entdeckt und ausgebaut worden.“

„Verdammt! Gerade jetzt — und wie ist man darauf gekommen?“

„Kommissar Holl hat es ausgeschnüffelt.“

„Ha! Dieser Holl ist ein Teufel! Er muß zur Hölle fahren. Hoffen wir, daß heute der letzte Tag ist, an dem er noch lebt. Und wenn nicht heute, dann morgen. Ich denke doch, daß Harry es schaffen wird.“

„Lebruns Wohnung wird schon von uns beschattet, und auch den drei Kommissaren werden wir stets auf den Fersen sein.“

„Hat Harry schon einen bestimmten Plan?“

„Nein. Er hält nichts von Plänen. Aber bei einer guten Gelegenheit schlägt er zu.“

*

Holl steckte sich eine Zigarre an und hielt auch seinen Kollegen die Tasche hin. Aber Lester zog seine eigene geliebte ‚Corona spezial‘ vor, und Lebrun rauchte nur Zigaretten, soweit er sich nicht seiner Pfeife bediente.

„Ja, meine Herren“, begann Holl die Sitzung, „es dürfte auch Ihnen klar sein, daß wir es hier mit einer ganz gefährlichen internationalen Bande zu tun haben — um nicht zu sagen: mit einem Verbrecher-Geheimbund, etwa nach der Art der in New York heimischen chinesischen Tongs, von denen Sie gewiß auch schon gehört haben, und mit denen ich mich oft genug herumschlagen muß. Oder denken wir an die berühmte, beziehungsweise berüchtigte Mafia auf Sizilien. Auf jeden Fall ist es eine straffe Organisation, die von einem höchst genialen Gangster geleitet wird. Ihre führenden Köpfe sind sehr wahrscheinlich in den sogenannten besseren Kreisen zu suchen, in denen sie zweifellos zahlreiche Mitglieder haben. Das Ausmaß des Ganzen ist mir noch nicht recht klar — doch es muß nach den letzten Erfahrungen, die wir machten, ungeheuerlich sein.“

Lester wandte ihm ruckweise seinen Kopf zu, trommelte auf den Tisch und erwiderte: „Ja, Holl — ich habe denselben Eindruck gewonnen. Zur Bestätigung dessen, was Sie eben aussprachen, kann ich den Herren etwas höchst Interessantes berichten. Die Vorgänge, die sich in London auf der Gesellschaft des Herzogs von Hampshire abgespielt haben, sind Ihnen ja wohl bereits in allen Einzelheiten bekannt?“

„Ja!“ nickte Lebrun und strich sich über das scharfe Kinn. Auch Holl erklärte, genau unterrichtet zu sein.

„Als das Licht wieder aufflammte“, fuhr der Engländer fort, „waren sechs von den illustren Gästen verschwunden. Nach mühevoller Kleinarbeit habe ich deren Namen endlich feststellen können, und gerade diese Leute habe ich später persönlich noch einmal als Zeugen vernommen. Dabei bemerkte ich, wie einer von ihnen immer verlegener und unsicherer wurde. Es handelte sich um einen bekannten Dozenten der Universität. Er verwickelte sich in Widersprüche, und zwar in einer so belastenden Weise, daß ich a tempo eine Haussuchung anordnen konnte, die auch durchgeführt wurde. Und was kam zutage? Eine mit Brillanten besetzte goldene Uhr, die einem der anderen Gäste gestohlen wurde.“

„Donnerwetter ja!“ entfuhr es Holl, „und was geschah weiter?“

„Der Betreffende behauptete steif und fest, diese Uhr müßte ihm jemand anders in die Tasche gesteckt haben. Er sei doch kein Dieb — und es wäre schon eine schwere Beleidigung, ihm so etwas zuzumuten. Daraufhin fragte ich ihn, warum er den Fund denn nicht sofort angezeigt und versucht habe, die wertvolle Uhr ihrem Besitzer zurückzuerstatten. Da kam er mir mit der dummen Entschuldigung, er habe ja nicht gewußt, wem sie gehöre. Außerdem habe er gerade zum Yard kommen wollen, um sie dort abzugeben. Immerhin war erst ein Tag vergangen, und ich konnte ihm das Gegenteil nicht beweisen. Aber ich bin überzeugt, daß er irgendwie an der Räuberei mitbeteiligt war.“

„Ein Dozent?“ fragte Lebrun.

„Ja, ein Dozent.“

„Und die anderen fünf?“

„Denen war leider nicht beizukommen. Sie behaupteten alle, in ihrem Schrecken und ihrer Verwirrung kopflos das Haus verlassen zu haben. Es waren zwei Ehepaare und ein lediger Fabrikant.“

„Merkwürdig — merkwürdig!“ sagte Holl, seine Zigarre abstreifend, „Sie ließen den Dozenten auf freiem Fuß?“