4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Eine schwierige Entscheidung im Dienste der Familie: „Ein Pinguin zum Verlieben“ von Erfolgsautorin Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks. Endlich Zeit, um durchzuatmen! Als nach 30 Jahren auch ihre älteste Tochter auszieht, um sich mit ihren Zwillingen in Brüssel niederzulassen, hat Bettina zum ersten Mal seit Langem wieder Zeit für sich: Ein Spanischkurs und der Wiedereinstieg in den Beruf warten auf sie. Doch dann zieht Hals über Kopf die Jüngste wieder ein – mit schreiendem Kleinkind. Erneut wird Bettina zur Haushältern, Köchin und Babysitterin degradiert. So kann das doch nicht ewig weitergehen! Entschlossen kündigt sie den Familiendienst auf – mit ungeahnten Folgen für sie und ihre Lieben. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Ein Pinguin zum Verlieben“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 470
Über dieses Buch:
Endlich Zeit, um durchzuatmen! Als nach 30 Jahren auch ihre älteste Tochter auszieht, um sich mit ihren Zwillingen in Brüssel niederzulassen, hat Bettina zum ersten Mal seit Langem wieder Zeit für sich: Ein Spanischkurs und der Wiedereinstieg in den Beruf warten auf sie. Doch dann zieht Hals über Kopf die Jüngste wieder ein – mit schreiendem Kleinkind. Erneut wird Bettina zur Haushältern, Köchin und Babysitterin degradiert. So kann das doch nicht ewig weitergehen! Entschlossen kündigt sie den Familiendienst auf – mit ungeahnten Folgen für sie und ihre Lieben.
Über die Autorin:
Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.
Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.
Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de
***
eBook-Neuausgabe Februar 2017
Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel »Oma ohne Furcht und Tadel« bei Lübbe GmbH & Co. KG
Copyright © der Originalausgabe 2005 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/antanartic
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-938-7
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Ein Pinguin zum Verlieben« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Annegrit Arens
Ein Pinguin zum Verlieben
Roman
dotbooks.
Bettina drückte die Türklinke vorsichtig nach unten, lauschte kurz und wollte gerade auf Zehenspitzen das Zimmer betreten, als ihr wieder einfiel, dass diese Zeiten jetzt endgültig vorbei waren. Wenn hier in Zukunft jemand seinen Mittagsschlaf hielt, dann allenfalls sie selbst. Sie konnte auf diesen knapp achtzehn Quadratmetern alles tun, wonach ihr der Sinn stand: Faulenzen, spanische Vokabeln pauken, sich auf ihre Rückenschmerzpatienten vorbereiten oder sich von ihnen erholen. Ab sofort war sie frei und durfte tun und lassen, was sie wollte, zumindest bis Joachim heimkam, was in aller Regel nie vor sieben Uhr der Fall war.
Ob sie einfach das schöne alte Nähmaschinengestell ihrer Großtante – Gott hab sie selig – aus dem Keller holen und es frisch lackieren, mit einer Glasplatte versehen und als Schreibtischersatz nutzen sollte? Sie rückte probehalber die beiden links vom Fenster stehenden Reisebettchen zur Seite, bückte sich automatisch nach einem liegen gebliebenen Bauklotz und versuchte sich vorzustellen, wie es sein würde, genau hier über ihren Büchern zu sitzen, mit Blick auf die mächtige Krone der alten Kastanie hinter dem Flachdach des Hauses gegenüber.
Aber halt, im Sitzen ändert sich die Perspektive, dann drängten sich möglicherweise die nicht besonders ansehnlichen Garagen in den Vordergrund. Oder doch nicht? Ihr räumliches Vorstellungsvermögen war laut Joachim eher unterentwickelt. Aber selbst wenn das wirklich so war, gab es schließlich genug Hilfsmittel, um diese kleine Schwäche auszugleichen. Bettina schnappte sich den Tripp-Trapp, der ebenfalls zurückgeblieben und momentan das einzige stuhlähnliche Möbel im Raum war, und setzte sich, wobei ihre Knie der Nase ziemlich nahe kamen, was an der auf die Proportionen von Vierjährigen eingestellten Fußstütze lag. Sei’s drum! Gerade als sie glaubte, die richtige Perspektive gefunden zu haben, läutete unten in der Diele das Telefon.
Verdammt! Einen Telefonanschluss brauchte sie hier oben unter dem Dach ebenfalls, und wenn sich das als zu aufwändig erweisen sollte, mussten sie eben doch endlich so ein Mobilteil anschaffen. Im Geist war sie damit beschäftigt, Joachims Vorbehalte gegen drahtlose Verbindungen zu zerpflücken, während sie die Treppe hinunterlief und just in dem Augenblick unten ankam, als das Läuten aufhörte. Typisch! Am besten stellte sie ihren Mann vor vollendete Tatsachen und beauftragte umgehend einen Elektriker, sonst passierte wieder wochenlang gar nichts. Sie blieb stehen, machte nochmals kehrt und blätterte gerade im Branchenverzeichnis, als das Telefon neben ihr erneut loslegte. Nicht besonders günstig, wenn man nur eine Hand zur Verfügung hat, weil die andere den gesuchten Eintrag festhalten muss. Ihr »Bei Reichwein« klang dementsprechend gequetscht.
»Fehlt dir was?«, ertönte es vom anderen Ende.
»Im Gegenteil«, erwiderte Bettina, »ich suche nur gerade etwas.«
»Du suchst nicht zufällig in deiner Bluse? So hört es sich nämlich an.«
»Da drin finde ich garantiert keinen Elektriker.«
»Ist dir etwa wieder die Sicherung rausgeknallt? Ich habe dir doch gezeigt, welchen Schalter du als Erstes prüfen musst. Frauen und Technik! Am besten wartest du wohl, bis ich wieder zu Hause bin, okay? Es wird allerdings heute etwas später, weil wir noch eine zusätzliche Probe …«
»Mir ist nichts rausgeknallt«, unterbrach Bettina ihren Mann leicht genervt, »und mit den Sicherungen komme ich auch allein klar, zumindest wenn man mir mitteilt, dass in der Waschküche zwischenzeitlich ein zweiter Sicherungskasten angebracht worden ist.«
»Und wozu brauchst du dann einen Elektriker?«
Bettina zögerte kurz, schalt sich in der nächsten Sekunde eine Närrin und beschloss, ab sofort damit aufzuhören, den »günstigsten Zeitpunkt« für Themen abzupassen, die dem Hausherrn möglicherweise nicht besonders lieb waren.
»Für mein neues Telefon«, erwiderte sie laut und kratzte in Ermangelung eines Stifts mit dem Fingernagel eine Markierungsrille unter den Namen eines Fachmannes, der in Fettdruck und über zwei Spalten hinweg prompte Hilfe in allen Fällen versprach, und das sowohl fachkundig als auch preisgünstig.
»Für dein was? Wovon redest du überhaupt?«
»Ich bin gerade dabei, das Zimmer der Zwillinge umzufunktionieren. Für mich. Und natürlich brauche ich auch einen Telefonanschluss.«
»Um ein bisschen Spanisch zu lernen? Mal ganz davon abgesehen, dass Elektriker mit der Installation eines Telefons so viel zu tun haben wie ein Mann mit Presswehen. Apropos Wehen: Hat Gesine sich eigentlich schon gemeldet?«
»Gesine war heute Morgen mit Johannes im Kreiskrankenhaus und ist wieder fortgeschickt worden. In den nächsten Tagen wird sich vermutlich auch nichts tun.«
»Aber sie ist doch schon über dem errechneten Termin.«
»Vielleicht kommt dein drittes Enkelkind, was mathematische Größen betrifft, eher auf mich.«
»Ich finde nicht, dass du dich über so etwas lustig machen solltest.«
»Worüber genau? Über die Ähnlichkeit oder über die Mathematik?«
»Bettina, was ist heute nur mit dir los?«
»Ich plane meine Zukunft oder genauer die nächsten Jahre bis zu deiner Pensionierung, das ist alles.«
»Wie kannst du etwas planen, was noch voller Unwägbarkeiten steckt?«
»Falls du von deiner Ältesten sprichst, sie will hundertprozentig nicht zurückkommen. Trixi ist glücklich und zufrieden, dass Maurice endlich einen Job hat und sie ihr Studium fortsetzen kann, sobald die Kleinen im Uni-Kindergarten heimisch geworden sind. Zum Glück hat Maurice schon in Köln regelmäßig Belgisch mit ihnen gesprochen. Du sollst Trixi übrigens das Spielhaus für die Zwillinge nach Brüssel schicken. Und jetzt muss ich Schluss machen, sonst erreiche ich niemanden mehr wegen meinem Telefon.« Bettina legte blitzschnell auf ignorierte das neuerliche Läuten, ging zur Toilette und wusch sich ausgiebig die Hände, bis nichts mehr das beruhigende Geräusch von rauschendem Wasser unterbrach.
