Der Piratenschoner - Walter Kabel - E-Book

Der Piratenschoner E-Book

Walter Kabel

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Beschreibung

Der Piratenschoner ist ein kurzer Kriminalroman von Walter Kabel. Aufzug: Lord Percy Blackmoore, einer der reichsten Kohlenmagnaten Englands, hatte uns telegraphisch nach Madras gerufen. Wir hatten ihn und seine Gemahlin vor kurzem bei dem Maharadscha von Dschaipur kennengelernt, wo Harald Harst, wie ich im »goldenen Gongong« berichtet habe, die überaus kostbare schwarze Perlenkette der Lady Blackmoore dem Juwelendiebe Daniel Blooce wieder abnehmen konnte. Wir trafen abends um 7 Uhr in der Hafenstadt Madras ein, die bekanntlich an der Ostküste Vorderindiens liegt. Der Lord, ein schlanker Mann von dreißig Jahren, holte uns vom Bahnhof ab. Er befand sich mit seiner jungen Gattin auf einer Weltreise, hatte seine Motorjacht Atlanta in Madras verlassen und mehrere Städte im Innern besucht. Diese elegante, große Jacht war dann plötzlich aus dem Hafen von Madras, wo sie am Westkai nun schon drei Wochen gelegen hatte, eines Nachts verschwunden, und Harst sollte diesen Vorfall, dessen Einzelheiten wir nun erst erfuhren, aufzuklären suchen.

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Seitenzahl: 48

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Der Piratenschoner

1. Bei Mutter Flepp2. Der vielseitige Albemarle3. Wir lernen James Goorb kennen4. Die Frau mit den goldenen Schuhen5. Lady Anna BroogAnmerkungenImpressum

1. Bei Mutter Flepp

Lord Percy Blackmoore, einer der reichsten Kohlenmagnaten Englands, hatte uns telegraphisch nach Madras gerufen. Wir hatten ihn und seine Gemahlin vor kurzem bei dem Maharadscha von Dschaipur kennengelernt, wo Harald Harst, wie ich im »goldenen Gongong« berichtet habe, die überaus kostbare schwarze Perlenkette der Lady Blackmoore dem Juwelendiebe Daniel Blooce wieder abnehmen konnte.

Wir trafen abends um 7 Uhr in der Hafenstadt Madras ein, die bekanntlich an der Ostküste Vorderindiens liegt.

Der Lord, ein schlanker Mann von dreißig Jahren, holte uns vom Bahnhof ab. Er befand sich mit seiner jungen Gattin auf einer Weltreise, hatte seine Motorjacht Atlanta in Madras verlassen und mehrere Städte im Innern besucht. Diese elegante, große Jacht war dann plötzlich aus dem Hafen von Madras, wo sie am Westkai nun schon drei Wochen gelegen hatte, eines Nachts verschwunden, und Harst sollte diesen Vorfall, dessen Einzelheiten wir nun erst erfuhren, aufzuklären suchen.

Blackmoore hatte uns vom Bahnhof in sein Hotel gebracht. Im Salon begrüßten wir die Lady und den Privatsekretär des Lords Marc Tousam, den wir ebenfalls schon kannten. Außerdem war der Chef der Hafenpolizei Inspektor Davis anwesend.

Mr. Davis, ein früherer Kapitän der Handelsmarine, hatte bereits die eingehendsten Nachforschungen nach dem Verbleib der Atlanta angestellt, deren Verschwinden jetzt drei Tage zurücklag.

Davis schilderte den Sachverhalt folgendermaßen.

Am Montag nachmittag hatte er noch mit dem Kapitän der Atlanta, Master Braxler, im Cafee Westminster eine Partie Schach gespielt. Braxler war ein alter Bekannter von ihm. Er hatte ihm erzählt, daß der Lord nun bald nach Kalkutta in See zu gehen gedenke. Um 7 Uhr abends hatten sie sich getrennt.

Am Dienstag früh drei Uhr hatte eine Barkasse der Hafenpolizei bei strömendem Regen die Atlanta etwa 500 Meter nach Osten zu auf der Reede getroffen. Die Jacht fuhr mit vorschriftsmäßigen Lichtern und mit halber Kraft zwischen den ankernden Schiffen hindurch. Da Kapitän Braxler die Jacht bei der Hafenpolizei nicht abgemeldet hatte, wie der auf der Barkasse befindliche Polizeibeamte wußte, nahm dieser an, es handele sich nur um eine Maschinenprobe, und ließ die Atlanta ungehindert passieren.

Aber – die Jacht kehrte nicht zurück. Der Dienstag und der Mittwoch vergingen. Davis telegraphierte Mittwoch abend an den Lord, der sich in Dehli befand. Der Lord depeschierte zurück, daß er Kapitän Braxler keinen Befehl zum Verlassen des Hafens von Madras gegeben hätte, und reiste sofort mit seiner Gattin ab, weil er bereits argwöhnte, daß sich irgend etwas Besonderes zugetragen haben müsse.

