Süße Zitronen - Annegrit Arens - E-Book
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Süße Zitronen E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Von rosaroten Brillen und regenbogenfarbenen Seifenblasen … „Süße Zitronen“ von Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Für ihre große Liebe Denis hat Simone ihr altes Leben aufgegeben und ist nach Köln gezogen. Hier stellt sich ihr neuer Job bei einem Fernsehsender jedoch schnell als Seifenblase heraus, die jeden Moment platzen könnte. Als sie dann auch noch von Denis sitzen gelassen wird, ist Simone kurz davor, alles hinzuschmeißen und zurückzukehren. Doch dann trifft sie Rainer, einen Mann, der alles hat, wovon sie immer geträumt hat – Charme, beruflichen Erfolg und viel Zeit für sie. Das große Glück ist endlich da! Könnte es sich erneut als Seifenblase entpuppen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Süße Zitronen“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 551

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Über dieses Buch:

Für ihre große Liebe Denis hat Simone ihr altes Leben aufgegeben und ist nach Köln gezogen. Hier stellt sich ihr neuer Job bei einem Fernsehsender jedoch schnell als Seifenblase heraus, die jeden Moment platzen könnte. Als sie dann auch noch von Denis sitzen gelassen wird, ist Simone kurz davor, alles hinzuschmeißen und zurückzukehren. Doch dann trifft sie Rainer, einen Mann, der alles hat, wovon sie immer geträumt hat – Charme, beruflichen Erfolg und viel Zeit für sie. Das große Glück ist endlich da! Könnte es sich erneut als Seifenblase entpuppen?

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlicht bei dotbooks unter anderem folgende Romane:

Bella Rosa

Weit weg ist ganz nah

Aus lauter Liebe zu dir

Wenn die Liebe Falten wirft

Eine Übersicht über alle Romane der Autorin finden Sie am Ende dieses eBooks.

Die Website der Autorin: www.annegritarens.de

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/AnnegritArens

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Neuausgabe November 2015

Copyright © der Originalausgabe 1998 by Econ Verlag GmbH, Düsseldorf und München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Artisticco

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-413-9

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Annegrit Arens

Süße Zitronen

Roman

dotbooks.

Kapitel 1 Wenn der Reißverschluß klemmt

Das rotierende Herz auf dem Flachdach scheint zum Greifen nah, doch das täuscht. Alle Parkplätze auf dem Studiogelände sind besetzt, Simone muß etliche Ehrenrunden drehen, und als sie endlich fündig wird, speien zwei Busse ihre Ladung aus und bremsen den Wettlauf gegen die Zeit. Pensionäre hier und Schüler dort, die beiden Gruppen mischen sich und blockieren die breite Treppe des Haupteingangs, bis ein Ordner sie zum Seiteneingang für Zuschauer dirigiert und Simone den Weg zu der großen Glastür freigibt, über der ein Band in leuchtender Digitalschrift die Namen der drei Produktionen durchlaufen läßt, die hier beheimatet sind: »Sag ja!« Die Show für Verliebte, bei der sie selbst mitwirkt, außerdem die Sendungen »Frag die Sterne!« und »Auf die Plätze, los!«

An diesem Tag Mitte April ist es windig, fast schon stürmisch. Simone faßt nach ihrem Kopf und stellt sich vor, wie ihr mühsam in Form geföhntes Haar lächerliche Höcker bildet. Dieser Stufenschnitt war ein Fehler, nicht der einzige, sie hat ein Talent dafür, ihren Kollegen vor Augen zu führen, daß sie aus einer anderen Welt kommt. Sie ist wütend auf sich selbst, gleichzeitig rebelliert alles in ihr gegen Mitarbeiter, die es wieder einmal nicht geschafft haben, einen simplen Metallhaken zu betätigen, der diese Tür davor bewahrt, bei jedem Windstoß hin und her zu schlagen und eines nicht mehr fernen Tages zu Bruch zu gehen. Bei jedem Kontakt mit dem ersten von einem halben Dutzend Stehtischen im Eingangsbereich macht es PENG, ein Geräusch, das ein paar verloren wirkende Gestalten mit Kaffeetasse in der Hand automatisch zusammenzucken läßt, während zwei Hostessen seelenruhig zusehen. So, als ob sie mit all dem nichts zu tun hätten. Nicht mit dem Inventar dieses neuen Studios, nicht mit den geladenen Gästen und im Grunde auch nichts mit der Show, die in einer Stunde und dreiunddreißig Minuten live aufgezeichnet wird.

Einunddreißig Minuten, verbessert Simone sich stumm, während sie die Glastür arretiert und dabei die Wanduhr mit den beiden Piepmätzen, die sich bei jedem Vorrucken des Minutenzeigers küssen, nicht aus den Augen läßt. Wobei sie sich selbst klarmacht, daß ihr Feilschen um Minuten absurd ist, weil es hier um mehr geht, um viel mehr. Als freie Mitarbeiterin ist sie jederzeit kündbar, vielleicht sucht man schon nach einem Vorwand, um sie loszuwerden. Trotzdem kommt sie nicht gegen dieses Schnäbeln im Sechzig-Sekunden-Takt an. E i n s – z w e i – d r e i. Laut Vertrag hat sie sich drei Stunden vor dem Dreh einzufinden und dafür Sorge zu tragen, daß weder der von ihr präparierte Freier noch sein Gefolge aus der Rolle fallen. Die Sendung heißt schließlich »Sag ja!« Das Happy-End ist vorprogrammiert, die Begegnung mit diesem Hund auf der Fahrt von ihrer Wohnung zum Studio ist ein Störfaktor, den jeder andere beiseite geschoben hätte. Sie nicht! Sie, Simone Prinz, hat wieder einmal die falschen Prioritäten gesetzt und einem wildfremden Köter den Vorzug vor der zwanzigsten »Sag ja!«-Show gegeben.

