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Drei herzerwärmende Romane über die Wege der Liebe: Der gefühlvolle Sammelband »Tage, die nach Glück duften« von Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Die Liebe ist ein großes Abenteuer … Obwohl Alexa eine erfolgreiche Karrierefrau ist, will ihre Mutter nichts anderes, als endlich Hochzeitsglocken zu hören. Um dem zu entgehen, nimmt Alexa sogar einen gut bezahlten Job in Peking an. Doch dann begegnet sie plötzlich einem Traum von einem Mann … und muss sich entscheiden: Küsse oder Karriere? Ganz anders ist es bei der sympathischen Antiquitätenhändlerin Paula: Sie würde sofort »Ja« sagen … dummerweise hat sich ihr neuer Flirt jedoch soeben mit ihren wertvollsten Waren aus dem Staub gemacht! Aber vielleicht ist das die Chance auf einen Neuanfang – und die ganz große Liebe? Von einem neuen Leben träumt auch Johannes, der ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hat. Als er die erfolgreiche Stilberaterin Juliane trifft, knistert es gewaltig – und Johannes beschließt, nicht nur seine Bauchmuskeln, sondern auch sein ganzes Leben auf Vordermann zu bringen. Aber kann er so Julianes Herz erobern? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Tage, die nach Glück duften« von Annegrit Arens enthält die Romane »Aus lauter Liebe zu dir«, »Liebesgöttin zum halben Preis« und »Kussecht muss er sein«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1425
Über dieses Buch:
Die Liebe ist ein großes Abenteuer … Obwohl Alexa eine erfolgreiche Karrierefrau ist, will ihre Mutter nichts anderes, als endlich Hochzeitsglocken zu hören. Um dem zu entgehen, nimmt Alexa sogar einen gut bezahlten Job in Peking an. Doch dann begegnet sie plötzlich einem Traum von einem Mann … und muss sich entscheiden: Küsse oder Karriere? Ganz anders ist es bei der sympathischen Antiquitätenhändlerin Paula: Sie würde sofort »Ja« sagen … dummerweise hat sich ihr neuer Flirt jedoch soeben mit ihren wertvollsten Waren aus dem Staub gemacht! Aber vielleicht ist das die Chance auf einen Neuanfang – und die ganz große Liebe? Von einem neuen Leben träumt auch Johannes, der ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hat. Als er die erfolgreiche Stilberaterin Juliane trifft, knistert es gewaltig – und Johannes beschließt, nicht nur seine Bauchmuskeln, sondern auch sein ganzes Leben auf Vordermann zu bringen. Aber kann er so Julianes Herz erobern?
Über die Autorin:
Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.
Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de
Annegrit Arens veröffentlicht bei dotbooks folgende Romane:
»Die helle Seite der Nacht«
»Der etwas andere Himmel«
»Der Therapeut auf meiner Couch«
»Die Macht der Küchenfee«
»Die Schokoladenkönigin«
»Ich liebe alle meine Männer«
»Wenn die Liebe Falten wirft«
»Bella Rosa«
»Weit weg ist ganz nah«
»Der geteilte Liebhaber«
»Wer hat Hänsel wachgeküsst«
»Venus trifft Mars«
»Süße Zitronen«
»Karrieregeflüster«
»Wer liebt schon seinen Ehemann?«
»Suche Hose, biete Rock«
»Mittwochsküsse«
»Liebe im Doppelpack«
»Lea lernt fliegen«
»Lea küsst wie keine andere«
»Väter und andere Helden«
»Herz oder Knete«
»Verlieben für Anfänger«
»Schmusekatze auf Abwegen«
»Katzenjammer deluxe«
»Ein Pinguin zum Verlieben«
»Absoluter Affentanz«
»Rosarote Hundstage«
»Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«
»Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«
»Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«
»Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«
»Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar«
»Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«
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Sammelband-Originalausgabe Dezember 2021
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96655-750-4
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Annegrit Arens
Tage, die nach Glück duften
Drei Romane in einem eBook
dotbooks.
Alexa ist eine junge, selbstbewusste Frau, die Karriere machen möchte. Was ist verkehrt daran? Alles, wenn sie ihrer Mutter Glauben schenkt. Denn für diese gilt nur als Erfolg, was männlich, vermögend und gut aussehend ist. Nichts für Alexa! Sie zieht den karrierefördernden, gut bezahlten Job in Peking vor und packt schon mal ihre Koffer. Doch plötzlich steht der Fleisch gewordene Traum ihrer Mutter vor ihr: männlich, vermögend und gut aussehend … und Alexa muss zugeben, dass auch das durchaus seine Vorzüge hat. Nun muss sie sich entscheiden: Küsse oder Karriere?
Im Grunde begann alles mit einem Lippenstift, der Hinterlassenschaft eines Hundes und einem sündhaft teuren Paar Schuhe. Eine Erkenntnis, die Alexa allerdings eine ganze Weile später und damit zu spät kam. Der Tag, an dem das Schicksal – an das sie bis dahin nie so recht hatte glauben wollen – seinen verhängnisvollen Lauf nahm, weckte sie mit einem Rumpeln. Es klang, als ob jemand im Nebenzimmer versuchte, auf Stelzen zu laufen. Die Bodendielen wurden jedoch von einer gänzlich anderen Art der Bewegung erschüttert, wie es Alexa ziemlich schnell dämmerte. Ihre Mutter hatte einen neuen Liebhaber. Obwohl Alexa wirklich nicht prüde war, fand sie diese hautnahe Dokumentation von etwas, das ihre Mutter fröhlich und völlig ungeniert als die »schönste Sache der Welt« bezeichnete, mehr als unangenehm.
Wenn sie es wenigstens als die leiseste Sache der Welt handhaben könnte, dachte Alexa gequält, wäre ja auch nichts dagegen einzuwenden. Ein Blick auf den Wecker neben ihrem Bett zeigte ihr, dass sie gut noch ein Weilchen liegen bleiben konnte. Bis zu ihrem Vorstellungsgespräch waren es noch gut vier Stunden. Sie zog sich das Kissen über den Kopf und schaltete vorsichtshalber auch noch das Radio ein, sie drehte sogar extra die Lautstärke hoch. Normale Ohren konnten jetzt definitiv nichts mehr rumpeln oder gar stöhnen hören. Alexas schon. Die hölzerne Vertonung der »schönsten Sache der Welt« zwischen einer Frau von einundfünfzig und einem Mann von plus minus vierzig Jahren hatte sich klammheimlich über ihre Ohren in ihren Kopf geschlichen, machte sich dort breit und wurde zusätzlich von allerlei anstößigen Bildchen illustriert. Alexa hielt es einfach nicht länger aus und stand schließlich auf.
Danke, liebe Mama!
Sie wollte schon automatisch Jeans und T-Shirt aus dem Schrank ziehen, als ihr wieder einfiel, was an diesem Tag anstand. Okay, sie wollte sich den Chinesen als Fachfrau für Marketing-Kommunikation andienen. Ein Aufenthalt im Ausland machte sich perfekt im Lebenslauf, erst recht, wenn das Zeugnis im Reich der Mitte ausgestellt worden war. Alexa legte die Jeans zurück und nahm stattdessen den dunklen Hosenanzug heraus, den sie seit ihrem Abitur vor nunmehr acht Jahren bei allen offiziellen Anlässen trug. Ein klassisches Teil, das perfekt zum extrem konservativen Businesslook ihrer zukünftigen Kollegen passen würde. Das wusste schließlich jeder: Chinesen knöpfen nichts auf, schwitzen nicht, benutzen keine Schimpfwörter und lächeln vermutlich noch auf dem Schafott. Sei’s drum! Hauptsache, es war ihrer Karriere dienlich. Sie wollte ihre Glücksgefühle jedenfalls nicht irgendwann an einem turnusmäßig wechselnden Lover plus minus vierzig aufhängen.
Beim Duschen war sie in Gedanken schon völlig bei ihrem Termin. Sie war bestens präpariert, das hob ihre Laune. Sie zog sich an und fuhr mit dem Kamm durch den praktischen Kurzhaarschnitt. Jeder Handgriff saß. Na wartet, ich werde es euch schon zeigen! Ihre Schultern strafften sich, ein Ruck ging durch ihren zierlichen Körper, mit etwas Glück würde es ihr sogar gelingen, noch ganz allein in Ruhe zu frühstücken.
Um nur ja niemanden auf sich aufmerksam zu machen, schlich sie sich auf Strümpfen in die Küche, vergewisserte sich, dass die Tür geschlossen war, und baute auf dem Tisch genüsslich alles auf, was zu einer morgendlichen Schlemmerei gehörte, dann legte sie los. Das Krachen des frisch gerösteten Toasts zwischen ihren Zähnen – sie war schon bei der vierten Scheibe angelangt – mochte schuld daran sein, dass sie das Öffnen der Tür überhörte. Sie schwelgte gerade voll und ganz in ihrem Schokohaselnussaufstrich-Traum, dick aufgetragen und damit bestens geeignet, ihr ein Land vorzugaukeln, aus dem sie vor langer Zeit verjagt worden war. Damals, als ihr Dad das Weite gesucht hatte …
»Am Montag war das Glas noch voll.« Liz alias Elisabeth – so war sie getauft worden, hatte dann aber passend zu ihrem Outfit und ihrem Vokabular auch ihren Namen verjüngt – hob das 1-Kilo-Glas in die Höhe.
