Schmusekatze auf Abwegen - Annegrit Arens - E-Book
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Schmusekatze auf Abwegen E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Turbulent, witzig und voller Gefühl: „Schmusekatze auf Abwegen“ von Erfolgsautorin Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Paula ist clever und weiß daher, dass man manchmal mehr als nur ein Standbein braucht. Also handelt sie nicht nur mit Kunst, sondern auch sehr erfolgreich mit Fälschungen – bis zu dem Tag, an dem ein schwerreicher Geschäftsmann eine Ikone des Jüngsten Gerichts bei ihr bestellt. Ein Geschenk für seine geliebte Frau, das exakt 18 Uhr zugestellt werden soll. Doch als Paula zum vereinbarten Zeitpunkt an der Tür klingelt, öffnet niemand. Mehr und mehr Indizien sagen ihr, dass hier etwas gar nicht stimmt – und bevor sie es sich versieht, wird sie Mitwisserin einer heißen Affäre und einer gefährlichen Erpressung … und zu allem Übel ist da ja auch noch ihr eigenes Privatleben mit anhänglichen Geliebten und diebischen Ex-Freunden! Eine temporeiche Komödie über Männer, Frauen und den kleinen, aber feinen Unterschied. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Schmusekatze auf Abwegen“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Paula ist clever und weiß daher, dass man manchmal mehr als nur ein Standbein braucht. Also handelt sie nicht nur mit Kunst, sondern auch sehr erfolgreich mit Fälschungen – bis zu dem Tag, an dem ein schwerreicher Geschäftsmann eine Ikone des Jüngsten Gerichts bei ihr bestellt. Ein Geschenk für seine geliebte Frau, das exakt 18 Uhr zugestellt werden soll. Doch als Paula zum vereinbarten Zeitpunkt an der Tür klingelt, öffnet niemand. Mehr und mehr Indizien sagen ihr, dass hier etwas gar nicht stimmt – und bevor sie es sich versieht, wird sie Mitwisserin einer heißen Affäre und einer gefährlichen Erpressung … und zu allem Übel ist da ja auch noch ihr eigenes Privatleben mit anhänglichen Geliebten und diebischen Ex-Freunden!

Eine temporeiche Komödie über Männer, Frauen und den kleinen, aber feinen Unterschied.

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe September 2017

Dieses Buch erschien bereits 2000 unter dem Titel »Madonna auf Abwegen oder Kann denn Tango Sünde sein?« im Bastei Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2000 by Annegrit Arens und Bastei Verlag, Gustav H. Lübbe GmbH &Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/26kot

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-95824-939-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Schmusekatze auf Abwegen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Annegrit Arens

Schmusekatze auf Abwegen

Roman

dotbooks.

Kapitel 1 Macht hoch die Tür!

Es war noch früh am Morgen. In jedem Fall zu früh, um sich ein neues Sofa oder einen Wandschmuck oder auch nur einen Tischbesen zu kaufen. Um diese Zeit sahnten lediglich die Bäcker und Zeitungskioske ab, der Run auf langlebige Wirtschaftsgüter setzte erst gegen zehn Uhr ein, was Paula sehr wohl wußte. Trotzdem hatte sie Mikro gegenüber kurz vorher so getan, als stünde die Kundschaft in dem Ladenlokal unter ihrer Wohnung bereits Schlange.

»Ich geh schon mal runter«, hatte sie gesagt und war aufgestanden, obwohl die frischen Brötchen und der duftende Kaffee und die Tageszeitung auf dem Tisch sie lockten.

»Du hast ja noch nicht mal einen Happen gegessen.« Mikro hatte die Zeitung gesenkt, aus der er ihr wenige Minuten zuvor vorgelesen hatte, was ihm wichtig erschien.

Wenn sie sich recht erinnerte, war es um Rolläden und Rollgitter gegangen, mit denen ein Kölner Unternehmer angeblich jedes Haus einbruchssicher machte. »Zehn Jahre Garantie und zehn Prozent Rabatt für alle Kölner, die noch in diesem Monat bestellen«, hatte Mikro gesagt, »der Mann versteht sein Geschäft. Leben und leben lassen, so muß es sein.« Sie hatte ihren Geliebten darauf hingewiesen, daß sie kein Haus besaßen und die Wohnung zum Firmenvermögen ihres Chefs zählte. »Meine Wohnung«, hatte sie gesagt und das besitzanzeigende Fürwort betont, was aber lediglich zur Folge hatte, daß der Immobilienteil aufgeschlagen wurde. Rubrik »Eigentumswohnungen«.

Als Mikro begann, die Vorteile von Wohneigentum in der City mit denjenigen von Rolläden oder Rollgittern zum Sonderpreis zu kombinieren, war sie vom Frühstückstisch aufgestanden und nach unten gegangen, ohne sich weiter um seinen Einwand, sie sei ja noch nüchtern, zu kümmern. Das heißt, in gewisser Weise hatte sie sich schon darum gekümmert, denn sie hatte sich ein Brötchen, einen Becher voll Kaffee und die Zeitung mitgenommen. Es war ihre Zeitung. Noch war es allein ihre Zeitung, und niemand konnte von ihr erwarten, daß sie sich Tag für Tag mit Häppchen daraus abspeisen ließ und abends oft nur noch Fragmente vorfand. Sie hatte noch mehr mit hinunter in den Laden genommen: Eine geballte Ladung schlechtes Gewissen …

Während Paula die Ladentür der »Casa Mia« aufschloß – natürlich war weit und breit kein Kunde zu sehen – und neben der Kasse Platz für ihr Frühstück schaffte, dachte sie weiter über Sinn und Unsinn ihres Tuns nach. Was nichts anderes hieß, als daß sie über Mikro Hoffmann nachdachte. Er war noch immer ein guter Liebhaber, ein noch besserer Kunstexperte und darüber hinaus auf dem besten Weg, sich von dem charmanten Flegel, der er einmal war, in einen ordentlichen Menschen zu verwandeln, der sogar massiven Rolläden an einem Eigenheim für sie beide etwas Gutes abgewann. Eigenheim. Eigentor. In ihr ging es zu wie beim Schlagabtausch in jener TV-Show, wobei es momentan so schien, als ob die »Kontra-Seite die besseren Karten hätte. Was nicht gleichbedeutend mit der Stärke der Argumente war, denn genaugenommen ließ sich kaum etwas gegen Mikros Vorschläge sagen. Sogar sein Plädoyer für Rolladenpanzer aus ausgeschäumtem Aluminium mit integrierter Diebstahlsicherung war nichts weiter als der Beweis dafür, daß er es ernst meinte.

Und sie? Konnte es sein, daß sie noch immer eine unausgesprochene Schwäche für Flegel hatte?

Paula biß in ihr Brötchen, trank Kaffee hinterher, verschluckte sich prompt und hustete sich noch die Seele aus dem Leib, als die Ladentür aufging und ein Mann hereinkam. Um diese Zeit? Ob er sich verlaufen hatte?

»Guten Morgen!« Mehr gegurgelt als sonst etwas, sie schluckte kräftig, die folgenden Worte sollten wenigstens halbwegs verständlich klingen: »Falls Sie den Eingang zum ›Edeka‹ suchen, der ist jetzt wegen Umbauarbeiten um die Ecke links.«

»Guten Morgen! Ich bin nicht an Lebensmitteln, sondern am ›Jüngsten Gericht‹ interessiert.«

»Hier gibt es nur Möbel, Bilder und Accessoires. Das nächste Gericht ist ein Stück weiter am Appellhofplatz.« Die Worte waren schon draußen, als ihr bewußt wurde, was der Fremde wirklich gesagt hatte. Das einzige ihr bekannte »Jüngste Gericht« kam in der Heiligen Schrift vor und war Schnee von gestern, soweit es die gerichtlichen Instanzen der Neuzeit betraf.

»Ich dachte an eine Art Ikone.«

»Religiöse Motive führen wir nicht.« Nicht mehr, ergänzte Paula stumm. Die Darstellung der Heiligen Ursula und ihrer Jungfrauen hatte einen Rattenschwanz von Ärger nach sich gezogen.

»Aber Sie könnten gewiß etwas nach meinen Wünschen in Auftrag geben? Wie ich hörte, beschäftigen Sie einen ganz hervorragenden jungen Künstler, der mit amtlicher Genehmigung alte und neue Meister kopiert. Täuschend echt, ich habe mich selbst davon überzeugt. Wäre da nicht das Zertifikat auf der Rückseite gewesen, so hätte ich den gefälschten Modigliani für das Original gehalten.«

»Falls Sie von Alex Volos reden, er ist auf Stilleben, Porträts und Akte spezialisiert.«

»Das läßt sich doch alles wunderbar in einer Darstellung des Jüngsten Gerichtsverwirklichen, abgesehen von dem letztgenannten natürlich.«

War der Mann zu prüde, um auch nur das Wort »Akt« in denMund zu nehmen? Paula vergaß kurz ihren inneren Dialog mit Mikro und unterzog den frühen Kunden einer wie sie hoffte unauffälligen Musterung. Er wirkte weder besonders bieder noch besonders aufregend, sondern eher wie der sprichwörtliche Geschäftsmann, der seinen Bauchansatz mit einem teuren Anzug in Anthrazit kaschierte und die erschlaffende Kinnpartie hinter einem locker drapierten, graurot gemusterten Seidentuch versteckte. Das weinrote Oberhemd sollte vermutlich für einen jugendlichen Touch sorgen, was es aus Paulas Sicht allerdings nicht tat. In jedem Fall sah er nicht so aus, als ob er die Rechnung schuldig bliebe oder erst auf die zweite oder dritte Mahnung reagierte, was leider immer öfter der Fall war.