Die Show mit der zur Zeit höchsten Einschaltquote des Privatsenders, moderiert von der sonnigsten Person, der Simone je zuvor begegnet ist. Wie kann ein Mensch nur so strahlen, als ob er rund um die Uhr vor Glück aus den Nähten platzte?

Der Hund eben hat allerdings kein bißchen glücklich dreingesehen. Augen groß wie Wagenräder, der zitternde Körper flach auf das Straßenpflaster gepreßt, kein Herrchen weit und breit, Simone hat eine Ewigkeit gebraucht, um die Gegend nach jemandem abzusuchen, der mit einer Leine herumläuft, die zum Halsband ihres Findlings paßt.

Sie ist eine Stunde und neunundzwanzig Minuten zu spät dran.

»Hübsch, daß du auch mal kommst. Lovely Sonja weint schon Krokodilstränen.« Die grüne Spitzenkorsage zum Minirock aus grünem Satin signalisiert die Zugehörigkeit der Sprecherin zur weiblichen Crew der »Sag ja!«-Show.

»Eine Art Unfall.« Simone unterdrückt den Gedanken, daß ein paar Tränen der ewig lächelnden Sonja Ziems vielleicht sogar ganz gut zu Gesicht stünden. Sie selbst ist der Auslöser für den Frust der Moderatorin, sie muß sich vorsehen.

»Eine Art?« Das Lächeln der anderen wirkt maliziös. »Gibt's bei dir auch mal was Hundertprozentiges?«

Simone zuckt zusammen. Sie bezieht diese Anspielung sowohl auf die Tatsache, daß sie als Seiteneinsteigerin zum Team gestoßen ist, als auch auf ihren Status als Frau. Noch immer hat sie keinen einzigen Verehrer vorzuweisen, der sie öffentlich mit Blumen, Fan-Post oder Versprechungen zuschüttet. Seitdem sie vor gut einem halben Jahr ihren Job in der Redaktion eines ebenso angesehenen wie konservativen Verlagshauses in Aachen gekündigt hat, gibt es nicht einmal mehr einen unglücklich verheirateten Kollegen, der ihr den Hof macht.

»Sind alle komplett?« fragt sie ausweichend.

»Wie man's nimmt.« Die halterlosen Brüste unter der grünen Spitze, giftgrün wie ein Granny Smith, wippen Richtung Kaffeetrinker. Zwei Männer stehen im Mittelpunkt, der eine ist der von Simone präparierte Freier, der andere sein Vorgänger bei der jungen Frau, die heute wie schon neunzehn andere vor ihr zum »Ja!« vor laufender Kamera animiert werden soll. Der Rest gehört zur Belegschaft des Spediteurs auf Freiersfüßen und sorgt dafür, daß die Auserwählte bis zuletzt ahnungslos bleibt.

Katja Reblein soll glauben, sie beteilige sich an einer Wett-Show, deren Reinerlös einem wohltätigen Zweck zugute kommt. Acht Spediteure gegen ebenso viele Mitarbeiter der Post, freie Marktwirtschaft gegen Bürokratie, die Erfindung einer ebenso glaubwürdigen wie aktuellen Story gehört gleichfalls zu Simones Aufgaben. Der Umstand, daß in diesem Studio täglich drei grundverschiedene TV-Spektakel aufgezeichnet werden, unterstützt die Irreführung der zukünftigen Bräute. Sicherheitshalber werden diese obendrein vor der Sendung separat betreut, denn die Show steht und fällt mit dem Überraschungseffekt, zumindest behaupten das die Marketingexperten.

Simone zählt sieben Köpfe und atmet auf. »Alles komplett«, sagt sie und fügt mit einem Rundumblick hinzu: »Wenn man mal von unserem eigenen Empfangskomitee absieht.« Regulär arbeiten am Set sechs Hostessen, die sich um das Wohlergehen der Gäste kümmern sollen, ebenso viele Frauen wirken in der Produktion mit. Für »Drehbuch« und »Besetzung« zeichnet die Redaktion verantwortlich, zu der sie selbst gehört, ihr Mitstreiter kuriert gerade seinen Heuschnupfen aus, die Volontärin hat gekündigt. Die restlichen Jobs sind durch die Bank männlich besetzt und bedienen die aufwendige Technik, sie alle tragen uniformes Grün und sind freie Mitarbeiter der vom Sender geleasten Produktionsgesellschaft. Lediglich die Moderatorin besitzt einen festen Vertrag für zwei Jahre und unterliegt keinem Kleiderzwang.

»Alles komplett? Und wer sagt heute ›Ja!‹ bei ›Sag ja!‹?«

Eine törichte Frage, trotzdem greift Simone automatisch nach der Liste, in welche sich die Gäste unmittelbar nach ihrer Ankunft eintragen. Der Name »Katja Reblein« ist als einziger mühelos zu entziffern, die reinste Schulmädchenschrift. Simone atmet auf. »Logischerweise die Auserwählte von unserem Jungunternehmer.«

Sie versucht, sich das Gesicht der Speditionskauffrau zu vergegenwärtigen, die sechs Monate mit dem etwa gleichaltrigen Fahrer derselben Firma verlobt war, bis der sie von jetzt auf gleich sitzengelassen hat. Er ist heute ebenfalls mit von der Partie, ein hübscher Kerl, sofern man auf Muskelpakete und einen ausrasierten Hinterkopf steht. Ein Typ, der sich einprägt, das gilt auch für den bärtigen, rotblonden Besitzer der Spedition keinen Meter daneben, wogegen die junge Frau kein sehr einprägsames Äußeres besitzt, zumindest nicht auf den Fotos, die Simone zu sehen bekommen hat. Lieb, denkt sie, brav, und genauso hat der Spediteur seine zukünftige Braut auch beschrieben: »'ne Seele von Mensch, kann keiner Maus was zuleide tun, erst mal hat sie mir einfach leid getan, als unser Casanova vom Dienst sich 'ne Neue angeheuert hat. Aber dann hab' ich genauer hingeschaut und mir gesagt, die wird bestimmt 'ne prima Mutter, wo sie schon bei jedem Hundebaby ausflippt, und allmählich wird's Zeit für mich, 'nen Nachfolger anzusetzen. Hab' mir gedacht, ich köder' sie mit 'nem Cockerspaniel aus dem Wurf von meinem Nachbarn.«

