Herz oder Knete - Annegrit Arens - E-Book
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Herz oder Knete E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Sie weiß, was sie will – und doch bekommt sie das Falsche: „Herz oder Knete“ von Erfolgsautorin Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Als Linda den gut aussehenden Dieter kennenlernt, ist sie Feuer und Flamme – und als sich herausstellt, dass er zusätzlich ein gut gefülltes Bankkonto hat, glaubt sie sich am Ziel ihrer Träume. Dieter scheint es ebenso zu gehen: Schon nach kürzester Zeit läuten die Hochzeitsglocken. Nun heißt es für Linda blöderweise nicht nur Luxusleben und Haushälterin, sondern Benimmregeln, auf die sie leider überhaupt nichts gibt. Zu allem Übel entpuppt sich Dieter auch noch als Spießer, der auf krummen Wegen Geld aus der Firma seines Vaters abzweigt. Ist sie auf einen Schaumschläger reingefallen … oder gibt es doch noch Hoffnung? Eine ebenso charmante wie spritzige Liebeskomödie – mit Starbesetzung für das Fernsehen verfilmt! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Herz oder Knete“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 425

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Über dieses Buch:

Als Linda den gut aussehenden Dieter kennenlernt, ist sie Feuer und Flamme – und als sich herausstellt, dass er zusätzlich ein gut gefülltes Bankkonto hat, glaubt sie sich am Ziel ihrer Träume. Dieter scheint es ebenso zu gehen: Schon nach kürzester Zeit läuten die Hochzeitsglocken. Nun heißt es für Linda blöderweise nicht nur Luxusleben und Haushälterin, sondern Benimmregeln, auf die sie leider überhaupt nichts gibt. Zu allem Übel entpuppt sich Dieter auch noch als Spießer, der auf krummen Wegen Geld aus der Firma seines Vaters abzweigt. Ist sie auf einen Schaumschläger reingefallen … oder gibt es doch noch Hoffnung?

Eine ebenso charmante wie spritzige Liebeskomödie – mit Starbesetzung für das Fernsehen verfilmt!

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 1996 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/KENG MIKEY MERRY PAPER ART

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-96148-136-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Herz oder Knete« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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blog.dotbooks.de/

Annegrit Arens

Herz oder Knete

Roman

dotbooks.

Kapitel 1 Paradiso

Das Wasser stieß gegen den Beckenrand. Ab und zu schwappte eine Welle über, auf den weißen Platten rund um den Pool wurde das türkisgrüne Wasser blaß. Fauler Zauber, dachte Dieter. Schon der Name war idiotisch: ›Paradiso‹. Wenn man genau hinhörte, konnte man die Autos über den Autobahnzubringer brettern hören. Stoßstange an Stoßstange ins Paradies, Eintritt sechsundzwanzig Mark, Studenten und Rentner bekamen Ermäßigung.

Er war neununddreißig, als Student ging er nicht mehr durch. Dieter blinzelte auf seinen Bauch, die Haut glänzte. Sonnenöl und Schweiß, wenn er nicht aufpaßte, bekam er eine Wampe. Er hätte sich das Menü verkneifen sollen. Wer aß schon Vorspeise und Hauptspeise und Dessert bei dreißig Grad im Schatten? Bescheuert! Er schloß die Augen.

Wasserplätschern. Wärme. Sonnenkringel. – Sie hieß Linda, ihre Freundin hatte sie so genannt. Linda! – Die Sonne bohrte Lichtpfeile durch seine geschlossenen Lider. Das Rumoren in seinem Magen ließ nach. Es tat gut, so zu liegen. – Linda war ein schöner Name. Weich, nicht zu lang. Sie hatte einen hinreißend schönen Hintern. – Er war den beiden Frauen von den Umkleidekabinen bis zur Cafeteria gefolgt und hatte auf diesen sanft ausschwingenden Hintern gestarrt. Einmal war ihre Hand nach hinten geglitten und hatte den Stoff des Bikinihöschens zurechtgezupft …

Die Sonnenkringel verschwanden, etwas tropfte kalt auf seinen Bauch.

»He!« Dieter hob abwehrend eine Hand.

»Nix he! Spar dir den Schönheitsschlaf für später auf, wir haben zwei tolle Miezen.«

Dieter öffnete die Augen. »Mit oder ohne Zahnspange?«

»Diesmal ohne.« Der andere grinste. »Diesmal mit Gütesiegel.«

Gütesiegel? Dieter fixierte die exotisch gemusterte Bermuda vor sich, die sah auch nach Gütesiegel aus. Der Korpus darüber weniger. Ferdinand war nicht eben dick, aber irgendwie aufgeschwemmt, daran änderte auch das Piz-Buin-Braun nichts. »Hübsches Höschen«, sagte Dieter laut.

»Stark, wie?« Ferdinand stülpte den Bund seiner Bermuda um, ein Etikett wurde sichtbar.

»Starke Marke!« Dieter spitzte die Lippen. »Laß das Schild besser raushängen, oder können deine beiden Grazien nicht lesen?«

»Schau sie dir an, dann vergeht dir das Lästern.« Ferdinand stopfte das Etikett zurück.

»Hab’ was Besseres!« Dieter lehnte sich zurück.

Der Freund beugte sich vor, die Wellen auf dem nackten Oberkörper schoben sich zu drei kräftigen Rollen zusammen. »Aktuell?«

»Topaktuell! Linda ist ein Schuß!«

Ferdinand lachte. »Ist ja ein Witz!«

»Wieso Witz? Übrigens, du spuckst!« Dieter wischte über seinen Bauch, im Vergleich zu seinem Kumpel schnitt er noch gut ab. Mindestens eine Rolle weniger. – Was, bitte schön, war an einer Linda witzig?

»Der Name. Eine von meinen beiden Miezen heißt auch Linda. Die Fussige heißt Linda und die Blonde Petra.«

»Fussig«, wiederholte Dieter, sein Dreigang-Menü gab Pfötchen. Rothaarige Frauen waren eher rar. Nicht die hennaroten, aber die mit dem angeborenen Rotblond. In Köln nannte man dieses helle Rot ›fussig‹.

»Komm schon! Die beiden warten in der Cafeteria.«

»Ich komme nach.« Dieter setzte sich auf. Zwei naturrote Lindas in der Cafeteria des ›Paradiso‹ waren verdammt unwahrscheinlich.

»Mußt du dich erst anhübschen?« Ferdinand strich über die fauchenden Tiger auf seiner Badehose.

»Du kannst mich mal…« Dieter stand auf, die Sonnenliege schwang vor und zurück.

»Heute nicht.« Der andere grinste. »Heute hab’ ich was Besseres.« Er marschierte los, Richtung Cafeteria.

Dieter starrte dem Tigerfauchen nach, das der ursprünglich gekräuselte und nun überdehnte Gummizug kaum gebändigt bekam. Darüber lappte Hüftspeck, der Kerl wurde fett. Ferdinand war fast zwei Jahre jünger als er selbst, aber das rettete ihn auch nicht. Sony, alter Knabe! Dieter sprintete los, ein paar Meter vor dem Restaurant holte er den Freund ein. Er schnaufte nicht einmal, er war gut in Form. »Alles klar?«, fragte er.

»Alles klar!« erwiderte Ferdinand. »Ich glaube, ich nehme den Feuerkopf, ’ne Rote hatte ich noch nie.«

Dieter holte aus und klatschte seinem Freund eine Hand auf die nackte Schulter, ein Abdruck blieb zurück. »Rote haben ihren eigenen Kopf, Kumpel, wart’s ab!«

»Spinnst du?« Ferdinand massierte sich die Schulter. »Wie bist du heute überhaupt drauf?«

»Top!« Dieter winkelte beide Arme an, die Daumen hochgereckt, Siegerpose!

Er hatte soeben beschlossen, das Rennen zu machen. Vom in der Sonne Dösen und sich Zufressen änderte sich nichts. Neununddreißig war kein Alter, draußen vor dem Vergnügungsbad parkte sein Jaguar, und daß die Kleiderfabrik Morus in Wahrheit noch immer seinem Alten gehörte, stand ihm auch nicht auf der Stirn geschrieben. Der alte Morus war ein Fossil und hockte auf seinen Geldsäcken, aber Dieter war ja nicht blöd. Er hatte eine Vision, wie immer dickere Geldströme aus der Morus KG auf ihn zuflossen, und auf seinem Schoß schaukelte schon dieser prächtige Weiberhintern. Dieter grinste, ein tolles Feeling. Wo war die Braut?