»Ich müßte mich erkundigen, ob das machbar ist. Zu wann brauchten Sie das Jüngste Gericht denn?«

»So schnell wie möglich. Die Ikone soll ein Geschenk für meine Frau sein, sie ist versessen auf symbolische Darstellungen, und die byzantinische Kunst liegt ihr ganz besonders am Herzen.«

»Soll das Geschenk zu einem bestimmten Datum fertig sein? Feiert Ihre Frau demnächst ihren Geburtstag?«

»Nächsten Freitag. Ich brauchte das Bild nächsten Freitag um Punkt achtzehn Uhr. Sie stellen die Ware doch auch zu?«

»Grundsätzlich schon, aber normalerweise nur am Vormittag. Außerdem ist das alles mehr als knapp.«

»Verstehe.« Der Mann griff in die Innentasche seines dunklen Sakkos, das in demselben Rot wie sein Hemd gefüttert war, und zog eine Brieftasche aus schwarzem Nappaleder hervor. »Was kostet eine von diesen Fälschungen normalerweise bei Ihnen?«

»Das kommt auf die Größe und das Motiv an. Das ›Jüngste Gericht‹ setzt sich, soweit ich weiß, aus verschiedenen Einzelbildern zusammen. Im Zentrum steht in aller Regel Christus als höchster Richter, dann folgen rechts und links die FürbitterMaria und Johannes und schließlich als Beisitzer die Apostel, nicht zu vergessen die von einem Cherub bewachte Paradiestür und den vom Thron ausgehenden Feuerstrom der Hölle, außerdem gibt es meines Wissens noch …»

»Der oberste Richter und der Feuerstrom reichen mir fürs erste. Sagen wir viertausend und ein Tausender extra für die kurze Zeit, in welcher der Auftrag zu erledigen ist, inklusive Sonderzustellung um Punkt achtzehn Uhr. Was ist Ihnen lieber, Bargeld oder EC-Karte?« Zack-zack, und ohne weiter nachzudenken antworte Paula ähnlich zügig.

»Bargeld«, sagte sie.

»Kein Problem.«

»Und wohin soll die Lieferung gehen? Wir beliefern lediglich den Stadtbereich, ansonsten müßten Sie …«

Wieder fiel der Mann ihr ins Wort. »Keine Bange, ich will Sie nicht aufs Kreuz legen, das Auenviertel liegt ja wohl innerhalb der Stadtmauern, oder nicht?«

»Sicherlich.« Paula sah zu, wie der Mann vor ihr fünf Tausender abblätterte, so als wäre es für ihn die selbstverständlichste Sache der Welt, mit einem dicken Bündel Tausender durch die Gegend zu spazieren.

Was störte sie noch? Wohl kaum die Angst, ihr Künstler würde nicht mitziehen, das konnte Alex sich gar nicht leisten. Außerdem war er nett und hilfsbereit und glaubte sich in ihrer Schuld, weil sie einmal dem Mädchen aus der Patsche geholfen hatte, das er liebte.

Eine höchst romantische Liebe, der Paula sehr viel größere Chancen einräumte als allem, was ihr selbst passierte, einfach weil sie mit ihren bald fünfunddreißig Jahren nicht mehr so unbeschwert lieben konnte wie mit Anfang Zwanzig. Sie hatte ein paarmal zu oft Lehrgeld gezahlt, um noch alles für bare Münze zu nehmen. Für Alex hingegen hing der Himmel noch voller Geigen, es tat seinen Gefühlen auch keinen Abbruch, daß er seine Irina frühestens in einem halbenJahr Wiedersehen würde. So lange schrieb er sich einfach die Finger wund und vertelefonierte Unsummen und sehnte den Oktober herbei, während alle anderen Leute um ihn herum dem Frühjahr entgegenfieberten. Im Oktober sollte Irina von ihrem College in Vancouver nach Deutschland zurückkommen, und falls sie doch noch länger blieb, so würde Alex sie halt besuchen: »Bis dahin muß ich genug Geld zusammen haben, so oder so.«

»Haben Sie Angst, die Scheine wären nicht echt?« fragte eine Stimme unmittelbar vor Paula.

»Nein«, eiwiderte sie verwirrt und versuchte, sich wieder auf den Mann mit der schon beinahe unanständig dicken Brieftasche zu konzentrieren.

»Und warum nehmen Sie mein Geld dann nicht an?«

»Weil…«Ja, warum nahm sie es nicht? Sollte sie etwa preisgeben, daß sie in Gedanken gerade ganz weit weg gewesen war? Bei Alex und seiner ersten großen Liebe, die ihn verzauberte und blind und taub für seine Umgebung machte. Um Geld zu sparen, hauste er jetzt auf dreißig Quadratmetern mit einem Landsmann zusammen, der abends kellnerte und tagsüber an einem verstimmten Klavier zukünftige Hits komponierte und zwischendurch mit seinen »Musen« vögelte. Es kam immer öfter vor, daß Alex sich nicht heim traute …

Das war’s. Heim. Zuhause. Wohnung. »Weil«, wiederholte sie, »ich erst einmal Ihren Namen und Ihre Adresse bräuchte.«

»Wozu brauchen Sie die, wenn ich bar zahle?«

»Das verlangt mein Chef, wir müssen uns schließlich absichern.«

»Verstehe, Geldwäscher und so, aber da brauchen Sie bei mir keine Sorge zu haben. Mich kennt in Köln jeder als erzseriösen Geschäftsmann. Donald Knorr mein Name.«

»Tut mir leid, der Name sagt mir im Moment nichts.«

»Lesen Sie keine Tageszeitung?«

»Natürlich tue ich das. Jeden Morgen zum Frühstück.«

»Heute morgen offensichtlich nicht.« Sein Blick wanderte über sie hinweg zu dem Stilleben neben der Ladenkasse: Angebissenes Brötchen ohne Teller, Keramikbecher mit Katsch, eine zusammengerollte Ausgabe der Kölnischen Rundschau. »Ist das die aktuelle Ausgabe?«

»Sehe ich so aus, als ob ich die Tageszeitung vom Vortag läse?«

Darauf blieb Donald Knorr ihr die Antwort schuldig. Statt dessen griff er mit einem »Sie gestatten?« zu, blätterte und hielt ihr Sekunden später haargenau jene Anzeige vors Gesicht, die vor ihm schon jemand anders gewürdigt hatte, davon zeugten braune Kaffeespritzer und ein Klecks Marmelade. »Das bin ich.«

»Sie sind der Rollgitter…?« Im letzten Moment schluckte Paula das Anhängsel »…fritze« hinunter. Schließlich hatte sie nichts gegen dieses Gewerbe, solange sie selbst davon verschont blieb.

»Ich bin DER Kölner Experte für Rollgitter und Rolläden und darüber hinaus am preisgünstigsten, da können Sie fragen, wen Sie wollen. Und für Kölner gebe ich zusätzlich diesen Sonderrabatt. Sind Sie überhaupt von hier?«

Paula schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin erst vor knapp zwei Jahren zugezogen.«

»Macht nichts, in Ihrem Fall würde ich eine Ausnahme machen. Liefern Sie mir ein ordentliches Jüngstes Gericht«, und Sie bekommen von mir Rolläden zum Supersonderpreis. Ich verlasse mich auf Sie! Ach ja, und bitte nicht anrufen, weil sonst die Überraschung für mein Frauchen im Eimer ist. Ich melde mich bei Ihnen, sagen wir Anfang der Woche. In diesem Sinne.« Kehrtwendung marsch, die Rockschöße flatterten, für einen Mann von dieser Statur ein sehr dynamischer Abgang, um ein Haar hätte er das Glockenspiel über der Tür mitgenommen. Er mußte fast zwei Meter groß sein.

Normalerweise hatte Paula ein Faible für große Männer, doch diesmal war das nicht der Fall. Weil er wie Mikro versucht hatte, ihr sein Sicherheitssystem aufzuschwatzen? Vermutlich! Mit einem Seufzer sortierte sie das Geld in die noch leere Kasse und kam, während sie ihren mittlerweile kalten Kaffee trank, erneut ins Sinnieren.

Mikros Plädoyer für die Diebstahlsicherung an einem noch nicht einmal existierenden Eigenheim verzahnte sich mit dem Bild des Sicherungsexperten Donald Knorr, so als müßte jeder, der sich für die Rolläden der Firma Knorr erwärmte, zugleich auch mit rot gefütterten Rockschößen und einem Heiligenbild für sein »Frauchen« liebäugeln. Sie gäbe sich jedenfalls die Kugel, wenn jemand sie so nennen würde. Vielleicht war das der Preis der Liebe & Alltag? Aus einer »Liebesgöttin« oder einer Märchenfigur wurde unversehens ein »Frauchen«.