»Der Hund«, entfährt es Simone, »ist etwa der Hund entwischt?«

»Das Vieh ist da, hat schon etliche Kabel und Schnürsenkel angenagt und zwei Bächlein fabriziert, außerdem fiept es zum Steinerweichen.«

»Der Arme.« Simone macht sich Vorwürfe, weil sie auf den Vorschlag ihres Kandidaten eingegangen ist. Tiere machen sich immer gut, steigern die Einschaltquote ebenso sicher wie Menschenbabys und Exoten, sie ist keinen Deut besser als ihre Kollegen, wenn sie ein Hundebaby diesem Tohuwabohu aussetzt.

»Bedauer dich lieber selbst. Ich habe nichts für Vierbeiner übrig, trotzdem steckte ich an deiner Stelle im Moment lieber in dem Fell von diesem Köter.« Das Lächeln ist nun eindeutig hämisch.

»Stimmt was mit dem Vorfilm nicht?« Simone überlegt, ob die Cutterin etwas durcheinander gebracht haben kann. Jede neue Sendung beginnt mit der Einspielung vom Honeymoon eines Paares, das in einer der vorangegangen Sendungen zueinander gefunden hat. Die Episoden werden aus Unmengen von Filmmaterial ausgesucht und zusammengeschnitten, nicht auszumalen, wenn sich Szenen eingeschlichen hätten, die keineswegs zum Vollzug eines Happy-Ends paßten. Sie hätte gestern abend doch warten und das fertige Video nochmals kontrollieren sollen, anstatt die Freikarte fürs Cinedom zu nutzen. »Untergang der Titanic«, so als ob sie nicht genug mit sich selbst zu tun hätte.

Simone wartet die Antwort der anderen nicht ab, ignoriert den Zuruf ihres Kandidaten und geht der Lachsalve nach, die nicht die erste ist. Ihr Hinterkopf hat das derbe Gelächter aus dem Hintergrund, wo Schneide- und Vorführräume liegen, längst abgespeichert, ohne sich etwas dabei zu denken. Es wäre nicht das erstemal, daß ihre Kollegen sich vor der Arbeit drücken und sich amüsieren, während Simone die Gäste bei Laune hält und dafür sorgt, daß alle binnen drei Stunden ihre Rolle repetieren, Maske und Sprechprobe durchlaufen und an der Kasse ihre Spesen abrechnen. Heute allerdings bleiben ihr nur noch eine Stunde und zwanzig Minuten für diese Prozedur.

Achtzehn Minuten, korrigiert der Zeiger der Wanduhr in Herzform. Die beiden einander kontaktierenden Schnäbel erzeugen ein Alarmsignal in Simones Kopf.

Das Licht ist ausgeschaltet, ohne die Notbeleuchtung über der Tür und die helle Projektionsfläche an der gegenüberliegenden Wand wäre es stockfinster, Simone kneift die Augen zusammen. Es dauert ein paar Sekunden, bis sie die zuckenden Schultern und grölenden Laute unmittelbar vor sich von den laufenden Bildern dahinter zu trennen vermag, eine künstliche Zäsur, denn zweifelsfrei ist die Nahaufnahme des Kampfs von Rückenspeck und Metallzacken der Auslöser für die überbordende Erheiterung der Anwesenden.

»Gleich kommt's, gleich platzt die Verführpelle.«

»Und dann legt sie los«, ergänzt eine andere Stimme, »Junge, ist die geladen.«

»Und fett, der Junge kriegt das Doppelte zum selben Preis. Mit vierzig braucht die das Ehebett für sich allein. Von wegen Größe achtunddreißig, das ist ein Fall für die Zeltabteilung. Sieh dir die Keulenarme an, wie das schwabbelt, ich hätte drauf gewettet, sie knallt ihm eine.«

»Und dann?«

»Wär der Traum von einer Hochzeitsreise auf Kosten des Senders geplatzt, und Lovely Sonja hätte die Krise oder Streß mit dem Produzenten oder beides bekommen. Ganz schön clever, dieser hauptamtliche Kuckuckskleber, der hat die richtige Besänftigungsformel für seine Zukünftige gefunden, und dann natürlich unsere Fee der flinken Nadel, gleich kommt's, gleich wird die Fette für den Abspann repariert. Saubere Arbeit, muß man schon sagen.«

Simone starrt auf die Hände, die nun ins Bild treten, flink wie ein Wiesel hin und her gleiten, auftrennen und sticheln, bis sich der glänzende Stoff wieder über dem hektisch geröteten Fleisch schließt. Sie weiß genau, wer die Nadel führt und was bei der letzten Show nach dem »Ja« der Braut passiert ist, während für die Zuschauer im Studio eine Popgruppe sang. »Life is so beautiful, yeah«, und hinter der Kulisse ging es zur Sache, die Szene steht ihr gestochen scharf vor Augen. Um ein Haar hätte der »Köder« ihres letzten Kandidaten das Finale geschmissen.

