Der Fall Andreas - Hans Heidsieck - E-Book

Der Fall Andreas E-Book

Hans Heidsieck

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Beschreibung

In der Bücherei herrscht ungewohnter Andrang: Jeder Kunde will unbedingt als Erster das Buch "Der Fall Andreas" lesen. Denn der neue Krimi beruht nicht nur auf Tatsachen, der Mörder Andreas soll sogar Kunde der Bibliothek gewesen sein. Dabei fing der Fall in Wirklichkeit zunächst mit dem Tod des Ziegeleibesitzers Andreas an, der bei einem Autounfall völlig verbrannte. Doch der Kommissar der Secura-Versicherung hat Bedenken, die Lebensversicherung der völlig verstörten Witwe sofort auszuzahlen. Denn erstaunlicherweise ist sein Kollege Feldmann, der die Lebensversicherung abschloss, plötzlich verschwunden. Für Kommissar Kirchner klingt der Brief, mit dem sich Feldmann bei seiner Vermieterin abmeldet, irgendwie komisch. Angeblich wollte er eine Erbschaft in Amerika antreten. Bei seinen Nachforschungen findet Kirchner heraus, dass die Ziegelei schwer verschuldet ist. Als auch eine weitere gefälschte Unterschrift auftaucht und Kirchner erfährt, dass Feldmann und Andreas sich gekannt haben, lässt er die angebliche Leiche Andreas' exhumieren. Und tatsächlich hatte der Kommissar von Anfang an den richtigen Riecher: der Tote ist sein Kollege Feldmann. Mit Intelligenz und Verbissenheit macht sich der Detektiv auf die Suche nach dem Mörder: eine spannende Verfolgungsjagd beginnt.-

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Hans Heidsieck

Der Fall Andreas

Saga

Der Fall Andreas

German

© 1952 Hans Heidsieck

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508701

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Das blasse Fräulein in der Leihbücherei kann kaum den Andrang bewältigen.

„Den ‚Fall Andreas‘, bitte!“ — „Mir auch!“ — „Nein, mir, ich war zuerst da!“ schwirrt es wirr durcheinander.

„Sofort, gnädige Frau — ich muß erst — —“

„Sie müssen gar nichts! Geben Sie mir das Buch!“

„Ich will es auch haben!“ schreit eine hagere Dame mit einem Lorgnon dazwischen.

„Ja — Sie bekommen es alle. Wir haben zehn Exemplare neu eingestellt. Sie sind eben gekommen. Die Nachfrage ist so enorm — —“

„Sagen Sie, ist es wahr, daß die Handlung des Buches auf Wahrheit beruht? Mir wurde sogar gesagt, Ihr Chef soll — — —“

„Natürlich!“ wirft eine andere Kundin dazwischen, „Herr Grau ist mit dem Ermordeten gut befreundet gewesen.“

„Machen Sie schneller, Fräulein, wenn ich schon bitten darf!“

„Und der Mörder soll hier bei Ihnen gelesen haben?“

Das Fräulein nickt. „Ja, das stimmt schon.“

„Natürlich nur Kriminalromane!“ meint ein schmächtiges Männchen und schauert zusammen.

Zwei neue Kunden betreten die Bücherei. „Den Fall Andreas, Fräulein!“

„Sagen Sie mal“, meint ein älterer Herr mit ergrautem Haar, „die Handlung spielt in einem Kapitel sogar hier in diesem Geschäft, wie ich hörte?“

Das kleine, schwindsüchtig aussehende Fräulein kommt sich sehr wichtig vor. „Allerdings, Herr Schreiber!“ sagt es und hustet trocken.

Plötzlich erscheint Herr Grau, der Inhaber selber. Er wird mit Fragen bestürmt. Seine klugen, lebhaften Augen leuchten. „Lesen Sie, meine Herrschaften, lesen Sie! Alles ist in diesem Buche beschrieben, bis zur Verhaftung. Das Urteil kennen Sie ja aus der Zeitung. Heute sollte die Hinrichtung sein.“

„Ach, — Verzeihung —“, mischt sich Herr Schreiber ein, „ich habe da eine besondere Bitte — vielleicht etwas spleenig, aber bei mir spricht sehr die Umgebung mit. Sie haben dort ein Büro — — ich will Ihnen gerne die Licht- und Heizungskosten bezahlen. Erfüllen Sie meine Bitte und lassen Sie mich das Buch gleich hier lesen!“

„Gewiß doch“, erwidert Herr Grau mit einer höflichen Neigung des Kopfes, „Sie können sofort beginnen. Stört Sie das Radio?“

„Nein, durchaus nicht. So leise wie jetzt eingestellt, regt die Musik geradezu an bei solcher Lektüre.“

Herr Grau hat den Kunden in das Hinterzimmer geführt. Er rückt einen Stuhl zurecht, stellt ihm die Lampe auf. Der Herr beginnt unverzüglich zu lesen:

Der Fall Andreas.

Es klingelt. Frau Martha Behnke, Zimmervermieterin ihres Zeichens, schlurft an die Tür. Schaut mißtrauisch durch das Guckloch. „Wer ist da?“

Ein Herr steht draußen. Sie kann das Gesicht nicht erkennen.

Die Schwarzwälder Uhr mit dem Kuckuck schlägt gerade acht. So früh kommt sonst niemand. Sie ist auch noch gar nicht recht angezogen. Was wollte der Fremde da draußen?

