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Drum hüte dich, was du dir wünschst – es könnte wahr werden: „Liebesgöttin zum halben Preis“ von Erfolgsautorin Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Im kleinen Örtchen Engelsbrand ticken die Uhren noch anders. Morgens wird mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, abends steht Punkt sechs Uhr das Essen auf dem Tisch … Spaß geht anders! Das weiß auch die junge Antiquitätenhändlerin Paula, die sich einfach nur nach einem kleinen Abenteuer sehnt. Ihr neuester Flirt Nick allerdings bringt mehr Aufregung in ihr Leben als erwünscht, denn eines Morgens verschwindet er mitsamt ihren kostbaren Antiquitäten. Pech auf ganzer Linie – oder ein Wink des Schicksals? Letzteres, entscheidet Paula, packt ihre sieben Sachen und wagt einen Neuanfang in der Stadt. Endlich frei, endlich Spaß, und vielleicht auch endlich die große Liebe. Doch Paula begreift schnell: Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Liebesgöttin zum halben Preis“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 527
Über dieses Buch:
Im kleinen Örtchen Engelsbrand ticken die Uhren noch anders. Morgens wird mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, abends steht Punkt sechs Uhr das Essen auf dem Tisch … Spaß geht anders! Das weiß auch die junge Antiquitätenhändlerin Paula, die sich einfach nur nach einem kleinen Abenteuer sehnt. Ihr neuester Flirt Nick allerdings bringt mehr Aufregung in ihr Leben als erwünscht, denn eines Morgens verschwindet er mitsamt ihren kostbaren Antiquitäten. Pech auf ganzer Linie – oder ein Wink des Schicksals? Letzteres, entscheidet Paula, packt ihre sieben Sachen und wagt einen Neuanfang in der Stadt. Endlich frei, endlich Spaß, und vielleicht auch endlich die große Liebe. Doch Paula begreift schnell: Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt …
Über die Autorin:
Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.
Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.
Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de
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eBook-Neuausgabe Oktober 2017
Copyright © der Originalausgabe 1999 by Autor und Bastei Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Keng Merry Paper art
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)
ISBN 978-3-96148-120-0
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Annegrit Arens
Liebesgöttin zum halben Preis
Roman
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Es roch schon nach Frühling, auf dem Marktplatz plätscherte idyllisch der Brunnen, eine Klasse pflanzte unter Aufsicht der Lehrerin im Schulgarten vorgezogene Stiefmütterchen ein, zwei Gassi gehende Hunde beschnupperten einander liebevoll, seidiges Rotbraun verschwand unter vorschriftsmäßig getrimmtem Schwarz, die gerade noch gemütlich plaudernden Besitzer zerrten an den Leinen, die sich prompt verhedderten. Der Rüde war ein Königspudel und nicht so leicht zu bändigen, das Setter-Weibchen kläffte spitz, die Schüler ließen ihre Schäufelchen sinken und kicherten, ihre Fröhlichkeit steckte an. Paula lachte mit, dann ging sie weiter, begutachtete automatisch die Auslage ihres einzigen Konkurrenten am Ort und begegnete, als sie aufsah, dessen freundlichem Nicken über die Scheibchengardine der Ladentür hinweg. Sie überlegte, was das wohl zu bedeuten hatte. War der Antiquitätenhändler ihr bei der Bäuerin zuvorgekommen, deren Dachboden einer Schatzkammer für alte Möbel, Trachten und Schmuck glich? Oder witterte er die Erfolgsaura einer Frau, deren Geliebter ein chronischer Langschläfer war und trotzdem darauf beharrt hatte, dass sie heute ausschlief: »Du hast es dir verdient, ich liefere dann schon mal die Kommission nach Pforzheim aus, Rapunzel.«
Während Paula weiterging, auf und ab, so wie die Straßen hier nun einmal waren, pendelten ihre Gedanken zwischen Nick, der sie »Rapunzel« nannte, und ihrer Ware, die dem Kunden aus Pforzheim ins Auge gestochen war. Sie fand es schmeichelhaft, dass einer aus der nahen Großstadt ausgerechnet bei ihr fündig wurde. Obendrein einer, der im Unterschied zu den meisten Einheimischen nicht die Meinung vertrat, alles was älter als man selbst war und nicht aus dem Möbelzentrum stammte, sei ein Indiz für mangelnden Wohlstand. Der Mann hatte zielsicher den Damensekretär mit dem Geheimfach, das Likörschränkchen aus Vicenza, den Jasper-Stuhl und vor allem das Meißener Porzellan, komplett für vierundzwanzig Personen, angesteuert. Zum Glück hatte sie es nie übers Herz gebracht, das Service auseinanderzureißen. Wenn der Pforzheimer tatsächlich alles kaufte, was Nick ihm heute zur Ansicht lieferte, konnte sie sich in diesem Sommer endlich wieder einmal eine Reise gönnen.
Mit Nick?
Paula blieb abrupt stehen. Ein Kolbenfresser hatte ihr Nick beschert, als er gerade auf dem Weg nach Baden-Baden war. Geschäfte, hatte er vage erklärt, mehr nicht. Sehr dringlich konnten diese Geschäfte allerdings nicht gewesen sein, sofern er nicht einfach beschlossen hatte, zur Zeit keinen Bock darauf zu haben. Auch das hielt Paula durchaus für möglich und beneidete ihn um ein Naturell, das es ihm erlaubte, so spontan seinen Neigungen zu folgen.
Seit nunmehr sechs Wochen reizte ihn ein Märchen namens »Rapunzel«. Sein Roß war ihr Kombi, den verwunschenen Turm ersetzte ihr Lädchen, und statt wie bei den Gebrüdern Grimm darauf zu warten, dass Rapunzel ihm ihr »güldenes Haar« als Strickleiter hinunterließ, fragte er Paula gleich in der ersten halben Stunde, ob ihr bis zur Gürtelschnalle reichender Zopf sie nicht »mittenmangs« störte. Sie hatte das Wort, das offenbar seinem rheinischen Dialekt entstammte, fragend wiederholt. Keine drei Meter weit weg von der Kundin, die einen Porzellanfingerhut begutachtete, erwiderte er: »Na, beim Vögeln«, und entgegen allem, was sich gehörte, hatte Paula nur mühsam ein Kichern unterdrücken können und gespürt, wie ihr warm wurde. So warm, fast schon heiß, wie ihr seit ihrer überstürzten Abreise aus Florenz nicht mehr geworden war, und die lag nun bald zehn Jahre zurück. In Engelsbrand gab es wenig Nahrung für heiße Gefühle, sogar die Sonne schien Paula hier eine andere als dort im Süden zu sein, ebenso wie sie selbst in Florenz eine andere gewesen war.
In jenem Sommer vor fast zehn Jahren war sie weder blaß gewesen noch allergisch gegen Speiseeis und Wespenstiche. Ein Semester lang hatte sie in cremig süßem gelato und nicht weniger süßen Küssen geschwelgt, das Studium an der Kunstakademie war ebenso weit weg gewesen wie Engelsbrand, alles was zählte, waren die Glut des Himmels und die auf ihren Lippen, an ihrem Körper, natürlich war es nicht beim Eisschlecken und ein paar baci geblieben. Zur Villa ihres Professors, Massimos Vater, gehörte ein weitläufiger Zitronenhain. Dunkelgrüne Blätter, hellgelbe Früchte, darüber ein strahlend blauer Himmel und überall Massimo, der sie seine dea d’amore nannte. Nach den Semesterferien fand er dann eine neue »Liebesgöttin«. Weil acht Wochen daheim in Engelsbrand Paula in einen »geborenen Käse« zurückverwandelt hatten? Mit roten Pusteln, die allerdings dieses eine Mal nicht auf das Konto ihrer Allergie gingen …
Liebesgöttin ade! Studium ade! Wahrscheinlich war es sowieso nur eine florentinische Fata Morgana gewesen, die eine Baden-Württembergerin sechzehn herrliche Wochen lang hatte glauben lassen, das Zeug zur Monroe zu haben.
Paula sah an sich hinab. Helle Gabardinehose, braun gestreifte Seidenbluse, Ton in Ton mit dem Janker, der unverwüstlich und ein Geschenk ihres Vaters war. Sachen, die sie noch mit achtzig tragen konnte, zeitloser Schick, etwas rustikal, andernfalls verkaufte sie in diesem Kaff noch weniger. Wenn ihre Eltern, ihre Freundin, ihr Patenkind und die Angst nicht wären, hätte sie sich sowieso längst aus dem Staub gemacht. Ins Schlaraffenland oder wenigstens in eine Stadt, wo es keinen interessierte, was sie auf dem Herd und im Bett hatte.
HICK. Ein leiser Rülpser entschlüpfte Paula, erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund, dann ging sie rasch weiter. Das war die Bratwurst von gestern Abend, jetzt gab sie Pfötchen. Der Rest war weniger bürgerlich gewesen. Ob Nick schon aus Pforzheim zurück war?