Mikro packte die Brötchen aus dem Brotkorb sorgfältig in die Tüte zurück, in der er sie heute früh gekauft hatte. Im Grunde ein unsinniges Tun, weil sie spätestens morgen oder übermorgen steinhart sein und höchstens noch als Entenfutter taugen würden. Bei dem Gedanken an Paulas Reaktion, falls er ihr vorschlüge, zusammen am Weiher die Enten zu füttern, mußte er selbst lachen. Es war kein sehr fröhliches Lachen. In jüngster Zeit fragte er sich immer öfter, was er falsch machte. Hatte er Paula in den vergangenen Monaten nicht bewiesen, wie ernst er es meinte? Seine freie Zeit gehörte ihr, er ging nicht mehr ins Fitneß-Studio und nicht einmal rüber zum Griechen, und wenn er Lust auf eine neue Ausstellung oder ein Konzert oder auch nur einen Kinofilm verspürte, war fast schon automatisch sein nächster Gedanke der, ob Paula wohl ebenfalls Lust darauf hatte. Hatte sie die nicht, so gab er in aller Regel nach, sogar seinen alten Kumpeln fiel schon auf, wie sehr er sich gewandelt hatte.

Seit geraumer Zeit kursierten allerlei lockere Sprüche überden Zeitpunkt, an dem er Nägel mit Köpfen machen und seinem Junggesellenstatus endgültig adieu sagen würde. »Der Junge hängt fest an der Angel», hieß es. Wenn seine Weggefährten von ehedem ihm auf der Straße oder bei einer Auktion begegneten, unterbreiteten sie ihm nicht ohne Schadenfreude all jene Nachfragen, die ihm beweisen sollten, auf was er da freiwillig verzichtete. Als ob er das nicht selbst wüßte! Es gab eine ganze Reihe netter Mädels, die noch immer in seinem privaten Telefonregister standen und nur darauf warteten, daß er sich endlich einmal wieder meldete. Er tat es nicht und dachte im Gegenteil darüber nach, warum er eigentlich nicht wirklich Nägel mit Köpfen machte.

Je mehr Paula auf Distanz ging, um so intensiver malte er sich aus, wie es wäre, wenn sie richtig zusammen wären. In einer Wohnung, die ihnen gemeinsam gehörte, wo er nicht lediglich Gastrecht genoß und sich nicht einmal traute, ohne ihr Okay einen Nagel in die Wand zu schlagen.

Einmal, als er es leid war, daß der Garderobenbaum hinter Paulas Eingangstür regelmäßig umkippte, wenn er seine eigene Jacke neben ihre Jacken hängte, war er so mutig gewesen, sie mit einer wunderschönen neuen Garderobe zu überraschen. Hundertprozentig ihr Geschmack, in ästhetischen Fragen harmonierten sie nach wie vor unglaublich gut, es war bei diesem Disput auch keineswegs um die Form oder das Material gegangen.

»Du kannst doch nicht einfach …« hatte sie gesagt und ihn angeschaut, als hätte er sich etwas Ungeheuerliches herausgenommen.

»Gefällt dir die Garderobe nicht?»

»Darum geht es nicht.«

»Und worum geht es?«

»Zum Beispiel darum, daß die Wohnung hier meinem Chef gehört und ich da nicht einfach nach Lust und Laune Dübel in die Wand jagen kann.«

»Tust du ja auch nicht. Im Zweifelsfall kannst du Hans-Peter immer sagen, daß ich der Bösewicht war.«

»Offiziell gibt es dich hier gar nicht. Wenn man es ganz genau nimmt, wohnt hier überhaupt niemand.«

»Und was ist mit dir?«

»Bei mir ist das immer noch etwas anderes, weil ich in der »Casa Mia« arbeite und nebenbei noch den Hausmeister spiele, ich bin quasi rund um die Uhr im Dienst. Ich allein, du bist so etwas wie …«

»Wie was …?«

»Egal.«

»Wie ein unerwünschter Untermieter?«

»Ich habe nicht gesagt, daß du unerwünscht bist. Ich habe lediglich gesagt, daß es Probleme mit Hans-Peter geben könnte, wenn du jetzt schon anfängst, ihm seine Wände zu demolieren.«

»Und wenn es unsere eigenen Wände wären?«

»Aber wir haben keine …« Sie hatte mitten im Satz abgebrochen und so getan, als ob etwas mit der Fußleiste nicht in Ordnung wäre.

»Das ließe sich ja ändern«, entgegnete er. Das war der Moment gewesen, in dem er angefangen hatte, sich mit dem Immobilienteil in der Zeitung zu beschäftigen und nach einem Aufhänger zu suchen, der ihr seinen Plan schmackhaft machen könnte. Es war nicht gerade einfach, ihr etwas zu vermitteln, was sie nicht an sich heranlassen mochte. Sie war ein gebranntes Kind, was die Liebe betraf, und wollte einfach nicht wahrhaben, daß keineswegs alle Männer so wie seine Vorgänger waren. Luftikusse, die spätestens dann die Mücke machten, wenn es ernst wurde.

Die Begegnung mit Donald Knorr war Mikro als Wink des Himmels erschienen.

Ein namhafter Kölner Unternehmer, für den er eine Expertise über eine Ikone abgeben sollte, so ging es los. »Völligüberteuert«, hatte er gesagt, »an Ihrer Stelle ließe ich die Finger davon, da können Sie sich ebenso gut eine lizensierte Fälschung übers Sofa hängen und ärgern sich wenigstens nicht, wenn Ihnen das Bild in ein paar Monaten oder Jahren nicht mehr gefällt. Unter dem Aspekt einer Kapitalanlage können Sie das da ebenfalls vergessen.« Ein Wort hatte das andere gegeben, zuletzt hatte Mikro einen mit amtlicher Genehmigung gefälschten »Modigliani« – den für die meisten Laien lediglich ein Zertifikat auf der Rückseite von dem Original im Museum unterschied – aus dem Kofferraum geholt.

»Das hier hat ein sehr talentierter junger Künstler gemalt. Für einen Bruchteil dessen, was Sie für Ihre Ikone hinlegen wollen.«

»Und Sie glauben, dieser Künstler bekäme auch eine Darstellung des ›Jüngsten Gerichts‹ im byzantinischen Stil hin?«

»Alex ist Grieche, die Motive der Ostkirche müßten ihm liegen, obendrein ist er auch selbst ziemlich fromm.«

»Würden Sie ihn dann wohl in meinem Namen fragen, ob er diese Arbeit kurzfristig übernähme und sie auch direkt auslieferte? Es soll eine Überraschung für meine Frau sein.«

»Das können Sie einfacher haben. Am besten gehen Sie selbst in die ›Casa Mia‹ und fragen nach einer solchen Ikone, alles weitere ergibt sich dann schon von selbst.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden. Wenn ich Ihnen im Gegenzug mit etwas aus meiner Kollektion entgegenkommen kann? Rolläden, Scherengitter, alles, was den Einbrecher von Ihrem Eigentum fern und Ihre Frau davon abhält, Sie jeden Abend unters Bett zu scheuchen, damit Sie nachsehen, ob dort jemand lauert.«

Mikro hatte nicht widersprochen. Weder gegen das nicht vorhandene Wohneigentum noch gegen die Ehefrau in seinem Leben, die es nicht gab. Was nicht war, konnte ja noch werden. Heute morgen hatte er Paula mit Vorbedacht auf den Artikel hingewiesen, in dem Donald Knorr allen Kölner Kundenzehn Prozent zusicherte, sofern sie noch in diesem Monat bestellten. Er selbst bekam obendrein einen Sonderbonus, was er Paula natürlich nicht verraten durfte. Andernfalls wäre ja sein Deal mit Donald Knorr aufgeflogen. Im Gegenzug hatte er bei dem Unternehmer auf ein Honorar für seinen Tip, die Finger von jenem dubiosen Exponat zu lassen, verzichtet. Eine Hand wusch die andere, in Köln nannte man das »klüngeln«.

Jetzt allerdings begann er sich zu sorgen, was geschah, wenn Paula die Sache in den falschen Hals bekam. »Warum hast du mir nichts gesagt?« könnte sie fragen und ihn auf eine Stufe mit all jenen Männern in ihrem bisherigen Leben stellen, die mit der vollen Wahrheit hinterm Berg gehalten hatten. Dabei gab es einen grundlegenden Unterschied: Er selbst handelte aus Liebe, während die anderen vom puren Eigennutz getrieben worden waren.

Wie jedesmal, wenn er um die Ecke bog und sein Haus vor sich liegen sah, übermannte Donald Knorr der Stolz. Dieses Haus symbolisierte seinen Erfolg, das galt für den privaten Bereich ebenso wie für den geschäftlichen. Wobei er keineswegs bestritt, daß auch seine Nachbarn sehr gediegen und zugleich großzügig wohnten. Die wenigsten gaben sich mit weniger als zweihundert Quadratmetern Wohnfläche zufrieden, die Grundstücke maßen durchweg das Fünffache, doch im Gegensatz zu seinem eigenen Besitz verschwand diese Pracht hinter Schmiedeeisen. Gitterstäbe, soweit das Auge reichte, jede Aussicht auf den englischen Rasen oder nicht weniger prächtige Blumenbeete wurde wie im Gefängnis parzelliert, die Unterschiede ergaben sich lediglich aus der Form, welche der Schlosser dem Schmiedeeisen gegeben hatte.