Da tönt eine freundliche Baßstimme: „Öffnen Sie bitte, Frau Behnke. Ich möchte Sie sprechen. Es handelt sich um Herrn Feldmann.“

Die Stimme klingt wirklich vertrauenerweckend. Und wenn es Herrn Feldmann betraf — da war sie ganz voller Spannung.

Sie öffnet also. Der Herr tritt ein. Es ist eine große, stattliche, sportlich gestählte Erscheinung. Ein Mann in den Dreißigern, tadellos angezogen. Unter der auffallend hohen Stirn blicken zwei schwarze Augen, als ob sie alles betasten wollten. Ein Zug um den Mund, der ein wenig von Spottsucht spricht, verrät gleichzeitig äußerste Energie. Die Ebenmäßigkeit seiner Züge wird nur wenig durch die Backenknochen gestört, die etwas zu scharf in Erscheinung treten.

„Gestatten Sie, daß ich mich erst einmal vorstelle“, sagt der Herr mit der wohltönend vollen Stimme, „mein Name ist Kirchner, Inspektor Kirchner von der Secura-Versicherung.“

„Ah — sehr erfreut —“ sagt Frau Behnke und wischt sich, bevor sie Herrn Kirchner die Hand reicht, an einer schmutzigen Schürze die Finger ab, „treten Sie näher! Sie müssen entschuldigen, daß ich vorhin erst so mißtrauisch fragte. Es hat seine Gründe. Man kann sich jetzt gar nicht mehr sicher fühlen. Vorgestern hat man bei Schulzens erst eingebrochen. Die wohnen hier gegenüber. Und dann überhaupt — seit Herr Feldmann so plötzlich verschwunden ist — —“

„Ja, Feldmann — — wie war das denn eigentlich?“ schneidet Herr Kirchner den Wortschwall der Alten ab, „gerade das möchte ich wissen.“

Frau Behnke rückt eine Photographie zurecht, die auf dem Tisch steht. Ein Goldzahn leuchtet protzig aus ihrem Mund. Die Unterlippe hängt lappenförmig über das Doppelkinn. In den kleinen, zusammengekniffenen Augen zeigt sich ein Blinzeln, das Klugheit und Pfiffigkeit vortäuschen möchte.

„Die Sache erscheint mir geheimnisvoll!“ meint sie. „Herr Feldmann ist immer ein ruhiger, freundlicher Herr gewesen. Er machte nie Schwierigkeiten. Wir waren — ich kann wohl sagen: wir waren gewissermaßen befreundet. Oft saßen wir plaudernd zusammen — in allen Ehren natürlich — und er erzählte von seiner Tochter, die seit dem Tode der Frau bei seinem Bruder —“

„Frau Behnke — entschuldigen Sie — meine Zeit ist nur kurz bemessen. Wir wollen zur Sache kommen. Es handelt sich schließlich doch darum, daß Feldmann verschwunden ist.“

„Ja, verschwunden. Das ist wohl der richtige Ausdruck. Spurlos verschwunden. Das heißt, er hat mir da etwas aufgeschrieben —“

„Das interessiert mich. Was schrieb er?“

„Bitte, Sie können den Zettel lesen.“ Sie kramt in der Schürzentasche. „Hier ist er.“

Kirchner betrachtet das fettige Stück Papier. Hastig liest er:

„Verehrte Frau Behnke!

Ich muß leider plötzlich verreisen und gebe noch weitere Nachricht. Die Sachen heben Sie bitte auf. Mit bestem Gruß

Günther Feldmann.“

Frau Behnke rückt unruhig hin und her. „Er ist“, sagt sie stockend mit einer Stimme, die nahe ans Weinen kommt, „eigentlich ist er doch niemals davongegangen, ohne mir regelrecht Lebewohl zu sagen. Und nun auf einmal — bei Nacht und Nebel — da stehe ich morgens auf — — und der Mann ist verschwunden. Das geht mir zu hoch, Herr Inspektor!“

Kirchner zieht bedächtig ein Zigarettenetui aus der Tasche. „Darf ich hier rauchen?“

„Gewiß, ja — natürlich. Hier steht auch ein Aschenbecher.“

„Ich danke verbindlich. Tja — also — — Sie wissen, daß Feldmann für unsere Lebensversicherung tätig war?“

„Als Agent. Ja, natürlich. Er war immer äußerst gewissenhaft.“

„Nun kam da das furchtbare Autounglück, bei dem der Herr Ziegeleibesitzer Andreas verbrannt ist. Wir wollten gern Näheres wissen. Herr Feldmann hatte Andreas bei uns versichert. Wir schrieben also an Feldmann. Die Post kommt zurück — was soll man da denken?“

„Ich habe für alle Fälle die Post zurückgehen lassen, wenigstens, was die eingeschriebenen Briefe betrifft.“

„Das war sehr vernünftig, Frau Behnke. Sonst hätten wir gar nicht erfahren — — was denken Sie eigentlich über die Sache? Vor allem: hat Feldmann vor seiner so plötzlichen Abreise irgendwie wichtige Post erhalten?“

„Das weiß ich nicht. Einmal — das war wohl so zwei Tage vorher, erhielt er noch einen eingeschriebenen Brief — ich glaube aus Leipzig.“