»Weidmannsheil!« sagte er laut, den Feuerkopf übernahm er persönlich. Ferdi sollte sich an die Blondine halten.

»Sie kommen«, flüsterte die Blonde. Sie saß Blickrichtung Eingang.

»Ist die Badehose von dem zweiten Typ auch so aufregend?« Linda nuckelte an ihrem Zitronensaft. Sie hatte geschwankt, ob sie sich einen Eisbecher bestellen sollte. Ihre Freundin löffelte Eis. Linda hatte sich beherrscht.

Dicke Eisportionen vertragen sich schlecht mit dem Image einer Top-Frau, die wurden heute nicht mehr nach Kilo gehandelt, je mehr desto besser. Ranke Hüften standen wieder mal hoch im Kurs, und die Verpackung gab den Ausschlag. Die Emanzipation konnte frau wieder rauslassen, wenn der Beutezug geglückt war. Sie, Linda, war nicht blöd, mit knapp dreißig Jahren kannte sie sich aus. Sie kannte die Männer, einen Sack voller Kniffe und ihr Ziel – das hieß Top-Mann. Top-Männer waren rar, gewöhnlich saß irgendwo ein Haken: Wenn die Optik stimmte, hakte das Portemonnaie, oder umgekehrt, diesen Bermuda-Exoten nähme sie jedenfalls nicht geschenkt. Den konnte Petra haben, Hüftspeck zu Hüftspeck!

»Hi!«

Linda reagierte nicht auf das ›Hi!‹ – Das war er, mit ›Cheese‹-Lächeln und einer keß in die Seite gestemmten Hand, passend zum Tigerfauchen auf seinen Badeshorts. Pinkrosa Tiger auf neongrünem Grund, mein Gott! Bühne frei für den tolldreisten Eroberer, zweiter Akt, so sah das aus. Linda zerkaute ihren Strohhalm, sie ging besser gleich heim. Wieso sollte der beste Freund von einem mit Dschungel auf der Hose auch nur einen Deut besser sein?

»Hi!« Das kam von Petra. Braves Mädchen! Die Freundin reckte ihren üppigen Busen vor und zupfte an ihrer Bluse, vermutlich um die Spuren des Bananensplit zu kaschieren. Es war nicht die erste Portion, heute nicht und erst recht nicht in diesem Sommer.

»Ich bin der Dieter«, sagte eine zweite Männerstimme.

Das mußte der Freund sein. Er stand direkt hinter Linda, sie drehte sich zu ihm um: »DER Dieter?« – Dieter Großkotz, dachte sie. Immerhin war der Typ groß, sie mußte den Kopf in den Nacken legen, um ihn voll ins Visier zu bekommen. Nicht übel, mit einem südländischen Touch, er hatte braune Augen und dunkle Haare, kräftige Haare, auch auf der Brust und bis hinab zu den Shorts. Ohne Tigerfauchen, uni schwarz. Sein Bauchfell vibrierte, Linda verkniff sich ein Grinsen. Er würde ersticken, wenn er nicht bald wieder ausatmete.

»DER Dieter«, bestätigte er, smilte und fügte hinzu: »DIE Linda?«

Linda ließ den zerkauten Strohhalm aus dem Mund gleiten. Der Bermuda-Exote hatte vorhin ein paar Dates über seinen Freund ausgestreut, dieser Dieter war der Boß von irgendwas, Boß war nicht schlecht. »DIE Linda geht jetzt schwimmen«, sagte sie und stand auf. Mal sehen …

»Okay, gehen wir schwimmen.« Der Bermuda-Exote schob sich zwischen Dieter und Linda, sie hatte seinen bürgerlichen Namen vergessen. Fiesling paßte, anscheinend konnte er die Finger nicht bei sich behalten.

Linda wischte über ihren schwarzen Badeanzug, der unter der in der Taille verknoteten Bluse hervorkam. »Angrabschen unerwünscht«, sagte sie. Ihr machte keiner weiß, daß diese Neugierfinger rein zufällig gegen ihren Schenkel und das Stück Stretch darüber gependelt waren.

Der Mann grinste. »So wie du gebaut bist, hast du viel zuviel Stoff um dich herum.«

»Im Augenblick ist mir nach Rollkragen und bodenlang.« Linda quetschte sich an dem pinkrosa Tigerfauchen vorbei, der Typ war penetrant. Wie kam er überhaupt dazu, sie zu duzen? Aus dem Alter war er heraus, sie nicht. Sie war Ende Zwanzig. Noch! In einhundertachtundachtzig Tagen verschwand die Zwei am Anfang. Dreißig hörte sich gräßlich an. Sie sah diesen Dieter an.

Er kniff ein Auge zu: »Ein bodenlanger Rollkragenpulli wäre ideal für Ferdi!« Betonung an der richtigen Stelle, dazu tätschelte er seinem Freund über den nackten Bauch. Seine Hand war noch mit den drei Fleischrollen beschäftigt, während seine Augen weiter Linda abtasteten. Nicht schmierig, eher so wie im Kino und mit viel Schmelz.

Linda blinzelte retour, der Typ war nicht übel. »Also«, sagte sie und schulterte ihre Badetasche.

»Darf ich?« Dieter griff nach der Tasche. Linda überließ sie ihm bereitwillig. Sie hatte nichts gegen Kavaliere. Ihr letzter Freund war einer von der lässigen Sorte gewesen, einer mit selbstgedrehten Zigaretten und coolen Sprüchen und vernarrt in seinen tollen Body. Andy hatte sie sozusagen als Wechselrahmen geführt, sie war die Frau fürs Trallala gewesen. Linda brauchte keinen, der sich nur die Rosinen herauspickte, sie die Rosine und letztlich die Dumme.

»Sie dürfen«, sagte sie zu Dieter. Im Gehen knotete sie ihre Bluse auf. Natürlich wußte sie, daß der schwarze Badeanzug stark war. Sie trug lieber Einteiler als Bikinis, die großzügigen Gucklöcher in dem Latex waren raffiniert über dem Busen und der Taille und hinten bis hinab zum Po plaziert. Linda beobachtete Dieter aus den Augenwinkeln. Na?

Dieter schmunzelte. Die bloßgelegte Rückfront kannte er bestens, der war er schon etliche Meter hinterhergelaufen, von den Umkleidekabinen bis zur Cafeteria. Aber das wußte Linda nicht, Linda war ein Schuß. Sein Schuß! Ferdi sollte sich an die Blonde halten. Eben in seinem Liegestuhl am Pool hatte Dieter geträumt. Es wurde Zeit, seinen Traum wahr zu machen.

»Sie sind …«, setzte er an und klappte den Mund wieder zu. War er plötzlich hirnamputiert? Er beherrschte das Spiel, und nur weil es Zeit für ihn wurde, konnte er nicht aus dem Stand etwas von seinem Traum faseln und ihr die Partie der Traumprinzessin rüberschieben. Er besaß handfestere Trumpfkarten.

»Wir könnten uns einfach davonmachen«, schlug er vor. »Irgendwie ist dieses Paradiso eine verdammt künstliche Geschichte, finden Sie nicht?«

Linda blieb stehen, zog ihre Bluse wieder über, die rotblonden Strähnen wippten übermütig.

»Worauf warten wir? Es ist künstlich und fad und wimmelt von Poptigern. Ich hasse Poptiger.«

»Ich habe keinen, nicht mal zum Karneval.« Dieter zog seinen Autoschlüssel aus der Tasche. Sein Jaguar parkte direkt vor dem Ausgang.

»Und was ist das?«, fragte Linda.

»Das ist Lady«, sagte er. »Sie heißt Lady.«

»DIE Lady?« Linda legte den Kopf zur Seite. Nicht übel!

»Bis jetzt DIE Lady.« Dieter entriegelte die Beifahrertür per Fernbedienung und umschloß Lindas Ellbogen, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Der helle Flaum auf ihrem Arm richtete sich auf, Gänsehaut mit Hitzeschaudern, Hilfe! Komischerweise war sie bislang immer an flippige Typen geraten. Nur ihr Traumprinz hatte sie hofiert. Einer mit Samtjabot und Zopf, so eine Art junger Amadeus, in den Film war sie mindestens fünfmal gerannt. In live war sie ihm leider noch nirgends begegnet, auch nicht in gelöcherten Designerjeans. Überhaupt kam es nicht auf die Kledage an, den Zeitsprung vom Rokoko in die Neuzeit schaffte sie locker. Wetten, daß sie ihren Amadeus sogar als Clochard verkleidet erkannte? Vierspännig wär’s natürlich einfacher. Aber ein Jaguar namens ›Lady‹ statt Kutsche war auch nicht übel.