Alexa brauchte einen Moment, um sich davon zu erholen, dass ihre Mutter die spezielle Morgengymnastik schneller als erwartet absolviert hatte. Dann aber schnappte sie sich das Glas und drückte es beinahe zärtlich an sich.
»Es war fast voll«, verbesserte sie. »Ich habe es nämlich schon Sonntagabend aufgemacht. Außerdem weiß jeder, dass Schokolade die beste Nervennahrung ist und glücklich macht.«
»Wie wäre es zur Abwechslung mit einem Glücklichmacher auf zwei Beinen?«
»Gib dir keine Mühe, Mutter.« Alexa betonte das »Mutter«, obwohl sie genau wusste, dass die Anrede »Liz« sehr viel besser ankam. Notfalls ging auch noch »Mom«, nur altbacken durfte es nicht sein. Was, dachte Alexa, ist verdammt noch mal altbacken an einem Wort wie Mutter? Sie ist doch meine Mutter, also soll sie sich auch so benehmen und sich dazu bekennen. Welches Kind will in seiner Mutter schon die Femme fatale sehen?
»Du bist meine einzige Tochter«, beharrte Liz, »und ich will, dass es dir gut geht.«
»Es geht mir prima.« Wenigstens bis gerade eben, ergänzte Alexa stumm und fragte sich, warum sie schon wieder den unwiderstehlichen Drang verspürte, sich wie ein Teenager in der Abnabelungsphase aufzuführen. Sie war abgenabelt, verdammt, mit 27 Jahren war man das, auch wenn man noch zu Hause wohnte. Aber nicht mehr lange.
»So wie du aussiehst, kann es dir gar nicht gut gehen. Du siehst aus wie ausgespuckt, was kein Wunder ist. Entweder du arbeitest oder du vergnügst dich mit einem Sandsack oder du ziehst dir diese Ersatzdroge rein, dabei gibt es garantiert genug junge Männer, die sich darum reißen würden, mal als dein Sandsack zu fungieren. Vorausgesetzt …«, Liz brach mitten im Satz ab.
»Vorausgesetzt was?« Alexa konnte abgebrochene Sätze auf den Tod nicht ausstehen. Das hatte etwas Unheilvolles. So wie bei dem folgenden: »Es tut mir leid, Schatz, dir das sagen zu müssen, aber dein Dad …« Die Details hatte Liz bis zum heutigen Tag für sich behalten und dafür eine Vita gestrickt, die sie selbst als Powerfrau zeigte, die durch nichts und niemand kleinzukriegen war, am allerwenigsten durch einen Mann. Männer waren im besten Fall dazu da, die Beine des Futons – dem das Ehebett weichen musste – rhythmisch über den Boden stampfen zu lassen.
»Vorausgesetzt«, fuhr ihre Mutter fort, »du verkleidest dich nicht permanent als Wesen ohne Brüste und Po, dabei besitzt du beides. Und dann noch diese schrecklichen Schuhe, da könntest du auch gleich Herrenschuhe mit Budapester Lochmuster tragen. Frag doch mal deine Oma Sybille, ob sie nicht noch ein Paar von deinem Vater aufbewahrt hat. In der Reliquienabteilung …«
Alexa sprang auf. Was zu viel war, war zu viel. Oma Sybille konnte nichts dafür, dass Alexas Vater vor einundzwanzig Jahren das Weite gesucht hatte. Je mehr Zeit seitdem vergangen war, umso stärker wurde Alexas Verdacht, dass ihrem Vater nicht mal ernsthaft ein Vorwurf zu machen war …
»Lass Oma Sybille aus dem Spiel«, verlangte Alexa und wünschte sich, ihre Stimme etwas besser unter Kontrolle zu haben. Dieses Tremolo verriet Schwäche, und wenn Alexa eins hasste, dann war es, sich schwach zu zeigen. »Sonst …«, Alexa brach ab und hasste sich dafür noch viel mehr.
»Sonst was?«, spöttelte ihre Mutter und fing den Honig, der von ihrem Brötchen tropfte, mit einem gelenkigen Schlenker ihrer Zunge auf, was immerhin zur Erheiterung ihres Liebhabers beitrug, der inzwischen hereingekommen war. Amadeus lächelte und griff nun ebenfalls nach dem Honigschwenker, die beiden zwinkerten sich zu. Obwohl diese Gesten als solche am Frühstückstisch völlig normal waren, hatten sie bei diesem Paar etwas Anzügliches.
»Sonst zieh ich aus«, sagte Alexa. Jetzt war es ausgesprochen. Bis zu diesem Moment hatte sie keinen Ton über ihre Auslandspläne verloren. Zu viel konnte dazwischenkommen, außerdem fürchtete sie die spitze Zunge ihrer Mutter, und dann war da noch Oma Sybille. Was würde in der Zeit ihrer Abwesenheit aus Oma Sybille werden? Wer kümmerte sich um sie? Schließlich wurde sie auch nicht jünger, sie ging immerhin schon auf die achtzig zu …
»Interessant.« Alexas Mutter richtete ihren Blick auf den goldgelben Aufstrich ihres Brötchens und lächelte süffisant. »Und wohin soll es gehen? Zu Oma Sybille und ihren Gartenzwergen?«
»Nach China«, platzte Alexa heraus und ergriff die Flucht.
Lediglich eine überschaubare Rasenfläche und ein künstlich angelegter See, auf dem man im Sommer Kahn fahren konnte, trennten die altehrwürdige Universität von dem hypermodernen Verwaltungsgebäude, dessen Wahrzeichen ein beleuchteter Sportschuh von der Größe eines VW Beatle war. Alexa hatte während ihres Studiums aus der Distanz die Entstehung des Neubaus verfolgt und nicht im Traum daran gedacht, dass darin eines Tages ihre Karriere starten könnte. Wer dachte schon an Sportschuhe & Co., wenn er das beste Examen seines Jahrgangs abgelegt hatte? Jeder, wirklich jeder hatte Alexa prophezeit, dass sie sich ihr Betätigungsfeld würde aussuchen können.
Schön wär’s! Während Alexa auf die deutsche Zentrale ihres künftigen Arbeitgebers zuging, durchlebte sie innerlich noch einmal die Berg- und Talfahrt der letzten achtzehn Monate. Sie hatte sich hier beworben und dort beworben, und mit jeder Absage war die Angst größer geworden. Zumal ihre Mutter keine Gelegenheit ausgelassen hatte, um ihr vorzurechnen, dass Alexas Studium die pure Geldverschwendung gewesen war und sie von Glück reden konnte, eine Mutter zu haben, die mit ihrer Sandwich-Bar für ein Dach über dem Kopf und einen gefüllten Kühlschrank sorgte.
Alexa schüttelte sich, ihr Blick saugte sich an dem beharrlich um die eigene Achse kreisenden Turnschuh über ihrem Kopf fest. Wenn gleich alles klappte, war sie gerettet, Amen Alleluja.
Eine Gastvorlesung in ihrer alten Alma Mater hatte die Wende eingeläutet, das war vor genau vier Wochen und zwei Tagen gewesen. Es war an jenem Abend sehr warm gewesen, die meisten Leute in Alexas Alter hatten es vorgezogen, den Campus mit Picknickkörben zu bevölkern oder um einen Platz in einem der zahlreichen Biergärten zu kämpfen. Alexa war wieder mal vor ihrer Mutter und Amadeus geflohen. Die beiden hatten nämlich Alexas altes aufblasbares Planschbecken entdeckt, es auf dem Balkon aufgebaut und sich darin Abkühlung verschafft. Diese hatten sie auch dringend gebraucht, weil sie sich mit allerlei keineswegs jugendfreien Spielen zusätzlich eingeheizt und dabei Töne ausgestoßen hatten, die auch der argloseste Nachbar kaum hätte falsch deuten können. Alexa war also losgestürmt und in einem halb leeren Hörsaal gelandet. Der Gastvortrag hätte sich genauso gut um Raumfahrt oder Ausgrabungen drehen können, alles, was sie gesucht hatte, war Ruhe, und dann war sie auf China oder besser gesagt auf einen Chinesen gestoßen. Er hatte von ihr wissen wollen, wie sie die Marke fand, deren Produkt sie an den Füßen trug, was der pure Zufall gewesen war, weil sie später noch eine Runde hatte joggen wollen. Mit der ihr eigenen Gründlichkeit hatte sie die Vorzüge des Sportschuhs analysiert, das alles in fließendem Englisch, woraufhin ihr der Chinese zum Abschied eine Karte zugesteckt hatte. Von der Möglichkeit eines Jobs war die Rede gewesen, und Alexa hatte an einen der üblichen Aushilfsjobs für Studenten oder frisch gebackene Hochschulabsolventen, wie sie selbst es war, gedacht und unter der angegebenen Nummer angerufen. Seitdem war sie schlauer.
Gesucht wurde eine junge Frau für die Marketing-Abteilung in Peking, das Honorar war ein Traum. Alexa hatte sich dem Traum Schritt für Schritt oder Test für Test genähert, und nun war sie so gut wie angekommen. Seitdem der Termin an diesem Tag feststand, ging sie wie auf Wolken und war wild entschlossen gewesen, nichts zu verraten, bevor nicht alles in trockenen Tüchern war. Kein Sterbenswort über China.