„Von wem? Das können Sie mir wohl nicht sagen?!“

„Das weiß ich nicht.“

„Na — vielleicht wird er ebenso plötzlich, wie er verschwunden ist, wieder erscheinen. Wir brauchen uns wohl nicht so aufzuregen. Er mußte schon triftige Gründe haben.“

„Gestatten Sie eine Frage — das heißt — — ich meine ja nur — man kommt auf die sonderbarsten Gedanken — — er hat doch nichts ausgefressen?“

Inspektor Kirchner lacht herzlich auf: „Nein, Frau Behnke, da können Sie ruhig sein. Feldmann ist immerhin schon zehn Jahre lang bei uns tätig gewesen, der steht wie ein Turm da. Bei diesem Gedanken kann ich nur lachen. — Entschuldigen Sie, — aber nun muß ich doch gehen. Es gibt noch mehr für mich zu erledigen.“

Um neun läßt sich Kirchner auf dem Polizeipräsidium melden. Kommissar Lippmann, ein kleines, gedrungenes Männchen mit klugen Augen, empfängt ihn.

„Ich bitte sehr, nehmen Sie Platz, Herr Inspektor! Sie kommen wohl in der Sache Andreas?“

„Ganz richtig.“

„Wir hatten darüber ja korrespondiert. Die Angelegenheit geht in Ordnung.“

„Es ist eine Formsache, daß ich noch komme, Herr Kommissar — das heißt, die Gesellschaft — Sie werden verstehen — — wenn es sich um hunderttausend Mark handelt, ist Vorsicht geboten!“

Der Kommissar nickt seinem Besucher zu. „Ja, natürlich. Das ist doch kein Pappenstiel. Aber Sie können beruhigt sein. Alles wurde gewissenhaft untersucht.“

„Ein Selbstmord ist ausgeschlossen?“

„Wir haben nicht den geringsten Anhalt gefunden. Im Gegenteil, alles wies deutlich und klar auf den Unfall hin.“

Kirchners Blick ist ein wenig fragend auf Lippmann gerichtet. „Andreas ist also im Wagen verbrannt, wie uns mitgeteilt wurde. — Konnte er sich denn nicht retten?“

„Wir hatten uns auch gewundert, doch schienen sich mehrere mißliche Umstände gegen den Ärmsten verschworen zu haben.“

„Es handelte sich um einen geschlossenen Wagen?“

„Jawohl. Unvorsichtigerweise hatte Andreas dicht neben dem Führersitz eine Kanne Benzin stehen. Die vordere Scheibe war offen. Bei dem Vergaserbrand schlug eine Stichflamme in den Benzintank, der explodierte, die Flamme griff rasend schnell um sich. Dann ist auch die Kanne in Brand geraten, Andreas verbrannte.“

„Das alles ist protokollarisch festgelegt worden?“

„Natürlich. Wir sandten die Abschrift des Protokolls. Übrigens — warum schickten Sie niemand, der bei der Untersuchung zugegen sein konnte?“

„Ich hatte sofort an Herrn Feldmann, der diesen Bezirk hier bearbeitet und früher bei uns schon als Rechercheur tätig war, telegrafiert und geschrieben. Ein unglückseliger Zufall indessen machte mir einen Strich durch die Rechnung. Wir dachten, daß Feldmann berichten werde, — bis plötzlich die Nachricht kam, daß er verreist sei. Ich habe mich daraufhin — allerdings sehr verspätet — selbst auf den Weg gemacht. Übrigens sind wir Kollegen.“

„Sie arbeiten also im Kriminaldienst, wenn ich Sie recht verstehe?“

„Ganz richtig. Ich muß alle Fälle prüfen. Sie werden begreifen, warum ich Sie heute belästigt habe. Nun bleibt mir kein Zweifel, daß alles in Ordnung geht. Nur eine Frage noch, wenn ich bitten darf: Herr Andreas war Ziegeleibesitzer. Hatte er — was das Geschäftliche angeht — größere Schwierigkeiten?“

„Auch diese Frage prüften wir gründlich. Sein Unternehmen steht aber — gerade für heutige Zeiten — immer noch gut da. Natürlich war auch Andreas nicht gerade auf Rosen gebettet. Doch Schwierigkeiten bestanden nicht.“

„Und der Ruf des Mannes?“

„War ohne Makel.“

„Ich danke Ihnen, Kollege. Ich werde nachher zu der Witwe gehen.“

„Ja, tun Sie das. Diese Frau kann mir leid tun.“

„Sind Kinder vorhanden?“

„Nur eine Tochter. Sie ist jetzt neunzehn. — Na, wenn die Frau erst das Geld bekommt, bleibt sie ja vor dem Schlimmsten bewahrt!“

„Ich werde ihr heute schon eine Teilsumme geben. Der Rest geht ihr später nach meinem Bericht von unserer Direktion zu.“

„Natürlich — der heilige Bürokratius muß doch nun auch noch auf seine Kosten kommen.“

Kirchner empfiehlt sich mit einem verbindlichen Lächeln.