Der Rolladen vor dem Schaufenster war noch nicht hochgezogen, trotzdem gab die Türklinke bereitwillig unter ihrer Hand nach, noch bevor sie den Schlüssel herumdrehen konnte. Dämmerlicht umfing Paula. Sie betätigte den altmodischen Knipsschalter, die »Multi-Mirror-Punktstrahler« blendeten sie. Niemand außer ihr packte in Engelsbrand »Vielfach-Wunder-Lampen« an ein Drahtseil, so gesehen war sie selbst an ihren Halluzinationen schuld. Zwölf auf sie zuschießende Lichtpunkte und sonst nichts. Paula kniff die Augen zu. Doch es änderte sich nichts an den großen hellen Vierecken auf den Holzdielen überall dort, wo ihre Antiquitäten gestanden hatten. Das Biedermeiersofa fehlte ebenso wie die chromblitzende Standwaage von »Italiana Macchi«, die Kirschbaumkommode mit der gewölbten Lamellenrolltür oder die Berliner Messingleuchte. Die Regale waren gleichfalls leer, verschwunden die Kallenberg-Pfeifen aus Bruyere Holz und die Kämme aus Irish-Horn, die Diebe hatten nicht einmal den Holzkasten hinter dem Putzzeug übersehen, den sie als Tresor für Schmuck und Bargeld benutzte.
Paula ging zum Telefon, das der Post gehörte und nun einsam in dem nackten Raum stand. Sie musste überlegen, welche Nummer die Polizei hatte, einfach weil sie noch niemals dort angerufen hatte.
Paula kannte die beiden Polizisten, allerdings lag das einzige direkte Zusammentreffen schon etliche Jahre zurück, damals ging sie noch zur Schule. Der eine hatte in der Oberstufe den Verkehrsunterricht durchgeführt, der andere hatte sie in demselben Jahr mit auf die Wache genommen, weil sie sich in der Kneipe, die samstags im Keller eine »Disko« organisierte, nicht ausweisen konnte. Schnee von gestern, mittlerweile war sie eine erwachsene Frau von ¡zweiunddreißig. Unternehmerin. Steuerzahlerin. Sie hatte ein Recht darauf, dass die beiden sich sputeten und die Diebe jagten. Paula überlegte, wieviel Zeit zwischen Nicks Abfahrt nach Pforzheim und dem Einbruch verstrichen sein mochte, und ob er wirklich vergessen hatte, abzuschließen. Die Polizisten schritten durch den Verkaufsraum, als ob sie alle Zeit der Welt hätten. Ihre Schritte hallten, sie flüsterten, warfen einen Blick zu Paula hin, so als ob sie etwas dafürkönnte.
»Sieht nicht nach Einbruch aus«, sagte der Stämmigere, von dem sie über all die Jahre hinweg behalten hatte, dass er seine minderjährige Tochter niemals in »dieses Bumslokal« gehen ließe. »Und was haben die Mädels hinterher von ihrem Tanzvergnügen?« hatte er ihre Eltern gefragt und die Antwort gleich selbst nachgeschoben: »Einen dicken Bauch.«
»Glauben Sie, ich hätte mein Inventar an die Caritas verschenkt?« Paula fixierte die feuchte Unterlippe vor sich. Wie ein Hund, der bei der Aussicht auf sein »Chappi« zu sabbeln beginnt, dachte sie.
Vor Jahren schien ihn der Gedanke an lauter schwangere Teenies ähnlich in Fahrt gebracht zu haben. Paula war versucht, ihm ins Gesicht zu schreien, dass sie schon volljährig war, als Massimo sie erwischte. Sie war zu jener Zeit Kunststudentin im sechsten Semester, schwankend zwischen dem Drang, endlich herauszukommen, und der Angst vor dem Fremden. Das Abenteuer hatte sie geschluckt. Zwischen Florenz und Engelsbrand lagen Welten, doch sie hatte geglaubt, mit den Siebenmeilenstiefeln der Liebe jede Hürde nehmen zu können. Auch die Liebe definierte
sich dort anders, und was blieb, war ein Bleichgesicht aus deutschen Landen. Es machte die Sache nicht besser, dass sie schon zweiundzwanzig war, als es passierte.
»Es gibt nirgends eine aufgebrochene Tür.« Der Mann ignorierte Paulas provozierende Frage, als spürte er, welche Zweifel insgeheim an ihr nagten.
»Nicht mal ein eingeschlagenes Fenster«, bestätigte der zweite Polizist.
»Wo ist überhaupt Ihr Freund? Sie haben doch da neuerdings…«
Paula zwang sich zur Ruhe. Das war nicht einfach, sie konnte sich denken, was jetzt in den Köpfen vorging. »Falls Sie Herrn Heyer meinen, er liefert gerade Ware nach Pforzheim aus.«
»Pforzheim, wie? Gibt’s da auch eine Adresse?«
Paula blätterte in ihrer Kundenkartei, ihre Finger hatten Probleme mit den Pappkarten, vor und zurück, als bereitete ihr selbst das Alphabet plötzlich Schwierigkeiten. Die Anschrift war vom feinsten und würde den beiden Kerlen das Maul stopfen. Warum war sie nicht selbst auf die Idee gekommen, Nick dort anzurufen? Ob er wirklich nicht abgesperrt hatte?
Obwohl das Telefon nicht gestohlen worden war, zogen die Beamten es vor, von ihrem Einsatzwagen aus zu telefonieren. Als sie endlich zurückkamen, sah der eine aus, als hätten sich alle seine üblen Prognosen glücklich bewahrheitet. Die Unterlippe zuckte orgiastisch, spie Bläschen, einfach widerlich.
»War Nick noch in Pforzheim?« Paula verbesserte sich rasch. »Ich meine, Herr Heyer.« Sie hätte sich die Mühe sparen können, denn wenn sie den beiden Beamten glaubte, gab es sowieso niemanden, auf den ihre Angaben zutrafen. Amtlich betrachtet. Am Finkenweg Nr. 12 in Pforzheim wohnte zwar ein Ralf Rödel, doch der Ministerialdirigent im Ruhestand verwahrte sich entschieden dagegen, jemals in einer »Fundgrube« Ware geordert zu haben. Und in Köln existierte nicht einmal die Namenskombination Nick Heyer.
»Aber er hatte in Köln Geschäfte laufen«, beharrte Paula und suchte verzweifelt nach einem konkreten Anhaltspunkt, der die Ungläubigkeit des Uniformierten und zugleich ihre eigenen Zweifel entkräftete.
»Branche?«
Paula schwieg. Ihr Gedächtnis streikte, falls es überhaupt jemals eine konkrete Information zu diesem Punkt erhalten hatte. Ein weiteres Spuckebläschen belohnte sie dafür, dass sie erneut die Antwort schuldig blieb. Selbst wenn sie diesem Ordnungshüter verriet, worin Nicks Stärken für sie lagen, würde sie auf pures Unverständnis stoßen, dessen war sie sich sicher.
Allein die Tatsache, dass er gewöhnlich noch schlief, wenn ringsum schon die Schnitzel in der Pfanne brutzelten, hatte genügt, um das Getuschel in Engelsbrand in Gang zu setzen. Angeblich wollte Paulas Nachbarin sich mittags nur rasch ein Ei bei ihr ausborgen, obwohl jeder wußte, dass Paula um diese Zeit in ihrem Laden war. Die Frau hatte Nick im Adamskostüm angetroffen. Nick war sich keiner Schuld bewußt: »Die hat mich angeglotzt, als ob sie noch nie ’nen nackten Kerl gesehen hätte. Wie kommt die nur an ihre drei Pänz? Ich hatte regelrecht Angst um meine Nüsse.« Die Story hatte blitzschnell die Runde gemacht. Die Metzgerin reagierte mit dem schäbigen Endstück vom Schinken zum vollen Preis, der Rektor der Grundschule brachte Paula die liebevoll restaurierte und noch voll funktionsfähige »Pfaff«-Nähmaschine zurück, Tuscheln und anzügliche Blicke auf Schritt und Tritt, als Schwager der Metzgerin saß dieser Bulle direkt an der Quelle. Selbstzufrieden, gewichtig, bräsig, Paula hätte ihm nun gerne an den Kopf geschleudert, was ein Nick Heyer zwischen seinen ausgedehnten Schlafintervallen zustandebrachte.
Gemessen am Standard von Engelsbrand, wirkte ihr Rheinländer (der Dialekt war jedenfalls echt) wie ein echter Südländer, sogar sein dunkler Teint und seine fast schwarzen Haare spielten mit, den Rest hatte Paulas ausgehungerter Zustand vollbracht: Nick hatte sein Auto abschleppen lassen und war durch den Ort gebummelt, während er auf den Bescheid aus der Werkstatt wartete. Zielsicher auf ihre »Fundgrube« zu. Eine frische Brise, fast schon ein Wirbelsturm, er war dreist, geil auf Märchen und sauer auf den Meister, der ihm zur Verschrottung riet. Paula hatte Nick getröstet. Dann hatte er sie getröstet, das ging nun seit sechs Wochen so.
»Sie fahren doch bloß einen Kombi«, unterbrach der Polizist Paulas Abstecher ins Private, der allemal erfreulicher war als das, was sich hier live tat.
»Wieso bloß?« Sie zwang sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Möglichst auf dem Umweg über die Schulterpolster ihres Gegenübers, denn dieser Mund war einfach mehr Realität, als sie derzeit verkraften konnte.