Den Eintrag des von ihr favorisierten Elektrikers musste sie zwar nochmals heraussuchen, doch Verluste gibt’s ja bekanntlich immer. Lediglich die Mitteilung, dass ihr Anliegen eher etwas für einen Provider sei, irritierte sie kurzfristig. Sie hakte nach und wurde in einem unangenehm belehrenden Ton »beispielsweise an die Telekom« verwiesen.
»Dieser Name sagt Ihnen doch etwas?«
Bettina malträtierte ersatzweise das Bauklötzchen in ihrer Tasche, bedankte sich getreu der Devise »killing by kindness« und hatte wenig später bei der Telekom einen Termin für den nächsten Nachmittag ausgemacht. Diese Jungs spurten wenigstens und konnten ihr sogar zu einer Internetverbindung verhelfen. Warum hatte sie daran nicht gleich gedacht? Sie ergänzte die Liste nötiger Anschaffungen in ihrem Kopf um einen PC und malte sich noch beim Kartoffelschälen fürs Abendessen aus, wie sie Joachim und die Kinder demnächst damit überraschen würde, dass sie E-Mails verschickte.
Joachim legte den Hörer auf und fing an, Dinge von hier nach dort zu räumen, er spülte sogar die im Lauf des Tages benutzten Reagenzgläser aus. Eigentlich war das gar nicht seine Aufgabe, aber da er schon mal dabei war… Außerdem tat es ihm nach dem Telefonat mit Bettina gut, sich mit etwas zu beschäftigen, was ihm vertraut war und mühelos von der Hand ging.
Was war nur mit seiner Frau los?
Warum in aller Welt hatte sie es so eilig, die Wohnung auf den Kopf zu stellen, wo doch noch alles Mögliche in der Schwebe hing?
Auf dem Boden stachen ihm ein paar verstreute Papierfitzelchen ins Auge. Sie ärgerten ihn. Ging selbst hier schon alles drunter und drüber? Er beugte sich vor, um sie aufzuklauben, dabei wurde ihm leicht schummrig. Der Betriebsarzt hatte ihm beim letzten Check nicht umsonst geraten, beim Bücken immer hübsch in die Knie zu gehen, weil das besser für die Gelenke und den Kreislauf sei. Joachim hatte protestiert. »Wir werden doch alle nicht jünger«, hatte der Arzt daraufhin erwidert.
Von wegen! Verbissen machte Joachim sich auf die Jagd nach dem letzten Ausreißer am Boden. Das Schummern in seinem Kopf nahm zu, nahm ihn mit und mündete in einem Bild, man könnte es auch eine Vision nennen. Um das Bild festzuhalten, schloss er die Lider, blendete so alles andere aus und konzentrierte sich voll auf seine jüngste Tochter, wie sie in ihrem ehemaligen Kinderzimmer saß und sanft mit dem Schaukelstuhl vor und zurück schwang, während in ihren Armen sein jüngstes Enkelkind satt und zufrieden einschlummerte und zeitgleich von unten aus der Küche der Duft von Apfelküchlein und Weinschaumsoße nach oben zog. Davon konnten er und Gesine Unmengen verdrücken, nur sie beide, wobei ihr Lieblingsgericht beileibe nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen war.
Gesine war anders als Trixi, sie war immer mehr seine Kleine gewesen. Ein Kobold, dem niemand lange widerstehen konnte.
Und nun wurde sie schon selbst Mutter. Warum konnte Bettina sich um ihr drittes Enkelkind nicht genauso kümmern, wie sie sich vier Jahre lang um Trixis Kinder gekümmert hatte? Dann wäre Gesine jetzt nicht auf ihre Schwiegereltern angewiesen und dazu verdonnert, in einem Dorf zu leben. Gemessen an einer Stadt wie Köln lag in Nettesheim definitiv der Hund begraben …
Ein Windzug wehte ihm den Papierfitzel aus der Hand und wirbelte ihn in die Luft. Er reckte sich danach, einen Fuß am Boden, den anderen halb nach hinten gestreckt und beide Arme in der Luft, den Kopf in den Nacken gelegt. Na warte!, dachte er und gab sich Mühe, nicht die Balance zu verlieren. Wo war das Mistding nur geblieben?
»Um noch ’ne Karriere beim Ballett zu machen, bist du entschieden zu alt! Komm lieber hoch, bevor du dir wieder was brichst und den nächsten morschen Knochen eingegipst kriegst.«
Joachim bewegte den Kopf Richtung Stimme und Luftzug. Er wollte protestieren, was sein Kollege da erzählte war der blanke Unsinn. Ein Unfall hat nichts mit morschen Knochen zu tun, jeder kann sich was brechen, wenn er unglücklich fällt, und hätte die Putzkolonne den Eimer nicht mitten im Gang stehen gelassen, wäre das auch nie passiert. Sein Widersprach wurde von einem ausgesprochen komischen Knacken an seinem Halswirbel untermalt.
»Au! Verdammt!«
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst aufpassen. Wo bleibst du überhaupt? Die Chorprobe hat vor ’ner Viertelstunde angefangen, und du sollst heute das neue Duett mit unserem Chef einstudieren, wenn ich dich dran erinnern darf«
»Ich komme schon, nur keine Panik!« Joachim verkniff sich den nächsten Schmerzenslaut, er durfte nur nicht allzu heftig den Kopf bewegen, dann ging es.
Aber es ging nicht, wie er wenig später zu seinem Leidwesen feststellen musste. Sie teilten sich den Notenständer zu zweit, der Text war neu, und er konnte lediglich die Hälfte davon sehen. Immer wenn er den Kopf drehen wollte, durchzuckte ihn ein neuer Schmerzensstich. Und dann wurde ihm übel.
Er wurde umgehend in die Ambulanz des nächsten Krankenhauses gebracht, der Betriebsarzt hatte bedauerlicherweise schon Feierabend. Seine Mitsänger taten gerade so, als ob er eine Memme oder ein Tattergreis wäre, gleich zwei von ihnen eskortierten ihn. Damit war die Probe für heute geplatzt. Er ärgerte sich, der Ärger stieg unaufhörlich in ihm hoch, verdrängte die Übelkeit und machte sich in ihm mit Bildern breit, die zu seiner Stimmung passten. Seine üble Laune war keineswegs verflogen, als er gut zwei Stunden später den Hals durch eine Krause eingequetscht vor dem Haus, in dem er und seine Familie seit über dreißig Jahren wohnten, aus seinem Auto stieg, in dem er sich eben von jemand anders hatte chauffieren lassen müssen. Er hasste es, den Beifahrer zu spielen.
»Sollen wir noch mit hochkommen, Alter, und alles erklären, damit du keine Schwierigkeiten kriegst?«
»Untersteht euch!«, knurrte Joachim.
»Naja, so wie du aussiehst, wird deine Frau sowieso nicht annehmen, dass du in der Kolibri Bar ausgerutscht bist!«, witzelte Frank, der ebenfalls Chemiker war, und tippte gegen das weiße Ungetüm um Joachims Hals.
»In seinem Alter rutscht man sowieso nur noch auf Bananenschalen aus«, ergänzte ihr gemeinsamer Assistent, der seit neustem ebenfalls im Werkschor mitsang und für seinen schrägen Humor bekannt war. Noch grün hinter den Ohren war er außerdem. In die Kolibri Bar, eine der anrüchigsten Lokalitäten Kölns, würde man ihn vermutlich nicht mal reinlassen, wenn er mit seinem Personalausweis beweisen würde, dass er das Teenageralter doch schon überwunden hatte.
»Bei unserem Joachim reicht schon ein Fitzel Papier«, frotzelte Frank weiter.
