Katzenjammer deluxe - Annegrit Arens - E-Book
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Katzenjammer deluxe E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Witzige Unterhaltung über die Fallstricke der modernen Kunst: „Katzenjammer deluxe“ von Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks. Paulas Kunstagentur bietet stilvolle Kopien alter Meister. Sie liebt ihre Arbeit und auch ihre manchmal exzentrischen Kunden – bis sie an einen gerät, der es in sich hat: ältlicher Kunstprofessor, alles weiß er besser und tausend Extrawünsche hat er auch. Zu allem Überfluss bekommt sie es dann noch mit einem liebeskranken Maler und ihrer frechen Praktikantin zu tun, die stets ihren Vorteil sucht … Für eine einsame Insel mit Palmen und Meer würde Paula nun alles geben – doch stattdessen mischt sich auch noch ihr Freund ein und macht die Katastrophe perfekt. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Katzenjammer deluxe“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 548

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Über dieses Buch:

Paulas Kunstagentur bietet stilvolle Kopien alter Meister. Sie liebt ihre Arbeit und auch ihre manchmal exzentrischen Kunden – bis sie an einen gerät, der es in sich hat: ältlicher Kunstprofessor, alles weiß er besser und tausend Extrawünsche hat er auch. Zu allem Überfluss bekommt sie es dann noch mit einem liebeskranken Maler und ihrer frechen Praktikantin zu tun, die stets ihren Vorteil sucht … Für eine einsame Insel mit Palmen und Meer würde Paula nun alles geben – doch stattdessen mischt sich auch noch ihr Freund ein und macht die Katastrophe perfekt.

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe März 2017

Dieses Buch erschien bereits 1999 unter dem Titel »Jungfrau zu Recyceln oder Was kostet eine Venus?« im Bastei Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co.

Copyright © der Originalausgabe 1999 by Annegrit Arens und Bastei Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Utekhina Anna

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-877-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Katzenjammer deluxe« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

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Annegrit Arens

Katzenjammer deluxe

Roman

dotbooks.

Kapitel 1Jungfrau gesucht

Der Treppenaufgang des Turms war angenehm kühl, ihre winzige Wohnung hoch oben unter dem Dach der »Casa Mia« war’s garantiert nicht, trotzdem drängte es Paula in ihre eigenen vier Wände. Ab und zu brauchte sie einen Ort, wo sie die Tür hinter sich zumachen und in Ruhe nachdenken konnte: Über einen neuen Kunden oder über ihren derzeitigen Liebhaber oder über beides.

Ob noch Eiscreme im Kühlschrank war?

Paula memorierte den letzten Gang zum Supermarkt, stieß auf eine Großpackung Joghurteis mit Amaretto, nickte zufrieden und nahm zwei Stufen auf einmal. Heute mußte sie nicht einmal teilen. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag trimmte Mirko sich in der Mittagspause im Sportstudio fit, und heute war Mittwoch. Sie schloß auf, die Tür schwang zur Seite, sie erstarrte.

Keine zwei Meter vor ihrer Nase ein hoch gerecktes Hinterteil, nackt, die Beine darunter leicht gespreizt, was in der Grätsche baumelte, ließ keinen Zweifel am Geschlecht: männlich.

»Kannst du mir mal verraten, was du hier treibst?«

»Siehst du das nicht? Ich arbeite an meiner Kondition, du sagst doch immer…«

»Und warum arbeitest du nicht im Studio dran?«

»Die haben die Preise erhöht, da spiele ich nicht mit, das grenzt an Wucher, und dieses Gerät hier ist erste Sahne, wäre auch noch was für dich, stählt den Bizeps und killt die Cellulitis.«

»Danke.«

»Bitte, ich laß dich gern mit ran …«

»Es war ironisch gemeint.«

»Ach so.« Der eben noch vor und zurück schwingende Oberkörper verharrte kurz, dann tauchte Mirkos Gesicht in der Beinschere unter seinem Gesäß auf. »Du meinst wegen der Orangenhaut? Natürlich hast du keine, aber Prophylaxe ist alles, es gibt eine Spezialeinstellung extra für das weibliche Bindegewebe.«

»Kein Interesse.«

»In letzter Zeit…« Kehrwende, nun baumelte es frontal, kein übler Anblick, trotzdem war Paula im Moment mehr nach Ruhe und einer ordentlichen Portion Eis. Ihr Blick schweifte von dem nackten Körper zu dem Bettsofa mit Zebrafell und weiter zu dem nicht weniger extravaganten Tisch. Beides stammte von ihrem Chef, der mittlerweile außer italienischem Wohndesign auch noch lizensierte Fälschungen verkaufte. Was aussah wie ein Pablo Picasso oder Andy Warhol waren von Hand gemalte Kopien, täuschend echt, lediglich die Größe mußte geringfügig vom Original abweichen, und auf der Rückseite prangte ein amtlicher Stempel. Eine Marktlücke, und Mirko war der ideale Vermittler für jene Kunden, die sich ein Kunstwerk von Weltruhm an die Wand hängen wollten, ohne dafür jedesmal ein Vermögen zu zahlen. Aber mußte er deshalb seine Körperertüchtigung in ihre Wohnung verlegen und sich obendrein an ihrem Eis vergreifen? Die Plastikschale stand auf der Tischplatte, der Deckel lag lose daneben.

»Hättest du die angebrochene Packung nicht wenigstens wieder in den Kühlschrank tun können?«

»Wieso angebrochen? Sie ist leer.«

»Das war ein ganzer Liter.«

»Und ich bin ein ganzer Mann.« Er kam näher, das Baumeln veränderte sich. »Nun sag schon, Rapunzel, was dir so auf die Laune schlägt?«

»Ich brauche …«

»Mich? Sollst du haben.« Nah, sehr nah, ein paar Sekunden lang vergaß Paula das Eis und den Kunden, der auf ihren Anruf wartete. Ein waschechter Kunstprofessor, dem das Geld locker in der Tasche saß, der merkte nicht mal, wenn er doppelt und dreifach bezahlte. Sie hatte ihn auf seinen Irrtum hingewiesen, und was tat er? Sagte halb abwesend »Tatsächlich?« und vertiefte sich erneut in die Betrachtung eines Mädchenkopfs, den alle anderen links liegen ließen, weil es denselben Kopf einen Meter weiter in Kombination mit einem knospenden Körper gab. »Nacktes Mädchen am See«. »Nacktes Mädchen ruhend«. »Nacktes Mädchen mit Hund«. »Nacktes Mädchen und Gespielinnen«. Nackt und schön, hinreißend schön, ein Magnet für fast alle Besucher der »Casa Mia«. Für alle bis auf diesen komischen Heiligen. Wenn das wirklich klappte …

»He, was ist denn nun? Hier steh ich, greif zu!«

»Ich brauche nicht dich.« Paula griff an Mirkos Herausforderung vorbei nach der – leider inzwischen leeren – Eispackung und drückte sie ihm in die Hand, bevor sie fortfuhr: »Ich brauche eine Jungfrau.«

»Na hör mal!«

»Sagt dir der Name Ursula was?«

»Ursula? Also, mit Jungfrauen hab ich’s nicht unbedingt, ich kannte da mal eine Karin … Warum willst du das überhaupt wissen? Ist sowieso schon verjährt, außerdem bin ich mir nicht mal sicher, ob sie wirklich noch eine war. Jungfrau, meine ich.«

»Ich rede nicht von deinen persönlichen Lusteskapaden, sondern von einem neuen Auftrag. Dieser Professor Hofbrunner hat die berühmten Kölner Märtyrerjungfrauen zu seinem Steckenpferd erkoren. Bislang hat er sich mit Büchern und alten Stichen zufriedengegeben, aber nun will er seine Privatwohnung quasi in einen Gedenktempel verwandeln, das läuft auf einen Großauftrag hinaus.«

»Ziemlich pervers, sich die Wände mit elftausend toten Jungfrauen vollzuhängen. Und du willst wirklich nichts gegen schwaches Bindegewebe tun? Dagegen hilft nämlich keineswegs nur dieses Trimmgerät aus dem Laden, man könnte auch …»

»Vergiß es!«

»Du bist wirklich anders, irgendwie lustloser, wenn ich da noch an unser erstes gemeinsames Vollbad zurückdenke, meine Güte, war das heiß …«

»Hier bei mir gibt’s nur eine Stehdusche, außerdem habe ich momentan den Kopf voll mit diesen Jungfrauen, also gib endlich Ruhe. Das Modell besorge ich notfalls selbst, immer vorausgesetzt, wir kommen wirklich nicht mit den historischen Vorlagen hin. Von dir brauche ich einen Painter, der so in etwa die Technik von Stefan Lochner draufhat und frei verfügbar ist. Es eilt.«

»Mittelalterliches fällt weniger in mein Ressort, wie wär’s mit einem poppigen Remake ä la Warhol oder Lichtenstein?«

»Damit kannst du bei diesem Professor Hofbrunner garantiert keinen Blumentopf gewinnen. Der hat sich auf Antike und Mittelalter spezialisiert und läuft schon wie seine eigene Ikone herum. Staubgrau von der Socke bis zum Kragen, dazu dieser seltsam längliche Schädel mit dem einsamen Büschel Haare über der Stirn, der Rest ist Glatze, dafür hat er so ein komisches Spitzbärtchen, und sein Fahrgestell sieht aus, als ob er im Sattel groß geworden wäre. Solche O-Beine hast du dein Lebtag noch nicht gesehen.«

»Heißt er zufällig mit Vornamen Attila?« Mirko ging in die Knie, ergriff unsichtbare Zügel, trabte an, auf und ab, direkt auf Paula zu. Als sie den nächsten klaren Gedanken fassen konnte, lag sie auf dem Sofa mit dem imitierten Zebrafell, ihre Mittagspause war seit mindestens einer Viertelstunde vorbei, unten würden die ersten Kunden vor verschlossener Tür stehen, und warum? Weil ein gewisser Mirko Hoffmann ihr erst noch zeigen mußte, wie er persönlich den legendären Hunnenkönig interpretierte, dem angeblich elftausend Jungfrauen zum Opfer gefallen waren.