»Weil ich mir nicht vorstellen kann«, die Kugelschreiberspitze kreiste durch das kahle Ladenlokal und klopfte sodann triumphierend auf das Protokoll, »wie jemand mit einem Kombi diesen ganzen alten Plunder wohin auch immer transportiert haben will.«
Es machte die Sache nicht besser, dass Paula gestern selbst mit Nick bei der Spedition vorbeigefahren war, die ihr bei Bedarf einen größeren Wagen nebst Packer auslieh. Wieder verdrückten die beiden Beamten sich zwecks telefonischer Recherche nach draußen zu ihrem Dienstwagen und kehrten mit der Botschaft zurück, dass heute früh alles exakt nach Paulas Anweisungen abgewickelt worden sei: »Der Speditionsgehilfe ist längst wieder zurück, aber der Kleinlaster fehlt noch immer.«
»Dann muss mein Kombi noch bei der Spedition stehen.«
»Glaube kaum, dass die mit dem Tausch einverstanden sind, aber mein Kollege hört mal nach.« Der zweite Polizist, der Paula vor fünfzehn Jahren auf das Fehlen von Katzenaugen und Speichenschutz an ihrem Fahrrad hingewiesen hatte, kehrte Minuten später mit der Nachricht zurück, Nick Heyer sei heute früh zu zweit erschienen. Sein Begleiter, auf den exakt die Personenbeschreibung des vermeintlichen Topkunden aus Pforzheim zutraf, habe Paulas Kombi übernommen.
»Raffiniert.« Der Kuli glitt über das Papier, ergänzte die Diebstahlliste um nunmehr zwei Fahrzeuge und schürte Paulas Ungläubigkeit, die noch keinen Platz für echte Verzweiflung ließ, einfach weil ihr all dies nicht so vorkam, als ob es in diesem Kaff passiert sein könnte, wo der Wechsel von Blumenkohl zu Broccoli ebenso registriert wurde wie der des Beischläfers.
»Die Nachbarn«, sagte Paula, »Zeugen.« Automatisch sah sie das Lächeln des Kollegen über der Scheibchengardine vor sich.
»Sie haben ja dafür gesorgt, dass Ihr Hauptzeuge«, Blick auf die Uhr, »genügend Vorsprung und sogar Fahrzeugpapiere hat.«
»Sollte ich ihn ohne Papiere nach Pforzheim schicken?«
»Die Frage ist, wie Sie generell einen wildfremden Menschen losschicken konnten, um einem zweiten Wildfremden ohne jede Sicherheitsleistung ein Vermögen frei Haus zu liefern. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beziffern Sie den Wert Ihres Warenbestandes ja wohl auf ein erkleckliches Sümmchen. Genausogut könnten Sie einen Autoknacker bitten, auf Ihren Porsche aufzupassen.«
»Das ist in unserer Branche so üblich, schließlich will der Kunde wissen, ob mein Biedermeier sich mit seinen modernen Möbeln verträgt, und da kann ich ihm nicht erst ein Führungszeugnis oder Vorkasse abverlangen. Fragen Sie meine Kollegen, die werden Ihnen dasselbe sagen.«
Paula stockte, weil sie erneut dieses hämische Lächeln über der Scheibchengardine vor sich sah. Einer, der mit Antiquitäten handelte, obwohl er im Grunde seines Herzens für alte Sachen genauso wenig übrighatte wie dieser Polizist und die meisten Einwohner von Engelsbrand. Einer, der sein Hauptgeschäft mit Krimskrams für Kurgäste aus Birkenfeld machte, die bei gutem Wetter über den Wanderweg ins Café seiner Schwester fanden, und der vermutlich nur deshalb auf die Schätze der Bäuerin scharf war, weil Paula sich darum bemühte. Ansonsten hielt er sich an seine auf alt getrimmten Souvenirs, für die er grundsätzlich Barzahlung verlangte, so gesehen war ihre Antwort gerade ein weiteres Eigentor.
Die Reaktion des Polizisten bestätigte ihre Einschätzung. Es wurde nur schlimmer, als sie ihn auf den Unterschied zwischen Souvenirs und Antiquitäten hinwies und hinzufügte, dass ein gelernter Konditormeister wohl kaum in der Lage sei, sich fachmännisch zu den Usancen in ihrem Gewerbe zu äußern.
»Und Sie glauben also, einem über zu sein, der zwei Verkäufer beschäftigt und für die kommende Saison eine Filiale plant?«
»Eine Filiale in der alten Backstube seiner Schwester«, widersprach Paula, »und das Personal verkauft heute Bienenstich und morgen Kuckucksuhren, so ist das.« Im Gegensatz zu ihrem Konkurrenten hatte sie ihr Handwerk von der Pike auf gelernt, nämlich in Pforzheim, und wenn ihre beste Freundin ihr nicht so zugesetzt hätte, gemeinsam einen eigenen Laden in Engelsbrand zu eröffnen, wäre sie wohl noch immer dort.
Mittlerweile war Evelyn Ehefrau und Mutter und nur noch auf dem Papier Paulas Teilhaberin. Obwohl ihre Tochter Sarah nun schon fünf Jahre zählte, machte Evelyn noch immer keine Anstalten, ins Berufsleben zurückzukehren. Daran war ihr Mann schuld. Ein komischer Kauz, für den nur seine Ruhe, pünktliches Essen, seine Skatrunde und die Prämien, die er als Versicherungsvertreter für jeden Abschluß kassierte, zu zählen schienen. Bei dem Gedanken an die Police, die sie Evelyn zuliebe bei Hajo Bartsch abgeschlossen hatte, hätte Paula sich noch nachträglich ohrfeigen können. Tolle Perspektive, sich mit diesem Widerling über einen Schaden auseinanderzusetzen, der immer größere Dimensionen annahm.
»Sie haben nicht zufällig vor kurzem eine hohe Versicherung bei unserem Hajo Bartsch abgeschlossen?« fragte es in Paulas Gedanken hinein.
Sie zuckte zusammen. Konnte dieses Sabbelmaul jetzt schon Gedanken lesen? Warum sah er sie so an, als ob er jede Sekunde mit ihrem Geständnis rechnete? Sie hatte nichts verbrochen, verdammt.
Der Polizist schien das anders zu sehen. »Ich an Ihrer Stelle würde mich auf Schwierigkeiten einstellen«, sagte er, klappte sein Protokollbuch zu, strich mit einer kaum weniger bleichen Zunge über die farblosen Lippen und verschwand mit seinem stummen Kollegen.
Paula war nach Heulen, nach Trost, sie dachte spontan an ihre Mutter, aber dann fiel ihr ein, wie die Eltern auch so schon mehr als genug unter den giftigen Anspielungen auf den neuen »Gehilfen« ihrer einzigen Tochter zu leiden hatten. Lieber ging sie zu Evelyn, um diese Zeit war Hajo noch unterwegs, notfalls musste er heute Abend eben mit einem Spiegelei vorliebnehmen. Evelyn war ihre beste und einzige Freundin, einfach weil in Engelsbrand alles rar war, was spannender als lauwarmer Kamillentee und das Angebot der Woche beim Schlachter war. Drei Jahre hatten sie beide gebraucht, um die »Fundgrube« aus den roten Zahlen zu hieven. Ein ebenso mühsames wie spannendes Unterfangen. Es wurde höchste Zeit, dass die andere aufhörte, einen erwachsenen Mann zu hätscheln, und zurückkam. Echte Freundschaft bewährte sich nun mal in der Not, und dies war ein Notfall.
Paula schniefte, suchte hektisch in ihrem Ärmel und in ihrer Tasche, wurde fündig. Na bitte! Bloß kein Selbstmitleid! Sie schneuzte sich kräftig, einmal und noch einmal, knüllte die beiden Papiertaschentücher zusammen und schleuderte sie mit einem gezielten Wurf in den billigen Plastikbehälter, den Nick verschmäht hatte. Ein Kenner. Er würde sie kennenlernen.
Paula öffnete das Gatter, ging an den ordentlichen Blumenrabatten vorbei, registrierte die geschlossenen Fenster und die Stille. Nichts deutete darauf hin, dass jemand zu Hause war, erst recht keine quirlige Fünfjährige, wenn da nicht der Geruch von Gebratenem wäre.
HICK. Eine automatische Reaktion ihres Magens auf die Erinnerung an das letzte gemeinsame Mahl mit einem gewissen Nick Heyer, vermutete Paula, und drückte energisch auf den Klingelknopf. Erst nach mehrmaligem Klingeln hörte sie Schritte und die zaghafte Stimme ihres Patenkindes: »Ist da wer?«
»Ich bin’s, Paula.«
Die Tür ging auf, aus der Küche rief es gleichzeitig »Du weißt doch, dein Vater will nicht …«, dann überlagerte die Freude über das Wiedersehen mit der kleinen Sarah alles andere, und erst als das Kind sie wieder losließ, rückte dessen Mutter ins Visier. Evelyn war schon immer hübsch gewesen, früher hatte Paula sie sogar um das Ebenmaß ihres Gesichtes und ihrer Figur beneidet. Im Augenblick sah sie eher wie ihre eigene Putzfrau aus, das Kleid war uralt und schlotterte ihr am Leib, gerade so, als müsse in diesem Haushalt an allem gespart werden. Was in Anbetracht von Hajos Fixum plus Provision als Generalvertreter wohl kaum der Fall sein konnte.
»Du hättest besser vorher angerufen«, sagte Evelyn statt einer Begrüßung und wies hinter sich auf die offene Küchentür, »ich mach’ gerade das Abendessen, Rösti, die brennen so leicht an, und danach …»
»Es ist noch nicht mal vier Uhr, und immer, wenn ich dich in den letzten Wochen angerufen habe, warst du mit irgendeinem Krimskrams für deinen Mann beschäftigt. Ich wußte schon gar nicht mehr, wie Sarah aussieht.«
»Sarah geht es gut.« Es klang nach Verteidigung, abwehrend.
»Schön, wenn es wenigstens ihr gut geht. Obwohl sie blaß aussieht, als hättet ihr keinen Garten. Und auf dem Spielplatz hab’ ich sie auch schon ewig nicht mehr gesehen, nicht mal beim Rollschuhlaufen vor dem Marktkauf.« Die Sorge um ihren Liebling verdrängte kurz die doppelte Pleite, die Paula selbst ereilt hatte.