»Noch ein Wort«, drohte Joachim, »und ihr bekommt morgen alle beide unser neues Schädlingsvernichtungsmittel in den Kaffee.«
»Danke für das freundliche Angebot, funktioniert aber leider nicht.«
»Wetten?«
»Wetten, dass du morgen hübsch zu Hause bleibst und dich von deiner Bettina pflegen lassen und höchstens einen kleinen Ausflug zum Onkel Doktor unternehmen wirst?«
»Möglicherweise hat unser guter Joachim ja schon wieder vergessen, dass er krankgeschrieben ist.«
»Du meinst Alzheimer in Tateinheit mit einem steifen Nacken?« Frank wieherte laut wie über einen besonders guten Witz und beruhigte sich erst wieder, als in einem der Fenster über ihnen das Licht anging. »Nichts für ungut, alter Knabe«, Frank klopfte Joachim auf die Schulter, »wir machen uns dann mal auf den Heimweg. Du kommst wirklich allein klar?«
Joachim ersparte sich eine Antwort. Man ist kein Invalide, nur weil man sich einen Halswirbel gestaucht hat. Er ging die Stufen bis in den vierten Stock zu Fuß hoch, erstens weil es keinen Aufzug gab, und zweitens weil er fit wie ein Turnschuh war. Die Treppe kam ihm heute allerdings endlos lang vor, sie hörte gar nicht mehr auf und als er oben ankam, erschrak er über sein eigenes Schnaufen. Ist alles diese vermaledeite Krause schuld, dachte er und fluchte leise, weil deren harter Rand jede Bewegung blockierte und selbst das simple Aufschließen einer Korridortür zum Problem machte.
Geschafft! Er betrat die Diele der Wohnung, die wie ein Haus im Haus aus dem Flachdach aufragte. Im vierten Stock befand sich der Wohnbereich mit Küche und die Dachterrasse inmitten von hoch aufregenden Kaminen und Antennen. Im Zwischengeschoss lag das Elternschlafzimmer mit Bad und einem winzigen Balkon. Und unter dem Spitzdach waren die beiden Kinderzimmer. Wie immer nach Einbruch der Dunkelheit verbreitete die Tischleuchte auf der schönen alten Kommode vor der pastellgelb gestrichenen Wand ein warmes, anheimelndes Licht. Daneben stand das Telefon. Es stand noch nicht lange dort. Solange die Zwillinge tagsüber bei ihnen gewesen waren, hatten sie den Apparat vorsichtshalber außer Reichweite platziert. Joachim hatte eigenhändig eine Ablage mit Abrutschschutz gebastelt und an der Wand montiert, selbst die war verschwunden. Alles was von dieser handwerklichen Meisterleistung übrig geblieben war, waren vier weißliche Tupfer.
Und wenn Gesine nun doch mit dem Baby nach Köln zurückkam? Wenn sie es sich anders überlegte? Er hätte nicht übel Lust, das Silikon aus den Löchern zu kratzen, andererseits wollte er sich nicht lächerlich machen. Er ging weiter und empfand so etwas wie Genugtuung, als er zwischen Fernseher und Sofa stehen blieb und Bettina, die eingenickt war, aufschreckte. Bei seinem Anblick stieß sie einen spitzen Schrei aus. Volltreffer! Nur ihr Kommentar ging ihm gegen den Strich.
»Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«, wollte sie wissen.
»Ich habe gar nichts angestellt. Ich hatte einen kleinen Unfall.«
»Schon wieder der Putzeimer?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Wenn du es genau wissen willst…«, er stockte.
Bettina wollte es leider trotzdem genau wissen, sie konnte ungeheuer penetrant sein. Er wich aus, was blieb ihm anders übrig? Oder sollte er etwa von diesem lächerlichen Fitzel Papier anfangen, der sich selbstständig gemacht hatte? Genau genommen war ja sowieso eigentlich alles ihre Schuld. Wenn sie ihn mit ihrer Renovierungswut nicht derart aus der Fassung gebracht hätte, wäre er nie im Leben auf die Idee gekommen, der Putzfrau ihre Arbeit streitig zu machen. Und nun bohrte sie auch noch schlimmer als jeder Zahnarzt in seinen Wunden und kümmerte sich den Teufel darum, dass ihm alles wehtat.
»Wenn du erlaubst, gehe ich jetzt ins Bett«, unterbrach er sie und stakste die Treppe hoch. Ihm tat wirklich jeder Knochen weh, er fühlte sich wie ein alter Mann, obwohl er keiner war. Noch längst nicht. Mit Ende fünfzig hat man als Mann nach den jüngsten Sterbestatistiken noch fast dreißig Jahre vor sich, und das ist lediglich der Durchschnitt. Drei Jahrzehnte sind eine kleine Ewigkeit und allemal lang genug, um noch tausend verschiedene Dinge auf die Reihe zu bekommen.
Joachim setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und begann, sein Hemd aufzuknöpfen, Hose und Socken zog er sich halb liegend aus. Wie sollte ein Mensch mit diesem sperrigen Ding um den Hals nur schlafen? Er boxte sich sein Kissen zurecht, stopfte es in den Hohlraum zwischen Krause und Rücken, schloss die Augen. Kurz später richtete er sich wieder auf. Seine Hoffnung, eine liegende Position würde seinem Elend wenigstens ein klein bisschen Abhilfe verschaffen, konnte er wohl auch begraben. Außerdem wurde er langsam, aber sicher ungeduldig – wo blieb Bettina bloß? Halb sitzend lauschte er nach unten. Irgendwann musste sie doch hochkommen und sich endlich um ihn kümmern.
Sie kam schließlich mit einem Tablett in der Hand. Mit ihr zog ein köstlicher Duft nach Weinschaumsoße, Zimt und gebratenen Apfelküchlein ins Zimmer. Sie hatte ihm seine Lieblingsspeise zubereitet. Wenn Gesine jetzt hier wäre, dachte er.
Bettina setzte das Tablett auf dem Nachttisch ab, zauberte eine Nackenrolle aus dem Schrank und opferte zusätzlich ihr eigenes Kopfkissen, um es ihm so bequem wie möglich zu machen. »Ich habe mir gedacht, du hast bestimmt noch Hunger?«
Einen winzigen Moment lang wollte er abwinken, so tun, als ob der Schmerz seinen Hunger gekillt hätte. Schnell siegte jedoch seine Gier über ein solch märtyrerhaftes Gehabe, vielleicht war es aber auch einfach intuitiver Selbsterhaltungsdrang, er wollte schließlich nicht vom Fleisch fallen. Und zuletzt legte sich über alles sattes Wohlgefühl. Er und Bettina gehörten zusammen. Es tut gut zu wissen, wo man hingehört, dachte er noch, bevor das Denken in dicke Wattebäusche sickerte. Er schlief.
Gesine saß auf dem Beifahrersitz und schmollte. Sie wusste genau, dass John gleich wieder zu ihr rüberschauen und sie fragen würde, ob alles in Ordnung war. Nichts war in Ordnung! Wozu hatte sie sich in einer stundenlangen Prozedur neue Nägel und sogar eine French Manicure verpasst, was schon ohne Tritte im Bauch verflixt schwierig ist? Und wozu hatte sie sich in ihrem Zustand diesem grässlichen Friseur mit der vorsintflutlichen Trockenhaube ausgeliefert und gezittert, dass die gewünschten Strähnchen auch tatsächlich blond und nicht gelb werden würden, wenn die Hebamme sie dann doch wieder wegschickte? Gesine fühlte sich irgendwie gelinkt. Sie wollte eine schöne Gebärende sein, alles sollte perfekt sein, bis hin zum Timing. Sie war so sicher gewesen, dass es soweit war. Und nun diese Blamage. Sie wurden wieder nach Hause geschickt.
»Ist alles in Ordnung, Liebelein?«
»Ich bin kein Liebelein.« Sie wehrte Johns Hand ab. Mussten Männer eigentlich immer und ewig fummeln?
»Du bist die liebste und süßeste Mutter in spe, die ich kenne.«
»Interessant! Du hast also ’ne ganze Sammlung von werdenden Müttern auf Lager.«
»Das ist nur dein Zustand, der dich so kribbelig macht. Das ist voll normal.«
»Ich will aber nicht normal sein. Ich will unser Kind haben. Jetzt.« Gesine wusste, dass sie sich kindisch aufführte. Aber sie kam nicht dagegen an. Sie fühlte sich unverstanden und verstoßen, nicht mal ihr Vater hatte angerufen. Von wegen er würde jede Sekunde an sie denken und sofort herkommen, wenn es soweit war. »Notfalls chartere ich einen Hubschrauber, Herzchen!« Liebelein! Herzchen! Sie hätte platzen können, platzen wie ein überreifer Kürbis, und dann wäre alles vorbei und ihr Kind endlich da.
»Nur noch ein paar Tage, dann ist es da, unser Baby. Soll ich dir den Sitz etwas nach hinten stellen?«
»Hat Paps vielleicht angerufen, als die Hebamme mich untersucht hat?«, fragte Gesine zurück und kratzte sich den Bauch. Warum hatte ihr nur niemand gesagt, dass das Schlimmste an so einer Schwangerschaft dieser ungeheure Juckreiz war?