»Lady gefällt mir«, sagte sie.

»Lady und Linda – fängt beides gleich an.« Dieter steckte den Schlüssel ins Zündschloß, der Motor produzierte einen satten Sound. Es war ein schickes Wägelchen, fand Linda und streichelte über das rotbraune Holz vor sich am Armaturenbrett.

»Mahagoni«, sagte Dieter, »Rot zu Rot!« Er berührte eine Strähne von Lindas rotblondem Haar. Es kribbelte, als sein Finger über ihren Hals abglitt. Der Wagen beschleunigte, sonst fuhr Linda Straßenbahn. Paß ja auf, Mädchen! dachte sie, aber es war verdammt anstrengend aufzupassen, während es in ihrem Kopf ›Lady und Linda‹ summte. Das hörte sich glatt wie ein Filmtitel an. Hitverdächtig.

Das Motorengeräusch veränderte sich. Es brummte nur noch sanft.

Linda blinzelte. »Ihre Lady hat eine tolle Stimme.«

»Sie schnurrt. Sie mag Sie.« Dieter strich über Lindas Knie, ganz kurz nur, aber Linda spürte es bis hinauf in die Magengrube.

»Ich mag sie auch.« Linda kicherte, gesprochen war dieses ›sie‹ ausgesprochen zweideutig.

»Die Lady oder mich?«, konterte Dieter.

»Sie dürfen mich duzen, damit Sie nicht auf komische Ideen kommen. Natürlich meine ich Lady.«

»Schade«, sagte er, und nach einer Pause: »Ich schnurre nämlich auch gerade.«

»Dann üb mal tüchtig! Deine Linda hat einen total hitverdächtigen Sound, wenn du da mithalten willst…« Lady und Linda, sie summte es vor sich hin, natürlich wortlos. Seine Stimme gefiel ihr übrigens auch. Mal sehen!

Kapitel 2 Picknick auf dem Wasserturm

»Worauf hast du Lust? Kaffeetrinken, Bummeln, eine Spritztour aufs Land?«

Linda schüttelte den Kopf. Ihr war nicht nach einer Allerweltsouvertüre. »Ich habe Lust auf Picknicken«, sagte sie, und mit einem Blick auf den gerade sichtbar werdenden Wasserturm, »da oben!«

Es war kurz nach drei, Rush-hour fürs Kaffeetrinken. Der alte Turm war mittlerweile in ein piekfeines Hotel nebst Restaurant umfunktioniert worden. Drinnen Sahnetorte und Frackschöße, und auf der Plattform vor den Panoramafenstern Picknickzauber … Das war’s doch. Cool. Nein. Meschugge! Er würde Probleme haben, sich aus der Affäre zu ziehen.

»Alles klar!« Dieter gab Gas.

Er steuerte lächelnd den Wasserturm an, und Linda begann zu überlegen, was sie anziehen sollte, wenn er nicht in letzter Minute kniff. Sie trug noch immer nur ihren Guckloch-Badeanzug und eine ziemlich durchsichtige Bluse. Irgendwo in ihrer Badetasche steckten ihre Bermudas, die vom Vorjahr, wer dachte schon beim Schwimmengehen ans Feine-Leute-Spielen? Vielleicht kniff er ja noch in letzter Sekunde.

Tat er nicht. Er stoppte genau vor dem Portal und klemmte sich Lindas Badetasche unter den Arm. Sie konnte gerade noch ihre verknitterten Shorts herausziehen, da erschien auch schon einer in Livree. Dieter drückte dem Knaben seinen Autoschlüssel in die Hand: »Parken Sie bitte im Schatten«, dann trat er an die Rezeption. Linda blieb drei Schritte zurück und sah sich um. Alles wirkte sehr stilvoll und teuer. Zwischendurch schnappte sie das Wort ›Sonnenschirm‹ auf. Sonnenschirm?

»Wir können.« Dieter schien sich hier auszukennen.

Linda zupfte an ihren kurzen Hosen, die in diesem Schuppen, der ihre Finanzen und die ihrer Freunde überstieg, heimlich geschrumpft sein mußten. Ex-Freunde, korrigierte sie sich. Statt ›Picknick auf dem Wasserturm‹ hätte sie ebenso gut ›Tanzkaffee auf dem Mond‹ Vorschlägen können. Ziemlich perplex folgte sie Dieter zum Aufzug, der innendrin verspiegelt war und Linda zeigte, wie sie aussah: Eine Strand-Lolita!

Sie traten aus der Kabine. Erstaunte Blicke, umrahmt von sorgfältig onduliertem Haar und Jäckchenkleidern, empfingen sie. Linda fühlte sich schrecklich fehl am Platz.

»Guten Tag, Herr Morus!« Wieder einer in Livree, er schien Dieter gut zu kennen. Vorausgesetzt, Dieter hieß mit Nachnamen wirklich ›Morus‹. Linda stellte sich vor, sie träfe jemand Bekannten: »Darf ich vorstellen, Herr Dieter äh …« Die Situation war peinlich. Nö, komisch!

Der Livrierte ging vor, an den Kaffeetischen vorbei. Zwischen einem Rundbogen befand sich das Kuchenbüffet und dahinter eine Schiebetür. Die Stofflamellen glitten auseinander, die Glastür wurde aufgeschoben, Dieter trat hinaus auf die Plattform und reichte Linda die Hand. »Lady?« Er umschloß ihre Fingerspitzen.

Lady? Sie war keine Lady! Linda fühlte sich verdammt hilflos, beinahe wäre sie gestolpert. Lady Trampel!

Dann erschienen zwei Hotelangestellte mit Polstern und einem Sonnenschirm, alles edel in Naturtönen. Der Sonnenschirm! Bei Linda machte es klick. Alles klar! Sie beobachtete, wie der Schirm aufgespannt und die Polster ausgelegt wurden, zuletzt wurden ein Sektkühler und ein mit weißen Servietten abgedecktes Tablett herausgetragen.

»Picknickkörbe gibt es hier leider nicht«, sagte Dieter mit einem Blick auf das Tablett, und zu dem Angestellten hin: »Stellen Sie alles auf die Erde, wir bedienen uns schon selbst.« Der Mann verzog keine Miene, ein Geldschein wechselte den Besitzer, dann zog Dieter Linda hinab auf die Polster. Die Kaffeetrinkergesichter hinter den Fensterscheiben rückten in weite Ferne, und als Lindas Kavalier den Sonnenschirm abknickte, verschwanden sie ganz.

»Picknick auf dem Wasserturm! Zufrieden?« Er grinste.

»Du bist ein Spinner«, sagte Linda. Sie malte sich die dauergewellten Köpfe über sich aus, die sich an die Fensterscheiben preßten, um dieses Picknick zu verfolgen. Nichts da! Das Picknick war exklusiv für sie, Linda Erz, arrangiert worden. Dieser Dieter ist ein Spinner, ein netter Spinner.

›Picknickkörbe gibt es hier leider nicht!‹, hatte er eben gesagt, aber sonst gab es anscheinend alles, wenn ein Dieter Morus mit dem Finger oder – was wahrscheinlicher war – mit seiner Kreditkarte wedelte. Linda ließ sich auf das Polster zurücksinken. Sie kicherte. Das Kichern wurde immer heftiger, sie strampelte mit den Beinen und mußte hicksen, der Schluckauf hörte nicht auf. »Trink mal!« Dieter faßte unter ihren Nacken und hielt ihr eine Sektschale an die Lippen. Linda nippte. Auf dem Etikett stand Champagner. Natürlich echter Schampus, was dachte sie denn? Sie nahm einen kräftigen Schluck. Als das Glas leer war, schenkte Dieter ihr nach. Das Zeug schmeckte gut. Der Hicks verschwand. Dafür kribbelte es jetzt auf Teufel komm heraus in ihrem Nacken und die Wirbelsäule hinab. Linda hielt Dieter ihr Glas hin, sie mußte einen heimlichen Mittrinker haben. Das Zeug schmeckte himmlisch. »Kribbeldikrabb!«

»Alles klar?«, fragte er.