»Sie übt lieber Lesen und Schreiben, sie kann schon das ganze Alphabet.«
Paula war sich nicht sicher, ob es gut war, wenn ein Kind bereits ein Jahr vor seiner Einschulung alle Buchstaben beherrschte, doch ihr brannte etwas Anderes unter den Nägeln, und sie wollte es vermeiden, von Evelyns Mann unterbrochen zu werden. »Toll«, sagte sie und zupfte an den Haarspangen, die sie Sarah geschenkt hatte. Lustige bunte Propeller, passend zu dem Kleidchen. Jedesmal wenn Paula in der Kinderboutique in Pforzheim zuschlug, wurde ihr weh ums Herz bei dem Gedanken, dass ihre eigene Tochter jetzt schon neun sein könnte. Falls es überhaupt ein Mädchen gewesen war …
»Wir müssen etwas bereden«, sagte sie hastig, »es ist wichtig.«
»Später, ich muss mich mit dem Essen beeilen, die Röstkartoffeln sind gleich fertig, die Bratwurst liegt schon in Milch ein, Hajo mag nicht, wenn sie platzt, ich ruf dich an, hundertprozentig.«
»Etwas ist nicht in Ordnung mit dir.« Paula tat einen Schritt vor, ihre Freundin wich zurück, der Küchenduft wurde intensiver.
»Mit mir ist alles bestens, mir geht es gut.« Noch ein Schritt zurück. »Warum sollte es mir auch nicht gut gehen? Ich habe alles. Hajo ist ein guter Ehemann.«
»Mir geht es nicht gut.« Paula unterdrückte ein erneutes Aufstoßen. Es war peinlich, nicht einmal mehr Herrin ihres eigenen Körpers zu sein, der auf jede größere Erregung mit einem Rülpser reagierte, wobei es völlig gleichgültig war, ob der Auslöser freudiger oder trauriger Natur war. Gleichzeitig spielte ihre Nase verrückt, das ging schon gestern Abend los, als Nick mit dieser Bratwurst anrückte. »HICK, Scheiße, also Nick ist futsch und die Ware auch.«
»Wieviel?« fragte Evelyn.
»Alles.«
»Und dein Notenständer?« fragte das Kind und zog an Paulas Zopf.
»Der nicht, der steht ja bei mir in der Wohnung.«
Paula lächelte. Das geschah nicht nur der Kleinen zuliebe, sondern weil sie selbst an dem Stück hing. Pure Nostalgie, egal. »Und für den Laden haben wir ja eine Versicherung, so gesehen …«
»Hajo wird schäumen.« Evelyn sah zu Boden, ihr großer Zeh kreiste über eine Stelle, die sich in nichts von der übrigen Auslegware unterschied. Der Socken war sorgfältig gestopft, dabei wußte Paula genau, wie sehr die Freundin jede Näharbeit verabscheute. Das war schon früher in der Schule so gewesen, als Paulas Mutter für die beiden Mädchen Topflappen und Serviettentaschen fertigte, um ihnen zu einer guten Note zu verhelfen. Der Zeh verharrte nun, der andere Fuß mit dem ganzen Socken schob sich darüber, die Stimme klang hastig, schien die Worte ganz rasch loswerden zu wollen: »Hajo will schon die ganze Zeit, dass ich meinen Anteil abstoße und lauert nur darauf, dass du in die Miesen rutschst.«
»Ich schreibe keine roten Zahlen, ich bin gelinkt worden.«
»Das ist dasselbe. Er wird dir die Schuld geben, seit Wochen zerreißen sich alle das Maul, wenn du wüßtest …« Evelyn ließ sich auf einen Hocker neben der Garderobe sinken, ihre Schultern begannen zu zucken, die Schulterblätter stachen durch den dünnen Stoff, in Paula stritten Selbstvorwürfe und Wut auf den Mann, der ihre beste Freundin in ein solches Jammerwesen verwandelte. Die Wut auf gleich zwei Kerle überwog, ließ sie loslegen, sie vergaß sogar die Anwesenheit von Sarah, bis hinter ihr jemand »Das reicht!« sagte. Leise, gefährlich leise, die Worte selbst wurden Paula erst voll bewußt, als ihr Patenkind sie losließ und blitzschnell die Treppe hoch huschte. Der Hausherr war heimgekommen, mochte schon vor der Haustür stehend gelauscht haben, den Rest hatte die Polizei, dein Freund und Helfer, erledigt.
War es üblich, dass zwei Staatsdiener dem Versicherungsnehmer bei der Schadensmeldung zuvorkamen? Höchst unwahrscheinlich, befand Paula, allerdings hatte sie keine Chance, diesen Gedanken weiterzuverfolgen oder gar auszusprechen. Ohne sie überhaupt zu Wort kommen zu lassen, informierte Hajo Bartsch sie darüber, dass sein Konzern in keinem Fall für dieses »Betrugsmanöver« aufkommen werde und sie umgehend sein Haus verlassen möge.
Paula sah Evelyn an, die daraufhin rückwärtsgehend nach der Klinke der Küchentür tastete, sie aufstieß, den Blick auf einen in Milch eingelegten Kranz Bratwurst freigab, nach einem Messer griff, in die Butter stach, das Messer auf den Herd zubewegte, auf dem bereits eine große Pfanne stand, mit der freien Hand den Wärmeregler hochdrehte und leise »Du gehst jetzt wohl besser, Paula!« sagte.
»Sag ich doch.« Noch immer leise, trotzdem auftrumpfend, kein einziger weicher Ton, dem Schrappen der Metallschaufel gleich, mit dem der Hausmeister früher in der Schule die schönsten Gebilde aus Schnee vernichtet hatte.
»Du zahlst, Junge.« Paula machte kehrt, die feinen Härchen auf ihren Armen sträubten sich, sie fror trotz der milden Temperatur. Während sie ihre eigene Wohnung ansteuerte, verfolgte sie das Bild des Butterstücks, das neben die Pfanne gefallen war und sich in der silbrigen Herdmulde ausgebreitet hatte. Eine gelbe Pfütze, aber Evelyn hatte nichts davon bemerkt, sondern die aneinanderhängenden Würste in die trockene Pfanne gegeben. Zischen, der verkokelte Geruch begleitete Paula, was allerdings auch die Vorwegnahme von etwas sein mochte, was erst später folgte.
Ihre Nase spielte nun völlig verrückt, und als sie die Tür zu ihrer winzigen Wohnung aufschloß, wußte sie auch, weshalb. Der Notenständer, auf dem sie Briefe, Postkarten, Einladungen und manchmal sogar kleine, an sich selbst adressierte Zettelchen deponierte, war verschwunden. Stattdessen lag ein weißer Bogen Papier dort, der noch nicht da gewesen war, als sie aus dem Haus ging. Beschrieben in Nicks Handschrift, zweimal entglitt ihr das Blatt, bevor sie endlich die wenigen Worte entzifferte. Er bedankte sich für ihre Gastfreundschaft und versprach, sich umgehend zu melden, wenn er dank ihrer »freundlichen Unterstützung« irgendwo im Süden Fuß gefaßt hätte: »Du stehst doch auf heiße Sachen, Rapunzel.«
»Dafür bezahlst du mir, Junge!« schwor Paula dem Dieb und sich selbst, damit gab es schon zwei Männer in ihrem Leben, die sich zukünftig in Acht nehmen sollten. Ohne weiter nachzudenken, trug sie auch dieses letzte Beweisstück zur Polizeiwache, was sich ebenfalls als Fehler entpuppte, weil man den Text dort als Beweis dafür ansah, dass Paula mit dem Dieb unter einer Decke steckte.
»Glauben Sie, dann hätte ich Ihnen den Wisch persönlich vorbeigebracht?«
»Ganz besonders raffiniert.« Der Begleitblick des Uniformierten schien ihr sagen zu wollen, dass er sie schon damals in jenem Tanzschuppen für besonders gewieft gehalten hatte. Ein frühreifes Früchtchen, das seinen Eltern noch viel Kummer bereiten würde, so hatte er sich auf der nächtlichen Fahrt von dem Tanzkeller zu ihrem Elternhaus ausgedrückt. Auch das war haftengeblieben.
Den Ausschlag gab am nächsten Tag Evelyns Mann, der unter Berufung auf lauter schlaue Paragraphen jede Haftung ablehnte und Paula in einem separaten Schreiben aufforderte, umgehend seine Ehefrau auszuzahlen. Beide Briefe waren Paula mit Eilpost zugestellt worden. Sie hatte die Neugier im Gesicht des Boten gelesen, wütend die Tür zugeknallt und minutenlang gezögert, ehe sie die Kuverts aufschlitzte. Diesmal roch es nicht nach Bratwurst, jedenfalls nicht wirklich, trotzdem war Paula regelrecht übel gewesen, als sie sich gegen das Türblatt lehnte und sich vorstellte, wie nun wilder denn je die Gerüchteküche losbrodelte und unweigerlich auf ihre Eltern zuschwappte. Feine Nadelstiche, hübsch um tausend Ecken herum, wenn die Versicherung nicht umgehend zahlte, war sie ruiniert.