»Das hätte ich dir doch gesagt. Aber deine Mutter hat angerufen. Sie meint, ich soll dich zu Hause mit Aloe Vera einreiben, damit du dich nicht wieder halb blutig kratzt.«
»Ich bin kein kleines Kind mehr.«
»Sie meint es doch nur gut.«
»Nein, sie will einfach immer alles besser wissen. Ich kann auf ihre tollen Ratschläge genauso wie auf ihre dämlichen Zaubermittelchen gut verzichten.«
»Aber du hast doch selbst erzählt, dass dieses Aloe Vera bei deinen Kunden nach dem Permanent-Make-up wahre Wunder wirkt, wenn die Haut gereizt ist.«
»Ein Baby im Bauch ist kein Tattoo am Hintern.«
»Red nicht so!«
»Ich rede, wie es mir passt.«
»Soll ich einen anderen Musiksender einstellen? Diese harten Beats machen dich bestimmt nur noch nervöser.« John tippte von einer Taste auf die nächste, ein wilder Mix aus Hiphop und Bürgerfunk und Erhabenem, er stoppte jäh, als »Herz, mein Herz« ertönte.
»Unser Lied«, sagte er andächtig.
»Es ist von Nessi Tausendschön und ironisch gemeint.« Gesine war nicht nach Andacht. Niemandem ist danach, wenn ihn gerade eine Hundertschaft unsichtbarer Ameisen heimsucht und die Nerven bloß liegen.
»Ich meine es nicht ironisch, Herzchen.«
»Wenn du mich noch einmal Herzchen nennst, steige ich aus.« Gesine wartete förmlich darauf! dass er ihr Einhalt gebieten würde. Irgendwann musste doch auch ihm der Geduldsfaden reißen. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Menschen, der wild entschlossen ist, auf Teufel komm heraus nett und beherrscht zu bleiben, dann kommt man sich erst recht schofel vor. Gesine fühlte sich nicht nur schofel, sondern auch an der Nase herumgeführt und grässlich fett. Außerdem hatte sie verdammte Angst, die sie endlich hinter sich bringen wollte. Warum verstand das nur niemand?
Die Abzweigung tauchte auf John verlangsamte das Tempo. Grün, nichts als Grün soweit das Auge sah, und mittendrin die ehemalige Backstube, die Johns Vater wegen seiner Mehlstauballergie hatte aufgeben müssen.
»Glaubst du, es gibt eine Grün-Allergie?«, fragte sie laut.
John lachte. Er schien sich über ihre Frage zu freuen, so als ob sie einen Scherz gemacht hätte und ihm damit die Rückkehr ihrer Fröhlichkeit dokumentieren wollte. Aber vielleicht war es ja gar kein Scherz. Diese Unmengen von Natur konnten einem Stadtkind wie ihr mächtig aufs Gemüt schlagen.
»Das ist nicht zum Lachen«, knurrte sie. »Das war ernst gemeint.«
»Warte nur, bis erst unser Palast fertig ist, Herzblatt.«
»Du meinst damit doch nicht etwa die alte Backstube?«
»Wie ich dich kenne, zauberst du in null Komma nichts einen Palast daraus.«
»Mein Entwurf lehnt eher an ein japanisches Teehaus an.«
»Auf so eine geniale Idee kannst auch nur du kommen.«
Gesine lächelte, sie konnte nicht anders. John schaffte es immer wieder, sie aus ihrem Baby-Blues zu reißen und daran zu erinnern, was bald sein würde. Vor ihrem geistigen Auge verwandelte sich die Baustelle mir nichts, dir nichts in eine Pagode aus Glas, die Statik spielte keine Rolle mehr, alles wurde leicht und hell, fehlte nur noch ein Badeteich mit Seerosen und einer Bambusbrücke. Erst neulich hatte sie in einem total noblen Gartenmagazin solch eine Anlage gesehen. Einfach perfekt!
»Du siehst hinreißend aus, wenn du so lächelst. Wie eine Madonna.«
»Wenn ich eine Madonna wäre, dann wäre unser Baby vom heiligen Geist.«
»Okay, ich verbessere mich. Du siehst wie eine Mischung aus Madonna und Lolita aus.«
»Du bist süß.« Gesine legte den Kopf schief und tastete nach Johns Hand. Er hatte schöne, starke Hände. Sie hatten ihr auf Anhieb gefallen, genauso wie seine muskulösen Beine, richtige stramme Fußballerbeine. Auf seinem Platz war er ein Held. Er war ihr Held. »Bin ich arg unausstehlich?«, fragte sie leise.
»Ich liebe dich. Dich, unser Baby und natürlich Moritz.«
Gesine wandte den Kopf zur Seite. Musste er sie ausgerechnet jetzt an den Jungen erinnern, der keine Gelegenheit ausließ, um sie zu ärgern? Klar, Moritz war sein Sohn und in einem schwierigen Alter, aber wenn man ihm alles durchgehen ließ, würde er da nie rauskommen. Warum konnte er nicht bei seiner Mutter bleiben? Ein Kind gehört zu seiner Mutter, oder etwa nicht?
»Warte nur ab, wenn das Baby erst da ist. Moritz wird es spazieren fahren und schaukeln und mit ihm spielen, er wird ihm ein guter Bruder sein. Er braucht nur etwas, woran er seine Liebe auslassen kann.«
Gesine verschränkte wortlos die Arme vor der Brust.
»Frierst du, Herzblatt? Soll ich die Heizung hochdrehen?«
Gesine blieb die Antwort schuldig. Sie stieg aus, bevor John ihr helfen konnte, und watschelte schwerfällig – eine Hand stützend unter der Bauchkugel – ins Haupthaus, in dem sie für den Übergang in der Mansarde wohnten. Moritz schlief zum Glück unten bei seinen Großeltern, die auch kochten und die Wäsche erledigten und überhaupt alles taten, damit sie, Gesine, sich wohl fühlte.
Die beiden waren in Ordnung. Einfach, aber herzensgut, die behandelten sie wie eine kleine Prinzessin und lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie stellten sich sogar hinter sie, wenn sie mit Moritz Tacheles redete, weil er wieder irgendeinen haarsträubenden Unfug angestellt hatte. Der Junge war keineswegs so harmlos, wie sein Vater annahm. John war betriebsblind, sobald es um Moritz ging. Und wenn sie sich beschwerte, weil sich etwa wieder mal – natürlich ganz zufällig – ein Regenwurm in ihren Schuh verirrt hatte und sie nur knapp einen hysterischen Anfall unterdrücken konnte, tat John das als Lappalie ab. Angeblich konnte ein Zwölfjähriger, zumal wenn er auf dem Land groß geworden war, noch nicht begreifen, dass manche Menschen sich vor Würmern und ähnlichem Getier ekelten. Pustekuchen!
Gesine nahm es John übel, dass er so einseitig Partei ergriff In jüngster Zeit rastete sie bei solchen Gelegenheiten manchmal regelrecht aus, knallte Türen oder fing an zu weinen und konnte gar nicht mehr damit aufhören. Dann nahm John sie sofort in den Arm und schien wieder nur für sie da zu sein.
Wenn doch nur schon alles vorbei und sie wieder die alte Gesine wäre. Die alte und doch auch wieder anders. Besser und um ein Baby, das sie von innen heraus strahlen lassen würde, reicher. Sie wollte mit der Sonne um die Wette strahlen.
Früher hatte ihr Vater sie immer »Mein Sonnenschein« genannt. Sie wollte aber schon damals – und zu der Zeit war sie noch ein Kleinkind – mehr sein. »Ich will nicht nur ein Schein sein«, hatte sie geschmollt. Von da an nannte er sie »Sönnchen!«
»Und wie geht es meinem Sönnchen heute?«
Warum hatte Paps bloß noch nicht angerufen?
Bettina schob sich so leise wie irgend möglich aus dem Bett. Joachim hatte letzte Nacht sehr unruhig geschlafen, sie dementsprechend zwangsläufig auch, und während sie wach gelegen und darauf gewartet hatte, endlich einzuschlafen, waren ihr lauter abstruse Gedanken durch den Kopf gegangen. Jetzt im Hellen angesichts ihres mittlerweile friedlich schlummernden Mannes, der auf vertraute Weise ein bisschen verknautscht und mit dieser Halskrause auch ein wenig komisch aussah, schämte sie sich. Wie konnte sie auch nur einen winzigen Augenblick lang denken, dass ihm diese Krause gerade recht kommen könnte, um sie daran zu hindern, endlich mal etwas nur für sich allein zu tun? Ein Mann muss doch kein engstirniger Patriarch sein, nur weil er es genießt, seine eigenen Kinder und möglichst auch noch deren Kinder so lang und eng wie möglich um sich zu haben. Sie sollte sich freuen, dass Johannes ein hundertprozentiger Familienmensch war.