Während Paula hastig in ihre Kleider schlüpfte, fragte sie sich, warum in drei Teufels Namen sie bei Mirko immer gleich schwach wurde, wenn die Einladung zum Liebesspiel etwas phantasievoller verpackt daher kam als gewöhnlich.

In dem Seminarraum waren die Rollos heruntergelassen, die Neonröhren an der Decke verbreiteten ein kaltes, weißes Licht, an die dreißig Studenten und Studentinnen saßen schwatzend auf den Tischen, zwei von ihnen strickten gleichzeitig. Auf der Projektionswand vorn wurden nun die Umrisse einer Frauengestalt sichtbar, offenbar das Werk der beiden einzigen Männer im Anzug. Altersmäßig hätten sie auch noch als Studenten durchgehen können, sie waren höchstens Mitte dreißig, wohingegen der zur Zeit älteste Teilnehmer an diesem Oberseminar bereits die vierzig überschritten hatte. Die Art, wie die beiden sich abseits hielten und alle Vorbereitungen für den nächsten Zyklus der Ursulalegende trafen, wies sie ebenso wie ihre Kleidung als Assistenten des Dozenten aus.

Genaugenommen zählten sie bereits selbst zum Lehrkörper der Universität, doch ihr Doktorvater schien das noch immer nicht so recht wahrhaben zu wollen und bedachte sie nach wie vor mit dieser und jener Aufgabe. Mal ging es um einen Quellennachweis, dann wieder um die Reinschrift eines Artikels oder wie eben jetzt um den Aufbau des Diaprojektors. Einziger gemeinsamer Nenner all dieser Dienste war das Thema: die heilige Ursula. Allerdings durfte nur einer von ihnen hoffen, im nächsten Sabbatjahr des Professors dessen Vertretung zu übernehmen, was einer heimlichen Beförderung gleichkam. So gesehen waren Peter Lohe und Bernhard Brenzell sich keineswegs so grün, wie man das hätte vermuten können.

Ein Verdacht, der sich erhärtete, als es plötzlich dunkel wurde.

»Kleiner Boykott, wie? Mach sofort das Licht wieder an!«

»War ich nicht. Was kann ich dafür, wenn du mit der Technik auf Kriegsfuß stehst?«

»Hättest du wohl gern? Wer hat denn dem Alten gratis das neue Programm auf die Festplatte aufgespielt?«

»Wußte schon immer, daß du ein kleiner Schleimer bist. Wird dich aber auch nicht retten, wenn rauskommt, daß du das Zeug, das du dir für den großen Meister aus den Fingern saugst, hinterher im Internet an faule Studenten verhökerst.«

»Neidisch, wie? Da kommst du mit deinem läppischen Deal bei dieser Fernsehzeitung nicht mit, obwohl es von der moralischen Seite her genau dasselbe ist wie bei mir, also halt dich bedeckt und komm ja nicht auf die Idee …« Weiter kam der Sprecher nicht, weil sich nun die Projektionsfläche hinter ihm erhellte, während die Neonröhren an der Decke noch immer dunkel blieben, das Kichern ringsum war kaum zu überbieten. Das Gesicht der heiligen Ursula war geblieben, auch das Gefolge und die Kulisse einer alten Werftanlage stimmten noch, doch wo zuvor kostbar besticktes blaues Tuch die Heilige verhüllt hatte, schimmerte nun nackte Haut, das Intimpiercing deutete auf ein ultramodernes Austauschmodell hin. Offenbar beherrschten die Studenten dieser Lehrveranstaltung die moderne Technik nicht weniger gut als zumindest einer der beiden Doktoranden.

Der Tumult legte sich schlagartig, als jemand warnend »Attila ante portas« rief. Sekunden später öffnete sich die Tür, die wie üblich von Kopf bis Fuß in Anthrazitgrau gekleidete Gestalt des Professors trat ein, an der Wand sah man jetzt nur noch ein helles Viereck. Den Gesichtern ringsum war anzumerken, daß sie wegen des Lärms vorhin mit einem Anpfiff rechneten, doch dieser blieb aus.

»Nun, dann wollen wir mal sehen, was unsere Ursula uns heute zu bieten hat.«

Unterdrücktes Prusten.

Der Professor sah auf, ließ den fragenden Blick von dem hochroten Gesicht einer jungen Frau zu seinen beiden Gehilfen wandern, woraufhin beide gleichzeitig von einer »kleinen technischen Panne« zu erzählen begannen, der das erste Dia leider zum Opfer gefallen sei.

»Da sehen Sie, meine Damen und Herren, wie die Gefahren aussehen, die elftausend Jungfrauen heutzutage drohen. Da sind es nicht mehr die Hunnen, sondern die Technik.« Launig dahin gesagt, was auf eine gewisse Hochstimmung des Sprechers schließen ließ, das Aufatmen im Raum war unüberhörbar. Statt des ersten Dias mit Stefan Lochners berühmter Darstellung »Ursula besucht mit ihrem Vater die Schiffsbauer« wurde nun die »Übungsfahrt der Jungfrauen auf den neuen Schiffen« eingeschoben, die Technik des Künstlers wurde ebenso analysiert wie der gereimte Text darunter, die Aufarbeitung entsprechender Quellen wurde als Referat angeboten, ein Freiwilliger meldete sich und erntete neben dem offiziellen Lob auch noch Tischklopfen seiner Kommilitonen.

Zum Glück bekam der Dozent nicht mit, wie sein braver Student in die Runde zwinkerte und seiner direkten Sitznachbarin zuraunte, er hätte da eine »obergeile Quelle« im Internet entdeckt, die neuerdings Sonderaufgaben für den »ollen Attila« zum Kinderspiel machte.

»Pssst, nicht so laut!«

»Macht nichts, der Alte ist heute gut drauf, sieh ihn dir nur an, wie er mit seinen beiden Schleppenträgern rumgurrt. Der reinste Täuberich.«

»Warum hast du ihn eigentlich Attila getauft? Hört sich ja stark an, aber eigentlich müßte er bei seiner Leidenschaft für die heilige Ursula eher nach deren Bräutigam Aetherius heißen.«

»Nee, den Aetherius hat’s ja letztlich auch erwischt, und unser Hofbrunner sieht sich nun mal als Bezwinger von Studenten, Doktoranden und Jungfrauen, so gesehen …«

«… hast du recht.«

»Sag ich doch. Wie wär’s mit nem Abstecher ins ›Ferkulum‹?«

»Ist das was Säuisches?«

»Nee, man merkt wirklich, daß du noch nicht lange in Köln bist. Die echten Ferkeleien verpackt man hier heilig, und was sich ferkelig anhört, ist in Wirklichkeit harmlos, so wie ich. Also, kommst du mit?« Nicken, Rumoren, dann verließen auch diese beiden den Raum, Rudolf Hofbrunner und seine Assistenten blieben allein zurück.

»Und, hat’s geklappt?« fragte der kleinere, an dem lediglich die zu groß wirkende Hornbrille, eine mädchenhaft glatte Haut ohne den geringsten Anflug eines Bartschattens und die wild gemusterte Krawatte ins Auge fielen.

»Wahrscheinlich schon. Diese Paula Doll ziert sich nur noch etwas, sie scheint allen Ernstes zu glauben, über ihre lizensierten Fälschungen verkehre sie mit Picasso und einem Dutzend anderer Künstler von Weltruhm auf vertrautem Fuß.«

»Habe mir sagen lassen, die Dame tut’s nicht nur mit den Füßen, vielleicht könnte man sie auf dem Umweg über ihre Libido gewinnen. Ihr derzeitiger Gespiele ist ja nicht unbedingt ein Adonis, auch wenn er als Kunstexperte einen gewissen Ruf genießt.«

»Haben Sie einen Adonis als Lockvogel zur Hand, Bernhard? Oder wollten Sie am Ende selbst…« Ein abschätziger Blick des Professors.