Seltsamerweise fühlte sie sich wohler, als sie schwarz auf weiß nachlesen konnte, wozu der Ehemann ihrer Freundin fähig war. Nur er, denn für Paula gab es nicht den geringsten Zweifel, dass Evelyn ihr nicht aus freien Stücken die Freundschaft und die Teilhaberschaft an der »Fundgrube« aufkündigte. Ein Anruf bei den Bartschs bestätigte Paulas Verdacht. Der Vertreter meldete sich selbst und teilte Paula mit, dass sie sich gar nicht weiter zu bemühen brauche: »Meine Frau hatte einen Nervenzusammenbruch, und ich habe sie zusammen mit meiner Tochter in Sicherheit gebracht.«
»Das ist gut«, sagte Paula spontan.
»Gut, dass du wenigstens im Nachhinein einsiehst, was du ihr angetan hast.« Triumphierend, über die Amtsleitung klang die Stimme noch höher, viel zu hoch für einen Mann.
»Ich dachte eher an dich. Es ist gut, wenn sie von dir weg ist.«
»Hat Evelyn etwas gesagt? Was hast du ihr in den Mund gelegt?«
»Ich musste sie nur ansehen.«
»Ihr geht es gut, beiden geht es gut, wenn wir erst unser Geld aus dem Laden zurückhaben, geht es uns sogar prächtig.«
»Es ist Evelyns Anteil.«
»Aber ich bin ihr Ehemann und bevollmächtigt, also halt dich dran, andernfalls klingelt demnächst der Gerichtsvollzieher bei dir, dann bist du in Engelsbrand total unten durch.«
Paula starrte auf die beigefügte Kopie der Vollmacht. Es war Evelyns Handschrift, daran gab es nichts zu deuteln. Es war müßig, an Wunder zu glauben. Die Zeit spielte diesem Widerling in die Hände, begünstigte sein Tun, gab ihm Auftrieb. Noch.
»Vielleicht hat dein Kollege am Markplatz ja eine Stelle für dich frei«, sagte es am anderen Ende der Leitung. Hämisch, daran bestand kein Zweifel.
»Ich verkaufe weder Souvenirs noch Bienenstich.« Paula pausierte und fügte impulsiv hinzu: »Eher setz’ ich in Baden-Baden meinen letzten Pfennig beim Roulette ein.«
Stille. Atmen. Hechelnd, dann kehrte die Stimme zurück. Es hörte sich an, als ob die Metzgerin Hajo Bartschs Stimme mit dem Fleischklopfer bearbeitet hätte. »Wie kommst du darauf? Wie kommst du ausgerechnet auf Baden-Baden?«
Paula legte den Hörer auf. Etwas sagte ihr, dass sie soeben an ein Geheimnis gerührt hatte. Noch hatte sie keine Ahnung, was da ablief, doch das würde sich ebenso ändern wie alles andere. Ihr Entschluß stand fest.
Paula näherte sich zu Fuß dem Neubau, in dem ihre Eltern seit kurzem wohnten. Sonst kam sie mit dem Auto, doch den Kombi besaß sie ja nun auch nicht mehr. Das dreistöckige Haus beherbergte sechs Parteien und gehörte zu einer ultramodernen Anlage in unmittelbarer Nähe von Supermarkt, Arztpraxen, Apotheke und Bürgerzentrum, was insbesondere für Paulas Vater wichtig war, der schon auf die achtzig zuging. Ein alter Mann, der sich noch immer kerzengerade hielt, jeden Tag mindestens zwei Zeitungen las, seine Runden um den Block drehte, kein Konzert und keinen Dia-Vortrag in dem neuen Festsaal ausließ und seine Frau nach wie vor »meine kleine Squaw« nannte.
Während Paula an den terrassenförmig angelegten Betonfronten vorbeiging, die sich lediglich durch die Farbe der überhängenden Geranien unterschieden, überlegte sie, was es für ihre Mutter bedeuten mochte, sich hier mit sechsundfünfzig Jahren zur Ruhe zu setzen. Maren war ein seltener Name, und sie war auch eine außergewöhnliche Frau, die in ihrer einzigen Tochter die Sehnsucht nach fernen Abenteuern geweckt hatte, ohne sie selbst anzustreben. Weil Maren Doll schon genug erlebt hatte, als sie nach Engelsbrand gekommen war?
Damals war sie Anfang zwanzig und arbeitete als Pflegerin, ein reiches Ehepaar aus Pforzheim hatte sie für den einzigen Sohn engagiert, nachdem dieser verunglückt war. Das Ferienhaus keine zwei Kilometer von hier wurde umgerüstet, eine Rampe für den Rollstuhl wurde eingebaut, die Krönung war der Anbau eines Wintergartens. Immer wenn Paula ihre Mutter zur Arbeit begleiten durfte, saß der Kranke in diesem Glashaus zwischen seinen Orangen- und Zitronenbäumchen. Er liebte die Wärme und den Duft, manchmal sang er auch, jener Unfall hatte seiner soeben begonnenen Karriere als Sänger ein jähes Ende bereitet. Diese Stimme und das Glashaus hatten sich unauslöschlich in Paulas Erinnerung eingegraben. Obwohl sie wie jedermann wußte, dass es sich um einen Todkranken handelte, hatte sie in seiner Gegenwart nie ans Sterben denken müssen, sondern sich im Gegenteil lebendiger als anderswo gefühlt. Lukas hatte Paula auch den Notenständer aus Zedernholz vermacht, der ihm bis zuletzt als Stütze für Bilder, Briefe und Zeitungsausschnitte diente, die er aus eigener Kraft nicht mehr halten konnte. Damals war sie fünfzehn und todtraurig, fast so traurig wie ihre Mutter, die ganz dünn wurde, obwohl sie von Natur aus eher rundlich war. Und der Vater?
Paula blieb stehen. Seltsam, dass sie nie weiter darüber nachgedacht hatte, warum ihr Vater fast erleichtert schien, als Mutters Patient starb. Weil er endlich von seinem Leid erlöst wurde?
Weil Maren Doll nun nicht mehr zu fremden Leuten arbeiten ging? Wie fremd waren sich zwei Menschen, die siebzehn Jahre lang alles teilten, was sonst nur ein Ehepaar teilte? Die Intimität im Bad, das Anziehen, Auskleiden, Schmerz und Lachen, manchmal konnte Lukas von geradezu überschäumender Fröhlichkeit sein, dann erinnerte nichts an sein Gebrechen außer dem Rollstuhl. Einmal war Paulas Mutter aufgesprungen und hinausgerannt, um zu weinen. Sie hatte nicht sagen wollen, warum. Nur »Es ist nicht gerecht!« Was war nicht gerecht? Dass er sich von einer Frau, die so jung war wie er selbst, wie ein Baby ins Bett bringen lassen musste? Wer weiß, was passiert wäre, wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten.
Etwas tröpfelte. Paula legte den Kopf in den Nacken, über ihr goß jemand seine Blumen, als könnten ein paar Geranienstengel dem Leben hier Farbe einhauchen. Ihr war danach, eine dieser Ranken zu ergreifen, daran zu zerren, sie allesamt zu zermusen. Die einzelne Blüte klebte an Paulas Fingerspitzen. Ihre Mutter hätte anderes verdient und haben können, wenn sie nicht in jungen Jahren hier hängengeblieben wäre, dachte Paula.
»Mädelken, du wirst ja ganz naß. Merkst denn nicht, dass da oben wer gießt?«
Paula sah auf. Mann mit Hund, zur Abwechslung ein Husky mit wunderschönen blauen Augen, automatisch streckte sie eine Hand aus und kraulte das Tier. Sie hatte es schon als Welpen gekannt, und den Besitzer kannte sie noch viel länger. Ein Major im Ruhestand, kein Wichtigtuer, davon zeugte auch der Mülleimer in seiner Hand. Er hatte sogar schon das Treppenhaus gewischt, ihr eigener Vater brächte das auch, Paula konnte sich kaum etwas vorstellen, was er nicht für seine »kleine Squaw« täte.
»Ich hab’ wohl vor mich hingeträumt«, sagte sie und hoffte, dass der Mann nicht mitbekommen hatte, wie sie die unmittelbar hinter ihr baumelnde Geranie zugerichtet hatte. Auf Vandalismus reagierte er weniger nett.
»Du träumst zuviel, Mädelken, hast du schon immer getan, dabei hätten deine Eltern so gern …«
Weiter kam er nicht, denn Paula fiel ihm ins Wort. »Mutter wartet schon, ich muss los, schöne Grüße.« Nur weg hier! Fast wäre sie über den Hundekörper gestolpert, der es sich auf ihren Füßen bequem gemacht hatte. Egal! Sie hatte genug Streß und musste nicht auch noch daran erinnert werden, was der gemeinsame Herzenswunsch ihrer Eltern war: Ein Enkelkind.
Sie würden vergeblich hoffen, doch das wußten sie nicht. Die beiden hatten Paula damals abgenommen, dass sie genug vom Studium und Lust auf eine praktische Ausbildung hatte. Kein böses Wort über sechs in den Wind geschriebene Semester, stattdessen die Übernahme der Kaution für die erste eigene Bude in Pforzheim, später dann der Zuschuss für den eigenen Laden, sie hatte die besten Eltern, die man sich nur wünschen konnte.
Es dauerte nur Sekunden, bis Maren Doll die Tür öffnete. Keine Frage, warum Paula um diese Zeit nicht in ihrem Laden war, nur das gewohnte warme Lächeln, das sogar die nagelneue Schrankwand und die Sitzkombination davor erträglich machte.