*

Herr Neumann, Mitinhaber des Bankhauses Neumann & Co. in der Zentralstadt, das sich vorwiegend mit größeren, allerdings nicht stets einwandfreien Kreditgeschäften befaßt, wiegt sich, die Hände reibend, in seinem eleganten Mercedeswagen. Der Schofför hat Befehl, nach der Vorstadt zu fahren, Sternstraße 24. Dort wohnt die Witwe des Ziegeleibesitzers Andreas, mit der er sehr wichtige Dinge zu regeln hat.

Die Angelegenheit, die jetzt zum Abschluß kommt, fußt auf einer Beleihung, die vor drei Jahren getätigt wurde. Er, Neumann, war damals mit seinem Bruder Kurt scharf aneinandergeraten. Ihm kam diese Sache ein wenig riskant vor, — doch Kurt hatte, alle Beredsamkeit aufbietend, zugeraten. Es handelte sich um den Wunsch des in Not geratenen Herrn Andreas, ihm einen Kredit von zwölftausend Mark zu gewähren, mit dem er die etwas herabgewirtschaftete Ziegelei wieder flott machen wollte.

Herr Moritz Neumann entsinnt sich noch heute genau der Verhandlungen, wie er mit Kurt aneinanderkam. Dieser meinte:

„Die Ziegelei ist noch immer den zehnfachen Preis wert. Wir machen die Sache und werden das ganze Werk an uns reißen. Andreas — natürlich, der muß sich an seinen Zinsen verbluten. Mit Damnum und Risikoprämie und was drum und dran hängt, knöpfen wir ihm zirka zwanzig Prozent ab. Das kann er gar nicht herauswirtschaften, und wenn er sich noch so sehr anstrengt.“

„Wenn er uns aber anzeigt?“ warf Moritz ein. Kurt fuchtelte mit beiden Armen vor seinem Gesicht herum. „Anzeigt? Na, laß ihn doch! Kann er uns etwas wollen? Die Zinsen, die offiziell im Vertrag stehen — was willst du? Laß mich nur machen!“

„Wir richten den Mann ja zu Grunde!“

„Na wenn schon — verdient er es anders? Er braucht nicht so üppig zu leben! Zwei Autos — und jedes Jahr große Reisen — — bei den paar Steinen!“

„Verzeih — aber du sagtest doch eben noch — —“

„Was sagte ich? Quatsch nicht immer dazwischen! Schalte mal deine verdammte Moral aus! Andreas darf für uns gar kein Mensch sein; er ist ein Objekt. Weiter nichts. Eine Spekulation. Damit basta.“

Kurzum, das Geschäft ist zustande gekommen. Im Hintergrunde stand lockend die Ziegelei. Es war zu erwarten, daß sie doch über kurz oder lang zur Versteigerung kommen würde. Dann konnte man sie für ein Butterbrot haben. Das war erst das große Geschäft dabei!

Kurt schien auch recht zu behalten. Die Zinsenzahlungen kamen ins Stocken. Ein Ultimatum wurde an Herrn Andreas gesandt. Die Hypothek war verfallen. Bis zum bestimmten Termin waren das Kapital und die aufgelaufenen Zinsen zu zahlen. Sonst kam die Versteigerung unerbittlich.

Der Umstand, daß Herr Andreas plötzlich verunglückt war, steigerte Neumanns Erwartungen um ein Erhebliches. Sicherlich konnte die Witwe, dem Nichts gegenüber, sich gar nicht helfen. Die Ziegelei wuchs vor Neumanns Augen zu einem Götzen, vor dem er anbetend niederkniete.

Heute ist also der große Tag, der Tag der Entscheidung. Nur schade, daß Kurt jetzt nicht mitfahren konnte. Der Bruder war abgehalten. Man hatte ein neues Opfer gefunden. Ein Seifenfabrikant mußte eingeseift werden. Das konnte der Bruder am besten. Moritz war dazu ausersehen, der „Ziegeleiwitwe“ den Strick um den Hals zu drehen.

Die Villen der Vorstadt gleiten vorüber, still und vornehm in ihre Gärten zurückgezogen. Sie nehmen keine Notiz von Herrn Neumann und blinzeln mit abgeblendeten Fenstern der Sonne zu.

Kinder spielen um einen Brunnen. Sie schürfen Sand in das Becken und jubeln laut.

Irgendwo schießt ein erregter Hund auf das Auto zu. Doch kommt er zu spät, schon ist es vorüber. Dort steht die Villa Andreas. Ein stolzer Bau, mit einem sehr hohen und steilen Dach und einer gedeckten Terrasse, die Stufen zum Garten hat.

Herr Moritz Neumann bewegt sich dem Tore zu. Es ist ein herrliches, schmiedeeisernes Gitter, ein Filigranwerk von hoher Kunst, außerordentlich unmodern, — aber vielleicht gerade deshalb so vornehm wirkend.

Ein Mädchen öffnet. „Sie wünschen?“

Herr Neumann macht eine Bewegung, als ob er alles hinter ihm Liegende abstreifen müsse. Dann sagt er mit einer Stimme, die imponieren soll:

„Melden Sie bitte der gnädigen Frau: Herr Neumann wünscht sie zu sprechen!“

Das Mädchen betrachtet ihn mißtrauisch wie einen Bettler. Herablassend sagt es, er möchte doch näher treten. Dann wird er in einen Salon geführt. Hier fällt ihm sofort eine große Vitrine mit venezianischem Glas auf. Die war ihm schon einmal — vor Jahren — ins Auge gesprungen. Plötzlich knirscht eine Tür wie ein bellendes Hündchen. Er fährt zusammen, als habe man ihn bei einer unrechten Handlung ertappt. Im nächsten Augenblick aber lächelt er dreist und kühn der Dame des Hauses entgegen.