»Für dieses Kleid täte sie alles«, hat der junge Mann im Vorgespräch behauptet und höchst plastisch beschrieben, wie seiner Freundin die Augen übergequollen sind, als sie das Prachtstück in einem Schaufenster entdeckte. »Immer wieder hat sie mich hingeschleppt«, hieß es weiter, »aber natürlich kann ich mir so 'nen Fummel als Gerichtsvollzieher nicht leisten, da hab ich mir gedacht, ich meld mich mal auf Ihre Annonce hin. Sie zahlen doch auch die Hochzeitsreise, woll?« Die klassische Aschenputtel-Geschichte, hat Simone bei der wöchentlichen Vorstellung neuer Kandidaten gesagt, woraufhin Talkmasterin Sonja spontan zugriff: »Cinderella läuft immer, kauf das Kleid und saug dir eine hübsche Ablenkungsstory für die Grazie aus dem Kohlenpott aus den Fingern.«

Wie sollte Simone ahnen, daß dieser Beamte die Kleidergröße seiner Liebsten gleich drei Nummern zu klein angibt? Das Traumkleid ist auf Figur geschnitten, die Übergabe vor laufenden Kameras hat der Auserwählten noch Tränen der Freude und ein begeistertes »Ja!« auf die entscheidende Frage hin entlockt, doch bei der Anprobe flogen die Fetzen. Letztlich weiß Simone bis heute nicht genau zu sagen, ob die Kunst der Näherin oder der Appell des Bräutigams »Denk an die kostenlose Hochzeitsreise, Schatz!« die Rettung gebracht haben. Dafür weiß sie hundertprozentig, daß sich hier jemand aus ihrem Team unerlaubt im Filmarchiv bedient und einen Jux erlaubt hat.

Jux? Simone schüttelt den Kopf. Am liebsten zahlte sie es dieser Meute mit gleicher Münze heim. »Man sollte euch alle ...«, weiter kommt sie nicht. Ihr will einfach nicht einfallen, wie sich wandelnde Garderobenständer bestrafen lassen, die mit den überschüssigen Pfunden ihrer Mitmenschen Schindluder betreiben. Und nicht nur damit.

» ... Sie gehören doch selbst dazu, oder?« Eine Frauengestalt löst sich aus der Dunkelheit, sie muß unmittelbar neben der Tür gestanden haben, das trübe Licht der Notbeleuchtung fällt auf ein Gesicht, das Simone vage bekannt vorkommt, obwohl es nicht besonders einprägsam ist.

»Ich?« wiederholt sie und folgt dem Blick der Fremden zu sich selbst hin. Sie trägt Grün, das giftige Grün ist verpflichtend, es markiert Männlein wie Weiblein und schweißt Simone mit den Lachern ringsum zusammen. Erst als die Tür hinter der Frau zuknallt, fällt ihr ein, woher sie dieses Gesicht kennt. Sie macht ebenfalls kehrt. Im Sturmschritt. Wenn diese Sendung platzt, ist sie dran, soviel steht fest.

***

»Nicht so stürmisch, Frau Redakteurin!« Zwei Arme umfassen Simones Schultern. Der Brustkorb des Mannes versperrt ihr Sicht und Weg, sein Aftershave erinnert sie kurz an das Meer, das sie so liebt, aber sie hat keine Zeit, sich vom Duftwasser des Werbeassistenten einlullen zu lassen. In letzter Zeit läßt er sich hier auffällig oft blicken.

»Ich muß weiter, lassen Sie mich gefälligst durch, sonst läuft mir die Braut für heute davon.«

»Lovely Sonja hat sie schon gecatcht, ihrem Liebreiz widersteht niemand, nicht mal eine widerspenstige Braut. Sie gefallen mir übrigens besser, diese Frisur steht Ihnen prima, das Rosige auch.«

»Der Wind«, Simone streicht sich über den Kopf, »fast schon ein Sturm«. Sie schämt sich für sich selbst. Was geht es diesen Menschen an, wie ihr das Klima dort draußen oder hier drinnen zusetzt? Das interessiert ihn nicht die Bohne, darauf wettet sie ihre letzte Mark. Auch wenn er einer der wenigen ist, die ihr gegenüber die Form wahren, weiß sie genau, auf welcher Seite er mitspielt. Seit ein paar Wochen schon versucht sie herauszufinden, ob er wirklich etwas mit »Lovely Sonja« hat. Vielleicht sieht die Talkmasterin gar nicht wegen ihrer rasanten Einschaltquote, sondern wegen diesem kaum weniger rasanten Werbemenschen so aus, als ob sie vor Glück platzen wolle ...

***

Simone vergißt das im Minutentakt schnäbelnde Vogelpaar ebenso wie die Gerüchte, die sich um Sonja Ziems und Rainer Schaller ranken, während sie all das nachholt, was vor einer Aufzeichnung zu erledigen ist. Sie hetzt von hier nach dort, assistiert selbst beim möglichst unsichtbaren Anlegen der Mikrofone, entschuldigt sich mehrmals bei den Tontechnikern und auch in der Maske für die Verspätung, wiederholt im Eildurchgang mit jedem einzelnen Gast seinen Text, den die Talkmasterin ausgedruckt vorliegen hat, und weiß, daß sie froh und dankbar sein sollte, weil ihr die Sorge um diese Katja Reblein abgenommen wird. Sie ist mit Sonja in deren Garderobe verschwunden, hinter der Tür bleibt alles leise, nur einmal ertönt ein leiser Protest gegen die Schminke, mit welcher Sonjas persönliche Visagistin der Kandidatin einen Hauch Farbe verleihen will. Man einigt sich auf Puder, das auch die Männer hinnehmen müssen, um nicht im Scheinwerferlicht wie Speckschwarten zu glänzen. Acht Spediteure gegen acht Postler, die Speditionskauffrau scheint noch immer an ein karitatives Wettspiel zu glauben. Fragt sich bloß, was passiert, wenn ihr die entscheidende Frage gestellt wird.

Ob der Welpe am anderen Ende des Korridors als Köder funktioniert?

Momentan schläft er, das Fell hat sich zusammengeschoben, sogar der runde Kopf wirkt verknautscht. Simone überlegt, wie sie reagieren würde, wenn einer ihr dieses weiche Fellbündel in den Schoß legte und sie gleichzeitig fragte, ob sie ihn heiraten wolle. Dabei sieht sie automatisch das Gesicht von Denis vor sich.