Paula hatte vergeblich versucht, ihre Eltern beim Umzug in die neue Wohnung zu Möbeln zu überreden, die noch von Hand gefertigt waren und eine Geschichte hatten, von der winzige Gebrauchsspuren erzählten. Vergebliche Liebesmüh. »Wir beide sind auch so schon alt genug, da müssen wir uns nicht noch mit Fossilien umgeben», hatte die Mutter gesagt, die genausogut für Mitte vierzig durchgegangen wäre.
»Wahrscheinlich hast du schon was läuten gehört.« Paula kam sich sehr groß und ungelenk vor, wie sie da vor Maren Doll stand, die gut einen Kopf kleiner und das genaue Gegenteil ihrer Tochter war: Dunkler Teint, fast schwarze Haare, eine Eieruhrtaille und drumherum üppige Rundungen, von denen ihre Tochter allenfalls den Po abbekommen hatte. »Lustarsch«, hatte Nick ihren Po genannt.
»Ich gebe nichts auf Gerüchte.«
»Und Paps?« Dumme Frage, schalt Paula sich. Solange sie zurückdenken konnte, hatte ihr Vater jedes böse Wort gegen sie allein durch seine Haltung gestoppt, egal wie er sie hinterher zur Schnecke machte. Eigentlich wollte sie auch nur wissen, ob er daheim war. Es wäre ihr lieber, zuerst allein mit ihrer Mutter zu reden, deshalb hatte sie diese Zeit abgepaßt.
»Er dreht wie immer seine zweite Runde. Magst du einen richtigen Kaffee?«
Paula nickte und folgte ihrer Mutter in die Küche, die ihr schon deshalb lieber war, weil hier der Eßtisch mit den gedrechselten Beinen und die Eckbank standen, die letzten Überbleibsel aus ihrer Kindheit. Sie rutschte auf die Bank und sah zu, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen zwei bauchige Steinguttassen, außen braun und innen weiß, aus dem Schrank nahm und die Espressomaschine anschaltete, die ein Geschenk von Paula war. »Richtiger Kaffee« stammte für die beiden Frauen seit jeher aus Italien, der Hausherr bevorzugte den »Muckefuck«, dem er angeblich seinen niedrigen Blutdruck und seinen guten Schlaf verdankte.
»Ich habe Ärger«, sagte Paula, »dicken Ärger. Ich fürchte, ich kann den Laden nicht halten.«
»Es gibt Wichtigeres als einen Laden, oder?« Maren Doll warf ihrer Tochter einen Blick zu, während sie Kakaopulver über die plustrigen Schaumzipfel stäubte.
»Bei mir ging’s sogar daneben, wenn ich genau hinschaute«, sagte Paula und fixierte den Cappuccino. »Aber wahrscheinlich weiß ich gar nicht, wie man das macht. Genau hinschauen, meine ich. Hat sogar unser Major eben gemeint. Mädelken, du träumst zuviel!« hat er gesagt. Er hat wohl recht, ich hab’ einfach nicht mitbekommen, was da läuft. Bei Evelyns Mann hatte ich schon eher meine Zweifel, das ist ein ausgemachter Schweinebuckel, der blockiert die Schadensregulierung für den Diebstahl und fordert gleichzeitig Evelyns Anteil in bar.«
»Wir haben noch etwas auf der hohen Kante.«
Paula griff nach der Tasse, der Schaum kitzelte ihre Nasenspitze. Wie brachte sie ihrer Mutter bei, dass sie wegwollte? Einfach weg. Genaugenommen wollte sie seit ihrem Abitur weg, aber der erste Absprung war eine Pleite gewesen, das hatte sie ängstlich gemacht. Vielleicht brauchte sie genau diesen Schuß vor den Bug, um es noch einmal zu wagen?
»Wohin willst du?« fragte Maren Doll und wischte Paula über die Oberlippe, auf der Schaum haftete.
Paula war nach Heulen. Wie würde es ohne diese Stunden hier auf der alten Bank sein, die man hochklappen konnte, in der ihre alten Spielsachen und Fotoalben aufbewahrt wurden? Auch das waren Abenteuer, allerdings solche, bei denen ihr nichts passieren konnte. Sollte sie zugeben, dass sie keinen blassen Schimmer von dem Ziel hatte, das sie ansteuerte? Zumindest geographisch betrachtet.
»In die Stadt«, sagte sie und hoffte, dass wenigstens ihre Stimme wie die einer erwachsenen Frau klänge.
»Wieder nach Pforzheim?«
Zu nah, dachte Paula, derselbe Dialekt, das wäre wie Engelsbrand ein paar Nummern größer. »Köln«, sagte sie spontan.
»Neue Kunstmeile«, darauf ihre Mutter, »stand neulich noch in der Zeitung, eine fröhliche Stadt.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Eine alte römische Kolonie, Rom am Rhein, du hattest es ja schon immer mit alten Sachen und Italien.« Sie sah auf, Frau mit Milchbart und feuchten Augen: »Wir werden dich vermissen.«
»Ich euch auch, aber es ist ja nicht weit, mit dem Zug höchstens drei oder vier Stunden, mein Auto ist nämlich auch futsch, aber das macht nichts, ich hab’ schon gegen den Bescheid von der Versicherung Einspruch erhoben. Natürlich bekommt ihr auch euer Darlehen zurück, ich werde …»
»Das meinte ich nicht. Behalt wenigstens deine langen Haare, ja?«
Paula nickte, alles Weitere glitt an ihr vorbei, das galt auch für die Worte des Vaters. Was blieb, war das Milchbärtchen ihrer Mutter. Es begleitete Paula zur Korridortür und bis heim zu ihrer eigenen Wohnung, die sie ebenso kündigen musste wie das Ladenlokal, das Postfach, die Brötchen, die Zeitungsabonnements und das Telefon. Hoffentlich übersah sie nichts. Paula starrte auf die Liste vor sich, doch statt sauberer Zeilen mit allen möglichen noch zu tätigenden Erledigungen sah sie erneut das Gesicht von Maren Doll vor sich.
Der Milchschaum hatte die feinen Härchen sichtbar gemacht, die ihre Mutter früher, als sie noch regelmäßig nach Pforzheim kam, mit Wachs entfernen ließ. Hier hätte derlei blitzschnell die Runde gemacht. Paula wünschte sich plötzlich, dieses weiße Bärtchen berühren zu können, dass ihre Mutter seltsam hilflos aussehen ließ. Sie schien es nicht gespürt zu haben. Nicht einmal der Vater hatte den Schaum an der Oberlippe seiner »kleinen Squaw« bemerkt, obwohl ihm sonst nicht einmal ein winziger Fussel auf ihrer Kleidung entging. Wegen mir, dachte Paula und heulte nun wirklich. Es war ein gutes Gefühl zu spüren, wie wichtig sie diesen beiden Menschen war.
Das erste, was Paula von der Stadt in sich aufnahm, die sie – weshalb auch immer – zu ihrer neuen Heimat erkoren hatte, war ein Rummelplatz. Der größte, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Gerade erst war die Ansage durch den Lautsprecher gekommen, dass der Zug in wenigen Minuten im Hauptbahnhof Köln einlaufen werde, als Achterbahn und Raupe, Autoscooter und Karussell vor dem Fenster des Intercity auftauchten. Noch als der Zug vor den Brückenpfeilern verlangsamte und wenig später in das Zwielicht von Hinterhöfen, Rangiergleisen und Bahnhofshalle eintauchte, hatte sie das bunte Treiben vor Augen, das sie an Fasching denken ließ. Der Kalender und Engelsbrand sagten etwas Anderes.
Karneval an Ostern, dachte sie, war das Colonia?
Koffer rechts, Reisetasche links, die Umhängetasche wie ein Kindergartenkind vor der Brust baumelnd, Paula schwankte zwischen gebotener Vorsicht und dem Gefühl, sich lächerlich zu machen. Obendrein schien ihre Nase ihr einen Streich spielen zu wollen, denn es roch keinesfalls so, wie sie das von anderen Bahnhöfen kannte. Der Geruch erinnerte sie an ihren letzten Besuch bei Evelyn. Panik überfiel Paula. Angst.
Sie befahl sich einen kühlen Kopf und trat ins Freie. Taxis, Räder, Skater kreuz und quer, die Fußgänger bewegten sich kaum weniger konfus, auf den von dem Vorplatz hoch führenden Treppen kauerten Skinheads und Punks, etliche mit Hunden, dazwischen ein Bettler vom alten Schlag inmitten seiner Plastiktütenhabe, zur Straße hin eine Bude mit teils wartenden, teil bereits gierig kauenden Menschen davor. Paula hatte die Quelle des penetranten Duftes geortet. Sie blieb stehen, starrte, staunte. Aßen die hier Bratkartoffeln von der Hand?
»Soll ich Ihnen mal kurz Ihr Gepäck abnehmen, junge Frau?« Der Sprecher war korrekt gekleidet und gehörte offensichtlich zu zwei weiteren Herren im Anzug. Maskierten sich die Diebe hier als Gentlemen?
»Danke, nein«, stotterte Paula, »ich komme schon klar.«
»Die Reibekuchen sollten Sie sich trotzdem nicht entgehen lassen, die sind klasse. Juppes, spendier dem Mädchen mal ’ne Portion.«
Der mit »Juppes« angeredete Mann wollte wissen, ob Paula Apfelmus dazu nähme. Seine Aussprache war ähnlich breit wie er selbst, und Paula war sich nicht sicher, ob er ihr wirklich süßes Kompott zu Bratkartoffeln in Kuchenform vorgeschlagen hatte. Bei dem bloßen Gedanken an solch eine Kombination schauderte es sie. »Danke, nein«, antwortete sie und überlegte gleichzeitig, wie sie das Trio loswurde, ohne unhöflich zu wirken. Nur für den Fall, dass es sich nicht um Gauner handelte. Ausgerechnet Nick fiel ihr als rettender Engel ein. Er hatte mehrmals sein Lieblingslokal in der Domstadt erwähnt, falls nicht auch das frei erfunden war. Sie könnte so tun, als ob sie dorthin wollte. »Die ›Keule‹ soll auch klasse sein«, fügte sie hastig hinzu. »Kennen Sie zufällig die »Keule?«
»Ich dät sage, dat Kleen iss jot.« Juppes, der andernorts Joseph hieße, steckte seine Brieftasche wieder ein und grinste.