»Nö«, sagte sie, »klar kann man dazu nicht sagen. Du ähnelst dem Nikolaus, und eigentlich fehlt nur noch der Schnee.« Sie zeigte auf das Postkartenblau über sich. »Kannst du’s nicht mal eben ein bißchen schneien lassen?«

»Moment«, sagte Dieter, »mal sehen, was sich machen läßt.«

»Du spinnst wirklich, wie?« Linda faßte nach dem Ellbogen auf dem Polster neben sich, so als müßte sie ihn festhalten, obwohl er keinerlei Anstalten machte, sich von der Stelle zu rühren. Sie hatte hundert tolle Tricks drauf, nur fiel ihr im Moment keiner ein. Es war nicht eben originell, einen Mann, der ihr einen Tanztee auf dem Mond und Schnee im Hochsommer bescherte, pausenlos als Spinner zu titulieren.

Der Mann im Mond griff nach ihrer Hand auf seinem Arm, Gott sei Dank hatte er keine Schwitzhände. Linda haßte Schwitzhände und Poptiger und noch ein paar andere Sachen. »Ob ich spinne?«, fragte er und streichelte zart über Lindas Handgelenk und den Flaum auf ihrem Unterarm. »Klar spinne ich, in der Traumfabrik! Hast du vielleicht noch einen speziellen Wunsch außer Schneeflocken?«

»Vergiß den Schnee!« Linda räusperte sich, ihre Stimme kippte. Wenn sein Finger noch weiter wanderte, garantierte sie für nichts. Für gar nichts. Sie schob sich hoch und ließ gleichzeitig den Kopf nach hinten fallen. Sie schwang über dem Polster, hin und her, über sich das Männergesicht, sie mochte diesen südländischen Typ. Er schwang auch hin und her. »Darf ich bitten«, kicherte sie, »du tanzt nicht schlecht, magst du Mamba, ich meine Mambo, ich liebe Mambo. Mambotanzen auf dem Mond, wie wär’s damit? Ich wünsche mir ’nen Tanztee auf dem Mond! Mit den Fußspitzen zwei Meter oder so über dem Boden.« Linda verlor das Gleichgewicht und sackte nach hinten. Das unter ihr war kein Polster, es war ein Arm. Genaugenommen gab es unter diesem Sonnensegel nur zwei Menschen, das waren sie und er. Es mußte sein Arm sein. Es war kein schlechtes Gefühl, von diesem Männerarm aufgefangen zu werden.

»Lady«, sagte der südländische Typ über ihr, die braunen Augen plüschten sie an und rückten näher. »Lady«, wiederholte er, »wir tanzen schon längst, und bis zum Boden hinab sind es mindestens dreißig Meter.«

Linda schüttelte den Kopf. Beinahe hätte sie ihm einen Kinnhaken mit ihrer Nasenspitze verpaßt. »Nö«, widersprach sie, »nenn mich nicht immer Lady. Lady ist die andere, die wartet unten auf dem Parkplatz.« Hatte sie behalten, er hatte seinen tollen Flitzer ›Lady‹ getauft. Der Jaguar gefiel ihr, der Name auch.

»Nö!« Es klang drollig, wenn er Kölsch sprach. Er hatte ihr das ›Nö!‹ abgeguckt, bis jetzt hatte er ein astreines Hochdeutsch gesprochen.

Linda sprach normalerweise auch Hochdeutsch. Ihre Mutter und die Lehrer hatten ihr eingeimpft, daß Dialekt karriereschädigend sei. Aber ihr Kölscher Dialekt war für sie so etwas wie eine Portion Sahneeis oder eine Tafel Schokolade und sehr kuschelig. Es gefiel ihr, wie Dieter das aufgriff.

»Nö?«, fragte sie zurück. »Wieso nö? Ich weiß genau, daß deine Lady da unten auf dich wartet.«

»MEINE Lady hat einen ganz niedlichen Schwips und ist ganz oben.«

»Lady und Lady?« Linda legte einen Finger gegen ihre Nasenspitze, aber in ihrem Kopf ging es noch immer heftig rund, Sie wickelte sich eine Haarsträhne um die Finger und suckelte daran, das half immer. – Linda, laß das! – Ihre Mutter und die Lehrerin in der Grundschule hatten ihr den Dialekt und das Schreiben mit links ausgetrieben, gegen ihre Suckelsträhne waren sie nicht angekommen, notfalls suckelte Linda heimlich nachts in ihrem Bett. Irgendwie mußte sie die andere Lady zu packen kriegen. Wie charakterisierte sie die Lady da unten auf dem Parkplatz? Natürlich! Linda ließ die feuchte Haarsträhne los. »DIE Lady schnurrt«, verkündete sie stolz.

»Schnurrt sie?« Die braunen Plüschaugen standen nun genau vor ihren grünen Augen. Wimper gegen Wimper. Linda war stolz auf ihre langen Wimpern. Wenn sie die färbte, war dieser schwarze Kranz rund um die grünen Augen herum eine Wucht. Sie klimperte. Touche! Aus ihrem Hals kam ein zufriedenes Geräusch, es klappte: Wimper an Wimper! Wimpern-Necking! Cool, nö, hot!

»Und wie sie schnurrt«, sagten die fremden Lippen, bevor sie die anderen trafen, das waren schätzungsweise ihre eigenen. Es schmeckte nach Schampus und Sonne und Sahneeis und kölschem Dialekt und von allem viel.

»Au!« Das war auch sie, circa eine Million Jahre später, als die Polster auseinandergedriftet waren und sie hochgerutscht war und das Metallgestell des Sonnenschirms sich gegen ihr Schulterblatt preßte.

Der Mann Dieter richtete sich auf. »Habe ich dir weh getan?«

»Nein! Nimm nur mal das Eisen aus meinem Kreuz, das stört beim Tanzen.«

»Haben Sie noch einen Wunsch?«

Linda blinzelte irritiert. Wieso siezte er sie plötzlich und zog sich diese komische Stimme an? »Du«, sagte sie, »du kannst ruhig weiter ›du‹ zu mir sagen.«

»Es ist der Kellner«, sagte die vertraute Stimme.

Linda rappelte sich hoch und öffnete die Augen. Ein Gefühl wie hundert Runden Wiener Walzer, linksrum, das schummerte total. Ein bißchen übel war ihr auch. Sie starrte auf die schwarz glänzenden Schuhspitzen und glitt die Bügelfalten an den schwarzen Hosen hoch bis hinauf zu dem unbewegten Gesicht. War der überhaupt echt?

Der Schwarzmann ruckte vor und zurück. »Zwei Mokka«, sagte er und verschwand.

»Hast du ihm das mit dem Kaffee gesagt?«, fragte Linda. Mokka war feingemachter Kaffee, wußte sie doch, kluges Mädchen!

»Für den Abflug vom Mond«, antwortete Dieter. »Einverstanden?«

»Okay.« Klein-Linda muß schlafen, dachte sie. Klein-Linda hat den Kanal voll und Sternchen im Kopf und womöglich einen Sonnenstich. Oder ’nen Mondstich? Schade um die leckeren Sachen auf dem Tablett, sie hatten so gut wie nichts davon angerührt. Verdammt schade! Linda hatte den Tag mit Kaffee und Zitronensaft und Schampus verbracht, was ihren Magen betraf, und der revoltierte nun. Zu Hause würde sie ihm ein trockenes Brötchen verpassen und dann ab ins Bett. Solo! Denk dran, Linda!

Eigentlich schade! Aber das gehörte auch zur Trickkiste, und überhaupt war sie keine für die Hau-ruck-Tour. Aufgeräumt war auch nicht.

Kapitel 3 Morus gegen Morus

Dieter beschleunigte, endlich hatte er freie Fahrt. Es war eine Quälerei, wenn seine ›Lady‹ von Familienkutschern und notorischen Langsamfahrern lahmgelegt wurde. Zehn Minuten lang genoß er den satten Sound, in den Lady verfiel, sobald die Tachonadel über die Zweihundert kletterte. Dann kam das Schild ›Mönchengladbach‹, und Dieter zog quer über die Bahn, das war seine Abfahrt. Leider!

Der Anblick der Morus KG stimmte ihn nicht fröhlicher. Gleich halb elf, der Firmenparkplatz war jetzt sowieso gerammelt voll. Der alte Morus boykottierte seit Jahren die Markierung von zwei Parkbuchten für die Geschäftsleitung. »Komm gefälligst pünktlich, dann hast du keine Probleme!« predigte er.