»Weniger, aber wie wär’s mit Peter? Er ist geschieden und kein Kostverächter reiferer Jahrgänge, warum schikken wir nicht ihn vor?«

»Kein Bedarf, hab da gerade was an der Angel, ausgesprochen appetitlich.« Die Stimme von Peter Lohe wechselte von Überschwang zu Abwehr, als er fortfuhr: »Aber nichts für dich, viel zu alt, mindestens schon zwanzig, eher älter, die unschuldsvollen Jungfern sind heutzutage rar gesät.«

Als Paula den Ausstellungsraum betrat, erwartete sie dort ihr Chef, Kunden waren zum Glück noch keine zu sehen. Ihre Entschuldigung erstickte er im Ansatz. Sie konnte sich wahrlich keinen netteren Arbeitgeber vorstellen, im Zweifelsfall verteidigte er sie noch, wenn sie selbst sich schon reumütig an die Brust klopfte. Das mochte zum Teil noch aus der Zeit herrühren, als sie glaubte, bei Hans-Peter Börner auch privat ihr Glück zu finden. Und er bei ihr. Eine Fata Morgana, wie sich rasch herausstellte, denn keiner von ihnen kam auf Dauer gegen die Versuchung eines gut verschnürten Abenteuers an. Geblieben war neben dem Job ein Gefühl von Freundschaft und jede Menge Verständnis, so wie jetzt.

»Hättest dich gar nicht so abhetzen müssen, Mädel. Ein kurzer Anruf drüben bei mir, und schon wäre eine Verlängerung deines Schäferstündchens drin gewesen.«

»Wieso Schäferstündchen?«

»Wegen dem da.« Er faßte nach ihren Haaren, die Zopfflechte hatte sich gelöst. Mittlerweile wußte Paula, daß dieser dicke Zopf die Phantasie der Männer entzündete, früher hatte sie geglaubt, damit eher spießig auszusehen. Mitnichten, offenbar gab es für einen Mann nichts Schöneres als die Vorstellung, diesen Strang lösen zu dürfen und ihre Haare offen bis zur Taille fließen zu lassen, leicht gewellt, knisternd, so wie jetzt.

»Ich habe vergessen … die Jungfrauen waren schuld.«

Er lachte auf, griff in ihre Haare, fast zärtlich, wer ihn so sah, hätte nie im Leben geglaubt, daß er männliche Gespielen bevorzugte. Mit wenigen Ausnahmen, die größte war sie selbst gewesen, die Erinnerung an die Stunden drüben in seiner italienischen Villa zuckten kurz durch Paulas Kopf. Einmal waren sie sogar splitternackt durch den Wintergarten getanzt, der sein privates Domizil mit dem Turm verband, in dem sich die Ausstellung mit gefälschten Meistern und oben drüber Paulas Zuhause befand.

»Seit wann gibst du dich mit Jungfrauen ab?« Seine Finger begannen zu flechten, auch das war ihr vertraut. Doch jetzt war nicht der Moment für nostalgische Gefühle, wirklich nicht.

»Die Jungfrauen«, sagte sie hastig, »sind für Professor Hofbrunner bestimmt, er gilt als Koryphäe in allem, was die heilige Ursula und ihre elftausend Märtyrerjungfrauen betrifft. Der Professor hält unsere handgemalten Kopien für ausgesprochen bemerkenswert, weil der Betrachter auf diese Weise eine sehr viel persönlichere Beziehung zum Original aufbaut als etwa bei einem Druck, der zig mal durch die Maschine rattert und deshalb seelenlos ist, ohne Struktur. Die Seele liegt in der Struktur, behauptet er, man muß sie ertasten können, winzige Unebenheiten ebenso entdecken wie den Geruch von echter Farbe, trotzdem begreife ich noch immer nicht ganz, warum er darauf besteht, daß die Kopien bei ihm zu Hause entstehen. Und obendrein am lebenden Modell. Was bringt ihm das Modell, wenn unser Painter letztlich doch alles so nachmalen soll wie auf der Vorlage? In diesem Fall stammt die übrigens von Stefan Lochner. Dreißig Szenen auf einundzwanzig Tafeln.«

»Vielleicht geht es ihm um die Atmosphäre.«

»Das sagt er auch.«

»Na bitte, wo liegt dann das Problem?«

»Erst einmal habe ich keinen geeigneten Painter. Unser Tullio ist die nächsten beiden Monate ausgebucht, außerdem sind heilige Jungfrauen einfach nicht sein Ding, er ist auf Aktbilder und Gyros spezialisiert. Für Graziella haben wir noch immer keinen Ersatz, aus Hamburg ist auch keine Hilfe zu erwarten, und Mirko hat derzeit nur Künstler an der Hand, die auf Pop schwören. Ich glaube kaum, daß der Professor mit einer Reinkarnation seiner Heiligen als Marilyn Monroe oder Campbell’s Suppendose oder Brillo-Karton einverstanden wäre. Außerdem fürchte ich, daß er unserer Aushilfe Irina einen Floh ins Ohr gesetzt hat. Sie hat gerade Staub gewischt, als er kam, drei Körner in einer halben Stunde, andererseits kann sie sehr fix sein, wenn etwas sie juckt. Dieser Vorschlag, sie als Modell zu nehmen, schien sie unglaublich zu jucken. Wie bringe ich das ihrer Mutter bei? Schließlich ist Irina mir anvertraut worden, damit ich ihrem ewigen Schulschwänzen einen Riegel vorschiebe und sie darüber hinaus die Möglichkeit erhält, sich auf ehrliche Art und Weise zu einem schicken Fummel zu verhelfen.«

»Hältst du Modellstehen in diesem Fall für unehrenhaft?«

»Nein, warum sollte ich? Diesem Professor spritzt der Anstand aus allen Poren und Fasern, der ist mit seinem Fachgebiet verheiratet, als Mann ist er eine graue Maus, so wie alles an ihm von den Schuhen bis zum Seidenhemd mit Schalkragen grau ist, dieser Seidenfummel sieht übrigens ziemlich …« Paula stockte.

»Sag’s ruhig! Es sieht schwul aus, aber in diesem Fall kann es dir doch nur recht sein, dann besteht erst recht keine Gefahr für deinen Schützling. Ist doch sowieso noch ein halbes Kind, stimmt’s?«

Paula nickte und wußte nicht zu sagen, warum in ihr immer noch ein winziger Widerstand war.

Die nächsten beiden Stunden verbrachte Paula damit, drei Kundinnen zu vertrösten, die bestellte Bilder abholen beziehungsweise mit dem Künstler über neue Aufträge verhandeln wollten. Der einzige derzeit verfügbare Künstler war Tullio, und obwohl er versprochen hatte, unmittelbar nach der Mittagspause mitsamt Ware anzutanzen, war er noch immer nicht da. Das galt ebenso für Mirko. Ob die beiden sich beim Griechen getroffen und über einem Gyros und diesem und jenem Ouzo zur Ankurbelung der Verdauung fest gequatscht hatten? Zuzutrauen wäre es ihnen.

»Bestimmt ein Stau«, dachte sie laut und versicherte dann einer Stammkundin, einer extrem knochigen Dame im Leopardenlook, daß ihr neuer Modigliani einfach ein Traum sei: »Sie werden hin und weg sein.«

»Modigliani? Ich denke, der ist für mich?« erschallte es von der Empore, ehe die Pfennigabsätze über die Spindeltreppe aus Stahlrohr nach unten hämmerten, direkt auf Paula zu, Empörung nistete in den Augen der Frau, die sich für denselben Künstler entschieden hatte. Amedeo Modigliani schien in der Luft zu liegen, besonders seine Akte waren gefragt wie sonst etwas. Doch zum Glück hatten Paula und ihr Chef sich darauf geeinigt, in einer Stadt niemals dasselbe Motiv zweimal zu kopieren. Nicht auszudenken, wie rasch die Begeisterung für ihre täuschend echten Fälschungen ins Gegenteil umschlagen würde, wenn Dame X ihrem liegenden Akt bei Dame Y wiederbegegnete. Etliche Kunden schienen sich tatsächlich einzubilden, man hielte sie für stolze Besitzer des in aller Regel unerschwinglichen Originals, solange der amtliche Vermerk »Kopie« unsichtbar auf der Rückseite angebracht war.

»Der Künstler hat ein sehr reichhaltiges Repertoire, das gilt auch für Akte, natürlich haben Sie alle unterschiedliche Motive erworben. Darf ich den Damen vielleicht einen Espresso anbieten? Oder einen Cappuccino?«

Huldvolles Kopfnicken hier, ein eher mißmutiges »Aber nur mit geschäumter Milch, auf gar keinen Fall mit Sahne!« dort, die potentielle dritte Kundin lehnte ab und ging. Während Paula mit der chromblitzenden Maschine hantierte, verfluchte sie erneut Mirko Hoffmann, der schließlich ebenso wie Tullio dafür bezahlt wurde, daß er die Kundschaft der »Casa Mia« bei Laune hielt. Ein exquisites Völkchen, wetterwendisch bis zum geht nicht mehr. Was heute der Hit war, konnte morgen schon wieder verpönt sein, und dann floß das Geld halt in andere Kassen. Außer Zweifel stand jedoch, daß es höchst fatal war, wenn die Termine sich so wie jetzt überschnitten. Fehlte nur noch, daß gleich der Professor dazwischenplatzte.