Frau Betty Andreas, in Schwarz gekleidet, kommt hoheitsvoll auf ihn zu. Sie trägt ein kleines Couvert in der Rechten.

„Behalten Sie Platz, Herr Neumann! Sie wurden von mir schon erwartet.“

Vergeblich sucht er im Klang ihrer Stimme Verlegenheit zu erlauschen. Die hohe, schlanke Figur der Frau flößt ihm Ehrfurcht ein. Sie war eine Schönheit; sie ist es auch heute noch. Doch er darf sich nicht fangen lassen; jetzt gilt es, die Schlacht zu schlagen. Der Sieg ist sein.

„Ich komme, gnädige Frau — hm, es ist mir sehr peinlich, — indessen, mein Bruder besteht darauf, daß das Kapital und die Zinsen — —“

„— — noch heute in Ihre schmierigen Hände gelegt wird! Verstehe! Hier ist das Geld. Wollen Sie bitte die Güte haben, mit nachzuzählen!“

Neumann ist aufgesprungen. Die Augen scheinen ihm aus dem Kopf zu quellen. Er glaubt einen Spuk zu sehen.

Zwei zarte, sehr schlanke Hände zählen vor ihm das Geld auf die Platte des Tisches. Zinsen und Kapital. Im ganzen sind es dreizehntausend und achthundertfünfzig Mark.

Mit zitternden Fingern streicht Neumann die Summe ein. Frau Andreas nimmt einen Zettel und sagt mit befehlender Stimme: „Quittieren Sie!“ Er zieht seinen Füllfederhalter umständlich aus der Tasche. Die Finger verkrampfen sich. Unwillkürlich läßt er den Halter fallen. Dann bückt er sich ungeschickt, hebt ihn auf, unterzeichnet. Frau Andreas steht leblos wie eine Statue vor ihm. Sie wartet darauf, daß er geht. Er verbeugt sich. Die Tür quietscht. Schon ist er draußen. Der Kies knirscht. Das Eisentor schnappt ins Schloß. Herrn Neumann fährt es durch alle Glieder. Er hat zwar sein Geld zurück. Aber die Ziegelei ist versunken ...

*

Frau Betty Andreas begibt sich nach diesem Zwischenfall in das Arbeitszimmer ihres verstorbenen Mannes. Ihr Blick streift den Schreibtisch, auf dem eine Anzahl Zeitungen ihrer harrt.

Mit zitternden Fingern greift sie nach einem der Blätter. Politisches überschlägt sie. Die Augen fliegen — von Zeile zu Zeile. Um ihre Mundwinkel ist ein verbissener Zug getreten. Sie scheint eine Nachricht zu suchen. Ihr Lesen hat nichts von Beschaulichkeit. Der Blick gleitet ruhelos weiter.

Die Tür wird geöffnet. Sie fährt zusammen und sieht ihre Tochter ins Zimmer treten.

„Mein Gott, Mama, bist du schreckhaft geworden! Studierst du schon wieder die albernen Blätter!?“ Das junge, sehr hübsche Mädchen tänzelt der Mutter zu. „Machen — du mußt nicht so schrecklich nervös sein! Das ist ja nicht auszuhalten, seit Vater tot ist.“

Frau Andreas streicht ihr mechanisch über das schwarze Haar.

„Ja — seit der Vater — — mein Gott, ich weiß bald nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Hat Onkel Ulli nicht angerufen?“

„Ja — deshalb komme ich eben. Er sagte, er werde gleich hier sein. Was war denn vorhin für ein Herr da?“

„Das war ein Herr Neumann, mit dem ich geschäftlich zu sprechen hatte.“

„Ah — wegen der Hypothekengeschichte! Du sprachst doch mit Onkel Ulli darüber.“

„Hast du das wieder gehört, kleiner Naseweis? Ja — die geschäftlichen Dinge, die machen einem schon Kopfschmerzen.“

„Na — Onkel Ulli wird dich schon gut beraten. Ich interessiere mich übrigens sehr für die ganzen Sachen. — Hast du dem Neumann das Geld gegeben? Der Onkel hatte dir zugeraten —“

„Ich gab es ihm. Aber Kind — diese Dinge —“

„— sind nichts für mich, willst du sagen. So laß mich doch, wenn ich mich einmal dafür interessiere. Ich bitte dich, sage mir: warum hast du das denn getan? Wenn die Ziegelei doch verkauft werden soll —“

„Eben deshalb. Sonst wäre sie unerbittlich versteigert worden. Das würde für uns ein gewaltiger Schaden sein.“

„Na, — und so?“

„So — wenn wir aus freien Stücken verkaufen, da kommt ein ganz anderer Preis heraus.“

„Hat Onkel Ulli nicht schon einen Käufer?“

„Ja eben. Doch wollte der Herr diese Neumannsche Hypothek nicht mehr mit übernehmen, der Zinsen wegen, die äußerst hoch sind.“

„Ach — jetzt verstehe ich! — Aber Machen, was soll nun werden? Kann Jochberg denn nicht die Ziegelei für uns weiterführen?“