Bei ihm selbst bot sich dem Betrachter zur Straße ebenso wie zum Garten hin eine durchgehende Glasfront. Zwölf Meter lang, und um seinem »Glaspalast« noch eins drauf zu setzen, hatte er sowohl über dem Bad wie auch über Schlafgalerie und Wohnhalle Glaskuppeln einsetzen lassen. Noch nach nunmehr drei Jahren war die Erinnerung an die Reaktion seiner Nachbarn auf seinen radikalen Umbau einfach köstlich. Sie hatten Maulaffen feilgehalten und heimlich Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern würde, bis man den Knorrs die Bude komplett ausräumen würde. Haargenau so hatten sie sich ausgedrückt, hatten dann aber nur noch gestaunt. Ein einziger Klick mit der elektronischen Maus an seinem Computer der jüngsten Generation, und schon setzten sich achtunddreißig Rolladenpanzer aus Edelstahl in Bewegung und verwandelten sein Heim in eine unangreifbare Festung, bei deren Anblick potentielle Einbrecher anscheinend gleich freiwillig aufgaben.

Im letzten Sommer hatte eine Diebesbande die Straße von vorne bis hinten aufgerollt, bei dem einen waren sie durch den Lichtschacht und beim anderen durchs Fenster geklettert, häufig spazierten sie auch geradewegs durch die Haustür, und wer auf sein Schmiedeeisen vertraute, der mußte feststellen, daß echte Profis ein solches Hindernis knackten wie andere Leute Salzstangen. Bei ihm hingegen gab es nicht einmal einen Kratzer auf dem Stahl, und seitdem hagelte es Aufträge. Er war auf dem besten Weg, die guten Wohngegenden der Stadt in Trutzburgen unter seinem Banner zu verwandeln. Als nächstes würden kleinere Einheiten folgen, auch Bürger mit einem eher mittelmäßigen Einkommen wollten sich gegen Langfinger schützen, für sie bot er jetzt die preisgünstigere Variante in Aluminium an. Er fühlte sich wohl in seiner Haut, während er langsam auf seine Doppelgarage zurollte. Er hob die Fernbedienung. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert, hob sich das separat gesteuerte Rollgitter genau in dem Moment, als seine Kühlerhaube sich dem silbrig schimmernden Metall näherte. Die Macht der Gewohnheit ließ ihn rechtzeitig bremsen, andernfalls wäre er vielleicht vor Schreck mit der Glaswand kollidiert, die ihn mit dem ungehinderten Blick auf seinen wunderbar gepflegten Garten empfing. Seine Frau Larissa besaß den berühmten grünen Daumen, mit einer Engelsgeduld widmete sie sich jedem Strauch und jedem Moospolster.

Wo steckte sie nur?

Der unbesetzte zweite Platz neben ihm in der Garage war schuld daran, daß er um ein Haar gegen seine eigene Polycarbonatscheibe gedonnert wäre. Sicherheitsglas, das so leicht kein Einbrecher durchdringen würde, aber eine Garantie dafür gab es nicht. Der einzige sichere Schutz – und darüber hinaus eine permanente Werbung – waren seine achtunddreißig Rolladenpanzer, die geschlossen werden mußten, sobald er oder Larissa das Haus verließen.

Warum hatte sie alles offenstehen lassen?

Seine gute Laune sank schlagartig, und daran änderte sich auch nichts, als er auf der Bartheke der zur Wohnhalle hin offenen Küche einen Zettel mit der Aufforderung entdeckte, nur rasch die Mikrowelle anzuschalten, wenn er Hunger verspürte. War das hier ein Schnellimbiß? Es ging nicht um seinen Magen, um den gefüllt zu bekommen, konnte er mittags genausogut irgendwo in der Südstadt einkehren, wo es rund um seine Firma nur so von ordentlichen Lokalen wimmelte. Es ging ums Prinzip und um die Ehe, die sie lebten, und dazu gehörten gemeinsame Mahlzeiten ebenso wie ein gemeinsames Bett und Zuverlässigkeit. Man mußte sich aufeinander verlassen können, darauf, daß Dinge, für die er sich abschuftete, gehegt und gepflegt und vor allem gesichert wurden.

Ob Larissa es wagte, sich heute gegen sein ausdrückliches Verbot mit diesem Ronaldo zu treffen? Fünf Stunden früher und an einem Ort, der sich seiner Kontrolle entzog?

Wäre er letzten Freitag nicht entgegen seiner Ankündigung schon um acht Uhr heimgekehrt, so hätte er vielleicht nie mitbekommen, was seine »Madonna« – wie er sie scherzeshalber nannte – unter einem Auffrischungskurs in lateinamerikanischen und Standardtänzen verstand.

Seine Verglasung war ihr zum Verhängnis geworden. Noch während er auf das Haus Zufuhr, konnte er sehen, was sich oben auf der Empore abspielte. Hasch mich, ich bin der Frühling! Aber sie war nicht der Frühling, sondern seine Frau. Natürlich hatte sie alles abgestritten. Er hatte das Haus so leise wie möglich betreten, die feurige Musik hatte sein Anschleichen begünstigt, doch offenbar hatte dieser Ronaldo Ohren wie ein Luchs, jedenfalls waren die beiden ihm auf der frei schwingenden Treppe entgegengekommen.

»Ich dachte, du hättest heute abend ein Meeting mit deinem Dr. Hohlbein, Donald!« Hochrote Wangen, jagender Puls, er hatte seine Heilige nicht wiedererkannt, sogar die bis zur Taille reichenden Haare waren wirr und verschwitzt gewesen. Und dann, noch ehe er etwas Passendes erwidern konnte, hatte sie hinzugefügt: »Das ist übrigens Ronaldo, eigentlich wollte er ja uns beide fit für den Ball in drei Wochen machen. Wenn du willst, kann er dir auch noch gerade den Wiegeschritt zeigen.« Sie tat auf harmlos, aber das Wiegen ihrer Hüften hatte sie Lügen gestraft. Trotz ihres schmalen Beckens wirkte diese Bewegung fast schon lasziv, er war ja nicht blöd, und dieses »Ihre Frau ist wirklich sehr begabt« setzte dem Ganzen die Krone auf.

Noch ehe er den Eintänzer vor die Tür setzen konnte, war dieser freiwillig gegangen. »Ich verabschiede mich dann wohl besser mal«, hatte er gesagt und seinem schmierigen Lächeln eine Verbeugung beigefügt. »Bis nächsten Freitag«, hatte er im Hinausgehen zu Larissa gesagt und ihr dabei auf eine Weise zugezwinkert, für die er gefedert und geteert gehörte. Dieser Versuch, Larissa vor seinen eigenen Augen und Ohren zu einer Wiederholung von etwas aufzufordern, gegen das die Darbietungen in einschlägigen Nachtbars geradezu brav waren, hätte das Faß zum Überlaufen gebracht, wenn Donald nicht aus verschiedenen Gründen zur Zeit sehr vorsichtig sein müßte.

»Es wird kein nächstes Mal geben«, hatte er mühsam beherrscht erklärt, kaum daß der Eindringling außer Hörweite war. Gleichzeitig hatte er mittels elektronischem Mausklick den Befehl zum Absenken von achtunddreißig Rolladenpanzern gegeben. Das fehlte noch, daß die halbe Nachbarschaft sich auf seine Kosten amüsierte. »Es wird keine einzige Wiederholung geben. Hast du mich verstanden, Larissa?«

»Nein«, hatte sie erwidert. Einfach so und mit einem Unschuldsblick, auf den er vielleicht hereingefallen wäre, wenn er sie nicht mit eigenen Augen im Arm dieses Tanzboys hätte liegen sehen. Dieses »Nein« paßte allerdings auch nicht zu ihr. Er war daran gewöhnt, daß sie sehr lange brauchte, bis sie zur Sache kam. Und wenn sie dann endlich dort angelangt war, wo sie mit ihrer langatmigen Erzählung hinwollte, ging es in aller Regel lediglich um einen neuen Aufguß zur Bekämpfung der Läuse, die ihre geliebten Rosen anknabberten. Oder um eine Einladung, die ähnlich schrecklich sein würde wie alle anderen Einladungen, die er in den vergangenen Jahren hatte über sich ergehen lassen müssen.

Der Freundeskreis japanischer Gartenkultur lud zum Diaabend mit Reiswein.

Die Initiative »Raum, Park, Skulptur« präsentierte sich im Kölner Norden.

Im Westen wartete die liebe Familie auf den nächsten Besuch.

Und im Süden, wo sie selbst wohnten, hielten einen die Nachbarn und die Gemeinde auf Trab. Grillabend, Straßenfest, Schützenfest, Wohltätigkeitsbazar, Weihnachtsfeier, Karnevalssitzung, Bürgerprotest gegen alles und jedes und jetzt auch noch dieser Ball der Freunde des forstbotanischen Gartens und dessen gefiederter Bewohner.

»Keine Zeit«, hatte er gesagt, als Larissa ihm erstmalig mit dem Ansinnen kam, diesen Ball zu besuchen. Mittlerweile war er soweit, daß er es sich leisten konnte, selbst Leuten abzusagen, denen er vor ein paar Jahren noch Honig ums Maulschmieren mußte. Mit Hinweis auf seine berufliche Überlastung konnte er reihenweise Körbe verteilen und ebenso einfach weghören, wenn Larissas Stimme in der gewohnten Manier zu plätschern begann.