»Ein Stau«, sagte Mirko. Tullio lächelte bestätigend und küßte die Hände der wartenden Damen, bevor er mit einer fast dramatisch anmutenden Geste die Leinenhüllen von den beiden Exponaten zog, er war der geborene Schaumschläger, außerdem roch er nach Knoblauch, Anisschnaps und »Rachengold«. Paula übersetzte stumm in Gyros und Ouzo – dieser Mischung konnte er einfach nicht widerstehen – und Lutschpastillen, die helfen sollten, den Besuch beim Griechen zu vertuschen.

Hielten die beiden sie für so blöd?

Während Tullio weiter den Künstler mimte und teils auf Italienisch, teils auf Deutsch beschrieb, warum der liegende Akt nur zu dieser und der sitzende Akt nur zu jener Kundin paßte, nutzte Paula die Gelegenheit, um ihrem Liebhaber klarzumachen, daß seine gymnastische Partnerübung keineswegs so brillant gewesen war, daß sie deswegen nicht mehr klar denken konnte.

»Stau, wie?«

»Die City ist zu, Rapunzel. Stoßstange an Stoßstange …«

»Brauchst du neuerdings ein Auto, um von meiner Dachwohnung ins Untergeschoß zu kommen?«

»Ich wollte nur Tullio auf Trab bringen, du hast doch selbst gesagt, daß er Zeit und Raum vergißt, sobald es nur nach Gyros riecht, also hab ich mir gedacht: Hol ihn besser ab und…«

«… leiste ihm beim Griechen Gesellschaft.«

»Nie im Leben.«

»Riechen kann ich noch ganz gut.«

»Etwas muß der Mensch ja essen, von Luft und Liebe allein kann keiner leben, nicht mal ich, obwohl es eben mit dir auf dem Zebrafell phantastisch war, allerdings auch kräftezehrend. Wie wär’s, wenn wir heute abend mal wieder so richtig schön zusammen kochen?«

»Wo?« In Paulas Kopf schrillte es Alarm, seit Wochen verlagerte Mirko alles vom Schlafen bis zum Essen in ihre Wohnung, obwohl diese nur halb soviel Quadratmeter besaß wie sein eigenes Domizil in idyllischer Stadtrandlage.

»Ich schlage vor, wir bleiben bei dir. Ist doch auch viel praktischer, als extra bis zu mir raus zu gurken und morgen früh wieder im Stau zu stehen. Und wer weiß, vielleicht ist uns heute abend ja auch noch nach Kino oder Bummeln.«

»Mir ist nach guter Landluft und einem Wannenbad.«

»Im Moment ist die Luft draußen bei mir gar nicht gut. Stinkt überall nach Gülle, du weißt schon. Und dazu der Maler, soll ja regelrecht giftig sein, was die so alles in ihren Farben drin haben…»

»War der Maler nicht schon vor vier Wochen am Werk?«

»Ziemlich viel zu tun bei so ner alten Hofanlage, außen und innen, du glaubst ja nicht, was da alles überholungsbedürftig ist.«

»Streicht er auch die Wanne?«

»Nein, aber den Rest, ziemlich ungemütlich, ich sag’s dir.«

»Ich riskier’s trotzdem.«

»Das geht nicht, Rapunzel.« Er griff nach ihrem nun wieder ordentlich geflochtenen Zopf.

»Und warum geht das nicht?«

»Wegen dem Untermieter…«

»Welcher Untermieter?«

»Nun, ich hab mir gesagt, daß es eigentlich unsinnig ist, zwei Wohnungen zu unterhalten, wo wir doch sowieso die meiste Zeit bei dir sind. Und das fand mein Untermieter auch – er war bislang mein Nachbar, der mit den beiden deutschen Doggen und der gefärbten Frau, erinnerst du dich? –, jedenfalls konnte ich schlecht nein sagen. Ist ja auch nur für den Übergang, diese bunt gefärbte Hexe – stell dir das vor, diesmal hat sie einen Drei-Farben-Kopf wie ne Ampel – hat ihn mir nichts, dir nichts vor die Tür gesetzt.« Atemholen, dann langsamer: »Außerdem kann ich die paar Mark ganz gut gebrauchen, wo doch mein altes Motorrad den Geist aufgegeben hat. Das neue ist ein Traum, frag Tullio.«

»Wieso Tullio?«

»Na, weil wir doch eben auf die Schnelle ne Probefahrt …«

Kapitel 2Attila ante portas

Seitdem die beiden Kundinnen mitsamt ihren Bildern verschwunden waren, folgte Mirko Paula auf Schritt und Tritt und wurde nicht müde, seine Unschuld – »Ich hab’s doch nur gut gemeint!« – und seine Gelüste auf einen gemütlichen Abend »in unserem Turm« zu beteuern. Tullio leistete ihm Schützenhilfe. Zu zweit verwickelten die beiden sich erst recht in Widersprüche, und wenn nicht erneut die Ladentür aufgegangen wäre, hätte Paula sie vermutlich mitsamt Musterkollektion und Trimmgerät – wahlweise gegen Muskelschwund oder Orangenhaut – zum Teufel geschickt.

Kaum wurde sie der Gestalt in dunklem Grau ansichtig, fiel ihr wieder ein, daß sie noch immer zu keinem Entschluß gekommen war, soweit es Irina betraf. Wenn sie wenigstens einen Painter anzubieten hätte, der sofort verfügbar und außerdem zuverlässiger als Tullio war. Sie ging dem Professor entgegen und sagte hastig: »Wir haben da ein Problem. Unser Tullio hier ist auf Wochen hinaus ausgelastet, und was Irina betrifft, so glaube ich offen gestanden nicht, daß sie genug Sitzfleisch hat, um stundenlang Modell zu stehen.«

»Sie ist begeistert«, unterbrach ihr Gegenüber.

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Wir sind uns zufällig auf der Straße begegnet, wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob es tatsächlich ein Zufall war. Die Kleine hat ja schließlich unser Gespräch mitbekommen und will nun unbedingt mit dabei sein. Offenbar könnte sie auch das Geld gut gebrauchen, sie hat mir da etwas von einer Jacke erzählt, die sie unbedingt haben will. Was mich inspiriert, ist diese Reinheit in ihrem Gesicht, sie könnte tatsächlich eine der elftausend Jungfrauen sein, interessante Physiognomie, auch die runde Kopfform zu dem sehr schlanken Hals paßt, mit einem Jabot aus Samt und weißem Krageneinsatz wäre sie geradezu prädestiniert für diese Rolle, und was den Künstler betrifft, so bin ich mir sicher, daß Sie mir da behilflich sein können.«

»Möglicherweise könnte Alex …«warf Tullio ein, im Hintergrund nickte Mirko.

»Stop! So schnell geht das nicht, ich müßte zumindest erst einmal mit Irinas Mutter sprechen, und von einem Alex habe ich noch nie gehört.«

»Du hast ihn noch letzte Woche über den grünen Klee gelobt.«

»Das wüßte ich aber…» Paula stockte, daran war die Melodie schuld, die ihr Liebhaber soeben anstimmte. »Griechischer Wein«, schlagartig fiel ihr wieder jener Abend im »Dionysos« ein, wo sie den ersten Tintenfisch ihres Lebens probiert hatte. Calamares, gar nicht so übel, auch wenn die Konsistenz sie eher an einen Radiergummi erinnert hatte, dafür war das Lächeln des Kellners besonders nett gewesen. Der Kellner hieß Alex.

»Ihr meint doch nicht etwa den Alex aus dem Dio …?«

Pfeifen, Zungenschnalzen, sich überschneidende Stimmen, sie hörte zum ersten Mal, daß Kellner Alex ein begnadeter Künstler war, um dessen Werke man sich in ein paar Jahren reißen werde, momentan dagegen sei er noch vergleichsweise günstig zu haben, wenn ihn das Sujet lockte: »Er ist sehr fromm, unser Alex, die heilige Ursula müßte ihm liegen…«

»Hundertprozentig!« stimmte Mirko zu.

Als der Kunstprofessor sich verabschiedete, hatte er Paula das Versprechen abgenommen, mit Irinas Mutter und ebenso mit Alex zu verhandeln. Kurzfristig, weil Rudolf Hofbrunner sich so bald wie möglich von dem vor seinen Augen schaffenden Künstler inspirieren lassen wollte: »Ich trage mich mit dem Gedanken an ein neues Werk über das Leben und Sterben der Märtyrerjungfrauen, dazu brauche ich die richtige Atmosphäre. Mit Ihrer Hilfe wird es eine grandiose Arbeit, an der Hunderten, ach, was sage ich, Tausenden von Menschen die Augen aufgehen werden. Also, ich verlasse mich da voll und ganz auf Sie, Frau Doll.«

Paula fühlte sich nachgerade an ihre Heimat Engelbrand erinnert, als sie auf das vorletzte Haus am Heinzelmännchenweg zuging. Der Name paßte, die Häuser waren ebenso winzig wie propper, es sah aus, als ob hier sogar die Wichtel im Vorgarten täglich blank poliert würden. Eigentlich kein Wunder, dachte sie, daß Irina immer wieder ausbüchste. Mit fünfzehn Jahren war ihr selbst auch schon mal der Gedanke gekommen, in den nächstbesten Zug zu klettern und erst wieder auszusteigen, wenn wohlduftende Zitronenhaine und lauter fröhliche Menschen die gewohnte Kulisse verdrängt hatten.