Überhaupt hatte der Alte manches von einem Laienprediger an sich, das schien in der Familie zu liegen. Schwätzer allesamt, dachte Dieter, ihn grauste schon vor dem nächsten Familienmeeting. Seitdem sein Vater als Kleiderfabrikant zu Geld und Ansehen gekommen war, fühlte er sich berufen, den Morus-Clan alle paar Monate zusammenzutrommeln. Dieter hätte liebend gern bei diesen Treffen gekniffen, aber er traute sich nicht. Seine Existenz als Juniorchef war an den Goodwill seines Seniors gekoppelt, dieses ›Juniorchef‹ war seit Jahren ein Versprechen auf die Zukunft. »Werde du erst einmal pünktlich, seßhaft und seriös«, tönte der Alte, sobald die Rede auf den Notarvertrag kam, der Dieters Status festschreiben sollte.

Dieter parkte vor dem Rollgitter neben dem Haupteingang, setzte mit einem Sprung über die drei flachen Stufen und betrat die Halle mit einem betont munteren »Guten Morgen!«

Das Wesen am Empfang legte soeben den Telefonhörer auf und nickte Dieter knapp zu. »Ihr Vater wünscht Sie zu sprechen!«

»Tut er das?«, fragte Dieter. Jeder Betonklotz hätte auf seinen Tonfall reagiert, die da nicht. An der gefältelten Seidenbluse und dem doppelt gefältelten Gesicht glitt jede ironische Spitze ab. So eine vergraulte Kunden und Vertreter, die Person war eine absolute Fehlbesetzung. Nicht die einzige!

Wenn Dieter endlich das Sagen hätte, würde in diesem Laden manches anders laufen. Modernes Management war keine Fleißarbeit, bei der man sich den Hintern wundsaß. So etwas war Bauchladenmentalität. Dieters Urgroßvater war mit dem Bauchladen durchs Land gezogen, der Alte brüstete sich damit, weil er darin den soliden Grundstein für den soliden Geschäftssinn der Morus-Dynastie sah. Dieter fand die Bauchladenstory peinlich. Er hatte eine Menge Pläne. Großartige Pläne …

»Ihr Vater«, erinnerte die Frau. »Herr Morus wartet nicht gern.«

Dieter trat an den Schreibtisch, hinter dem sie sich verbarrikadierte. Er stemmte beide Arme auf die Nußbaumplatte – Marke Ladentisch, ›Darf’s auch etwas mehr sein?‹ – und beugte sich vor: »Süße, wollen Sie mir vielleicht auch noch das Laufen und Reden beibringen, oder stehen Sie mehr auf andere Sachen?« Dieter grinste anzüglich Richtung ›Zauberkreuz‹, er erinnerte sich an dieses unsägliche Modell mit den beiden spitzen Tüten, in das seine Mutter früher ihre Brüste verpackt hatte.

Die Spitztüten unter der Seidenbluse zuckten zurück. »Ich werde mich beschweren.«

»So?«

»Bei Herrn Morus persönlich.«

»Ich höre.« Dieter Morus grinste.

Die Frau klappte die Schulterblätter zurück, zog ihre Bluse straff, die Spitztüten bohrten sich durch den gefältelten Stoff. »Beim Chef«, sagte sie mit hochrotem Kopf.

»Ich bin ganz Ohr«, erwiderte Dieter, dann machte er kehrt und verschwand Richtung Aufzug. Madame Zauberkreuz stand ganz oben auf seiner Abschußliste.

»Dein Wagen!« sagte Carl Morus statt einer Begrüßung. »Ich bin es endgültig leid.«

Dieter schloß hastig die Tür. Die Sekretärin im Vorzimmer seines Vaters könnte glatt als Zwillingsschwester von Madame Zauberkreuz unten am Empfang durchgehen, und was sie mitbekam, machte blitzschnell die Runde durch die Büros. – »Mein Wagen stört niemanden mehr«, sagte er, »der letzte LKW dürfte längst weg sein.«

Carl Morus zog an der Goldkette, an deren Ende eine Taschenuhr aus getriebenem Gold pendelte, die den Kunden alte Familientradition vorgaukeln sollte. Seinen einzigen Sohn täuschte der Alte nicht. Die Uhr nebst Gravur war seit höchstens zehn Jahren im Besitz von Carl Morus und stammte aus dem Antiquitätenladen. So völlig frei war der Senior nicht von gewissen Allüren. Die tadelte er nur bei seinem Nachwuchs.

»Dreiviertel elf«, sagte der Alte mm. Es hörte sich an wie die Stimme vom höchsten Gericht. Pünktlichkeit war oberstes Gesetz. Wer Chef sein wollte, mußte Vorbild sein und spätestens um acht antreten. Punktum!

»Eine Baustelle.« Dieter hatte keine Lust, über diesen Schwachsinn zu diskutieren. Es war bequemer, sich herauszuschwindeln.

»Es gibt keine Baustelle auf deiner Strecke. Ich habe extra meine Sekretärin nachfragen lassen. Oder bist du wieder mal umgezogen?«

Zweites Gebot: Du sollst seßhaft sein! – Dieter war in den vergangenen zwanzig Jahren mindestens fünfzehnmal umgezogen. Von der ersten Bude in eine Laubenkolonie und von dort ins Unicenter, zwischendurch hatte er in einem Caravan und in einer stillgelegten Mühle und in einem Kajütboot gehaust. Denkmalgeschützte Domizile hatten sich mit ultramodernen Appartements abgewechselt, derzeit bewohnte er einen Loft in der Südstadt, aber sein Freund hatte etwas von einem romantischen Fachwerkhäuschen verlauten lassen, das zum Verkauf stand …

»Noch nicht«, antwortete Dieter.

»Du denkst also noch immer nicht daran, endlich eine Familie zu gründen?«

»Doch!« Vor Dieters innerem Auge lief ein Film ab, der hieß ›Picknick auf dem Wasserturm‹. Was sollte er mit einem Fachwerkhäuschen? Ein Fachwerkhäuschen war viel zu klein für das, was ihm vorschwebte. »Ich werde wohl demnächst heiraten«, verkündete er lässig und setzte sich auf die Schreibtischkante.

Ein paar Sekunden lang verschlug es dem alten Morus die Sprache. »Geschwätz«, sagte er endlich, »ich kenne dich. Mach, daß du von meinem Schreibtisch runterkommst! Die Kommission für die Elfi-GmbH muß noch heute raus. Ich habe der Chefin versprochen, sie heute abend persönlich anzurufen.«

»Danke!« Dieter schoß hoch. »Vielen Dank für dein Vertrauen!«

Genau das war es, der Alte spitzelte ihm nach und arrangierte hinter seinem Rücken Kontrollfallen. ›Elfi‹ war der Name einer Damenboutique-Kette, diese Kommission war sein Ding, er allein hatte das Geschäft an Land gezogen. Nun pfuschte sein Vater ihm dazwischen. Talk vom Chef zur Chefin, im vorliegenden Fall konnte das heikel werden, weil viel Geld dranhing. Geld für ihn, den Junior. Das Geschäft war über seinen Freund Anton zustande gekommen. Anton war der Ehemann der Chefin der Elfi-Moden.

Der Alte mußte einen speziellen Riecher für unsaubere Töne haben. Gerade zückte er erneut seine Taschenuhr, es war eine symbolische Geste, so etwas liebte er: »Ich gebe dir Zeit bis sechs Uhr. Keine Minute länger.« Die Goldkette schlüpfte in die Westentasche zurück.

»Es ist mein Geschäft«, brauste Dieter auf. Letzter Anlauf! Scheiße!

»Es war dein Geschäft, wenn du nicht dalli machst. Sechs Uhr, denk dran!«

»Du kannst mich nicht wie einen kleinen Jungen behandeln.«

»Dann benimm dich nicht wie einer. Also? Ich habe zu arbeiten!«

Es war ein Rausschmiß. Dieter machte sich nichts vor. Und wenn er bis sechs Uhr nicht zum Rapport antrat und den Alten besänftigte, platzte der Deal, den er mit Anton und den anderen beiden ausgehandelt hatte.

»Okay«, sagte Dieter, »sechs Uhr.« Ich bring’ dich um, dachte er.