»Kleen« gleich »klein« gleich »gut«? Paula wollte gerade nachfragen, ob es eine kleine und eine große ›Keule‹ gäbe, als sie dem nachfolgenden Satz entnahm, dass sie selbst gemeint war.
»Du sagst es, Juppes, die Kleine ist clever, die gibt sich nicht mit ’nem Papptablett auf die Faust zufrieden.«
Paula fühlte sich hochgradig verwirrt. »Aber ich wollte nur…«
»Mädchen, fühl dich eingeladen.« Einer rechts, einer links, der mit ihrem Koffer ging vorneweg, und obwohl Paula sich bewußt war, schon wieder alle Grundregeln der Vorsicht außer Acht zu lassen, preßte sie nur ihre Umhängetasche etwas fester an den Körper und marschierte mit. Allzuviel war bei ihr nicht mehr zu holen, was sollten die drei mit ihrer klassisch zeitlosen, leicht rustikal angehauchten Garderobe anstellen? Hauptsache, sie behielt ihre Papiere und den letzten Rest Geld, die Anschrift des Privatquartiers nicht zu vergessen, das sie über die Mitwohnzentrale gebucht hatte. Dieser Stadt eilte der Ruf voraus, knapp an Wohnungen zu sein.
Keine Stunde später wußte Paula, dass die nach Köln drängenden Studenten in Ermangelung einer Unterkunft teils schon im Wohnwagen nächtigten, wie Kölsch zu ordentlich auf dem Teller und mit Besteck servierten Reibekuchen schmeckte, und wie Fernsehgrößen live aussahen. »Der sieht fast so aus wie Harald Schmidt«, hatte sie gesagt und vom Kellner, der sich Köbes nannte und beharrlich ihr »Bitte ein Wasser!« überhörte, prompt die Antwort erhalten: »Ich dät sage, dat iss dä Schmidt.« Paula hatte brav in »Ich würde sagen …« übersetzt, war ausgelacht worden, warum wußte sie nicht, hatte aus Verlegenheit noch ein Kölsch getrunken, das der »Köbes« statt des erbetenen Wassers vor sie hinstellte, gewöhnte sich allmählich an den Geschmack und das bunte Völkchen ringsum und erschrak zu Tode, als sie eher durch Zufall einen Blick auf ihre Uhr warf. Unmöglich, dachte sie.
»Kann es sein, dass wir es schon nach Acht haben?«
»Ich dät sage, dat künnt stimme.« Juppes schob die Manschette zurück, die Anzeige seiner Porsche-Uhr stimmte mit ihrem eigenen Zifferblatt überein.
»Dann müßte ich wohl mal so langsam …«, sagte sie und versuchte, sich an den Wortlaut ihres Vertrages von der Mitwohnzentrale zu erinnern. Ein Privatquartier war kein Hotel, in Engelsbrand wurden um diese Zeit schon die Bürgersteige hochgeklappt, doch in Köln gingen die Uhren anders, da lebte es sich mediterran und in der Wunschform, die jeden zweiten Satz einleitete. Dieses »Ich dät sage …« vermied es, den so Angesprochenen mit Fakten festnageln zu wollen, die diesem vielleicht gar nicht zupasskamen. Motto: »Such dir aus, ob du gernhättest, dass das da drüben der Schmidt ist und deine Uhr schon nach acht anzeigt!«
Ihr geradezu philosophischer Durchblick begeisterte Paula so sehr, dass sie noch ein letztes Kölsch akzeptierte, aus dem bei drei Kavalieren logischerweise drei Kölsch wurden. Als sie endlich ein Taxi bestieg, war es halb zehn, doch das machte nichts, weil sie sich satt, herrlich angeschickert und heimisch fühlte. Ein ganz kleines bißchen gehörte sie schon dazu, ihr Gepäck war auch noch vollständig, sie hatte nicht einmal selbst bezahlen dürfen. Keine einzige Runde.
Waren so die Kölner?
»Sie sind spät«, sagte die Frau, »wir haben Sie viel früher erwartet. Unsere Schätzchen mögen es nicht, wenn so spät noch geklingelt wird, da macht einer den anderen wach.«
Dem Kläffen nach zu urteilen handelte es sich bei den »Schätzchen« um ein Rudel Hunde unterschiedlichster Größe, so schlußfolgerte Paula und gab sich Mühe, ihre Zimmerwirtin möglichst nicht direkt anzuatmen. Es nützte nichts, denn der zugehörige Ehemann, der sich mit der Bierflasche in der Hand aus seinem Sessel vor dem Fernseher wuchtete, verband seine Begrüßung mit der Bemerkung, sie habe offenbar gleich zur Quelle gefunden. Paula spürte, wie sie rot wurde.
»Ich habe ein paar Reibekuchen probiert, sehr lecker, bei uns heißt das ›Rösti‹, aber natürlich wollte ich nicht Ihren gemütlichen Feierabend stören.«
Der Mann hob die Flasche hoch, auf dem Etikett stand »alkoholfrei«: »Von wegen gemütlich, das schmeckt im Vergleich zu ’nem frisch gezapften Kölsch wie Spülwasser. Womit haben Sie denn Ihre Reibekuchen runtergespült?«
»Mit Kölsch«, erwiderte Paula, »in ’ner total urigen Kneipe, keine fünf Minuten vom Bahnhof weg.« Dann wurde ihr bewußt, wie es auf Uneingeweihte wirken mochte, wenn jemand sich aus dem Zug direkt an den nächsten Tresen stürzte. Obendrein als Frau, solo, derlei trüge einem in Engelsbrand schon den Ruf eines Flittchens ein: »Mit Juppes«, fügte sie hinzu. Leider hatte sie die anderen Namen nicht behalten.
»Olala.« Der Mann schnalzte, seine Frau sah eindeutig mißbilligend drein, Paula hätte wohl besser »Josephine« gesagt oder ganz den Mund gehalten. Schließlich musste sie es hier so lange aushalten, bis sie eine erschwingliche Wohnung fand. Campen war nicht ihr Fall.
»Harald Schmidt war auch dabei, guter Freund von Juppes, lauter gute Freunde.« Die Worte rutschten ihr so heraus, wohl weil sie hoffte, mit der Mehrzahl die verfängliche Wirkung der Einzelperson zu neutralisieren, und Promis machten sich immer gut, beides zusammen machte sich sogar supergut. Oder?
»Schlechte Manieren«, sagte die Frau, die Ulla Meyer hieß. Sie wirkte keineswegs angetan.
Einen Augenblick lang dachte Paula sogar, sie selbst sei gemeint. Der Verriß der letzten Late-night-Shows belehrte sie eines Besseren, diesmal galt die Schelte den rüden Fragen des Showmasters. »Da lob ich mir Frau Schreinemakers, die war echt gut«, endete Frau Meyer und sah nun aus, als ob sie ihrerseits Begeisterung erwartete.
»So ’ne Heulsuse«, knurrte ihr Mann.
Paula hätte ihm liebend gern zugestimmt, was aber wohl kaum angebracht war, weil sie sich verpflichtet hatte, mindestens vierzehn Tage hier zu wohnen. Also hörte sie geduldig zu, wie die Frau auswalzte, was ihr selbst gefiel: Gefühlvolles auf der Mattscheibe, alkoholfreies Bier im Kühlschrank und die strikte Einhaltung aller Punkte, die in dem von Paula unterschriebenen Vermittlungsvertrag aufgeführt waren. Die Füße wurden Paula schwer, der Kopf auch, nebenan kündigte soeben die Fernsehsprecherin eine Wiederholung von »Liebling Kreuzberg« an, der Mann verschwand wieder in seinem Sessel, und Paula nutzte die Pause aus, um nach ihrem Zimmer zu fragen: »Ich bin nämlich ziemlich müde.«
»Das denke ich mir.« Anzüglicher Blick, dann ging es treppauf, das Gekläff verfolgte sie bis in das Obergeschoß des Reihenhauses, vorbei an einem Zimmer mit Spiegelschrank und Polsterdoppelbett, dann folgte eine geschlossene Tür, dahinter lag das Gästezimmer mit Stollenwand, zwei Clubsesseln, Klappcouch und viel Messing an Lampen und Bildern.
»Alles ganz neu«, sagte die Frau.
»Das sieht man.« Paula glaubte, die Großanzeige vor sich zu sehen, in der ein Möbeldiscounter diese Pracht zum Supersonderpreis anbot.