Als sie klingelte, tauchte fast in derselben Sekunde das Gesicht von Irinas Mutter zwischen den seitlich gerafften Scheibengardinen eines Fensters mit nachträglich aufgeklebten Sprossen auf, es roch nach gebratenem Fleisch, der Geruch verstärkte sich, als die Haustür aufging. Ein Kind auf die Hüfte gepackt, ein zweites am Rocksaum, im Hintergrund balgten sich zwei kleine Jungs um ein Feuerwehrauto, das Gesicht der Frau war rot angelaufen, sie schwitzte auch.

»Da sehen Sie selbst, wie das ist, aber kommen Sie erst mal rein, am besten in die Küche, sonst verkokeln mir noch die Rinderrouladen. Hoffentlich hat Irina nicht wieder was verbockt, ich war so froh, als Sie ihr angeboten haben, ab und zu in dem feinen Laden zu jobben, sie hat’s ja mit feinen Sachen, da kann sie einfach nicht widerstehen. Sie hat doch nicht etwa schon wieder was mitgehen lassen?«

»Nein, Irina hat nichts angestellt, da können Sie ganz beruhigt sein. Allerdings …»

»Ich wußte es ja, irgend etwas ist doch. Geh weg da, Natascha, das ist heiß, setzt dich brav auf dein Stühlchen, ja, so ist’s gut.« Dann ein Rucken, das etwa einjährige Kind wurde von der rechten auf die linke Hüfte umplaziert, und zu Paula hin: »Sie glauben ja nicht, wie schwer die sind, wenn man sie von früh bis spät am Körper kleben hat.«

»Und warum setzen Sie die Kleine nicht mal ab?«

»Weil sie dann in einem fort plärrt, und es reicht mir schon, wenn die Zwillinge sich ständig in den Haaren liegen. Sobald ich Cilly – so heißt meine Jüngste – auf den Boden lasse, macht sie der Natascha alles kaputt, und dann ist es einfach nicht mehr zum Aushalten. Eigentlich sollte Irina mir ja helfen, mein Mann meint, es wär die normalste Sache von der Welt, wenn sie sich wenigstens um ihre Geschwister kümmerte und mir auch so mal zur Hand ginge, andererseits versteh ich schon, daß die Irina sich was Schöneres vorstellen kann als das hier, ich gönn’s ihr ja auch. Nur beim Taschengeld kann ich einfach nicht mithalten, wenn ich so höre, was Irinas Schulfreundinnen für schicke Klamotten und so ausgeben können, bleibt mir glatt die Spucke weg. Das Gymnasium ist schuld, sagt mein Mann. Wir hätten sie doch besser auf die Realschule schicken sollen, sagt er. Aber die Lehrerin von der Grundschule hat halt gemeint, die Irina wär so helle, daß es eine Sünde war, sie nicht aufs Gymnasium zu schicken, und daß sie womöglich nur deshalb soviel Blödsinn macht, weil sie den anderen haushoch überlegen ist und nie ernsthaft gefordert wird, aber das stimmt ja wohl doch nicht. Seitdem sie auf dem Gymnasium ist, und das sind nun schon fast fünf Jahre, hat sie öfter was mitgehen lassen als je zuvor, und obendrein verbessert sie nun ständig meinen Mann, heimlich nennt sie ihn sogar »Nachtwächter mit Pensionsanspruchs dabei ist er Pförtner im Bezirksamt, wenn er das wüßte … Und was war jetzt wieder los? Sie kommen ja bestimmt nicht einfach so hierher.«

»Wir haben da einen neuen Kunden, einen Kunstprofessor, und er wäre an Ihrer Tochter als Modell interessiert.«

»Nackelig?«

»Nein, ganz seriös, es handelt sich um Darstellungen der heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen, Professor Hofbrunner plant ein neues Buch.«

»Und er ist ein richtiger Professor?«

»Sicherlich, er hat einen Lehrstuhl an der Universität und steht auch oft in der Zeitung.«

»Dagegen hätte nicht einmal mein Mann etwas. Gibt es dafür auch Geld? Die Irina liegt mir von früh bis spät mit dieser »Tommy Hilfiger-Jacke in den Ohren, angeblich haben die alle anderen in ihrer Klasse, nur sie nicht.«

»Fürs Modell stehen bekäme sie sogar das Doppelte von dem, was ich ihr fürs Aushelfen in der »Casa Mia‹ geben kann, allerdings besteht unser Auftraggeber darauf, daß der Zyklus – es handelt sich um insgesamt dreißig Szenen – bei ihm zu Hause entsteht. Die Fahrten übernähme er ebenfalls.«

»Das hört sich sehr nobel an, hoffentlich weiß unsere Irina das zu schätzen. Offen gestanden wundere ich mich, wie jemand darauf kommt, sie malen zu wollen. Sie ist noch so winzig, darunter leidet sie ja selbst, und flach wie Holland, wenn Sie verstehen, was ich meine. Mein Mann sagt immer: ›Von dir kann sie das nicht haben, Mutter!‹ Dabei war ich früher oben herum auch nicht besonders üppig, das hat sich erst mit den Kindern geändert, ich hab sie alle fünf über ein Jahr lang gestillt, die Cilly trinkt noch immer bei mir.«

Es schien das Stichwort für das Kind auf der Hüfte der Frau gewesen zu sein, denn schon begann es an deren Bluse zu reißen und gleichzeitig zu nörgeln. Als aus dem Nörgeln lautes Kreischen wurde – offenbar war die Mutter sich nicht schlüssig, ob sie vor den Augen ihrer Besucherin mit dem Stillgeschäft beginnen konnte –, ergriff Paula die Flucht. Die Sache war klar, ganz zufrieden war sie trotzdem nicht. Vielleicht lag es an dem intensiven Geruch der Rinderrouladen, ihre Nase reagierte seit jeher äußerst empfindlich.

Oben im Turm brannte Licht, das erkannte Paula schon von weitem. Dabei hatte sie sich extra viel Zeit gelassen, wenngleich sie immer noch nicht wußte, was ihr lieber wäre: Daß Mirko heute Abend heim zu seinem Untermieter verschwunden wäre oder hier auf sie wartete.

Um sie zum gemeinsamen Kochen zu überreden?

Am Herd machte er sich genauso gut wie auf dem Zebrafell oder in einer bauchigen Wanne, manchmal fragte sie sich, warum sie ihn nicht einfach so akzeptierte, wie er war. Es war schließlich noch kein Jahr her, daß sie darüber nachgedacht hatte, ob sie überhaupt jemals zu mehr als einem flüchtigen Abenteuer in der Lage wäre. Genauso lange kannten sie beide sich, anfangs waren sie wie Katz und Hund gewesen, er mißbilligte ihren heißen Draht zur sogenannten »feinen Gesellschaft« (berufsbedingt) und tat so, als hätte sie ihre ganz passablen Italienischkenntnisse samt und sonders unter der Bettdecke erworben (in Wahrheit hatte sie mit Massimo kein einziges Mal im Bett gelegen). Auch ohne Worte hatte Mirko ihr in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft unmißverständlich signalisiert, daß er sie für einigermaßen flatterhaft hielt, zum Beweis dienten ihm zwei Affären, von denen jedoch nur eine als solche anzusehen war. Das kurze Zwischenspiel mit ihrem Chef war lediglich ein verzweifelter Versuch gewesen, von etwas loszukommen, was sie glatt um den Verstand gebracht hätte. Natürlich wertete Mirko das völlig anders, obschon er selbst nichts anbrennen ließ, das Intermezzo mit Tullios flüchtiger Kollegin Graziella war der beste Beweis gewesen.

Was also brachte ihn dazu, sich bei ihr einnisten zu wollen? Jetzt sogar mitsamt Heimtrainer.

Die Liebe? Wie buchstabierte sich »Liebe« für einen Hallodri wie ihn? »Bequemlichkeit«? »Kostenersparnis«? Sie hatte sich anfangs nichts dabei gedacht, daß immer sie es war, die für ihre gemeinsamen Kochorgien die Zutaten besorgte. Und genauso selbstverständlich war es, daß sie anschließend spülte, während er sich im Studio fit trimmte oder seine eigene Kundschaft besuchte, schließlich machte die »Casa Mia« nur einen Bruchteil seiner Arbeit aus. Als freier Kunstexperte hatte er schon einen Namen, als es noch gar keine »Casa Mia« gab. War sie etwa geizig? Ausgerechnet sie, die nie genau hingesehen hatte, wenn es um Geld und Gut ging, was sie letztlich dann auch ihren eigenen Antiquitätenladen gekostet hatte. Fragen über Fragen, noch nie hatte sie so lange für die drei Treppen gebraucht, die zu ihrer Wohnung führten.