»Sie hat es aus mir rausgekitzelt«, murmelte Alexa mit Blick auf das imposante Verwaltungsgebäude, von dem sie nur noch ein Grünstreifen trennte. »Sie schafft es jedes Mal.«
Ein Pärchen warf Alexa einen irritierten Blick zu, die beiden begannen zu tuscheln. Alexa ging schneller. Auch das ging aufs Konto ihrer Mutter. Die Leute mussten sie ja für vollkommen durchgeknallt halten, wenn sie sich am helllichten Tag bei sich selbst beschwerte. Liebend gern hätte Alexa den beiden zugerufen, dass von nun an alles anders werden würde. Mit einem Arbeitsvertrag für China in den Händen würde sie sich von der zweiten Liga, in der die wichtigsten Themen aktuelle Lover, Schönheitsprobleme und vielleicht noch gerade besonders angesagte Locations zum Abfeiern waren, für immer verabschieden. Sorry, würde sie bald sagen, aber leider kann ich nicht mitkommen, dann bin ich schon in Peking. Es würde fantastisch werden, phänomenal, überirdisch …
Plötzlich schien ihr flacher Schuh zu streiken, zuerst der eine und dann der andere, etwas hielt die beiden fest, beinahe als ob irgendein missgünstiger Gott ihren Höhenflug in letzter Sekunde stoppen wollte. Sie sah auf den Boden. Unter den eben noch blitzblanken Schnürschuhen quoll etwas Übelriechendes hervor: Sie war gleich zweimal in einen überdimensionalen Hundehaufen getreten.
»Das gibt’s doch gar nicht. So was gehört verboten.« Alexa blieb wie paralysiert stehen.
»Das soll angeblich Glück bringen«, sagte eine fremde Stimme, die zu einem ziemlich smarten Typ gehörte, dessen Humor allerdings offensichtlich ausgesprochen zynisch war. »Und zweimal reintreten könnte sogar doppeltes Glück bedeuten, gratuliere!«
Alexas Augen glitten von dem Sprecher zu der Hundeleine, an deren Ende sich ein Dackel befand. Die Sache war für sie klar, sie hatte soeben den Schuldigen gefunden.
»Und Sie haben doppeltes Pech«, konterte sie, »weil Sie als Hundehalter verpflichtet sind, die Schweinerei zu entfernen, und zwar sowohl vom Boden als auch von meinen Schuhen.« Um zu unterstreichen, dass sie ihre Worte todernst meinte, hob sie einen Fuß an und streckte ihn aus. Schon von dem Geruch konnte einem schlecht werden.
»Und Sie glauben ernsthaft, dass ein Zwergdackel solche Haufen produzieren kann?« Das Grinsen wurde breiter.
»Ich habe keine Ahnung von Hunden«, antwortete sie. »Hunde interessieren mich nicht, aber Sie sind der einzige Mensch mit Hund weit und breit, und das da ist frisch, dazu muss man kein Hundekenner sein. Ich fordere Sie ultimativ auf …«
»Hier«, ein Stöckchen wurde ihr hingehalten, »versuchen Sie es mal damit. Nichts für ungut, ich muss weiter. Viel Glück noch mit dem doppelten Glück, hoffentlich verkraften Sie so viel des Guten überhaupt.« Die Dackeldame kläffte und zog an der Leine, das Herrchen folgte, und Alexa blieb mit sich und dem Schicksal hadernd zurück und überlegte, was sie tun sollte. Was sie tun konnte. Umkehren und zu Hause saubere Schuhe anziehen, war rein zeittechnisch kein Problem. Das Problem war ihre Mutter, sie würde sich ausschütten vor Lachen. Zweite Möglichkeit: Die Schuhe säubern, doch die bloße Vorstellung hatte etwas Niederdrückendes. Variante drei: Sie kaufte sich neue Schuhe, gleich hinter dem neuen Verwaltungsgebäude befand sich eine ebenfalls neue Einkaufpassage. Gestern noch hatte sie von der Eröffnung in der Zeitung gelesen. Ohne lange zu überlegen kickte Alexa ihre Schuhe in einen Busch, stopfte sich die Socken in die Tasche und lief die letzten Meter barfuß.
Das Geschäft, das sie wenig später betrat, war so nobel, dass man ihr merkwürdiges Outfit höflich übersah. Auch über die mittlerweile geschwärzten Fußsohlen sah man hinweg, als ob so etwas völlig normal wäre. Man konzentrierte sich ganz auf ihre Fußform, ihren Spann und die schlanken Knöchel. Nie zuvor war Alexas unteren Extremitäten derart viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Angeblich war sie der perfekte »Pra«-Typ, Kartons wurden angeschleppt und um den wie eine Tomate geformten Sessel gruppiert, auf dem sie Platz genommen hatte. Noch ehe sie ernsthaft protestieren konnte, saß der, die oder das erste »Pra« an ihrem linken Fuß und wurde bestaunt, die rechte Seite gesellte sich dazu, nun musste sie laufen. Zwei, drei Schritte bis zum Spiegel und retour. Sie hatte alle Mühe nicht zu kippeln, nie zuvor war sie auf solch hohen Absätzen stolziert. Vorsichtig brachte sie zum Ausdruck, dass etwas mehr Halt von Vorteil wäre, und schwupps, wurde sie mit einem anderen Modell versorgt. Die Absätze waren noch höher und dünner, schwindelerregend, und für den besseren Halt wurden schwarze Bänder um ihre Waden gewunden. Die Hosenbeine stauten sich nun überm Knie.
»Nein«, protestierte sie und erhielt Zustimmung. Zu Hosen passten die ersten »Pras« eindeutig besser, zumal sie farblich einen geschickten Kontrast zu ihrem Hosenanzug bildeten. Es sah aus, als ob das Innere des Schuhs seine blutrote Seele über das pechschwarze Außenleder stülpte. Dieses weiche Leder schien zu fließen, und die Schließe erinnerte an einen Schmetterling, der sich bei den Kronjuwelen der Queen bedient hatte, es funkelte bei jeder kleinen Bewegung. So verließ Alexa den Luxus-Shop schließlich auf hohen Hacken, ihr Gesäß schwang automatisch, alles schwang mit und veränderte sich ganz merkwürdig. Niemand konnte sie nun noch als ein Wesen ohne Po und Brüste bezeichnen, nicht mal ihre Mutter. Für diesen Spaß hatte sie mit ihrer Kreditkarte ein kleines Vermögen bezahlt, denn »Pra« war der Kosename für Prada. Jedes Kind kannte Prada und assoziierte es mit teuer, mit sündhaft teuer. Meine Mutter wird der Schlag treffen, dachte Alexa, als sie auf die Straße hinausstöckelte, und was das Schönste ist: Sie kann sich meine »Pras« nicht mal pumpen, weil sie sich dafür zuerst mal wie die falschen Bräute im Märchen von Aschenputtel ein Stück Ferse abschneiden müsste. Mit einem, wie Alexa sehr wohl wusste, absolut lächerlichen Glücksgefühl näherte sie sich vorsichtig dem Gebäude, in dem gleich die Würfel fallen würden. Für oder gegen China. Für oder gegen das Glück. Aber was sollte jetzt schon noch schiefgehen?
Alexa dachte viel zu nüchtern, als dass sie einem Paar Schuhe die Fähigkeit zugestanden hätte, einen Zustand herbeizuführen, den man sonst höchstens mit einem klassischen Rauschmittel erreichen konnte. Sie trank nicht, noch viel weniger kiffte sie, damit war sie das genaue Gegenteil von Liz alias Mom alias Mutter. Sie ging zu einem Einstellungsgespräch, betrat gerade die Halle mit der schwindelerregend hohen Decke. Auf einem Transparent, das beinahe so breit war wie das Gebäude, stand zu lesen: »2010 sind wir Marktführer in der Wachstumsregion Asien.« Richtig, deshalb war sie hier, aus diesem Grund klackte sie in nagelneuen High Heels über den wie ein Schachbrett verlegten Marmorboden. Klick klack, eine nie gehörte Melodie, seit wann konnten Schuhe singen und swingen? Aber fielen Pras überhaupt noch unter die Kategorie simpler Schuhe?
Auch wenn sie es niemals für möglich gehalten hätte, war sie ganz eindeutig berauscht. An den dunkel gekleideten Herren, in deren Mitte sie sich inzwischen befand, konnte das wohl kaum liegen. Hier trug alles die Handschrift seriöser Tristesse, gepaart mit einer gewissen euphorischen Aufbruchstimmung, die dem Marktumsatz der Gruppe galt. Noch war man zwar in Asien die Nummer zwei, doch schon bald würde man die Führung übernehmen. Der Höhepunkt würde die Olympiade in Peking sein, 2008 war es so weit, und sie, Alexa Radermacher, passte perfekt zum Profil. Dafür hatte man sie auf Herz und Nieren geprüft und alle Angaben durch den Computergejagt. Dass man mit ihr zufrieden war, verkündeten die Gesichter über den steifen weißen Kragen und schmalen dunklen Bindern, deren Münder sich unaufhörlich bewegten.
»Heißt das, Sie nehmen mich?« Alexas Frage platzte in die plötzliche Stille, ähnlich wie zuvor das Klick Klack ihrer Absätze.