Stopp! Seit wann buchstabiert sich Familie wie »Gesine« alias Sönnchen?
Gleich der nächste ketzerische Gedanke! Bettina rief sich zur Ordnung, bückte sich, sammelte Joachims verstreut liegende Kleidungsstücke ein – diesmal konnte sie ihm daraus wirklich keinen Vorwurf machen –, trug alles zu dem Wäschepuff im Badezimmer und stellte sich anschießend unter die Dusche. Länger kalt als warm, was sie insbesondere morgens früh hasste, auch wenn es noch so gesund war. Joachim hatte damit kein Problem oder zeigte es zumindest nicht. Er zog sie gern mit ihrer Unsportlichkeit und den mit dieser einhergehenden Begleiterscheinungen auf »Wenn du wie ich jeden Morgen bei Wind und Wetter deine neun Kilometer laufen würdest, würde dir eine eiskalte Dusche auch nichts ausmachen, im Gegenteil!«
Sie ließ das eiskalte Wasser auf sich niederprasseln, bis ihre von Natur aus helle und sehr zarte Haut sich am ganzen Körper zu röten begann. Immerhin hatte sich die Gänsehaut verflüchtigt, dafür waren ihre Finger so taub geworden, dass ihr der Föhn wenig später zweimal hintereinander ins Waschbecken fiel.
»Was veranstaltest du denn da?«, erkundigte sich Joachim von der tapezierten Zwischentür aus, die das Schlafzimmer mit dem Bad verband. »Willst du uns partout die Sanitärkeramik zerdeppern?«
Bettina mochte es nicht, wenn Joachim sich so anschlich, während sie noch damit zugange war, ihr Äußeres zu restaurieren. Und für derlei Späßchen hatte sie vor der ersten Tasse Kaffee auch nichts übrig, also schoss sie zurück.
»Keine Bange! Ich versuche nur, mich umzubringen.«
»Dann musst du das Wasser laufen lassen, sonst funktioniert das nicht.«
»Ich wusste doch, dass ich was vergessen habe.« Sie hätte es sich denken können, er musste wie immer das letzte Wort behalten, mit oder ohne Halskrause.
»Nun hör schon auf! Meinst du, du schaffst es, mir beim Duschen und Rasieren zu helfen?«
»Ich denke, du sollst nicht duschen?« Bettina hängte den Föhn resigniert zurück an den Haken. Mit einer ordentlichen Frisur wurde das heute sowieso nichts mehr, ihre Haare hätten jedem Handfeger Konkurrenz machen können, da half nur noch ein extra dicker Kletsch Wetgel. Glücklicherweise hatte Gesine eine noch halb volle Tube zurückgelassen, als sie auszog. Nicht das einzige Souvenir, auf Schritt und Tritt stieß man in diesem Haus auf vergessene Habseligkeiten ihrer Jüngsten, und Joachim verteidigte jedes Teil wie einen Schatz. »Du kannst das doch nicht einfach wegschmeißen!«
»Ich warte noch immer auf eine Antwort!«, drängte er nun. »Hilfst du mir, ja oder nein?«
»Auf deine Verantwortung!«
»Immer.«
Bettina warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Wollte er damit womöglich andeuten, dass er ohnehin seit jeher die Last der Welt und erst recht seine Familie ganz allein schulterte? In diesem Punkt konnte und wollte sie gern für Abhilfe sorgen, genau darum ging es … unter anderem.
Sie wollte schon anfangen, von ihren Plänen zu erzählen, als er ihr eine Flasche Shampoo in die eine und die Zwillingsflasche mit Festiger in die andere Hand drückte, sich abwandte, aus seinen Unterhosen und in die Duschkabine stieg. Sein Hinterteil sah noch immer sehr knackig aus, seine Beine hatten nicht die winzigste Spur von Cellulitis. Klar, er trieb ja auch regelmäßig Sport und genoss das Privileg, ein Mann zu sein. Männer gebären nicht, bekommen folglich keine Schwangerschaftsstreifen und picken sich sowieso überall die Rosinen raus …
»Ich erfriere, wenn du nicht langsam anfängst, Bettina.« Anklagend und genau mit diesem Tonfall, den man gerne anschlägt, wenn der Nachwuchs Mist baut. Sie war aber seine Frau, verdammt!
»Ich denke, Frieren ist nur was für Sportmuffel wie mich?«, konterte sie.
»Ich bin krank, und ich habe einen Termin zur Nachuntersuchung, wenn du jetzt bitte loslegen würdest. Aber mach bloß die Krause nicht nass.«
Bettina aktivierte ihren praktischen Verstand. Mit eingegipsten Körperteilen, die nicht nass werden dürfen, kannte sie sich aus. Ihre Familie hatte ihr im Lauf der Zeit mindestens ein halbes Dutzend Brüche beschert. Niemand verstand sich wie sie darauf mit Plastiktüten und Einmachringen dem Spritzwasser Einhalt zu gebieten. Und dann rasierte sie ihn auch noch nass, sie durfte ihn sogar föhnen und ihm beim Ankleiden helfen. Joachim war sichtlich zufrieden.
»Danke.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die glänzende Stirn.
»Bitte.« Sie war nicht mal dazu gekommen, sich den Überschuss der reichhaltigen Creme mit Straffungseffekt abzutupfen. Speckschwarte an Handfeger! Am liebsten hätte sie ihrem Spiegelbild die Zunge herausgestreckt.
»Man merkt halt, dass du Erfahrung mit so was hast.« Joachim rückte dicht neben sie und musterte aufmerksam sein glatt rasiertes Kinn.
»Mit dem Rasieren von Adamsäpfeln?«
»Nun komm! Du weißt schon, was ich meine! Du bist und bleibst die beste Ehefrau und Mutter aller Zeiten. Und Großmutter!« Eine winzige Pause, dann fugte Joachim hinzu: »Wir sollten vielleicht doch noch mal bei Gesine anrufen, bevor wir starten.«
»Und wohin starten wir?« Bettina betonte dieses so selbstverständlich benutzte Wörtchen »wir«.
»Natürlich in die Ambulanz. Habe ich dir doch eben noch gesagt, dass ich zur Nachuntersuchung muss.«
Bettina schluckte die Bösartigkeit, die ihr auf der Zunge lag, hinunter. Warum war sie plötzlich nur so hyperempfindlich, wenn Joachim über sie verfugte? »Wir« gleich »ich«. Das »Ich« war selbstredend er. Aber war es nicht eigentlich immer so gewesen? Und es hatte ihr gefallen, diese Art der Gewaltenteilung, wie Joachim es mitunter formulierte. Es hatte ihr gefallen, exzessiv für ihre Kinder da zu sein, während er das nötige Geld verdiente und sich um Dinge wie Auto, Versicherung und Krankenkasse kümmerte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es sogar genossen, noch einmal ganz unverhofft an dem Wunder teilzuhaben, wie aus einem Winzling eine kleine Persönlichkeit wird, die aufstampft und krakeelt und einen im nächsten Augenblick um den Fingern wickelt und in einem Monat mehr dazu lernt als ein Erwachsener in Jahren. Sie hatte gleich das doppelte Wunder genießen dürfen, von morgens bis abends, meistens hatte sie dann noch für alle gekocht, weil Trixi viel zu groggy war. Dabei war ihre Erstgeborene noch so jung, einunddreißig Jahre jünger als sie selbst.
»Bettina, hörst du mir überhaupt zu? Ist was mit dir?«
»Nein, schon gut, alles bestens. Ich… ich hab nur gerade überlegt, ob die Zeit wohl reicht, um vorher noch frische Brötchen zu holen, was meinst du?«
»Ich meine, dass wir uns heute ein Frühstück mit allem drum und dran verdient haben. Vom Krankenhaus ist es nicht weit bis zum Café Fleur, da sind wir doch früher immer so gern mit den Kindern hingegangen. Arbeiten gehen darf ich sowieso noch nicht, Golfen kann ich mit diesem Halsschmuck erst recht vergessen, und die Chorprobe ist gestern bekanntlich ebenfalls voll in die Hose gegangen. Dabei hatte ich mich schon so auf unseren nächsten Auftritt gefreut.«
»Das wird schon.«
»Ja, fragt sich nur wann. Wenn wir wenigstens was von Gesine hören würden. Glaubst du, man kann dort schon anrufen? Bäckersleute sollen ja mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen, zumal auf dem Land.«
»Die Rottländers sind keine Bäcker mehr«, erinnerte Bettina ihn und fragte sich, ob ihm überhaupt bewusst war, in welch abfälligem Ton er noch immer von den Schwiegereltern seiner Jüngsten sprach. Dabei hatte er sonst doch keinen Dünkel.