»Passen Sie ja auf!« Es folgten Maßregeln zum Öffnen des Spiegelschranks (»nur an der Griffleiste«), Kippen der ebenfalls brandneuen Alufenster, Aufklappen der Bettstatt und zu den Vorhängen: »Sie rauchen doch nicht etwa? Mit Kaugummi habe ich auch so meine Erfahrungen, manche werfen den einfach in den Papierkorb, ich wollt’s Ihnen nur gesagt haben, da bin ich eigen, bei mir ist nämlich alles picobello, hier kann man vom Boden essen. Die Wände sind übrigens sehr hellhörig, hoffentlich haben Sie kein Handy wie Ihr Vorgänger dabei und palavern pausenlos.«
»Nein, aber ich gehe schon mal auf die Toilette.«
Ein mißtrauischer Blick, dann folgte der Verweis auf die geschlossene Tür zwischen diesem Zimmer und dem der Eheleute: »Es gibt nur ein Bad, Seife und Handtuch lege ich Ihnen raus, die Zahnpasta ist allein unsere, genau wie der Rest.«
»Und das Toilettenpapier?« Paula konnte nicht anders, das Kölsch musste schuld sein, derlei hätte sie in Engelsbrand nie bei Fremden gebracht.
»Wollen Se misch verarschen?« Vollmundiger Dialekt, der da durchbrach. Zum Glück konnte Paula ihrer Wirtin glaubhaft versichern, dass es in ihrer Heimat einfach üblich sei, noch den Punkt auf dem Komma abzuklären. Das war nicht einmal gelogen.
»Schwaben, wie?«
»Fast«, antwortete Paula und erlitt wenig später im Bad einen Lachkrampf, den das Häkelmützchen über der Rolle Reserveklopapier auslöste. Sie hätte schwören mögen, derlei gäbe es nur noch in ihrer Heimat.
»Mein Mann muss morgen früh raus.« Energisches Klopfen, dann folgte der Hinweis auf die Hausordnung für Untermieter: »Hängt neben dem Spiegelschrank.«
Zweimal täglich eine Viertelstunde, las Paula. Klogänge und Waschungen außer der Reihe wurden nicht erwähnt. Paula wickelte sich in Ermangelung eines Morgenrocks in das fadenscheinige und nicht eben üppig bemessene Handtuch, klemmte ihren Kulturbeutel unter den Arm und stieß die Tür auf, vor der schon der Hausherr im Pyjama wartete.
»Der nächste, bitte«, sagte sie.
»Für schöne Frauen wartet man ja gerne.« Die Augen wandelten über ihren Körper, einmal rauf und runter, kehrten zum Mittelstück zurück und ließen Paula befürchten, das Handtuch sei löchrig oder zipfele an der entscheidenden Stelle.
Mit einem hastigen »Gute Nacht denn!« wandte sie sich um, steuerte ihr Zimmer an, spürte die ihr folgenden Blicke, wurde von einem schrillen »Also das ist doch …!«gebremst, schoß hemm und landete in einem männlichen Augenpaar, das fatale Ähnlichkeit mit Saugnäpfen besaß, und dem weiblichen Gegenstück, das Giftpfeile abschoß. Ein weiterer Beweis dafür, dachte Paula, dass zumindest ihr Gesäß einer Liebesgöttin würdig und hausbackene Moral auch in dieser Millionenstadt zu finden war.
»Ihre Handtücher sind arg klein«, sagte sie laut und ging weiter.
Die Vorstellung, wie nun drei Meter nebenan im ehelichen Polsterdoppelbett die Fetzen flogen, entschädigte Paula für eine zu kurze Liegestatt und kratziges Bettzeug. Kein übles Gefühl, endlich Stacheln zeigen zu dürfen, ohne dass deshalb jeder Schritt vor die Tür zum Spießrutenlaufen wurde.
In den folgenden Tagen verebbte Paulas Hochgefühl nur allzu rasch. »Muckefuck« und Hundenäpfe in Köln-Ossendorf wirkten weitaus weniger stimulierend als Kölsch vom Faß in der Altstadt, auch schienen die Galeriebesitzer der Kölner Kunstmeile keinesfalls auf eine Paula Doll aus Engelsbrand gewartet zu haben, zumindest nicht in der Rolle als rechte Hand des Chefs. Alles, was sich Paula bot, waren Jobs als Verkäuferin, entweder aushilfsweise oder branchenfremd, erst für das auf Weihnachten hin erhoffte Stoßgeschäft räumte man ihr gewisse Chancen ein. Immer vorausgesetzt, die angekündigte Konjunkturbelebung ging nicht spurlos am Einzelhandel vorbei. Momentan sah es nicht so aus, als ob hier demnächst der Rubel rollen würde.
Paula saß in der Ringanlage, wo sie nun schon Stammgast war, die von weitem mit Platanen, Wiese, Bänken und einer Brücke lockte. Logischerweise müßte darunter Wasser plätschern, doch das war nicht der Fall. Von ihrem Platz sah sie genau in das leere Becken des Springbrunnens, das in einen nicht weniger trockenen Kanal überging. Rissiger Beton, verstopfte Düsen, reichlich Müll, dazwischen ein paar spielende Kinder, die Hunde bevorzugten die Skulpturen zum Beinheben. Der Stadt mangelte es sichtlich an Geld, die anliegenden Fachgeschäfte sollten als Sponsoren einspringen, doch bislang hatte es lediglich zur Gründung einer Interessengemeinschaft gereicht. Mit Klageliedern war Paula bei ihrer Jobsuche sehr viel großzügiger bedacht worden als mit Arbeitsangeboten. Heute hatte sie sich die ärgste Absage geholt.
»Kommen Sie noch mal rein, wenn der Chef da ist«, hatte es vor drei Tagen in dem Nobelladen keine zehn Meter von ihrer Bank entfernt geheißen, wo das Personal unverkennbar überfordert und geradezu dankbar war, als Paula sich einmischte und einem aufgebrachten Kunden erklärte, warum ein Kanapee, das haargenau so wie die »Veilleuse« aussah, die er vor wenigen Wochen gekauft hatte, um ein Drittel billiger war. »Das hier ist ein Nachbau aus dem Klassizismus, Sie haben echtes Rokoko, natürlich ist das teurer, im Übrigen wurden Veilleusen stets paarweise zu Seiten eines Kamins aufgestellt, haben Sie sich schon mal im Obergeschoß umgesehen?« Der Kunde bestand darauf, weiter von Paula beraten zu werden, und kaufte schließlich eine zweite Veilleuse, um dem Geist jener Stilepoche voll zu entsprechen. Die beiden echten Verkäuferinnen waren hin und weg, und Paula hatte sich drei Tage lang ausgemalt, wie der Ladeninhaber sie nach diesem Beweis ihres Könnens umgehend einstellen würde. Stattdessen hatte er ihr eben einen Kaffee spendiert und sein Leid über die schlechten Geschäfte geklagt: »Aber vielleicht im Herbst, lassen Sie mir auf jeden Fall Ihre Adresse da.«
Die Adresse der Hundepension, die nebenbei auch an Zweibeiner vermietete?
Paula blinzelte, daran war die Sonne schuld. Sonnenschein, Vogelzwitschern, eine Bank weiter knutschte ein Pärchen, bis zum Herbst war sie verhungert, sie musste sich jetzt entscheiden. Flinte ins Korn werfen oder irgendeinen Job annehmen und ihr Quartier um weitere zwei Wochen verlängern, sich mit Hundenäpfen und Klappcouch arrangieren, notfalls auf alt getrimmte Jaffa-Kisten oder Souvenirs vom Kölner Dom verhökern, bis vielleicht das Christkind ein Erbarmen mit dem Antiquitätenhandel und mit ihr hatte.
Voll Wut auf ihre eigene Naivität und die kalte Schulter, die diese angeblich so warmherzige Stadt ihr zeigte, fixierte sie die Balkenüberschrift des »Kölner Express«, den jemand auf der Bank jenseits des leeren Betonbeckens las. Blutrünstiges Rot zu rabenschwarzen Lettern, genau in Blickhöhe, sie entzifferte »Mord« und dachte Mord, nur dass es sich in ihrem Fall erst um den Vorsatz zur Tat handelte und sie sich noch nicht schlüssig war, in welcher Reihenfolge sie zuschlagen sollte. Zuerst der Köter, der ihre schöne alte Reisetasche zernagt hatte? Oder ihre Wirtin, die prompt die Hausordnung zitierte: »In unserer Diele hat Ihr alter Plunder sowieso nichts zu suchen.« Der »alte Plunder« war aus Wasserbüffelleder, der Rahmen aus von Hand mattiertem Messing, der Griff aus Milchstein, glänzender als Knochen und so seidig wie Elfenbein, Fachleute sprachen von »Galalith«, Paula hätte die Frau damit erschlagen mögen. Ersatzweise hämmerte sie nun mit dem Absatz gegen das Gestell der Bank, auf der sie saß, die ebenfalls nicht hielt, was zu sein sie vorgab. Von wegen Schmiedeeisen!
»Knatsch mit ’nem Kerl?« Die Zeitung gegenüber senkte sich, die Stimme hob sich, schallte über den rissigen Beton.
Paula hörte sofort auf, die Bank zu malträtieren, und schüttelte geniert den Kopf.
»Job futsch?« Nicht weniger laut, doch auf den anderen Bänken reagierte niemand. Etwas, woran Paula sich erst noch gewöhnen musste. Die Toleranz – oder war es Gleichgültigkeit? – kannte keine Grenzen.
Sie schüttelte wieder den Kopf, sah kurz nach rechts und links und fügte hinzu, dass sie bedauerlicherweise noch gar keine Arbeit hätte.
»Zugereist wie?«
Diesmal nickte Paula.
»Moment, ich komm’ mal rüber.« Sprint durch das Becken, Kehrtwende über den wulstigen Rand, schon saß der Fremde neben Paula und eröffnete ihr binnen weniger Minuten, dass er Student, ebenfalls »Imi« und stets gern behilflich sei.