Doch diesmal hatte das nicht funktioniert, sie war hartnäckig geblieben. »Ich bin als Kassiererin im Vorstand und richte den Ball aus«, hatte sie gesagt, »und außerdem tanze ich für mein Leben gern.« Darauf er: »Mit mir würdest du dich nur blamieren, ich kann nur Polka und Stippeföttche.« Doch nicht einmal die Anspielung auf den Lieblingstanz seines Vaters – besoffen bat der vorzugsweise seine hübsche Schwiegertochter zu einem »Tänzchen« auf den guten Perser – und den Traditionstanz seines eigenen Karnevalskorps hatte sie zum Schweigen gebracht. Sie hatte einfach weitergeplätschert, weit ausholend, irgendwann war wohl auch von dem Tanzlehrer die Rede gewesen, der angeblich die halbe Nachbarschaft fit fürs Parkett machte. »Im Kursus oder einzeln, ganz nach Wunsch, er kommt sogar ins Haus«, hatte sie gesagt oder wollte sie gesagt haben, jedenfalls hatte sie ihm vergangene Woche die beiden Ballkarten für den letzten Freitag im März und die Anmeldung für drei Doppelstunden in Standard und lateinamerikanischen Tänzen an den drei Freitagen davor präsentiert.

»Vergiß nicht, der Tanzlehrer kommt heute um sechs zu uns nach Hause«, hatte sie gesagt. Das war letzten Freitag beim Mittagessen gewesen, beinahe wäre ihm das gute Lammkotelett im Hals steckengeblieben.

»Keine Zeit«, hatte er gesagt und auf sein Meeting mit Dr. Hohlbein hingewiesen: »Ich kann frühestens gegen elf zurück sein.«

»Du hast es versprochen.«

Hatte er das? Vielleicht hatte er es ja wirklich versprochen, zumindest an diesen Balltermin erinnerte er sich schwach. Spätestens in dem Augenblick, als er von anderer Seite an seine Zusage für denselben Abend erinnert wurde, hatte er gemerkt, daß er in der Klemme saß. Für den letzten Freitag im März stand er gleich doppelt im Wort. In seinem Terminkalender standen jetzt »Dr. Hohlbein« und »Jubiläumsball«. Er mußte sich entscheiden.

Vergangenen Freitag war sein »Dr. Hohlbein« so sauer über seine familiären Verpflichtungen gewesen, daß der Abend endete, bevor der gemütliche Teil überhaupt begann. Das war der Grund, warum er schon um acht heimgekommen war. Seitdem sah die Sache allerdings ganz anders aus. Wer sein Vertrauen auf solch üble Weise wie Larissa mißbrauchte, durfte sich nicht wundern. Donald hatte keineswegs vor, in Zukunft an den Abenden, die »Dr. Hohlbein« gehörten, für seine Frau den Aufpasser zu spielen. Wenn sie klug war, reagierte sie auf seine symbolträchtigen Warnungen. Tat sie das nicht, würde er schärfere Geschütze als ein »Jüngstes Gericht« in Öl und eine Polka auf dem Perser auffahren müssen.

Bei dem Gedanken an seinen Vater, der am heutigen Freitag pünktlich um sechs Uhr seine Schwiegertochter in die Arme schließen würde, verspürte er fast so etwas wie Vorfreude, man könnte auch sagen Schadenfreude. Dabei waren ihm die Besuche bei seinen Eltern sonst mehr als lästig. Larissa würde dafür sorgen, daß er an diesem Freitag auf seine Kosten kam. Ob sein Vater außer Polka auch einen feurigen Tango auf Lager hatte? Er stellte sich vor, wie der Perserteppich beim Wiegeschritt ins Rutschen geriet und ihn aus Larissas Augen die schiere Verzweiflung ansprang, wenn sein Vater sie im Suff so fest wie in früheren Jahren seine Fußballpokale umklammerte und »Olé!« schrie. Auch das hätte sie sich eher überlegen sollen.

»L-a-r-i-s-s-a!!!« Laut, seine Stimme schallte durch das Haus, dessen Mittelpunkt die Halle war, die von jedem einzelnen Raum einsehbar war, das galt sogar für das Bad und auch für die Schlafräume. Ähnlich wie die Logen in einem Theatergruppierte sich alles um diesen Mittelpunkt, wenn er hochsah, konnte er die riesige Dunstabzugshaube aus gehämmertem Messing ebenso erkennen wie den Einstieg in die nierenförmige Wanne oder die Podeststufen, die zu dem Ehebett führten, das eine Sonderanfertigung war. Offenes Wohnen, man sah alles und hörte alles. Vorausgesetzt, jemand war da.

Niemand war da. Seine Frau war ausgeflogen. Den Dieben war Tür und Tor geöffnet. Sein Essen stand in der Mikrowelle.

Er stolperte die Treppe hoch, die verchromten Drahtseile des Handlaufs begannen zu schwingen, ein metallisches Surren lag in der Luft und begleitete ihn bis in die Küche, in der manch einer seine ganze Wohnung unterbringen konnte. Wo war die Mikrowelle untergebracht? Wütend riß er alle möglichen Klappen auf, hatte greifbar den Beweis vor Augen, was er alles in diesen Haushalt investiert hatte. Es war unglaublich, jeder Gourmetkoch müßte Larissa um diese Vielzahl von chromglänzenden Gerätschaften beneiden, und was tat sie? Sie packte ihm Schwarzwurzeln ins Ofenrohr!

Der Geruch war eindeutig. Es sah aus wie Spargel –, er war ein Fan von weißem Spargel – aber es war keiner. Kaum öffnete er die kleinste Glasklappe, schlug ihm dieser erdige Geruch entgegen. Das klassische Arme-Leute-Essen, es war ein Affront, für ihn war es ein ganz eindeutiger Affront. Ohne weiter nachzudenken, kickte er mit dem Knie gegen die Tür, hinter der sich die Müllbehälter befanden, insgesamt waren es vier Stück. Wer wollte von ihm erwarten, daß er jetzt noch Müll sortierte? Er nahm die Jenaer Glasform und ließ sie mitsamt Inhalt fallen, der Aufprall wurde dumpf abgefedert, doch der Deckel mußte sich gelöst haben, denn nun stank es ganz fürchterlich. Er würde sich rächen. Für letzten Freitag und diesen Freitag, die verhaßten Schwarzwurzeln inbegriffen.

Als Larissa den Friseursalon betrat, waren alle Plätze vor den rundum laufenden Spiegeln belegt. Für einen Freitagmittag eher die Regel als die Ausnahme, die meisten Frauen wollten mit schickem Kopf ins Wochenende starten. Sie selbst bevorzugte ansonsten den Mittwoch, einfach weil Mitte der Woche erfahrungsgemäß am wenigstens zu tun war und Ulrike dann am meisten Zeit für sie hatte. Wobei es weniger um die Frisur ging, mit der Larissa auch allein ganz gut klar kam. Was gab es an gesunden Haaren, die bis zur Taille reichten, schon großartig zu tun? Alle paar Monate wurden die Spitzen nachgeschnitten, das reichte. Besser gesagt, es würde reichen, wenn sie nicht im gerade ausklingenden Winter festgestellt hätte, wie gut es tat, sich einmal alles von der Seele zu reden.

Während Larissa die Kaffeebar ansteuerte, die den Kunden das Warten angenehmer machen sollte, beobachtete sie im Spiegel vor sich, was hinter ihrem Rücken geschah. Sie hatte sich so plaziert, daß sie Ulrike genau im Blickfeld hatte. Ulrike war noch neu im Salon und fremd in der Stadt, was vielleicht mit ein Grund dafür war, daß Larissa beim Spitzenschneiden im Januar so aus sich herausgegangen war. Bei jedem Altkölner war das Risiko einfach zu groß, daß er auf diese oder jene Weise mit Donald verhandelt war. Donald kannte in der Domstadt Gott und die Welt, und wen er noch nicht kannte, den würde er über kurz oder lang mit seinen Rolladenpanzern zum Sonderpreis ködern. Sicherheitshalber hatte Larissa sich bei ihrem zweiten Termin bei Ulrike – das war eine Woche später und geschah unter dem Vorwand, an einer Tönung interessiert zu sein – vorab nach deren Einstellung zu Rollgittern und ähnlichem erkundigt.

»Ich wohne im Souterrain«, hatte die andere gesagt, »und bin dankbar für jeden Sonnenstrahl, der mich erwischt.«

»Aber die Sicherheit«, hatte Larissa eingewandt, »es gibt jede Menge Leute, die ein Vermögen investieren, um ihre Wohnung mit Rolladenpanzern gegen Einbrecher abzusichern.«

»Ich habe nichts, was ich absichern müßte. Es sei denn, so einer wäre auf meine Erdnußbutter scharf. Mögen Sie Erdnußbutter?«

Larissa hatte den Kopf geschüttelt. Heute täte sie das nicht mehr. Sie war auf den Geschmack gekommen, sowohl was den Brotaufstrich betraf wie auch in puncto wöchentlicher Friseurbesuch und Reden. Sie redete ohne Punkt und Komma, und was das schönste war, sie bekam sogar richtige Antworten. Ulrikes Antworten waren um einiges ergiebiger als alles, was Donald, die Zugehfrau, ein Nachbar oder dieser oder jener Mithelfer bei dieser oder jener Initiative von sich zu geben pflegten. Was Ulrike sagte, wirkte sogar entspannender als das Hantieren mit Blumenzwiebeln oder Kompost. Und lehrreich war es auch, was die gebürtige Holländerin von sich gab. Larissa war noch nie in Holland gewesen, dieses Land war für Donald schon deshalb indiskutabel, weil der Anblick eines Wohnmobils mit einem »NL« ihn regelmäßig in Wallung brachte. Wenn man ihn hörte, so konnte man glauben, daß jeder »Käskopp« nichts anderes im Sinn hatte, als deutsche Autobahnen mit seinem Wohnwagen zu verstopfen. Ulrike besaß übrigens auch keinen Wohnwagen.