»Hab noch ein bißchen Geduld«, hat er immer wieder gesagt, »sobald es mit meiner Bewerbung in eine andere Stadt klappt, lasse ich mich scheiden.«

Es hat in Köln geklappt. Simone gräbt die Hand, mit der sie den schlafenden Cockerspaniel streichelt, tief in das warme Fell, mißachtet das Fiepen und sieht sich selbst, wie sie gestrahlt hat. Einen Monat später hat sie nicht mehr gestrahlt, da hatte sie bereits die Wohnung mit Blick auf den Rhein angemietet. Sie liebt das Wasser, nun hat sie die Aussicht auf den Strom und die Miete für sich allein, so gesehen sollte sie glücklich sein, diesen Job beim Fernsehen gefunden zu haben. Andere träumen davon, für »Joy« zu arbeiten.

***

JOY – die Digitalschrift flimmert über den mit zahllosen Herzen garnierten Hintergrund der Bühne und die Monitore, die überall im Studio plaziert sind. JOY. FREUDE. Dann gleitet die Tür am anderen Ende auf, die Köpfe von Pensionären und Schülern drehen sich zu der Frau um, an der einfach alles sonnig ist. Klatschen, einige trampeln sogar mit den Füßen, Sonja Ziems hat keine Anheizer nötig, die das Zeichen zum Applaus geben, sie reißt jung und alt durch ihre bloße Erscheinung mit.

Ob die Kandidatin der heutigen Show noch immer an ein Wettspiel glaubt? Sie sitzt jetzt allein in einer Kabine und hört die Stimme des Moderators von »Auf die Plätze, los!« Auch das gehört zum Ablenkungsmanöver. Gleich, wenn »Lovely Sonja« die Zuschauer im Saal und daheim vor den Fernsehern begrüßt und mit den richtigen Kostproben vom Happy-End einer alten Show eingestimmt hat, wird sie sieben echte Spediteure und acht falsche Postler hereinbitten und das Publikum auffordern, sich nichts anmerken zu lassen und die Brautwerbung des rotblonden Bartträgers zu unterstützen.

»Ist er nicht ein strammer Kerl?«

Klatschen. Ein paar Pfiffe von den Bänken, auf denen halbe Kinder sitzen, für die der Jungunternehmer ein Grufti sein muß. Er ist zweiunddreißig, für einen Teenager ist das so gut wie scheintot. Soeben folgen weitere Einzelheiten zur Vorgeschichte der wahren Lovestory, die zwischen Transportkisten und Laderampen begonnen hat und heute zum Ziel führen soll. Vor Ort gedrehte Videos werden eingeblendet, zeigen die sieben Männer dort vorn auf dem Podium unter den flimmernden Herzen bei der Arbeit. In voller Aktion während eines Umzugs, schnaufend und schleppend, der Kontrast zu dem schnieken Bild, das sie live im Studio bieten, kommt gut an. Das gilt nicht für den allzu langatmigen Exkurs des Bartträgers zu seinen Möbelwagenmetern und dem nagelneuen Außenaufzug. Unruhe kommt auf, woraufhin Sonja blitzschnell aufsteht und zu Katja Rebleins abtrünnigem Bräutigam überwechselt.

»Und Sie verspüren keinen Neid bei dem Gedanken, daß Ihre Ex-Verlobte heute nicht nur Ihren gemeinsamen Chef, sondern obendrein diesen tollen Möbelwagen mitsamt Außenaufzug ergattert?«

»Man muß auch gönnen können, und so'n Möbelwagen macht noch keinen ganzen Kerl aus, oder?«

Das Publikum applaudiert kräftig, allerdings für den Falschen.

Simone beobachtet fasziniert, wie »Lovely Sonja« es mühelos schafft, die Sympathien wieder auf den Bärtigen zu konzentrieren, indem sie ihm pünktlich zur Werbepause den Cockerspaniel auf den Schoß setzt.

Tiere kommen immer gut an, erst recht junge.

Die Braut wartet noch immer in ihrer Kabine.

Simone verteilt Wasserbecher an ihre Studiogäste, dicht gefolgt von den beiden Maskenbildnerinnen. Es wird nachgepudert und getrunken und gehüstelt, die Becher werden wieder eingesammelt, phosphoreszierende Fragezeichen gesellen sich zu den Flimmerherzen hinter dem Podium. Ein Tusch ertönt: Katja Reblein wird hereingeführt.

Noch immer ahnungslos?

Manchmal überkommen Simone Zweifel, ob ihre Bräute wirklich bis zuletzt im dunkeln tappen. Dann wieder sagt sie sich, daß sie selbst der beste Beweis dafür ist, wie leichtgläubig Menschen sein können. Oder gilt das nur für Frauen? Für verliebte Frauen?

***

Der Applaus verschreckt den Welpen. Er richtet sich auf, schüttelt den zu schwer wirkenden Kopf, kläfft und versucht, dem Griff des Mannes zu entkommen, der ihn festhält. Vergeblich. Kein schönes Bild, die Kameras schwenken zu der Kandidatin hinüber, die bis jetzt keinen Blick nach rechts oder links geworfen hat und hochgradig nervös wirkt. Sie schwitzt trotz Puder, das Kinn beginnt zu glänzen, die Halspartie verfärbt sich fleckig rot. Die Talkmasterin ergreift ihre Hand, zeigt auf die Spediteure auf der einen und die falschen Postler auf der anderen Seite und endlich auf den Welpen.

»Jetzt geht es um die Wurst, besser gesagt um den Hund, der Kleine entscheidet heute darüber, wer gewinnt.« Die Moderatorin zwinkert ins Publikum.

»Das ist Tierquälerei.« Das Rot am Hals vertieft sich, das Kinn wirkt noch speckiger. Simone sieht im Hintergrund die Maskenbildnerinnen die Augen verdrehen. Sonjas Teint beginnt, wenn auch schwach, ebenfalls zu glänzen, während sie die unglückliche Bemerkung auszubügeln sucht.