Einmütiges Nicken antwortete ihr. Abends würde man alles bei einem festlichen Essen besiegeln. Dann wäre auch der stellvertretende Leiter des neuen Entwicklungszentrums in Peking anwesend. Er machte derzeit die Runde durch Deutschland und rekrutierte sein Team, viel Zeit blieb nicht mehr. Time is money. Trotzdem durfte die persönliche Anbindung der Mitarbeiter nicht zu kurz kommen: Im Husarenquartier war für zwanzig Uhr ein Tisch reserviert, und während der dreiwöchigen Einstimmung auf Peking Alexa stellte sich eine Art Trockenkurs vor – durfte sie wie alle anderen Mitglieder der großen Turnschuh-Familie hier im Haus ihren Body trainieren. In einem Glaskasten on the top, die Aussicht war traumhaft, die Geräte waren vom Feinsten, die Sportkleidung aus der eigenen Produktion wurde ebenfalls gesponsert. Bis hin zur Socke hielt man die Fahne des Unternehmens hoch, und sie war dabei.
Sie bedankte sich und hatte keinen blassen Schimmer, wie sie wieder nach draußen auf die Straße gekommen war, ohne mit einer Wassersäule oder einer Palme zu kollidieren, denn besonders um die Kurven zu biegen, war auf »Pras« extrem schwierig. Doch erfolgsbeseelt wie sie war, meisterte sie auch diesen Parcours. In ihrer Handtasche steckte die Einladung zum Dinner im Kreis ihrer neuen ›Familie‹ im Husarenquartier, was auch immer das war, wo auch immer es sich befand. Sie würde es schon noch herausfinden. Sie war genommen worden! In wenigen Wochen würde sie nach China gehen, und bis dahin lag ein hartes Training vor ihr. Sie freute sich darauf. Ihr Leben ging synchron mit ihrer neuen ›Familie‹ in die Zielgerade, alle Zeichen standen ab sofort auf Wachstum.
»Ich komme, China!« Sie sagte es laut, diesmal kümmerten sie die neugierigen Blicke der Passanten nicht. Sie flog, das Leben war ein Kinderspiel, nicht mal das Gehen auf diesen irren Absätzen konnte ihr mehr etwas anhaben, und ihr Gang wurde immer souveräner. Pra-Profi, zweimal dieselben Anfangsbuchstaben hintereinander, sie war gut, sogar sehr gut.
Und Oma Sybille?
Alexa blieb stehen, sah auf ihre Uhr. Bis zu diesem Dinner blieb ihr noch alle Zeit der Welt. Zeit genug, um zu Oma Sybille zu fahren und es ihr zu sagen. Sie würde ihre Enkelin verstehen, sie verstand alles und jeden. Sie war die gute Seele ihres Viertels und der sichere Hafen für Alexa. Der Ort, an dem sie seit jeher Zuflucht suchte und fand.
Oma Sybille lebte in einem Vorort von Köln. In diesem Stadtteil war es der Zeit gelungen stehen zu bleiben. Die übliche großstädtische Hektik verabschiedete sich an der letzten großen Kreuzung, wo Alexa aus dem Bus stieg. Obwohl es nur Einbildung sein konnte, hatte sie das Gefühl, dass selbst die Luft hier eine andere war, sauberer roch. Sie kam an lauter winzigen Vorgärten vorbei, die zu winzigen Häusern gehörten. Fast überall stand eine Bank neben der Tür und lud zum Verweilen ein. »Grüß dich, Alexa!« – alle paar Meter musste sie kurz stehen bleiben, um den Gruß zu erwidern und sich zu erkundigen, wie es dem Opa und dem Kräuterbeet ging, und natürlich bekam sie auch hier und da prompt etwas zugesteckt, ganz wie früher. »Hier nimm, deine Großmutter hat auch schon ein Glas bekommen, du magst doch so gern Kirschen, als kleines Mädchen hast du immer …«
Alexa lächelte und nickte und stöckelte weiter, doch ihre neuen Schuhe schienen ihr zuzuflüstern, dass sie dieses Glas Kirschmarmelade vermutlich gar nicht mehr würde aufessen können. Die Einfuhr von Lebensmitteln nach China war garantiert untersagt, also würde die Marmelade zu Hause bleiben und vielleicht in Amadeus' Bauch landen. Wenn er keinen Sex hatte, aß er, und angeblich setzte beides seine grauen Zellen wie sonst nichts in Gang. Ab und zu gab er auch Klavierstunden, und dabei kaute er ebenfalls, vorzugsweise Süßes. Erst neulich hatte Alexa ihn dabei erwischt, wie er mit seinen lüsternen Fingern in einem Glas mit Mirabellen, das sie geschenkt bekommen hatte, fischte. Alexa hatte ihn einen Dieb genannt, denn das Glas hatte schließlich in ihrem Zimmer unterm Bett gestanden. »Wie süß«, war Liz' Reaktion gewesen, »ab sofort bist du mein süßer kleiner Mirabellen-Dieb.« Alexa war geflohen, auch das hatte nun bald ein Ende …
Ihre Großmutter saß auf der blau gestrichenen Bank vor ihrem Häuschen. Überall rankte und blühte es, und sie hatte einen Eimer voller grüner Schoten neben sich und eine Schüssel auf dem Schoß und pulte Erbsen aus. Als sie Alexa erblickte, ging ein Leuchten über ihr Gesicht.
»Es gibt heute Abend Erbspüree und dazu Würstchen und hinterher Wackelpeter, roten Wackelpeter.«
Alexa beugte sich über die alte Frau mit den unglaublich wachen und fröhlichen Augen, gab ihr einen Kuss und stibitzte sich eine Schote.
»Hm, köstlich.«
»Du bleibst doch zum Essen, Kind?«
»Heute nicht, Oma.« Alexa setzte sich dazu und griff in den Eimer. Die Schote quietschte leise zwischen ihren Fingern, ein Dompfaff hüpfte neugierig auf sie zu und beäugte mit schief gelegtem Kopf ihre neuen Schuhe.
»Du gehst aus?« Die Augen von Oma Sybille funkelten übermütig. »Mit einem Mann? Es muss ein ganz besonderer Mann sein, es sind ja auch besondere Schuhe. Ich habe noch nie solche Schuhe an deinen Füßen gesehen, das muss etwas zu bedeuten haben. Komm, steh noch mal auf und geh ein paar Schritte.«
»Ich bin doch kein Mannequin, Oma Sybille.« Trotzdem sprang Alexa auf und ging wie geheißen die paar Schritte zum Törchen und wieder zurück zur Bank.
»Du gehst auch anders. Ich habe mir gleich gedacht, dass etwas anders ist.«
»Ja«, stimmte Alexa zu und setzte sich erneut, nahm die Schüssel und platzierte sie am Boden, nahm die Hände ihrer Großmutter und streichelte darüber. Wo sollte sie nur anfangen? Wie?
»Du bist verliebt, Kindchen.« Das war keine Frage, die Worte kamen völlig überraschend für Alexa, an eine solche Interpretation hätte sie nicht mal im Traum gedacht.
»Aber du weißt doch, wie ich zu so was stehe, Großmutter. Guck dir doch an, was die sogenannte Liebe meiner Mutter gebracht hat. Willst du, dass ich dir auch mal mit einem Amadeus aufwarte? Ich verstehe sie nicht, vielleicht versteht sie sich nicht mal selbst, und dieses Ding namens Liebe verstehe ich noch viel weniger, damit gebe ich mich gar nicht erst ab.«
»Es ist ein wunderbares Ding, Kindchen.« Leise Wehmut lag in den Augen der alten Frau, aber auch Freude. »Dieses Ding, wie du es nennst, kriecht und krabbelt in dich hinein und lässt dich nie mehr los, du kannst dich wehren und zetern …«
»Oder abhauen wie mein Vater«, fiel Alexa ihr ins Wort.
»Willst du etwa auch abhauen?«
»Ich haue nicht ab, Großmutter, und wegen diesem Ding schon gar nicht. Ich … ich gehe nach China. Es ist die Chance meines Lebens … natürlich besuche ich dich, so oft es geht, und es ist ja auch nicht für ewig, nur bis zur Olympiade. Du könntest mich zur Olympiade in Peking besuchen, das wäre grandios.«
»Deine Schuhe passen nicht zu Peking.«
»Im Grunde passen sie wohl auch nicht zu mir. Es war ein Notkauf, sagen wir mal so, und ich hatte keine andere Wahl.«
»Du solltest ein Kleid dazu tragen. Zu solchen Schuhen gehört ein weit schwingender Rock.«
»Nun hör schon auf, Oma Sybille. Das letzte Kleid habe ich bei meiner Kommunion getragen, glaube ich. Kleider sind total unpraktisch. In meinem Schrank gibt es auch keinen einzigen Rock, nur Hosen.«
»Aber ich habe noch ein Kleid, das dir passen müsste. Holst du es? Oben auf der Mansarde, es hängt gleich neben meinem Brautkleid in einer Hülle. Es ist rot mit schwarzen Tupfen. In den Fünfzigern waren Tupfen hochmodern, und jetzt kommen sie wieder. Neulich erst beim Friseur habe ich die Abbildung von einem Tupfenkleid gesehen und musste daran denken, wie ich mir damals in diesem Kleid und in den Armen deines Großvaters die Füße wund getanzt habe. Er war ein vorzüglicher Tänzer, wenn man ihn erst mal auf der Tanzfläche hatte. Deinen Vater gab es auch schon, er war noch ein Baby, und ich war unglaublich stolz, weil meine Taille endlich wieder schlank war. Dein Großvater hat mir das Tupfenkleid geschenkt, es war viel zu teuer. Aber er hat gesagt, dass jeder Tupfen ein Stück seiner Liebe wäre.«
»Dann ist es erst recht nichts für mich«, wehrte Alexa ab und griff nach der Schüssel am Boden. Lieber pulte sie weiter Schoten aus. Das Thema war ihr peinlich. Ihre Großmutter wusste das genau – warum musste sie ausgerechnet jetzt wieder davon anfangen?