Larissa zwinkerte in den Spiegel vor sich und tat so, als ob sie ihrer Vertrauten mit der Espressotasse zuprosten wollte. Ein kurz über den Wicklern der fremden Kundin geschwenkter Pinsel – offenbar sollten Dauerwellen gemacht werden, das dauerte – antwortete ihr prompt, vertiefte das Gefühl, endlich eine Vertraute gefunden zu haben und überdeckte den Gedanken an die Schwarzwurzeln, die Donald spätestens in einer halben Stunde empfangen würden.

Sie konnte es nicht ändern. Als sie am Morgen endlich im Garten fertig gewesen war – das Grübeln verlangsamte jeden Handgriff, etliche Gallmilben taten ein übriges –, war sie wie jeden Freitag zum Markt am Maternusplatz gefahren. Als sie dort ankam, gab es noch Spargel. Weißen und grünen, es gabnoch genug, doch als sie sich von Ronaldo verabschiedete, war keine einzige Stange mehr da. Der Zufall hatte ihr Ronaldo über den Weg geschickt, oder war es das Schicksal? »Ich bedauere sehr, daß aus unserer Verabredung heute um sechs nichts wird, weil Sie bei Ihren Schwiegereltern eingeladen sind«, hatte er gesagt und sie wieder auf diese Weise angesehen, die ihr heiße und kalte Schauer den Rücken hinunterjagten und ihre Füße im Tangorhythmus wippen ließ. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte zwischen Bergen von Obst und Gemüse, Eiern und Hühnern den Wiegeschritt ausprobiert, den sie genau eine Woche zuvor gemeinsam eingeübt hatten. Eins-zwei-Wiegeschritt.

»Sehen Sie, ich hatte recht«, darauf er.

»Recht womit?«

»Daß Ihnen das Tanzen im Blut liegt. Wenn Sie wollen …« Und dann hatte er ihr diesen Vorschlag unterbreitet, über den sie unbedingt mit Ulrike sprechen mußte. Alles andere war auf der Stelle unwichtig geworden, sie hatte sich in aller Eile ein Kilo Schwarzwurzeln abwiegen lassen, daheim mit einem kostenlos an alle Haushalte verteilten Instantpulver – auch ein Wink des Himmels? – in Null Komma nichts ein »Gratin« daraus gemacht und es in die Mikrowelle geschoben und bei all dem an ganz etwas anderes gedacht.

Hatte sie bei ihrem überstürzten Aufbruch überhaupt die Rolläden geschlossen?

Erneut fuhr es ihr heiß und kalt über den Rücken, diesmal war der Anlaß allerdings kein bißchen freudig. Donald würde außer sich sein und sie vielleicht zur Strafe zwingen, heute abend mit seinem Vater Mühle zu spielen. Immer, wenn der alte Knorr beim Mühlespiel verlor, trank er zum Trost ein Kölsch und einen Schnaps. Und wenn er gewann, stieß er auf seinen Sieg an. Nach sechs Spielen war er gewöhnlich so weit, daß er sie zu einem »Tänzchen« auf dem Perserteppich bat, der bei dem, was er für eine Polka hielt, unweigerlich ins Rutschengeriet. Donald nervten die Besuche bei seinen Eltern, die sonst am Sonntag stattfanden. Diesmal hatte er den Sonntagsbesuch auf den Freitag vorgezogen. »Am Sonntag muß ich leider mit meinem Dr. Hohlbein nach Aachen«, hatte er gesagt und hinzugefügt, daß sie an diesem Tag ja ohnehin vollauf mit ihrem Wohltätigkeitsbazar beschäftigt wäre. Was stimmte und auch wieder nicht, sofern Ulrike mitspielte …

Larissa hatte schon drei Tassen Espresso geleert, als die Kundin mit den Dauerwellen endlich unter die Haube und sie selbst zum Zug kam.

»Und? Wie war er?« Die Friseuse beugte sich vor, ihre Ponyfransen kitzelten Larissa am Ohr und an der Wange, aber es war kein unangenehmes Gefühl, ganz im Gegenteil.

»Es war himmlisch.«

»Und er ist wirklich zu Ihnen ins Haus gekommen, Larissa? Zu Ihnen allein? Sie haben ihn wirklich kommen lassen, obwohl Sie wußten, daß Ihr Mann nicht da sein würde?«

»Mein Mann ist früher heimgekommen.«

»Aber Sie sagten doch, es wäre himmlisch gewesen.«

»Wir waren schon fertig.«

»Fertig womit?« Ein Kichern begleitete das aufgeregte Klappern der Schere.

Larissa wurde wohlig warm. »Mit dem Wiegeschritt, der gehört zu einer Tangofigur, beim Tango vergesse ich einfach alles, und Ronaldo ist solch ein begnadeter Tänzer. Bei ihm habe ich glatt das Gefühl, schon jahrelang tanzen zu können, in seinen Armen bin ich eine andere Frau geworden. Da gibt es eine Pose, bei der die Frau ein Bein um sein Bein schlingt und sich ganz weit zurücklehnt, eigentlich ist es eine Figur für Fortgeschrittene, aber wir haben sie problemlos hinbekommen, obwohl ich in Gymnastik immer eine Null war. Zu steif, das haben sie mir schon früher in der Schule gesagt, und auf einmal war ich leicht wie eine Feder und überaus gelenkig, und dazu dieser Rhythmus, der einem ins Blut schießt. Dadum, dadum, dadumdadum«, ihr Absatz tackelte rhythmisch gegen die Fußstütze.

»Und dann platzte Ihr Mann herein?« Die Schere senkte sich, einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie sich in Larissas Schulter bohren. Sie zuckte unwillkürlich zur Seite, das Metall blieb an dem zum Mobiliar des Salons passenden fliederfarbenen Umhang hängen.

»Gewissermaßen«, antwortete sie und wußte auch ohne einen einzigen Blick in den Spiegel vor sich, daß die kleidsame rosige Tönung ihres Gesichts sich soeben in ein fleckiges Rot verwandelt hatte.

»Und jetzt? Wie geht es weiter?«

»Gar nicht, fürchte ich. Außer …»

»Außer was?«

»Außer jemand springt am Sonntag bei dem Bazar auf dem Maternusplatz für mich ein. Ronaldo hat mich gefragt, ob ich nachmittags nach seiner Jazz-Gymnastik eventuell ein Stündchen Zeit zum Üben hätte. »Schließlich haben Sie drei Doppelstunden gebucht und bezahlt«, hat er gesagt und gemeint, daß es einfach eine Schande wäre, wenn jemand mit meinem Talent das nicht ausnutzt. Vom Bazar bis zur Tanzschule ist es nur ein Katzensprung, und mein Mann ist den Tag über in Aachen. Wenn da nicht der Kuchenstand wäre, für den ich den ganzen Nachmittag eingetragen bin …«

»Den übernehme ich.«

»Das täten Sie wirklich?«

»Das tue ich wirklich. Wie wär’s, wenn wir heute einmal für Ihren Tanguero einen Seitenscheitel ausprobieren? Das sähe einfach rassiger aus. Mit Mittelscheitel haben Sie immer etwas von einer Madonna, egal ob mit oder ohne Tönung.«

»Donald nennt mich immer seine Madonna«, Eigentlich müßte ich ja ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn so hintergehe. Dabei will ich nichts anderes als ein bißchen tanzen.«

»Wer sagt denn, daß Ihr Mann Sie bei seinen vielen Meetings nicht ebenfalls hinters Licht führt?«

»Nein, das glaube ich nicht. Er ist mit seinem Job verheiratet, im Vergleich dazu bin ich allenfalls seine Nebenfrau, er hat Tag und Nacht nichts anderes als seine Stahldinger im Kopf. Sie müßten unser Haus sehen, wenn er seine achtunddreißig Rolladenpanzer runterfahren läßt, komme ich mir vor wie eine Maus in einem diebstahlsicheren Safe. Aber wer knackt schon eine Maus? Im Zweifelsfall spielt Donald allemal lieber mit seiner elektronischen Maus herum. Immer, wenn er das tut, stelle ich mir vor, irgendwann spielt die verrückt oder er vergißt, daß ich noch drinnen eingesperrt bin. Der bloße Gedanke macht mir Platzangst. Können Sie das verstehen?«

»Total.«

»Dann gehören Sie genau wie Ronaldo und ich zur Ausnahme. Die meisten, die es sich leisten können, sind nämlich hin und weg von Donalds Sicherungssystem. In den letzten drei Jahren hat sich sein Umsatz verdoppelt und verdreifacht, deshalb braucht er ja jetzt auch einen »Consulting Manager«. Dieser Dr. Hohlbein muß ähnlich gestrickt sein wie er selbst, für den scheint es auch keinen Feierabend und nicht mal ein privates Wochenende zu geben.«

»Es sei denn, dieser Dr. Hohlbein wäre in Wahrheit eine Frau und das Privatpläsier Ihres Mannes.«

»Nie im Leben, dafür lege ich die Hand ins Feuer.«

Ronaldo konnte von seinem Mischpult aus genau auf die Gleise der Linie 16 sehen. Die Bahn verkehrte werktags im Zehnminutentakt, am Wochenende waren die Abstände größer, ansonsten wechselten nur noch gelegentlich die Werbeaufdrucke, alles in allem ein wenig verlockender Ausblick. Trotzdem ertappte er sich immer öfter dabei, daß er statt auf die Schritte seiner Schüler nach draußen sah.