Ein Schwall von Düften überfiel sie. Kräuter, Knoblauch war auch dabei, überall brannten Teelichter, der kleine Tisch war festlich gedeckt, wo kam die bodenlange Decke her? Wo kam der fremde Mann an ihrem Herd her?

»Ihr kennt euch ja schon.« Mirko kam ihr mit zwei Gläsern Wein in der Hand entgegen, der Fremde nickte und hantierte dabei weiter mit dem Pfannenwender. Offenbar kein Deutscher, allmählich dämmerte es Paula.

»Sie sind Alex, stimmt’s?«

»Ich bin Alex und habe mir erlaubt, für Sie zu kochen. Moussaka und gefüllte Calamaris und Lammbraten, ich hoffe, Sie mögen Lamm, und dann würde ich Ihnen gerne meine Mappe zeigen, es wäre wirklich die Chance für mich …«

»Mach’s kurz, Junge. Du kochst phantastisch und pinselst noch besser und hättest nichts dagegen, Hobby und Profession gegeneinander auszutauschen.« Und an Paula gewandt: »Da kämen ihm die Jungfrauen deines Kunstprofessors wie gerufen.«

»Nein, so darf man das nicht sagen, aber ich würde die heilige Ursula und ihr Gefolge sehr gerne malen, ich kenne die Legende, ein wunderbare Geschichte, und die Kirche St. Ursula mit der Goldenen Kammer und den Reliquienbüsten der Jungfrauen kenne ich auch.«

»Es geht hier allerdings nur um Kopien«, unterbrach Paula den Redefluß des eifrigen jungen Mannes.

»Aber es war doch von einem Modell die Rede, oder nicht?«

»Sicher, aber das dient eigentlich nur der Atmosphäre, auf die unser Auftraggeber soviel Wert legt. Die Vorlage kommt von Stefan Lochner.«

»Ein sehr bedeutender Maler… es wäre mir eine Ehre …«

Am Ende des Abends waren sie sich alle drei einig, daß sie nie zuvor so köstliches Lamm gegessen hatten, daß der Ouzo die absolute Krönung war und es ihnen eine Ehre war, gemeinsam der Kunst zu dienen. Darauf hoben sie das Glas, bis auch der letzte Tropfen getrunken war. Und nachdem Alex gegangen war und Paula mit Mirko auf dem Zebrafell lag und zugleich mit dem Geruch seiner Haut den Duft des Lamms und all der köstlichen Kräuter roch, wurde ihr ganz schummerig im Kopf und überall, zuletzt vermischten sich auch die Gesichter über ihr, dicht über ihr, ganz dicht, sie glaubte schwarze Locken und samtig braune Augen zu sehen, obwohl Mirko keineswegs ein mediterraner Typ war.

Es gab etliche Hausboote, die am Rhein dauerhaft vor Anker lagen, einige davon hatten sich längst als Ausflugslokale einen Namen gemacht, besonders im Sommer pilgerten Heerscharen von Kölnern hierher, um wenigstens für ein paar Stunden das Gefühl zu haben, als befänden sie sich im Urlaub. Andere Boote dienten diesem und jenem Wassersportverein als Treffpunkt, die Rheinauen zwischen Rodenkirchen und dem Weißen Bogen übten eine magische Anziehungskraft aus, das schien auch für den Eigentümer des nagelneuen Kajütboots mit dem Namen »Loculus« zu gelten, das seit seiner Ankunft vor gut drei Monaten noch keinmal ausgelaufen war. Ein paar Wochen lang hatten der Besitzer der »Alten Liebe« und der Kassenwart des Rudervereins und noch ein paar andere abends bei einem frisch gezapften Kölsch darüber gerätselt, wie jemand einem so schmucken Boot einen so seltsamen Namen geben und es dann ungenutzt liegen lassen konnte, obwohl das erste schöne Wetter in diesem Jahr förmlich nach einer Ausfahrt schrie. Doch dann hatten der Streit mit der Hochwasserschutzkommission und der gestiegene Bierpreis und der Ärger über Touristen, die überall ihren Müll verstreuten, das Interesse an der »Loculus« überlagert.

Genau darauf hatte der Schiffseigner spekuliert: Rudolf Hofbrunner wollte seine Ruhe haben, deshalb ging er auch vorzugsweise am frühen Morgen oder spätabends an Bord, abgesehen von Bernhard Brenzell wußte keine Menschenseele im Umfeld des Professors von seiner Neuerwerbung. Es hätte ihm sowieso nichts als Spott eingetragen, zumal er seine Kleidung dem neuen Hobby – was sollte es sonst sein? – in keiner Weise anpaßte: Er trug auch an Bord weiterhin seine dunklen Stiefeletten zu dunkelgrauen Hosen mit Bügelfalten, lediglich seine Seidenhemden mit Schalkragen ersetzte er gelegentlich durch ein graues Polohemd. Wohingegen sein Doktorand sich immerhin zu Jeans und einem kurzärmeligen Hemd durchrang, wenn er stundenlang surfte. Nicht auf dem Wasser, das zum Greifen nah um ihn herumschwappte, sondern im Internet. Die Kajüte begann mehr und mehr einem Studio für moderne Kommunikationstechnik zu gleichen.

»Und, wie sieht’s aus?« Die Stimme des Professors verriet Ungeduld.

»Wir kommen voran.«

»Das reicht mir nicht. Wenn die Semesterferien anfangen, will ich richtig loslegen.«

»Bis dahin läuft noch viel Wasser den Rhein hinunter.«

»Sparen Sie sich die trivialen Sprüche besser, wenn Sie tatsächlich scharf auf einen Doktortitel und einen ordentlichen Lehrstuhl sind. Ohne meine Unterstützung …»

»Ich weiß, außerdem gebe ich mir alle Mühe, sehen Sie selbst.« Die Finger jagten über die Tastatur, erzeugten auf dem Bildschirm Buchstaben, die umgehend von anderen verdrängt wurden, selbst wenn dieser Prozeß weniger schnell vonstatten gegangen wäre, hätte der Professor nichts von der Nachricht verstanden, die sich für einen Laien wie Hieroglyphen las.

Und was heißt das da?«

»Daß wir im ›chat-room‹ – also in der Quasselecke des Internets – angelangt sind und man uns dort willkommen heißt.« Es folgte die zufriedene Feststellung, daß man schon auf sie gewartet habe.

»Wer ist ›sie‹? Hoffentlich haben Sie niemandem meinen Namen verraten.«

»Hier gibt’s keine Namen, nur Codes, und wir sind die Jungfrau« mit dem Wohnort ›Loculus‹, das scheint bestens anzukommen. Gibt auch schon eine Rückfrage, das ist was für Sie, Professor. Wollen Sie mal?«

»Wofür hab ich Sie denn? Übersetzen Sie mir mal dieses Kauderwelsch.«

»Da will jemand wissen, was die Jungfrau denn so in ihrer goldenen Grabkammer treibt, wenn’s ihr mal langweilig wird.«

»Offenbar ein halbwegs intelligenter Mensch, versteht immerhin Latein und kann Querverbindungen hersteilen …«

»… und mit anderen im chat-room darüber rätseln, was wir im Netz denn möglicherweise noch zu bieten haben außer einer Heiligenlegende, das schürt die Neugier und weitet den Kreis der Interessenten aus, und wenn wir dann wirklich soweit sind …«

«… schlage ich Sie vielleicht wirklich für meine Vertretung vor und biege das mit Ihrer Dissertationsschrift hin, dabei haben Sie sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert.«

»Das ist nun mal nicht mein Ding, ich hab’s lieber kurz und zackig.« Die Finger hetzten erneut über die Tasten, die Augen vor dem Monitor begannen zu leuchten, rote Flekken flammten die Wangen, die jedem Mädchen zur Ehre gereicht hätten.

Der Professor ließ den Blick von der ihm unverständlichen Flimmerschrift zu seinem Doktoranden gleiten und fragte sich, was dessen Emotionen so aufputschte. Manchmal war er drauf und dran, ihm zu sagen, was er wirklich von ihm hielt. Ein Unwürdiger, soviel stand fest.

»Und was steht da jetzt?« fragte er mühsam beherrscht.