»Tu einer alten Frau den Gefallen und hol es. Ich spüre, dass heute der richtige Moment ist, und anscheinend hast du es auch gespürt, da magst du dich noch so sehr sträuben. Sonst hättest du nie und nimmer solche Schuhe gekauft, oder?«
»Es war ein Notfall, das hab ich doch schon gesagt.«
»Manchmal verkleidet die Liebe sich halt als Notfall, und nun mach schon, sonst bekomme ich einen Schwächeanfall und du musst mich ins Krankenhaus bringen.«
»Das ist Erpressung«, protestierte Alexa.
»Das ist ein Notfall«, konterte Sybille Radermacher spitzbübisch und sah auf einmal wie ein junges Mädchen mit silbrig weißen Haaren aus.
Das Kleid hing genau dort, wo es hängen sollte, nicht mal die Motten hatten sich darangewagt. In dem Schrank roch es zart nach Zedernholz und Lavendel. Das Kleid sprang förmlich aus der Hülle, was an seinem Rock mit dem eingearbeiteten Petticoat lag. In der Mansarde herrschte diffuses Licht. Hier oben lagerte Oma Sybille auch ihre Äpfel. Sie schwor auf die Wirkung dieser Früchte und aß jeden Tag mindestens zwei Stück. Nur deshalb meinte sie, waren ihre Zähne noch alle echt, auch daran musste Alexa denken, als sie zögernd ihren Hosenanzug auszog. Alles an der alten Frau war echt. Alexa griff nach dem Kleid. Wie das raschelte, wie zog man so ein Ding überhaupt an? Bestimmt passte es nicht, was ein Glück wäre. Das Mieder war viel zu eng, und Alexa wollte die Verkleidung schon abbrechen, als sie den Reißverschluss an der Seite entdeckte. Der Stoff schmiegte sich an ihren Körper, raschelte, Alexa fühlte sich wie als kleines Mädchen. Damals hatte sie sich gerne als große Dame verkleidet, damals, als ihr Vater noch bei ihnen war. Meine kleine Prinzessin, hatte er immer gesagt, und dann war er auf und davon.
»Wie eine Prinzessin«, sagte Oma Sybille, als Alexa die steile Holztreppe hinunterkam. »Es passt dir wie angegossen.«
»Ja, aber …«
»Kein Aber! Ich möchte, dass du mein Kleid heute anbehältst, versprichst du mir das?«
Was man verspricht, muss man halten! Alexa wünschte sich, ihr wäre eine gute Ausrede eingefallen, die es ihr erspart hätte, sich groß getupft zum nächsten Taxistand zu schleichen. In den Vorgärten war Ruhe eingekehrt. Überall wurde jetzt das Abendessen vorbereitet, und die zahlreich vertretenen Gartenzwerge verzogen bei ihrem Anblick keine Miene. In Bus oder Bahn wäre das garantiert anders, deshalb hatte Alexa sich für ein Taxi entschieden. In ihrem Kopf reifte ein Plan. Nur mal angenommen, es würde ihr gelingen, mit diesem Kleid irgendwo hängen zu bleiben – sorry, liebe Oma Sybille –, dann entstünde ein Notfall, der es wiederum rechtfertigte, wenn sie in ihre alten Klamotten zurückschlüpfte und sich in diesem Husarenquartier so präsentierte, wie man es von einer zukünftigen Top-Mitarbeiterin erwarten konnte.
Hektisch winkte sie dem zuvorderst stehenden Taxi. Der Fahrer reagierte prompt und kam ihr sogar entgegen. Sie stieg hinten ein, denn dort war sie so gut wie unsichtbar.
»Und wo soll es hingehen, junge Frau? Zum Tanzvergnügen? In diesem Kleid erinnern Sie mich unglaublich an meine eigene Tanzschulzeit …«
»Ins Husarenquartier«, unterbrach Alexa den Mann, der ihr Großvater hätte sein können und mit diesem Statement alles zum Thema Tupfenkleid gesagt hatte, was man dazu sagen konnte. Sie lief im Großmütterchen-Look herum, aber zum Glück musste sie ja nicht länger laufen und wurde chauffiert …
»Sie meinen ins Casino?«
»Ich bin zwar getupft, aber nicht plemplem. Wenn ich Husarenquartier sage, dann meine ich auch Husarenquartier. Es muss sich um ein Restaurant handeln. Warten Sie, irgendwo müsste ich die Einladung haben.« Sie kramte in ihrer Tasche, und der Fahrer konsultierte seine Zentrale. Wenige Minuten später bestätigte diese, dass es sich tatsächlich um ein Restaurant handelte, und zwar um eins der Spitzengastronomie, das sich allerdings außerhalb der Stadtgrenze befand.
»Das ist noch hinter Erftstadt«, resümierte Alexas Fahrer, »sozusagen auf dem platten Land.«
»Gut, dann auf zur Landpartie.« Alexa überlegte, ob ihrem Kleid mit der Metallschließe des Automatikgurts ein Malheur passieren könnte. Wenn sie zuerst ein Stück Stoff einklemmte und dann kräftig drückte und sich beim Losschnallen besonders ungeschickt anstellte, könnte es funktionieren.
»Stimmt etwas nicht?« Der Fahrer blickte in den Rückspiegel.
Alexa errötete passend zur Grundfarbe ihres geliehenen Kleids. »Nein, nein, ich … ich suche nur was.«
»Da ist er.« Die Kinnspitze des Mannes zeigte in eine Richtung, die schon deshalb falsch sein musste, weil Alexa in Wahrheit gar nichts verloren hatte und folglich auch nichts suchte.
»Da ist wer?«, fragte sie völlig perplex.
»Natürlich Ihr Lippenstift. Ich sehe es bis nach vorn blitzen, ja genau, dort neben Ihnen in der Ritze.«
Alexa hatte keine andere Wahl, sie griff zu. Der Hülse nach zu urteilen war es ein teurer Stift. Passend zu meinen Pras, dachte sie, genauso teuer. Sie musste es irgendwie schaffen, den fremden Stift im Taxi zurückzulassen …
»Ich hoffe, er ist nicht abgebrochen?« Dieser Mann wurde langsam aber sicher lästig, er ließ sie einfach keinen Moment aus den Augen. Er sollte sich gefälligst auf den Verkehr konzentrieren. Oder hatte er etwa Lunte gerochen? Kannte er am Ende Oma Sybille?
Mangels einer besseren Idee drehte Alexa den Stift hoch. Die Farbe passte perfekt zum Kleid, dieses Kirschrot knallte ins Auge.
Der Wagen hielt. Links und rechts nichts als Felder, Futtermais hier und Rüben dort. Sie befanden sich auf einer einsamen Landstraße, die Bundesstraße war weit weg und nur an der Schnur dicht an dicht folgender Scheinwerfer zuerkennen.
»Haben wir etwa einen Platten?«, erkundigte sich Alexa ahnungsvoll. China adé! Aus der Traum! Ihre Mutter würde sich schlapplachen, im Duett mit Amadeus …
»Beim Fahren können Sie sich ja wohl schlecht die Lippen anmalen, junge Frau.«
»Aber ich male mir nie die Lippen an«, protestierte Alexa, »ich benutze höchstens ab und zu Lippenbalsam gegen spröde Lippen.«
»Und warum haben Sie dann diesen Lippenstift gekauft? Nun machen Sie schon, sonst kommen Sie noch zu spät zu Ihrem Husaren.«
Alexa gehorchte. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie zuletzt einer derart absurden Aufforderung so völlig kritiklos gefolgt war. Es musste ein absolut besonderer Tag sein, der alle normalen Regeln außer Kraft setzte. Der Fahrer reichte ihr einen Spiegel. Er war für alles gerüstet, und sie tat, was er von ihr erwartete, und versuchte, sich auf Liz alias Mom zu besinnen, die sich zigmal am Tag und sogar während einer Mahlzeit ihre Lippen nachschminkte.
»Fertig?«, fragte es von vorne.
»Fertig«, erwiderte sie von hinten und ergänzte ihre imaginäre Liste um einen zweiten Punkt: Sie musste das Tupfenkleid loswerden und den Lippenstift entfernen. Ein Blick auf die Uhr, ihr blieb noch knapp eine Stunde. »Wie weit ist es noch?«, schob sie nach.