»Stimmt, deshalb frage ich mich auch, warum sie derartig reinklotzen. Wovon bezahlen sie das überhaupt? Weißt du, was es kostet, eine primitive Backstube so umzugestalten, dass sie den Bedürfnissen einer jungen Familie gerecht wird? Stell dir nur vor, das Baby kriegt auch eine Mehlstauballergie, solch ein unreifer Organismus ist doch tausendmal empfindlicher. Wenn du mich fragst, ich finde es unverantwortlich, die jungen Leute auf diese Weise festnageln zu wollen. Gesine kann in Nettesheim nicht mal ihren Beruf ausüben, oder hast du schon mal was von Permanent Make-up oder French Manicure für Kühe gehört? Und ein Vermögen verdient John da draußen als Trainer ja wohl auch nicht?«
»Dein Termin«, erinnerte Bettina und blieb Joachim absichtlich die Antwort auf Fragen, die eigentlich keine waren, schuldig. Sie griff nach den Autoschlüsseln und klimperte unüberhörbar mit ihnen. »Schon vergessen?« Sie ging schon mal zum Auto vor, allmählich konnte sie es nämlich nicht mehr hören, wie er alles schlecht machte, was mit Nettesheim zu tun hatte. Wer ihn so reden hörte, musste denken, er wäre eifersüchtig.
Und was bist du, Bettina Reichwein?
Unfug! Bettina konzentrierte sich darauf möglichst rasch loszufahren, die Zeit wurde knapp, außerdem war es völlig abwegig, auf die eigene Tochter eifersüchtig zu sein.
Gesine weigerte sich, zum Nachmittagskaffee zu erscheinen, und verschmähte gleichfalls, was John ihr auf dem Tablett hochbrachte. Dabei könnte sie für ofenwarmen Bienenstich sterben. Dem gemeinsamen Frühstück und dem Mittagessen in der altdeutsch eingerichteten Wohnküche der Rottländers war sie an diesem Tag gleichfalls ferngeblieben. Auslöser war wieder mal ein Streich von Moritz gewesen oder vielmehr was er seinem Vater als solchen verkaufte. Als Gesine in der Nacht die ein Stockwerk tiefer gelegene Toilette aufgesucht hatte – in ihrem Zustand ein weiteres lästiges Übel – war es schlagartig stockfinster geworden. Moritz hatte die Sicherung herausgedreht, um, wie er behauptete, beim Stromsparen zu helfen.
Diesmal war er zu weit gegangen. Zwar konnte Gesine oben unterm Dach nicht alles verstehen, aber sie bekam sehr wohl mit, dass John anderntags unten bei seinen Eltern mit seiner Ex- Frau telefonierte und sein Sohn daraufhin die Holztreppen wie ein Elefant rauf und runter polterte. Diesmal beschwerte sie sich nicht darüber, obwohl das Trampeln dazu angetan war, ihre Fruchtblase platzen zu lassen. Sie geduldete sich, bis am frühen Abend tatsächlich der Lieferwagen vorfuhr, mit dem Moritz’ Mutter und Johns Nachfolger gewöhnlich die Bierfässer, und was sonst an Getränken gebraucht wurde, zu ihrer Kneipe in Blankenheim kutschierten, weil das billiger war, als sich beliefern zu lassen. Normalerweise tauchte Karin nur jedes zweite Wochenende auf um Moritz zu sich zu holen. Heute kam sie eindeutig außer der Reihe, und der Größe der Reisetasche nach zu urteilen, die eingeladen wurde, würde der Junge diesmal länger als nur eineinhalb Tage bei ihr bleiben.
Gesine hätte jubeln können, ihre Anspannung fiel schlagartig von ihr ab, sie verspürte sogar Lust, sich hübsch zu machen. Kein eben leichtes Unterfangen mit Stützstrümpfen, Kleidungsstücken in Sackformat und Haaren, die seit Monaten wie Schnittlauch vom Kopf hingen und nicht mal dem Friseur gehorchen wollten. Die Strähnchen standen ihr immerhin, und im Gesicht gab es auch keine roten Kratzspuren. Gesine überlegte noch, ob sie vielleicht etwas Rouge auftragen sollte, als sie die Treppenstufen knarren hörte. So schnell es ging, hechtete sie in den Sessel zurück, der ihr Lieblingsplatz war, seitdem sie sich kaum noch unter Menschen traute.
John sah nicht gerade glücklich aus. Beim Anblick seiner traurigen Miene stieg das schlechte Gewissen in ihr hoch. War es wirklich so schlimm gewesen, was Moritz getan hatte? Oder hatte sie wieder mal kräftig übertrieben? Sie erinnerte sich vage an Worte, die sie in ihrer Wut geschrien hatte. Dass sie sich nicht mehr sicher fühlte und alle es bereuen würden, wenn ihr Baby wegen diesem kleinen Monster irgendeinen Schaden davontragen sollte. Natürlich hätte sie wirklich hinfallen können, als sie ohne Licht versucht hatte, zurück ins Bett zu finden. Andererseits war John ihr von oben und sein Vater von unten zur Hilfe geeilt, den kleinen Missetäter hatte man noch auf frischer Tat ertappt, entschuldigen wollte er sich aber trotzdem nicht bei ihr. »Ich konnte doch nicht wissen, dass sie nachts sogar öfter aufs Klo rennt als Opa Norbert, wenn er he Blasenentzündung hat.« Damit waren die Würfel gefallen, ausnahmsweise zu ihren Gunsten. Warum gönnte John ihr diese kurze Verschnaufpause nicht? Der Anflug von Reue schlug in Trotz um, und Gesine ließ die Hand, die sie ihm gerade entgegenstrecken wollte, wieder sinken.
»Moritz ist weg«, sagte John leise. »Meine Mutter will wissen, ob du denn jetzt runter zum Essen kommst. Sie macht sich Sorgen um dich.«
»Und du?«
»Ich will, dass es dir gut geht. Dir und dem Baby. Es tut dir nicht gut, wenn du dich so aufregst.«
»Ich hab’s nicht aus Spaß gemacht.«
»Ich weiß, und Moritz wird seine Lektion lernen, spätestens wenn er heute bis in die Puppen Kegel aufstellen muss. Karin meint, die Zeit, die es sie kostet, ihn außer der Reihe durch die Gegend zu kutschieren, wenn sie volles Haus haben, muss er irgendwie wieder reinholen. Sie ist ziemlich hart geworden.«
»Es wird Moritz nicht umbringen.«
»Das sage ich mir auch. Kommst du denn jetzt mit?«
»Wenn du das auch möchtest, komme ich, aber nur mit dir zusammen. Magst du mich überhaupt noch, so hässlich und zickig wie ich neuerdings bin?«
»Ich liebe dich, Prinzesschen. Ich liebe jede gottverdammte Flause in deinem Köpfchen, und meine Eltern hast du auch schon komplett um den Finger gewickelt, selbst mein Vater frisst dir aus der Hand. Alle Rottländers liegen dir zu Füßen.«
»Du stehst aber.«
John ging auf den Schabernack ein und schmiss sich auf den Boden. »Jetzt liege ich und stehe erst wieder auf, wenn du mir sagst, dass du mich auch liebst.«
Eine heiße Woge der Liebe überrollte Gesine und trieb ihr die Tränen in die Augen. Da lag er vor ihr, ihr Held, natürlich liebte sie ihn, sonst wäre sie ihm doch niemals nach Nettesheim gefolgt. Der Fußballverein, dessen Trainer er war, befand sich nun mal hier und nicht in Köln oder einer anderen Großstadt. Noch nicht, denn wenn sein Verein erst aufstieg und ihn angesichts dieses Erfolgs ein anderer, bedeutender Verein wie Fortuna Köln oder der 1. FC abwarben – so was passierte alle naselang – konnte sich das Blatt rasch wieder wenden …
Es klopfte. Noch ehe John sich hochrappeln konnte, ging die Tür auf und seine Mutter trat ein. Sie trug eine ihrer bunten Kittelschürzen aus Nylon, die man nicht bügeln musste, weshalb sie sie auch jeden Tag wechseln konnte. Bei Johns Anblick stutzte sie.