„Nein. Jochberg, so anständig er als Verwalter auch sein mag, ist unselbständig. Nur Vater konnte die Arbeit leisten. Und übrigens ist das Geschäft sehr zurückgegangen. In letzter Zeit hat Vater noch zusetzen müssen. Ich habe dem Onkel Ulli die Akten gegeben und bin nur gespannt darauf, was er sagen wird.“

„Ist es wahr, daß dies Haus gar nicht mehr Vater gehört hat?“

Frau Betty fährt sichtlich zusammen. „Wie kommst du denn darauf, Kind?“

„Ich habe doch neulich für Onkel Ulli die Akten geordnet. Da war so ein Schreiben — —“

„Du mußt doch nicht überall schnüffeln, Elsbeth!“

„Warum nicht? Warum so geheimnisvoll? Bin ich nicht deine Tochter?“

„Du bist noch zu jung dazu.“

Elsbeth rümpft sichtlich pikiert das Näschen. „Zu jung dazu?“ wiederholt sie verächtlich, „ich fühle mich aber schon alt genug, um das alles zu wissen.“

„Was machst du dir unnütz Sorgen!?“

„Ist’s wahr mit der Villa?“

„Nun ja doch. Papa hat sie damals an Onkel Ulli verkauft.“

„Wie — damals?“

„Papa hatte Schulden. Da hat ihm der Onkel Ulli dann wieder mal auf die Beine geholfen. Und Vater hat ihm das Haus dafür überschrieben.“

Das junge Mädchen blickt düster zu Boden. Es ist ihr, als weiche die Erde unter ihren Füßen.

*

Herr Rechtsanwalt Dr. Ullrich Sobatka, ein dickes Bündel Akten unter den Arm geklemmt, tritt wiegenden Schrittes der Schwester entgegen.

„Tag, Betty. Ich muß dir gleich sagen — — die Sache steht oberfaul.“

Frau Andreas streckt ihrem Bruder die fast durchsichtig blassen, gepflegten Hände entgegen. Ihr Blick ist zu Boden gerichtet. Sie zittert.

„Ich habe so etwas geahnt!“ sagt sie leise. „Nimm Platz und erzähle. Was gibt es?“

„Gott, sind deine Hände kalt!“ ruft Sobatka aus, „du bist sehr nervös geworden. Du solltest was für dich tun!“

„Erst das Geschäftliche bitte!“

„Ist Neumann schon dagewesen?“

„Vor einer Stunde.“

„Um Gottes Willen! Du hast ihm das Geld gegeben?“

Frau Betty blickt ihn verwundert an. „Ja, natürlich. Du hast es doch selbst geraten.“

Sobatka fährt sich mit einer eckigen Handbewegung über den kahlen Schädel. Sein Atem geht rasch und kurz, wie bei einem Asthmatiker.

„Ja — — na, du konntest nicht wissen — ich hätte dir telefonieren sollen.“

Die großen Augen von Frau Andreas sind wie im Fieber auf ihn geheftet. „So sprich doch — was gibt es denn?“

„Also, Betty — — ich habe die Akten gesichtet. Mit Rolf stand es traurig, sehr traurig. Wer konnte das ahnen! Dabei ist mir schleierhaft, wie er es fertig brachte, die wahre Lage der Dinge noch immer so zu vertuschen. Da laufen Wechsel — — mir stehen die Haare zu Berge. Soweit ich das alles bis jetzt übersehe, betragen die Schulden nicht weniger als — — na, du mußt es ja schließlich wissen: als 60 bis 70 000.“

Frau Betty blickt aus dem Fenster. In ihrer Miene ist nichts zu lesen.

Sobatka fährt, etwas stutzig, fort: „Du nimmst das so ruhig auf — ich verstehe dich nicht. Bei der Lage der Dinge ist es natürlich ganz zwecklos, die Ziegelei zu verkaufen. Sie ist ohnedies schon an erster Stelle mit 60 000 belastet. — Ich wollte dir einen ganz anderen Vorschlag machen. Zu schade, daß du den Neumann bezahlt hast! Das Geld ist verloren.“

„Dein Vorschlag?“

„Du schlägst ganz einfach Rolfs Erbschaft aus.“

„Und die Versicherungssumme?“

„Die bleibt dir. Ihr hattet ja Gütertrennung. — Hast du das Geld schon im ganzen erhalten?“

„Bisher nur den Vorschuß, die zwanzigtausend. Du weißt doch, daß Feldmann verschwunden ist? Damit hängt die Verzögerung möglicherweise zusammen.“

„Ja, Feldmann! Das ist doch recht sonderbar! Na, du wirst das Geld schon bekommen. Dafür laß mich nur sorgen. — Was sagst du zu meiner Idee? Ist sie nicht glänzend?“

„Ich verstehe nicht viel davon. Es wird wohl schon gut sein. Was machen dann aber Rolfs Gläubiger?“

„Die? Hm — soweit sie sich nicht aus dem Nachlaß befriedigen können, gucken sie halt in den Mond.“

„Und ich bleibe unbehelligt?“

„Man kann dir juristisch nichts wollen. Ich rate dir nur, hier recht bald zu verduften. Du meldest dich vorläufig einfach auf Reisen ab.“

„Ja. Das werde ich machen. Du meinst also, daß mir dann nichts mehr passieren kann?“