»Nur noch ein paar Kilometer, es handelt sich, wie mir die Kollegin in der Zentrale eben verraten hat, um eine ehemalige Kaserne aus dem achtzehnten Jahrhundert, deshalb Husarenquartier.«
Alexa nickte und ließ sich erleichtert zurücksinken. Sie würde pünktlich sein. Mit etwas Glück konnte sie den Kleiderwechsel sogar über die Bühne bringen, bevor sie die Zivilisation betrat. Und vor allem, bevor einer ihrer neuen Arbeitgeber sie in diesem Outfit zu Gesicht bekam. Die einsetzende Dunkelheit war ihre Verbündete. Anscheinend hatten Chinesen ähnlich wie Japaner ein Faible für historische Gemäuer, denn nun passierten sie eine Backsteinmauer, bogen um eine Ecke und fuhren auf ein offenes Tor zu. Dahinter schimmerte nostalgisches Licht, Stimmen waren zu hören. Ein Schild wies auf den Parkplatz für Gäste des Husarenquartiers hin.
»Halten Sie hier bitte.« Alexa beugte sich vor. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
»Wenn Sie hier schon aussteigen, verderben Sie sich nur Ihre teuren Schuhe.«
»Kein Problem.« Sie zahlte, stieg eilig aus und vergaß in der Eile völlig, ihr Kleid der Zerreißprobe zu unterziehen. Dieser über alle Maßen hartnäckige Mensch war schuld, denn anscheinend hatte er noch nicht begriffen, dass der Kunde König war. Kein Wunder, dass man Deutschland immer wieder als Dienstleistungswüste bezeichnete. Am liebsten hätte Alexa ihm die vernichtende Wahrheit ins Gesicht geschrien, doch dazu hatte sie keine Zeit. Und so floh sie auf ihren Pras und hoffte, dass nichts mit den Absätzen schiefging. Ohne auf das Hupen des Taxifahrers in ihrem Rücken zu achten, bewegte sie sich so zügig es ging von den Gaslaternen fort auf ein zweites, kleineres Tor in der Backsteinmauer zu. Dahinter war es wohltuend dunkel und still, mucksmäuschenstill, und es gab sogar jede Menge Büsche und Bäume. Der perfekte Ort, um sich in eine moderne junge Frau zurückzuverwandeln.
Der Reißverschluss klemmte, sie zog heftiger daran und geriet ins Schwitzen. Tut mir leid, Oma, ich weiß, jeder Tupfen ein Stück Liebe, aber ich kann nicht anders, heute geht es um meine Zukunft.
Etwas Schwarzes legte sich über Alexas rosige Zukunftsaussichten. Es war schwarz, dunkel und schwer, es lebte und hechelte und tropfte. Ehe Alexa wusste, wie ihr geschah, lag sie flach am Boden.
»Meine Güte, was tun Sie denn hier?«, fragte eine Männerstimme. Dann ertönte ein lauter Pfiff, und der dunkle Koloss ließ von ihr ab. Er stand nun breitbeinig und mit wedelndem Schwanz über ihr, schien auch noch eine Belohnung zu erwarten. »Bacchus ist noch sehr jung«, fuhr die Männerstimme fort, »er will nur spielen.«
»Aber ich will nicht spielen«, keuchte Alexa, »und ganz bestimmt nicht mit diesem Monster!«
Eine unglaublich lange Zunge schnellte vor, genau auf ihr Gesicht zu. Sie konnte gerade noch rechtzeitig den Kopf zur Seite wenden. War das ekelhaft! Es war wie in einem Albtraum. Im günstigsten Fall hatte sie das alles nur geträumt, und gleich würde der schöne Teil des Traums beginnen, bitte, bitte!
»Bacchus mag Sie.«
»Nehmen Sie dieses Viech an sich, sofort! So tun Sie doch was, verdammt!« Es war nicht leicht, im Dreck liegend Befehle zu erteilen. Sie versuchte es trotzdem und legte alle ihr zur Verfügung stehende Autorität in diese Aufforderung.
»Was soll ich denn tun? Ich kann ihn schlecht einpacken, für meine Hosentasche ist er leider zu groß.« Eine Hand streckte sich ihr entgegen und zog sie hoch. Blöde Witze riss er also auch noch, nicht zu fassen! »Komm, Bacchus, die Dame will nichts von dir wissen, sie weiß gar nicht, was sie da verpasst.« Wie durch ein Wunder gehorchte der Riesenhund und ließ von ihr ab, sie landete wohlbehalten auf ihren Füßen. Auf nackten Füßen, wie sie in der nächsten Sekunde entsetzt registrierte.
»Meine Pras sind weg«, jammerte sie.
»Was immer das ist, wir werden es finden. Hier kommt nichts fort, wir sind ein ehrlicher Haufen. Stimmt's, Bacchus?« Der Hund, von dem nun nur noch ein grauer Schemen Marke Höllenhund zu erkennen war, jaulte wie ein Wolf. Weiter weg stimmten andere Wölfe in das Geheul ein, ganz anders konnte einem dabei werden. Wo war sie hier gelandet? Was würden ihre Chinesen sagen? Würden sie überhaupt noch mit ihr reden?
Eine Taschenlampe richtete sich auf sie, einen kurzen Augenblick lang war sie geblendet. Sie blinzelte, die Tupfen sprangen ihr ins Auge, das war ihr Kleid, dieses vermaledeite Kleid, jeder Tupfen ein Stück Liebe. Hinter dem Lichtkegel erkannte sie Augen, ein Paar unglaublich dreiste Männeraugen.
»Starren Sie nicht so blöd, suchen Sie lieber meine Pras«, fuhr sie den Fremden an.
»Pras? Ist das ein Geheimcode?«
»Pras wie Pradas, aber woher soll einer wie Sie so was wissen?« Keine Antwort, nur dieser Blick und ein merkwürdiges Zucken um die Mundwinkel, dieser Mensch machte sie rasend. »Okay,, leuchten Sie einfach auf den Boden, das werden Sie ja wohl noch schaffen, oder?« Keine Reaktion. Jetzt hatte sie es endgültig satt. Also griff sie nach der Taschenlampe und beugte sich energisch in Richtung Boden vor.
»Sie verlieren Ihr Kleid!« Zu spät, die Warnung kam definitiv zu spät, dieses Individuum hatte sie wissentlich und willentlich in die Falle tappen lassen. Anscheinend hatte sie vorhin doch schon den Reißverschluss geöffnet, oder der Riesenhund hatte ihn heruntergezogen, jedenfalls bauschten sich die Tupfen mitsamt Petticoat nunmehr um ihre nackten Füße, und darüber blieb abgesehen von einem Höschen nichts als blanke Haut. Ihre Haut wurde von der mittlerweile am Boden liegenden Taschenlampe grell beleuchtet.
»Gucken Sie weg! Warum haben Sie mich nicht rechtzeitig gewarnt?« Sie raffte und zog und wünschte, dass sich die Erde unter ihr auftun würde.
»Vielleicht weil Sie den Eindruck einer sehr selbstbestimmten jungen Dame machen?« Er bückte sich und hob etwas auf. »Hier ist übrigens einer von Ihren Schuhen, pardon, Ihren Pras. Wie können Sie auf diesen Folterinstrumenten eigentlich laufen? Bacchus bringt Ihnen jeden Augenblick Nummer zwei, er scheint Sie wirklich zu mögen. Braver Hund!«
Es war eine Tortur. Ein Albtraum. Alles in ihr verlangte danach, diesen Menschen zur Hölle zu jagen, andererseits war sie auf ihn angewiesen, besser gesagt, auf seine Taschenlampe und die alte Badewanne mitten auf der Wiese, in die er ein Tuch tauchte, es auswrang und ihr dann hinhielt. Obwohl man kaum die eigene Hand vor Augen sehen konnte, verschanzte sie sich mit dem Lappen hinter einem Baum, säuberte sich dort notdürftig – überall klebte feuchtes Gras – und zog sich an oder vielmehr um. Geschafft! Sie fühlte sich gleich viel besser. Ein kurzer Blick auf die Uhr, ihr blieben noch genau drei Minuten bis zu ihrem Termin. Sie gab sich einen Ruck und trat hinter dem Baum hervor.
»Im Kleid haben Sie mir offen gestanden besser gefallen.« Er musterte sie kritisch, während der Kegel seiner Taschenlampe an ihr auf und ab wanderte. Intimsphäre schien für ihn ein Fremdwort zu sein.
»Ich bin verabredet, ich habe es eilig. Können Sie mir freundlicherweise den Weg zum Husarenquartier leuchten? Das ist ein Restaurant. Sterne hat es auch, und zwar solche, die nicht da oben blinken.« Alexa deutete zum Himmel hoch, der voller Sterne war. In der Stadt hatte sie selten so viele Sterne auf einmal gesehen, dort schienen sie auch sehr viel weiter weg zu sein, seltsam.
»Gut, dass Sie mir das sagen, denn ich bin ja nur ein dummer Bauer.« Der Lichtkegel bewegte sich Richtung Straße, sie folgte ihm. Er ging zügig und in jedem Fall viel zu schnell für eine Lady auf Prada-Schuhen. Was für ein Stoffel!
»Sie sind also Bauer, interessant.« Und so passend, ergänzte sie stumm.