»Aber Sie werden den kleinen Liebling retten.« Ein Wink zu der Assistentin hin, die Sonja als einzige duzt. Schon wird der Welpe hinausgetragen, die beiden Mannschaften formieren sich zum fingierten Wettspiel, in den Gesichtern des Publikums spiegelt sich die Freude, der Kandidatin Nasenlängen voraus und Komplizen der Talkmasterin mit der zur Zeit höchsten Einschaltquote bei »Joy« zu sein. JOYJOYJOY.

Zwei Teams, die je acht Faltkartons bestücken, mit Hilfe eines Hebeaufzugs in eine Wohnkulisse transportieren und richtig einräumen müssen. Die Stoppuhr läuft, der Anblick von ordnungsgemäß zu verstauenden Bettpfannen und Dessous sorgt ebenso für Erheiterung wie der Anfeuerungsruf der Moderatorin: »Denkt dran, Jungs, die Post hat ein Monopol zu verlieren!«

Pünktlich zur nächsten Werbesequenz machen die Speditionsleute das Rennen. Ihr Chef darf den Cockerspaniel aus seiner allen Vorschriften genügenden Transportkiste befreien, das Publikum applaudiert und trampelt mit den Füßen. Simone verteilt erneut Wasser, dicht gefolgt von Einweg-Puderquasten. Im Grunde, denkt sie, ist es egal, wer bei diesen Scheinwettkämpfen siegt, das Finale wird davon nicht berührt. Sie sieht zu Katja Reblein hin und weiß, daß sie erleichtert sein sollte: Blaß, brav, die Braut hat sich in ihre Rolle geschickt, der Vorwurf der Tierquälerei eben war bloß ein Ausrutscher.

»Was willst du schon wieder mit dem Hund?«

»Tja«, der Bärtige lacht verlegen auf, »das ist sozusagen der Preis, nicht der einzige, ich hab mir gedacht, wo du so verrückt auf Tiere bist ...«

»Gib ihn schon her«, unterbricht ihn die junge Frau und spricht damit Simone aus der Seele, die am liebsten selbst vorgeprescht wäre, um das zappelnde Fellbündel zu befreien. Doch der Mann läßt nicht los. Seine großen Hände verharren plötzlich im luftleeren Raum, so als ob ihm etwas eingefallen wäre, er ignoriert die verzweifelt rudernden Pfoten.

»Moment mal.«

»Du quälst ihn, merkst du das nicht? Du hast kein Herz für Tiere, ich weiß noch genau, wie du die drei winzigen Kätzchen ...«

»Sie waren zu schwach, sie hätten sowieso nicht überlebt, und dann die neue Couch, hast du vergessen, wie meine alte Couchgarnitur von diesem Kater zugerichtet worden ist?«

»Ich hab nichts vergessen. Kurz darauf ist er verschwunden, angeblich hat es ihn beim Wildern erwischt, so als ob es bei dir nicht genug Mäuse gäbe.«

»Keine einzige Maus, gibt es mehr, das ist Rufschädigung ...«

»Stop!« Die Talkmasterin sprintet zwischen das Paar und lächelt in die Kameras, die auf sie geschwenkt werden. Sie erscheint leicht atemlos, was aber ihrem perlenden Lachen nichts anhaben kann, gleichzeitig legt sie dem männlichen Star der heutigen Show eine Hand auf den Unterarm, dirigiert seinen Blick auf sich, zieht ihn so in ihr Strahlen hinein und sagt endlich beschwörend: »Hast du nicht eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen, Jochen?« Und nochmals dramaturgisch wirkungsvoll an das Publikum gewandt: »Hat er nicht?«

Er hat. Der rotblonde Schopf nickt. Die Zungenspitze schnellt vor, ein Blinzeln zu seiner Crew, zu den leeren Faltkartons, ein Räuspern, die Spannung im Zuschauerraum steigt spürbar, riechbar, man bangt mit ihm und weiß doch: ein strammer Kerl, der das Rennen schon machen wird.

»Okay, logisch, also was ich noch sagen wollte ...«

Rhythmisches Klatschen setzt ein. Die flimmernden Herzen an der Kopfwand wechseln von zartem Pink zu glühendem Rot über, die mit Leuchtgas gefüllten Fragezeichen wechseln zwischen hell und dunkel, Musik wird eingespielt, erst verhalten, dann immer lauter. Simone kann die Augen nicht von dem Gesicht der jungen Frau wenden, die gleich »Ja!« sagen soll und zur Belohnung den Welpen ausgehändigt bekommt. Alles andere folgt später: Teilhabe am Möbelwagen, Außenaufzug, Faltkartons und dem anzusetzenden Nachfolger ...

»Willst du mich heiraten?« Der Cockerspaniel nickt erneut vor. Katja Reblein greift zu. Das Publikum tobt vor Begeisterung. Die Talkmasterin strahlt. Ein Tusch ertönt und überlagert beinahe die Worte der jungen Frau.

»Dich heiraten? Bestimmt nicht.«

»Aber du hast den Hund genommen.«

»Den behalte ich auch, du ersäufst ja sogar kerngesunde junge Katzen und ...«

»Ich habe ihn bezahlt, plus Versicherung und Futter.«

»Kannst du mit meinem Restlohn verrechnen, ich kündige fristlos.«

Stille, da hinein ein »Geil!« aus der Richtung, wo die Schüler sitzen, die Kameras schwenken von hier nach dort und bleiben an dem Gesicht der Talkmasterin hängen: hochrot trotz Schminke, glänzend. Auf dem Monitoren erscheint ein Werbespot für Schonkaffee.