Als kleiner Junge war er von seinem Vater eingesperrt worden, wenn er nicht spurte. Später gab es Hausarrest und Taschengeldentzug. Dieter liebte seinen Vater nicht, niemand konnte von ihm erwarten, daß er das tat. Nach fast vierzig Jahren Sohn-Sein und fast zwanzig Jahren Laufjunge-Sein verspürte Dieter nur noch den Trieb, diese Knute über sich zu knacken, umzudrehen, wie auch immer. Es wurde Zeit! Und wie bei jeder ordentlichen Palastrevolution gab es Gleichgesinnte. Sie waren zu viert. Dieter grinste. Seinen Alten würde der Schlag treffen, wenn er wüßte, daß ausgerechnet die Söhne von seinen beiden Skatbrüdern mit von der Partie waren.

Die Kleiderfabrik Morus war der Knotenpunkt. In jeder Fabrik gab es Fehler bei der Produktion, und wenn er die Fehlerquote auf dem Papier hochtrieb und die Ware, die angeblich Verschnitt und unbrauchbar war, auf eigene Rechnung verkaufte, machte er einen Superschnitt. Es gab noch andere Manöver, um Geld vom Haupthahn abzuzapfen. Wenn sein Plan funktionierte, waren sechsstellige Summen für ihn und seine Kumpel drin.

Kumpel Ferdi Kurze sorgte dafür, daß die Bilanzen hübsch frisiert wurden. Ferdi arbeitete als Junior in der Steuerberater-Praxis seines Vaters, die Morus-KG gehörte zu der von Ferdi betreuten Klientel.

Kumpel Alex Röhrig war ewiger Student und ständig in Geldnöten. Sein Oberstudiendirektor-Vater wollte ihm den Monatswechsel sperren. Einer, der ständig Geld brauchte und einen Haß auf seinen knauserigen Alten hatte, taugte allemal zum Verbündeten.

Kumpel Anton Entemann war der kurzgehaltene Gatte von Elfi Entemann, die etliche Boutiquen besaß und gerade eine Lieferung A-Ware monierte, die Dieter bei seinem Vater als fehlerhafte Ware deklariert hatte. Die Lieferung bestand aus je zehn Modellen in jeweils vier Konfektionsgrößen für jeden der acht Elfi-Läden, ein Morus-Modell kostete im Schnitt dreihundert Mark. Auf B-Ware gab es fünfzig Prozent, die strich Dieter ein, wenn sein Alter ihm nicht dazwischenpfuschte.

»Sechs Uhr, denk dran!« wiederholte die Stimme in Dieters Kopf, während er leise die Tür zuschnappen ließ und höflich nickend an der Vorzimmerdame seines Vaters vorbeiging und die kalte Wut ihn packte: Ich bring’ ihn um. Irgendwann bringe ich ihn um!

Kapitel 4 Schicksalsmelodie

Linda schnaufte. Nicht eben leise, ihr eigenes Gebläse klang ihr überlaut im Ohr. Warm war ihr auch, tierisch warm. Bei dem Gedanken an die dunklen Placken rechts und links auf ihrem T-Shirt klemmte sie automatisch die Arme zusammen. Die Treppe war steil, es war schwül, und außerdem wirkte der Sekt von gestern nach. Champagner, verbesserte sie sich. Obwohl im Moment die Billigsorte von Aldi besser zu ihr gepaßt hätte. Linda, die schweißverklebte Walroß-Queen aus der Biberstraße.

Linda stellte ihre Einkaufstüten kurz ab und sah sich um: An den Wänden blätterte der Putz ab, aus dem Treppengeländer waren zwei Stangen herausgebrochen, es roch muffelig. Fehlte nur noch der Rentner aus dem Parterre in Unterhemd und Shorts, der sich als Hausmeister aufspielte und in einer Kladde Verstöße gegen eine unbekannte Hausordnung notierte. Gewöhnlich lungerte er irgendwo im Treppenhaus herum. Abends, wenn er vor seinem Vierundvierzigzentimeterbildschirm saß und seine zweiundzwanzig Kabelprogramme ausnutzte – die Schüssel auf dem Dach gehörte allein ihm –, ließ er die Korridortür offenstehen, um das hausinterne Programm nicht zu verpassen.

Linda strich sich die feuchten Haare aus der Stirn, nahm ihre Einkaufstüten und kletterte weiter. Die letzte Treppe, Amen Alleluja! Treppe war schon eine Übertreibung, die Verbindung vom vierten zum fünften Stock glich eher einer Hühnerstiege. Lindas Zweizimmerdachwohnung in der Biberstraße kostete nicht umsonst nur dreihundertzehn Mark kalt. Das Viertel war ebenfalls nicht vom Feinsten. Gelegentlich mußte sie schon im Hellen über Menschenbündel steigen, die ihren Rausch ausschliefen oder auf die kostenlose Kelle Essen und einen Schlafplatz im Obdachlosenasyl nebenan warteten. Trotzdem hätte Linda ihre fünfzig Quadratmeter hier nicht gegen ein schniekes Appartement in Kleineichen oder Fein-Junkersdorf tauschen mögen. Sie brauchte das lebendige Treiben dieser Stadt, und in der Südstadt war es besonders lebendig. Bei dem Gedanken, wie einer aus Fein-Junkersdorf dieses Ambiente einschätzen mochte, zog sie die Stirn kraus. Einer wie Dieter Morus zum Beispiel.

Es war gleich halb eins, sie hatte ihm gesagt, daß sie um diese Zeit von der Arbeit käme. Jeden Moment konnte das Telefon klingeln. Verflixt, ihr Schlüssel war wieder auf Wanderschaft. Linda bückte sich und stapelte Tütensuppen und Tiefkühlpizza und Coladosen und Damenbinden auf das Podest, irgendwo mußte das Scheißding doch sein. Scheiße sagt man nicht, hörte sie ihre Mutter sagen. Scheiße! Es klimperte. Hurra! Linda schloß auf, kickte die Einkäufe über die Türschwelle, Kontrollblick auf ihre Uhr: Halb eins, geschafft!

»Beneidenswert«, hatte Dieter Morus gestern zu ihr gesagt, »meine Firma hält mich länger fest«, und sie hatte ihm zugestimmt: »Der Job ist nicht schlecht.« Was eine glatte Lüge war. Sie hatte es längst satt, pummeligen Teenagern und verfetteten Hausfrauen ein paar Hüpfsprünge abzuringen. Tanztherapeutin hörte sich toll an. Linda hatte es sich toll vorgestellt. Aber die Praxis war ätzend, und die Bezahlung auch. Ihre Mutter hatte ihr zugeredet, bis zum Abitur durchzuhalten und auf Lehrerin zu studieren: »Dann hast du was fürs ganze Leben!« Linda hatte sich mit Haardutt und umringt von rotznäsigen Kindern gesehen, fünfunddreißig Jahre lang, und dann ab in die Rente, womöglich zusammen mit einem, der es bis zum Konrektor brachte und ihr ein paar eigene Rotznasen verpaßte. Nö, danke vielmals! – Mittlerweile wußte Linda nicht mehr, was schlimmer war, Hüpfsprünge oder Rotznasen. Nur daß sie keinen mit Pensionsanspruch und Nickelbrille heiraten wollte, das wußte sie hundertprozentig.

Linda klaubte ihre Einkäufe vom Boden des winzigen Flurs auf. Als sie nach einer weggerollten Coladose tastete, entdeckte sie unter der Kommode den vermißten Schlappen und ihr Schminktäschchen, garniert mit dicken Staubflocken. Linda wischte die Flocken weg. Als sie automatisch ihre Pfand an der Jeans abstreifen wollte, hielt sie inne. Linda, Mädchen, das schickt sich nicht! Ihre Bude war ein Saustall, und ihre Manieren kamen auch auf den Hund. Schuld waren diese Flipptypen, mit denen sie sich eingelassen hatte, und ihre Hormone, die auf solche Typen abfuhren. Reiß dich am Riemen, Linda! Riemen? Sie grinste, Riemen hatte sie keinen, vermutlich hätte eine echte Lady bei dem Wort höchstens an eine Lederschnur gedacht.