„Wie passieren? Was soll dir passieren? Auch wenn du hier bleibst, passiert dir nichts. Aber du könntest doch immerhin Unannehmlichkeiten bekommen. Die Gläubiger würden versuchen, von dir etwas zu erhalten. All diesen eventuellen Belästigungen gehst du am besten doch aus dem Wege. Was hier noch zu regeln ist, werde ich machen. Du gibst mir nur deine Vollmacht. Mir als Anwalt wird man nicht dumm kommen. Übrigens dürfte es wohl das Beste sein, wenn du das Geld der Versicherung später hier bei mir deponierst. Ich schicke dir dann, was du brauchst, wenigstens vorläufig, bis du weißt, was du anfangen willst. Denn das Geld muß ja arbeiten.“

Frau Andreas blickt ihren Bruder befremdet an. „Arbeiten? Dann soll ich wohl auch noch —?“

„Natürlich. Das wäre am ratsamsten. Sieh mal — die Zinsen — — du weißt doch, es gibt heut nicht viele Zinsen. Bei deinen Ansprüchen reichen die sicher nicht.“

„Was soll ich denn machen?“

„Du fängst beispielsweise irgendwo eine kleine Pension an. Möbel kann man ja wohlfeil haben. Doch vorläufig mußt du dich erst mal erholen. Und übrigens bin ich ja immer da, wenn du Hilfe brauchst. Mußt mir nur schreiben.“

Bei dieser Abmachung bleibt es.

*

Rechtsanwalt Dr. Freytag läßt bitten. Ein Herr, anfangs der Vierziger, mittelgroß, breitschultrig, tritt höflich grüßend über die Schwelle.

„Herr Feldmann?“

„Mein Name ist Feldmann. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Doktor.“

Der Rechtsanwalt hat sich erhoben. Er ist eine große, imposante Erscheinung mit grauem, an beiden Schläfen zurückgestrichenem Haar.

„Ich habe Sie“, sagt er, „nach Leipzig bemühen müssen. Es tut mir ja leid, — immerhin, bei der Wichtigkeit unserer Sache — doch nehmen Sie Platz!“ Beide setzen sich. „Tscha — na, zunächst gratuliere ich herzlichst. Wenn nichts Unerwartetes mehr dazwischen kommt, sind Sie ein schwerreicher Mann.“

„Danke, Herr Doktor. Ich habe schließlich auch lange genug auf die Erbschaft gewartet.“

Der Rechtsanwalt blättert in den Akten. „Ganz richtig. Und ich habe schwer darum kämpfen müssen. Sie wissen — es ist nicht so einfach, Geld in Amerika loszueisen.“

„Ich bin nicht genau unterrichtet, das heißt über all diese Schwierigkeiten.“

„Sie brauchen sich auch nicht damit zu belasten. — Wir wollen zur Sache kommen. Ich teilte in meinem ausführlichen Schreiben mit, daß Sie als einziger Erbe mit zweihunderttausend Dollar zu rechnen haben. Es gehen nur noch die Kosten ab. Meine Liquidation beträgt zwölftausend Mark. Dazu kommen zehntausend Mark Kostenvorschüsse.“

Herr Feldmann nestelt ein wenig nervös an seiner Krawatte.

„Sie können sich diese Summe natürlich in Abzug bringen, Herr Doktor!“

Der Rechtsanwalt lächelt. „Natürlich, natürlich — das heißt — — ich wollte Ihnen noch einen Vorschlag machen. Sie wissen, oder Sie wissen auch nicht — ich habe mit einem Kollegen in Chikago, einem sehr namhaften, in Verbindung gestanden. Dort ist der Betrag deponiert. Das Geld liegt bereit für Sie.“

„Es ist noch nicht überwiesen?“

„Sehen Sie — darum dreht es sich nämlich. Deswegen mußte ich mit Ihnen sprechen. Es ist da gewissermaßen ein kleiner Haken — —“

Herr Feldmann blickt stutzig auf. „Ich verstehe nicht —“

„Eine Formsache, — eine Bestimmung des Erblassers, die Sie nicht wissen können, weil ich sie Ihnen vorläufig nicht mitgeteilt habe. Jedenfalls dürfte Ihnen bekannt sein, daß Ihr verstorbener Bruder, Herr Harry Feldmann, so seine — sagen wir: Schrullen hatte!“

„Mein Bruder — — natürlich! Natürlich! Er war stets etwas komisch.“

„Na also. Schon seine Bestimmung, daß Ihnen das Testament erst nach Regelung aller Schwierigkeiten bekannt werden sollte, kann man als eine Schrulle bezeichnen. Nun, kurz und gut —“ der Rechtsanwalt nimmt jetzt ein Aktenstück aus der vor ihm liegenden Mappe, „hier ist es! Ich lese Ihnen den Passus vor, der uns heute beschäftigt:

‚Für meinen Erben mache ich zur Bedingung, daß er sich Nellys annimmt‘ —

Feldmann fährt merklich zusammen. Aber er sagt keinen Ton dazu. Rechtsanwalt Dr. Freytag blickt ihm verschmitzt in die Augen. „Sie brauchen nicht zu erschrecken. Das ist keine Dame. Es handelt sich um eine Hündin, eine Foxterrierhündin, an der Ihr Herr Bruder mit einer zärtlichen Liebe hing.“