»Wahrscheinlich liefere ich sogar die Zutaten von dem, was Sie gleich speisen werden. Sie können ja mal kurz einen Gedanken zu mir und Bacchus rüberschicken.«
Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, dachte Alexa. Dann hatten sie ihr Ziel endlich erreicht. Warm leuchtende Gaslaternen, gedämpfte Musik, lauter zivilisierte Menschen, und der beste Tisch war für ihre Gruppe reserviert. In der Mitte stand en miniature das beleuchtete Wahrzeichen, ein Sportschuh ihrer Marke. Offenbar war sie das einzige weibliche Wesen, und sie würde mit einem Dutzend Herren dinieren, lauter Westeuropäer. Jeder erhob sich formvollendet von seinem Platz, um sie zu begrüßen, alle waren überpünktlich, ihr selbst konnte man keinen Vorwurf machen, sie war just in time, dennoch entschuldigte sie sich. Der Platz am Kopf der Tafel war noch unbesetzt. Logisch, dachte sie, der stellvertretende Big Boss kommt zuletzt. Ob er wohl gebürtiger Chinese ist? Ihr Englisch war perfekt, sie konnte mit insgesamt drei Fremdsprachen aufwarten, sie war bestens vorbereitet.
Er trat von hinten an sie heran. Sie drehte sich herum, hatte sich ihre Worte bereits zurechtgelegt. Was sie sagen wollte, löste sich in nichts auf, denn dieses Gesicht kannte sie, und seinen Besitzer erkannte sie leider ebenfalls.
»Sind wir uns nicht heute Morgen schon einmal begegnet?«, fragte der Mann, der weder Chinese noch gesetzten Alters war und nicht mal im unauffälligen dunklen Zwirn steckte. Er trug eine ziemlich gewagte Kombination aus einem lila Hemd und einem schwarzem Gehrock zu Jeans und wurde ihr als Carsten von der Halle vorgestellt.
»Ich erinnere mich nicht«, schwindelte sie und hoffte, dass er nicht weiter nachhaken würde. Sei du wenigstens ein Gentleman! Ihr Flehen wurde erhört, kein Wort fiel über die konkreten Umstände ihrer Begegnung und das doppelte Glück an ihren mittlerweile entsorgten alten Schuhen. Ihr neuer Vorgesetzter bewunderte lediglich gesittet ihre Pumps, die er sogleich der richtigen Marke zuordnete, und gab sodann eine witzige Anekdote über den Zwergdackel seiner Großmutter zum Besten. Ein Mensch, der so liebevoll von seiner Granny sprach und sogar deren Dackel Gassi führte, war über jeden Zweifel erhaben. Alexa beschloss, den Abend zu genießen und nie mehr an das wenig erfreuliche Vorspiel zurückzudenken. Das löschte sie von ihrer Festplatte, als wäre es nie geschehen. Punktum. Erst als sie gut drei Stunden später ihren Hausschlüssel aus der großen Umhängetasche zog, fiel ihr auf, dass etwas fehlte. Maria hilf! Sie hatte das Tupfenkleid im Gebüsch liegen gelassen. Glücklicherweise war ein Kleid aus den Fünfzigern keine Visitenkarte.
Alexa hatte wie ein Stein geschlafen, wobei dieser Stein im Schlaf höchst abenteuerliche Verrenkungen vollbracht haben musste, denn anders ließen sich die in alle Richtungen abstehenden Haare kaum erklären. Sie hielt sich gerade die Brause über den Kopf und öffnete mit der freien Hand die Shampooflasche, als die Tür in Zeitlupe geöffnet wurde. Liz fand Schlüssel spießig, weshalb Alexa immer das einzige bewegliche und halbwegs schwere Teil im Bad, eine Standwaage, vor die Tür schob und damit notdürftig die Klinke arretierte. Die Wirkung war fraglich, wie sich in diesem Moment zeigte. Die Waage bewegte sich dicht gefolgt von zwei haarigen Beinen auf Alexa und die Wanne zu. Ihr Protest wurde von Shampoo erstickt. Der eklige Geschmack von Seife füllte ihren Mund, während Amadeus ungeniert in die Kloschüssel strullerte und dann wieder hinausschlurfte. Im Vorbeigehen versetzte er ihr einen Klaps auf den Hintern.
»Du bist solch ein Arschgesicht!«, schrie sie ihm nach.
Sein Frontgesicht kehrte noch einmal zurück, er feixte breit. »Herzchen, wir wissen doch alle, dass du sonst was für einen Arsch wie meinen geben würdest.«
»Raus!«
»Rein«, verbesserte er, »in Wirklichkeit meinst du doch rein und nicht raus, du bist nur zu verklemmt, um es zuzugeben. Deine Mutter ist da entschieden klüger. Also, wenn du so weit bist, nur keine Hemmungen.«
Alexa zielte mit dem Duschkopf auf ihn. Das wirkte, allerdings würde sie gleich den kompletten Boden aufwischen müssen. Nur noch drei Wochen, tröstete sie sich und ließ den Vorabend Revue passieren, Stichwort Husarenhof. Auch wenn sie sich nicht mehr auf jedes Detail besinnen konnte, so standen doch seitdem zweifelsfrei alle Zeichen auf Sieg.
Und jetzt brauchte sie dringend ihre Ration Nutella.
An diesem Morgen blieb Alexa ungestört, sie hatte die Küche für sich. So wie sie die Süße auf ihrer Zunge vermisste, lechzte auch die Traumstation in ihrem Kopf nach schönen Bildern. Wie sie gelobt wurde und Erfolg hatte und endlich zum Zug kam, um es allen zu beweisen. Erfolgsbild reihte sich an Erfolgsbild, das reinste Daumenkino gewoben aus ihren geheimsten Wünschen, eine Woge der Glückseligkeit schwappte auf sie zu … und wieder zurück. Ätsch! Auslöser war ein anderes Bild, es zeigte ein Tupfenkleid und als Nächstes das Gesicht von Oma Sybille, weitere Schnappschüsse pfuschten sich dazwischen. He, was hatte dieser Bauer auf ihrem Traumpfad zu suchen? Schleich dich! Er und sein Hund waren schließlich schuld daran, dass sie ihrer Oma würde beichten müssen, was passiert war.
Beichten? Nein, das ging gar nicht. Oma Sybille durfte höchstens eine abgemilderte Version erfahren. Nur welche? Was ging noch so gerade eben als Notlüge durch und was kam einer echten Sünde gleich? Alexa fühlte sich zunehmend sündiger. Je länger sie sich den Kopf zerbrach, desto unsicherer wurde sie. Nicht mal die Nutella schmeckte ihr mehr. Obwohl sie erst eine Schnitte gegessen hatte, machte sie sich auf den Weg. In ihrer neuen Firma gab es schließlich auch eine vorzügliche Kantine.
An Essen war jedoch an diesem Tag gar nicht zu denken. Carsten von der Halle erwartete sie bereits, zur Abwechslung trug er ein mintfarbenes Hemd mit Schalkragen aus Seide und dazu Sportschuhe, natürlich seiner Hausmarke mit drei Blockstreifen in Mint, des Weiteren stonewashed Jeans. Der Kontrast zum Outfit seiner Mitarbeiter war gewaltig, das galt auch für sein Büro, in das er sie führte. Anscheinend hatte er ein Faible für ausgefallenes Design und gewagte Farbkombinationen. Ihre Augen wanderten von einer Skulptur aus rotem Draht zu seinem knalligen Hemd. Für einen Mann war das ausgesprochen gewagt, für einen Künstler hingegen schon eher normal. Er war ein Künstler, das wurde immer offensichtlicher.
»Mögen Sie kein Mint?« Er lächelte sie mit diesem gewissen Hauch von Arroganz an. Seine Haare waren frisch gewaschen und fielen duftig blond bis auf die Schultern, tags zuvor hatte er sie am Hinterkopf zusammengebunden gehabt. Wie Jung-Siegfried, schoss es Alexa durch den Kopf.
»Schon«, erwiderte sie hastig und überlegte, was diese Frage zu bedeuten hatte. Ob sie möglicherweise früher hätte antreten sollen? War es bei Chinesen üblich, eine halbe Stunde vor der ausgemachten Zeit da zu sein? Etwas war merkwürdig.
»Dann bin ich ja beruhigt. Mit Mint werden wir nämlich in Peking unser Debüt haben. Mint und Lila und dazu jede Menge Glitzer.«
»Sie wollen Sportschuhe mit Schmucksteinen produzieren?« Alexa versuchte sich vorzustellen, wie etwa stramme Kicker mit Strass in der Fußregion dem Ball nachhechteten.
Ihr Gegenüber schüttelte belustigt den Kopf und legte einen Finger vor die Lippen, um die ihn manches Mädchen beneiden konnte. Voll und rosig, überhaupt sah er verdammt gut aus, wie einer Werbung entstiegen.
»So weit sind wir noch nicht«, flüsterte er im Ton eines Verschwörers, dabei befand sich niemand außer ihnen beiden im Raum. »Im Augenblick denke ich lediglich an ein Joint Venture mit namhaften Modeherstellern wie …«
»Prada«, sagte sie wie aus der Pistole geschossen. Dieser Name war ihr schließlich seit gestern sehr geläufig.
»Ich bezweifle, dass wir gleich so hoch einsteigen können, aber in jedem Fall ist es sinnvoll, unsere Produktpalette zu erweitern, wenn wir in China den Markt aufrollen wollen. Ich schlage vor, Sie eruieren schon mal die diversen Möglichkeiten für mich, sozusagen als meine persönliche Assistentin, wir haben ja bereits bei der Donauwelle darüber gesprochen.«
»Donauwelle?«, wiederholte Alexa und fragte sich, was er ihr mitteilen wollte. Die Donau war ein Fluss, natürlich machte sie Wellen, aber was hatte das mit ihrem gemeinsamen Geschäftsessen zu tun?