Der Jaguar von Dieter Morus hieß auch ›Lady‹, und wie er ihr gestern diesen Titel zugeschustert hatte, war einfach tough. Lady und Lady, die Melodie stimmte, es wurde höchste Zeit, sich aus dem schrillen Pop-Sound auszuklinken. Garantiert hörte er Klassik, sie hatte sich mal von Aldi einen Mozart mitgebracht, superbillig, die Kassette mußte noch irgendwo sein. Andy hatte sie nicht gefallen, ihr schon. Gewöhnungsbedürftig, aber nicht übel. In zwei Monaten wurde sie dreißig. Ihr teuerster Schmuck war eine Zuchtperlenkette von ihrer Oma …

Wann rief er endlich an? Sie hatte halb eins gesagt. Halb eins war vorbei. Falls er überhaupt anrief. Er konnte genausogut schreiben, Blumen schicken, telegrafieren, schnell mal vorbeikommen. Bei der Vorstellung, wie seine Lady durch die Biberstraße schnurrte und der Juniorchef die Hühnerstiege hochklomm, wurde es Linda mulmig.

Zwei Stunden später hatte sie aufgeräumt, staubgewischt, gekehrt, das Minibad geschrubbt und sogar das Fenster im Wohnzimmer blankgewienert. Halb drei, was war los? Telefonnummer verloren? Gilt nicht, sie stand im Telefonbuch! Telefonrechnung nicht bezahlt? Kam für ihn nicht in Frage! Telefon verloren? Gedächtnis verloren? Lust verloren? Sie kannte sich nicht mit feinen Junkern aus. Womöglich ließen die echten Schampus und einen Schwoof auf Kölns Nobelturm auch für ein paar fidele Stunden springen. Das war’s, Lady, hat mich sehr gefreut, aber eine aus der Biberstraße paßt nicht, sorry!

Am liebsten hätte Linda den Papierkorb und den Staubsaugerbeutel gepackt und den Inhalt wieder über ihre fünfzig Quadratmeter verteilt. Sie war meschugge, wegen einem Süßholzraspler in Putzwut auszubrechen. Sie war Linda Erz, und wenn ihm ihr kölsches Kolorit nicht paßte, sollte er sich zum Teufel oder nach Fein-Junkersdorf scheren.

Linda sah auf ihre Uhr, zehn vor drei. Scheiße! Sie drückte auf den Fernsehknopf und haute gleichzeitig auf die Rückwand, sonst kam kein Bild. Der Fernseher war uralt, ein Souvenir von Hans-Maria, der war jung und hatte eine Alte aus Fein-Junkersdorf geheiratet, gelegentlich rief er noch an: »Wir könnten uns doch ab und zu mal sehen, war doch ’ne nette Zeit…« Von wegen ›sehen‹, und Fein-Junkersdorf war das absolute Reizwort. Wetten, daß Dieter Morus auch da hauste?

Linda war noch damit zugange, Bilder von Prachtvillen mit parkähnlichen Gärten zu verscheuchen, als die Klingel anschlug. Die echte. Linda hielt die Luft an. Taumel im Kopf! Panik! Über dem Putzen und Wütendsein hatte Linda glatt ihre Haare vergessen. Sie riß an dem Gummi, es ziepte, egal. Sie schüttelte ihre Mähne durch, die verschwitzt nur das halbe Volumen bot. Sie raste zur Tür. Endlich!

»Bist du krank?«

Linda starrte auf ihre Freundin. Petra, wieso Petra? »Was willst du denn hier?«

»Dich abholen, was sonst?« Petra schob sich in den Flur. »Oder hast du diesen Schönling Andy zum dritten oder vierten Mal in Gnaden wiederaufgenommen?« Sie nickte Richtung Schlafzimmertür.

»Andy? Wer ist Andy?« Linda knallte die Tür ins Schloß. Es war eine Unsitte, noch halb im Treppenhaus loszupalavern. Das hier war keine Villa, sondern ein Mietshaus.

»Bist du schlecht drauf?«, fragte die andere.

»Nein, ich bin die Queen aus der Biberstraße, siehst du das nicht?« Linda zog ihre Haare über die Schulter nach vorn und begann, einen Zopf zu flechten. Wenn sie den mit ein paar Haarnadeln feststeckte, war der Lehrerinnen-Dutt perfekt.

»Irgendwas stimmt heute nicht mit dir.« Petra musterte die Zopfsträhnen, die weiße Bluse und die weißen Bermudas ihrer Freundin. »Probst du für Kommunionsengelchen?«

»Quatsch!« Linda friemelte ein Gummi um den Zopf. Ein rotblonder Zopf, Sommersprossen hatte sie auch massig, jetzt sah sie aus wie eine in die Jahre gekommene Pippi Langstrumpf. Was sollte nicht stimmen? Sie war super drauf. Absolut super!

»Und wieso sieht es bei dir plötzlich wie in der guten Stube meiner Eltern aus?«

»Mir war nach Aufräumen! Ist das ein Verbrechen?«

»Du brauchst dringend ’ne Veränderung. Ich erkenn’ dich nicht wieder. He, Dumpfbacke!« Dumpfbacke, das traf’s, sie war der Biberstraßen-Abklatsch von Al Bundys blöder Tochter, fussig und mit Dutt-Zukunft, Frollein für schwitzende Teenies und Hausfrauen, vor ihrer Haustür lagerten Penner. Von wegen Top-Mann! Linda schniefte, das paßte auch. Rotznasen schnieften, sie war das Frollein der Rotznasen, aber noch nicht mal eine mit Pensionsanspruch.

Linda schniefte noch einmal und sah ihre Freundin an, die locker-flockig quatschte und breitmadamig rüberkam. Bananensplitmäßig. Im Vergleich zu Petra schnitt sie selbst noch gut ab.

»Was nennst du Veränderung?« Eigentlich war die Frage überflüssig, bei Petra hieß Veränderung generell Mann, neuer Mann.

»Überraschung«, sagte Petra.

»Wieder eine mit Vollglatze?«, fragte Linda.

Neulich hatte Petra ihr einen Opa präsentiert, total kahl, aber ohne Kojak-Lolli-Sex-Appeal. Die befreundete Stirnglatze hatte Petra für sich reserviert, das Spiel hatte zwei Wochen gedauert. Drei Tage lang ›Ist er nicht süß?‹, zehn Tage Honeymoon und Probeliegen in Betten-Fachgeschäften, ›Schaumstoff ist aber haltbarer als Federkern!‹, und dann der übliche Abgesang mit ›Scheißkerl!‹ und ›Das passiert mir nie mehr!‹

Petras Veränderungsvorschlag hörte sich nach einer Neuauflage von ›Nie mehr …‹ an.

»Von wegen!« Petra strich sich über die Hüften, so als wären die über Nacht schlankgeschrumpft. »Nun komm schon, aber zieh dir was Fetziges über!«

»Wofür?« Linda sah auf ihre Uhr, Viertel nach fünf. – Wann kann ich dich erreichen?, hatte er gefragt, mit Plüschaugen und Sehnsuchtstimbre. Pustekuchen! Sie konnte sich die Lady abschminken.

»Deiner ist der Freund von Ferdi. Du erinnerst dich doch an Ferdi, den aus dem Paradiso gestern mit den lustigen Tigern auf der Badehose.«

Der Freund von Ferdi? Herzhüpfen! Luftsprung! Lady und Lady! Schicksalsmelodie! Linda sprang auf. Sie hätte wissen müssen, daß nach einem Picknick auf dem Mond, erster Akt, keine Allerweltsnummer als zweiter Akt folgte. Jeder Depp telefonierte oder schickte Blumen oder kam mal eben vorbei. – »Warum sagst du das nicht gleich? Wann? Wo?«

»In der Karibik-Bar, six o’clock, pünktlich zum Cocktail. Zieh dich um, nun mach schon.«

»Sekunde!« Zwanzig nach fünf, Linda zurrte an dem Haargummi und an den Zopfflechten, jetzt sah sie original wie ein Rauschgoldengel aus. An der schwarzen Bluse fehlte ein Knopf, und an dem neuen Top war der Träger lose. Nähen war nicht ihr Fall. Linda knallte die Kleiderschranktür wieder zu. Bis zum Neumarkt brauchten sie mit der Bahn mindestens zwanzig Minuten. »Hast du Geld genug für ein Taxi?« Die Antwort bekam Linda nicht mit, weil die Klospülung rauschte, sie konnte schlecht in der Karibik-Bar als erstes zum Klo flitzen. Wieso brachen diese Kajalstifte bei ihr ständig ab? Bei Petra nie, die brachte einen kompletten Farbkasten auf ihrem Gesicht unter, allein auf die Lider packte sie dreierlei Farben. Weg damit! Besser Naturgirl als Kletschauge. Griff zum Klopapier, die Kleenexschachtel war wieder mal leer. Einmal Sprühnebel von Cacharel, Duftnote Lolita, blöder Name, typisch Hans-Maria, der hatte ihr das Zeug geschenkt. Fertig!