»Ich darf Sie jetzt zu einem langsamen Walzer auf die Tanzfläche bitten.« Mechanisch legte er die nächste Scheibe auf, es handelte sich um einen Song von den »Ärzten«. Wenn die sechzehn Ehepaare, die nun vor ihm Tanzhaltung annahmen, den Text mitbekämen, würden sie ihn vielleicht nicht mehr so sonnig und zugleich hilfesuchend anstrahlen. Er kam nicht dagegen an, je länger er diesen Job hauptamtlich versah, um so öfter war ihm danach, aus der Reihe zu tanzen. Als ob es nicht höchste Zeit würde, endlich einmal etwas von A bis Z durchzuziehen.

Abgebrochenes Lehrerstudium, dann knapp vier Jahre als Animateur, zwei Semester Kunstgeschichte, die Ausbildung zum Tanzlehrer war das letzte, was seine Eltern zu finanzieren bereit waren. Sie hatten recht, keine Frage, in seinem Alter hatten andere schon eine ordentliche Menge Geld auf die hohe Kante gelegt oder ins Eigenheim gesteckt. Aber er hatte auch recht: Das Leben – man hatte schließlich nur eins – war einfach zu kurz, um sich mit Dingen abzuplagen, die einem nicht wirklich gefielen. Er hatte sich bei jedem verdammten Job, den er anfing, redlich bemüht, seine Begeisterung am Leben zu halten, aber es war ihm nicht gelungen. Und jetzt ging es schon wieder los.

Konnte er etwas dafür, daß die Leute Blei in den Knochen zu haben schienen? Selbst bei diesem Walzer sah es aus, als ob die Herren statt Damen Kartoffelsäcke durch die Gegend wuchteten. Sie schoben und stemmten und schwitzten und sahen zu allem Überfluß auch noch auf die Füße, über die sie prompt stolperten, woraufhin erneut das Gezetere einsetzte, wer schuld an dem nicht eingeplanten Stop war, der sich einer Kettenreaktion gleich fortpflanzte, bis endlich alle Paare zum Stillstand kamen und die Köpfe Richtung Mischpult schwenkten, wo er saß. Glaubten sie, er könnte ihnen neue Füße zaubern? Oder ihr träges Blut auf den Rhythmus einstimmen, den sie weder erkannten noch befolgten?

»Herr Schulte, wie ging das noch mal mit der Kreiseldrehung?«

Und wieder stand er auf und überwand sich und bat eine der anwesenden Damen, die Figur mit ihm vorzutanzen, an der sie nun schon die dritte Woche übten. Und wieder sah er in ein Gesicht, das den Gesichtern der anderen Damen zum Verwechseln ähnlich sah, einfach weil alle weiblichen Wesen mit einem gewissen Einkommen im Alter zwischen vierzig und fünfzig so aussahen, als wären sie auf derselben Schönheitsfarm gezüchtet worden und hätten zum Schluß noch haargenau denselben schwarzen Hosenanzug nebst Prada-Täschchen zum Pagenkopf verpaßt bekommen. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen, daß die Ausübung seines jüngsten Traumjobs in einem der besten Wohnviertel so frustrierend wäre.

Mit einer einzigen Ausnahme …

»Aber Herr Schulte, das stimmt doch gar nicht.« Das sterile Lächeln unmittelbar vor ihm wich einem Ausdruck der Verwirrung, der Rücken unter seiner Hand wurde steif, der Oberschenkel, der geschmeidig den seinen umschlingen sollte, ging auf Konfrontationskurs und landete in seinem Schritt, was ziemlich schmerzhaft und darüber hinaus desillusionierend war.

Ronaldo war drauf und dran zu vergessen, daß ein guter Tänzer immer und vor allem ein Kavalier war.

Offenbar merkte das auch die Lady, deren Namen er vergessen hatte. Sie zog ihr Bein zurück, wurde fast so rot wie ihr Lipgloss und begann sich zu verteidigen: »Sie haben plötzlich Tango getanzt, Herr Schulte, das ist eine Figur aus dem Tango, glaube ich. Wie sie heißt, weiß ich leider nicht mehr.«

»Die Peitsche.« Er.

»Oh.« Sie.

»Die Figur heißt so.«

»Ach so.«

Und dann entschuldigte er sich für seinen Irrtum und begann noch einmal von vorne, brachte irgendwie seine eineinhalb Stunden beim Bronzekurs für Ehepaare, der jeden Freitag von vier bis halb sechs stattfand, über die Bühne, sah wieder im Zehn-Minuten-Takt die Straßenbahn vorbeifahren, hörte sie auch und dachte bei alledem an die Frau, die wie eine Madonna aussah und den Tango im Blut hatte.

Larissa war eine Offenbarung für ihn, sie war anders als all die Frauen um sie herum, sie saß ihm im Blut. Seit letzten Freitag träumte er davon, wie sie in seinen Armen gelegen und auf den leisesten Impuls reagiert hatte. Zuletzt hatte sie allerdings auch kaum eine andere Chance gehabt, denn beim Tanzen führte bekanntlich der Herr, und er hatte sie an sich gepreßt und ihre Wärme aufgesogen, sich von einem Schleier dunkelbraunen Haars umwirbeln lassen, bei jeder ruckartigen Wende peitschte ihn diese Pracht. Welche Frau trug ihr Haar heute noch so lang und schlicht? Keine. Zumindest keine, die er kannte.

Ob es ihr gelingen würde, sich am Sonntag für ein oder zwei Stunden von ihrem Kuchenstand zu ihm in diesen Saal zu schleichen?

Es wurde geklatscht. Das galt ihm. Es war üblich, am Ende einer Tanzstunde zu klatschen. Immer wenn er sich mit höflichen Worten bedankt und verabschiedet und geschwindelt hatte, daß er sich auf die nächste Stunde in der nächsten Woche freute, klatschten sie wie gerade jetzt. Ihm war nicht bewußt, auch nur einen einzigen Ton gesagt zu haben. Und alles, worauf er sich freute, war die nächste »Peitsche« mit Larissa Knorr.

Kapitel 2 Süchtig

Wie gewöhnlich waren die meisten Kunden erst am späten Vormittag in der »Casa Mia« eingetrudelt und hielten Paula so sehr auf Trab, daß sie wirklich nur abwinken konnte, als Mikro gegen eins kurz im Laden auftauchte, sich den Magen rieb und über seine Schulter in die Richtung zeigte, in der es alles vom Gyros über Pizza bis hin zum Wiener Schnitzel gab. Sie hatte keine Zeit, das mußte er doch einsehen. Er zuckte hilflos die Schultern und ging wieder. Sie fühlte sich auch hilflos. Sie bediente weiter, obwohl offiziell von eins bis drei Mittagspause war, und als ihr Chef sich endlich sehen ließ und mit einem Blick auf das angebissene Brötchen neben der Kasse wissen wollte, ob sie mal wieder den ganzen Tag nichts Ordentliches gegessen hätte, nickte sie und hatte auch nichts dagegen, von ihm ausgescholten zu werden. Sehr liebevoll und besorgt und trotzdem garantiert ungefährlich.