„Und ich soll — —? Na — das kann man ja machen!“

„Halt! Hören Sie weiter zu. Also:

‚— annimmt. Damit ich nun dessen gewiß bin, verlange ich, daß er persönlich kommt und sie abholt. Zugleich mit dem Tierchen soll er die Erbschaft erhalten.‘

Was sagen Sie dazu?“

„Recht originell. Ich müßte demnach nach Chikago fahren!?“

„Das ist es. Das wird nun nicht zu umgehen sein.“

„Erlauben Sie bitte, Herr Doktor — die Reise — das kostet doch keine Kleinigkeit. Und die Mittel — —“

„Verstehe, verstehe. Da ließe sich aber ein Ausweg finden. Ich wäre gerne bereit, Ihnen — sagen wir: tausend Mark vorzuschießen — indessen — — Sie müßten mir schon eine Sicherheit geben.“

„Sicherheit? Ich verstehe wohl nicht — — wofür halten Sie mich?“ Feldmann ist aufgesprungen. Er beginnt nervös hin und her zu laufen.

Um den Mund Doktor Freytags spielen zwei tiefe Falten. Sie ziehen sich bis zur Nasenwurzel.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, sehr verehrter Herr Feldmann, aber — — wir wollen doch einmal ganz offen reden: wer garantiert mir dafür, daß Sie wiederkommen? Sie fahren da nach Amerika, kassieren — in Mark umgerechnet — eine halbe Million ein — — vielleicht entschließen Sie sich, gleich ganz drüben zu bleiben. Und meine Vorschüsse? Meine Liquidation?“

Feldmann ist sprachlos am Fenster stehengeblieben. Er zittert am ganzen Körper und ringt nach Worten.

„Herr Doktor — ich weiß nicht recht, was ich dazu noch sagen soll!“

Der Rechtsanwalt blickt ihn gelassen an. „Bitte, versetzen Sie sich mal in meine Lage! Sie haben also für einen — übrigens Ihnen bisher völlig Unbekannten in einer ganz anderen Stadt einen Riesenerbschaftsprozeß durchgefochten. Sie haben in gutem Glauben an diese Sache Tausende vorgelegt, weil Ihr Mandant dies nicht konnte, — Sie sind nun ans Ziel gekommen, haben indessen noch keinen Pfennig erhalten — du lieber Gott! Würden Sie da nicht genau so handeln, wenn plötzlich der glückliche Erbe käme und wollte von Ihnen sogar noch das Reisegeld haben!?“

Feldmann hat einen Briefbeschwerer zur Hand genommen. Den rückt er immerzu auf dem Tisch hin und her. Seine Nüstern beben. Sein Blick ist flackernd auf den Anwalt gerichtet.

„Was — bitte — — was soll ich Ihnen als Sicherheit geben?“

„Nun — die ‚Secura‘ mag für Sie bürgen.“

Um Feldmanns Mund geht ein Zucken. Er stampft mit dem Fuß auf den Boden.

„Das — hm — — nein, das möchte ich nicht. Wieso denn? Das kann ich nicht machen.“

Der Anwalt wirft einen langen und fragenden Blick auf seinen Klienten.

„Sie haben vielleicht Effekten?“

„Bedaure —“

„Und Schmuck?“

„Nur diesen Brillantring“, er zeigt ihn, „der wird nicht viel bringen.“

Der Rechtsanwalt überlegt eine Weile. „Hören Sie!“ sagt er plötzlich, „mir kommt ein Gedanke. Ein guter Bekannter von mir, ein gewisser Herr Nebelung, fährt nach Amerika. Er wird für Sie eine Fahrkarte lösen und wird Sie begleiten. Ich werde ihn jedenfalls darum bitten.“

„Sie wollen mich also gewissermaßen wie einen Gefangenen — —“

„Aber, Herr Feldmann, das wäre ja alles nicht nötig, wenn dieser leidige Vorschuß und die Gebühren nicht wären. Es ist nun mal mein Spezialfach, so schwierige Erbschaftsgeschichten wie diese hier durchzufechten. Ich habe da meine Erfahrungen. Glauben Sie nicht, daß das immer so glatt geht. Wie oft schon habe ich Geld verloren — und gleich ganz erhebliche Summen! Sie müssen bedenken: die meisten Erben sind arme Schlucker. Ich muß die Vorschüsse leisten, auch wenn nichts bei der Sache herauskommt. Na bitte! Da kann mir doch niemand verargen, wenn ich mir wenigstens die Sicherheiten verschaffe, die ich erhalten kann.“

„Sie übernehmen also gewissermaßen nur solche — —“

„Sprechen Sie’s ruhig aus: faule Sachen! Sie werden verstehen, wenn ich mich sichern muß.“

„Hm — wann fährt Ihr Bekannter?“

„Schon übermorgen. Ab Hamburg. — Sie sind also einverstanden?“

„In Gottes Namen!“

*

„Sehr geehrte Frau Behnke!

Zu meinem Bedauern muß ich Ihnen die Mitteilung machen, daß ich wahrscheinlich noch einige Wochen auf Reisen bleibe. Heben Sie bitte die Post auf. Nachsenden hat keinen Zweck, weil ich, zunächst wenigstens, keine Adresse angeben kann. Anbei fünfzig Mark