Petra stand vor dem Flurspiegel, der sie vom Knie bis zur Stirnmitte zeigte. Es war der größte Spiegel in Lindas Wohnung. »Spielst’e Rotkäppchen?«, fragte Petra.

Spieglein, Spieglein an der Wand …? Linda sah sich an. Das Weiß war geblieben, sie hatte sich nur eine rote Leinenweste übergezogen und ihre rotblonden Rauschgoldkräusellocken mit einer roten Kordel zusammengebunden. Die beiden Rottupfer zu ihrem Feuerschopf waren ganz schön keß, von wegen Rotkäppchen! – »Du solltest deine Bluse besser obendrüber tragen«, sagte sie mit einem anzüglichen Blick auf das Gekräusel um die Hüftpartie der Freundin. Deren Rock war schlicht zu eng, die Eisbecher rächten sich. Hüftspeck zu Hüftspeck, bei diesem Ferdi fauchten pinkrosa Tiger unter den Speckwülsten, hoffentlich nur auf den Badeshorts, aber das war nicht Lindas Problem.

Probleme? Was war das?

Lady und Lady, Linda summte es vor sich hin. Schicksalsmelodie, sie hatte es sofort gespürt und er auch.

Es gab keinen ersichtlichen Grund, warum die Karibik- Bar von jetzt auf gleich DER Treff war. Wenigstens konnte Linda den Grund dafür nicht erkennen. Irgendeiner aus der Szene gab das Motto aus, und alles strömte zu Louis oder Alfonso oder René, bis ein paar Monate später ein Anton folgte, oder ein Patrick, oder …

»Der Barkeeper heißt Rene«, wisperte Petra mit der Miene von einer, die soeben den Heiligen Gral betritt.

»Toll«, sagte Linda. Sie hatte Mühe, sich in dem Gedränge zu orientieren. Drei Stufen führten abwärts auf einen schmalen Gang, rechts und links davon gab es je drei Nierentisch-Arrangements mit Clubsesseln, hintendurch an die Wand gepappt war die Bar, ebenfalls den Fünfzigern nachempfunden, die Flaschen trugen Schürzchen und die Barhocker Bezüge aus orangefarbenem Synthetikplüsch.

»Na?«, fragte Petra, »ist das nichts?«

»Toll«, wiederholte Linda, »so geschmackvoll.« Sie überflog die stehenden, gehenden, sitzenden, vorgeneigten, zurückgelehnten Gestalten. Bestimmen Sie den Suchpfad! Linda mußte nicht lange überlegen: Dunkelbraun gelockt, fast schon schwarzhaarig, ein südländischer Typ und nicht eben klein. Sie konnte schlecht ›Wo bist du, Dieter?‹ brüllen.

»Da«, rief Petra. Sie war einen halben Kopf kleiner als Linda, trotzdem war sie als erste fündig geworden. »Da sind sie!« Hektisch winkend pflügte sie auf die Bar zu, Linda hinterdrein. Gelegentlich hatten breite Hüften auch ihr Gutes, als Pflugschar im Bargetümmel etwa.

»Hallo! Hier! Hierher!« Das war Ferdi. Sein Rufen und Armwedeln waren total überflüssig, denn sein Outfit ersetzte das poppigste Tigerfauchen. Er trug ein klatschmohnrotes Sakko und darunter Schwarz, von den Socken bis zum Button-down-Kragen Schwarz, lediglich die Bäckerhose war schwarzweiß kariert.

In Linda schwappte er klatschmohnrot und schwarzweiß kariert, Exoten-Ferdi verdiente eine hübsche kleine Laudatio. Gleich. Später. Sie mußte erst einmal Dieter Morus sichten. Bitte geben Sie den richtigen Suchpfad ein: Dunkelbraun gelockt, fast schwarz …

Rechts von Ferdi saß einer Typ Spesenritter. Offensichtlich unterhielt er die Dame in seinem Arm und die daneben, verbal und womöglich auch mit klingender Münze, für den Rest war sein Bauch zu gigantisch. Außer Spesen nichts gewesen, sorry!

Links von Ferdi saß einer mit Haarzopf, nicht übel, aber abseits vom eingegebenen Suchpfad: Dunkelbraun gelockt, fast schwarz …

Ein Dieter Morus würde wohl kaum unterm Barhocker hocken. Vom Synthetikplüsch aufwärts hatte Linda alles abgegrast. Falscher Suchpfad, bitte geben Sie …

»Und Sie sind also DIE Linda?«

Linda zuckte zusammen, sah nach hinten, sah wieder nach vorn, der Typ mit dem Haarzopf meinte tatsächlich sie. Sie griff nach einem Reserviertschildchen und setzte es sich kurzerhand auf den Kopf. »Capito?«

Der Barkeeper grinste breit. Mit einem Cocktail rechts und einem links blieb er abwartend vor Linda stehen.

Linda grinste retour, an dem Zopfmann vorbei. »Und Sie sind DER René?«

Der Barkeeper nickte.

Suchpfad gefunden, für den Barkeeper. Kluges Mädchen! Scheiß drauf!

»Spinnst du heute total?« Petra hangelte nach dem Reserviertschild auf Lindas Kopf. »Das ist Alex. Ihr beide seid verabredet.«

»Toll«, staunte der Keeper, einen Cocktail rechts und einen links, er rührte sich nicht von der Stelle. Logenplatz für Action, mixen und servieren konnte er noch die ganze Nacht.

Linda wurde langsam sauer. »Das wüßte ich aber. Wer ist Alex?«

»Ich!« Schon wieder der mit dem Haarzopf. Nicht übel, wie gesagt, aber die falsche Besetzung. »Alexander Rührig«, er rutschte von seinem Barhocker, »und Sie sind Linda Erz.«

»Kluger Junge!« Woher wußte der Typ ihren Namen? Sie war Linda Erz, genannt ›Lady‹? Wo steckte Dieter, verdammt?

»Sie sind witzig, ich mag witzige Frauen. Ihre Freundin Petra hat nicht übertrieben.«

Petra kannte der Zopfmann auch? Lindas Kopf ruckte zu ihrer Freundin hinüber, die klemmte sich gerade auf einen Barhocker, Hüfte an Hüfte mit Exoten-Ferdi. Nun mal langsam! Noch mal von vorn! Denk scharf nach, Linda! Wie war das denn noch? – Petra hatte ›Ferdis Freund‹ gesagt, alles andere hatte Linda nicht mehr interessiert. – Linda schwenkte zurück zu dem Zopfmann: »Kennen Sie etwa auch Ferdi?«

»Sie sind total witzig, Ferdi ist mein Freund.«

»Alles klar.« Linda schniefte. »Klar wie Kloßbrühe!« Sie zerrte eine Haarsträhne aus der roten Kordel und suckelte los, sie suckelte wie ein Weltmeister. Lady? Von wegen! Biberstraßen-Queen und Hopsmamsell und Rotkäppchen. DIE Lady schnurrte jetzt durch Fein-Junkersdorf. DIE Linda spürte eine Mordswut in sich hochkommen.

»Was möchten Sie trinken?«, fragte eine Stimme. Nur Stimme. Das Gesicht steckte im Nebel. Es war verdammt neblig. Graue Nebelsuppe! Trinken war gut. Trinken war prima.

»Alles«, antwortete Linda.

»Ist sie nicht komisch?« Exoten-Ferdi schob sich in Lindas Blickfeld, Klatschmohnrot auf Schwarzweiß kariert.

»Ihr Drink!« Etwas Grünes mit Orangenscheiben und Cocktailkirsche und Zuckerrand schob sich ebenfalls auf Linda zu.

Linda entschied sich für die Karibik-Spezialität. Steck den Tiger in den Tank! Schwachsinn! Nur nicht weich werden! Zähne zusammen und durch! Es gurgelte giftgrün durch den Strohhalm, das Zeug schmeckte eklig süß. Linda saugte den Bodenmud an, Verstopfung, der Strohhalm flitschte hoch und spie Fruchtfleisch aus. Orangefarbener Kanonendonner auf eine klatschmohnrote Front. Ferdi räumte abrupt das Feld. Na bitte!

»Schießen Sie immer so scharf?« Der Zopfmann zeigte auf die Tür mit dem WC-Schild, hinter der Ferdi abgetaucht war.

»Nur wenn ich rot sehe. Klatschmohnrot.«