***

Mechanisch stellt Simone Kaffeetassen zusammen, stapelt leere Schnittchenplatten aufeinander und räumt die Sektgläser weg, die heute zum erstenmal in fast fünf Monaten unbenutzt geblieben sind. Gewöhnlich stößt Sonja nach jeder Sendung auf das »Ja!« der Braut an, heute gab es kein Jawort und folglich auch kein Anstoßen mit den Gästen der Show. Diesmal hat sich auch keiner vom Set über eine schwergewichtige Braut oder einen tölpelhaften Bräutigam mokiert, sie alle haben sich mehr oder weniger leise aus dem Staub gemacht. Bis zuletzt hat Simone darauf gewartet, persönlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Umsonst, was jedoch nicht bedeutet, daß sie nicht als Sündenbock wird herhalten müssen, dessen ist sie sich so gut wie sicher. Während sie wie gewohnt noch einen letzten Blick in jeden Raum wirft und überall das Licht ausknipst, schwankt sie zwischen Selbstmitleid und Bewunderung für die junge Frau, die mehr Zivilcourage bewiesen hat als die zwei Dutzend Leute zusammen, die für diese Show arbeiten, sie selbst inbegriffen.

»He, was soll der Scheiß?«

Simone schrickt zurück, gerade hat sie das Licht im Büro der Talkmasterin gelöscht, von der dieser Protest allerdings nicht stammt. Eine Männerstimme, zu der sich umgehend ein Geruch gesellt, den Simone mit der Nordsee verbindet. Sie ist in Ostende aufgewachsen, und obwohl es kaum einen ungünstigeren Moment gibt, um sich Kindheitserinnerungen hinzugeben, wallt Sehnsucht in ihr auf. Sie hatte eine glückliche Kindheit, später ist sie von Aachen oft genug mit Denis übers Wochenende hingefahren, ein Katzensprung.

Sie tippt erneut auf den Schalter, verfehlt ihn, endlich wird es hell im Raum. Entgegen ihren Befürchtungen ist Rainer Schaller allein.

Bei ihrem Anblick lacht er kurz auf, aber es liegt kein Spott in diesem Lachen, eher schon wirkt es verlegen. »Ach, Sie sind es. Ich dachte schon, die Putzkolonne rückt an.«

»Die kommt erst morgen früh, tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören, die Macht der Gewohnheit, also dann ...« Simone weiß selbst nicht, warum sie nicht endlich die Tür hinter sich schließt und verschwindet. Wartet sie auf seine Bestätigung, daß ihre Tage hier gezählt sind?

Der Werbeassistent hebt einen Ordner in die Luft, Fotos fallen heraus. Simone erkennt die Kandidaten der sendefertigen »eisernen Reserve«, die für den Fall existiert, daß eine Aufzeichnung ein Flop wird, so wie heute. »Hab mir gedacht, ich schau mal, wie wir Lovely Sonja unter die Arme greifen können. Sie war ziemlich down.«

»Am besten wohl mit einer neuen Redakteurin, die ihr sichere Bräute anschleppt.«

»War nicht Ihr Fehler heute, den Schuh müssen Sie sich nicht anziehen. Überhaupt kommt es immer darauf an, was man aus einer Sache macht.«

»Wahrscheinlich sind Sie der einzige, der das so sieht.« Simone dreht sich zur Seite, es muß nicht sein, daß er mitbekommt, wie nah sie an Wasser gebaut ist. Trotzdem nett, daß er sie trösten will, und das, obwohl er der Talkmasterin so nahe steht. Seine Anwesenheit in deren Zimmer ist ein weiteres Indiz dafür.

»Glaube ich nicht, ist ein eisernes Gesetz in meiner Branche: Hauptsache, man erregt Aufsehen, und dafür haben Sie schließlich gesorgt, zumindest intern. Ich überlege mir sogar, ob man nicht gerade dieses ›Nein!‹ einer Braut senden sollte.«

»Paßt nicht ins Konzept.« Und nicht zu Sonja Ziems, ergänzt Simone stumm.

»Da haben Sie auch wieder recht. Eigentlich schade, wie?«

Meint er das ernst? Simone ist sich nicht sicher, ob Rainer Schalter damit versteckt andeuten will, daß er den Auftritt einer Katja Reblein ebenfalls für bedeutsamer hält als eine künstlich angeheizte Brautwerbung nach Schema »F«, die sich im Grunde stets gleichbleibt, lediglich bei verschiedenen sozialen Schichten und Altersgruppen zugreift, das Erfolgskonzept vom »heiteren Beruferaten« mit dem von »Wetten daß ...« koppelt und oben drauf eine »Traumhochzeit« packt. Nicht einmal die ist eine eigene Erfindung.

»Ich weiß nicht ... eigentlich schon.« Sie verstummt, was auch besser so ist. Hat sie zehn Semester lang Kommunikationswissenschaften studiert, um jetzt keinen einzigen vernünftigen Satz zusammen zu bekommen?

»Vielleicht würden Sie unserer Sonja sogar einen Gefallen tun, wenn Sie bei Ihren Recherchen hier und da etwas Peppigeres untermischen.«

»Ich fürchte, dazu werde ich keine Gelegenheit mehr haben. Außerdem überschätzen Sie meine Möglichkeiten, letztendlich entscheidet immer Sonja, wer drankommt.«

»Da irren Sie, mit Verlaub, sogar gleich doppelt. Niemand ist wirklich unabhängig von Außeneinflüssen, davon lebt schließlich die Werbung, und was Ihren Verbleib bei ›Joy‹ betrifft, das lassen Sie nur meine Sorge sein.«

»Danke.« Simone ahnt, daß er Wort halten wird. Er ist nicht der Typ, der das Blaue vom Himmel schwindelt, eher schon färbt er den Himmel nach seinem Geschmack um, das erkennt sie am Ausdruck seiner Augen. Sehr direkt, fast schon kühl, was aber auch an der Farbe liegen kann. Ein ungewöhnlich helles Grün, das die dunklen Wimpern noch betonen. Seine Haare sind aschblond und geben eine eigenwillig vorgewölbte Stirn frei. Auch die Kinnpartie zeugt von einem festen Willen. Lediglich der Mund legt sich nicht fest, gibt sich mal weich und dann wieder energisch und bringt sie ganz kurz ins Schleudern. Sie blickt auf ihre Hände hinab, seit neuestem reißen ihre Nägel ständig ein, es sieht aus wie abgeknabbert. Was muß ein Mann von einer Frau denken, die kürzere Nägel hat als er selbst?