Davis hatte nach Eintreffen der Antwort Blackmoores sofort die Polizei mobil gemacht, um zunächst einmal festzustellen, ob die ganze Besatzung sich auf der Atlanta befände. Einschließlich Kapitän Braxlers zählte diese Besatzung vierzehn Köpfe. All die vierzehn Leute waren mit verschwunden.

Davis konnte nur annehmen, daß hier irgend ein Schurkenstreich vorlag und daß die Atlanta von einer Bande von Verbrechern in der regnerischen Nacht entführt worden war.

Diese Ansicht äußerte er jetzt auch Harst gegenüber, der ihn bisher durch keine Zwischenfragen unterbrochen hatte.

Wir saßen um einen großen Tisch herum in kostbaren Brokatsesseln. Das Hotel Imperial, in dem der Lord abgestiegen war, hätte jeder europäischen Weltstadt Ehre gemacht. Es war das erste in Madras.

»Haben Sie denn hier in Madras Verbrecher, denen Sie einen so großzügigen Streich zutrauen. Master Davis?« fragte Harald nun. »Die Entführung einer Jacht muß doch sehr sorgfältig vorbereitet werden. Ein solcher Plan erfordert genaueste Abwägung aller Einzelheiten.«

»Hm – eigentlich gibt es hier kaum so intelligente Schurken,« meinte Davis. »Wir sehen dem Gesindel verdammt scharf auf die Finger. Ich gebe zu, Master Harst, ich stehe hier vor einem Rätsel, da es ja ausgeschlossen ist, daß etwa ein Teil der Besatzung gemeutert hat und mit der Atlanta davongefahren ist«

»Ganz ausgeschlossen!« bestätigte der Lord. »Die Besatzung ist schon viele Jahre in meinen Diensten. Die Leute haben keinen Grund zur Unzufriedenheit. Ich bezahle sie gut, und zwischen mir und dem letzten Mann der Atlanta herrscht ein beinahe kameradschaftliches Verhältnis.«

»Dann kann nur eine Entführung vorliegen,« meinte Harst. »Ich möchte vorschlagen, daß wir getrennt arbeiten, Master Davis. Setzen Sie Ihre Ermittlungen fort, während Schraut und ich auf eigene Faust uns bemühen werden, die Sache aufzuklären. Ich kann damit jedoch erst übermorgen beginnen. Ich muß noch nach Bangalore reisen, wo ich etwas zu erledigen habe. Sonntag früh bin ich wieder hier.«

Lord Percy machte ein sehr enttäuschtes Gesicht.

»Ist das, was Sie in Bangalore vorhaben, Master Harst, denn wirklich so dringend?« fragte er.

»Ueberaus dringend, Mylord. Ich reise sogar noch heute wieder ab. Wenn ich mich nicht irre, geht um 10 Uhr ein Zug nach Bangalore.«

»Nur ein Personenzug, kein Eilzug,« erklärte Davis. –

Wir blieben noch eine halbe Stunde zusammen. Dann verabschiedeten wir uns. Davis kam mit. Es war jetzt ½9 abends.

»Ist es Ihnen recht, wenn wir mal nach dem Hafen fahren, Master Davis?« meinte Harald. »Ich möchte mir die Stelle am Kai ansehen, wo die Atlanta gelegen hat«

»Gewiß. Obwohl dort nicht viel zu holen ist, Master Harst. Der Westkai ist ein Kai wie jeder andere.«

Wir nahmen einen Wagen und waren in zehn Minuten mitten zwischen Lagerspeichern. Hafenkneipen und düsteren alten Häusern, die noch aus der Entwicklungszeit von Madras stammten.

»Lassen Sie den Wagen etwas vor der Liegestelle halten,« bat Harold den Polizeiinspektor.

Wir fuhren jetzt am Bollwerk auf den Schienen der Hafenbahn entlang.

Dann stiegen wir aus. Der Wagen sollte auf uns warten.

Wir gingen nun dicht am Wasser entlang. Schiff an Schiff lag hier vertäut. Ziehharmonikaklänge und Gesang umtönten uns. Halb trunkene Matrosen aller Nationen schwärmten umher. Händler schrien ihre Waren aus. Schlanke Inderinnen lauerten im Schatten von haushohen Stapeln von Fässern und Kisten. Dampfwinden kreischten. Von der Reede her klang das Heulen von Schiffssirenen herüber.

»Hier fühle ich mich wohl.« sagte Davis und sog an seiner kurzen Pfeife. »Das ist für mich die schönste Musik: Ziehharmonika, Dampfpfeifen, Ankerkettenklirren und das Quietschen der ausschwingenden Kranbalken.«

Wir blieben stehen.

Harst schaute sich um, schaute hierhin und dorthin.

»Das da drüben ist eine Kneipe, nicht wahr?« fragte er dann.

»Ja – die anständigste Hafenkneipe von Madras. Gleichzeitig Logierhaus. Gehört einem in ganz Indien bekannten Original, der Mutter Flepp. Hat jetzt Kummer, die Mutter Flepp. Ihre Tochter ist durchgebrannt.«