»Ist Ihnen etwa die Bezeichnung für dieses köstliche Dessert entfallen? Geschmeckt hat es Ihnen jedenfalls, dazu gab es Mousse au Chocolat und Vanilleeis. Sie haben sogar meine Portion mitvertilgt.«
»Oh Gott, das ist mir aber jetzt peinlich.«
»Muss es nicht, ich bin kein großer Freund von Süßem.« Er zwinkerte ihr zu. »Nicht mal, wenn es aus der exquisiten Küche des Husarenquartiers kommt. Dafür hat mir umso mehr gefallen, was Sie im Donauwellenrausch gesagt haben.«
»Und was habe ich gesagt? Ich hoffe, ich habe nicht zu viel geredet, normalerweise mache ich das nämlich nicht.« Alexa erinnerte sich vage daran, gegen Ende des Abends zunehmend gesprächiger geworden zu sein.
»Im Gegensatz zu den meisten Ihrer Geschlechtsgenossinnen verfügen Sie über die Gabe, selbst unter dem Einfluss von Alkohol die Dinge sehr genau auf den Punkt zu bringen. Schnörkellos, ohne verschämtes Getue, das wird unsere Zusammenarbeit in Peking sehr erleichtern. Sie sind jung, ehrgeizig und, egal ob es um Sex oder um einen Aktiensplit geht, punktgenau. Also legen Sie schon mal los, ich muss noch rasch weg. Der Dackel von Granny bringt mich noch um, zum Glück ist China nichts für Schoßtiere. Hier haben Sie ein paar Anhaltspunkte.« Ein Ordner wurde ihr in die Hand gedrückt. Die blonden Haare flatterten wie eine Fahne, als er sich umwandte und hinausging.
Alles blieb, wie es bei ihrer Ankunft gewesen war, und doch war etwas gewaltig anders geworden. Ein paar armselige Worte hatten sie ins Schleudern gebracht, und während sie wie geheißen potenzielle Geschäftspartner für den chinesischen Markt checkte, blinkte in ihrem Kopf unaufhörlich eine Warnlampe.
… egal ob es um Sex oder um einen Aktiensplit geht … ohne verschämtes Getue … es hat mir gefallen, was Sie gestern gesagt haben …
Und was genau hatte sie gesagt? Wie kam sie dazu, sich bei einem ersten Arbeitsessen zum Thema Sex zu äußern? Schlug da möglicherweise die unselige Erbmasse ihrer Mutter durch? Hatte der Wein, der zu jedem Gang serviert worden war, ihre Zunge gelöst? Es wäre unhöflich gewesen, ihn zu verweigern. Anfangs hatte sie immer nur so getan als ob und sich regelrecht geekelt, doch mit der Zeit hatte sie sich an den Geschmack und dieses herrliche Gefühl zu schweben gewöhnt. In vino veritas. Ausgerechnet sie, die immer säuberlich Arbeit und Privates getrennt hatte, war in die Sexfalle getappt, anders konnte es gar nicht sein.
Alexa war nach Buße zumute, sie arbeitete die Mittagspause durch und merkte erst auf, als leise schnurrend die Lamellen der externen Beschattung im Büro von Carsten von der Halle hochfuhren und die tief stehende Sonne ihr voll ins Gesicht schien. Sie stand auf, und plötzlich wurde ihr ganz schummrig. Sie musste unbedingt etwas essen und trinken. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass längst Feierabend war, folglich hatte auch die Kantine bereits geschlossen. Ihre Bußübung am PC hatte sage und schreibe neun Zeitstunden gedauert, da war es kein Wunder, dass sie ein so flaues Gefühl im Magen hatte. Neun Stunden ohne Essen und Trinken.
»Das finde ich aber reizend von Ihnen, dass Sie extra auf mich gewartet haben.« Mintfarbene Blockstreifen, die sich weiter oben wiederholten, das Mint verschwamm vor ihren Augen, sie musste sich an der Kante seines Glasschreibtischs festhalten.
»Aber Sie haben doch gesagt …«, stammelte sie und kam sich ausgesprochen töricht vor.
»Aber Sie müssen sich doch nicht genieren«, er tippte gegen ihr Kinn, seine Haut duftete angenehm nach Rasierwasser. »Wie Sie schon gestern ganz richtig bemerkten, ES ist die natürlichste Sache der Welt, man sollte wirklich nicht zu viel Aufhebens darum machen.«
ES, ES, ES, das armselige Wort plusterte sich auf, leider konnte sie kaum noch denken und nicht mal mehr etwas erkennen, die Sonne schien ihr genau ins Gesicht, ihre Brüste stießen gegen etwas Seidiges, das war sein Hemd, ein Hemd mit Schalkragen, und ihre Brosche hatte sich in seiner Brusttasche verhakt, war das peinlich.
»Ich sehe schon, wir verstehen uns.« Seine Fingerkuppen streichelten über ihre Brüste, zwirbelten kurz die eine und dann die andere hoch und glitten, als beide Brustwarzen auf seine Berührung reagiert hatten, zielsicher über ihren Bauch nach unten, immer weiter nach unten. Der Reißverschluss ihrer Hose wurde aufgezogen, und sie sah noch immer nichts, wollte auch nichts sehen. Es war nicht länger die Sonne, die sie blendete, und erst recht keine falsche Scham.
Sie hatte ein gesundes Verhältnis zur Sexualität: Ab und zu meldete sich dieses Bedürfnis und wollte befriedigt werden, das war völlig in Ordnung. In solch einem Fall musste man nur darauf achten, dass es keine Komplikationen gab, wie im Fall Amadeus. Niemand durfte sich einbilden, sie mit Haut und Haaren zu besitzen, nur weil sie ein paar Turnübungen mit ihm absolvierte. Besonders geeignet waren deshalb seit jeher Kandidaten, die in einer anderen Stadt studierten oder arbeiteten, solche mit möglichst wenigen Berührungspunkten zu ihrem eigenen Leben. Dieser Devise war Alexa seit ihrer planmäßig vollzogenen Entjungferung treu geblieben. Sex, guter Sex machte den Kopf frei, so einfach war das. Nicht mehr und nicht weniger.
»Nein«, sagte Alexa laut, »lassen Sie mich sofort los. Das geht nicht, das geht auf gar keinen Fall …«
»Und warum geht das nicht?« Die Männerhand arbeitete sich zum Schritt vor und wurde dort bereits freudig erwartet. Ihr eigener Körper verriet sie.
»Weil ich ganz dringend zu meiner Oma muss«, keuchte sie. »Ich hab's ihr versprochen, und wenn ich nicht pünktlich komme, dann …« Ihre Stimme überschlug sich, wurde ganz schrill.
»Psst, nicht so laut! Das wollen wir natürlich nicht. Grannys gehen immer und überall vor. Soll ich Sie rasch fahren?«
Alexa lehnte ab. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Sie wollte nur noch weglaufen. Dabei wusste sie selbst nicht so genau, wovor sie eigentlich floh. Dieser Mann war kein Anfänger mehr, schon rein vorn Alter her besaß er genügend Erfahrung, um einer Frau jede Menge Spaß zu bereiten. Alexa schätzte ihn auf Ende dreißig. Und sie beide würden bald in Peking zwangsläufig viel Zeit miteinander verbringen, dort gab es jede Menge Arbeit für sie und folglich kaum Raum für neue erotische Kontakte, so gesehen wäre es durchaus vernünftig, sich auch in dieser Hinsicht von Zeit zu Zeit ohne romantische Schnörkel …
»Ihr Magen knurrt. Sie sollten wenigstens etwas essen, wenn Sie sich sonst schon kasteien müssen. Und alles wegen Granny. Manchmal frage ich mich, ob die Grannys dieser Welt überhaupt wissen, was wir alles für sie opfern. Hat Ihre auch einen Hund?«
»Meine Oma Sybille hat alles Mögliche und vor allem ein weiches Herz, sie füttert streunende Katzen und im Winter immer Igel, an ihr Küchenfenster kommen sogar Eichhörnchen gehüpft, nur Hunde hasst sie. Der Hund von einem Nachbarn hat ihren Wellensittich auf dem Gewissen, seitdem kommt ihr kein Hund mehr aufs Grundstück.«
Alexa zog das Gartentor auf. Sie hatte zuvor noch einen Abstecher in die Kirche gemacht und eine Kerze im Seitenaltar aufgestellt, als Abbitte für ihre bevorstehende Notlüge. Noch während sie das Törchen aufzog, feilte sie an behutsamen Worten, mit denen sie Oma Sybille den Verlust des Tupfenkleids beibringen würde. Dann bellte es. Eine Männerstimme ertönte. Lachen. Seltsam, dachte Alexa, ihre Oma musste am helllichten Tag den Fernseher angestellt haben. Dabei sagte sie immer, dass dieser Kasten mangels Beschäftigung in ihrem Haushalt schon so zickig geworden sei, dass er bei jeder Berührung mit dem Staubtuch fauchte. Die Haustür stand wie meist bei schönem Wetter halb offen, und Alexa ging schnurstracks aufs Wohnzimmer zu, aber dort war niemand, und der Fernseher lief auch nicht.