»Wenn du nicht willst, daß ich ernsthaft böse mit dir werde, Rapunzel, dann verschwindest du jetzt auf der Stelle und ißt etwas Warmes. Die Rechnung geht auf mich. Und falls du mir wieder damit kommen willst, daß es kurz nach fünf noch nirgends etwas gibt, so lasse ich das auch nicht gelten, weil ich gerade eben selbst bei unserem Griechen war.«

»Der Grieche ist gut.«

»Da bin ich aber froh.«

»Ich müßte nämlich sowieso mit Alex über einen neuen Auftrag reden. In seiner Wohnung ist er nicht, da ist nur sein Kumpel nebst Muse. Also wird Alex wohl wieder bei seinem Onkel Zuflucht suchen. Tellerklappern ist ja vergleichsweise angenehm.«

»Ich kann mich an eine Zeit erinnern – und das ist noch gar nicht mal so lange her als du die Geräusche etwa von einem Kuß sehr viel lieber gemocht hast als das Aneinanderscheppern von zwei Tellern. Was sagt eigentlich unser gemeinsamer Freund Mikro dazu, daß du neuerdings nur noch deine Arbeit und vielleicht noch das gestörte Liebesieben von Alex im Kopf hast?«

»Mikro ist beschäftigt.«

»Du willst sagen, er hat einen Rückfall? Ich hätte schwören mögen, das sei vorbei.«

»Ich hab’s nicht erotisch gemeint. Mikro beschäftigt sich neuerdings mit Rollgittern zum Vorzugspreis.«

»Klingt nach ernsten Absichten.«

»Schon möglich.«

»Und du willst nicht?«

»Ich weiß nicht, was ich will. Vielleicht bin ich ja auch nur allergisch gegen diesen Typ, der von sich selbst behauptet, er wäre DER Kölner Spezialist für Sicherungssysteme.«

»Du redest von Donald Knorr?«

»Er hat also wirklich einen Namen?«

»Den hat er zweifelsfrei.«

»Ist er zufällig auch fromm?«

»Nicht daß ich wüßte. Wie kommst du darauf?«

»Weil er seiner Frau auf Teufel komm heraus eine Ikone vom ›Jüngsten Gericht‹ schenken will. Und deshalb muß ich auch unbedingt mit Alex reden. Falls Mikro kommt, dann sag ihm bitte, ich hätte noch mal fort gemußt.«

»Nur fort?«

»Nur fort. Du weißt doch, darin bin ich am besten.« Und ehe Hans-Peter Börner Anstalten machen konnte, sie zu trösten oder ihr den Kopf zurechtzurücken, schnappte sie sichihren heißgeliebten Lederrucksack – ein Geschenk von Mikro – und machte sich aus dem Staub. Es brachte nichts, über etwas zu diskutieren, was in ihr selbst noch so kunterbunt durcheinanderging. Zumal bei ihrem Chef die Gefahr bestand, daß er bei solchen Trostmanövern kurzfristig vergaß, daß er im Grunde seines Herzens lieber Knusperknaben mochte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie ihn magisch angezogen hatte. Als »Rapunzel«, und er war beileibe nicht der einzige, der sie mit einer Märchengestalt verwechselte. Paula mochte Märchen, und doch mißtraute sie ihnen zugleich. Die Vergangenheit hatte sie gelehrt, daß die Formel »Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende« in der Wirklichkeit meist nur wenige Monate Bestand hatte. Wenn überhaupt.

»Und jetzt bitte die Augen schließen und entspannen!« Das war der Satz, der das Leben von Donald Knorr auf eine Weise verändert hatte, die er nicht im Traum für möglich gehalten hätte. Dabei war dieser Satz ihm nachgerade schon geläufig, er hatte ebenfalls zum festen Repertoire jener Friseuse gehört, die ihm seit Jahr und Tag in seinem Herrensalon die Haare wusch und ihm hinterher eine Kopfmassage verabreichte: »Und jetzt bitte …!«

Und immer hatte er wunschgemäß den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen und doch ein leises Unwohlsein nicht unterdrücken können. Wie peinlich, hatte er hinter seinen geschlossenen Lidern gedacht, wenn er sich tatsächlich völlig entspannte und einschlummerte und zu schnarchen begann. Überhaupt mißfiel ihm die Vorstellung, diese kraulenden Finger könnten sich verirren, man hatte ja schon so allerlei über diesen Berufsstand gehört, und in Anbetracht seines sozialen Aufstiegs erschien es ihm durchaus möglich, daß so eine kleine Friseuse versuchte, über eine Kopfmassage an seinPortemonnaie zu gelangen. Er war sehr vorsichtig gewesen und hatte sich erst wirklich entspannt, als die junge Frau, deren Name ihm schon entfallen war, durch einen männlichen Kollegen ersetzt wurde.

»Und jetzt bitte die Augen schließen und entspannen.« Der Text war derselbe gewesen, er war es noch immer, doch mittlerweile war Donald süchtig nach dieser Ankündigung. Er träumte sogar davon. Dann schrak er mitunter in seinem maßgefertigten Ehebett hoch und sah zur Seite, um sich davon zu überzeugen, daß alles seine Ordnung hatte. Natürlich hatte Larissa nie etwas von dem Aufruhr mitbekommen, der seit Januar in ihm tobte. Was bekam sie schon mit, solange es ihren Rosenstöcken gutging und man ihr fleißig weiter Posten antrug, die sie ehrenamtlich und somit umsonst versah. Es sollte ihm recht sein, auf diese Weise war sie beschäftigt, bis vorigen Freitag hatte alles reibungslos funktioniert.

Doch jetzt war der Wurm drin. Sie war weg. Es roch nach Schwarzwurzeln. Er brauchte eine Kopfmassage. Auf der Stelle. Und so hatte er sich, nachdem er allen achtunddreißig Rolladenpanzern den Befehl zum ordnungsgemäßen Schließen in fünf Minuten gegeben hatte, erneut ins Auto gesetzt und war auf gut Glück losgefahren. Er traute sich nicht, am Telefon um einen Termin zu bitten. Es war möglich, daß Fritz noch immer sauer auf ihn war und einfach behauptete, keinen Termin mehr frei zu haben.

Im »Papageno« empfingen ihn wie gewöhnlich ein übereifriger Inhaber, zwei spitz kläffende Köter mit rattenähnlichem Aussehen und eine Orgie von Düften. Es war noch nicht allzu lange her, daß Donald sich ernsthaft mit dem Gedanken getragen hatte, sich einen anderen Friseur zu suchen. Davon konnte jetzt natürlich keine Rede mehr sein. Von Fritz war im Moment nichts zu sehen, dafür konnte man ihn lachen hören. Mit wem lachte er? Worüber? Donald hätte den Wichtigtuer vorsich am liebsten aus dem Weg geschoben und selbst nachgesehen, doch dann unterdrückte er diesen Impuls rasch wieder. Es wäre wohl kaum klug von ihm, Besitzansprüche ausgerechnet in einem Moment anzumelden, wo er selbst nicht voll verfügbar war.

»Ich hätte gerne kurzfristig einen Termin, wäre das wohl möglich?«

»Schauen wir mal.« Kurzes Blättern. Das Lachen – es mußte von oben kommen – steigerte sich. Ob Fritz ihn gehört hatte? »Gar nicht so einfach«, sagte die Stimme vor ihm, »es sei denn, Sie würden heute ausnahmsweise mit Stefanie vorliebnehmen, sie ist jetzt gleich frei.«

Donald griff sich an die Schläfen. »Danke, nein.«

»Verstehe, Ihre Migräne, in dieser Hinsicht ist Fritz wirklich unübertroffen, er hat gleichsam heilende Hände.« Und dann lauter in Richtung des Ausschnitts in der Decke: »Fritz? Fritz, könnten Sie wohl gleich noch Herrn Knorr dazwischenschieben?«

Keine Antwort. Donald wurde es mulmig. Das Lehrmädchen wurde hochgeschickt, ihre dicken Brikettabsätze donnerten über die Metallstufen der Wendeltreppe, und kehrte eine Ewigkeit später – so zumindest schien es Donald – wieder zurück.

»Wenn es sein muß, ging’s«, nuschelte sie, »aber es kann dauern.«

»Danke.« Obwohl Donald sich bewußt war, eine solche Behandlung eigentlich nicht nötig zu haben und sogar Gefahr zu laufen, daß einer seiner eigenen Kunden Zeuge dieser Szene wurde, folgte er dem kleinen Trampel willig zu einem freien Platz unmittelbar neben der Kasse und vergeudete die nächste Dreiviertelstunde mit Warten. Geschlagene fünfundvierzig Minuten wartete er darauf, daß Fritz endlich zu Ende bedient hatte und aufs Klo gegangen war und sich mit zwei Frikadellen gestärkt hatte. Als er endlich zu ihm kam, umgaben ihn derwürzige Duft der Frikadellen, die das Lehrmädel für ihn besorgen mußte, und das sehr viel lieblichere Odeur von Lavendel, Jasmin und Ambra.

»Armani« bot diesen Duft im Partnerlook an, die liebliche Variante namens »she« für die Frau und »he« für den Mann, hier im Salon wurde beides verkauft, und etliche Kunden griffen gleich doppelt zu. Donald tat das nicht. Nie im Leben täte er das. Es wäre schrecklich, die Dinge durcheinanderzubringen. Sicherheitshalber hatte er für Larissa ein Parfüm gekauft, das völlig anders als dieses »she« roch, das ihm nun wieder unmittelbar in die Nase stieg und ihn schon schwach machte, noch ehe er den Kopf zurücklegen und die Augen schließen und sich Fritz’ Händen überlassen durfte. Obwohl er sonst wenig auf die großen Sprüche der Werbung gab, passierte ihm bei der Vermischung seines eigenen »he« mit dem »she« von Fritz haargenau das, was in diesen Slogans behauptet wurde. Es war ein Lockruf, warm und würzig und erogen, eine Botschaft an unterschwellige Sehnsüchte, daran änderte auch der Geruch von gebratenem Hackfleisch nichts.

»Und jetzt bitte …» Da waren sie, die magischen Worte, sie waren unwiderstehlich. Mit einem Seufzer der Erleichterung rückte Donald sich zurecht und entspannte sich, war schon ganz weit weg, als die Worte ihn zugleich mit einem kräftigen Drücken hinter seinen Ohrmuscheln erreichten.

»Dachte, Sie wären heute verhindert, Herr Knorr.«