»War nur ein Witz von den ›You-toos‹, kleiner Scherz am Rande, manchmal versucht sich einer von denen als Witzbold, nicht weiter wichtig, kann man sowieso nur drüber lachen, wenn man in der Chattersprache zu Hause ist.«

Rudolf Hofbrunner schwieg dazu. Nicht, daß er nur eine Sekunde lang glaubte, was der liebe Bernhard Brenzell da verzapfte, doch im Moment war es klüger, keine unangenehme Stimmung aufkommen zu lassen. Er brauchte das Milchgesicht noch, im Umgang mit einem Computer war es unschlagbar, wogegen sein Intellekt eher auf Sparflamme köchelte. Pragmatisch, unbedarft und im Moment ausgesprochen hilfreich…

Als Irina den Schulhof des privaten Mädchengymnasiums betrat, stürzten gleich drei Klassenkameradinnen auf sie zu, eine davon war die Wortführerin der 9c. Wiebke wirkte geladen, daran änderte auch ihr tolles Aussehen nichts, sie trug megageile Schuhe mit Absätzen so hoch wie ein Handrücken und dazu einen Traum von Jacke, blau mit weißrotem Prägedruck auf der Rückseite, obendrein hatte sie sich reichlich mit dem passenden Parfüm eingestäubt. Warum war sie bloß so sauer? Wenn sie die Augen so zusammenkniff wie jetzt, war Vorsicht geboten. Sie roch nach »Tommy Hilfiger for girls«, der Duft war nun ganz nah. Irinas Herz klopfte schneller, vielleicht hätte sie doch besser schwänzen sollen. Andererseits hatte ihr der Vorschlag dieses Professors – ein komischer Heiliger, sei’s drum – enorm Auftrieb gegeben, plötzlich war die neue Jacke in greifbare Nähe gerückt, sogar ihr Vater spielte mit. Ein Spießer, der geborene Duckmäuser, der akademische Titel heizte ihm ein, vielleicht auch das Motiv. Seine älteste Tochter als Heilige …

»Das ist das letzte! Warum kommst du erst auf den letzten Drücker? Du hast gestern versprochen, eine Viertelstunde früher da zu sein, nun gib schon her!«

»Was?« fragte Irina zurück, der Wechsel war zu abrupt. Eben noch Playmate des Monats, und jetzt eine, die in der Clique rund um Wiebke nur geduldet wurde, solange sie alle brav mit Hausaufgaben versorgte und bei Klassenarbeiten abschreiben ließ und die Tarnungsfehler bei sich selbst einbaute. Zu einer der heißbegehrten Parties war sie trotzdem noch nicht eingeladen worden, sie hatte sich völlig umsonst zusammengemaust, was sie dafür brauchte: Ein bauchfreies Hemdchen und einen Minirock zum Wikkeln und Make-up, nur die Schuhe – Brikettsohlen konnte sie schlecht unter ihrem Pulli verschwinden lassen – und natürlich die Jacke fehlten noch. Genau diese Jacke da, keine Handbreit vor ihr…

»Französisch natürlich, oder hast du etwa vergessen, was Monsieur Spucke« – der Akzent diente der französischen Verballhornung des deutschen Wortes – »uns angedroht hat, wenn wir heute wieder keine Übersetzung haben?«

Ihr, korrigierte Irina stumm, denn sie hatte ihre Aufgaben für die ersten beiden Stunden vor der großen Pause noch eben in der Bahn erledigt. Ein Kinderspiel, gemessen an den tagtäglichen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater und vier kleinen Geschwistern und einem Alptraum von Zuhause. Selbst wenn sie es tatsächlich schaffen sollte, zu einer Party der Clique eingeladen zu werden, wußte sie noch immer nicht, wie sie eine Gegeneinladung auf die Beine stellen sollte. Fernab von Wichteln im Vorgarten und Rüschengardinen vor den Fenstern und einer Familie, von der sie manchmal träumte, daß sie nur das Ergebnis einer Verwechslung bei ihrer Geburt war.

Stumm zog sie das Französischheft aus ihrem Rucksack, der immerhin kein Einzelgänger in dieser Runde war. Ein cooles Ding und sogar korrekt bezahlt, dafür war alles draufgegangen, was sie bislang in der »Casa Mia« verdient hatte. Viel getan hatte sie nicht dafür, manchmal plagte sie fast schon das schlechte Gewissen, wenn sie Paula schuften sah und selbst in Zeitlupe einen Rahmen abstaubte oder ein paar Quittungen abheftete. Paula war okay, doch der Widerwille gegen jede Art von Hilfsbereitschaft – »Irina, kannst du mal eben Natascha auf den Topf setzen und rüber zum Bäcker springen und – und – und!« – wurzelte tiefer.

»Na endlich! Bück dich mal, dann geht’s schneller!«

Und Irina beugte sich vor, lieh ihren Rücken als Schreibunterlage für die drei Freundinnen und kassierte stumm den Rüffel nebst Sonderaufgabe von Monsieur Spucke, als dieser erfuhr, daß sie schuld an der Verspätung war. Angeblich hatte sie keine Ruhe gegeben, bis man ihr bei der Suche nach ihrem Fahrradschlüssel half, dabei besaß sie überhaupt kein Fahrrad. Manchmal haßte sie Wiebke und deren Lügengeschichten regelrecht, aber noch mehr haßte sie ihren Vater.

In der großen Pause stand Irina allein vor der Tür zu den Toiletten und paßte auf, ob auch kein Lehrer in Sicht war, hinter ihrem Rücken wurde gepafft und gelacht. Zehn Minuten lang, dann kamen sie wieder heraus, es roch nun noch intensiver nach »Tommy Hilfiger for girls«. Eine wie Wiebke mußte sich halt keine Sorgen machen, ob und wann sie an ein neues Flakon DES Parfüms kam. Nun blieb sie stehen und zupfte an Irinas Schulterpolstern, solche Unterfütterungen waren diesen Sommer völlig out, ebenso wie das Material.

»Trevira«, hatte Irinas Mutter gesagt, »knitterarm, außerdem kann man die Jacke in der Maschine waschen, und bügeln muß man sie auch nicht unbedingt. Deine Lieblingsfarbe ist es außerdem, freust du dich nicht?« Irina hatte nichts darauf geantwortet, deshalb hatte sie ebenfalls ein schlechtes Gewissen. Natürlich wußte sie, daß ihre Mutter ihr eine Freude hatte machen wollen. Aber sollte sie über ein solches Scheusal von Jacke jubeln? Von wegen Lieblingsfarbe! Dieses Saharabeige war längst out, jetzt trug man wieder Blau, und dazu zart geblümte Röcke und Kleider und Plateausohlen aus Kork. Aber demnächst stand sie Modell, und dann…

»Laß los, Wiebke!« Sie wehrte die Hand ab.

»Warum? Hübsches Jäckchen, muß ich schon sagen. Wo bekommt man so was?«

»Kannst die Jacke geschenkt haben, Wiebke, wenn sie dir so gut gefällt.«

»Hört! Hört! Unsere Irina hat die Spendierhosen an. Du hast nicht zufällig im Lotto gewonnen?«

»Man muß nicht immer Lotto spielen, um einen Treffer zu landen.«

»Kinder, alle mal herhören, die Irina hat einen Treffer gelandet. Wie sieht er denn aus? Kennen wir ihn schon? Und kennt er schon den Heinzelmännchenweg und die lieben kleinen Nervensägen?«

Jemand mußte gepetzt haben, dachte Irina. Aber wer? Von diesem Gymnasium war zuletzt in der Erprobungsstufe jemand bei ihr zu Besuch gewesen, nach der Versetzung in die siebte Klasse hatte sie dafür gesorgt, daß sie in die Parallelklasse kam. Die »c« gehörte zum bilingualen Zweig, dort war Französisch genauso wichtig wie Deutsch, viele Schüler hatten eine französische Mutter oder einen französischen Vater oder zumindest Eltern, die ihre Kinder beizeiten auf den Klang der großen weiten Welt vorbereiten wollten. All das traf auf Irina nicht zu, doch sie war gescheit, sehr gescheit. Sie mußte nur behaupten, plötzlich ihre Liebe zur »lingua romana rustica« entdeckt zu haben und zwei Jahre Unterricht nachholen. Dafür hatte sie die ganzen Sommerferien durch gepaukt, und nun war sie die Beste. Um nicht als Streberin zu gelten und der Clique zu Willen zu sein, stellte sie allerdings des öfteren ihr Licht unter den Scheffel…

Das Gedränge und Gejohle rund um Irina wurde immer heftiger, erst die hinzueilende Aufsicht schaffte wieder Ordnung. »Was ist denn hier für ein Tumult?«

»Irina hat einen neuen Freund. Sie wollte uns gerade von ihrem neuen Freund erzählen. Fährt er einen Porsche oder kommt er noch hoch zu Roß?«

Roß? Irina zuckte zusammen. Die O-Beine des Professors hatten sie an die Jockeys erinnert, die sie manchmal in der Sportschau sah. Ob er tatsächlich ritt? Egal, Hauptsache er zahlte gut. Und vielleicht war ja der Maler ein gutaussehender junger Mann und verliebte sich in sie und malte hundert Bilder von ihr, auf denen sie wunderschön aussah, noch viel schöner als Wiebke. Genaugenommen war Wiebke gar nicht schön, schön waren nur ihre Klamotten …

Der Mauspfad verlief parallel zur Autobahn, die den Sound lieferte, ein Chemiewerk stellte den Geruch nebst Panorama, weshalb ein Reihenhaus hier besonders günstig zu haben war. Es waren vorwiegend junge Familien mit mindestens zwei Kindern, die in dieser Straße wohnten, davon zeugten auch die Räder und Tretroller in den Vorgärten und die Sandkästen hinter dem Haus. Nie im Leben wäre Bernhard Brenzell freiwillig hierhergezogen, doch was sollte er machen, als ihn vorletztes Jahr fast gleichzeitig zwei Hiobsbotschaften ereilten: Seine Frau erwartete Zwillinge – obwohl Nachwuchs erst nach seiner Promotion eingeplant war –, und sein Doktorvater – der Spitzname »Attila« charakterisierte ihn sehr viel besser – kürte einen zweiten Kronprinzen. Seitdem wetteiferte er mit dem »Poeten«, wie er den vier Jahre jüngeren Peter Lohe nannte, um die Gunst des Alten und stolperte bei seiner Heimkehr regelmäßig über den Haushaltsmüll.