»Was tust du denn da unten am Boden? Nun steh schon auf die Paprikaschoten sind fertig«, und an Gesine gewandt: »Die magst du doch so gerne.«
Gesine nickte, bei der bloßen Vorstellung lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte schließlich den ganzen Tag noch nichts gegessen.
John hingegen schüttelte den Kopf »Geht nicht«, meinte er lapidar.
»Hast du dich verletzt junge?« Schon kniete seine Mutter neben ihm, dabei rutschte der Kittel ein Stück hoch, und man konnte sehen, wo ihre Nylonkniestrümpfe endeten und die nackte Haut begann.
»Ja, Mutter.« Johns Miene blieb total ernst, dieses Pokerface gehörte zu seinem Job.
»Mein Gott, das fehlt uns noch gerade. Soll ich den Doktor rufen?«
»Es reicht, wenn Gesine mich erlöst. Sie muss mir nur sagen, dass sie mich auch liebt.«
»Du Kindskopf! Mir solch einen Schrecken einzujagen! Beeil dich gefälligst, sonst wird noch alles kalt!« Erika Rottländer rappelte sich hoch, ihr Brustansatz über dem V-Ausschnitt der pinkfarbenen Schürze hatte sich rötlich verfärbt, offenbar machte diese kleine Szene sie verlegen, und sie verließ die Dachwohnung so schnell wie möglich wieder.
Gesine hingegen genoss Johns Inszenierung. Das war rührend und romantisch und ließ sie glatt vergessen, dass sie momentan mehr Ähnlichkeit mit einem Flusspferd als mit einer jungen Frau hatte, der die Männer scharenweise zu Füßen lagen. Sie hockte sich neben John und küsste ihn, wie sie ihn schon eine ganze Weile nicht mehr geküsst hatte, bis ihr die Puste ausging.
»Prinzessin, das war obergeil. Aber wenn du jetzt nicht aufgehört hättest, wäre ich erstickt.«
»Willst du etwa behaupten, meine Küsse wären Todesküsse?«
»Die Bedrohung ging eher von dort aus.« John tippte liebevoll gegen ihre Brüste, die gut und gern die doppelte Größe ihres eigentlichen Volumens erreicht hatten.
»Du findest, dass ich teuflische Brüste habe?«
»Du bist halt mein Teufelsweib. Aber jetzt sollten wir uns wirklich auf den Weg machen, sonst massakriert meine Mutter noch unsere Paprikaschoten. Du hast doch Hunger?«
»Wie ein Wolf oder besser wie zwei Wölfe.«
»Dann nichts wie runter an die Futterkrippe!«
Das war allerdings leichter gesagt als getan. John musste sie erst einmal wieder auf die Beine bekommen, ein Fuß war ihr eingeschlafen, und in ihrem Bauch protestierte das Baby mit heftigen Tritten dagegen, dass sie Klappmesser mit ihm gespielt hatte. Sie schafften es trotzdem.
Nachdem er sie sicher die Treppe hinunter geleitet hatte, stürzte Gesine sich mit wahrem Heißhunger auf das Essen. Nach der zweiten Portion war sie picke packe satt, trotzdem ließ sie sich den Teller noch mal füllen, es tat einfach gut, ganz allein im Mittelpunkt zu stehen und gelobt zu werden, als ob sie den Mount Everest bestiegen und nicht nur Heißhunger demonstriert hätte. Nach der dritten Schote mit der entsprechenden Portion Reis dazu glaubte sie am ganzen Körper zu glühen, woraufhin ihre Schwiegermutter sie noch zu einem Eis mit selbst eingelegten Mirabellen nötigte. »Eis geht immer«, meinte sie, »und das kühlt auch schön.«
Im Bad musste John ihr helfen, Gesine begnügte sich mit einer Katzenwäsche und verschob die Haarwäsche lieber auf den nächsten Tag. Vielleicht sollte sie einfach noch mal zum Friseur und gleich im Anschluss noch ins Nagelstudio, falls es so etwas in Blankenheim oder einem der anderen etwas größeren Orte in der Eifel gab. Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, während John noch unten das Bad benutzte. Bald würden sie ihr eigenes Bad haben. Modern und hell und wunderschön, zu schön, um wahr zu sein …
Gesine schlief ein und wachte wieder auf In ihrem Bauch bekämpften sich offenbar Paprikaschoten, Reiskörner und Mirabellen in einer sämigen Soße aus Vanilleeis. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff dass diese Fehde allenfalls ein Nebenschauplatz war. Ihr Baby wollte raus, und das mit aller Macht.
»John, wach auf es geht los!«
»Jetzt?« Verschlafen und verstrubbelt setzte er sich auf und starrte sie an. »Aber der Arzt hat doch gesagt…«
»Ein Arzt ist kein Hellseher.«
»Und du bist sicher, dass du nicht nur zu viel gegessen hast?«
Gesine lag ein Witz auf der Zunge. Sinngemäß wollte sie erwidern, dass aus ihr bestimmt keine Paprikaschote raus kommen würde, es sei denn, John hätte die vor neun Monaten in ihr deponiert. Doch alles, was sie zu Stande brachte, waren ein paar ziemlich unverständliche Laute, danach ging alles sehr schnell, zumindest bis sie am Kreißsaal ankamen.
Vom Café Fleur aus hatte Joachim zweimal in Nettesheim angerufen. Was er zu hören bekam, verdarb ihm den Appetit, obwohl, wie er selber zugeben musste, eigentlich ja gar nichts Schlimmes passiert war. Während er in seinem in einer Glasschale appetitlich angerichteten Müsli mit Frischobst und Joghurt hemmstocherte – als Sportler achtete er neuerdings auch auf eine gesunde Ernährung – malte er in Schreckensbildern aus, was alles hätte passieren können, wenn Gesine wirklich beim Gang zur Toilette gestürzt wäre.
Bettina versuchte vergeblich, ihn zu beruhigen. Irgendwann hatte er es mit seiner Lamentiererei geschafft, dass auch ihr die Lust an ihrem Baguette mit Rührei und Schinkenwürfeln verging. Was als Belohnung gedacht war, verkehrte sich ins Gegenteil. Zentrales Thema war und blieb die arme Gesine, die den Rottländers hilflos ausgeliefert war.
Auch als sie schon längst wieder zu Hause waren, hatte er das Thema noch immer nicht gewechselt. Irgendwann drohte Bettina damit, Joachims Golf Bag aus dem Fenster zu werfen, wenn er in der nächsten Stunde noch ein einziges Mal über die neue Familie ihrer Jüngsten herzog. Bettina wollte endlich ihre täglichen Hausarbeitspflichten hinter sich bringen und vielleicht schon mal die Reisebettchen der Zwillinge in den Keller schaffen, außerdem sollte gleich der Mann von der Telekom kommen. Sie lüftete wie gewöhnlich zuerst die Betten, putzte das Bad und dann die Küche, saugte Staub und wischte zuletzt über die Steinfliesen im Flur. Joachim ließ sie dabei keinen Moment aus den Augen. Er lief ihr die ganze Zeit hinterher und entdeckte Missstände, die nicht der Rede wert waren und außerdem seit Wochen oder sogar Monaten existierten. Es gipfelte darin, dass er ihr vorschlug, besser erst mal den Maler und am besten gleich in einem den Fliesenleger und den Installateur zu bestellen, statt sich mit Dingen »ohne Hand und Fuß« zu beschäftigen.
»Sieh dir nur die Ecke oben an der Decke an, da löst sich sogar schon die Tapete. Am besten kratzt man erst mal alle alten Tapeten runter und überlegt, ob es nicht sowieso gesünder wäre, ganz auf Tapeten und vor allem auf Latexfarben zu verzichten. Ich werde mich mal in meiner Firma erkundigen, wir produzieren neuerdings, wie du weißt, auch Wandfarben, die garantiert unschädlich sind. Selbst wenn ein Kind daran lutschen würde…«
»… bei uns lutscht aber kein Kind mehr an der Wand«, fiel Bettina ihm ins Wort.
»Man weiß nie, in jedem Fall sollten wir alles entfernen lassen, was die Atemwege belasten und Allergien fordern könnte. Diese Woche bin ich ja sowieso noch zum Nichtstun verurteilt, da könnte ich dir hervorragend bei der Auswahl geeigneter Fachkräfte helfen.«
»Musst du nicht für das Duett mit deinem Chef üben?«, versuchte Bettina abzulenken. Wenn sonst nichts mehr zog, half es meistens, die Sprache auf seine Singerei kommen zu lassen.