Simone kreuzt die Arme hinter dem Rücken und zwingt sich, an die nächste Miete zu denken, die in zwei Wochen fällig ist. Und an ihr Konto, dem drei Monatsmieten Kaution den Rest gegeben haben. Sie sollte ihrem Gegenüber auf Knien danken, wenn er wirklich ein gutes Wort bei der Talkmasterin für sie einlegt.

Wann wird er das tun? Wo? Sonja Ziems ist für ihre romantische Ader bekannt, neuerdings schwärmt sie auch fernab laufender Kameras von Kerzenschein und jubilierenden Geigen.

»Ein Königreich für das, was Sie gerade denken.«

»An meine Wohnung.«

»Bestimmt haben Sie da auch einen Hund. So, wie Sie sich eben um diesen Welpen gesorgt haben, müssen Sie einfach einen Hund haben.«

»Nein, habe ich nicht, noch nicht.« Dieser Nachsatz entschlüpft ihr einfach so und begleitet sie wenig später auf dem Heimweg. Ihre Wohnung liegt im Parterre eines Zweifamilienhauses. Der Garten ist den Besitzern zur alleinigen Nutzung vorbehalten, doch wenn sie die Tür öffnet, hat sie die Rheinauen vor sich. Wohnen am Strom, es gibt Schiffe und Möwen und Träume, die man mit auf die Reise schicken kann. Ein eigener Hund wäre wunderbar, immer vorausgesetzt, sie kann diese Wohnung halten. Sie will nicht schon wieder etwas aufgeben müssen.

***

Das Telefon klingelt beharrlich, doch Simone läßt sich Zeit. Draußen ist es noch hell, zu hell für verliebtes Geplänkel bei Kerzenschein. Vielleicht ist Sonja Ziems eingefallen, daß sie zuvor noch rasch die Kündigung einer gewissen Simone Prinz hinter sich bringen könnte.

»Prinz.«

»Ich bin's, Denis.«

»Aha.«

»Klingt nicht sehr begeistert, wollte nur mal rasch hören, wie's dir so geht.«

Bei dem Wort »rasch« denkt Simone zwangsläufig an seine Ehefrau, mit der er jetzt ein Haus in einem Kölner Vorort bewohnt. Ohne Blick auf den Rhein, dafür garantiert hochwasserfrei und mit hinreichend viel Platz für den Kinderwagen, den die beiden bald durch die Gegend schieben werden.

»Mir geht's gut. Prima. Allerbestens.«

»So hörst du dich aber nicht an. Bist du noch sauer? Du solltest dir vielleicht eine andere Wohnung suchen, etwas Zentrales. Was willst du mit drei Zimmern und ohne Auto dort draußen?«

»Ich habe wieder ein Auto.« Geht ihn das etwas an?

»Sieh mal einer an, da mußt du ja ordentlich verdienen, wenn du dir achtzig Quadratmeter für dich allein und obendrein ein Auto leisten kannst.«

»Ich werde nicht mehr lange allein sein.«

»Du willst? Du hast vor ...?« Er saugt Luft an und läßt sie in kleinen Schüben entweichen, Simone weiß, daß er sehr erregt ist, wenn er das tut. Bei einem Thriller im Kino, bei einer Berufung zum Ressortchef in einem Kölner Verlag, beim Eingeständnis der Vaterfreuden, denen er entgegensieht: »Ich kann meine Frau jetzt nicht im Stich lassen, das wäre einfach nicht fair, du wirst das verstehen, und eines Tages triffst du bestimmt jemanden, der noch viel besser zu dir paßt als so ein alter Ehekrüppel wie ich.«

Fürchtet er, daß sie schon Ersatz für ihn gefunden hat?

Fast bedauernd legt Simone den Hörer auf, das erregte Pusten verstummt. Es tut ihr gut, sich auszumalen, wie zur Abwechslung ihn die Eifersucht plagt. Falls sie sich das nicht nur einbildet wie so vieles zuvor. Gelogen hat sie jedenfalls nicht, auch wenn ihr zukünftiger Wohnungsgenosse bloß ein Vierbeiner sein wird. Immer vorausgesetzt, Rainer Schaller hält Wort.

Kapitel 2 Erwischt

Nirgendwo ist die Südstadt kölscher als auf dem knappen Kilometer zwischen Severinsbrücke und Chlodwigplatz. Das scheint auf den Mann abzufärben, dessen Arm Sonjas zierliche Taille umfaßt hält. Die Art, wie er sich plötzlich ausdrückt, irritiert sie ebenso wie dieses Milieu. Normalerweise führt er sie in Restaurants, die sie kennt, wenn sie nicht gleich in Sonjas Wohnung bleiben, die der Sender für sie besorgt hat. Eine schöne Wohnung, trotzdem wird es ihr immer öfter zu eng in diesen vier Wänden, die für eine Person bemessen sind. Daran ändert auch Kerzenlicht nichts.

Sie unterbricht seine Laudatio auf die sechste oder siebte Kneipe, die sie auf dieser Straße passieren. Es ist ihr gleichgültig, ob das »Häsgen« im 19. Jahrhundert eine Hähnchenschlachterei war und ob ein ihr unbekannter Detlef jetzt als Spüler in einem Hotel arbeiten muß.

»Ich würde doch lieber ins ›Palermo‹ gehen, glaube ich«, sagt sie.

»Denk an Monique, sie ist dort neuerdings Stammgast.«

Sonja sagt sich, daß sie in letzter Zeit viel zu viel an ihre Produktionsleiterin denken muß, und das hat keineswegs berufliche Gründe. Sie kann sich an zehn Fingern ausrechnen, was passiert, wenn ihr Verhältnis am Set ruchbar wird.

»Dann eben zu Marcel.«

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