Seine Frau fühlte sich nicht mehr zuständig.

Seitdem sie Bruno und Theo in einer Kinderkrippe untergebracht hatte und wieder als Kassiererin im Elektrogroßmarkt arbeitete, delegierte sie alle möglichen Arbeiten an ihn. Als ob er nicht bereits zwei eigene Lehrveranstaltungen hätte, auf die er sich vorbereiten mußte. Ganz zu schweigen von den Dienstleistungen, die Attila von ihm erwartete, gratis, und wenn er nicht spurte, drohte ihm die Entthronung durch den Poeten. Also biß er die Zähne zusammen und ballte die Faust in der Tasche und malte sich aus, wie es bald, sehr bald sein würde. Noch brauchte er den Alten … Seitdem er einen Weg gefunden hatte, seine Recherchen nebenbei zu versilbern, war sein Frust nicht mehr gar so groß. Zumal es neuerdings Maggie gab.

Maggie war der Babysitter. Bei dem Gedanken an Maggie wurde ihm gleich fröhlicher zumute. Ein Glücksgefühl, das jäh endete, als er die Haustür aufschloß, Widerstand spürte, energisch drückte und fluchte. Der Mülleimer neigte sich ihm entgegen, kippte ihm lauter übelriechende Schraubgläser vor die Füße, es war unglaublich, wie zwei Einjährige es schafften, innerhalb kürzester Zeit ein kleines Vermögen zu verjuxen. »Kopfsalat mit Banane«, ’Aprikose mit Honig«, auch exotische Früchte fehlten nicht. Er beugte sich vor und zählte mit, während er die Gläser mit spitzen Fingern einsammelte. Nicht zu fassen, zehn Gläschen, dabei waren seine Söhne von acht bis fünf in der Krippe. Es war die pure Verschwendung, für ihre Brut war seiner Frau nichts zu teuer. Ständig was Neues zum Anziehen, Spielzeug die Hülle und Fülle, heute ein Regenabdekkung und morgen ein neuer Sonnenschirm, besser gesagt zwei, alles wurde im Doppelpack angeschafft, aber er mußte sich überlegen, ob er sich eine neue Krawatte leisten konnte.

Er liebte Krawatten aus schwerer Seide mit auffälligen Motiven. Schon wollte er in alter Gewohnheit über das gute Stück um seinen Hals streicheln, als ihm in letzter Sekunde einfiel, das er jetzt möglicherweise Reste von püriertem Gemüse oder Obst an den Fingern kleben hatte. Igitt!

Während er sich die Hände wusch und verdrossen den Kühlschrank inspizierte, überlegte er, wann Maggie heute aus der Schule kam. Er hatte ihren Stundenplan ebenso im Kopf wie die Adressen ihrer Freundinnen, die vielleicht oberflächlich betrachtet hübscher sein mochten, einem Kenner wie ihm jedoch doch um einiges weniger boten. Sie mußten gehorchen, ohne jeden Widerspruch parieren und einem noch die Füße – na ja, nicht unbedingt die Füße! – lecken, wenn man sie züchtigte. Es gab nichts Schöneres als einen zackigen Schlag auf solch ein kleines Hinterteil, einen und noch einen, begleitet von Tränen und Schniefen, verhalten, damit er nicht noch wütender wurde, und dann die Bitte um Vergebung. Er ließ sich gerne bitten, sehr gerne, ließ sich viel Zeit damit.

Ob er sie einfach anrufen sollte? Jetzt gleich? Vielleicht hatte er ja Glück, und sie hob selbst ab. »Maggie«, würde er sagen, »du hast mir doch von dieser irre teuren Jacke erzählt, die alle außer dir haben. Hast du nicht Lust, dir wieder mal ein Stück davon zu verdienen?« Und sie würde einwilligen, natürlich täte sie das. Er mußte nur aufpassen, daß sie sich nicht verplapperte, besonders helle war sie wirklich nicht, deshalb wiederholte sie auch schon zum zweitenmal eine Klasse und war erst in der acht. Eine süße kleine Achtklässlerin…

Der Jaguar stach ins Auge, keineswegs nur Männer schauten sich nach dem schnuckeligen Gefährt um, das Peter Lohe für zweihundertachtzig Mark gemietet hatte. Ein Sonderpreis, und er hatte zugelangt und gerechnet, ob es außerdem noch für den Sprit und ein gutes Essen und vielleicht ein paar Rosen reichte. Sylvia hatte auf ihn den Eindruck einer Frau gemacht, die derlei zu schätzen wußte. Romantik. Kavaliersdienste. Auf diese Weise war er überhaupt an sie herangekommen, unlängst auf der Party eines ehemaligen Kommilitonen, der sein Studium abgebrochen und sich selbständig gemacht hatte. Womit genau er sein Geld verdiente, wußten die Götter, fest stand jedoch, daß er es innerhalb eines Jahres zu einer phantastischen Wohnung und einer nicht weniger bemerkenswerten Partnerin gebracht hatte, die wiederum eine Busenfreundin von Sylvia war. Jemand von den Gästen hatte sie ziemlich plump angemacht, und er war ihr zu Hilfe geeilt, es war noch ein wunderbarer Abend geworden, und vor ihrer Haustür hatte er sie zart geküßt.

»Darf ich Sie Wiedersehen?«

»Das ließe sich einrichten.«

»Und wann?«

»Rufen Sie mich doch einfach einmal an.«

Das hatte er getan, nach drei enervierenden Nachrichten auf Band – dafür war er nicht der Mensch – kam endlich der Rückruf: »Wollen Sie mich morgen abholen? In Bonn, ich plane gerade einen japanischen Garten für einen neuen Kunden.« Er hatte zugestimmt, in seinem Kopf hatten sich die Gedanken überschlagen. Er brauchte ein Auto, das etwas hermachte, an jenem Abend nach der Party waren sie mit ihrem Wagen gefahren: »Meiner ist gerade in Reparatur«, hatte er gesagt, und sie hatte es ihm geglaubt. Jetzt hatte er einen Jaguar, völlig umsonst, sie war schon fort gewesen, angeblich gab es Probleme mit irgendwelchen Wasserrinnen zwischen Froschteich und Badesee, was scherte ihn das? Zweihundertachtzig Mark in den Wind gesetzt, sieben Rosen hatte er auch schon besorgt, der Tisch im »Örgelchen« war reserviert –, und sie hatte ihm nicht einmal einen Brief hinterlassen. Statt dessen mußte er sich mit der lapidaren Auskunft eines Gärtners zufriedengeben.

Was fing er jetzt mit dieser teuren Kiste an?

Noch drei Stunden gehörte der Jaguar ihm, ob er bei Bernhard vorbeifahren sollte? Die ganze Siedlung würde kopfstehen, und sein Mitbewerber um die Gunst des Professors würde gelb vor Neid werden. »Hab ich mir kurz von meiner neuen Freundin geliehen«, würde er sagen, wenn du Lust hast, können wir eine Spritztour rund um deine Chemietürme machen.« Fragte sich nur, ob das Milchgesicht – alle nannten ihn hinter seinem Rücken so – zu Hause war. Heute morgen, nach dem gemeinsamen Tutorium für die Erstsemester, hatte er es verdammt eilig gehabt, was garantiert nicht der Fall gewesen wäre, wenn ihn bloß Kindergebrüll und Hausarbeit gerufen hätten. Seine Frau hatte Haare auf den Zähnen.

Kapitel 3Frust und Lust der »Heiligen«

Nach dem feucht-fröhlichen Abend zu dritt war Paula mit Kopfschmerzen aufgewacht, zumindest hatte sie das gegenüber Mirko behauptet. Auf diese Weise durfte sie beim gemeinsamen Frühstück schweigsam bleiben und war zugleich sicher vor weiteren Zärtlichkeiten. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr. Sie war zwar noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, doch daß sie mit dem einen Mann schlief und sein Gesicht gegen das eines anderen austauschte und in Wahrheit keinen von beiden meinte, gab ihr schon zu denken. Zumal Mirko heute alles tat, um ihr zu beweisen, daß er ihre Liebe verdiente. Er spülte freiwillig – hatten sie wirklich zu dritt so viel Geschirr gebraucht? –, machte das Bett und lüftete sogar umsichtig das Bad, bevor er schließlich vorsichtig fragte, wie sie sich das denn heute abend so vorgestellt hatte.

»War doch riesig nett gestern, oder etwa nicht? Und einen Painter hast du jetzt auch, das Kopfweh ist bis heute abend garantiert verschwunden, wie wär’s mit Kino?«

Paula schüttelte den Kopf.

»Willst du lieber Spazierengehen? Soll trocken bleiben, und wir waren schon eine Ewigkeit nicht mehr am Rhein.«