»Wie soll ich die Noten entziffern, wenn ich den Hals nicht drehen kann?«
»Du bist doch sonst so erfindungsreich! Ich gehe jetzt erst mal in den Keller.«
»Und was willst du da?«
»Im Keller befindet sich beispielsweise die Waschküche. Oder brauchst du mit Halskrause keine frischen Oberhemden mehr?«
Darauf blieb Joachim ihr ausnahmsweise die Antwort schuldig. Er verschwand mit der Tageszeitung auf der Toilette. Auch nicht schlecht! Bettina warf einen Blick auf die Uhr, der Mann von der Telekom musste jeden Moment klingeln. Mit etwas Glück würde Joachim gar nicht mitbekommen, wie sie mit Telefon- und PC-Anschluss versorgt wurde. Seine Sitzungen mit Lektüre dauerten immer länger. Sie beschloss, den Techniker unten an der Haustür abzupassen, dann brauchte er erst gar nicht zu klingeln.
Ihr Plan ging auf sie führte den netten jungen Mann ins ehemalige Kinderzimmer hoch und erklärte ihm kurz den Sachverhalt. »Brauchen Sie mich noch?« Ihre Frage wurde verneint. Bettina beschloss, die Zwischenzeit zu nutzen, um sich um die Wäsche zu kümmern und in einem die Reisebettchen nach unten zu bringen. Was erledigt ist, ist erledigt. Außerdem wollte sie Joachim nicht belogen haben. Sie klappte die beiden Bettchen zusammen und klemmte sie sich unter den einen Arm, mit der freien Hand transportierte sie den Beutel mit Weißwäsche bis sechzig Grad.
Alles lief wie am Schnürchen, bis die Bewohnerin der Parterrewohnung ihr über den Weg lief. Eigentlich eine nette Person, nur ziemlich langatmig und neugierig. Sie wollte wissen, ob es Bettina nicht das Herz brach, die süßen Zwillinge jetzt nicht mehr jeden Tag um sich zu haben.
»Wann kommt eigentlich das Baby von unserer kleinen Gesine?«
»Praktisch täglich«, antwortete Bettina und überlegte, wie sie die gute Frau los werden konnte, ohne unhöflich zu sein.
»Sie sind wirklich zu beneiden. Dann kommen die Bettchen ja bald wieder zum Einsatz, oder zumindest eins von ihnen.«
»Es tut mir schrecklich Leid, Frau Schwan, aber ich muss mich etwas beeilen, mein Mann braucht mich oben.«
»Ist er denn nicht bei der Arbeit?«
Notgedrungen informierte Bettina über das Missgeschick, das Joachim widerfahren war. In Steno, doch sie hatte die Wissbegier der guten Frau mal wieder unterschätzt, die umgehend Vergleiche zum letzten Unfall anstellte, dann auf die wachsende Gefahr splitternder Knochen in fortschreitendem Alter zu sprechen kam und ihren Redefluss erst unterbrach, als über ihnen die Haustür ins Schloss fiel.
»Tut mir Leid, Frau Reichwein, aber ich muss rasch mal nachschauen, ob das der Paketbote war. Neulich hat er mir ein Paket zugestellt, das gar nicht für mich bestimmt war, er soll es nur ja wieder mitnehmen, ein Riesending ist das, bestimmt ein Computer. Nichts für ungut!«
Bettina nickte und sah zu, dass sie rasch in ihre eigene Wohnung kam. Joachim hatte seine Sitzung beendet und war mit der Tageszeitung ins Wohnzimmer umgezogen. Sie hob den Wäschekorb hoch, um ihm zu signalisieren, dass sie jetzt die Bettwäsche aus dem Trockner wegräumen würde, das war nicht mal gelogen. Als Erstes wollte sie allerdings nach dem Telekom- Mann sehen.
Er war fort. An der Stelle, wo der neue Anschluss hin sollte, war weiter nichts als die nackte Wand und eine Dreiersteckdose. Notgedrungen ging sie wieder nach unten.
»Joachim, weißt du zufällig, wo der Mann von der Telekom abgeblieben ist?«
»Ich habe ihn wieder weggeschickt.«
»Was hast du?«
»Ich dachte, wir wären uns darüber einig, dass wir erst mal die Wohnung auf Vordermann bringen. Mit dem Maler habe ich übrigens schon geredet, er kommt die Tage mit einem Kostenvoranschlag vorbei, und was das Bad angeht…«
»Ich glaube es nicht. Die Leitung muss aus dem Flur durchgezogen werden, und wenn wir nicht überall lose Kabel rumliegen haben wollen, muss die Wand ein Stück aufgeschlitzt werden, was man ja wohl sinnvollerweise macht, bevor der Maler kommt. Dieser nette Telekom-Mann …«
»Ja«, fiel Joachim ihr ins Wort, »ich fand ihn auch ausgesprochen nett. Wusstest du, dass er ebenfalls Vater ist?«
»Nein, wir haben unsere Kommunikation auf das Wesentliche beschränkt.«
»Aber ich halte es genau wie dieser nette Fachmann für sehr wesentlich, dass in einem Zimmer, wo kleine Kinder schlafen, jede Strahlung vermieden werden sollte. Selbst wenn Gesine oder Trixi mit unseren Enkeln nur noch zu Besuch herkämen …«
Bettina sah Joachim an. Sie sah die dicke Krause um seinen Hals, vielleicht hielt sie das zurück. So stürmte sie nur aus dem Zimmer, nahm ihre Handtasche von der Garderobe, schlüpfte in ihre Straßenschuhe und riss die Korridortür auf. Nur weg hier! Was zu viel war, war zu viel!
Als sie die Tür ins Schloss zog, hörte sie Joachim gerade noch von drinnen rufen, dass sie ihm doch bitte seine Lieblingssorte grünen Tee mitbringen möge.
Den Teufel würde sie tun!
Bettina sah zu, dass sie erst mal einen Häuserblock zwischen sich und den Mann brachte, der sich schlimmer als jener Dionysos aufführte, dessen Lebensgeschichte sie vor langer Zeit in unzähligen Versen hatte auswendig lernen müssen. Dann blieb sie stehen und begann, in den Tiefen ihrer Handtasche zu kramen. Sie wollte Spanisch lernen, damit ging es los, davon würde sie niemand abbringen, am allerwenigsten Joachim. So selbstherrlich, wie er sich eben aufgeführt hatte, würde sie sich nicht mal mehr vorher mit ihm besprechen, sondern ihn allenfalls informieren, wenn sie das richtige Institut gefunden hatte. Richtig für sie. In der Altstadt Nord, wo sie wohnten, ging die Suche los.
Bettina ging schneller, gleichzeitig wurde ihr Blick wachsamer, den Zettel mit den notierten Adressen hielt sie in der Hand und hakte säuberlich ab, wo sie bereits überall gewesen war. Spanisch-Kurse waren offenbar derzeit schwer gefragt, doch nichts von dem, was sie zu sehen bekam, packte sie auf Anhieb. Entweder wurde der Schwerpunkt auf hoch technische Sprachlabore gesetzt, oder die Preise waren horrend, manchmal kam beides zusammen. Auch das Publikum behagte Bettina nicht besonders. Irgendwie sah das aus, als ob hier weniger eine wunderbare Sprache eingebettet in eine fremde Kultur und Geschichte im Vordergrund stünde, sondern es vielmehr darum ging, schon am helllichten Tag um die auffälligste Kriegsbemalung und Garderobe zu wetteifern. Wenn Bettina auf eins verzichten konnte, dann auf die Gesellschaft von gelangweilten Hausfrauen auf der Suche nach einem neuen Zeitvertreib.
Aber vielleicht war sie ja auch vorschnell und ungerecht in ihrem Urteil?
Bettina entschied, einen weiteren Versuch zu wagen. Die nächste Adresse sagte ihr, zumindest was das Gebäude betraf schon mehr zu. Es gab einen mit Knöterich üppig begrünten Innenhof über den man zur Anmeldung gelangte. Eine junge Frau begrüßte Bettina auf spanisch, das gefiel ihr auf Anhieb. Sie erfuhr, dass hier größten Wert auf freie Konversation gelegt wurde, dass die Lehrer samt und sonders gebürtige Spanier waren und dass überdies kostenlose Schnupperstunden angeboten wurden. Auch die Zeiten erschienen Bettina vergleichsweise günstig, es wurden sogar Abendveranstaltungen angeboten. Bettina steckte den Flyer mit den wichtigsten Informationen ein, bedankte sich und machte kehrt. In ihrem Kopf arbeitete es auf Hochtouren.